ZWEITES KAPITEL
Bringt mir sieben Körbe voll

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»Besinnt Euch auf Euren Auftrag, Caudillo – ich flehe Euch an!« Mit diesen Worten versucht Francisco de Morla, unseren Herrn von seinen Plänen abzubringen. Dabei müsste er so gut wie jeder andere wissen, dass sich Cortés von einmal gefassten Entschlüssen unter keinen Umständen abbringen lässt.

Nach eintägiger Schiffsfahrt in Sichtweite der Küste sind wir gestern Abend hier vor Anker gegangen, in einer kleinen Bucht unweit der Mündung des Tabasco-Stroms. Die Sonne steht noch tief am Himmel und doch ist es schon wieder stechend heiß. Wenige Meilen flussaufwärts soll die Indianerstadt Potonchan liegen, dessen Herrscher angeblich gewaltige Goldschätze hortet. Jedenfalls hat Häuptling Aak-ek das behauptet.

»Nur die Umrisse der Inseln Yucatan und Don Juan sollen wir erforschen und von Indianern, die an der Küste siedeln, so viel Gold eintauschen, wie wir auf friedlichem Weg erlangen können!«, fährt Morla in dringlichem Tonfall fort. »Aber Gouverneur Velazquez hat uns strikt verboten, ins Landesinnere vorzudringen – das alles wisst Ihr so gut wie ich!«

Morla hat sich eigens von seiner Karavelle zu uns herüberrudern lassen, um mit Cortés zu sprechen. Wir befinden uns noch an Bord der Santa Maria, doch die Beiboote sind bereits zu Wasser gelassen und zum Besteigen bereit.

Hernán Cortés sieht ihn mindestens eine halbe Minute lang schweigend an. Ungeachtet der Hitze trägt er wieder seinen Samtumhang und den federgeschmückten Hut. »Du verstehst überhaupt nichts, Francisco«, sagt er schließlich. »Aber das wird sich ändern – heute noch. Du übernimmst das Kommando der einen Brigantine, Sandoval das der anderen. Los geht’s!«

Das Blut schießt Morla in die Wangen. Er ist ein Neffe von Gouverneur Velazquez und so blond und hellhäutig wie sein Onkel, wenn auch von weniger massiger Gestalt. Seine Augen werden schmal, seine Kiefer beginnen zu mahlen. Aber er ist klug genug, kein weiteres Widerwort zu wagen.

Als Caudillo besitzt Cortés die oberste Befehlsgewalt über die gesamte Expedition. Damit ist er zugleich unser Richter und kann jeden Mann, der sich seinem Kommando widersetzt, nach spanischem Recht aburteilen – bis hin zur Todesstrafe.

»Wie Ihr befehlt, Commandante«, presst Morla hervor und wendet sich ab.

Von Anfang an hat Morla wenig Zweifel daran gelassen, dass er unserem Anführer misstraut. Noch auf Kuba, kurz bevor wir in See stachen, versuchte der Gouverneur, Cortés das Kommando über die Expedition wieder zu entziehen. Anscheinend war ihm klar geworden, dass sich sein einstiger Sekretär nicht an seine Instruktionen halten würde – oder jedenfalls nur so lange, wie sie seinen Plänen nicht zuwiderliefen. Doch Cortés bewies einmal mehr seine unheimliche Überzeugungskraft: Er hielt den Häschern, die Velazquez ausgesandt hatte, eine flammende Rede, und anstatt ihn zu verhaften, schlossen sie sich allesamt der Expedition an. Auch Morla entschied sich, mit uns in See zu stechen, doch jedem war klar, dass er nach dieser Wendung nicht mehr als Gefolgsmann von Cortés mitkommen würde, sondern als Velazquez’ Späher.

»Warte noch, Francisco«, sagt Cortés. »Erst wollen wir zusammen den Tabasco-Fluss auf seinen neuen Namen taufen.«

Morla presst die Lippen aufeinander. Stocksteif tritt er an die Reling und sieht zu, wie Cortés dem heidnischen Fluss einen neuen Namen gibt.

Unser Herr breitet die Arme aus. Dabei schaut er in Richtung Westen, wo der gewaltig breite Strom in den Ozean mündet. »Im Namen des Heiligen Vaters und des allerkatholischsten Königs von Spanien«, ruft er, »das Gewässer, das die Indianer Tabasco-Fluss nennen, heißt fortan Rio Grijalva!«

Ich bin nicht besonders abergläubisch, doch bei diesen Worten beschleicht mich ein ungutes Gefühl. So als würden wir, den umgetauften Fluss aufwärts segelnd, nun allesamt so mutlos werden wie Juan de Grijalva.

Kurz darauf fahren wir mit den beiden Brigantinen den Fluss entlang, ein halbes Dutzend Beiboote von den Karavellen im Schlepptau. Unser Spähtrupp besteht nur aus hundertfünfzig Mann, nicht mitgerechnet die Rudersklaven. Der größte Teil unserer Streitmacht ist in der Bucht zurückgeblieben und mit ihnen auch unsere Kanonen und Armbrustschützen.

Anfangs verläuft der Rio Grijalva zwischen hohen Felswänden und ein kräftiger Südwind treibt uns voran. Doch schon hinter der ersten Biegung erlahmt die Brise und die Berge weichen zurück. Stattdessen ragt an beiden Ufern nun Urwald auf, ein Gewirr aus Bäumen, Gestrüpp und armdicken Lianen. Obwohl wir sämtliche Segel gesetzt haben, kommen wir nur noch sehr langsam vorwärts. Die Sklaven in den Beibooten rudern mit aller Kraft gegen die Strömung an. Ihr Keuchen wird übertönt von den vielfältigen Lauten des Dschungels. Den Schreien der Affen, den glucksenden Rufen der Vögel, deren buntes Gefieder in der Sonne leuchtet.

Diego lehnt neben mir an der Reling und schaut mit ausdruckslosem Gesicht auf den Fluss hinab. Ich spüre, dass auch ihm beklommen zumute ist, aber ihn danach zu fragen hat keinen Sinn. Er würde mich nur wieder auslachen, und bei der nächsten Gelegenheit würde er Gonzalo de Sandoval erzählen, dass ich mich wieder einmal »vor den Teufelsjüngern geängstigt« hätte.

Dabei müsste auch Diego zu denken geben, was Häuptling Aak-ek seinem Schwiegersohn Geronimo de Aguilar erklärt hat, bevor er ihn zum Opferstein schleppen ließ: Nur wenn die Indianer ihren Götzen hellhäutige Menschen opfern, sendet der Teufel ihnen als Gegenleistung einen Schadenszauber, der uns vernichtet oder zumindest wieder vertreibt. Nur aus diesem Grund sind unsere Schiffe bisher nicht untergegangen und einzig deshalb wurden wir im Wald bei Puerto Deseado weder von Steinlawinen verschüttet noch von Skorpionen oder Giftschlangen angegriffen: weil der Teufel auch seinen treuesten Jüngern nichts umsonst gibt. Aber wenn die Indianer jetzt auf die Idee kämen, uns hier auf dem Fluss mit ihren Kanus zu umzingeln, dann müssten wir uns ihrer schieren Überzahl geschlagen geben. Nach kürzester Zeit hätten sie genügend Gefangene erbeutet, um ihre Götzen wochenlang mit Christenfleisch zu mästen.

Doch von alledem sage ich nichts – weder zu Diego noch gar zu Cortés.

Der Schweiß tropft mir in den Kragen, dabei bewege ich mich so wenig wie überhaupt möglich. Aber den anderen geht es nicht besser. Auf der Hemdbrust von Francisco de Morla prangt ein Schweißfleck mit den Umrissen eines abstürzenden Adlers. Das Gesicht von Portocarrero ist dunkelrot und glänzt vor Schweiß. Nur ein paar Schritte neben Diego und mir hockt der »Dröhnende« auf einem Holzfass und starrt ungewohnt schweigsam in den Dschungel hinüber.

Selbst Sandoval kommt mir heute weniger draufgängerisch vor. Er steht ganz vorn im Bug der zweiten Brigantine, die an unserer Backbordseite segelt, und seine Blicke schweifen unruhig umher. Dicht nebeneinander fahren wir in der Mitte des wohl dreihundert Fuß breiten Stroms – aus Angst vor Sandbänken, an denen wir stranden könnten, aber wohl mehr noch, um den Speeren und Pfeilen der Indianer kein leichtes Ziel zu bieten.

Der Urwald da drüben sieht nur auf den ersten Blick undurchdringlich aus. Schaut man genauer hin, so erkennt man schmale Wassergräben, die zwischen Ästen und Blättern in der Mittagssonne blitzen. Wie Adern durchziehen sie die Wälder auf beiden Seiten des Rio Grijalva. Es müssen Dutzende, ja Hunderte sein, und überall dort, wo ein solcher Graben in den Rio Grijalva mündet, liegen die Indianer mit ihren Kanus auf der Lauer.

Doch aus irgendeinem Grund scheint Cortés mit keinerlei Zwischenfällen zu rechnen. Oder vielleicht will er auch nur diesen Anschein erwecken – dass wir friedlich und arglos seien wie die Enten im Uferschilf. Neben Kapitän Morla steht er auf der Kommandobrücke und schaut so starr wie beinahe immer voraus. Nicht einmal die finsteren Blicke, die Morla ihm zuwirft, scheint er zu spüren. Aber ich weiß ganz genau, dass dieser Eindruck täuscht. Cortés entgeht nichts von dem, was um ihn herum geschieht. Auf unserem Schiff, draußen im Fluss oder drüben im Dschungel.

Plötzlich schießt von rechts ein Kanu aus dem Dickicht und pfeilschnell auf den Strom hinaus. Da steht Cortés schon steuerbord an der Reling und schaut den Indianern in ihrem Langboot entgegen.

»Orteguilla«, ruft er mir zu, ohne den Blick vom Wasser abzuwenden, »bring mir Melchorejo!«

Ich laufe nach achtern, wo ich den schielenden Fischer zuletzt gesehen habe. »Melchorejo!«, rufe ich. »Rasch – zu unserem Herrn!«

Der Dolmetscher macht einen halbherzigen Versuch, sich hinter einer Taurolle zu verstecken. Ich packe ihn beim Handgelenk und ziehe ihn hinter mir her, zurück ins Vorderschiff. Den Geretteten mit der Schildkrötentätowierung, geht es mir durch den Kopf, habe ich nicht mehr zu sehen bekommen, seit wir vorgestern Abend in Puerto Deseado an Bord gegangen sind. Doch vom Wundarzt Jeminez hörte ich, dass er heute früh aus dem Fieberschlaf erwacht sei.

Als ich mit Melchorejo wieder vorn bei Cortés bin, gehen die Indianer mit ihrem Boot gerade längsseits. Es sind zwölf muskulöse Männer, von stämmiger Gestalt und bis an die Zähne bewaffnet. Sie tragen Umhänge aus Hirschleder, die mit funkelnden Fäden verziert sind, und auf den Köpfen kunstvollen Federschmuck. Ihre Gesichter sind leuchtend gelb und rot bemalt. Mit den zurückweichenden Stirnen und den spitz zugefeilten Zähnen sehen sie bedrohlich aus, wie Raubkatzen mit Menschenkörpern. In den Händen halten sie Blasrohre und hölzerne Knüppel, deren Seiten mit schwarzen Steinsplittern gezähnt sind. In ihren Gürteln stecken weitere Waffen, vielleicht Streitäxte, aber die sind unter den Umhängen nur undeutlich zu sehen.

»Im Namen des allmächtigen Gottes und des Königs von Spanien«, ruft Cortés zu ihnen herunter, »seid mir gegrüßt!«

Ich stoße Melchorejo mit dem Ellbogen an und er stottert eine Grußformel auf Chontal hervor.

»Bärtige Fremdlinge«, antwortet der Indianer mit dem prächtigsten Kopfschmuck, »was sucht ihr hier?« Die Türkissteine zwischen seinen zugefeilten Zähnen glitzern. »Dies ist das Land des Herrschers von Potonchan«, fügt er hinzu, »und ihr habt nicht das Recht, euch hier aufzuhalten!«

Melchorejo wagt es anscheinend kaum, diese grimmige Begrüßung zu übersetzen. Er zieht den Kopf ein und murmelt noch leiser als gewöhnlich vor sich hin. Als der Indianer einen weiteren Satz hervorbellt, zuckt unser Dolmetscher sichtbar zusammen.

