22
Es war jetzt später Vormittag, und plötzlich starb ich fast vor Hunger. Ich ließ den Wagen vor der Polizeiwache stehen, wo ich ihn geparkt hatte, und ging zu der kleinen Imbißbude hinüber, die »Das Ei und ich« hieß. Ich bestellte mein Standardfrühstück, bestehend aus Schinken, Rühreiern, Toast, Konfitüre und Orangensaft, mit jeder Menge Kaffee dazu. Das ist das einzige Essen, dem ich beständig treu bleibe, weil es alle Elemente enthält, nach denen sich mein Körper sehnt: Koffein, Salz, Zucker, Cholesterin und Fett. Wie soll man da widerstehen? In Kalifornien mit all seinen Gesundheitsfreaks wird das Essen einer solchen Mahlzeit schon als Selbstmordversuch angesehen.
Während des Essens las ich die Zeitung und brachte mich über die örtlichen Ereignisse auf dem laufenden. Gerade hatte ich es bis zum zweiten Stück Roggentoast geschafft, als Pam Sharkey hereinkam, zusammen mit Daryl Hobbs, der Managerin von Lambeth and Creek. Ihr Blick fiel auf mich, und ich winkte. Ich legte nicht gerade meine ganze Energie in dieses Winken hinein. Es war ein beiläufiges, lässiges Winken, um anzudeuten, daß ich ein netter Kerl war und mich ihr gegenüber nicht aufspielen würde, bloß weil ich sie, als wir uns das letzte Mal getroffen hatten, übervorteilt hatte. Ihr Gesichtsausdruck wurde unsicher, sie brach den Blickkontakt ab und ging ohne ein Wort an meinem Tisch vorbei. Der Verweis war so offensichtlich, daß selbst Daryl peinlich berührt zu sein schien. Ich war verwirrt, aber nicht gerade bis ins Mark getroffen, und zuckte philosophisch mit den Achseln. Vielleicht hatte sich der Raumfahrtingenieur als Flop herausgestellt.
Als ich mit dem Frühstück fertig war, bezahlte ich die Rechnung und ging das Auto holen. Ich wollte schnell mal am Büro vorbeifahren und das Material hinbringen, das ich von Jonah mitgenommen hatte. Ich war gerade dabei, die Bürotür aufzuschließen, als Vera aus den California-Fidelity-Räumen auf den Flur hinaustrat.
»Kann ich mit dir reden?« fragte sie.
»Klar. Komm rein.« Ich machte die Bürotür auf und sie folgte mir hinein. »Wie geht’s?« meinte ich und dachte immer noch, dies wäre eine normale Plauderei. Sie strich sich eine Strähne kastanienbraunen Haares hinters Ohr und sah mich durch die großen, hellblau getönten Linsen an, die ihre Augen riesig und ernst erscheinen ließen.
»Hm, paß mal auf. Bloß ein kleiner Tip«, begann sie unbehaglich. »Die Hölle ist los, wegen dieser Geschichte mit Leonard Grice.«
Ich blinzelte sie an. »Zum Beispiel?«
»Pam Sharkey muß ihn angerufen haben, nachdem du mit ihr gesprochen hattest. Ich weiß nicht, was sie ihm erzählt hat, aber er ist total in Aufruhr. Er hat sich einen Anwalt genommen, der einen Brief an die CF vom Stapel gelassen hat, in dem er droht, uns fast zu Tode zu klagen. Hier geht es um Millionen.«
»Weswegen?«
»Sie behaupten üble Nachrede, Rufmord, Vertragsbruch, Belästigung. Andy ist fuchsteufelswild. Er sagt, er hatte ja keine Ahnung, daß du da drinsteckst. Er sagt, du warst weder von California Fidelity noch von sonst jemandem befugt, hinzufahren und Fragen zu stellen... bla, bla, bla. Du kennst Andy ja, wenn er sich aufspielt. Er will dich auf der Stelle sehen, sobald du reinkommst.«
»Was soll das denn? Leonard Grice hat nicht mal Schadensersatz beansprucht!«
»Stell dir vor. Das erste, was er am Montag morgen getan hat, war, den Antrag zu stellen, und er will sein Geld auf der Stelle. Die Klage war oben draufgeheftet. Andy ist drüben und bearbeitet die Papiere so schnell er kann, und er ist stinksauer. Er hat Mac gesagt, daß er meint, wir sollten die ganze Vereinbarung mit dir lösen, nach dem Ärger, den du uns eingebracht hast. Der Rest von uns denkt, daß er ein komplettes Arschloch ist, aber ich dachte, du solltest wissen, was los ist.«
»Wie hoch ist der Gesamtbetrag des Schadensanspruchs?«
