SECHSTES KAPITEL
Immer sollt ihr treu mir folgen

- 1 -

König Pazinque empfängt uns höchstpersönlich vor seinem Stadttor. Anscheinend hat uns Sturmbezwinger einen Eilboten vorausgeschickt.

Der Totonaken-Herrscher ist noch weitaus beleibter, als ich das nach Sturmbezwingers Andeutungen vermutet hatte. Er erwartet uns in seiner Sänfte, die dreimal so groß ist wie die Kapitänskajüte auf der Santa Maria und mit Gold, Silber und Edelsteinen verziert. In Unmengen von Polstern gelehnt und gebettet, schaut uns der König mit seinen winzigen Knopfaugen an. Ein Kuppeldach, außen mit Hirschhaut und innen mit Jaguarfell bespannt, wölbt sich über seinem mächtigen Rundschädel. In seinem golden und silbern durchwirkten Umhang und mit dem bunten Federschmuck auf dem Kopf sieht er wie ein exotischer Riesenvogel aus. Ein Gefolge von wenigstens dreißig Männern umringt seine Sänfte. Furchterregende bewaffnete Palastwächter, königliche Ratgeber mit hochmütigen Mienen, außerdem Sklaven mit Fächern, um dem Herrscher kühle Luft zu spenden, mit Krügen und Bechern sowie mit Schalen voller Naschereien.

»Montezuma hat hier überall seine Spione«, erklärt Pazinque nach der langwierigen Begrüßungszeremonie. »Aber keiner von ihnen ließ sich blicken, als ich mich von meinem Palast hierhertragen ließ. Normalerweise lungern sie auf den Straßen herum und betragen sich mehr wie Besatzungssoldaten als wie heimliche Späher.« Er verstummt und ringt um Atem.

Cortés und Alvarado tauschen Blicke. »Wir sind in friedlicher Absicht gekommen«, antwortet unser Herr. »Häuptling Sturmbezwinger hat uns von Eurem großzügigen Angebot unterrichtet, unsere Stadt auf Eurem Gebiet zu errichten. Dafür möchte ich Euch danken, König Pazinque, und Euch bitten, uns die Unterstützung zukommen zu lassen, die wir vor allem in der Anfangszeit brauchen werden.«

Der Totonaken-Herrscher ringt noch immer um Atemluft. Wohl deshalb begnügt er sich mit einem huldvollen Nicken, nachdem Marina Cortés’ Worte übersetzt hat. Er macht eine gebieterische Handbewegung und die acht Träger heben die Sänfte an und tragen ihn zurück in die Stadt. Der Sklave mit dem Fächer wedelt ihm kühlende Luft zu, ein zweiter Sklave reicht ihm einen Becher mit flüssiger Schokolade, doch der König lehnt keuchend ab.

Wir beeilen uns, mit seinen Trägern Schritt zu halten. Auch der königliche Hofstaat setzt sich in Bewegung, gefolgt von unserer Kolonne – dreihundertfünfzig Konquistadoren, den Artilleristen, Gewehr- und Armbrustschützen sowie rund hundert kubanischen Sklaven.

Cempoallan ist noch weitaus größer und prächtiger als die Maya-Stadt Potonchan, das wird mir schon nach wenigen Schritten klar. Die Straßen sind breit und gut befestigt, die Häuser allesamt mindestens zwei Stockwerke hoch. Bäume säumen die Straßen, an den Hauswänden hängen Käfige mit vielerlei Vögeln, die um die Wette pfeifen und trillern. Geschäftig eilen Händler mit ihren Traglasten oder mit ganzen Karawanen voll beladener Sklaven auf den Marktplatz am Ende unserer Straße zu. Frauen stehen schwatzend am Straßenrand, Männer schreiten mit gewichtiger Miene vorüber, kleine Jungen werfen sich lachend Lederkugeln zu. Vom Marktplatz her erklingt ein munteres Gewirr aus menschlichen Stimmen, Gegacker und hellem Hundegebell. Der Geruch von frisch gebratenem Geflügel, von allerlei Blumen und Gewürzen weht mir in die Nase, doch einige Dutzend Schritte vor dem Marktplatz biegen die Sänftenträger mit König Pazinque in eine noch viel breitere und prächtigere Straße ab.

Bald darauf sind wir im Innersten der Stadt. Hier ragen zahllose Pyramiden in den Himmel empor, mit quaderförmigen Tempeln hoch oben auf dem First. Vor der größten Pyramide steht ein wenigstens sechzig Fuß hohes und ebenso breites Gerüst, auf dem Hunderte Totenschädel in der Mittagssonne bleichen.

»Diese verfluchten Teufel!«, stößt Portocarrero hervor.

Doch auf mich machen die Stadt und ihre Bewohner keinen teuflischen Eindruck – wenngleich die grausige Schädelsammlung auch mir Schauder über den Rücken jagt. Offenbar lässt auch der Totonaken-Herrscher den blutrünstigen Aztekengöttern Menschen opfern.

Cortés schreitet zur Rechten der königlichen Sänfte, umgeben von Marina, seinen drei Vertrauten und Fray Bartolomé. Anscheinend ist ihm gerade etwas ganz Ähnliches wie mir durch den Kopf gegangen. »Wie heißen die Götzen, die in Eurer Stadt verehrt werden?«, fragt er König Pazinque. »Wir sind gekommen, Euch die frohe Botschaft des einen und allmächtigen Gottes zu bringen. Doch bevor wir Eure Götzenbilder zerschmettern, möchte ich wissen, welcher Art von Irrglauben Ihr und Euer Volk verfallen wart.«

Anstatt seine Worte zu übersetzen, schaut Marina unseren Herrn unter zusammengezogenen Augenbrauen an.

»Worauf wartest du, Sklavin?«, schreit Portocarrero. »Erkläre dem fetten Häuptling, dass wir seine Satansgötzen in Stücke hacken werden – und jeden dreckigen Teufelsjünger, der sich uns in den Weg zu stellen wagt!«

»Wenn Ihr mich fragt – das sollten wir nicht überstürzen«, mischt sich Fray Bartolomé ein. »Lasst uns diesen Indianern erst einmal erklären, was es mit unserem Glauben auf sich hat – dann werden sie sich leichten Herzens von ihrem Götzenkult trennen.«

Mittlerweile haben wir einen Platz von gewaltiger Ausdehnung erreicht, der von Palästen und weiteren Pyramiden mit Tempeln auf den flachen Dächern gesäumt ist. Cortés schaut unschlüssig von Portocarrero zu Fray Bartolomé. Diesmal scheint er wirklich mit sich zu ringen, ob er dem Ratschlag des »Dröhnenden« oder der Empfehlung seines Lieblingspriesters folgen soll.

Ehe er zu einer Entscheidung gelangt ist, stürzt ein Indianer aus einem Palast am anderen Ende des Platzes und rennt in gestrecktem Lauf auf uns zu. Vor der Sänfte seines Königs bleibt er stehen und legt die flachen Hände vor der Brust gegeneinander. Atemlos stößt er einen Wortschwall auf Nahuatl hervor.

Ich schaue Carlita fragend an. »Von Norden her«, übersetzt sie mit gedämpfter Stimme, »nahen fünf Tributeintreiber mit einem Gefolge von dreißig Sklaven aus Tenochtitlan. Wie lauten Eure Befehle, Herrscher?«

König Pazinque starrt finster vor sich hin. »Ich kann mir schon denken, was diese Halsabschneider wieder hier wollen!«, stößt er hervor. »Als sie das letzte Mal hier waren, habe ich sie angefleht, unsere unmenschlich schweren Tributlasten zumindest ein wenig zu verringern. Dreißig Bahnen Baumwollstoff, zehn Jaguarfelle, je drei Säcke voll Grünstein und Jade Jahr für Jahr – er blutet uns aus, er raubt uns die Luft zum Atmen, der grausame Montezuma!«, schnauft König Pazinque und verstummt röchelnd.