»Na los, rede!« Cortés packt ihn im Nacken und drückt ihn gegen die Reling. »Was hat er gesagt?«

»Er … er … Krieger sagen«, stammelt Melchorejo, »Herrscher von Potonchan hat fünftausend Krieger und seine Götter sind tausendmal mächtiger als die Götter der bärtigen Fremden.«

Cortés lauscht dieser Drohung mit einem zerstreuten Lächeln. »Alonso«, ruft er über die Schulter, »schau dir das an!«

Portocarrero kommt zu uns herübergestampft und beugt sich neben Cortés über die Reling. »Bei allen Teufeln der Hölle!«, schreit er und reißt die Augen auf. »Ihre Äxte sind aus reinem Gold! Und ihre Umhänge sind mit Goldfäden durchwirkt!«

Portocarrero und Cortés wechseln einen Blick. In beider Augen bemerke ich wieder jenes fiebrige Glitzern, wie es nur das sonnengelbe Metall hervorrufen kann.

»Wir brauchen Proviant«, sagt Cortés. Seine Stimme klingt ruhig, geradezu gleichgültig, doch im Sprechen packt er Melchorejo aufs Neue im Nacken, wie ein Kaninchen oder einen jungen Hund. »Erkläre ihnen, dass wir nur aus diesem Grund gekommen sind: Wir brauchen Nahrung für unsere Männer. Truthahn und Maisfladen. Das ist alles. Wir werden gut bezahlen und sofort weiterfahren, wenn der Handel abgewickelt ist. Na los, sag es ihnen!«, befiehlt er und versetzt Melchorejo einen Stoß.

Die Indianer unten im Kanu hören sich mit ausdruckslosen Gesichtern an, was unser Dolmetscher zu ihnen herunterstottert. Als Melchorejo zu Ende gesprochen hat, verzieht der Indianer mit dem prächtigsten Federschmuck sein Gesicht zu einer argwöhnischen Grimasse.

»Truthahn, Maisfladen und sonst nichts?«, wiederholt er in ungläubigem Tonfall.

Cortés nickt ihm mit feierlicher Miene zu.

Die Indianer beraten sich murmelnd. »Zwei Meilen flussaufwärts liegt Potonchan«, sagt ihr Sprecher schließlich. »Macht eure Boote am linken Ufer fest und verbringt dort die Nacht. Wenn ihr euch morgen bei Sonnenaufgang auf dem Platz vor unserer Stadt versammelt, sollt ihr die gewünschte Nahrung bekommen.«

Er stößt die zur Faust geballte Rechte in die Luft und schaut grimmig zu unserem Herrn hinauf.

»Aber wagt es nicht, Potonchan zu betreten oder irgendetwas an euch zu nehmen, das euch nicht gehört«, fügt er hinzu, nachdem Melchorejo fertig übersetzt hat. »Jeder bleichhäutige Fremde, den wir in unserer Stadt aufgreifen, wird den Göttern geopfert!«

Er stößt erneut seine Faust in die Luft. Diesmal folgen alle anderen Indianer im Kanu seinem Beispiel. Aus zwölf Kehlen erklingt ein trillernder Schrei, der mir noch in den Ohren gellt, als das Kanu bereits wieder über den Strom jagt und in einem der Gräben im Uferschilf verschwindet.

- 2 -

»Wir haben genug Proviant für mindestens acht Tage«, sagt Morla, nachdem wir schon eine ganze Weile weiter stromaufwärts gesegelt sind. »Allein in unserem Frachtschiff lagern noch fast tausend Rationen Maniokwurzelbrot und mehr als doppelt so viele Rationen Dörrfleisch«, fährt er fort. »Also lasst uns umkehren, Caudillo – diesen Wilden ist nicht zu trauen! Und nach den Instruktionen, die Euch Gouverneur Velazquez erteilt hat …«

Er unterbricht sich mitten im Satz. Sein Unterkiefer klappt herunter, seine Augen werden groß und starr. Ich folge seinem Blick und schaue zum rechten Flussufer hinüber. Unvermittelt endet dort der Urwald und macht einer vollkommen kahlen Fläche von gewaltiger Ausdehnung Platz. Einem natürlichen Felsplateau, denke ich zuerst, aber dann erkenne ich, dass der gesamte Platz mit jenem gehärteten Stuck überzogen ist, den die Indianer auch für ihre Straßen verwenden. Er misst mindestens dreihundert Schritte in der Breite und zweihundert in der Tiefe, und was sich dahinter erhebt, kommt mir noch tausendmal wundersamer vor. Eine Stadt von so unglaublicher Pracht und Größe, mit hoch in den Himmel emporragenden Türmen und Pyramiden, dass ich mich fühle wie in einem Traum oder in einem Abenteuerroman.

Aber das hier ist kein Traum. Und es ist auch keine Fantasiewelt aus einem Ritterroman, sage ich mir – was sich da am Ufer zu unserer Rechten unabsehbar weit erstreckt, muss die Maya-Stadt Potonchan sein. Eine breite Allee, gesäumt von baumartigen Steinskulpturen, verläuft über den Platz, geradewegs auf einen gewaltigen Torturm zu. Vor einer halben Stunde noch, als der Indianer aus dem Kanu behauptet hat, ihr Herrscher könne fünftausend Krieger aufbieten, da kam mir das wie eine prahlerische Übertreibung vor. Aber in der Stadt da drüben, sage ich mir jetzt, müssen mindestens zwanzig- oder dreißigtausend Menschen wohnen – also wird es dort bestimmt auch fünftausend Männer geben, die in der Kriegskunst geübt sind. Und wenn sie auch nur einen Einzigen von uns gefangen nehmen und ihren Göttern in der vorgeschriebenen Weise opfern, dann setzt sich der Teufel persönlich an ihre Spitze und macht uns mit einem grauenvollen Vernichtungszauber nieder.

Ich meine schon zu spüren, wie die Verzagtheit Grijalvas auf mich überspringen will. Doch ich schüttele mich, um die düsteren Gedanken loszuwerden – und mehr noch, weil mich ein Frösteln überläuft.

»Was ist denn mit dir los?«, fragt Diego und schaut mich von der Seite spöttisch an. »Dir ist doch nicht etwa kalt?«

Ich lache ihm ins Gesicht, so unbekümmert ich das nur hinbekommen kann. »Bei der Hitze?«, rufe ich aus. »Wie soll das denn gehen, Dummkopf?«

Bevor er mir irgendetwas antworten kann, wende ich mich ab und starre aufs Neue zur Indianerstadt hinüber.

»Wir gehen vor Anker«, befiehlt Cortés. »Am linken Flussufer, wie von unseren neuen Freunden gewünscht.« Er fährt sich mit der flachen Hand über das Gesicht, als hätte auch er Mühe, seinen Augen zu trauen. Die Pyramiden und Türme sind mit kräftigen Rot- und Grün- und Ockertönen bemalt und leuchten in der Mittagssonne so intensiv wie die Federn der prächtigsten Urwaldvögel. »Lass am Waldrand ein Lager aufschlagen«, weist er Portocarrero an. »Doppelte Wachen, die ganze Nacht über. Wer ohne meine Erlaubnis das Lager verlässt, wird wegen unerlaubten Entfernens gehenkt!«

Portocarrero salutiert grinsend und schwingt sich über Bord, noch während der Anker in den sandigen Flussgrund hinunterrasselt.

»Gonzalo!«, ruft Cortés zur zweiten Brigantine hinüber. »Warte, bis es dunkel ist. Dann alles wie besprochen – Plan Nummer zwei.«

Sandoval lacht und nickt. Er strahlt über das ganze Gesicht und seine Augen blitzen vor Übermut. Er winkt Diego und mir zu, wir winken lachend zurück – und im gleichen Moment wird mir klar, was Cortés vorhat. Was er mit Sandoval und wohl auch mit seinen beiden anderen Vertrauten als »Plan Nummer zwei« schon gestern besprochen hat, während wir an der Küste entlangfuhren.

Der »Tollkühne« soll im Schutz der Nacht von den anderen Schiffen Verstärkung herbeiholen – und das nicht etwa, weil sie einen Überfall der Indianer fürchten. Ganz im Gegenteil lässt Sandovals lachende Vorfreude nur einen Schluss zu: »Plan Nummer zwei« bedeutet, dass wir die Indianerstadt angreifen werden!

Erneut überläuft mich ein frostiger Schauder. Aber das heißt überhaupt nicht, dass ich an Cortés’ Weisheit zweifeln würde – es fehlt mir nur manchmal an der nötigen Kühnheit, um die Weisheit seiner Pläne sogleich zu erkennen.

Der restliche Tag vergeht mit der Errichtung unseres Nachtlagers. Die kubanischen Sklaven schlagen Hunderte junger Bäume und erbauen daraus mit verblüffender Raschheit ein ganzes Rundhüttendorf. Die Hütten werden mit Palmwedeln gedeckt, und kaum ist diese Arbeit getan, da wird der Himmel schwarz und ein gewaltiger Sturzregeln prasselt auf uns nieder. Diego und ich flüchten uns mit Cortés und Sandoval in eine der Hütten. Hier drinnen ist es düster und eng und es riecht nach frisch geschlagenem Holz. Durch die scheinbar achtlos übereinandergeworfenen Palmzweige dringt kein einziger Regentropfen.

»Genauso wasserdicht«, sagt Sandoval und deutet lachend nach oben, »wie Plan Nummer zwei!«

Gerade in diesem Moment tritt Francisco de Morla ein, mit finsterer Miene und bis auf die Haut durchnässt. »Wozu der Aufwand, Commandante?«, knurrt er. »Ein ganzes Dorf für eine Nacht! Warum habt Ihr nicht befohlen, dass wir die Nacht auf den Schiffen an der Küste verbringen und morgen früh hierher zurückkehren – wenn Ihr schon unbedingt Proviant von den Wilden kaufen wollt?«

Obwohl die Hütte kaum drei mal drei Schritte misst, geht Cortés mit raschen Schritten auf und ab, wie es seine Gewohnheit ist.

»Du verstehst immer noch nicht, Francisco«, sagt er im Tonfall milden Tadels. »Und vor allem hast du etwas Wichtiges übersehen: Dieses Hüttendorf, wie du es nennst, ist für unseren Spähtrupp viel zu groß geraten. Rechne einmal nach: Wir können hier glatt dreimal so viele Männer unterbringen, wie heute früh mit uns aufgebrochen sind. Sogar für Artilleristen haben wir Platz genug, ganz zu schweigen von den Armbrustschützen.«

Er bleibt vor Morla stehen und schaut zu dem um eine halbe Haupteslänge Größeren empor. Doch wenn Cortés seinen Kopf in den Nacken legt, sieht das seltsamerweise immer so aus, als schaue er auf sein Gegenüber hinunter.

»Nur wenn wir auch noch die Pferde herbeiholen wollten«, fügt er mit sanfter Stimme hinzu, »würde es etwas eng werden. Aber diese Wunderwaffen halten wir fürs Erste noch geheim.«

Velazquez’ Neffe starrt unseren Herrn an. Sein Gesicht drückt Wut und Verwirrung aus, dann allmähliches Begreifen und noch mehr Wut. »Ihr wollt also«, stößt er hervor, »im Schutz der Dunkelheit weitere Kompanien von der Küste hierher verlegen? Mitsamt Armbrustschützen und Artillerie? In dieses Hüttendorf? Aber zu welchem Zweck?«

Cortés wirft Sandoval einen raschen Blick zu. »Liegt das nicht auf der Hand, Francisco?«, gibt er zurück und schüttelt den Kopf. »Truthahn und Mais für siebenhundert Mann – glaubst du wirklich, dass sie uns morgen früh so viel Proviant liefern werden?« Er legt erneut seinen Kopf in den Nacken und mustert Francisco de Morla wie einen begriffsstutzigen Schüler. »Wir müssen Geduld aufbringen, bis sie unsere Wünsche schließlich doch noch erfüllen. Morgen werden sie uns nicht einmal zwanzig Rationen bringen – das weiß ich genau.«

Morla kneift die Augen zusammen. »Das wisst Ihr genau?«, wiederholt er in einem Tonfall, in dem sich Erstaunen und Ärger die Waage halten. »Aber woher denn, in Gottes Namen?«

»Da hast du dir deine Frage schon selbst beantwortet«, erwidert Cortés und seine Miene wird feierlich. »Gott der Herr hat es mir verkündet – vor einigen Nächten im Traum.«

Er wendet sich um und geht zur Tür. Schlank, beinahe zierlich steht er da, an den notdürftigen Türrahmen gelehnt, und schaut nach draußen, wo sich knöcheltiefe Pfützen im Schlamm gebildet haben. Regenwasser tropft von Dächern und Bäumen, doch der Himmel ist schon wieder wolkenlos. Über der Stadt Potonchan auf der anderen Flussseite geht gerade eben die Sonne unter, ein glühend roter Ball.