»Fünfundzwanzig Riesen für den Feuerschaden. Das ist der Nominalwert auf der Hausbesitz-Police, und er hat seine Verluste bis auf den letzten Penny aufgeführt. Die Lebensversicherung steht nicht zur Debatte. Ich glaube, er hat schon so ’ne winzig kleine Police auf ihr Leben kassiert — zweitausendfünfhundert — , und nach unseren Unterlagen hat er die schon vor Monaten ausgezahlt bekommen. Kinsey, er ist auf Jagd, und du bist das Opfer. Andy sucht jemanden, dem er die Schuld geben kann, damit Mac nicht ihm die Schuld gibt.«
»Scheiße«, meinte ich. Was Besseres fiel mir nicht ein. Das Letzte, was ich gerade jetzt gebrauchen konnte, war ein Anschiß von Andy Montycka, dem CF-Verantwortlichen für Schadensforderungen. Andy ist Mitte Vierzig, konservativ und unsicher; ein Mann, dessen Hauptinteressen darin liegen, Fingernägel zu kauen und keine Wellen zu schlagen.
»Möchtest du, daß ich ihm sage, du wärst nicht gekommen?« fragte sie.
»Ja, wenn du das für mich tun würdest. Laß mich nur eben meine Anrufe abhören, dann verschwinde ich«, erwiderte ich. Ich schloß den Aktenschrank auf, nahm den Hefter über Elaine Boldt heraus und schaute Vera noch mal an. »Ich werde dir was sagen, Vera. Da ist was faul. Leonard Grice hatte sechs Monate Zeit, seine Schadensforderung zu beantragen, aber er hat keinen Finger gerührt. Jetzt, ganz plötzlich, übt er auf die Versicherungsgesellschaft Druck aus. Ich würde gern wissen, was ihn dazu veranlaßt hat.«
»He, ich muß mich sputen, ehe sie nach mir suchen«, entgegnete Vera. »Sieh bloß zu, daß du Andy heut nicht mehr über den Weg läufst, oder du wirst es bereuen.«
Ich dankte ihr für die Warnung und sagte ihr, ich würde mich melden. Sie schlüpfte wieder auf den Flur hinaus und schloß die Tür hinter sich. Verspätet fühlte ich, wie sich meine Wangen röteten und mein Herz klopfte. In der ersten Klasse wurde ich mal ins Büro des Direktors geschickt, weil ich in der Klasse Zettelchen hatte herumgehen lassen, und ich habe mich von diesem Schrecken nie erholt. Ich war schuldig im Sinne der Anklage, aber ich war nie vorher im Leben in Schwierigkeiten gewesen. Da stand ich also, ein schüchternes kleines Kind mit dünnen Beinen, so von der Angst ergriffen, daß ich die Schule verließ und in Tränen aufgelöst nach Hause lief. Meine Tante brachte mich gleich zurück und redete mit dem Direktor, während ich im Flur auf einem kleinen Holzstuhl saß und um den Tod betete. Es ist schwierig, sich ständig als Erwachsene auszugeben, wenn ein Teil von einem selbst immer noch sechs Jahre alt und den Autoritäten auf Gnade und Ungnade ausgesprochen ausgeliefert ist.
Ein Blick auf meinen Anrufbeantworter ergab, daß keine Nachrichten hinterlassen worden waren. Ich schloß wieder ab und nahm den vorderen Weg, um zu vermeiden, daß ich an den gläsernen Türen von California Fidelity vorbeikam. Hinten stieg ich in meinen Wagen und fuhr zu Elaines Wohnanlage hinüber. Ich wollte mich kurz mit Tillie unterhalten und ihr erzählen, was passiert war. Beim Rechtsabbiegen auf die Via Madrina sah ich in den Rückspiegel und bemerkte einen Typen auf einem Motorrad, der mir fast aufs Auspuffrohr dröhnte. Ich lenkte leicht zur Seite, um ihn vorbeizulassen und schaute mich wieder um. Er blinkte mich immer noch wild an. Was hatte ich verbrochen, seinen Hund überfahren? Ich hielt an der Straßenkante, und er stoppte hinter mir, machte das Motorrad aus und hob es auf den Ständer. Er trug einen glänzenden schwarzen Overall, schwarze Handschuhe und Stiefel und einen schwarzen Helm mit einem Rauchglasvisier. Ich stieg aus dem Wagen, ging auf ihn zu und beobachtete ihn dabei, wie er im Näherkommen den Helm abnahm. Oh verdammt, es war Mike. Da hätte ich drauf kommen können. Das Rosa seines Irokesenkamms schien zu verbleichen, und ich fragte mich, ob er es mit Rye-Tönung, Lebensmittelfarbe oder gekochter Roter Bete wieder auffrischte. Er war verärgert.
