16
Nun, wenigstens hatte ich damit eine winzige Lebensaufgabe. Als ich Nelson verließ, war er gerade dabei, mit einem Digitalthermometer seine Temperatur zu messen. Schüchtern beichtete er seine geheime Sucht nach solchen technischen Spielereien. Ich wünschte ihm baldige Genesung, sprang in den Wagen und wendete ihn in Richtung Chapel.
Die Tierklinik ist ein kleiner Kasten aus Glas und Ziegelsteinen, die in der Farbe von Fensterkitt gestrichen ist. Man quetschte sie in die Sackgasse, die entstanden war, als der Highway 101 dort gezogen worden war. Ich mag diese endlosen Reihen von Sackgassen — Überreste der Stadt, wie sie früher einmal gewesen war, eine erfrischende Abweichung von dem vorherrschenden spanischen Stil. Die kleinen Holz- und Fachwerkhäuser in dieser Gegend sind noch ursprünglich viktorianische Hütten für Arbeiter, mit handgedrechselten Verandageländern, exotischer Aufmachung, hölzernen Fensterläden und spitzen Dächern. Heute wirken sie wie schäbige Antiquitäten. Aber man kann sich immer noch die Zeiten vorstellen, als die Häuser neu errichtet und mit frischer Farbe versehen waren. Die ausgewachsenen Bäume waren noch nicht mehr als schmächtige Setzlinge gewesen, die man zwischen frisch gesäte Wiesen gepflanzt hatte. Damals bedeutete Stadt staubige Straßen und Kutschen. Ich scheue mich nicht, zuzugeben, daß ich wünschte, es wäre mehr davon übriggeblieben.
Ich parkte auf dem Gelände hinter der Klinik und ging durch die Hintertür hinein. Irgendwo weiter hinten hörte ich heiseres Hundegebell; schrilles Flehen um Gnade, Freiheit und Erlösung. Nur zwei Tiere waren im Wartezimmer, beides gelangweilt aussehende Katzen, die sich in Polsterkissen verwandelt hatten. Ihre Menschen sprachen eine Art Katzenenglisch mit ihnen und benutzten dabei besonders hohe Stimmen, die mir den Kopf schmerzen ließen. Von Zeit zu Zeit, wenn ein Hund im Hof zu einem Heulen ansetzte, schien es, als würde entweder die eine oder die andere Katze leicht grinsen.
Es müssen zwei Tierärzte gearbeitet haben, denn beide Katzen wurden zur gleichen Zeit aufgerufen und den Flur hinunterbefördert. Dadurch war ich mit der Frau von der Anmeldung, die hinter ihrer Theke saß, allein. Sie war Ende Zwanzig, blauäugig, blaß und trug ein blaues Alice-im-Wunderland-Band in ihren glatten blonden Haaren. Auf ihrem Namensschild stand Emily.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Sie sprach, als wäre sie nie über das Stadium einer Sechsjährigen hinausgekommen; eine leise wispernde Stimme, sanft moduliert, vielleicht eigens entwickelt, um leidende Tiere zu besänftigen. Gelegentlich treffe ich Frauen, die auf diese Art sprechen, und ich finde sie jedesmal rätselhaft, diese immerwährende Mädchenhaftigkeit in einer Welt, in der wir anderen darum kämpfen, erwachsen zu werden.
Der Umgang mit ihr gab mir gleich das Gefühl, eine Beschützerfunktion übernehmen zu müssen. »Ich überlege, ob Sie mir wohl eine Auskunft geben können.«
»Nun, ich werde es versuchen«, flüsterte sie. Ihre Stimme war süß und melodisch und ihre Art unterwürfig.
Erst wollte ich ihr eine Kopie meiner Privatdetektivzulassung zeigen, aber ich fürchtete, das würde brutal und unhöflich erscheinen. Ich entschied mich dafür, sie zurückzuhalten und erst zu zücken, wenn ich gezwungen war, die Schraube anzuziehen.
»Im vergangenen Januar brachte eine Frau einen Kater zu einer Notbehandlung in die Klinik, und ich möchte herausfinden, ob sie jemals wiederkam, um ihn abzuholen.«
»Ich kann in unseren Unterlagen nachsehen, wenn Sie möchten. Können Sie mir bitte den Namen nennen?«
»Nun, der Name der Frau war Elaine Boldt. Der Kater hieß Mingus. Es müßte am Abend des neunten Januars gewesen sein.«
Auf ihren Wangen erschienen zwei sanft rosafarbene Flecken. Sie leckte sich die Lippen und blickte mich starr an. Ich fragte mich, ob sie den Kater für Tierversuche weiterverkauft hatte.