»Ihr habt es geträumt?«, wiederholt Morla.

Dabei schaut er erst Sandoval, dann mich, schließlich sogar Diego hilfesuchend an. Doch wir alle starren so ausdruckslos zurück, als ob wir auch nur solche steinernen Baumskulpturen wären wie die da drüben auf dem unglaublich großen Platz.

Vor einigen Wochen hat mir Cortés erzählt, dass er noch in Sevilla dreimal hintereinander geträumt hat, wie er in der Neuen Welt zum König gekrönt würde. Vorher war er sich noch nicht ganz sicher gewesen, ob er wirklich nach Kuba reisen sollte. Aber nach diesen »prophetischen Träumen«, erklärte er mir, stand für ihn fest, dass Gott selbst ihn als Sein Werkzeug ausersehen habe.

»Ganz recht«, sagt er jetzt über die Schulter, ohne Morla oder irgendwen dabei anzusehen. »Zuerst habe ich Orteguillas vorzüglichen Bericht über die verborgensten Herzensgründe von Geronimo de Aguilar gelesen«, fährt er fort und mein Herz macht einen freudig erschrockenen Satz. »Anschließend habe ich geschlafen und im Traum ganz genau vor mir gesehen, was morgen früh da drüben auf dem Platz geschehen wird: Wir werden uns dort mit dreihundertfünfzig Mann versammeln, und eine Abordnung der Indianer wird uns ein schmales Dutzend Truthahnrationen bringen und beteuern, dass sie mehr nicht für uns haben.«

- 3 -

Während der Nacht brennen drüben in Potonchan Hunderte Fackeln und Feuer. Nicht anders als wir treffen auch die Indianer irgendwelche Vorbereitungen, und im Unterschied zu uns machen sie sich nicht die Mühe, ihre Betriebsamkeit zu verbergen. Ganz im Gegenteil – Stunde um Stunde schallen Trommelschläge und schrille Flötentriller zu uns herüber.

Vielleicht beschwören sie ihre Höllengötter, damit die ihnen morgen beistehen. Oder sie hoffen, uns mit dem teuflischen Gelärme zu zermürben, damit wir unverrichteter Dinge wieder abziehen, so wie Grijalva und seine Leute die Flucht ergriffen haben. Das Herz hämmert mir in der Brust, auch mein Pulsschlag ist erhöht. Aber als Diego wieder einmal eine abschätzige Bemerkung über die »einfältigen und feigen Wilden« macht, beeile ich mich, ihm zuzustimmen.

Nicht, dass ich wirklich seiner Meinung wäre. Doch in dieser unheimlichen Nacht wünsche ich mir mehr als alles andere, dass er recht behält. Dass die Indianer im Schutz der Nacht fliehen und wir morgen früh ihre Stadt verlassen vorfinden werden.

»Siehst du, Orte«, sagt Diego leise und zeigt zur anderen Flussseite. »Sie hauen ab!«

Tatsächlich entfernt sich dort drüben ein langer Zug schwankender Lichter nach Süden hin aus der Indianerstadt. Ich schaue ihm hinterher, bis das letzte Fackellicht vom Urwald verschluckt worden ist.

»Aber das Trommeln und Flöten«, wende ich ein, »es ist so laut wie vorher – und es kommt nach wie vor aus der Stadt!«

Bis zu den Knien stehen wir im Uferwasser des Rio Grijalva, einige Hundert Schritte flussabwärts vom Lager. Zusammen mit einem halben Dutzend von Sandovals Männern weisen wir die Boote ein, die seit Anbruch der Nacht eines nach dem anderen von unserem Stützpunkt an der Küste hier eintreffen. Flüsternd und mit pantomimischen Gebärden machen wir den Männern klar, wo sie die Boote festzurren sollen und wo der rasch angelegte Pfad verläuft, auf dem sie ihre Ausrüstung ins Lager transportieren können. Ihre Rüstungen und Schwerter, Arkebusen und Armbrüste. Auch drei Feldschlangen haben sie in den Booten hierhergeschafft, doch der Boden ist so weich, dass die Geschütze bis über die Achsen im sandigen Schlamm versinken.

Glücklicherweise ist unterdessen auch Pedro de Alvarado eingetroffen und wie immer weiß der »Durchtriebene« Rat. Er befiehlt, dreißig Sklaven herbeizuholen, die den Pfad von der Landestelle bis zum Lager mit Ästen und Zweigen aus dem Unterholz auslegen sollen. Rumpelnd und rasselnd rollen gegen vier Uhr früh alle drei Feldschlangen hintereinander auf ihren klobigen Rädern den Pfad entlang. Es hört sich an wie Donnergrollen und der Boden unter meinen Füßen erzittert.

»Wenn sie das mitkriegen«, behauptet Diego, »hauen sie noch schneller ab!«

Plötzlich taucht Sandoval neben uns auf und gibt Diego einen freundschaftlichen Stüber. »Die hauen nicht ab, Jungs«, sagt er leise lachend. »Die bringen nur ihre Frauen und Kinder in Sicherheit – und gleichzeitig verlegen sie Krieger aus den umliegenden Dörfern in die Stadt.«

Diego reißt die Augen auf. »Woher wisst Ihr das, Don Gonzalo, wenn Ihr die Frage erlaubt?«, murmelt er ehrerbietig.

Sandoval schiebt sich zwischen Diego und mich und legt uns jedem einen Arm um die Schultern. Dass sich der »Tollkühne« dazu herablässt, uns Pagen etwas zu erklären, kommt höchst selten vor. Mein Herz jubelt ihm entgegen, und im Schein des Mondes, der über dem Fluss zwischen rabenschwarzen Regenwolken hervoräugt, sieht Diegos Gesicht beinahe schreckensstarr aus. Aber das kommt nur von seiner Angst, sich vor unserem verehrten Vorbild durch irgendwelches blödes Gestammel zu blamieren. Auch mich versetzt Sandovals Gegenwart immer in ungeheure Spannung und Diego bewundert ihn noch viel maßloser als ich.

»Ganz einfach, Jungs«, sagt Sandoval und hat immer noch dieses Strahlen im Gesicht. »Der Herrscher von Potonchan hat zehn- oder vielleicht sogar zwanzigmal mehr Männer unter Waffen als wir. Warum also sollte er seine Stadt kampflos aufgeben?«

Diego wirft mir einen ratlosen Blick zu. Er wirkt verunsichert und verwirrt, und ich kann mir leicht denken, was ihn so durcheinanderbringt. »Weil der Allmächtige mit uns ist«, sagt er schließlich, »und mit den Wilden nur der Teufel!« Er stößt es in empörtem Tonfall hervor und erschrickt im nächsten Moment über sich selbst. »Verzeiht, Don Gonzalo«, murmelt er und beißt sich auf die Unterlippe, während sich seine Wangen vor Verlegenheit röten.

Sandovals Lächeln wirkt nun ein wenig spöttisch. Er umfasst uns fester bei den Schultern und schüttelt uns ein wenig hin und her. »Warten wir’s ab«, sagt er dann aber nur, »nachher werden wir bestimmt schon etwas klarer sehen.« Er lässt Diegos und meine Schultern wieder los und wendet sich halb zu Alvarado um, der ihm vom Pfad her Zeichen macht.

»Was werden wir sehen?«, frage ich.

Sandoval dreht seinen Kopf noch einmal zu uns zurück. »Ich bin kein Priester, Orteguilla«, sagt er, und ich spüre, dass ihm unser Gespräch unbehaglich wird. »Aber eines weiß ich«, fügt er hinzu. »Der Teufel kann nur Trugbilder erzeugen und durch seine Dämonen kurzzeitig Verwirrung stiften. Und ich bin ziemlich sicher, dass die Stadt da drüben keine Spukerscheinung, sondern aus soliden Steinen ungemein kunstvoll erbaut worden ist.«

Diego und ich starren uns an. Wir beide überlegen verzweifelt, wie Sandoval diese Worte gemeint hat und was wir darauf antworten sollen. Doch währenddessen eilt der »Tollkühne« bereits die sandige Böschung zu dem Pfad empor, wo Alvarado auf ihn wartet.

»Er wollte doch bestimmt nicht andeuten«, murmele ich, »dass Gott der Herr auch den Indianern beisteht – genauso wie uns? Oder was glaubst du, Diego?«

Aber Diego hat alle Verwirrung längst wieder tief in seinem Herzen begraben. »Natürlich nicht!«, sagt er. »Wir müssen ihn irgendwie falsch verstanden haben. Und jetzt will ich noch ein paar Stunden schlafen – bevor es da drüben losgeht.«

- 4 -

Als wir in unsere Boote steigen und zur Indianerstadt übersetzen, geht die Sonne gerade erst auf. Die Luft ist noch kühl, aber so feucht, dass ich trotzdem bei der kleinsten Bewegung ins Schwitzen komme. Graue Wolken treiben durch den Himmel – in der Morgendämmerung ist ein weiterer Sturzregen niedergegangen. Unsere Hütten haben auch dieser Flut getrotzt, doch das Prasseln der Tropfen und das unaufhörliche Dröhnen der Trommeln haben mich wach gehalten. Dabei war ich so müde, dass um mich herum alles zu schwanken schien, als ich endlich in meiner Hängematte lag.

Diego schlief natürlich auf der Stelle ein, und vorhin hatte ich Mühe, ihn überhaupt wieder wach zu bekommen. »Geh allein, Orte«, murmelte er schlaftrunken, »lass mich in Ruhe!« Doch nur einen Wimpernschlag später war er hellwach und noch vor mir bereit zum Abmarsch.

Mit dreihundertfünfzig Mann in voller Rüstung samt Schilden und Schwertern marschieren wir die Allee mit den steinernen Baumskulpturen entlang. Es sind gleichmäßig geformte Steinsäulen, fast sechs Fuß hoch und von oben bis unten mit Fratzen und Bildzeichen bedeckt. Doch obwohl mein Kopf vor Müdigkeit dröhnt, erkenne ich, dass Sandoval ganz offensichtlich recht hat: Diese Allee, der ganze weite Platz und sicher auch die riesenhafte Stadt dahinter sind kein Trugbild, das uns durch irgendeinen Teufelszauber vorgegaukelt wird.

Das alles hier ist von indianischen Steinmetzen und Bildhauern mit einer Kunstfertigkeit erbaut worden, die ich bewundern muss, ob ich will oder nicht. Ein Wall von wenigstens neun Fuß Höhe grenzt die Stadt von dem gewaltigen Vorplatz ab, in regelmäßigen Abständen von Türmen unterbrochen. Die Allee läuft auf den mächtigsten dieser Türme zu, doch das Tor an ihrem Ende ist ebenso wie alle anderen geschlossen. Auch in den schmalen Fensterluken weiter oben in der Mauer ist kein Gesicht und auch kein Blasrohr oder Bogen mit eingelegtem Pfeil zu sehen. Hinter dem Wall erheben sich gewaltige Pyramiden, weitere Türme, unzählige Ziegelbauten und Säulenhallen von solcher Ausdehnung, wie es sie wahrscheinlich in ganz Spanien nicht zu sehen gibt.

»Und sie sind doch abgehauen«, flüstert Diego neben mir, »jede Wette!«

Tatsächlich ist aus dem Innern der Stadtmauern kein Laut mehr zu hören. Weder Trommeln noch Flötentriller. Allerdings dröhnen und rasseln unsere Männer mit ihren Rüstungen ohrenbetäubend.