»Dann ist es höchste Zeit zu handeln, König Pazinque«, sagt Cortés, kaum dass Marina die Worte des Herrschers übersetzt hat. »Lasst Montezumas Gesandte gefangen nehmen! Und sorgt dafür, dass sie nahe den Gemächern eingesperrt werden, in denen Ihr uns beherbergen wollt. Wenn Ihr diesem Ratschlag folgt, so seid Ihr vom heutigen Tag an von der Tributpflicht befreit.«

König Pazinque reißt die Augen auf, soweit die Fettwülste in seinem Gesicht das erlauben. »Aber Montezuma wird schreckliche Rache üben!«, bringt er hervor. »Was glaubt Ihr, aus welchem Grund seine Tributeintreiber mich heute schon wieder heimsuchen? Mit Sicherheit hat er die uns auferlegte Tributlast noch einmal vergrößert – zur Strafe, weil ich es gewagt habe, mich zu beklagen!«

Cortés schaut ihn ausdruckslos an. »Macht einfach, was ich Euch vorgeschlagen habe«, sagt er. »Alles Weitere lasst meine Sorge sein.«

Der Totonaken-Herrscher starrt noch ein paar mühsame Atemzüge lang vor sich hin, dann keucht er dem Boten einen Befehl zu. Der reißt seinerseits die Augen auf, als hätte sein König ihm befohlen, seinen Kopf in den Rachen eines Jaguars zu schieben. Er schluckt sichtlich, ehe er sich verneigt und wieder davoneilt, dem rot und blau bemalten Palast am anderen Ende des Platzes entgegen.

König Pazinque wendet sich erneut unserem Herrn zu. »Das Schicksal meines Volkes liegt in Eurer Hand, bärtiger Fremder«, sagt er. »Ich geleite Euch nun zum Palast der königlichen Gäste, der normalerweise hochrangigen Abgesandten aus Tenochtitlan vorbehalten ist. Dort werden Euch meine Diener Eure Gemächer zeigen und außerdem den Käfig, in dem wir Eurem Wunsch entsprechend …«

Er unterbricht sich und macht eine matte Handbewegung, woraufhin der Sklave mit dem Fächer seine Bemühungen verdoppelt. »… in dem wir Montezumas Tributeintreiber einsperren werden«, vollendet König Pazinque und sendet seinen Worten einen tiefen Seufzer hinterher.

- 2 -

Am Abend ist mein Bauch so vollgestopft mit fremdartigen Köstlichkeiten, dass ich mich kaum noch bewegen kann. Wir sitzen und liegen auf Fellen und Flechtmatten in dem geräumigen Innenhof des »Palasts für königliche Gäste«, und König Pazinque hat wirklich keinerlei Mühen gescheut, um unsere Gaumen und Kehlen zu verwöhnen.

Auf Cortés’ Befehl hin haben Alvarado und Sandoval Wachen an sämtlichen Eingängen unserer Unterkunft aufgestellt. Außerdem haben sie die beiden Kanonen in den Toren postiert, die vom Tempelplatz zum Innenhof und in den parkartigen Garten hinter dem Wohnbereich führen. Nachdem uns die Indianer bisher fast immer feindselig oder zumindest argwöhnisch begegnet sind, kommt auch mir die Gastfreundlichkeit des Totonaken-Königs fast schon verdächtig vor. Aber seine Beweggründe liegen auf der Hand: Er würde alles tun, um Cortés als Verbündeten gegen Montezuma zu gewinnen.

»Tenochtitlan liegt auf einer Insel im Texcoco-See«, so erklärt uns König Pazinque, während er eifrig an einem Fasanschenkel nagt. »Montezuma hat zwei treue Verbündete: Tlacopan an der Westseite und Texcoco am Ostufer des großen Sees. Zusammen bilden sie den mächtigen Dreibund, wenngleich Tenochtitlan allein weitaus mächtiger als die beiden anderen zusammen ist. Weiter im Osten, jenseits der feuerspeienden Berge, liegt das einzige Königreich, das sich diesem Dreibund niemals unterworfen hat: Tlaxcala, das Land der kriegerischen Tlaxcalteken.«

Marina übersetzt, und ich spüre, wie aufmerksam Cortés jedes einzelne Wort in sich aufnimmt. Währenddessen tragen Pazinques Diener unaufhörlich Platten und Schüsseln, Krüge und Schalen mit Braten und Pasteten, Ananas und Orangen, Kakao und Fruchtsäften herbei. Wir alle schlagen uns die Mägen voll, auch Cortés lässt es sich schmecken. Doch in Gedanken ist er nicht bei dem Fasanenbraten, den gerade ein Diener vor ihm aufschneidet – das verrät mir sein abwesender Blick, auch wenn seine Miene wie beinahe immer ausdruckslos ist.

»Erzählt mir mehr von diesem störrischen Reich jenseits der feuerspeienden Berge!«, fordert er König Pazinque auf.

»Unzählige Male«, so erklärt daraufhin der Totonaken-Herrscher, »ist der Dreibund mit den Azteken an der Spitze schon gegen Tlaxcala in den Krieg gezogen, doch jedes Mal wurden sie zurückgeworfen. Also müsst Ihr auch noch das unbeugsame Tlaxcala als Verbündeten gewinnen, bleicher Gesandter eines gewiss ebenso fahlhäutigen Gottes! Unser Dreibund – mit Euch, Herr, Euren vierbeinigen Rittern und todbringenden Donnerrohren an der Spitze – wäre stark genug, um selbst das Millionenheer der Azteken in die Flucht zu schlagen.«

König Pazinque richtet sich zu halbwegs sitzender Haltung auf. Obwohl mittlerweile zwei Sklaven damit beschäftigt sind, ihm Kühlung zuzufächeln, perlt ihm der Schweiß in großen Tropfen über die Wangen und die vier übereinandergelagerten Wülste unter seinem Kinn. Doch so lächerlich der fette Totonaken-Herrscher auch aussehen mag, sein Plan scheint wohldurchdacht zu sein.

»Geht nach Tlaxcala, bärtiger Herr!«, so beschließt er seine Rede. »Und macht die Tlaxcalteken zu Euren und meinen Verbündeten – dann wird der Thron von Tenochtitlan bald schon Euch gehören.«

Cortés und Alvarado tauschen Blicke. »Der Thron und das Gold«, murmelt der »Durchtriebene«.

Unser Herr hebt seinen Becher mit flüssiger Schokolade, die mit rotem Pfeffer gewürzt ist. »Ich danke Euch von Herzen, König Pazinque«, sagt er, »für Eure Gastfreundschaft, Euer Vertrauen und Eure offenen Worte. Ihr habt vollkommen recht: Mein König Karl hat mich über das weite Meer hierhergesandt, damit ich die Völker dieses Landes vom zweifachen Joch der Tyrannenund Teufelsherrschaft befreie. Ich werde über Euren Vorschlag sorgsam nachdenken, doch nun gestattet, dass wir uns in unsere Schlafgemächer zurückziehen.«

Er erhebt sich unvermittelt, und so bleibt auch allen anderen nichts übrig, als sich gleichfalls aufzurappeln. Nur Pazinque verharrt inmitten unzähliger Polster, Felle und Matten mehr liegend als sitzend – doch er ist schließlich der König.

»Montezumas Tributeintreiber habt Ihr doch in jenem Käfig eingesperrt, wie wir es besprochen hatten?«, erkundigt sich Cortés noch.

