7

Ich traf Tillie beim Sprengen der Wege an. Durch die Kraft des Wasserstrahls wirbelte ein Wirrwarr von Blättern und Dreck herum. Wasser tropfte von den Palmblättern, und der Gummigeruch des Schlauchs mischte sich mit dem Duft feuchter Erde. Zwischen den riesigen Farnsträuchern waren Trittsteine eingelassen, obwohl mir nicht einleuchten wollte, wer sie betreten sollte. Es sah aus wie ein schattiger Hort für Weberknechte. Tillie lachte, als sie mich sah, und löste die Spritzdüse, um die Brause abzustellen. Sie trug Jeans und ein T-Shirt, was ihrer knochigen Gestalt selbst mit über sechzig Jahren noch ein mädchenhaftes Aussehen gab.

»Haben Sie überhaupt geschlafen?« fragte ich.

»Nein, und ich bleibe auch solange nicht in der Wohnung, bis die Fenster repariert sind. Vielleicht lasse ich auch eine Alarmanlage installieren. Ich bin nur hier rausgekommen, um mich zu beschäftigen. Wege sprengen ist so entspannend, finden Sie nicht auch? Das ist eine der Annehmlichkeiten des Erwachsenenlebens. Als ich ein Kind war, hätte mein Vater mich da niemals drangelassen.«

»Waren Sie schon auf der Polizeiwache?«

»Oh, ich werde gleich gehen, aber ich freue mich nicht gerade darauf.«

»Ich war vorhin da und habe eine Vermißtenanzeige für Elaine Boldt aufgegeben.«

»Was haben sie gesagt?«

Ich zuckte die Achseln. »Nicht viel. Sie werden tun, was sie können. Ich traf einen Beamten des Morddezernats, der an Marty Grices Mord arbeitete. Er sagte, Elaine hätte zur Vernehmung kommen sollen, ist aber nie erschienen. Können Sie sich erinnern, wie bald nach dem Vorfall sie nach Florida gefahren ist?«

»Hm, ich bin nicht sicher. Es war in derselben Woche, das weiß ich genau. Sie war schrecklich aufgeregt über den Mord. Das war einer der Gründe für ihre Abreise. Ich dachte, ich hätte das schon erwähnt.«

»Sie sagte, sie sei krank gewesen.«

»Das war sie auch, aber mit ihrer Gesundheit schien immer etwas nicht zu stimmen. Sie sagte, der Mord habe sie vor Angst verrückt gemacht. Sie dachte, es könnte besser für sie sein, aus der Stadt wegzukommen. Moment mal eben.« Sie ging in das Gebüsch und stellte das Wasser ab, indem sie den Hahn zudrehte. Sie benutzte den restlichen Wasserdruck, um den Schlauch zu entleeren, bevor sie ihn wieder aufrollte. Dann stieg sie aus den Büschen und wischte sich die feuchten Hände an der Jeans ab. »Glauben Sie, daß sie etwas über Martys Tod wußte?«

»Ich denke, das wäre einer genaueren Betrachtung wert«, erwiderte ich. »Ihr Seitenfenster führt genau zu Mrs. Grices Eingang hinaus. Vielleicht hat sie den Einbrecher gesehen.«

Tillie machte ein skeptisches Gesicht. »Im Dunkeln?«

Ich zuckte die Achseln. »Es ist nicht sehr wahrscheinlich, nicht wahr, aber ich weiß nicht, was sonst in Frage käme.«

»Aber warum ist sie nicht zur Polizei gegangen, wenn sie wußte, wer es war?«

»Wer weiß? Vielleicht konnte sie nicht mehr klar denken. Manche Leute geraten in Panik. Sie wollen nicht in solche Sachen verwickelt werden. Vielleicht hatte sie das Gefühl, selbst in Gefahr zu sein.«

»Nun, sie war nervös«, meinte Tillie. »Aber andererseits waren wir alle in jener Woche die reinsten Nervenbündel. Wollen Sie reinkommen?«

»Ja, sehr gerne. Ich denke, ich sollte mal einen Blick auf diese Rechnungen werfen, die für sie gekommen sind. Zumindest können wir daran sehen, wann sie zuletzt ihr Konto belastet hat, und wo sie zu dem Zeitpunkt war. Ist sonst noch etwas gekommen?«

»Nur ein paar Sachen. Ich werde Ihnen zeigen, was ich habe.«

Ich folgte Tillie durch die Halle in den angrenzenden Flur.