»Mein Gott, ich hupe Sie schon seit einigen Blocks an! Wieso haben Sie mich nie zurückgerufen? Ich habe am Montag eine Nachricht auf Ihrem Anrufbeantworter hinterlassen«, sagte er.
»Sorry. Mir war nicht klar, daß du das hinter mir warst. Ich dachte, du hättest gesagt, du würdest mich wieder anrufen.«
»Ja, hab ich ja versucht, aber ich habe ständig diese Maschine dranbekommen, da hab ich’s aufgegeben. Wo waren Sie?«
»Nicht in der Stadt. Ich bin gestern abend erst wiedergekommen. Warum? Was ist los?«
Er zog die Motorradhandschuhe aus und steckte sie in den Helm, den er in der Armbeuge umfaßt hielt. »Ich glaube, mein Onkel Leonard hat eine Freundin. Ich dachte, das könnte Sie interessieren.«
»Ach, tatsächlich? Wie hast du das herausgefunden?«
»Ich war dabei, dieses... äh... Zeug aus der Hütte an seinem alten Haus zu räumen, und ich sah ihn in das Gebäude nebenan gehen.«
»Die Wohnanlage?«
»Hm, ja, so nennt man das wohl. Das große Apartmentgebäude.«
»Wann war das?«
»Sonntag abend. Deshalb hab ich Sie am Montag morgen so früh angerufen. Zuerst war ich nicht sicher, ob er das war. Ich habe zwar gedacht, daß es sein Wagen war, der da draußen anhielt, aber es war fast dunkel, und ich konnte nicht so viel erkennen. Ich dachte, er würde wegen irgend etwas zum Haus kommen und hab wie verrückt Dope in meine Taschen gepackt. Mensch, ich wußte nicht, wie ich erklären sollte, was ich da machte. Schließlich war ich so in Panik, daß ich in die Hütte geflitzt bin und die Tür zugehalten und durch den Spalt gelinst hab. Statt dessen ging er dann da hinüber.«
»Und wie kommst du darauf, daß er eine Freundin hat?«
»Weil ich ihn mit ihr gesehen habe. Ich hatte nichts anderes zu tun, also ging ich über die Straße und versteckte mich hinter einem Baum und wartete, bis sie rauskamen. Er war nur fünf oder zehn Minuten da drin, und dann ging das Licht aus, im zweiten Stock links. Kurz darauf kamen sie raus und packten irgendein Zeug in den Kofferraum und stiegen in den Wagen.«
»Hast du sie gut erkennen können?«
»Nicht genau. Von da aus, wo ich stand, war es schwierig, richtig zu sehen, und sie liefen ziemlich schnell. Dann, als sie im Wagen saßen, fielen sie übereinander her. Er sprang ihr fast auf den Schoß da vorne auf den Vordersitzen. Es war irgendwie verrückt. Ich meine, gewöhnlich sieht man es Leute in dem Alter nicht mehr miteinander treiben, verstehen Sie, was ich meine? Und überhaupt habe ich ihn mir nie so vorstellen können. Ich dachte, er wär einfach so ein vertrockneter Furz, der keinen mehr hochkriegt. Ich hätte nicht gedacht, daß noch so viel in ihm steckt.«
»Mike, der Mann ist vielleicht zweiundfünfzig Jahre alt. Würdest du wohl damit aufhören! Wie sah sie aus? Hast du sie vorher schon einmal gesehen?«
Mike hielt sich eine Hand ans Kinn. »Sie ging ihm ungefähr bis hier. Das ist mir aufgefallen. Sie hatte ihre Haare mit einem Tuch zurückgehalten — wie eine Babuschka, oder wie immer das heißt. Ich glaube nicht, daß ich sie vorher schon mal gesehen habe. Ich meine, es war nicht so, daß ich dachte, ach ja, das ist ja die alte Dingsbums oder so. Sie war einfach irgendeine Alte.«
»Paß auf, tu mir einen Gefallen. Such dir einen Stift und Papier und schreibe das alles auf, solange es dir noch frisch im Gedächtnis ist. Notiere das Datum und die Uhrzeit und alles, was dir sonst noch einfällt. Du brauchst nicht zu sagen, was du hier getrieben hast. Du kannst immer behaupten, daß du rüberkamst, um etwas im Haus zu kontrollieren oder so was. Würdest du das tun?«
»Okay, klar. Was werden Sie unternehmen?«
»Darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht«, meinte ich.
