Nachwort

Heutigen Lesern mag die Welt der Azteken mit ihren seltsamen Göttern und Ritualen so bizarr vorkommen wie die Kreaturen und Gebräuche in einem Fantasy-Roman. Und doch waren die düsteren Gottheiten und blutrünstigen Zeremonien, von denen in Goldfieber erzählt wird, ganz selbstverständliche Bestandteile der aztekischen Wirklichkeit. Auch die einzelnen Etappen von Cortés’ Expedition werden in meinem Roman im Wesentlichen wahrheitsgetreu geschildert. Nur den zeitlichen Ablauf habe ich hier und dort gestrafft sowie einige untergeordnete Ereignisse und Verwicklungen weggelassen oder vereinfacht dargestellt.

So wusste Cortés beispielsweise schon vor seinem Aufbruch aus Kuba, dass Gouverneur Velazquez ihn als Expeditionsleiter absetzen und sogar verhaften lassen wollte. Beunruhigt durch die Größe der Flotte, die sein ehrgeiziger einstiger Sekretär auf eigene Kosten zusammenstellte, befürchtete Velazquez, dass Cortés die ihm erteilten Instruktionen ignorieren und die neuen Gebiete auf eigene Faust erobern würde. Cortés seinerseits verdächtigte Velazquez, sich selbst zum Statthalter der neu entdeckten Gebiete aufschwingen und dadurch ihn und seine Gefolgsleute um den Lohn für ihre Mühen und Wagnisse prellen zu wollen. Ehrenmänner unter sich; beide hatten gute Gründe für ihren Argwohn.

Um Velazquez zuvorzukommen, schickte Cortés bereits von der neu gegründeten Stadt Vera Cruz aus ein mit Gold und anderen Schätzen beladenes Schiff direkt nach Valladolid, zum spanischen Königshof. In seinem Begleitschreiben an König Karl V. pries er den Reichtum der neu entdeckten Gebiete und vor allem sich selbst, den kühnen und treuen Entdecker. Außerdem bat er darum, die Majestät möge ihn (und nicht Velazquez) zum königlichen Statthalter ernennen.

Anders als im Roman dargestellt, beließ Cortés also noch ein viertes Schiff seiner Expeditionsflotte in seetüchtigem Zustand. Als seinen Botschafter, der dem König die eingesammelten Kleinodien zu Füßen legen sollte, entsandte er Alonso Portocarrero. Doch Portocarrero kehrte Monate später in die Neue Welt zurück, ohne den in seinem weiten Reich umherreisenden Monarchen auch nur zu Gesicht bekommen zu haben.

Da diese Episode in Goldfieber nicht erzählt wird, ist der »Dröhnende« hier von Anfang an bei der »Intrada«, dem Marsch nach Tenochtitlan, dabei. Auch Portocarreros Neigung zu derben Flüchen ist übrigens historisch bezeugt, ebenso wie die Verschlagenheit von Alvarado und der Wagemut des jungen Sandoval.

Der Marsch der Spanier nach Tenochtitlan verlief in der historischen Wirklichkeit allerdings weniger geradlinig als in meinem Roman. Hätte ich von jeder kleinen Eroberung erzählt, die Cortés unterwegs gelang, so hätte Orteguilla selbst nach Tausend Seiten noch nicht von der Pracht Tenochtitlans berichten können. Das Gleiche gilt für Cortés’ Rückmarsch ins Tiefland und seinen Sieg über Narváez, dem zahlreiche Briefwechsel, Bestechungen und Intrigen vorausgingen.

Orteguilla hieß tatsächlich einer der Pagen von Cortés. Im Auftrag seines Herrn lernte auch der historische Orte Nahuatl, unterhielt sich häufig mit Montezuma und gewann das Vertrauen des gefangenen Aztekenherrschers. Carlita dagegen habe ich erfunden, damit Orteguilla – und mit ihm seine Leserinnen und Leser – nicht nur Kämpfe um Macht und Gold, sondern auch Leben und Liebe, Sitten und Gebräuche im Reich der Azteken kennenlernt. Die übrigens nannten sich selbst »Mexica«; »Azteken« hießen sie ursprünglich nur in einer Legende, nach der ihre Vorfahren einst aus einem Ort namens »Aztlán« eingewandert sein sollen.

Höchst unwahrscheinlich klingt Cortés’ Ankündigung nach der »traurigen Nacht«, dass sie nach Tenochtitlan zurückkehren und die Stadt diesmal unterwerfen würden – und doch hat sich alles ziemlich genauso abgespielt. Nach ihrer Vertreibung flohen die überlebenden Spanier nach Tlaxcala, pflegten dort ihre Wunden und kehrten ein knappes Jahr später zurück.

Sie belagerten Tenochtitlan vom Wasser und vom Land aus, beschossen die Stadt mit Kanonen und schnitten sie von der Versorgung durch das Festland ab. Die Belagerten litten an Hungersnot und an Seuchen, die die Spanier schon bei ihrer ersten Invasion eingeschleppt hatten. Die geschwächten Azteken leisteten dennoch erbitterten Widerstand. Als die Spanier schließlich über die Dammwege in die Stadt eindrangen, verteidigten die Einwohner verzweifelt jedes einzelne Haus. Zweieinhalb Monate – vom 30. Mai bis zum 13. August 1521 – dauerten Belagerung und Kampf, und am Ende bestand Tenochtitlan nur noch aus Trümmern und Ruinen.

Cuauhtémoc, der letzte Aztekenherrscher, wurde bei einem Fluchtversuch gefangen genommen. Er war ein Neffe von Montezuma (der eigentlich den für spanische Zungen unaussprechlichen Namen Motecuhzoma trug), und Cortés behandelte ihn nicht anders als seinen unglücklichen Vorvorgänger auf dem Herrscherthron: Anfangs ließ er ihn nur unter Arrest stellen. Doch nicht lange danach bezichtigte er Cuauhtémoc, eine Verschwörung gegen ihn angezettelt zu haben, und ordnete seine Hinrichtung an.

Ob Orteguilla in diesen blutigen Wirren sein Glück gefunden hat? Er war ein treuer Gefolgsmann seines Commandante, aber so wie wir ihn in Goldfieber kennengelernt haben, kann er mit dem Überfall auf Tenochtitlan, mit der Abschlachtung der Bewohner und der Zerstörung der prachtvollen Aztekenmetropole unmöglich einverstanden gewesen sein. Ich jedenfalls stelle mir vor, dass er sich an dem Massaker keinesfalls beteiligt hat und bei der nächsten Gelegenheit nach Spanien zurückgekehrt ist. Reicher nicht an Goldstücken, aber an unvergesslichen Eindrücken und Erfahrungen – übergenug, um seinen Landsleuten bis zum Ende seines Lebens in spannenden Abenteuerromanen davon zu erzählen.

Andreas Gößling,

Coburg, im August 2011