Der Totonaken-Herrscher nickt. »Ihr werdet bald herausfinden, Herr, dass es auf der ganzen Welt keinen treueren Verbündeten als König Pazinque gibt. Was ich einmal versprochen habe, das halte ich auch – und wenn Montezuma persönlich mir deshalb das Herz herauszureißen droht!«

Er macht seinen Trägern ein herrisches Zeichen und sie umfassen die acht Tragegriffe seiner Sänfte und heben ihn mitsamt seinem Gehäuse in die Höhe. »Ich wünsche Euch köstliche Traumvisionen, Herr«, sagt er, während ihn die schnaufenden Träger an Cortés vorbei zum Palasttor schleppen. »Habe ich schon erwähnt, dass der Thronsaal in Tenochtitlan fast vollständig vergoldet ist? Wände und Decken und natürlich der Thron selbst. Ich war nur ein einziges Mal dort, bei der feierlichen Inthronisierung des jetzigen Montezuma. Aber ich werde den Anblick niemals vergessen!«

Der Totonaken-Herrscher bringt noch das Kunststück fertig, im Liegen eine Verbeugung anzudeuten und gleichzeitig bewundernd die Augen zu verdrehen – dann ist er mitsamt Sänfte und Trägern davongeschwankt, und sein zahlreiches Gefolge schlurft und trappelt hinter ihm her.

Alvarado klopft dem »Dröhnenden« auf die Schulter. »Jetzt fang nur nicht wieder an, auf die teuflischen Wilden zu schimpfen, Alonso!«, sagt er in scherzhaftem Ton. »Dieser fette Indianerkönig ist ungemein listig und verschlagen – in Spanien hätte er es glatt zum Bischof bringen können!«

Portocarreros ziegelrotes Gesicht läuft blauviolett an. »Und trotzdem ist es nur ein stinkender Oberwilder!«, wütet er. »Was willst du, du Haufen Teufelsdreck?«, fährt er einen jungen Diener an, der sich vor Cortés tief verneigt.

Der Diener murmelt etwas auf Nahuatl, ohne seine unterwürfige Haltung aufzugeben.

»Er fragt, ob er für die edlen Herren ein Bad und die Schwitzkammer vorbereiten soll«, übersetzt Marina.

»Ein Bad?«, schreit Portocarrero. »Und noch mehr schwitzen sollen wir? Verschwinde, du Küchenschabe, sonst ersäufe ich dich in meinem Schweiß!«

Der junge Diener schaut Portocarrero entgeistert an.

»Beruhige dich, Alonso!«, sagt Sandoval. »Ich jedenfalls nehme das Angebot gerne an – sag ihm das, Marina!«

Cortés’ Lippen kräuseln sich zu jenem Lächeln, das nur einen Augenblick später wieder erlischt. »Schick ihn weg«, befiehlt er Marina. »Und alle anderen Diener auch. Bei dem, was wir jetzt vorhaben, können wir keine Augenzeugen gebrauchen.«

- 3 -

Die Wohn- und Schlafgemächer für »königliche Gäste« befinden sich im hinteren Teil des Palasts. Cortés hat für sich selbst, seine Vertrauten, Dolmetscher und Pagen das gesamte Erdgeschoss mit Beschlag belegt. Der Palast ist so geräumig, dass er Schlafgelegenheiten für alle unsere Männer bietet. Nur die kubanischen Sklaven müssen im Innenhof nächtigen, doch auch dort schützt ein Baldachin aus Pflanzenfasern die Schläfer vor Regengüssen.

Von den Zimmern im Erdgeschoss führen Türen hinaus in den Garten – wohl hauptsächlich deshalb hat sich Cortés für diese Gemächer entschieden. »Pedro, Alonso«, sagt er zu seinen beiden anderen Vertrauten, »ihr wisst, was ihr zu tun habt. Aber wartet das vereinbarte Zeichen ab!« Dann befiehlt er Sandoval, Marina und mir, Fackeln anzuzünden und ihm in den nachtdunklen Park hinaus zu folgen.

Dumpfes Gemurmel weist uns den Weg. Hinter einer Hecke verborgen steht ein Käfig aus armdicken Bambusrohren, in dem normalerweise vielleicht Affen oder andere große Tiere gehalten werden. Der Käfig erhebt sich über einer Grube mit senkrechten Wänden, die tief in die Erde hinunterführen. Selbst ein ausgewachsener Mann, der auf den Schultern eines zweiten stünde und seine Arme so weit als möglich nach oben streckte, könnte den Rand der Grube oder gar das Käfiggitter darüber nicht einmal mit den Fingerspitzen berühren.

Dort unten stehen wenigstens fünfzehn Indianer eng zusammengedrängt und blinzeln mit zurückgelegten Köpfen zu uns herauf. Die fünf Tributeintreiber sind unschwer an ihrem Federschmuck und den kostbaren Umhängen zu erkennen, auch wenn ihre Bekleidung reichlich zerdrückt und verschmutzt ist. In empörtem Tonfall beginnen sie, auf uns einzuschreien, offenbar ohne zu erkennen, wen sie da vor – oder, besser gesagt, über – sich haben.

»Ihr Elenden!«, schreien sie. »Wie könnt ihr es wagen, uns in diesen Affenkäfig zu sperren? Ihr werdet bei lebendigem Leib im Kohlebecken geröstet werden, bevor man euch das Herz aus der Brust reißt! Die Haut wird man euch vom Kopf und von der Brust abziehen! Der barmherzige Trunk, der das Schmerzempfinden lähmt, wird euch verwehrt werden! Für jede Schmach, die wir erdulden müssen, werdet ihr tausendfach leiden!«

Marina übersetzt ihr Gezeter, bis Cortés eine Hand hebt. »Frag sie, wer sie sind und wer sie in diesen Käfig gesperrt hat. Aber sag ihnen, sie sollen leise sein, sonst können wir nichts für sie tun.«

Nun erst scheint den Gefangenen klar zu werden, wen sie vor sich haben. Sie wechseln bestürzte Blicke, in ihren Gesichtern spiegelt sich ungläubiges Erstaunen.

»Wir sind Tributeintreiber aus Tenochtitlan«, sagt einer von ihnen mit folgsam gedämpfter Stimme. »Der Totonaken-Herrscher ließ uns ergreifen und in diesen Kerker werfen – niemals wurden die Gesetze der Götter und der Menschen ruchloser verletzt!«

»Wenn das so ist«, antwortet Cortés, »dann will ich euch sogleich befreien. Aber seid leise – und macht rasch!«

Er gibt Sandoval ein Zeichen und der »Tollkühne« öffnet den Käfig. Er löst ein Stück aus der Gitterwand heraus und schiebt es in die Grube hinab. Wie auf einer Leiter klettern zwei der federgeschmückten Tributeintreiber hinauf.

»Schneller!«, drängt Cortés. »Ich höre Schritte!« Er stößt einen Fluch aus – und mir wird klar, dass dies das Zeichen für Portocarrero und Alvarado sein muss.

Gerade als der dritte Tributeintreiber eine vergoldete Sandale auf das Gitter setzen will, nähern sich vom Innenhof des Palastes her tatsächlich laute Schritte.

»Zurück!«, ruft Sandoval. »Die Wächter kommen!«

Er reißt das Gitter in die Höhe und setzt es wieder in die Käfigwand ein. Die drei Tributeintreiber unten in der Grube stöhnen wie aus einer Kehle auf.

»Los jetzt!«, befiehlt Cortés. »Diese beiden nehmen wir mit.«

Er ergreift einen von ihnen beim Handgelenk und zieht ihn hinter sich her. Sandoval verfährt mit dem zweiten genauso. Im Laufschritt eilen wir ins Haus zurück. Drinnen bittet Cortés die beiden Azteken, ihm in seine Gemächer zu folgen, und bietet ihnen bequeme Sitzplätze an.