Ich ging zum Wagen zurück und wurde fünf Minuten später durch den Türöffner unten in die Halle und zu Tillies Wohnung gelassen.
Sie wartete an der Tür auf mich, und ich folgte ihr in das Wohnzimmer. Tief auf der Nase trug sie eine Brille und schaute mich über deren Ränder hinweg an. Sie setzte sich in den Schaukelstuhl und nahm eine Handarbeit auf. Es sah aus wie ein großes Stück Polsterstoff, das mit Bildern von Gebirgen und Wald bedruckt war; hier und da graste Wild, und ein Gebirgsbach strömte zwischen den Felsen hinunter. Sie stopfte Wattebäusche mit einer Häkelnadel in die Rückseite des Stoffes. Das Wild wurde dreidimensional ausgebeult, umgeben von Stichen, so daß sich ein Steppeffekt ergab.
»Was ist das?« fragte ich und setzte mich. »Stopfen Sie es aus?«
Sie lächelte leicht. Sie hatte nun doch ihrer neuen Dauerwelle freien Lauf gelassen, und ihr Kopf war ein Nest dichter, krauser Locken in der Farbe von Aprikosen. »Ja, genau. Man nennt es Trapunto. Wenn ich fertig bin, lasse ich es auf Holz ziehen und einrahmen. Ich mach das für den Kirchenbazar im Herbst. Dies ist Watte, die ich aus den Deckeln von Tablettengläsern gesammelt habe, also, wenn Sie das nächste Mal ein Tylenol oder ein paar Grippetabletten öffnen, verwahren Sie mir die Packung. Setzen Sie sich. Ich habe Sie seit Tagen nicht mehr gesehen. Was haben Sie gemacht?«
Ich gab ihr eine Zusammenfassung der Ereignisse seit Freitag, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Ich zensierte ein bißchen. Ich erzählte ihr, wie ich den Kater gefunden hatte, aber ich ließ das Drogenversteck weg; das Mike in der Hütte nebenan unterhalten hatte. Ich erzählte ihr von Aubrey Danziger und meiner späteren Konfrontation mit Beverly, von den Koffern, der Reise nach Florida, der drohenden Gerichtsklage und Mikes Geschichte über Leonard Grice, der hier oben eine Freundin haben sollte. An dieser Stelle nahm sie die Brille ab und schlug mit den Bügeln gegen die Ränder.
»Das glaube ich nicht«, sagte sie tonlos. »Mike muß high gewesen sein.«
»Nun, natürlich war er high, Tillie, aber ein bißchen Gras läßt ihn nicht gleich halluzinieren.«
»Dann hat er das erfunden.«
»Ich erzähle Ihnen nur, was er mir gesagt hat«, meinte ich.
»Ja, aber wer um alles in der Welt könnte das sein? Ich bin bereit, zu garantieren, daß Leonard mit keiner meiner Bewohnerinnen eine Affäre hatte! Und von seiner Beschreibung her müßte das Elaines Apartment gewesen sein, und das ist einfach unmöglich.«
»Ach, hören Sie auf, Tillie. Seien Sie nicht naiv. Das ist die perfekte Umgebung. Warum sollte er nicht eine Frau hier gehabt haben?«
»Weil es niemanden hier in dem Gebäude gibt, auf den die Beschreibung paßt.«
»Was ist mit der Frau in Apartment 6? Die, von der Sie dachten, daß sie früh aufgewesen sein könnte, an dem Tag, als in Ihrer Wohnung eingebrochen worden war?«
»Sie ist fünfundsiebzig.«
»Aber es gibt noch eine Menge anderer Bewohner.«
»Jungverheiratete Paare. Kinsey, ich habe mehr alleinstehende Männer, die auf Leonard stehen könnten, als alleinstehende Frauen.«
»Das glaube ich auch. Was ist mit Elaine? Warum sollte sie es nicht gewesen sein?«
Tillie schüttelte störrisch den Kopf.