Ich schüttele den Kopf in Diegos Richtung. Der »Tollkühne« hat recht, denke ich wieder – die Maya von Potonchan waren imstande, diese Ehrfurcht gebietende Stadt zu errichten, und ihr Herrscher gebietet über zehn- oder zwanzigmal mehr Bewaffnete als wir. Warum sollten er und seine Männer vor ein paar Hundert fremden Kämpfern fliehen?

Doch damit bin ich auch gleich wieder bei der Frage, die mich noch viel stärker beunruhigt. Woher haben diese Indianer überhaupt die Fähigkeit, Städte und Statuen zu errichten, die sich mit spanischen Bau- und Kunstwerken messen können – obwohl sie doch falsche Götzen anbeten, hinter denen sich bloß der Teufel verbirgt? An diesem Rätsel grübele ich noch herum, als unser Zug ein paar Dutzend Schritte vor dem Stadttor zum Stehen kommt.

Diego und ich marschieren unmittelbar hinter Cortés, an dessen linker Seite Portocarrero dahinstampft. Auch der »Dröhnende« hat seine Rüstung angelegt, doch unser Herr trägt wie üblich seinen Samtumhang und den federgeschmückten Hut. Die Goldfäden in seinen Strümpfen und die goldenen Quasten an seinem Überwurf funkeln in der Morgensonne. Vor Cortés und Portocarrero befindet sich nur noch unser Fahnenträger, der die spanische Flagge an ihrem Messingstab in den grauen Morgenhimmel emporreckt.

Ich beuge mich ein wenig nach rechts, um an Cortés vorbeizuspähen. Und da wird mir klar, warum unsere Kolonne plötzlich stehen geblieben ist.

Das zweif lügelige schwarze Holztor am Ende der Allee schwingt gerade eben mit leisem Knarren auf. Eine unabsehbare Schar bewaffneter Krieger strömt auf den Platz heraus – es müssen Hunderte sein! Sie tragen kunstvollen Federschmuck auf den Köpfen und ihre Gesichter und Oberkörper sind in kräftigen Farben bemalt. Sie halten Knüppel mit steinernen Klingen in den Händen oder wuchtige Streitäxte, deren Köpfe tatsächlich golden funkeln.

Aber goldene Äxte, denke ich, das ergibt doch keinen Sinn? Jeder weiß doch, dass Gold nicht nur kostbarer ist als jedes andere Metall, sondern auch viel weicher als Eisen oder sogar als viele Steinsorten.

Doch ich komme nicht dazu, darüber nachzudenken. Immer noch eilen Scharen bemalter und bewaffneter Krieger aus dem Torturm, und jetzt sehe ich auch, dass die Fensterluken in der Mauer mit Bewaffneten besetzt sind. Mittlerweile müssen es weit mehr als Tausend Krieger sein, die zu uns auf den Platz herausgekommen sind. Sie machen keine Anstalten, uns zu umzingeln oder anzugreifen, aber sie schauen grimmig und abweisend. Einige von ihnen halten Speere in der Hand, die so dick wie junge Baumstämme sind. Anderen baumeln bemalte und mit Schnitzereien verzierte Blasrohre vor der Brust.

Als Letzter tritt ein kostbar gekleideter Indianer mit langen grauen Haaren aus dem Tor, begleitet von sechs jungen Männern, die jeder einen Flechtkorb auf dem Rücken tragen. Auf dem Kopf des Grauhaarigen sitzt ein kunstvoller Federschmuck, dessen Enden hinter ihm fast auf dem Boden schleifen, während er mit feierlichen Schritten durch die steinerne Allee auf uns zukommt. Für einen Indianer ist er ungewöhnlich hochgewachsen und sein Umhang aus Hirschleder ist über und über mit Goldstickereien verziert.

Unser Fahnenträger tritt zur Seite und Cortés schreitet dem Grauhaarigen ebenso feierlich entgegen. Als sie noch drei Schritte voneinander entfernt sind, bleiben beide gleichzeitig stehen. Auf ein Zeichen von Cortés hin hebt unser Fahnenträger sein Horn an die Lippen und spielt einen grandios aufsteigenden Fünfton. Es hört sich an, als ob ein Engel in den Himmel emporfliegen würde, doch der grauhaarige Indianer verzieht keine Miene.

Er knurrt irgendetwas und seine Begleiter stellen ihre Körbe vor Cortés ab. Dann beginnt er mit fauchender Stimme zu sprechen und ich greife hinter mich und ziehe Melchorejo zwischen zwei Konquistadoren hervor.

»Was hat er gesagt?«, flüstere ich. »Übersetze, Melchorejo – und keine Angst, du schaffst das schon!«

- 5 -

Melchorejo schlottert vor Angst und stammelt irgendetwas vollkommen Unverständliches vor sich hin. Ich sehe ihn von der Seite beschwörend an, und da steigt in mir eine Ahnung auf, was mit ihm los ist. Wahrscheinlich stammt er ursprünglich aus dieser Gegend und hat Angst, dass ihn seine Leute erkennen und als Verräter beschimpfen oder sogar töten werden.

»Keine Sorge, Melchorejo«, wiederhole ich flüsternd. »Sie werden dir nichts tun, bei uns bist du in Sicherheit!«

»Hier … hier wir euch bringen«, stammelt unser Dolmetscher, »sechsmal zwei Portionen Truthahn und Mais. Nehmt es, wir schenken es euch – und nun geht!«

Diese letzten Wörter bringt Melchorejo mit eingezogenem Kopf und nahezu winselnd hervor. Zweifellos ähnelt das, was uns der grauhaarige Indianer gebracht hat, sehr viel eher einer Schmähung als einem Geschenk. Jeder der sechs Körbe enthält zwei gebratene Truthahnschenkel, umwickelt mit Maisfladen und in Palmblätter gehüllt. Zwölf Rationen für ein sechzigmal größeres Heer!

Doch unser Herr scheint nicht im Mindesten erzürnt. Ein stilles Lächeln kräuselt seine Lippen. Während ich ihn ansehe, wird mir klar, warum er so heiter und mit sich selbst zufrieden wirkt: Was wir hier gerade erleben, hat er ganz genau so vorausgeträumt.

»Im Namen des allmächtigen Gottes und des Königs von Spanien«, antwortet Cortés, »danke ich dir für dein Geschenk, Herrscher von Potonchan. Wenn du mir nun auch noch verrätst, wie ich meine Männer mit einem Dutzend Rationen satt bekommen kann, will ich deinen Wunsch sogleich erfüllen.« Er wendet sich halb um und deutet mit ausgestrecktem Arm auf unsere Streitmacht. »Das hier sind dreihundertfünfzig Männer«, fährt er fort, nachdem Melchorejo zitternd und stotternd übersetzt hat, »und noch einmal so viele Männer sind bei unseren Schiffen an der Küste.«

Er macht einen Schritt auf den grauhaarigen Indianer zu und der zieht drohend die Augenbrauen zusammen. »Du scheinst das Geheimnis zu kennen«, spricht Cortés weiter, »wie ich alle diese Kämpfer mit einem Dutzend Truthahnrationen sättigen kann. Also lass mich an deinem Wissen teilhaben, Herrscher von Potonchan! Oder aber, falls du dieses Wunder nicht zu wirken vermagst, befiehl deinen Leuten, mehr Nahrung herbeizuschaffen. Viel mehr«, fügt er hinzu. »Sehr viel mehr, Herrscher von Potonchan – so viel, dass alle meine Männer ihren Hunger stillen können. Wir werden euch gut dafür bezahlen, und danach werden wir weiterfahren, das verspreche ich dir. Aber bevor du uns diese Bitte erfüllt hast, können wir auf keinen Fall auf unsere Schiffe zurückkehren.«

Melchorejo windet sich wie eine Schlange. Ich halte ihn an den Handgelenken fest und rede flüsternd auf ihn ein. »Kann nicht … kann nicht«, sträubt sich unser Dolmetscher und schielt gleichzeitig zu dem grauhaarigen Indianer und zu Cortés. »Wenn ich das sage – er reißt uns allen das Herz heraus!«

»Raus damit, Stinkfisch!«, zischt ihm Portocarrero zu.

Natürlich meint der »Dröhnende« nur, dass er endlich mit der Übersetzung herausrücken soll. Aber Melchorejo heult auf und krümmt sich zusammen, als sollte ihm wahrhaftig das Herz herausgerissen werden.

Mit hängendem Kopf beginnt er, auf Chontal zu wiederholen, was Cortés eben gesagt hat. Mit jedem Wort wird die Stimmung bei den Indianern noch feindseliger. Als Melchorejo geendet hat, schreien alle durcheinander und schwingen ihre Speere. Sie bilden eine dichte Traube vor dem Tor und um ihren Anführer herum, der nun seine Rechte zur Faust ballt und in die Luft emporstößt.

Augenblicklich kehrt wieder Ruhe ein. Der grauhaarige Indianer greift unter seinen kostbar verzierten Umhang und zieht einen funkelnden Gegenstand hervor. Dazu faucht er etwas und bleckt seine spitz zugefeilten Zähne.

»Du scheinst mich für den Herrscher von Potonchan zu halten, doch ich bin nur ein Gesandter unseres Königs«, übersetzt Melchorejo. »Diese Maske hier ist aus reinem Gold geschmiedet. Unser Herrscher schenkt dir auch dieses Kunstwerk, bärtiger Fremdling. Nimm es – und dann geht!«

Er macht gleichfalls einen Schritt nach vorn und überreicht Cortés die Maske. Sie ist groß genug, um das Gesicht eines Mannes vollständig zu bedecken, und überaus prachtvoll gearbeitet. Doch unser Herr wirft nur einen kurzen Blick auf das funkelnde Kunstwerk und reicht es scheinbar achtlos an Portocarrero weiter. Seine Augen glitzern, aber das bemerkt in diesem Moment wohl niemand außer mir.

»Richte deinem König meinen Dank aus«, sagt er. »Ich bin Hernán Cortés, der Statthalter des einzigen und allmächtigen Gottes. Teile ihm das mit. Und erkläre ihm, dass wir sein Angebot gerne annehmen.«

Bereitwillig übersetzt Melchorejo, und auch der Gesandte des Königs von Potonchan vergisst für einen Moment, finster dreinzublicken. »Welches Angebot meinst du?«, erkundigt er sich.

»Dein König bietet uns nicht nur Proviant, sondern auch Gold an«, antwortet Cortés. Wie zum Beweis deutet er auf die Körbe am Boden und anschließend auf die Maske in Portocarreros Händen. »Versichere ihm, dass wir dieses Angebot sehr zu schätzen wissen«, fährt unser Herr fort. »Bringt uns siebenhundert Rationen Truthahn und Maisfladen – und außerdem sieben solcher Körbe voller Gold. Wir werden gut bezahlen und noch am gleichen Tag weiterfahren.«

Der grauhaarige Gesandte starrt Cortés ungläubig an. Sämtliche Indianer schreien aufs Neue durcheinander, doch diesmal kommen sie mir weniger zornig als verängstigt vor.

»Sieben Körbe voller Gold?«, wiederholt der Gesandte, nachdem er seine Krieger zum Schweigen gebracht hat. »Dein Gott muss dir den Verstand verwirrt haben! Wenn ihr so viel Gold haben wollt, geht weiter nach Norden, nach Cholollan – oder besser gleich bis nach Tenochtitlan! Hier in der Gegend gibt es keine Goldminen. Unser König besitzt nur einige wenige goldene Kunstwerke – und das kostbarste davon habe ich dir eben überreicht.«

Cortés wirft Portocarrero einen raschen Blick zu. Seine Augen glänzen, seine Wangen sind rosig überhaucht. Beinahe kommt er mir wie ein leidenschaftlicher Jüngling vor, der gerade eben erfahren hat, an welchem Ort er seine schmerzlich vermisste Geliebte wiederfinden wird.

Doch als er sich erneut dem Indianer zuwendet, ist sein Gesicht so ausdruckslos wie beinahe immer. »Nur der Teufel stiftet Verwirrung«, lässt er den Gesandten wissen. »Der einzige und allmächtige Gott dagegen erleuchtet mich mit Weisheit und schärft meinen Verstand wie ein Schwert. Also geh jetzt und richte deinem König aus, dass wir siebenhundert Proviantrationen und sieben Körbe voller Gold von ihm wollen. Falls er wirklich nicht so viel aufbringen kann, gebietet es die Höflichkeit, dass er selbst mir das sagt.«

Melchorejo übersetzt schwitzend und stammelnd. Der grauhaarige Gesandte schaut ihn fassungslos an.