»Ich bin ein Bewunderer eures Königs«, versichert er. »Ich wusste nichts von dieser ruchlosen Tat des Totonaken-Herrschers, sonst hätte ich euch schon früher befreit. Aber erklärt mir doch bitte – was glaubt ihr, warum König Pazinque euch so schlecht behandelt hat?«

Die beiden Tributeintreiber wechseln erneut Blicke. »Der Große Montezuma hat uns ausgesandt, damit wir den Totonaken eine zusätzliche Tributlast auferlegen«, erklärt schließlich einer von ihnen. »Als verdiente Strafe, weil ihr Herrscher es gewagt hat, unseren König zu schmähen! Dabei übt Montezuma gerade den Totonaken gegenüber so viel Rücksicht und Milde wie ein Vater gegenüber seinem schwächsten und kränklichsten Kind! Doch diese unverschämte Beschwerde hat auch seinen Zorn erregt.«

»Und wie lautet die Strafe«, fragt Cortés, »die der Große Montezuma den Totonaken auferlegt hat?«

Der zweite Tributeintreiber wirft sich in die Brust. »Sie sollen uns, zusätzlich zu den Baumwollstoffen und den anderen Dingen, jährlich zehn halbwüchsige Mädchen und ebenso viele Knaben überlassen, die in Tenochtitlan zu Ehren von Huitzilopochtli geopfert werden.«

Das Herz zieht sich mir vor Entsetzen zusammen, als Marina diese Worte übersetzt hat. Auch Carlita neben mir zuckt zusammen und ihre Finger krampfen sich schmerzhaft in meinen Unterarm.

Doch Cortés schaut so ausdruckslos wie beinahe stets. »Eilt auf dem kürzesten Weg zurück nach Tenochtitlan«, weist er die beiden Azteken an, »und hütet euch vor den Totonaken! Dem Großen Montezuma aber berichtet, dass ich, Hernán Cortés, der Statthalter des allmächtigen Gottes und des Königs von Spanien, euch die Freiheit geschenkt habe. Und jetzt geht!«

- 4 -

Carlita und ich liegen eng umschlungen auf einem weich gepolsterten Lager. Ihre Haut ist goldfarben wie die der Liebesgöttin Xochiquetal. Sie lächelt mich an und von ihren Lippen, ihren Augen, ihrem Lächeln geht ein goldener Glanz aus. Jetzt hat auch mich das Goldfieber erwischt!, denke ich und ein Grinsen zieht meinen Mund in die Breite. Wenn es sich so köstlich anfühlt, sage ich mir, will ich vom Goldfieber nie mehr geheilt werden.

Sachte drücke ich meine Lippen auf Carlitas goldenen Hals. Ich bin eben dabei, meinen Mund weiter abwärtswandern zu lassen – da erschallen aufgeregte Rufe und wütende Schreie unmittelbar neben uns!

Was hat das zu bedeuten? Ich fahre auf und schaue mich um: Ich bin ganz allein in einem geräumigen Gemach. Durch die Fenster flutet das Sonnenlicht herein. Also war alles nur ein Traum? Vor Enttäuschung stöhne ich auf.

Jetzt fällt mir auch wieder ein, wo ich mich hier eigentlich befinde – und was es mit dem Geschrei da draußen höchstwahrscheinlich auf sich hat. Wir sind in Cempoallan, und bestimmt haben die Palastwächter von König Pazinque herausgefunden, dass zwei von ihren Gefangenen fehlen.

Ich rappele mich auf, ordne meine Gewänder und mein Haar und trete auf den Flur hinaus. Gegenüber liegt Cortés’ Wohngemach und durch die weit offen stehende Tür kann ich sehen, wer sich alles dort drinnen befindet. Unser Herr und Marina, außerdem Alvarado und Sandoval. Ihnen gegenüber, umgeben von Dienern und Wächtern, thront König Pazinque auf einem extra großen Sessel, der gestern noch nicht in Cortés’ Gemach gestanden hat.

Bestimmt haben seine Diener dieses Möbelstück mitgebracht, sage ich mir und nicke Diego zu. Er steht in strammer Haltung neben Cortés’ Tür, wie ein Wächter oder Eilbote, der auf Befehle wartet. Als Diego sieht, dass ich mich auf das Gemach unseres Herrn zu bewege, reißt er die Augen auf und schüttelt den Kopf. Aber ich lasse mich nicht abhalten und trete gerade über die Türschwelle, als König Pazinque ausruft:

»Ich ersäufe sie alle wie tollwütige Hunde!«

Marina übersetzt und dabei sieht sie wie immer nur Cortés an. Ihre düstere Schönheit erstaunt, ja erschreckt mich jedes Mal aufs Neue. Marina hat eine vorspringende Stirn, die durch ihre kräftigen, pechschwarzen Augenbrauen noch betont wird. Ihre Augen lodern wie glühende Kohlestücke, ihr Mund ist groß im Verhältnis zu Kinn und Nase, die Lippen sind stark geschwungen und glänzen, so als würde sie unaufhörlich mit der Zunge darüberfahren.

»Überlasst die Azteken mir!«, antwortet Cortés. »Ich werde sie auf einem meiner Schiffe in Eisen legen lassen, dann fallen sie Euch nicht zur Last. Wie schon gesagt, vom heutigen Tag an seid ihr von jeder Verpflichtung gegenüber Montezuma frei.« Er spricht in jenem fast gleichgültigen Tonfall, den er häufig anschlägt, wenn ihm etwas besonders wichtig ist. »Als Gegenleistung erbitte ich mir nur eines von Euch«, fährt Cortés fort. »Schickt fünftausend erfahrene Handwerker zu der Bucht, an der wir unsere Siedlung errichten werden. Sie sollen uns helfen, unsere Häuser zu erbauen, Wege und Plätze zu befestigen und die Stadt mit einem Festungswall zu umgeben. Wollt Ihr mir diesen Wunsch erfüllen?«

Pazinque nickt so heftig, wie seine Kinnwülste das erlauben. »Ich fühle mich zutiefst geehrt«, versichert er, »dass Ihr die bescheidenen Dienste meines Volkes in Anspruch nehmen wollt. Auf einem Hügel unweit jener Bucht befindet sich eine kleine Totonaken-Stadt namens Quiahuiztlan. Ich schicke sogleich einen Boten zu Häuptling Silberbogen, um ihm die nötigen Anweisungen zu erteilen. Seid unbesorgt, bärtiger Statthalter – alle Eure Befehle sollen augenblicklich erfüllt werden!«

Pazinque verstummt und ringt keuchend um Atem. Er trägt heute ein womöglich noch prächtigeres Gewand als gestern. Es besteht aus einer fast durchscheinend dünnen Lederhaut, die mit unzähligen zitronengelben Federn besetzt ist, keine von ihnen größer als der Nagel meines kleinen Fingers. Die Federn beben im leichten Luftzug und entlang der Säume schimmert es vor Goldund Silberfäden. Aus Gold ist auch die Halskette, die Pazinque unterhalb seiner Kinnwülste trägt. Die Kettenglieder sind wie unregelmäßige Kugeln geformt, und nachdem ich eine Weile darauf gestarrt habe, wird mir klar, was diese Kugeln darstellen sollen. Es sind winzige Nachbildungen menschlicher Totenschädel.

Erst am späteren Vormittag sehe ich Carlita wieder, jedenfalls in Wirklichkeit – in meinen Gedanken und Tagträumen bin ich fast unaufhörlich bei ihr. Geleitet von König Pazinque in seiner zimmergroßen Sänfte, streben wir in endloser Kolonne erneut dem Stadttor von Cempoallan entgegen. Carlita kommt mir unausgeschlafen vor und scheint in düstere Gedanken versunken, doch als ihr Blick auf mich fällt, lässt ein rasches Lächeln ihr Gesicht erstrahlen. Ich mache ihr ein Zeichen, dass sie sich zu mir nach vorne durchwühlen soll. Aber sie schüttelt den Kopf und deutet mit der Schläfe zu dem stämmigen Mann in schwarzer Robe, der neben ihr schreitet. Es ist Fray Bartolomé.