»Was ist los?« fragte ich. »Wissen Sie, von wem ich spreche?«
»Ja, allerdings, ich weiß, wen Sie meinen. Er war wochenlang hier«, erwiderte sie. Ihre Stimme hatte einen nasalen Ton bekommen, der wie bei einem Bauchredner durch die Nüstern kam. Es war kein richtiges Winseln, doch es war die Tonart, die ich von Kindern in Geschäften kenne. Sie benutzen sie, wenn ihre Mamis sie schlechten Benehmens bezichtigen und drohen, ihnen die Arme auszureißen. Es war klar, daß sie aus irgendeinem Grunde meinte, sich verteidigen zu müssen, aber ich war mir noch nicht sicher, warum. Sie langte nach einer kleinen Blechdose und spazierte mit den Fingern über die Reihen von Karteikarten. Sie zog den Bericht heraus und knallte ihn selbstgerecht auf die Theke.
»Sie hat nur für drei Wochen Miete und Verpflegung bezahlt und nie auf eine unserer Postkarten oder Anrufe reagiert. Deshalb sagte der Doktor im Februar, wir müßten was anderes für ihn finden, weil wir nur so wenig Platz haben.« Sie brachte sich tatsächlich fast zum Heulen.
»Emily«, sagte ich geduldig. »Ist das Ihr Name oder gehört das Schild jemand anders?«
»Ich bin Emily.«
»Mir ist wirklich egal, wo der Kater ist. Ich muß lediglich wissen, ob die Frau noch mal zurückgekommen ist.«
»Oh. Nein, ist sie nicht.«
»Was ist denn mit dem Kater passiert? Ich bin nur neugierig.«
Sie schaute mich einen Moment lang an und hob das Kinn. Dann fegte sie mit einem Ruck ihrer Hand die Haare über die Schulter zurück. »Ich habe ihn adoptiert. Er ist wirklich ein fabelhafter Kater, und ich konnte ihn einfach nicht dem Tierheim überlassen.«
»Das ist doch prima. Heh, das ist großartig. Ich hab schon gehört, daß er fantastisch ist, und ich bin froh, daß Sie einen Platz für ihn gefunden haben. Viel Spaß. Ich werde Ihr Geheimnis mit ins Grab nehmen. Aber sollte die Frau noch mal auftauchen, würden Sie mir Bescheid sagen?« Ich legte meine Karte auf die Theke. Sie las sie und nickte ohne ein weiteres Wort.
»Danke.«
Ich fuhr zum Büro zurück. Ich dachte, ich sollte besser mal Julia Ochsner anrufen und ihr sagen, daß ich den Kater aufgespürt hatte. Damit könnte ich ihr eine überflüssige Begegnung mit den Zwingern und den Tierärzten Bocas ersparen. Ich ließ den Wagen auf dem hinteren Parkplatz stehen und ging die Hintertreppe hinauf. Als ich zu meinem Büro kam, stand ein Mann dort im Flur und schrieb etwas auf einen Fetzen Papier.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich weiß nicht. Sind Sie Kinsey Millhone?« Sein Lächeln erschien überlegen und seine Haltung amüsiert, als hätte er eine Information, die zu kostbar war, um sie preiszugeben.
»Ja.«
»Ich bin Aubrey Danziger.«
Es dauerte eine Sekunde, bis ich den Namen eingeordnet hatte. »Beverlys Ehemann?«
»Richtig«, erwiderte er und lachte dann ein kleines Lachen weit hinten in der Kehle. Bis jetzt hatte ich nicht das Gefühl, daß einer von uns besonderen Grund zur Heiterkeit gehabt hätte. Er war groß, vielleicht ein Meter achtundachtzig, und hatte ein glattes, dünnes Gesicht. Seine Haare waren sehr dunkel und glatt und sahen aus, als würden sie sich seidig anfühlen. Braune Augen, ein arroganter Mund. Er trug einen hellgrauen Dreiteiler und sah aus wie ein Spieler auf einem Riverboat, ein Dandy, ein Snob, wenn es solche Menschen hier und heute noch gibt.