»Heute in drei Tagen«, fügt Cortés hinzu, »werden wir uns erneut hier einfinden, wiederum zur frühesten Morgenstunde. Wenn ihr schon vorher alles beisammen habt, schickt einen Boten zu uns herüber.«

»Und wenn unser Herrscher eure Bitte nicht erfüllt?« Der grauhaarige Gesandte bleckt erneut seine Raubkatzenzähne. Es sieht aus wie ein höhnisches Grinsen, doch im nächsten Moment blickt er wieder ernst und finster drein.

Cortés schaut ihn mit übertriebenem Erstaunen an. »Er selbst hat es angeboten!«, ruft er aus.

Einen Moment lang sieht es aus, als ob er noch etwas hinzufügen wollte. Doch dann tippt er sich nur mit dem Zeigefinger an die Hutkrempe und wendet sich ohne ein weiteres Wort ab. Er winkt ein halbes Dutzend unserer Männer herbei, die sich die Körbe auf den Rücken laden.

Währenddessen beginnen die Indianer abermals durcheinanderzuschreien. Ihre goldenen Streitäxte funkeln im Licht der aufsteigenden Sonne. Einige greifen zu ihren Waffen, aber es ist nur ein zaghaftes Zucken. Viel lauter als ihre Rufe ist der jubelnde Dreiton, der in diesem Moment aus dem Horn unseres Fahnenträgers erschallt. Unser Heerzug wendet sich um und marschiert zurück zum Rio Grijalva. Als ich noch einmal über meine Schulter schaue, stehen die Indianer und ihr hochgewachsener Gesandter wie erstarrt vor dem Torturm, beinahe so, als ob sie selbst zu Skulpturen versteinert wären.

Vielleicht hat Cortés ja deshalb dem Tabasco-Fluss gerade diesen neuen Namen gegeben, geht es mir durch den Kopf – damit Grijalvas Verzagtheit die Indianer von Potonchan ergreift?

- 6 -

Zwei Tage später sitzen wir immer noch im Hüttendorf auf der anderen Flussseite und scheinbar geschieht überhaupt nichts. Das Tor drüben in der Stadtmauer bleibt Tag und Nacht verschlossen und auf dem riesigen Vorplatz lässt sich kein Indianer sehen. Natürlich wagt niemand in unserem Lager, offen gegen Cortés’ Pläne aufzubegehren, aber genauso wenig versteht irgendjemand, wie diese Pläne überhaupt aussehen. Außer seinen Vertrauten, der ungleichen Dreiheit, doch die wagt auch niemand zu fragen.

Mit starrer Miene marschiert Cortés auf und ab, wie es seine Gewohnheit ist. Mal unten am Flussufer, mal oben am Waldrand, scheinbar blicklos, Stunde um Stunde. Gestern hat er weitere Kompanien von den Schiffen herbeibeordert. Unter der Führung von Alvarado und einem schon älteren Konquistador namens Alonso de Avila fuhren sie in einem halben Dutzend Booten weiter den Fluss hinauf. Sie sollen erkunden, ob es dort oben eine Möglichkeit gibt, rasch und unbemerkt auf die Hinterseite der Stadt zu gelangen.

Aber heißt das, dass sich unser Herr allen Ernstes entschlossen hat, Potonchan anzugreifen? Mit fünfhundertfünfzig Konquistadoren gegen zehntausend oder noch mehr Indianer, die in einer festungsartigen Stadt verschanzt sind? Von früh bis spät rätseln Diego und ich an dieser Frage herum. Dabei streifen wir durch das Lager und ab und zu wechseln wir auch ein paar Worte mit anderen Pagen und Knappen. Aber sehr viel mehr als »Hallo« und »Wie geht’s?« lassen wir uns nicht entlocken, obwohl die meisten der anderen Jungen einen ihrer kleinen Finger hergeben würden, wenn sie dadurch mein oder Diegos Vertrauen gewinnen könnten.

Doch wir sind nun einmal die Pagen des Caudillo und deshalb dürfen wir eigentlich mit niemandem sprechen außer mit Cortés selbst. Und auch das natürlich nur, wenn er uns eine Frage stellt oder wenn unsere Pflichten erfordern, dass wir ihm Meldung erstatten. Darüber hinaus ist es uns stillschweigend erlaubt, mit Cortés’ Vertrauten zu sprechen, aber dass Portocarrero, Alvarado oder unser strahlender Held Sandoval das Wort an uns richten, kommt sehr selten vor. Und so bleiben Diego und ich meistens unter uns und beobachten unseren Herrn unaufhörlich, damit uns nicht der kleinste Wink von ihm entgeht.

Meistens ruft er Diego am frühen Vormittag zu sich, um ihm Briefe oder Berichte zu diktieren. Mich dagegen winkt er zu vollkommen unvorhersehbaren Zeitpunkten zu sich heran. So wie beispielsweise gestern, als er plötzlich ein Gespräch mit mir über Geronimo de Aguilar begann. Der einstige Minoritenmönch ist mittlerweile wieder so weit bei Kräften, dass Cortés ihn von der Santa Maria in unser Lager beordern will. »Er hat nicht die geringste Erinnerung daran, was zwischen euch beiden passiert ist«, sagte Cortés zu mir. »Daran, dass er dich für seinen Bruder Carlos gehalten und dir unter Tränen gebeichtet hat, dass er hier mit einer Indianerin verheiratet war. Mir hat er erzählt, er sei gegen seinen Willen mit diesem Schildkrötenmuster tätowiert und all die Jahre wie ein Gefangener gehalten worden – mal in einem Käfig, dann wieder in einer Erdhöhle. Und bis auf Weiteres«, fügte Cortés hinzu, »werden wir ihn in dem Glauben belassen, dass wir seine wahre Geschichte nicht kennen.«

Er legte mir seine Hände auf die Schultern und sah mich aus seinen dunklen Augen durchbohrend an. »Aguilar trägt sowieso schon schwer an der Sündenlast, die er auf sich geladen hat«, erklärte mir Cortés. »Wenn er herausbekommt, dass wir von diesen Sünden auch noch bis ins Einzelne wissen, würde er sich das Leben nehmen oder zumindest vor Verzweiflung kein Wort mehr herausbringen. Also müssen wir ihn schonen, denn wir brauchen einen Dolmetscher. Melchorejo ist nicht nur ein miserabler Übersetzer – er wird bei der nächsten Gelegenheit die Flucht ergreifen.«

Dazu lächelte Cortés so gelassen wie jemand, der regelmäßig Nachrichten aus der Zukunft erhält. Und bei allen Heiligen Kastiliens – in diesem Moment war ich mir sicher, dass er in der Zukunft wie in einem aufgeschlagenen Buch lesen kann!

»Wir werden die Stadt der Wilden umzingeln und ihre Mauern überrennen!«, sagt Diego jetzt zu mir und seine Augen leuchten vor Begeisterung. »Eine andere Möglichkeit bleibt uns doch gar nicht! Die Wilden haben sich da drüben verschanzt und warten einfach, dass wir wieder abziehen. Freiwillig bringen die uns keine Goldkrume und keinen einzigen Maisfladen mehr! Genau deshalb hat Cortés ja auch Alvarado und Avila ausgeschickt«, fügt Diego im Tonfall unerschütterlicher Gewissheit hinzu. »Er will die Stadt in die Zange nehmen – und wenn wir erst drinnen sind, werden wir ihren Goldschatz bis auf das letzte Staubkörnchen plündern!«

Ich schüttele den Kopf und schaue Diego missbilligend an. »Du redest ja, als ob wir eine Räuberbande wären«, sage ich. »Du hast doch gehört, was Cortés gesagt hat: Wir wollen nichts geschenkt haben und schon gar nicht werden wir ihnen mit Gewalt irgendetwas wegnehmen. Unser Herr will erreichen, dass sie uns freiwillig geben, was er von ihnen haben will – und sie sollen für alles gerechte Bezahlung erhalten.«

Wir stehen am Waldrand, hinter der doppelten Reihe der Rundhütten. Unmittelbar davor fällt die sandige Böschung zum Fluss hin ab, der im Licht der schon wieder sinkenden Sonne glitzert.

»Das glaubst du wirklich, oder?«, fragt Diego und schaut mich verwundert an. »Träum nur weiter, Orte – aber beklag dich nicht, wenn du demnächst durch Kanonenschüsse geweckt wirst!«

Ich beschirme meine Augen mit der flachen Hand und schaue zur Indianerstadt hinüber. »Hast du nicht gespürt, wie neugierig sie sind?«, frage ich zurück. »Sie haben Angst vor uns, aber sie platzen auch fast vor Wissbegierde! Und deshalb glaube ich, dass sie es da drüben hinter ihren Mauern nicht mehr lange aushalten werden.«

Diego starrt mich an. Er hat seinen Mund schon halb geöffnet, zweifellos, um mich einmal mehr als »Träumer« und was sonst noch zu verspotten. Aber im nächsten Moment wird sein Gesicht nachdenklich. »Neugierig?«, wiederholt er und wirft eine Hand in die Luft. »Na, warten wir’s ab!«

Auch der restliche Tag vergeht ohne besondere Zwischenfälle. Die Dunkelheit sinkt wieder herab und drüben in Potonchan werden abermals Hunderte Feuer und Fackeln angezündet. Die Trommeln wummern, die Flöten trillern noch lauter als in den Nächten zuvor. Zwei Boten treffen in unserem Lager ein – Diego und ich erkennen auf den ersten Blick, dass sie zu Alvarados Spähtrupp gehören. Eine Stunde später wird Geronimo de Aguilar ins Lager gebracht und sogleich zu der Hütte geführt, in der sich Cortés seit der Abenddämmerung mit Portocarrero und Sandoval berät.

Gegen Mitternacht legen Diego und ich uns in unsere Hängematten. Unsere Hütte steht direkt neben der Behausung, in der Cortés noch immer mit seinen beiden Vertrauten Pläne schmiedet. Die Boten haben sie längst wieder weggeschickt und der Tätowierte liegt neben Diego in einer Hängematte und schnarcht ungeheuer laut. Aber nicht allein diese Geräusche, auch nicht die Trommeln und Flöten oder die Tierschreie, das Knacken und Rascheln draußen im Dschungel rauben mir in dieser Nacht den Schlaf.

Heilige Muttergottes, bete ich wieder und wieder – bitte mach, dass wir auch hier in Potonchan keine Goldschätze finden! Ich habe doch gesehen, was das Goldfieber in den Köpfen und Herzen anrichten kann. Durst oder Hunger lassen sich stillen oder zumindest lindern, indem wir zu uns nehmen, wonach uns so sehr verlangt hat. Dagegen wird die Goldgier durch das gelbe Metall nicht gestillt, sondern nur noch ärger entfacht! Wer bloß ein wenig Gold besitzt, verfällt auch nur ein wenig dem Irrsinn, doch je mehr er davon an sich rafft, desto höher steigt sein Fieber. Also sei so gütig, heilige Maria, bete ich – und verschone Cortés und uns alle vor dem funkelnd gelben Wahn!

In Kuba, auf der Hazienda jenes Goldminenbesitzers, habe ich Männer gesehen, die zehn oder zwanzig Körbe voller Gold besaßen. Sie hätten in die Heimat zurückkehren, sich dort Schlösser und Ländereien kaufen und für den Rest ihres Lebens wie der Graf von Medellín Hof halten können. Aber nein, sie kehrten bei der ersten Gelegenheit in die Wildnis zurück, um dort aufs Neue mit der Spitzhacke, ja mit ihren bloßen Händen nach Gold zu schürfen.

