VIERTES KAPITEL
Ein Gewand aus roten Vogelfedern

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Die Zauberer tragen zottige graue Haare und knöchellange Gewänder, gleichfalls grau wie Spinnweb. Sie sind hager und hohlwangig und ihre Augen haben einen düsteren Glanz. Es sind sechs oder sieben, aber vielleicht auch noch ein paar mehr. Man kann sie nicht auseinanderhalten, und während sie sich in unserem Lager aufhielten, liefen sie unablässig umher, jeder für sich, mal murmelnd, dann wieder schreiend. Sogar Diego hat zugegeben, dass ihm die Zauberer unheimlich sind.

Jetzt ist es tiefe Nacht – die Nacht nach Ostermontag – und die Zauberer haben unser Lager wieder verlassen. Bei Sonnenuntergang war der Himmel noch wolkenlos klar, doch kaum war die Dunkelheit hereingebrochen, da erhob sich der Sturm, der seither um unser Lager heult. Seit Stunden, seit einer Ewigkeit. Tiere fauchen und winseln, Nachtvögel schreien. Grausiger als alles andere aber sind die Seufzer und das Stöhnen, wie aus Dutzenden Kehlen, da draußen in der Nacht.

»Ihr Oberhäuptling Montezuma muss die Zauberer hergeschickt haben – damit wir abhauen!«, ruft mir Diego zu. »Hast du gehört, was Fray Bartolomé vorhin gesagt hat?«

Ich schüttele den Kopf, doch das kann Diego im Dunkeln nicht sehen. »Nein, habe ich nicht!«, schreie ich gegen das Heulen und Stöhnen an.

Carapitzli und ihre Freundin Malinali, geht es mir durch den Kopf, liegen jetzt bestimmt genauso nebeneinander in ihren Hängematten wie Diego und ich. Ihre Hütte ist nur ein paar Dutzend Schritte von uns entfernt – und was würde ich darum geben, wenn ich in dieser Nacht mit Carapitzli eine Hütte teilen könnte! Aber das geht leider überhaupt nicht – auch wenn mir Cortés das Indianermädchen als meine persönliche »Sklavin« zugewiesen hat. Oder gerade deshalb.

»Auf der ganzen Welt«, sagt Diego, »kann es kein zweites Volk geben, das dem Satan so sehr verfallen ist wie die Indianer in diesem gottverlassenen Land!« Seine Stimme klingt schrill und zittrig. »So hat es der Pater ausgedrückt«, fährt er fort, »und da konnte er noch nicht einmal wissen, was ihre Zauberer in dieser Nacht anrichten würden!«

Heulend streicht der Wind um unsere Rundhütte. Er rüttelt an den Wänden, dass die nebeneinander in die Erde gepflockten Äste ächzen. Und dazu ertönt unaufhörlich, grässlicher als alles andere, dieses Seufzen und Wimmern und Stöhnen – als hätten die Zauberer alle Toten aus den Gräbern aufgescheucht und in unser Lager geschickt, um uns zu Tode zu ängstigen.

»Versuchen wir zu schlafen«, sage ich zu Diego. »Morgen früh ist der Spuk bestimmt wieder vorbei. Gute Nacht!«

Am Knarren seiner Hängematte höre ich, wie er sich auf die Seite dreht. Kurz darauf seufzt und murmelt er schon im Traum.

Ich beneide ihn um seinen unbekümmerten Schlaf, aber nur ein wenig. Seit ein paar Tagen gehe ich vor dem Einschlafen immer erst noch die wichtigsten Ereignisse durch, über die ich am nächsten Morgen Bericht erstatten werde. Kaum waren wir nämlich an der Küste vor Potonchan wieder in See gestochen, da rief mich unser Herr zu sich und befahl mir, ihm fortan wenigstens einmal pro Woche einen schriftlichen Bericht zu übergeben. Darin soll ich alles aufführen, was mir bemerkenswert erscheint.

Dieser Auftrag schmeichelt mir sehr, doch beinahe noch mehr beunruhigt er mich. Cortés glaubt wirklich, dass ich die Gabe besitze, die Herzen zu ergründen. Aber ich fühle, dass er mich nicht nur deshalb beauftragt hat, ihm regelmäßig Bericht zu erstatten.

Unser Herr ahnt, dass ich ihn in Potonchan verraten habe. Darüber kann ich niemals nachdenken, ohne dass mir ganz elend zumute wird vor Gewissensbissen und Angst. Cortés spürt, dass ich ihn zum Goldschatz von Potonchan hätte führen können. Und wahrscheinlich ahnt er sogar, dass jener »Schlüssel zum Goldschatz« niemand anderes als Carapitzli ist.