»Was kann ich für Sie tun?«
Ich sperrte die Tür auf, öffnete sie und ging hinein. Er folgte mir und schaute sich die Räumlichkeiten mit einem Blick an, der mir zeigte, daß er den Preis der Einrichtung schätzte, meine Unkosten überschlug, die vierteljährlichen Steuern errechnete und sich fragte, warum seine Frau nicht einen hochkarätigeren Verein engagiert hatte.
Ich ließ mich hinter dem Schreibtisch nieder und beobachtete ihn dabei, wie er sich setzte und die Beine übereinanderschlug. Hübsche scharfe Bügelfalten in der Hose, hübsche schlanke Fesseln, italienische Lederslipper mit gründlich polierten Spitzen. Ich bemerkte seine schneeweißen Manschetten und seine Initialen — AND — in hellblauer Stickerei, zweifelsohne Handarbeit. Er lächelte mich leicht an und beobachtete mich dabei, wie ich ihn beobachtete. Er nahm ein flaches Zigarettenetui aus der Innentasche und zog eine schlanke, schwarze Zigarette hervor, die er auf das Etui klopfte. Dann steckte er sie in den Mund und zündete ein Feuerzeug, das einen Feuerstrahl ausspuckte, daß ich dachte, er würde seine Haare in Flammen setzen. Er hatte elegante Hände, und die Fingernägel waren wunderschön manikürt und hatten klaren Lack auf den Spitzen. Ich gebe zu, ich war arg überrascht von dem Anblick, überrascht von seinem Geruch, der über den Schreibtisch hinweg zu mir hinüberwogte; wahrscheinlich eines dieser Mode-Aftershaves namens Rogue oder Magnum. Er sah auf die Glut an seiner Zigarette und fixierte mich dann mit einem Blick. Seine Augen erinnerten mich an harten Lehm, mattbraun, ohne Wärme und ohne Energie.
Ich bot ihm keinen Kaffee an. Ich schob ihm den Aschenbecher zu, wie ich es bei seiner Frau getan hatte. Der Geruch der Zigarette roch nach ersticktem Lagerfeuer, und ich wußte, er würde noch lange, nachdem sein Verursacher nach Los Angeles zurückgefahren war, in der Luft hängen.
»Beverly hat Ihren Brief erhalten«, begann er. »Sie war außer sich. Ich dachte, vielleicht sollte ich mal herfahren und mit Ihnen plaudern.«
»Warum kommt sie nicht selbst?« meinte ich. »Sie kann immerhin sprechen.«
Das amüsierte ihn. »Beverly macht sich nichts aus Szenen. Sie bat mich, das für sie zu erledigen.«
»Ich bin auch nicht gerade scharf auf Szenen, aber ich verstehe auch das Problem nicht. Sie hatte mich gebeten, ihre Schwester zu suchen. Das tu ich. Sie wollte die Bedingungen diktieren, und ich entschloß mich, für jemand anders zu arbeiten.«
»Nein, nein, nein. Sie haben das mißverstanden. Sie wollte das Verhältnis nicht beenden. Sie wollte einfach nur nicht, daß Sie damit zur Vermißtenabteilung gehen.«
»Aber ich war anderer Meinung. Und ich dachte, es sei nicht sehr nett, ihr Geld zu nehmen, aber ihre Anweisung zu ignorieren.« Ich probierte ein unverbindliches Lächeln und schaukelte leicht in meinem Stuhl. »Gibt es sonst noch etwas?« fragte ich. Ich war sicher, daß er noch etwas auf dem Herzen hatte. Dafür hätte er keine neunzig Meilen weit zu fahren brauchen.
Er veränderte seine Haltung und versuchte es mit einem freundlicheren Ton. »Ich sehe, daß wir hier auf der falschen Schiene fahren«, meinte er. »Ich möchte wissen, was Sie über meine Schwägerin herausgefunden haben. Wenn ich Sie vor den Kopf gestoßen habe, möchte ich mich entschuldigen. Ach ja. Und Sie könnten hieran interessiert sein.« Er nahm ein zusammengefaltetes Papier aus der Jackentasche und reichte es mir über den Schreibtisch. Einen Moment lang dachte ich, es wäre eine Adresse oder eine Telefonnummer, irgendein Fetzen Information, der wirklich helfen könnte. Es war ein Scheck über die 246,19 Dollar, die Beverly mir schuldete. Er ließ es als eine Art Bestechung erscheinen, und das gefiel mir gar nicht. Ich hätte mir das Geld sowieso geholt. Ich kannte den Unterschied, ganz gleich, ob er ihn auch kannte oder nicht.