»Was ist mit Ihnen?«
Tillie lachte und tätschelte sich die Wange. »Nun, ich fühle mich geschmeichelt. Ich möchte gerne daran glauben, daß ich noch in der Lage bin, draußen auf der Straße die Hüften zu schwingen, aber er ist nicht ganz mein Typ. Abgesehen davon kennt Mike mich. Er hätte mich auch im Dunkeln erkannt.«
Das mußte ich zugeben. Ich konnte mir Tillie in Wirklichkeit auch nicht in einer innigen Umarmung mit Leonard Grice vorstellen. Das paßte einfach nicht.
»Was ist denn mit Elaine?« beharrte ich. »Was wäre, wenn sie und Leonard eine Sache laufen hatten und beschlossen, seine Frau auszuschalten? Sie führt die Tat aus, während er an dem Abend in der Wohnung seiner Schwester ist. Sie fährt ein paar Tage später nach Florida, taucht das nächste halbe Jahr unter und wartet darauf, daß er seine Sachen geregelt kriegt, damit sie zusammen ins Blaue abhauen können. Als sie merken, daß ich etwas spitzgekriegt habe, geben sie Gas, um aus der Stadt zu verschwinden.«
Tillie starrte mich lange an. »Wer ist dann Pat Usher?«
Ich zuckte wieder die Achseln. »Vielleicht haben sie sie als Hilfskraft beteiligt, und sie deckt die beiden.«
»Aber wer ist eingebrochen und warum? Ich dachte, Sie seien überzeugt, daß Pat Usher das gemacht hat.«
Ich fühlte, wie ich ärgerlich wurde. »Ich habe nicht auf alles eine Antwort, Tillie! Ich sage nur, daß es möglich ist, daß er sein Schätzchen hier versteckt hatte. Vielleicht war es Pat.«
Sie sagte kein Wort. Sie setzte nur ihre Brille wieder auf und begann das Gebirge mit Watte zu stopfen. Sie beulte es so aus, daß es wirkte wie der Mount St. Helen, bevor er ausbrach.
»Kann ich den Schlüssel zu der Wohnung oben bekommen?«
»Natürlich«, sagte sie. »Ich komme mit.«
Sie legte ihre Handarbeit hin, ging zu dem Sekretär hinüber und nahm ein Paar Schlüssel aus der Schublade. Bei dieser Gelegenheit händigte sie mir ein Bündel Rechnungen aus, und ich steckte sie in die hintere Jeanstasche. Das erinnerte mich vage an etwas, aber mir fiel nicht ein, woran.
Sie schloß ihre Wohnung ab, und wir gingen zum Aufzug.
»Sie haben niemanden über sich herumgehen hören?«
Sie schaute mich an. »Überhaupt nicht, aber dieses Haus ist gut gebaut, und es könnte jemand oben sein, ohne daß ich etwas höre. Glauben Sie wirklich, daß er jemanden da oben hatte?«
»Es ergibt Sinn«, erwiderte ich. »Ohne Elaine auf der Bildfläche ist es ein perfektes kleines Liebesnest. Vielleicht hat Pat Usher einen Weg gefunden hineinzukommen. Ich bin sicher, daß sie irgendwo hier in der Stadt ist. Wenn sie Zugang zu Elaines Wohnung in Florida hatte, warum nicht auch zu dieser? Übrigens, waren Sie am Sonntagabend hier?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich war bei einem kirchlichen Treffen und bin erst kurz nach zehn nach Hause gekommen.«
Im zweiten Stock öffnete sich die Aufzugstür, und Tillie ging links den Flur hinunter und redete über die Schulter hinweg mit mir. Sie erreichte Elaines Eingangstür und drehte den Schlüssel im Schloß herum.
»Ich kann nicht glauben, daß jemand hier war«, sagte sie, als wir hineingingen.
Sie irrte sich natürlich. Wim Hoover, der Bewohner aus Nummer 10, lag ausgestreckt im Eingang und hatte ein Einschußloch genau hinter dem rechten Ohr. Die Luft roch nach abgestandenem Zigarettenrauch und dem stinkenden Geruch, der von seinem säuerlichen Fleisch aufstieg. Er war seit mindestens drei Tagen tot.
Tillie wurde blaß und ging zu ihrer Wohnung hinunter, um die Polizei zu rufen.