Warum sonst hätte er sie gerade mir als »persönliche Sklavin« zugewiesen – und nicht einem seiner Konquistadoren? Aus Zartgefühl gegenüber dem Mädchen hat er gewiss nicht so gehandelt – hinter jeder seiner Taten steckt ein genau berechneter Plan. Und was Carapitzli und mein neues Amt als Chronist der Ereignisse angeht, so spüre ich nur allzu klar, wie dieser Plan aussieht: Wenn Cortés meine Berichte liest und wenn sein Blick, wie so oft in den letzten Tagen, auf Carapitzli und mir ruht, so will er auf diesen Wegen zugleich mein Herz ergründen – meinen Verrat und die mysteriöse Rolle, die das Indianermädchen dabei spielt.

Carapitzli – oder Carlita, wie ich sie still für mich nenne. Ich schließe die Augen und sehe sie sogleich wieder vor mir. Ihre schlanke Gestalt, ihre dunklen, großen Augen. Ihr stilles, stets ein wenig schwermütig wirkendes Lächeln, das so selten erstrahlt und mich jedes Mal umso mehr verzaubert.

Kann man sich in jemanden verlieben, mit dem man kaum ein Dutzend Worte zu wechseln vermag? Oh ja, das kann man – jedenfalls dann, wenn man Orteguilla de Villafuerte heißt.

Ein schauriges Stöhnen, unmittelbar vor unserer Hütte, schreckt mich aus meiner Träumerei auf. Ich öffne meine Augen – draußen zucken Blitze durch die Nacht. Ich kann sie durch die Ritzen in der Hüttenwand und durch die rissige, auf einen Holzrahmen gespannte Lederhaut sehen, die uns als Eingangstür dient. Die Blitze sind rot und blau und weiß und sie zerfetzen die Dunkelheit wie gleißende Sicheln. Auch die Schreie der Nachtvögel sind jetzt viel lauter und näher. Es klingt, als würden Scharen riesenhafter Nachtjäger über unserem Lager kreisen. Gigantische Eulen. Kolossale Uhus. Währenddessen schleichen und schlurfen die Toten – oder bösen Geister, oder was sie sein mögen – schon durch die Gassen unseres Hüttendorfs. Nach der Abendmesse hat Fray Bartolomé jede einzelne Hütte gesegnet und mit Weihwasser besprengt. Auf sein Geheiß hin haben wir alle über unseren Eingangstüren hölzerne Kruzifixe angebracht, und der Pater hat uns versichert, dass kein Zauber, keine teuflische Erscheinung in unsere geweihten Behausungen eindringen kann.

Durch das Heulen und Stöhnen, Krächzen und Winseln dort draußen höre ich nun die kräftige Stimme von Fray Bartolomé. Von allen Priestern, die unsere Expedition begleiten, genießt er das größte Vertrauen unseres Herrn. Er läutet die Glocke, er betet das Vaterunser und in allen Hütten stimmen unsere Männer murmelnd in die Anrufung des allmächtigen Schöpfers ein.

Auch ich bete die vertraute Formel mit, die mir als kleinem Knaben so häufig Trost geschenkt hat. Doch während ich noch mit gefalteten Händen in der tobenden Finsternis liege, schweifen meine Gedanken bereits zu den Ereignissen ab, über die ich morgen früh Bericht erstatten will. Und über einige weitere, die ich auf den für Cortés bestimmten Blättern keinesfalls erwähnen darf.

- 2 -

Nach viertägiger Seefahrt warfen wir an Karfreitag erneut die Anker aus, rund fünfundsiebzig Meilen nordwestlich von Potonchan. Mit zweihundert unserer Männer, darunter dreißig Artilleristen mit drei Kanonen, gingen wir an Land. Zu unserem Erstaunen bereiteten uns die Indianer einen freundlichen, ja überschwänglichen Empfang.

Die Indianer dieser Gegend nennen sich Totonaken. Auch sie leben in steinernen Städten, und eine von ihnen – die Hafenstadt Chalchicueyacan, wie sich bald herausstellte – konnten wir schon vom Meer aus sehen. Ihre Paläste und Pyramiden erheben sich inmitten einer Spirale aus gleichförmigen Bauten und Wällen, die sich wie eine zusammengerollte Schlange um den innersten Bezirk herumwinden.

Kaum hatten wir unsere Boote an Land gezogen, da erschien ein prachtvoll gekleideter Häuptling, begleitet von rund zwanzig weiteren Indianern, die gleichfalls kunstvoll angefertigte Kopfbedeckungen und Umhänge trugen. Er fiel vor unserem Herrn auf die Knie und beugte sich nach vorn, bis sein Mund den Boden berührte.