»Ich habe Beverly vor zwei Tagen eine Kopie meines Berichts zugeschickt. Wenn Sie wissen wollen, was ich herausbekommen habe, warum fragen Sie sie nicht?«
»Ich habe den Bericht gelesen. Ich möchte gern wissen, was Sie seitdem herausgefunden haben, wenn Sie bereit sind, etwas darüber mitzuteilen.«
»Nun, das bin ich nicht. Ich möchte jetzt nicht grob erscheinen, aber jede Information, die ich habe, gehört meinem momentanen Arbeitgeber und ist vertraulich. Ich werde Ihnen soviel erzählen: Ich bin zu den Cops gegangen, und die haben ihre Beschreibung verbreitet, aber das ist erst ein paar Tage her, und bis jetzt haben sie nichts herausgefunden. Wollen Sie mir eine Frage beantworten?«
»Eigentlich nicht«, sagte er, aber er lachte. Langsam wurde mir klar, daß seine Art wahrscheinlich von seinem Unbehagen herrührte, also stieß ich vor.
»Beverly hatte mir gesagt, sie habe ihre Schwester seit drei Jahren nicht mehr gesehen, aber einer von Elaines Nachbarn behauptet nicht nur, daß sie noch Weihnachten hier oben war, sondern auch, daß die beiden eine recht handfeste Auseinandersetzung miteinander hatten. Stimmt das?«
»Nun, also ja, wird’s wohl.« Seine Stimme wurde weicher, und er schien weniger zurückhaltend. Er nahm einen letzten Zug aus der Zigarette und quetschte dann die Glut davon ab. »Um die Wahrheit zu sagen, ich bin beunruhigt, daß Beverly irgendwie in diese Sache verwickelt ist.«
»Wie das?«
Er schaute mich jetzt nicht mehr an. Er rollte das letzte Ende seiner Zigarette zwischen den Fingern, bis nichts mehr davon übrig war außer einem kleinen Haufen Tabakkrümel und einem Fetzen schwarzen Papiers. »Sie hat Probleme mit dem Trinken. Die hat sie schon eine ganze Weile, obwohl man ihr das wahrscheinlich nicht ansieht. Sie ist einer dieser Menschen, die sechs Monate lang keinen Tropfen trinken, und dann... zack, ist sie weg, auf einem dreitägigen Gelage. Manchmal dauert so ein Alkoholtrip auch länger. Ich glaube, genau das ist auch im Dezember passiert.« Er schaute mich nun an, und seine Wichtigkeit war fast verschwunden. Hier saß ein leidender Mann.
»Wissen Sie, worüber die beiden sich gestritten haben?«
»Ich hab da so eine Ahnung.«
»Ging es um Sie?« fragte ich.
Er starrte mich plötzlich an, und zum ersten Mal kam richtiges Leben in seine Augen. »Wie kommen Sie darauf?«
»Der Nachbar meinte, sie hätten sich vielleicht um einen Mann gestritten. Sie waren der einzige, von dem ich wußte. Wollen Sie mir ein Mittagessen spendieren?«
Wir gingen in eine Cocktailbar namens Jay’s. Sie ist sehr dunkel und hat wuchtige Art-deco-Nischen in grauem Leder und schwarze Onyxtische. Ihre Oberfläche ist so glänzend, daß man fast sein Spiegelbild darin sieht, wie in der Reklame für Geschirrspülmittel. Die Wände sind mit grauem Veloursleder gepolstert, und der Boden unter den Füßen ist so dick mit Matten geschmückt, daß man sich fühlt, als würde man auf Sand laufen. Das ganze Lokal erinnert fast an einen Reiz-Isolationstank, schummerig und leise, aber die Drinks sind riesig, und der Barkeeper stellt unglaublich scharfe Pastrami-Roggensandwiches zusammen. Ich kann mir diesen Laden selbst nicht leisten, aber er kam mir wie die perfekte Umgebung für Aubrey Danziger vor. Er sah aus, als könnte er die Rechnung bezahlen.
»Was für eine Art Arbeit üben Sie aus?« fragte ich, nachdem wir uns gesetzt hatten.