Da erst wird mir klar, weshalb Carlita schlecht geschlafen hat. Nicht wegen des Lärms, den wir mit den Gefangenen veranstaltet haben, sondern wegen Xochiquetal! Der schreckliche Vorfall, den sie irgendwann vor Jahren erlebt haben muss, verfolgt sie bis in ihre Träume. Wieder empfinde ich Reue, weil ich dazu beigetragen habe, dass ihre schmerzlichen Erinnerungen wieder lebendig geworden sind. Aber gleichzeitig spüre ich in mir einen Stachel. Warum vertraut sich Carlita nicht mir an – sondern Fray Bartolomé?

So tief bin ich wieder einmal in Grübeleien versunken, dass ich meinen Vordermann beinahe umrenne, als unser Zug plötzlich stehen bleibt. Ich schaue um mich – soeben erklimmt Cortés die Stufen der größten Pyramide, vor der die Totenschädel auf ihrem Gerüst in der Sonne dörren. Hinter unserem Herrn steigen Alvarado, Portocarrero und Sandoval die blutverkrusteten Stufen hinauf, gefolgt von Marina, Aguilar und dem heuschreckenartig staksenden Notar Gutierrez.

Nachdem sie rund ein Dutzend Stufen erklommen haben, macht Cortés ein Zeichen und der Notar klappt mit säuerlicher Miene das Requerimiento auf. »Im Namen Gottes, Unseres himmlischen Herrn, und Seines Stellvertreters auf Erden, des Heiligen Vaters Papst Leo X.«, beginnt er herunterzuleiern, »erklären Wir, König Karl I. von Spanien, hiermit, dass ihr, die natürlichen Einwohner dieses Totonaken-Landes, sei dieses nun auf einer Insel oder auf dem Festland gelegen, nach himmlischem Ratschluss allesamt Unsere Vasallen seid und Uns für alle Zeiten Tribut und Gehorsam schuldet

Marina übersetzt und der Tätowierte steht stumm und nutzlos neben ihr. Gerade will der Notar mit dem nächsten Abschnitt des endlos langen Dokuments beginnen, da macht ihm Cortés ein Zeichen.

»Hebt als Erstes zehntausend eurer besten und kampferfahrensten Krieger aus«, sagt er im gleichen leiernden Tonfall wie Gutierrez, »und haltet sie in Bereitschaft, bis Wir euch durch Unseren Statthalter Hernán Cortés anweisen, eure Krieger unter der Führung des besagten Statthalters in die Schlacht zu führen.«

Marina übersetzt. Auf ein weiteres Zeichen von Cortés hin steckt Gutierrez seine Nase noch tiefer in den Lederfolianten und haspelt die restlichen Abschnitte des Requerimiento herunter.

Dann endlich marschieren wir weiter, alle dreihundertfünfzig Männer und ihre Pagen, gefolgt von unseren Kanonen- und Armbrust- und Gewehrschützen, den in Eisen gelegten Gefangenen und unseren kubanischen Sklaven. Doch schon nach wenigen Schritten stockt unser Zug erneut.

In einem Anbau der großen Pyramide hat Portocarrero hinter einer Gittertür ein halbes Dutzend junger Indianer entdeckt. Sie sind nur mit einem Lendenschurz bekleidet und auf ihrer linken Brustseite tragen sie ein blutrotes Zeichen.

»Die sind für Opferungen vorgesehen!«, brüllt der »Dröhnende«. »Diese blutgierigen Wilden – siehst du das, Hernán? Die Teufelspriester haben schon eingezeichnet, wo sie das Messer ansetzen werden! Ratsch und ratsch – so schneiden sie die Brust auf, um den Burschen das Herz herauszureißen!«

Er rüttelt wütend an dem Gitter, hinter dem die ausersehenen Opfer eingesperrt sind. Aus großen Augen starren sie teilnahmslos zu uns hinaus. Von allen Seiten kommen Wächter angerannt, mit erhobenen Speeren und jenen furchterregenden Knüppeln bewaffnet, die an den Seiten mit schwarzen Steinsplittern gezähnt sind. Einige unserer Männer ziehen ihre Schwerter aus den Futteralen. König Pazinque keucht Befehle hervor und sein riesiger Rundschädel verschwindet hinter einem Dickicht wedelnder Fächer.

Doch nur ein paar Herzschläge später hat sich die ganze Aufregung wieder gelegt. »Lass sie, Alonso!«, weist Cortés den »Dröhnenden« an. »Ich verstehe deine Empörung. Aber ich schwöre dir und jedem von euch bei allem, was mir heilig ist: Wir werden die Indianer zu unserem Herrgott, Seinem Sohn Jesus Christus und der Gottesmutter Maria bekehren, sobald die Zeit dafür gekommen ist. Vorher aber müssen wir den obersten Teufelspriester von seinem Thron in Tenochtitlan stürzen.«

Er wendet sich an Marina. »Das übersetzt du nicht.«

- 5 -

Mehr als zwei Monate sind seitdem vergangen und in dieser Zeitspanne vermochte ich unserem Herrn kaum etwas Erwähnenswertes zu berichten. Unweit der Totonaken-Siedlung Quiahuiztlan entsteht die Stadt Vera Cruz. Die Bucht, die Montejo und Morla bei ihrer Erkundungsfahrt gefunden haben, ist für die Errichtung einer festen Stadt wirklich ideal geeignet – aber um das zu erkennen, braucht mich Cortés gewiss nicht. Der natürliche Hafen bietet unserer kleinen Flotte Schutz, und er ist groß genug, um drei- oder sogar fünfmal so viele Schiffe aufzunehmen.

Unter der Anleitung von Jesus Mendoza, den anderen Zimmerern und Schiffshandwerkern errichten die Totonaken Hütte um Hütte und Holzhaus um Holzhaus. Schnurgerade verlaufende Straßen zerteilen die Stadt in regelmäßige Quadrate, ähnlich Schachfeldern. An den Längsseiten des Marktplatzes von Vera Cruz sollen die Kirche Unserer Lieben Frau und das Rathaus entstehen, das gleichzeitig als Magazin für Lebensmittelvorräte und Waren aller Art dienen wird. Noch ist von diesen beiden Gebäuden nicht sehr viel mehr als die Fundamente zu sehen, aber man erkennt bereits, dass dort einmal Bauwerke von beeindruckender Größe in den Himmel emporragen werden.

Diego und ich eilen von früh bis spät auf der weiträumigen Baustelle umher, richten Befehle und Botschaften von Cortés aus und überbringen ihm Antworten und Lageberichte. Unser Herr lässt keinen Tag vergehen, ohne Montejo und Morla lauthals zu rühmen, weil sie diesen herrlichen Fleck gefunden haben. Dennoch kommen mir die beiden Velazquez-Getreuen immer unzufriedener vor, je stattlicher sich unsere Stadt entwickelt. Sie haben diesen Ort zwar ausgewählt, aber nicht für Cortés, sondern für eine spätere Mission unter der Führung von Gouverneur Velazquez. Obwohl sie beide zu Ratsherren von Vera Cruz gewählt worden sind, haben sie sich noch immer nicht damit abgefunden, dass sich unsere Expedition während ihrer Abwesenheit in eine Stadt verwandelt hat. Sie lauern auf eine Gelegenheit, um das Ruder herumzureißen und doch noch unsere Rückkehr nach Kuba zu erzwingen. Ich kann ihre Unzufriedenheit unschwer von ihren Gesichtern ablesen, aber auch dafür braucht mich Cortés nicht.