Und von zwei Goldgräbern hörte ich, die waren durch ihre Funde so reich geworden, dass sie nie wieder einen Finger hätten krümmen müssen. Doch die Gier hatte sie beide verblendet. Als sie von einem Fluss im unwegsamen Gebirge hörten, an dessen Ufer Goldkrumen entdeckt worden waren, eilten sie heimlich dorthin, ohne einander in ihre Pläne einzuweihen. In jenem Fluss fanden sie tatsächlich Gold – doch über der Frage, wem von beiden der Fund gehörte, gerieten sie in Streit. Der eine zog sein Messer, der andere wehrte sich mit der Schaufel, die er gerade in der Hand hielt – und kurz darauf waren sie beide tot. Das Gold hatte sie reich gemacht, aber zugleich ihre Herzen verwüstet. Es hatte jenes Fieber in ihnen entzündet, das selbst besonnene, ja weise Männer binnen Kurzem in Tobsüchtige verwandeln kann.

Ich flehe dich an, heilige Mutter unseres Erlösers Jesus, bete ich wieder und wieder. Lass uns in Potonchan kein Gold finden – oder höchstens ein paar Hände voll!

- 7 -

Irgendwann muss ich doch noch weggedämmert sein. Als ich aus einem wirren Traum aufschrecke, ist es immer noch dunkel. Vom Fluss her wehen Fetzen eines zornigen Wortwechsels herauf – spanische Flüche und Drohungen, dazwischen heiseres Fauchen auf Chontal.

Ich springe aus meiner Hängematte und stelle fest, dass der Gerettete – Geronimo de Aguilar – nicht mehr in seiner Matte neben Diego liegt. Schlaftrunken tappe ich nach draußen und zwischen den Hütten hinunter zum Fluss. Über der Indianerstadt dämmert der Morgen, aber ganz schwach erst – der Himmel ist dunkelgrau wie rußiges Blech.

»Mehr haben wir nicht«, übersetzt gerade eben Aguilar. »Unsere Bauern fürchten sich vor euch – sie sind alle in die Berge geflohen!«

Ich erkenne den Geretteten an seiner muskulösen Gestalt und, als ich näher herangekommen bin, an seiner Schildkrötentätowierung. Neben ihm stehen Cortés und zwei seiner Vertrauten – der »Dröhnende« und der »Tollkühne«. Sie halten brennende Fackeln in den Händen. Vor ihnen sind ein halbes Dutzend Indianer aufgereiht, die anscheinend mit dem großen Kanu gekommen sind, das hinter ihnen am Flussufer liegt. Sie haben vier Körbe mitgebracht, und als ich neben Sandoval trete, bestätigt sich mir, was ich vermutet hatte: Die Körbe enthalten bloß ein paar zusätzliche Rationen Truthahn und Maisfladen.

»Sagt eurem Herrscher, wir geben ihm ein letztes Mal Aufschub – bis heute Mittag!«, antwortet Cortés und wie immer klingt seine Stimme vollkommen beherrscht. »Wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat, nehmen wir vor eurem Stadttor sieben Körbe voller Gold und siebenhundert Rationen in Empfang – alles gegen gute Bezahlung.«

Er macht Aguilar ein Zeichen, und der ehemalige Minoritenmönch übersetzt flüssig, ohne einen Augenblick lang zu zögern. Nur als sein Blick auf mich fällt, gerät er kurz ins Stocken, und sein Gesichtsausdruck wird fragend. So als ob er sich zu erinnern versuchte, wo er mich schon einmal gesehen hat.

Ich nicke ihm zu und er runzelt die Stirn. Er wirkt verwirrt und ich fühle mich ein wenig schuldig.

»Bringt ihr jedoch nicht, worum ich euch gebeten habe«, fährt Cortés fort, »so werden wir den Zutritt in eure Stadt erzwingen und jeden, der sich uns in den Weg stellt, töten.«

Aguilar übersetzt auch diese Drohungen, ohne auch nur zusammenzuzucken. Er trägt nun Hemd und Wams, Hosen und einen Baumwollumhang nach spanischer Sitte, aber das graugelbe Muster an seinen Händen und im Gesicht kann er natürlich trotzdem nicht verbergen. Die Indianer hören ihm mit ausdruckslosen Gesichtern zu, doch zum ersten Mal habe ich den Eindruck, dass sie wirklich verstehen, was Cortés ihnen mitteilen lässt. Ich überlege, wie sie sich das Aussehen und die Sprachkenntnisse unseres Dolmetschers erklären mögen. Aber das liegt ja eigentlich auf der Hand: Bestimmt wissen sie längst, was weiter unten an der Küste geschehen ist, bei dem Teufelstempel im Wald hinter Puerto Deseado.

»Euer Gott muss euch mit Blindheit geschlagen haben!«, antwortet einer der Indianer. Jetzt erst erkenne ich, dass es der grauhaarige Gesandte ist, der uns vorgestern vor dem Stadttor empfangen – oder, besser gesagt, abgewiesen – hat. »Wir werden jeden von euch töten«, fügt er hinzu, »der es wagt, unsere Stadt zu betreten.«

Er wirft seinen Begleitern einen raschen Blick zu. Anscheinend haben sie Mühe, ihre Erheiterung zu verbergen. Die Vorstellung, dass wir mit ein paar Hundert Kämpfern versuchen könnten, ihre Festung zu überrennen, reizt sie offenbar zum Lachen.

Mir dagegen werden die Knie weich vor Angst. Ich kenne meinen Herrn mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass er diese Drohung ernst meint.

»Und jetzt geht!«, befiehlt Cortés den Indianern und deutet über den Rio Grijalva nach Potonchan hinüber.

Diese Worte muss Aguilar nicht einmal mehr übersetzen. Die Indianer schieben ihr Kanu in den Fluss zurück, springen hinein und sind im nächsten Moment von der Dunkelheit über dem Fluss verschluckt.

»Die stinkenden Wilden halten uns doch zum Narren!«, ruft Portocarrero aus. Obwohl er seine Stimme zu dämpfen versucht, klingt es, als ob Eisenkugeln über eine steinerne Fläche rollen würden. »Nachher werfen sie uns dann noch mal fünf Truthahnkeulen hin und, wenn du Glück hast, drei Goldkrümel als Gewürz!«

Cortés macht eine dämpfende Handbewegung. »Du hast schon recht, Alonso«, sagt er. »Es wird Zeit, dass wir ihnen ein wenig Beine machen.«

Er bedeutet Aguilar durch einen Wink, dass er sich entfernen soll. Als sein Blick auf mich fällt, bin ich schon darauf gefasst, dass er mich gleichfalls wegschicken wird. Doch zu meinem Erstaunen winkt unser Herr mich näher zu sich heran.

»Orteguilla«, sagt er mit jenem stillen Lächeln, das nur seine Lippen kräuselt, »es ist gut, dass du schon auf bist. Du wirst Sandoval und etliche seiner Männer begleiten. Dorthin, wo ihr mit Alvarados und Avilas Truppen zusammentreffen werdet.«

Ich vergesse beinahe zu atmen – vor Freude über diese Auszeichnung, aber fast mehr noch vor Schreck. »Bitte hört mich an, Herr«, wende ich ein und die Stimme droht mir zu versagen. »Ich bin Euch überaus dankbar, dass Ihr solches Vertrauen in mich setzt. Aber Ihr wisst ja, ich besitze keine Rüstung, und mein Schwert ist auf der Santa Maria geblieben.«

Doch Cortés hat sich schon abgewendet. »Sandoval wird dir alles erklären«, sagt er noch, dann geht er mit raschen Schritten zu den Hütten zurück und lässt mich mit Portocarrero und Sandoval allein.

»Eine Rüstung, Junge?«, ruft der »Dröhnende« aus und schlägt mir auf die Schulter, dass ich beinahe zusammenbreche. »Sei froh, dass du keine eisernen Hosen hast! Und außerdem: Wie soll man mit so einem scheppernden Panzer über die verdammte Mauer klettern?«

»Über die Mauer?«, wiederhole ich, und im gleichen Moment wird mir klar, auf welche Weise sie den Indianern »Beine machen« wollen. »Ihr wollt heimlich in die Indianerstadt eindringen, Don Gonzalo?«, frage ich Sandoval.

Der »Tollkühne« legt mir eine Hand um die Schultern und zieht mich mit sich, weiter flussaufwärts am Ufer entlang. »Ob heimlich oder unheimlich, muss sich zeigen«, sagt er leise lachend, wendet sich kurz zu Portocarrero um und hebt grüßend die Hand. »Hab keine Bange, Junge«, fährt er fort, »ich passe schon auf dich auf. Und du sollst auch nicht als Kämpfer mitgehen – Männer, die das Schwert zu führen verstehen, habe ich genug. Cortés will, dass du dich dort so aufmerksam umsiehst, wie nur du das vermagst.«

Einige Dutzend Schritte jenseits unseres Lagers warten zwei der großen Karavellen-Beiboote am Ufer. Mindestens dreißig Männer sitzen darin, und kaum sind wir eingestiegen, legen die Boote auch schon ab. Die Ruder knarren, das Flusswasser gurgelt, sonst ist kaum ein Geräusch zu hören. Im Osten färbt sich der Himmel bleigrau.

»Du weißt ja«, sagt mir Sandoval leise ins Ohr, »dass Alvarado einen Pfad suchen soll, auf dem man von hinten in die Stadt gelangen kann. Unterwegs hat er noch etwas anderes gefunden, das aber vielleicht fast genauso gut ist: eine Stelle, an der die Stadtmauer eingefallen ist. Dahinter sind nur Ruinen – keine bewohnte Hütte weit und breit. Dort gehen wir hinein – du wirst schon sehen.«

Dort gehen wir hinein … Die Worte hallen in meinem Innern nach. Ich will den »Tollkühnen« fragen, was um Himmels willen wir machen sollen, wenn wir da drinnen von Indianern bemerkt werden. Sie haben doch angekündigt, jeden von uns zu töten, den sie in ihrer Stadt aufgreifen! In höchstens einer halben Stunde ist es hell, und was dann? Aber ich getraue mich nicht, die Stille mit meinen ängstlichen Fragen zu durchbrechen.

Kaum fünf Minuten später legen wir am rechten Flussufer an. Wir springen auf die schlammige Böschung hinaus und jeweils acht unserer Männer schieben und ziehen eins der schweren Boote unter die tief hängenden Zweige eines Buschs. Noch immer ist es so düster, dass man kaum zehn Schritte weit sehen kann. Dort oben über der Böschung beginnt der Wald. Doch eine Mauer, eingefallen oder nicht, kann ich weit und breit nicht entdecken.

Sandoval fasst mich am Unterarm. »Bleib dicht neben mir, Orteguilla«, sagt er dicht an meinem Ohr. »Und keine Angst, ich werde dich behüten.«

»Ich habe keine Angst«, flüstere ich zurück, doch dabei klappern mir die Zähne.

Der »Tollkühne« tätschelt mir die Schulter. »Dann ist es ja gut«, sagt er. »Los geht’s, Junge!«

- 8 -

Wir bahnen uns einen Weg durch das Dickicht und nach einem Dutzend Schritten stehen wir vor einem doppelt mannshohen Wall. Es ist dieselbe Art Mauer wie vorn bei dem Torturm, nur dass der Wall hier mit Moos überzogen und dunkel vor Nässe ist. Ein paar Schritte linkerhand hat eine Würgefeige ihre Wurzeln ins Mauerwerk hineingetrieben und die Steine regelrecht zersprengt. Eine Bresche klafft dort in der Mauer, breit genug, dass sich ein ausgewachsener Mann mit der Schulter voran hindurchzwängen kann. Außer er trägt eine Rüstung oder hat einen Leibesumfang wie Portocarrero.

Ich zerbreche mir den Kopf, wie Alvarado und seine Männer diese versteckte Lücke im Stadtwall gefunden haben. Aber es ist wieder einmal kein guter Zeitpunkt zum Grübeln. Oder, wie Diego sagen würde: Die meisten Fragen, mit denen du dich herumquälst, Orte, sind es gar nicht wert, gestellt zu werden.

Er meint es nicht böse, sage ich mir, und er ist wirklich fast noch ein Kind. Währenddessen schiebt mich Sandoval vor sich her, auf das Loch in der Mauer zu. Die Hälfte unserer Männer ist bereits hindurch. Ich krieche hinter ihnen her und stolpere drinnen über einen herumliegenden Mauerbrocken.

»Leise, Bursche!«, zischt mir jemand ins Ohr.