Bevor er antworten konnte, kam die Bedienung. Ich schlug zwei Pastrami-Sandwiches und zwei Martinis vor. Dieser Ausdruck insgeheimen Amüsements erschien wieder auf seinem Gesicht, aber er stimmte mit einem nachlässigen Achselzucken zu. Er war es wohl nicht gewöhnt, daß Frauen für ihn bestellten, doch schaden konnte es anscheinend auch nicht. Ich hatte das Gefühl, das hier war meine Show, und die wollte ich abziehen. Ich wußte, wir würden angetrunken werden, aber ich dachte, das könnte diesem Mann seine Politur nehmen und ihn ein wenig menschlicher erscheinen lassen.
Als die Kellnerin gegangen war, beantwortete er meine Frage. »Ich arbeite nicht«, meinte er, »ich besitze Dinge. Ich bringe Grundstücksgesellschaften zusammen. Wir kaufen Land und errichten Bürogebäude und Einkaufszentren, manchmal auch Wohnanlagen.« Er machte eine Pause, als könnte er eine Menge mehr erzählen, hätte sich aber entschieden, daß soviel reichen müßte. Er nahm wieder sein Zigarettenetui heraus und hielt es mir hin. Ich lehnte ab, und er steckte sich eine weitere schlanke schwarze Zigarette an.
Er neigte den Kopf. »Was hab ich getan, das Sie so vor den Kopf gestoßen hat? Das passiert mir immer wieder.« Das überlegene Lächeln war wieder da, aber diesmal nahm ich es ihm nicht übel. Vielleicht war das einfach die Art, wie sein Gesicht funktionierte.
»Sie wirken arrogant, und Sie sind ein wenig zu raffiniert«, erwiderte ich. »Sie lächeln unentwegt, als wüßten Sie etwas, was ich nicht weiß.« i
»Ich habe seit langer Zeit sehr viel Geld, also komme ich mir raffiniert vor. Und es amüsiert mich tatsächlich, mir einen weiblichen Detektiv vorzustellen. Das ist der eine Grund, warum ich hierhergekommen bin.«
»Was ist der andere?«
Er zögerte und überlegte, ob er ihn mir nennen sollte. Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. »Ich traue Beverlys Berichten über das, was passiert ist, nicht. Sie ist falsch, und sie manipuliert. Ich prüfe so etwas lieber nach.«
»Sprechen Sie von ihren Geschäften mit mir oder mit Elai-ne?«
»Ach, ich kenne ihre Geschäfte mit Elaine. Sie kann Elaine nicht ausstehen. Sie kann sie aber auch nicht in Ruhe lassen. Haben Sie jemals jemanden auf diese Weise gehaßt?«
Ich lächelte vage. »Nicht in letzter Zeit. Ich glaube, früher mal, ja.«
»Es ist, als ob Bev alles über Elaine wissen muß, und wenn sie etwas Gutes hört, stößt es sie ab. Und wenn sie etwas Schlechtes hört, ist sie zwar zufrieden, aber es reicht nie.«
»Was hat sie Weihnachten hier gemacht?«
Die Martinis kamen, und Aubrey nahm einen großen Schluck, bevor er antwortete. Meiner war seidig und kalt und hatte diesen Hauch Vermouth, der mich automatisch schaudern läßt. Ich esse die Olive immer sehr früh, weil sie so gut zum Gingeschmack paßt.