Er wartet auf meinen Bericht über das Geheimnis, das Carlita tief in ihrem Herzen verschlossen hat. Doch seit jenem Tag, als Sturmbezwinger unserem Herrn das goldene Götzenbild überreichte, hat Carlita nie mehr über die Göttin Xochiquetal mit mir gesprochen. Wann immer ich sie danach frage, wechselt sie das Thema oder gibt vor, dass sie irgendetwas Dringendes erledigen müsse. Vor einer Woche fragte ich sie rundheraus: »Warst du früher eine Xochiquetal-Priesterin, Carlita? Und wurden deine Schwestern und Gefährtinnen deshalb durch einen Teufelszauber getötet: weil sie irgendwelche Zeremonien aus alten Zeiten wieder einführen wollten, als eure Göttin noch groß und mächtig war?«

Nie mehr werde ich vergessen, wie Carlita mich ansah, als ich sie das fragte. So schmerzlich, so verstört, so sehr von Entsetzen erfüllt, dass ich mir schwor, diesen Punkt von mir aus nicht mehr zu berühren. Obwohl ich natürlich spüre, dass Cortés’ Geduld zur Neige geht. Doch ihm bleibt gleichfalls nichts anderes übrig, als auf den Moment zu warten, an dem Carlita von sich aus ihr Schweigen bricht. Auch Fray Bartolomé hat sie sich bisher nicht anvertraut, so wenig wie Marina. Damals, als ich jenen Stachel der Eifersucht in meinem Innern spürte, hat sie den Priester lediglich gefragt, wieso wir eine Frau, die einen Gott geboren hat, nicht zumindest als Halbgöttin verehren. Doch als Fray Bartolomé sie seinerseits wegen der Götzin Xochiquetal ausfragen wollte, da wich sie ihm genauso aus wie mir. Wenn Carlita überhaupt jemals mit irgendwem über jene düsteren Ereignisse sprechen wird, dann einzig und allein mit mir. Da bin ich mir mittlerweile ganz sicher und Cortés sieht es offenbar genauso.

Mittlerweile schreiben wir den 13. Juli. Am späten Nachmittag melden Häuptling Silberbogens Späher, dass von Nordwesten her eine Delegation aus Tenochtitlan naht. Cortés befiehlt, zwei geräumige Holzhäuser für Montezumas Gesandte herzurichten. Die Gebäude sind gerade erst fertig geworden, in den Zimmern riecht es nach Holz, Kalktünche und Leim. Auf dem Marktplatz wird ein großer Baldachin aufgespannt und der Lehmboden darunter mit Flechtmatten ausgelegt.

In letzter Zeit kam mir unser Herr oftmals angespannt vor. Nun wird mir klar, dass er auf genau diesen Moment seit Wochen gewartet hat. Heute wird eine Entscheidung fallen, das spüre ich klar und deutlich. Entweder laden ihn die Abgesandten feierlich nach Tenochtitlan ein – oder Cortés wird einen Vorwand finden, um gegen Montezumas erklärten Willen ins »goldene Herz« des Aztekenreichs zu marschieren.

Die aztekische Gesandtschaft besteht aus fünf Männern mittleren Alters, die geradezu lächerlich prachtvoll gekleidet sind. Jeder von ihnen sitzt in einer kostbar verzierten Sänfte, die von vier muskelstarrenden Kriegern getragen wird. Weitere fünfzig Krieger, mit Speeren, zackenbewehrten Knüppeln, Pfeil und Bogen bewaffnet, marschieren hinter ihnen her.

In einem der Gesandten erkenne ich Cuitlalpitoc wieder, der uns an Ostern zusammen mit dem Tributeintreiber Teudile aufgesucht hat. Unter seinem hirschledernen Umhang, der mit verschlungenen Mustern verziert ist, trägt er diesmal so viele Goldund Silberketten, dass er sich kaum aufrecht halten kann.

Er hält eine ausschweifende Begrüßungsrede. Als er damit fertig ist, heißt Cortés die Gesandtschaft ebenso wortreich willkommen. Mittlerweile sitzen wir im Kreis unter dem Baldachin, und Cuitlalpitoc gibt sich ersichtlich Mühe, unbeeindruckt zu wirken. Doch der Anblick unserer halb fertigen Stadt macht ihm und den anderen Delegierten offenkundig zu schaffen. Bisher konnten sie noch hoffen, dass wir bald wieder über das Meer davonsegeln würden. Davon kann nun keine Rede mehr sein.

»Der Große Montezuma hatte Euch gebeten, Herr«, erklärt Cuitlalpitoc, »in dem Hüttendorf auszuharren, das wir weiter unten an der Küste eigens für Euch errichten ließen. Er war sehr erzürnt, als er erfuhr, dass Ihr es vorzogt, Euch von dem nichtswürdigen Totonaken-Herrscher Pazinque einladen zu lassen.«

Cuitlalpitoc legt eine Pause ein und schaut Cortés bedeutungsvoll an. Doch unser Herr starrt nur ausdruckslos durch ihn hindurch. So bleibt dem Gesandten nichts anderes übrig, als sich zu räuspern und weiterzusprechen.

»Als aber dann die Nachricht nach Tenochtitlan gelangt ist, dass Ihr zwei unserer Tributeintreiber aus der Gewalt des todgeweihten Pazinque befreit habt, da hat der Große Montezuma verkündet, dass er Euch verzeiht. Er betrachtet Euch als seinen Freund, Herr, und er ist sehr gerne bereit, Euch in seinem Palast zu empfangen, falls das noch immer Euer Wunsch ist.«

Marina beginnt zu übersetzen, dann plötzlich stockt sie und schaut Hilfe suchend zu Aguilar hinüber. Doch ehe sich der Tätowierte besonnen hat, mischt sich Carlita ein. »Todgeweiht«, sagt sie halblaut. »Er sagt, König Pazinque muss sterben.«

Ein Zittern überläuft sie. Alle starren Carlita an, doch nur einen Moment lang, dann übersetzt Marina weiter und alle wenden sich wieder ihr zu. Bis auf einen der Abgesandten Montezumas, einen stämmigen Mann von vielleicht vierzig Jahren – er schaut noch einige Augenblicke lang zu Carlita hinüber. Dazu runzelt er die Stirn, als ob sie ihm von irgendwoher bekannt vorkäme und er sich nur nicht besinnen könnte, woher. Carlita aber sitzt wie erstarrt zu meiner Rechten und ihre Finger krampfen sich in meine Hand.

»Das ist allerdings mein Wunsch«, sagt Cortés unterdessen, »und es freut mich sehr, dass der Große Montezuma nun bereit ist, mich zu empfangen. Ich nehme an, Ihr seid gekommen, um mich und mein Gefolge unverzüglich nach Tenochtitlan zu geleiten?«

Cuitlalpitoc und die anderen Gesandten wechseln erschrockene Blicke. »Ganz im Gegenteil!«, bricht es aus einem von ihnen heraus. »Der Große Montezuma hat uns angewiesen, Euch Folgendes auszurichten: Er sehnt den Tag herbei, an dem er seinen bärtigen Freund in seinem Thronsaal willkommen heißen kann. Doch wann dieser Tag kommen wird, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Der Große Montezuma ist krank und daher bis auf Weiteres nicht imstande, derart hochgestellte Besucher zu empfangen.«

»Was jedoch keineswegs bedeutet«, lässt sich der dritte Gesandte vernehmen, »dass er zu geschwächt wäre, um Verhandlungen zu führen und, falls nötig, auch Kriege.«

»Oho!«, ruft Portocarrero aus. »Dieser Dreckskerl droht uns!«

Cortés schüttelt den Kopf. »Wie kommst du denn darauf, Bürgermeister?«, gibt er zurück. »Du hast es doch selbst gehört: Er lädt uns ein!«