Zwischen den Bäumen schien es noch beinahe nachtdunkel zu sein. Aber hier in der Stadt, ohne das Gewölbe der Äste über uns, ist es fast schon heller Tag. Wir stehen am Ende einer schmalen Gasse, die tatsächlich auf beiden Seiten von Ruinen gesäumt wird. Doch auf dem kleinen Platz am anderen Ende geht es schon weit lebhafter zu.

Ich erkenne Schemen, die dort im ersten Morgenlicht vorüberschlendern oder eilig irgendeinem Ziel entgegenhasten. Hähne krähen, Hunde kläffen – ganz offensichtlich beginnt die Indianerstadt zu erwachen. Weshalb um Himmels willen glauben Cortés und seine Vertrauten, dass wir ihnen »Beine machen« könnten, indem wir am helllichten Tag mit drei Dutzend Männern in ihre Stadt eindringen? Sie werden ganz im Gegenteil uns die Beine abschneiden, wie es Aguilar von den Menschenopferzeremonien erzählt hat! Die Beine werden sie uns abschneiden, wiederhole ich mir im Stillen, und die Arme sowieso – und vorher reißen sie uns bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust!

Mein armes, unergründliches Herz, denke ich, während ich, geduckt wie Sandoval, hinter ihm und den anderen die Gasse entlanggehe. Mein Herz, das mir in der Brust hämmert, wie ein zum Tode verurteilter Häftling mit der Faust an seine Kerkertür schlägt. Ohne jede Hoffnung, dass ihm die Flucht noch gelingen könnte, und doch hämmert er unaufhörlich weiter, längst irrsinnig geworden vor Angst.

Als wir den kleinen Platz am Ende der Gasse erreichen, ist weit und breit niemand mehr zu sehen. Anscheinend haben uns die Einwohner bemerkt und sich in ihre Behausungen zurückgezogen. Der Platz ist kreisrund und in alle Himmelsrichtungen zweigen Straßen ab. Einige sind mit jenem harten Stuck überzogen, andere bestehen bloß aus gestampftem Lehm. Anscheinend befinden wir uns in einem eher bescheidenen Außenbezirk von Potonchan. Doch selbst hier leben die Menschen nicht in Hütten, sondern in eingeschossigen Ziegelhäusern. Und die prachtvoll bemalten Tempel und Pyramiden im Innern der Stadt leuchten in der Morgensonne bis hier herüber und bestrahlen selbst diese ärmlichen Häuser mit ihrem Glanz.

»Wo würdet ihr das Gold horten?«, fragt einer von Sandovals Männern und gibt sich gleich selbst Antwort. »Natürlich in einem der Teufelspaläste da drüben.«

Der »Tollkühne« begnügt sich mit einem Nicken. Er setzt sich an die Spitze unseres kleinen Zugs, und ich beeile mich, zu ihm aufzuschließen.

Hinter uns tuscheln und murmeln die Männer. Einige von ihnen kenne ich beim Namen – den würdevollen Cristóbal de Tapia oder auch den narbenreichen Gonzalo Guerrero, dem der Ruf vorauseilt, ein blutdürstiger Kämpfer zu sein. Doch etliche Männer aus unserem Trupp kenne ich kaum vom Sehen. Unsere Expedition zählt mehr Häupter als manche kleine Stadt in Spanien. Und doch viel zu wenige, denke ich wieder, um es mit Zehntausenden indianischer Krieger aufzunehmen!

Ich fühle die Anspannung der Männer, doch sie scheinen keinerlei Angst zu verspüren. Dabei trägt niemand von ihnen eine Rüstung, und so wäre es für die Indianer ein Leichtes, uns mit Speeren und Pfeilen niederzumachen. Augenpaare belauern uns aus jeder Fensterluke, in jedem Türloch. Je näher wir dem Palast- und Tempelbezirk im Innern der Stadt kommen, desto breiter werden die Straßen und desto höher ragen die Häuser auf. Zweioder sogar dreigeschossig, mit flachen Dächern, die Fassaden mit bunten Reliefbändern geschmückt. Auf Fensterbänken stehen Flechtrohrkäfige mit singenden Vögeln, deren Gefieder in der Sonne leuchtet. Blühende Bäume säumen die Straßen und verbreiten Wohlgeruch. Im Grunde kommt mir die Indianerstadt ganz friedlich vor. So heiter und freundlich, wie eine Stadt, deren Bewohner den Teufel anbeten, doch eigentlich gar nicht sein kann.

Scheu treten einige Einwohner aus ihren Türen und kommen auf uns zu. Krieger und halbwüchsige Jünglinge, auch etliche uralte Männer und Frauen mit zahnlosen Mündern und dünnem grauem Haar. Plötzlich sind wir von ihnen umringt. Ich habe gar nicht richtig mitbekommen, wie das passiert ist – eben noch war die Straße vollkommen verlassen, doch nun wimmelt es um uns herum von Indianern. Manche von ihnen tragen einfache Gewänder aus Pflanzenfasern, andere sind in prächtige Umhänge gehüllt. Aber soweit ich sehen kann, trägt niemand von ihnen eine Waffe.

Sie überwinden ihre Scheu und kommen immer näher. Sie zupfen an unseren Hemden und Wämsern und etliche von ihnen klopfen uns mit den Fingerknöcheln gegen Brust oder Arm. So als ob sie prüfen wollten, ob wir vielleicht aus Holz geschnitzt worden sind.

»Sie wundern sich«, ruft einer von Sandovals Männern, »dass wir heute keine Haut aus Eisen haben!«

Ich muss lachen, genauso wie die anderen. Ja, das wird es sein!, sage ich mir. Natürlich haben sie nicht geglaubt, dass wir Holzmenschen wären. Aber vor ein paar Tagen noch sind wir mit dreihundertfünfzig Mann in eisernen Rüstungen vor ihrem Torturm aufmarschiert.

»Bestimmt halten sie uns für Götter oder so etwas!«, ruft Guerrero. Er stößt einen alten Indianer zurück, der ihm einen zittrigen Faustschlag auf die Brust versetzt hat. »Macht nur so weiter!«, schreit er ihn an. »Dann zeige ich euch, was ein Gott des Zorns ist!«

»Ganz ruhig bleiben«, ermahnt ihn Sandoval. »Einfach weitergehen und alles unterlassen, was sie wütend machen könnte.«

Mittlerweile sind wir von mindestens fünfhundert Indianern umringt. Sie schnattern und lachen alle durcheinander. Niemand von ihnen scheint sich vor uns zu fürchten. Doch anscheinend haben sie auch nichts dagegen, dass wir durch ein Loch in der Mauer einfach so in ihre Stadt hineinspaziert sind.

Es ist wirklich so, sage ich mir, wie ich gestern zu Diego gesagt habe: Sie sind einfach nur neugierig. So etwas wie uns haben sie noch niemals vorher gesehen. Bestimmt fragen sie sich, ob wir Menschen aus Fleisch und Blut sind oder was sonst.

Allerdings glaube ich nicht, dass sie uns für Götter halten. Für mich sieht es eher so aus, als würden sie uns als eine Art Affen ansehen. Sie zupfen an der schwarzen Behaarung, die vielen Konquistadoren auf Armen und Händen wuchert. Dazu machen sie große Augen und kichern. Wer besonders mutig ist, reckt sich auf die Zehenspitzen und zieht einen unserer Männer am Bart. Dann brechen sie alle in quiekendes Gelächter aus, schlagen sich die Hände vor den Mund und schütteln ungläubig die Köpfe.

Vielleicht halten sie uns auch nicht für Affen, überlege ich weiter. Aber bestimmt glauben sie, dass wir höchstens so etwas wie Halbmenschen sind, die Fetzen von Tierfell im Gesicht und am Körper tragen. Bei ihnen dagegen kann ich nicht einmal ein paar Bartstoppeln entdecken. Und dann fällt mir auch noch auf, dass sie jedes Mal, wenn sie nah an einen von uns herangetreten sind, die Nase rümpfen. Ihre Gesichter verzerren sich dann vor Ekel und manche von ihnen prallen richtiggehend zurück. Jedenfalls soweit das in diesem Gedränge überhaupt noch möglich ist.

Ergründe ihre Herzen!, befehle ich mir. Nur aus diesem Grund hat dich Cortés hierhergeschickt!

Und dann wird mir mit einem Schlag klar, was wir in den Augen der Maya von Potonchan sind. Ich stöhne sogar leise auf, so grell durchzuckt mich diese plötzliche Einsicht. Sie sehen in uns genau dasselbe wie wir in ihnen, sage ich mir: Für sie sind wir Wilde! Stinkende, barbarisch wilde Männer, die von ihren Sitten und Gebräuchen nichts verstehen!

- 9 -

Ich weiß nicht, wie lang ich über diesem Gedanken nachgegrübelt habe: Wir halten sie für Wilde – und sie uns genauso! Als ich irgendwann wieder um mich schaue, marschiere ich immer noch dicht hinter Sandoval, und die Menge um uns herum ist noch weiter angewachsen. Mittlerweile müssen es weit mehr als Tausend Indianer sein, die uns umringen, uns rufend und lachend voraus- oder hinterherlaufen.

Ich recke meinen Hals und drehe mich hin und her, so gut das in der zähen Menschentraube geht. Anscheinend haben wir das Innerste der Indianerstadt erreicht. Wir befinden uns am Rand eines rechteckigen Platzes, der von prachtvollen Bauten gesäumt ist. Von Pyramiden, Tempeln und Palästen, und jedes dieser Bauwerke scheint darum zu wetteifern, das am kunstfertigsten verzierte zu sein. Mit gemeißelten Götterfratzen, die ungemein finster dreinschauen, und mit bunten Reliefbändern, die eine Art Bilderschrift darstellen.

Die Sonne steht mittlerweile hoch am Himmel. Bald schon wird sie ihren höchsten Stand erreicht haben, und als mir klar wird, was das bedeutet, setzt mein Herz für einen Schlag aus. In allenfalls einer halben Stunde wird Cortés mit unserer Streitmacht da draußen vor dem Stadttor aufmarschieren! Und wenn die Indianer ihm dann nicht bringen, was er von ihnen verlangt hat, und er daraufhin seine Drohung wahrmacht und die Stadt angreift – dann, spätestens dann werden die Indianer uns hier drinnen allesamt töten! Sie werden uns niederwerfen und auf ihre Opfersteine binden, damit ihre Priester uns die Herzen aus der Brust schneiden!

Wir müssen uns zurückziehen, will ich zu Sandoval sagen. Bestimmt hat er diese Gefahr ja längst erkannt, aber warum spaziert er dann weiter seelenruhig in der Indianerstadt umher? Doch ich komme nicht dazu, den »Tollkühnen« danach zu fragen.

Gerade in diesem Moment packt der narbenreiche Guerrero einen Indianer und reißt ihm irgendetwas von seinem Gewand ab. »Orooj!«, schreit er. »Tu’ux?«

Mittlerweile kenne auch ich genügend Brocken Chontal, um zu verstehen, was Guerrero von dem Indianer will. Außerdem schwenkt er den Gegenstand, den er ihm eben vom Kragen abgerissen hat – eine goldene Troddel oder Quaste, die das Ende einer fingerdicken Kordel aus geflochtenen Goldfäden bildet.

»Orooj – tu’ux?«, schreit Guerrero. »Gold – wo?« Dazu schwenkt er die goldene Kordel mit der Quaste in der Luft und hält den Indianer mit der anderen Hand am Kragen gepackt.

Ich brauche nicht in sein Gesicht zu sehen, um zu wissen, dass Guerreros Augen vor fiebriger Begierde glitzern. So wie die Augen seiner Gefährten, die jetzt seinem Beispiel folgen und wild durcheinanderschreien.

»Wo habt ihr das Gold versteckt, ihr verfluchten Wilden?«, brüllt einer von ihnen.

»Wir wollen es ja nicht umsonst!«, schreit ein anderer unserer Männer. »Wir werden euch gut bezahlen!«

Voller Erstaunen stelle ich fest, dass es der sonst so auf seine Würde bedachte Cristóbal de Tapia ist. Sein bleiches Gesicht mit dem langen, ein wenig vorstehenden Kinn ist mit roten Flecken gesprenkelt. Seine Augen funkeln, seine Hände zittern. Er fasst unter seinen Umhang und bringt eine Handvoll glitzernder Glasperlen zum Vorschein.