Sie schloß ihre Eingangstür auf und ging durch das Wohnzimmer zum Sekretär. Da das Glas aus den Türen herausgebrochen war, gab es keinen Grund, etwas aufzuschließen. Trotzdem sah ich, wie sie zögerte und ratlos einen Zeigefinger an die Wange legte wie jemand, der für ein Foto posiert. »Also, das ist ja merkwürdig.«

»Was?« fragte ich. Ich ging zum Sekretär hinüber und sah hinein. Wir hatten den Stapel Bücher in der vergangenen Nacht weggestellt, und jetzt war nichts mehr auf dem Regal, außer einem kleinen Messingelefanten und einem gerahmten Foto von einem Hündchen mit einem Stock im Maul.

»Ich kann Elaines Rechnungen nicht finden, aber sie müssen hier sein«, sagte sie. »Also, ist das nicht seltsam.« Sie sah die Regale noch einmal an und öffnete dann die Schubladen eine nach der anderen und durchsuchte ihren Inhalt.

Sie ging in die Küche und wühlte in der großen schwarzen Plastiktüte, in die wir all das zerbrochene Glas und die anderen Trümmer der vergangenen Nacht geworfen hatten. Es gab keine Spur von den Rechnungen.

»Kinsey, gestern waren sie noch in dem Sekretär. Ich habe sie selbst gesehen. Wo können sie geblieben sein?«

Sie sah mich an. Es bedurfte keines großen Gedankenblitzes, um auf die naheliegendste Möglichkeit zu kommen.

»Könnte sie sie mitgenommen haben?« fragte Tillie. »Diese Frau, die letzte Nacht eingebrochen ist? War sie nur dahinter her?«

»Tillie, ich weiß es nicht. Irgend etwas hatte mich die ganze Zeit gestört«, erwiderte ich. »Es gibt wenig Sinn, sich vorzustellen, daß jemand hier einbricht, während Sie da sind, nur um die Wohnung auseinanderzunehmen. Sind Sie sicher, daß Sie sie gestern noch gesehen haben?«

»Natürlich. Ich habe den neuen Stapel Rechnungen zusammen mit den anderen auf das Regal gelegt. Sie waren genau hier. Und ich kann mich nicht erinnern, sie gesehen zu haben, als wir aufräumten. Sie?«

Ich dachte nach und wühlte in meinem Gedächtnis. Ich hatte die Rechnungen nur einmal gesehen, als ich das erste Mal mit Tillie gesprochen hatte. Aber warum sollte sich jemand die Mühe machen, sie zu stehlen? Es ergab keinen Sinn.

»Vielleicht hat sie Sie absichtlich zu Tode erschreckt, um Sie aus dem Weg zu haben, während sie die Wohnung durchsuchte«, sagte ich.

»Na, dann war das der richtige Weg. Um nichts in der Welt wäre ich aus meinem Zimmer gekommen! Aber warum sollte sie das tun? Ich verstehe das nicht.«

»Ich auch nicht. Ich kann jederzeit Duplikate der Rechnungen bekommen, aber es wird eine Wahnsinnsarbeit sein, und ich würde es lieber nicht tun, wenn es sich vermeiden läßt.«

»Ich möchte wissen, wer den Schlüssel zu meinem Apartment hat. Der Gedanke läßt mir das Blut in den Adern erstarren.«

»Kann ich Ihnen nicht verdenken. Passen Sie auf, Tillie. Nichts geht mir mehr auf die Nerven als sechzehn unbeantwortete Fragen auf einmal. Ich werde sehen, was ich über diesen Mord nebenan herausfinden kann. Er muß irgendwie damit zusammenhängen. Haben Sie in letzter Zeit mit Leonard Grice gesprochen?«