Er wendet sich an Cuitlalpitoc. »Richte Montezuma aus«, sagt er, »dass es mich überaus freut, den mächtigsten König dieses Landes zum Freund gewonnen zu haben. Als Zeichen meiner Dankbarkeit werde ich dir auch die restlichen Männer übergeben, die Pazinque in seiner Stadt eingesperrt hatte. Ich habe sie befreit und wollte sie dem Großen Montezuma eigentlich persönlich überbringen. Aber da er krank ist, werde ich mich selbstverständlich noch ein wenig gedulden.« Er beugt sich vor und sieht Cuitlalpitoc erwartungsvoll an. »Wie lang wird es dauern, bis er ganz genesen ist? Eine Woche – oder vielleicht sogar zwei?«

Der Gesandte krümmt und windet sich, dass seine Gold- und Silberketten klirren. »Länger, bestimmt sehr viel länger, Herr!«, stößt er hervor. »Aus diesem Grund hat er uns auch befohlen, Euch den goldenen Helm zurückzuerstatten, den er Euch so viel lieber persönlich vor dem Stadttor von Tenochtitlan überreicht hätte. Da Ihr an jener Krankheit der Herzen leidet, sollt Ihr nicht länger auf die Medizin warten müssen, von der Ihr Euch Linderung Eurer Schmerzen erhofft.«

Er macht eine gebieterische Geste. Einer seiner Krieger tritt vor und überreicht ihm ein bauchiges Gefäß, in dem ich unseren vergoldeten Helm mit den Rostlöchern wiedererkenne. Nur ist der Helm jetzt so auf Hochglanz poliert, dass er beinahe wie eine zweite Sonne funkelt. Vor allem aber ist er bis zum Rand mit Goldstaub gefüllt.

Unser Herr nimmt das kostbare Geschenk scheinbar ungerührt entgegen. Doch seine Augen weisen wieder jenen verräterischen Glanz auf, und seine Hände zittern sogar ein wenig, als er den Helm an Sandoval weiterreicht.

»Bestelle Montezuma auch für diese Gabe meinen Dank«, sagt Cortés. »Sie wird ihre heilsame Wirkung auf unsere Herzen gewiss nicht verfehlen. Sie wird uns sogar so sehr kräftigen, dass wir schon in wenigen Tagen aufbrechen können. Wenn der Große Montezuma dann in einer oder zwei Wochen so weit wiederhergestellt ist, dass er mich empfangen kann, werde ich mit meinem Gefolge bereits ganz in seiner Nähe sein.«

Cuitlalpitoc und die anderen Gesandten wechseln bestürzte Blicke, doch Cortés gibt vor, nichts davon zu bemerken.

»Und noch eines bestelle deinem König«, fügt er hinzu und sieht sein Gegenüber durchbohrend an. »Da Montezuma seine Bereitschaft erklärt hat, mich in seinem Palast zu empfangen, so hat er nun offenkundig auch erkannt, wer ich bin und mit welchen Zeremonien er mich willkommen heißen muss, um die himmlischen Mächte nicht zu erzürnen.«

Nach diesen Worten werden die Gesandten allesamt so blass, wie das bei Menschen ihrer Hautfarbe möglich ist. Doch Cortés geht auch darüber mit einem Lächeln hinweg.

»Morgen früh, wenn ihr zum Aufbruch bereit seid«, erklärt er leichthin, »werdet ihr die Männer, die ich aus Pazinques Gewalt befreit habe, marschfertig hier auf dem Marktplatz vorfinden. Und nun wollt ihr euch gewiss in die Gemächer zurückziehen, in denen wir alles für eure Bequemlichkeit vorbereitet haben.«

- 6 -

Die Ratsherren von Vera Cruz versammeln sich auf dem Marktplatz. Eine Woche ist vergangen, seit wir die aztekischen Gesandten hier empfangen haben – eine Woche, in der sich Cortés fast unaufhörlich mit seinen Vertrauten beraten hat. Diego und ich mussten unzählige Male zum Hafen laufen, um einem der Kapitäne eine Botschaft von Cortés zu überbringen, oder im Gewirr der Baustellen nach einem unserer Männer suchen, mit denen sich unser Herr dringend besprechen wollte. Nun aber ist die Stunde der Entscheidung gekommen. Eine fast unerträgliche Spannung liegt in der Luft, und obwohl Cortés so gleichmütig wie fast immer dreinschaut, spüre ich, dass auch seine Nerven zum Äußersten angespannt sind.

»Ich habe diese Versammlung einberufen«, erklärt Bürgermeister Portocarrero, »damit wir einen städtischen Gesandten ernennen. Er soll im Auftrag von Villa Rica de la Vera Cruz nach Tenochtitlan reisen und dort mit König Montezuma einen Vertrag über die künftigen Beziehungen zwischen unseren Städten aushandeln. Ich schlage vor, dass wir den Obersten Richter und Kommandanten unserer Verteidigungsstreitkräfte mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe betrauen – Don Hernán Cortés!«

Niemals vorher hat Portocarrero so viele Sätze hintereinander gesprochen, ohne auch nur einen einzigen Fluch oder eine winzige Verwünschung einzuflechten. »Wer für diesen Vorschlag ist«, fährt er mit ernster Miene fort, »der hebe nun seine Hand!«

Drei Dutzend Ratsherren lassen ihre Hände emporschnellen. »Hoch lebe Don Hernán!«, schreien sie. »Kapitän-General Cortés, geht dorthin und durchbohrt mit Eurem Speer das schwarze Herz des Satans!«

Alle schreien und johlen durcheinander – die Ratsherren, doch ebenso die anderen Männer, die einen weiten Kreis um die Versammlung herum gebildet haben.

»Wer dagegen ist«, ruft der »Dröhnende« aus, »der erkläre sich jetzt!«

Morla und Montejo wechseln einen raschen Blick. Dann heben sie beide ihre rechte Hand.

»Auch wenn ihr so schlau wart, die Expedition in eine Stadt zu verwandeln«, schreit der Neffe von Gouverneur Velazquez, »was ihr vorhabt, ist und bleibt Hochverrat!« Morlas sonst so rotbackiges Gesicht ist grau wie Asche. »In Wahrheit soll Cortés keinen Vertrag aushandeln, sondern Krieg gegen die Azteken führen! Alles Gold, das Montezuma gehortet hat, wollt ihr an euch reißen – Gold, das der spanischen Krone und Gouverneur Velazquez gehört, dem einzig rechtmäßigen Statthalter unseres Königs!« Er schüttelt seine Fäuste in Cortés’ und Portocarreros Richtung.