Er hatte den Schauder gesehen. »Ich kann solange gehen, wenn Sie damit lieber allein sein möchten.«
Ich lachte. »Ich kann nichts dafür. Ich trinke solche Sachen sonst nie. Mein lieber Himmel, das ist ’ne Dröhnung. Ich kann schon fühlen, wie sich der Kater bildet.«
»Verdammt, es ist Samstag. Nehmen Sie sich einen Tag frei. Ich hatte gar nicht damit gerechnet, Sie überhaupt in Ihrem Büro anzutreffen. Ich wollte Ihnen eine Nachricht hinterlassen und dann ein bißchen herumschnüffeln und versuchen, selbst etwas über Elaine in Erfahrung zu bringen.«
»Ich nehme an, Sie wissen genauso wenig wie alle anderen, wo sie sein könnte.«
Er schüttelte leicht den Kopf. »Ich glaube, sie ist tot. Ich glaube, Bev hat sie umgebracht.«
Hier wurde ich nun allerdings aufmerksam. »Warum sollte sie das getan haben?«
Wieder dieses lange Zögern. Er schaute sich im Raum um, checkte die Einrichtung, vollzog eine Art geistiger Arithmetik, als würde er Dollarwerte anstelle der Einrichtung setzen; er wußte, wo er stand. Seine Augen glitten zu mir zurück, und das Lächeln umspielte seinen Mund. »Sie hat herausgefunden, daß ich eine Affäre mit Elaine hatte. Es war mein eigener verdammter Fehler. Das Finanzamt prüft meine Steuerrückzahlungen der letzten drei Jahre, und ich Narr hatte Beverly gebeten, ein paar alte Schecks und Kreditkartenbelege herauszusuchen. Sie fand heraus, daß ich genau zur selben Zeit in Cozumel war wie Elaine, nachdem Max gestorben war. Ich hatte ihr gesagt, ich sei auf einer Geschäftsreise.
Jedenfalls kam ich an jenem Tag vom Büro nach Hause, und sie fiel in einer derartigen Wut über mich her, daß es ein Wunder war, daß ich lebend dabei herauskam. Natürlich hatte sie getrunken. Das ist immer für eine Entschuldigung gut. Sie nahm eine Küchenschere und stach mich genau in den Hals. Hier hat sie mich erwischt. Genau über dem Schlüsselbein. Das einzige, was mich rettete, war mein Kragen und mein Schlips und vielleicht die Tatsache, daß ich meine Hemden mit extra viel Stärke machen lasse.«
Er lachte und schüttelte bei der Erinnerung unbehaglich den Kopf. »Als das nichts nutzte, traf sie mich in den Arm. Vierzehn Stiche. Ich blutete am ganzen Körper. Wenn sie trinkt, ist es wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Wenn sie nicht trinkt, ist sie nicht so übel... zänkisch und hart wie Eisen, aber sie ist nicht blöd.«
»Wie sind Sie mit Elaine zusammengekommen? Wie geschah das?«
»Zum Teufel, ich weiß es nicht. Es war dumm von mir. Ich glaube, ich war schon seit Jahren scharf auf sie. Sie ist eine wunderschöne Frau. Sie neigt zwar dazu, auf sich selbst bezogen und bequem zu sein, aber das macht es noch schwieriger, ihr zu widerstehen. Ihr Mann war gerade gestorben, und sie war in einer grauenhaften Verfassung. Was als brüderliches Mitleid begann, verwandelte sich in zügelloses Verlangen, wie man es von den Rückseiten der Groschenromane kennt. Ich bin zwar vorher schon fremdgegangen, aber nie auf diese Art. Ich wollte mir mein Grab doch nicht selbst schaufeln, wie man so sagt. Dieses Mal hab ich’s nicht gepackt.«
»Wie lange dauerte das an?«
»Bis sie verschwand. Bev weiß nichts davon. Ich habe ihr gesagt, es sei nach sechs Wochen Schluß gewesen, und sie hat es mir abgekauft, weil sie daran glauben wollte.«
»Und letztes Jahr Weihnachten hat sie es herausgefunden?«
Er nickte und gab dann der Kellnerin ein Zeichen und sah mich an. »Bereit für den nächsten?«
»Klar.«
Er hielt zwei Finger hoch wie ein Victory-Zeichen, und die Bedienung ging zur Theke hinüber. »Ja, genau da hat sie es herausgefunden. Erst wütete sie bei mir, und dann sprang sie gleich ins Auto und fuhr hierher. Ich rief Elaine an, um sie zu warnen, deshalb konnten wir uns zumindest auf eine Geschichte einigen, aber ich bin mir nicht ganz im klaren darüber, was dann zwischen den beiden gesagt wurde. Ich habe danach nicht mehr mit ihr gesprochen und sie nie wieder gesehen.«
»Was sagte sie, als Sie es ihr erzählten?«
»Na ja, sie war nicht gerade begeistert bei der Vorstellung, daß Bev Bescheid wußte, aber sie konnte nichts mehr daran ändern. Sie sagte, sie würde schon damit klarkommen.«
Die Martinis kamen zusammen mit den Sandwiches, und wir hörten eine Weile lang auf zu reden und aßen. Er eröffnete eine ganz neue Perspektive, und ich hatte noch eine Menge Fragen an ihn.