»Oh, er war nicht mehr hier, seit es passiert ist«, meinte sie. »Ich habe ihn zumindest nicht gesehen.«

»Was ist mit den Snyders auf der anderen Seite? Glauben Sie, sie könnten uns weiterhelfen?«

»Vielleicht. Soll ich mit ihnen reden?«

»Nein, das brauchen Sie nicht. Ich werde das selbst erledigen. Nur eine Sache noch. Leonard Grice hat einen Neffen... einen Jugendlichen mit einem rosafarbenen Irokesenschnitt.«

»Mike.«

»Ja, der. Besteht eine Möglichkeit, daß er die Person war, die letzte Nacht hier eingebrochen ist? Ich habe gerade da draußen mit ihm gesprochen. Er ist nicht besonders groß, er könnte im Dunkeln gut wie eine Frau ausgesehen haben.«

»Ich glaube nicht«, sagte sie mit offener Skepsis. »Ich könnte es nicht beschwören, aber ich glaube nicht, daß er es war.«

»Na, ja. Nur so ein Gedanke. Ich mag keine Vermutungen über das Geschlecht anstellen. Es kann wirklich jeder gewesen sein. Ich werde nach nebenan gehen und sehen, was die Snyders zu sagen haben. Passen Sie gut auf sich auf.«

Das Haus Nummer 2093 war der Struktur nach das gleiche wie das, was abgebrannt war... gleiche Größe, die gleichen schiefen Proportionen, die gleichen weißen Balken und roten Ziegel. Die Ziegel selbst waren grob geformt, eine geschickte Imitation gebrannten Lehms. Vor dem Haus stand ein zu verkaufen-Schild, über das ein Streifen geklebt war, der stolz verkündete verkauft!, als hätte just, bevor ich den Weg hinaufging, eine Auktion stattgefunden. Ein großer Baum überschattete den Hof. Dunkler Efeu würgte seinen Stamm und verteilte sich in alle Richtungen als dichter Teppich, der den Weg fast völlig bedeckte. Ich ging die Verandastufen hinauf und klopfte an der Tür. In der Eingangstür befand sich eine große Glasscheibe, die von einer durchsichtigen, weißen, zwischen zwei Stäben gespannten Gardine verdeckt war. Einen Moment später schob jemand die Gardine zur Seite und spähte hinaus.

»Mr. Snyder?«

Die Gardine wurde losgelassen, und die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Der Mann schien über siebzig zu sein, korpulent und gutmütig. Das Alter hatte ihm seinen Babyspeck und den Blick ernster Neugierde zurückgebracht.

Ich hielt ihm meine Karte hin. »Mein Name ist Kinsey Millhone. Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich? Ich versuche, Elaine Boldt aufzuspüren, die dort in der großen Wohnanlage wohnt, und Tillie Ahlberg riet mir, mit Ihnen zu sprechen. Können Sie mir behilflich sein?«

Mr. Snyder löste die Sicherung an der Tür. »Ich werde tun, was ich kann. Kommen Sie herein.« Er hielt die Tür auf, und ich trat ein. Im Haus war es so düster wie im Innern einer Konservenbüchse, und es roch nach gekochtem Sellerie.

Aus dem hinteren Teil des Hauses rief eine schrille Stimme: »Was ist los? Wer ist denn da, Orris?«

»Jemand, den Tillie geschickt hat.«

»Wer?«

»Warten Sie einen Moment«, bat er mich, »sie ist taub wie ein Stück Rasen. Setzen Sie sich.«