Der »Dröhnende« berät sich murmelnd mit Alvarado. »Damit ist unser Vorschlag mit sechsunddreißig zu zwei Stimmen angenommen«, erklärt er. »Don Hernán Cortés, Oberster Richter und Kapitän-General unserer Verteidigungsstreitkräfte – Ihr wurdet von dieser Ratsversammlung soeben zum offiziellen Gesandten von Vera Cruz gewählt. Stellt eine Delegation und einige Garnisonen zu Eurer Sicherheit zusammen und begebt Euch unverzüglich nach Tenochtitlan. Dort sollt Ihr mit dem Aztekenherrscher Montezuma aushandeln, wie …«

Weiter kommt er nicht. Gerade als er »wie« ruft, knallen an sämtlichen Ecken des Marktplatzes gleichzeitig Schüsse. Rund fünfzig Männer, mit Gewehren und Armbrüsten bewaffnet, rücken von allen Seiten auf die Ratsversammlung vor. Es sind allesamt Gefolgsleute von Gouverneur Velazquez – dieselben Männer, die seit Monaten unsere Rückkehr nach Kuba fordern und die von Cortés überlistet wurden, als er sie mit Morla und Montejo auf jene Erkundungsfahrt schickte. Ich erkenne den Steuermann Cermeno, einige weitere Seeleute und den jungen Escobar, der noch im Frühjahr einer von Velazquez’ Pagen war. Auch einige Hauptleute gehören der Verschwörung an – Diego de Ordas und Velazquez de Leon. Mit gezückten Schwertern nähern sie sich der Ratsversammlung, und Cermeno schreit: »Schluss jetzt mit der lächerlichen Komödie! Das hier ist eine Expedition und keine Stadt! Wir verlangen die sofortige Rückkehr nach Kuba!«

Beim Krachen der Schüsse ist auch mir der Schreck in die Glieder gefahren. Doch während Cermeno den Ratsherren die Forderungen der Aufrührer entgegenschleudert, beginnt sich mein Herzschlag schon wieder zu beruhigen. Unser Herr nickt Sandoval zu, und der »Tollkühne« gibt einigen seiner Männer, die ringsherum in der Menge postiert sind, ein Zeichen. Im nächsten Moment stürmen sie zu Hunderten von allen Seiten gleichzeitig los. Sie stürzen sich auf die Verschwörer, reißen sie zu Boden, schlagen ihnen die Waffen aus den Händen. Schwerter klirren, abermals schreit alles durcheinander, und erneut fallen zwei oder drei Schüsse. Doch nur ein paar hastige Atemzüge später ist der ungleiche Kampf auch schon wieder vorbei.

»Legt sie in Eisen!«, befiehlt Portocarrero. »Die Rädelsführer werden wegen Verschwörung und Hochverrats angeklagt!«

Cortés starrt Morla und Montejo durchbohrend an. »Auf diese Verbrechen steht nach spanischem Recht der Tod durch den Strang. Ich werde die Rädelsführer ausfindig machen und dafür sorgen, dass sie ihrer gerechten Strafe nicht entgehen. So wahr mir Gott helfe!«

- 7 -

Am 27. Juli im 1519. Jahr des Herrn legen die Scharfrichter von Vera Cruz den beiden zum Tode Verurteilten die Schlinge um den Hals. Jesus Mendoza hat die Galgen am Rand des Marktplatzes errichtet, auf halber Strecke zwischen Kirche und Rathaus. Trotz der frühen Morgenstunde haben sich wiederum Hunderte unserer Männer versammelt, um dem makabren Schauspiel beizuwohnen.

Die Verurteilten stehen auf rasch zusammengezimmerten Schemeln. Auf ein Zeichen von Cortés hin versetzen die Scharfrichter den Schemeln einen Tritt. Die Stränge straffen sich, die Körper der Gehenkten sacken ein geringes Stück abwärts, während sich die Schlingen um ihre Hälse ruckartig zuziehen. Den Älteren der beiden überläuft ein Zittern, dann sinkt sein Kopf zur Seite und seine Augen werden starr. Dem anderen aber bleibt die Gnade eines raschen Todes versagt. Minutenlang kämpft er gegen das Ersticken an. Er röchelt und windet sich, seine hinter dem Rücken gefesselten Arme zucken. Stumm starren wir alle zu ihm hinauf, bis endlich auch ihn jenes letzte Beben überläuft.

Fray Bartolomé hebt seine gefalteten Hände zum Himmel. »Barmherziger Gott«, ruft er aus, »diese beiden Männer haben schwere Sünden auf sich geladen! Dennoch bitten wir Dich: Lass auch sie am Jüngsten Tag in die Seligkeit eingehen, nachdem sie mit furchtbaren Höllenqualen für ihre Verbrechen gebüßt haben. Amen!«

»Amen!«, wiederholen wir alle im Chor.

Anschließend hält Cortés eine kleine Rede. Die Rädelsführer der Verschwörung, so erklärt er, hätten ihre gerechte Strafe gefunden, und alle Vergehen, zu denen sie ihre Gefolgsleute aufgestachelt hätten, seien damit gleichfalls abgegolten.

Die Menge bekundet ihre Zustimmung. Unsere Männer stampfen auf den Boden, klatschen in die Hände und stoßen Jubelrufe aus. Montejo und Morla stehen ganz in meiner Nähe. Sie tauschen einen Blick, dann heben auch sie ihre Hände und beginnen zu applaudieren.

An den Galgen schaukeln die Leichen von Steuermann Cermeno und Escobar, Velazquez’ einstigem Pagen. Und in den Gesichtern der eigentlichen Rädelsführer, deren Leben unser Herr geschont hat, malen sich Dankbarkeit und die Überreste einer Angst, die sie beide bestimmt nie mehr vergessen werden.

Ehe die Menge an diesem Morgen auseinandergeht, hält auch Alvarado noch eine kurze Ansprache. »Was Cermeno und Escobar erzwingen wollten, konnte so oder so nicht gelingen«, verkündet er. »Acht unserer elf Schiffe sind in der Bucht auf Grund gelaufen, nachdem die Schiffsrümpfe von Bohrwürmern durchlöchert worden sind.«

Ein Raunen geht durch die Menge. Die Männer werfen einander Blicke zu, und ihre Gesichter verraten mir, dass sie Alvarado keinen Glauben schenken. Doch dort oben baumeln die Leichen der Gehenkten und so behalten die Männer ihren Argwohn für sich. Ich könnte ihnen berichten, dass unsere Kapitäne gestern Abend ihre Schiffe eigenhändig auf Grund gesetzt haben, weil Cortés es ihnen so befohlen hat. Aber ich habe mich, ebenso wie die Kapitäne, zum Schweigen verpflichtet, und so höre ich nur stumm und scheinbar gleichmütig an, was Alvarado weiter verkündet.

»Sämtliche hölzernen Ausrüstungsgegenstände, von den Masten über die Kajütaufbauten bis hin zu Tischen und Altären«, fährt er fort, »werden unverzüglich abgebaut, in die Stadt geschafft und hier für unsere Häuser verwendet. Unser Oberster Heerführer wird währenddessen alle nötigen Vorbereitungen für unseren Marsch nach Tenochtitlan treffen.«

Er schaut zu Cortés hinüber und unser Herr starrt in seiner üblichen Art ausdruckslos ins Leere. »Göttliche Vorsehung«, sagt er, »hat uns bis hierher geführt, und durch göttliche Fügung bleibt uns nun keine andere Wahl mehr. Wir werden dieses Land erobern und für Gott und den König von Spanien gewinnen – oder wir werden bei diesem Versuch sterben.«

Die Männer bekunden erneut ihre Zustimmung, zuerst zaghaft, dann mit Getrampel und Geschrei. »Hoch lebe Don Hernán!«, rufen sie wieder. »Unser Kapitän-General, der uns alle zu reichen Männern machen wird! Er lebe hoch!«

Gerade will auch ich wieder Beifall klatschen, da klammert sich eine schmale kühle Hand um meine Rechte.

»Geht nicht nach Tenochtitlan!«, ruft mir Carlita zu. Ihre Augen sind weit aufgerissen, ihr Gesicht ist vor Angst verzerrt. »Ihr werdet dort weder Glück noch Reichtum finden, sondern einen schrecklichen Tod! Sage das deinem Herrn, Orteguilla – du musst ihn warnen! Er soll seinen Plan ändern – noch ist es nicht zu spät!«

Ich lächle Carlita an und mir ist gleichzeitig nach Lachen und Weinen zumute, nach Angstschreien und Jubelrufen. Ich bin so glücklich wie noch nie, so verängstigt wie noch nie, so mutlos und wagemutig. Ich ziehe Carlita an mich, ich bringe meinen Mund ganz nah an ihr Ohr und rufe: »Doch, Carlita, es ist zu spät – morgen beim ersten Tageslicht brechen wir auf nach Tenochtitlan!«