»Ihr bekommt Perlen!«, schreit er. »Perlen, so viel ihr wollt! Aber jetzt verratet uns endlich, wo ihr euer dreckiges Gold versteckt!«

Die Stimmung wird mit einem Mal frostig. Die Indianer starren uns an, und in ihren Gesichtern kann ich keine Neugierde, schon gar keine Heiterkeit mehr erkennen. Nur noch Feindseligkeit und Zorn. Einer von ihnen versetzt Tapia einen Stoß. Die Glasperlen fliegen in hohem Bogen in die Luft und prasseln dann wie bunte Tropfen auf uns herunter.

»Verdammt, Cristo!«, ruft Sandoval. »Ruhig bleiben, habe ich gesagt!«

Von allen Seiten drängen die Indianer auf uns ein. Die Enge ist so entsetzlich, dass ich keine Hand mehr regen kann. Unsere Männer sind mit Schwertern und Schilden bewaffnet, aber in diesem Gedränge ist es so gut wie unmöglich, die Waffe blank zu ziehen. Guerrero und einige andere schlagen mit ihren Schilden um sich, doch die Indianer können gar nicht zurückweichen – von allen Seiten, aus sämtlichen Ecken und Gassen drängen immer noch mehr von ihnen herbei.

»Orteguilla!«, ruft mir Sandoval zu. »Bleib dicht bei mir!«

Bevor ich ihm irgendetwas antworten kann, erschallt vom Fluss her ein furchtbarer Donnerknall.

»Die Artillerie!«, schreit einer unserer Männer. »Es geht los!«

Die Indianer um uns herum brüllen wie aus einer einzigen Kehle auf. Ein weiterer Kanonenschuss donnert los und lässt die Stadt erzittern. Das Krachen der Feldschlange und das Geheule um uns herum sind so grauenvoll laut, dass es mir in den Ohren klingelt. Alle rennen panisch durcheinander und wir werden hilflos mitgerissen, erst in Richtung Torturm, dann wieder zurück ins Innere der Stadt.

Ich versuche, mir darüber klar zu werden, was hier überhaupt passiert. Mittlerweile muss Cortés mit unserer Streitmacht da draußen auf dem Vorplatz aufmarschiert sein, und weil die Indianer ihm abermals nicht gebracht haben, was er von ihnen verlangte, hat er seine Drohung wahrgemacht und die Stadt angegriffen. Aber warum hat einer von Sandovals Männern eben gerufen »Es geht los!«? Heißt das etwa, dass Cortés, Sandoval und die anderen alles so geplant haben – den Angriff vom Fluss her, während wir noch hier in der Stadt sind?

Glücklicherweise ist Sandoval so hochgewachsen, dass ich ihn auch im ärgsten Gedränge nicht aus den Augen verliere. Der Schweiß läuft mir aus den Haaren, während ich hinter ihm her haste, umschlossen von einem rennenden Ring aus unseren Männern, die uns mit Schwertern und Schilden schützen. Doch die Indianer sind sowieso viel zu durcheinander, um uns ernsthaft anzugreifen.

Alte Männer und Frauen bringen sich in Sicherheit, so rasch sie können. Auch Krieger mit Speeren und Schwertern rennen mittlerweile in großen Scharen durch die Straßen. Anscheinend haben sie Befehl, zum Torturm zu eilen, um ihre Stadt gegen den Angriff vom Fluss her zu verteidigen. Nur gelegentlich schwirrt ein Pfeil herbei und bleibt in einem unserer Schilde stecken. Ein halbes Dutzend Krieger mit gezähnten Holzschwertern beobachtet uns von einer Gasse aus, doch offenbar kommen sie zu dem Schluss, dass es nicht ratsam ist, uns anzugreifen. Oder vielleicht auch nicht nötig, da wir sowieso in der Falle sitzen.

Dann kracht zum dritten Mal ein Kanonenschlag, gefolgt von grässlichem Dröhnen und Bersten. Offenbar hat die Stadtmauer einen Treffer abbekommen. Selbst aus einer Entfernung von einer Meile oder mehr ist deutlich zu hören, wie ungeheure Steinmassen in sich zusammensacken. Im nächsten Moment beginnen die Indianer wieder durcheinanderzuschreien, nun aber sind es Schreie voll wilder Wut.

Mit verdoppelter Eile rennen nun alle in Richtung Norden, auf den Torturm zu. Wiederum werden wir mitgerissen, doch jetzt richtet sich der Zorn der Indianer auch gegen uns. Eine Hundertschaft bewaffneter Krieger kreist uns ein und drängt uns von dem rechteckigen Tempelplatz zurück in eine schmale Straße.

»Wo bleibt denn Alvarado?«, ruft Guerrero. »Müssten er und Avila nicht längst hier sein?«

»Bestimmt sind sie das auch!«, antwortet Sandoval.

Er zieht ein Horn unter seinem Umhang hervor und setzt es an die Lippen. Der Klang steigt wie eine Frage in den Himmel empor und nach nicht einmal zwei Atemzügen antwortet ihm ein zweites Horn.

»Alvarado ist da!«, ruft Guerrero. »Dann nichts wie hin zu ihm und seinen Männern. Hier wird es allmählich ungemütlich!«

»Ungemütlich« ist stark untertrieben. Die Indianer haben uns in eine Sackgasse abgedrängt und beschießen uns mit Hageln von Pfeilen. Nachdem sie ihre Pfeile verschossen haben, dringen sie mit den gezähnten Holzknüppeln, mit Spießen und Streitäxten auf uns ein.

»Das schaffen wir nicht«, ruft Sandoval. »Nur wegen dir, Gonzo! Hättest du dich nicht einen Moment noch zusammenreißen können?«

»Das verfluchte Gold!«, schreit Guerrero zurück. »Du kennst das doch selbst, oder nicht? Ich sah die verdammte Goldquaste funkeln – und da kam es über mich!«

Das Goldfieber, denke ich, die irrsinnige Begierde nach dem gelben Metall! Einer von Sandovals Männern bricht direkt neben mir zusammen, einen Pfeil in der Brust. Der »Tollkühne« schaut kurz zu ihm hin, dann schwingt er sein Schwert mit der Rechten hoch empor. Rasch wende ich meinen Blick ab – ich weiß auch so, dass unsere Schwerter unter den Indianern ein grässliches Blutbad anrichten. Ihre Knüppel zersplittern wie morsches Treibholz, wenn sie mit einer Stahlklinge zusammenprallen. Um uns herum liegen schon mindestens zwanzig Indianer am Boden, verwundet oder tot.

Doch auch wir haben mittlerweile mehrere Opfer zu beklagen – drei Männer liegen reglos auf der Straße, ein vierter kauert einige Schritte abseits, mit totenbleichem Gesicht in einer schmalen Lücke zwischen zwei Häusern. Es ist Tapia – der würdevolle Cristóbal de Tapia, den ich während der Überfahrt von Kuba aus irgendwelchen Gründen in mein Herz geschlossen habe, auch wenn er meist den Eindruck macht, dass er um sich herum niemanden wahrnimmt. Seine Augenlider flattern, seine Rechte hält er auf seine Brust gepresst, als wollte er gleich ein patriotisches Lied anstimmen. Doch zwischen seinen Fingern quillt Blut hervor.

»Ich schaue nach Tapia!«, rufe ich in Sandovals Richtung und renne schon los, ohne auf seine Antwort zu warten.

In den Augenwinkeln sehe ich noch, wie der »Tollkühne« mit der Rechten sein Schwert schon wieder emporschwingt, während er mit der Linken aufs Neue das Horn an seine Lippen setzt. Diesmal ertönt eine schrille Fanfare, deren dringlicher Klang erkennen lässt, wie sehr wir in Not sind. Wiederum antwortet Alvarado nur ein paar Wimpernschläge später, und noch ehe seine Antwort verklungen ist, schreien Sandovals Männer schon durcheinander:

»Bravo, Pedro!« – »Er haut uns hier raus! – »Aber hoffentlich beeilt er sich!« – »Lange können wir uns hier nicht mehr halten!«

Gerade als ich mich neben Tapia hinkauern will, rappelt der sich wieder auf. Auf seiner linken Brustseite ist ein großer Blutfleck, aber als Tapia meinen erschrockenen Blick bemerkt, winkt er mit einer würdevollen Handbewegung ab.

»Halb so schlimm«, sagt er und hebt Schwert und Schild auf. Seine Stimme klingt matt. »Jetzt schnell zurück zu den anderen«, fügt er hinzu. »Hier können sie uns abschießen wie Rehe auf einer Lichtung!«

Taumelnd läuft er los, zurück zu unserem Trupp, der sich hinter seinen Schilden eingeigelt hat. Ich eile ihm hinterher und in diesem Moment löst sich aus der Traube der Kämpfenden ein hünenhafter junger Krieger und kommt im Sturmschritt auf uns zugerannt. Er trägt einen gezähnten Holzknüppel in der einen und einen Spieß mit furchterregender schwarzer Spitze in der anderen Hand.

»Achtung, Don Cristóbal!«, schreie ich und packe Tapia von hinten bei der Schulter.

Der hünenhafte Krieger ist jetzt so nah bei uns, dass er Tapia oder mich mit seinem Knüppel niederschlagen könnte. Aber Tapia wird sich sowieso nicht mehr lange auf den Beinen halten – meine Hand ist noch immer in seine Schulter gekrampft, und ich spüre, wie er am ganzen Körper zittert.

Ohne einen Moment lang zu überlegen, was ich da eigentlich mache, stoße ich Tapia zur Seite. Er rudert mit den Armen und fällt zu Boden. Der riesenhafte Indianer hebt seinen Knüppel und starrt mich an. Die schwarzen Steinzähne an beiden Seiten seiner Waffe funkeln im Morgenlicht. Angst schießt in mir hoch und ich fahre herum und renne in die enge Lücke zwischen den Häusern.

Hinter mir höre ich das Keuchen und die trappelnden Schritte meines Verfolgers. Er ruft irgendetwas auf Chontal, und auch Tapia schreit hinter mir her, aber ich verstehe kein Wort. Ich haste immer tiefer in den engen Gang hinein. Ganz am Ende sehe ich einen schmalen Lichtfleck – dort muss eine weitere Straße sein oder ein Platz. Wenn ich mich erst dorthin durchgeschlagen habe, sage ich mir, werde ich auch den Kerl hinter mir irgendwie abschütteln!

Aber ich selbst kann an meine Worte kaum glauben. Ich habe mich in eine Falle manövriert, und egal ob ich weiterrenne oder mich umdrehe und zum Kampf stelle – meine Lage ist aussichtslos. Die Indianer werden mich einfangen und in einem ihrer Götzentempel opfern!

Auf der linken Seite entdecke ich eine winzig schmale Nische in der Hauswand. Ich will schon dorthin stürzen, mich hineinzwängen – was auch dahinter sein mag! Da bemerke ich die zierliche Gestalt, die dort halb verborgen in der Nische lehnt. Ihre Haut ist dunkelbraun, genauso wie ihr Gewand, und so sind im Dunkeln fast nur ihre Augen zu sehen. Riesig große, ungemein ausdrucksvolle Augen, die mich beschwörend anschauen. Es ist ein Mädchen, oder vielleicht auch eine junge Frau, und obwohl ich eigentlich kaum etwas von ihr erkennen kann, bin ich mir ganz und gar sicher, dass sie wunderschön ist. Und dass sie mir helfen will – ja, dass sie nur aus diesem Grund dort in der schattenreichen Mauernische steht: um mir gegen meinen mordgierigen Verfolger beizustehen.

Als ich fast schon auf einer Höhe mit ihr bin, schüttelt sie ganz leicht ihren Kopf und deutet mit den Augen nach links. Ohne einen Moment zu zögern, befolge ich ihre Weisung und renne weiter den Gang entlang. Mein Verfolger ist mir mittlerweile so dicht auf den Fersen, dass ich seinen Atem in meinem Nacken spüre – und nur einen halben Herzschlag später einen harten Schlag auf meinen Hinterkopf.

Ich gerate ins Stolpern. Dass ich zu Boden falle und auf dem Rücken liegen bleibe, bekomme ich nur noch verschwommen mit. Im nächsten Moment wird um mich herum alles schwarz.