Mr. Snyder polterte nach hinten. Ich ließ mich auf einem gepolsterten Stuhl mit hölzernen Armlehnen nieder. Der Stoff war ein dunkler, kastanienbrauner Plüsch mit einem reliefartigen Muster. Es stellte eine unbestimmte Pflanzenart dar, die ich in der Natur noch nie gesehen hatte. Der Sitz war rissig, überall waren scharfe Kanten, und er roch nach Staub. Es gab eine passende Couch dazu, die mit Zeitungen vollgepackt war; ferner einen niedrigen Teetisch aus Mahagoni mit einer ovalen Glasplatte, die aber kaum noch sichtbar war, weil so viel Zeug oben drauf lag: eselsohrige Taschenbücher, Plastikblumen in einer Keramikvase, die geformt war wie zwei sich umarmende Mäuse, eine Bronzeversion der Betenden Hände, sechs Bleistifte mit abgekautem Radiergummi, Pillendöschen und ein Becher, der offensichtlich heiße Milch enthalten hatte, wovon ein spitzenartiges Muster auf dem Glas zeugte. Außerdem stand da ein unerklärlicher Stapel Zellophan verpackter Pfannkuchen. Ich beugte mich vor und blinzelte ihn an. Es war eine Kerze. Mr. Snyder hätte den gesamten Tisch hinausstellen und als Haushaltsauflösung verkaufen können.

Vom hinteren Ende des Hauses konnte ich seine erbosten Erklärungen an seine Frau hören. »Das ist niemand, der uns etwas verkaufen will«, bellte er. »Es ist eine Frau, die Tillie hergeschickt hat, und sie sagt, sie sucht Mrs. Boldt. Boldt!! Diese Witwe, die über Tillie wohnt. Die, die manchmal mit Leonard und Martha Karten gespielt hat.«

Es gab einen schwachen Zwischenruf, dann wurde seine Stimme leiser.

»Nein, du mußt nicht aufstehen! Bleib liegen. Ich mache das schon.«

Kopfschüttelnd und mit geröteten Wangen kehrte er zurück. Sein Oberkörper ging nahtlos in die beleibte Taille über. Er mußte die Hose unter dem großen Bauch mit einem Gürtel festhalten, und die Hosenbeine schlotterten ihm um die Knöchel. Nervös zupfte er daran herum, offenbar aus Überzeugung, er würde sie verlieren, wenn er nicht aufpaßte. Er trug Pantoffeln, aber keine Socken, und die Haare hatten sich von den Knöcheln abgescheuert, die dünn und weiß wie Suppenknochen waren.

»Machen Sie doch das Licht da an«, forderte er mich auf. »Sie knausert gern mit Strom. Die meiste Zeit sehe ich überhaupt nichts.«

Ich beugte mich zu der Stehlampe und zog an der Kette. Eine Vierzig-Watt-Birne leuchtete auf und summte leise, aber dadurch wurde es nicht viel heller. Ich hörte ein gleichmäßiges Schlagen und Schlurfen im Flur.

Mrs. Snyder erschien. Sie schob ein Laufgestell vor sich her. Sie war klein und zerbrechlich, und ihr Kiefer arbeitete unaufhörlich. Starr blickte sie auf den Holzfußboden, auf dem ihre Füße ein klebriges Geräusch beim Gehen hinterließen, als wäre der Boden zwar versiegelt, aber niemals richtig gereinigt worden. Sie blieb stehen und hielt sich mit zitternden Händen an ihrer Gehhilfe fest. Ich stand auf und hob die Stimme.

»Möchten Sie sich hierhin setzen?« fragte ich sie.

Sie suchte mit wässerigen Augen die Wand ab, um die Geräuschquelle auszumachen. Ihr Kopf war winzig wie ein kleiner Kürbis, der zu lange herumgelegen hatte und nun durch innere Fäulnis verschrumpelte. Ihre Augen waren wie schmale, eingefallene Vs, und ein Zahn stand wie ein Kerzendocht aus ihrem Unterkiefer hervor. Sie wirkte verwirrt.

»Was?« sagte sie, aber in der Frage schwang ein hoffnungsloser Klang. Vermutlich wurde ihr nicht mehr sehr oft geantwortet.

Snyder winkte mir ungeduldig zu. »Es geht ihr gut. Lassen Sie sie einfach in Ruhe. Der Doktor meint sowieso, sie muß öfter auf die Beine kommen«, meinte er.

Ich sah ihr besorgt zu. Sie stand weiterhin da und wirkte durcheinander und erschrocken wie ein Baby, das zwar gelernt hat, sich an den Stäben seines Bettchens hochzuziehen, nun aber nicht weiß, wie es sich wieder setzen soll.

Mr. Snyder ignorierte sie und setzte sich breitbeinig auf die Couch. Sein Bauch füllte den Raum zwischen den Beinen wie ein dicker Sack aus, der ihm so beschwerlich sein mußte wie ein falsch herum angezogener Clownsanzug. Er legte die Hände auf die Knie und widmete mir seine ganze Aufmerksamkeit, als ob ich seine gesamte Lebensgeschichte für einen Auftritt in »Das war ihr Leben« aufnehmen wollte.

»Seit vierzig Jahren sind wir jetzt in diesem Haus«, begann er. »Damals, neunzehnhundertdreiundvierzig, haben wir es für viertausend Dollar gekauft. Von so ’nem billigen Haus haben Sie noch nie gehört, nicht? Heute ist es hundertfünfzehntausend wert. Bloß der Boden, auf dem wir sitzen. Da ist das Haus noch gar nicht mitgerechnet. Sie können es abreißen und hier hinsetzen, was Sie wollen. Verdammt, sie kann nicht mal ihr Gehgestell in den Schrank kriegen. Und Leonard von nebenan, der hat sein Haus beinah für hundertfünfunddreißig verkauft, war schon beim Notar und alles, und dann fiel das Geschäft ins Wasser. Das hat ihn fast fertiggemacht. Er tut mir wirklich leid. Haus verbrannt, Frau tot. Wie würde die Jugend von heute sagen... sein Karma war schlecht.«

So redete er immer weiter, während ich mir gedankliche Notizen machte. Das lief ja besser, als ich gehofft hatte. Ich hatte gedacht, ich hätte ein bißchen herumschwindeln müssen, um das Gesprächsthema vorsichtig von Elaines Verbleib auf den Mord nebenan zu bringen, doch nun saß Orris Snyder hier vor mir und machte aus dem Stegreif eine Zeugenaussage. Ich bemerkte, daß er innehielt. Er sah mich an.

»Haben Sie das Haus verkauft? Ich habe das Schild draußen gesehen.«

»Verkauft«, sagte er befriedigt. »Wir können jetzt ins Altersheim gehen, sobald die Kinder hier zusammengepackt haben. Sind schon offiziell vorgemerkt. Stehen auf der Liste und so. Sie ist alt. Die meiste Zeit weiß sie nicht mal mehr, wo sie ist. Wenn hier ein Feuer ausbrechen würde, würde sie daliegen und brutzeln.«

Ich sah zu seiner Frau hinüber, die ihre Knie geschlossen hielt. Ich fürchtete, sie könnte ohnmächtig werden, aber er schien sich keine Gedanken darüber zu machen. Sie hätte genausogut ein Garderobenständer sein können.

Snyder fuhr fort, als würde er durch ein unsichtbares Publikum angetrieben. »Jawoll, ich habe es verkauft. Sie hätte gern einen Anteil gehabt, aber das Haus geht auf meinen Namen, und es gehört mir ganz allein. Viertausend Dollar hab ich gezahlt. Also, das nenn’ ich ein Geschäft, Sie nicht auch?«

»Ja, das ist gut«, erwiderte ich. Ich sah wieder zu seiner Frau hinüber. Ihre Beine begannen zu zittern.

»Warum gehst du nicht wieder ins Bett zurück, May?« fragte er und sah mich dann mit einem mißbilligenden Kopfschütteln an. »Sie kann nicht gut hören. Das Gehör kommt und geht. Hat schon Stecker in den Ohren, und alles, was sie sieht, sind lebende Schatten. Letzte Woche hatte sich ein Bein von ihrem Gehgestell in der Besenschranktür verhakt, und sie brauchte sechsundvierzig Minuten, bis sie loskam. Alter Trottel.«

»Möchten Sie, daß ich Ihnen helfe, sie ins Bett zu bringen?« fragte ich.

Snyder mühte sich auf der Couch ab und drehte sich zur Seite, um aufstehen zu können. Er kam auf die Füße und ging dann zu ihr hinüber und schrie ihr ins Gesicht: »Leg dich jetzt mal ein Weilchen hin, May, und später bring ich dir was zum Knabbern.«

Sie starrte ihm unverwandt auf den Hals, doch ich hätte schwören mögen, daß sie ganz genau wußte, worüber er sprach, und einfach mürrisch und eigensinnig war.

»Warum hast du das Licht angemacht? Ich dachte, es wäre Tag«, meinte sie.

»Es kostet nur fünf Cents, die Lampe brennen zu lassen«, erwiderte er.

»Was?«

»Ich sagte, es ist stockfinstere Nacht draußen, und du mußt ins Bett gehen«, brüllte er.

»Na gut«, meinte sie, »dann werde ich wohl mal gehen.«

Umständlich schob sie ihr Gestell herum und lenkte es erfolgreich in die richtige Richtung. Ihr Blick streifte mich, und plötzlich schien sie mich durch den Nebel auszumachen.

»Wer ist das?«

»Das ist eine Frau«, unterbrach Snyder. »Ich habe ihr von Leonards Unglück erzählt.«

»Hast du ihr gesagt, was ich in der Nacht gehört habe? Von diesem Gehämmere, das mich wachhielt. Bilder wurden aufgehängt... peng, peng, peng. Ich mußte eine Tablette nehmen, weil mein Kopf davon so schmerzte.«

»Das war nicht in derselben Nacht, May. Wie oft soll ich dir das noch sagen? Es kann nicht da gewesen sein, weil er nicht zu Hause war, und er ist derjenige, der so etwas machen würde. Einbrecher hängen keine Bilder auf.«

Er sah zu mir herüber und drehte den Zeigefinger an der Schläfe herum, um anzudeuten, daß sie wirr redete.

»Klopfte und klopfte«, sagte sie, aber murmelte es nur noch zu sich selbst, während sie weghumpelte und die Gehhilfe vor sich herschob wie einen Kleiderständer.

»Keine ihrer Körperfunktionen ist geblieben«, sagte er zu mir über die Schulter hinweg. »Macht sich dauernd in die Hose. Ich mußte jedes einzelne Möbelstück aus dem Eßzimmer herausnehmen und ihr Bett reinstellen, genau da, wo das Büfett gestanden hat. An dem Tag, an dem ich sie heiratete, habe ich ihr gesagt, daß ich sie überlebe. Sie geht mir auf die Nerven. Das war damals schon so. Ich könnte genausogut mit einem Stück Fleisch leben.«

»Wer ist an der Tür?« beharrte sie.

»Niemand. Ich rede mit mir selbst«, erwiderte er.

Er schlurfte hinter ihr her in den Flur. Seine Fürsorge hatte etwas Zärtliches, trotz seiner Art, über sie zu sprechen. Auf jeden Fall schien sie nichts von seinen Ärgereien oder den kleinen Tyranneien zu bemerken. Ich fragte mich, ob er wohl dagestanden und die sechsundvierzig Minuten gestoppt hatte, die sie mit der Besenschranktür kämpfte. Enden alle Ehen so? Wenn ich alte Paare händchenhaltend die Straße hinunterzockeln sah, habe ich ihnen immer mit diesem leicht verklärten Blick nachgeschaut, aber vielleicht ist es doch überall der gleiche Machtkampf hinter den geschlossenen Türen. Ich war selbst zweimal verheiratet, und beide Male endete es mit Scheidung. Manches Mal habe ich deshalb mit mir gehadert, aber jetzt bin ich nicht mehr sicher. Vielleicht bin ich dabei gar nicht so schlecht weggekommen. Ganz im Vertrauen: ich werde lieber allein alt als in Gesellschaft von irgend jemandem, den ich bisher kennengelernt habe. Ich erlebe mich nicht als einsam, unvollständig oder unbefriedigt, doch ich rede auch nicht oft darüber. Es scheint Leute abzustoßen — insbesondere Männer.