Cortés wechselte einen Blick mit Alvarado, der zusammen mit Geronimo de Aguilar bei ihm stand. Der Häuptling trug Sandalen, die mit Goldfäden geschnürt waren. Goldene Schmuckstücke hingen ihm an Ketten aus gehämmertem Gold vor der Brust. Kaum weniger üppig war sein Gefolge mit goldenem und silbernem Zierrat geschmückt.

Mit jenem fiebrigen Glitzern in den Augen ging Cortés vor dem Häuptling in die Knie und tat so, als wollte auch er die Erde küssen. Dann erhoben sich beide fast gleichzeitig und das breite Gesicht des Totonaken-Häuptlings strahlte.

Er stieß einen Wortschwall hervor und gestikulierte. Er wirkte begeistert und gerührt, doch als Cortés erwartungsvoll zu Aguilar hinübersah, zuckte der mit den Schultern.

»Er spricht Nahuatl, die Sprache der Mexika-Völker«, sagte der Tätowierte. »So viel vermag ich zu hören, aber ich selbst kann Nahuatl weder sprechen noch verstehen.«

Alvarado durchbohrte ihn mit seinen Blicken, als wäre es Aguilars Schuld, dass er bei den Maya statt bei den Totonaken gestrandet war. Doch unser Herr hatte wie immer alles vorausbedacht.

Er wandte sich um und winkte mich zu sich her. »Lass dich zur Santa Maria zurückbringen, Orteguilla«, sagte er, »und hole Malinali. Außerdem diese Kleine – Carapitzli, du weißt schon«, fügte er hinzu, ganz so, als wäre ihm diese Idee gerade erst gekommen. Doch während er das sagte, ruhte sein forschender Blick auf mir, schwer wie eine Hand.

Ich verneigte mich und rannte so schnell ich konnte zu unseren Booten. Sechs kubanische Sklaven stemmten sich in die Riemen, in rascher Fahrt ging es zurück zu unserem Flaggschiff, das einige Hundert Fuß vor der Küstenlinie liegt. Währenddessen überlegte ich fieberhaft, was Cortés eigentlich vorhatte.

Carapitzli spricht fließend Nahuatl, jedoch nur sehr wenig Chontal. Deshalb konnte ich ja bisher nur ein paar Brocken in der Maya-Sprache mit ihr wechseln. Malinali dagegen, ihre ungefähr zehn Jahre ältere Freundin, beherrscht beide Indianersprachen. Was der Totonaken-Häuptling auf Nahuatl sagen würde, könnte sie also mühelos in Chontal übersetzen – und Aguilar könnte ihre Worte dann für Cortés auf Spanisch wiederholen. Das würde gewiss ein mühseliges Gespräch werden, sagte ich mir, aber letzten Endes würden sich beide Seiten verstehen.

Was jedoch versprach sich Cortés von Carlitas Anwesenheit? Darüber zerbrach ich mir den Kopf, während unser Boot an der Santa Maria längsseits ging. In meinem Innern kämpfte Hoffnung mit Angst. Wenn Cortés sie als Dolmetscherin oder aus irgendwelchen anderen Gründen nützlich fand, dann würde Carlita künftig öfter in meiner Nähe sein. Aber wir würden uns jedes Mal unter Cortés’ wachsamen Augen sehen, und in seinem Blick würde ich immer die stumme Frage lesen: Was ist das für ein Geheimnis zwischen dir und ihr?

Doch diese Frage konnte ich genauso wenig beantworten wie Cortés. Zumindest bis jetzt. Warum hatte Carlita mich damals vor dem Maya-Krieger gerettet und warum hatte sie mir in jener Nacht das Goldversteck gezeigt? Falls ich diese nächtliche Begegnung nicht sowieso nur geträumt hatte – aber das glaubte ich weniger denn je.

An Bord der Santa Maria ließ ich die beiden Indianerinnen herbeirufen. »Ihr mitkommen«, radebrechte ich in meinem kümmerlichen Chontal. »Übersetzen, was Totonaken sagen.« Ich spürte Carlitas Blick auf meinem Gesicht, schaute aber krampfhaft nur Malinali an.

Glücklicherweise hatte sie schon verstanden. »Also los«, sagte sie auf Chontal und zog Carapitzli mit sich zur Reling.

An der Strickleiter kletterten sie beide so behände hinab, dass ich mir dagegen fast unbeholfen vorkam. Die Sklaven stießen die Ruder ins Wasser. Carlita lächelte mich an, und mir wurde erst heiß, dann so kalt, dass meine Zähne gegeneinander klapperten.

»Eure Herzen sind verbunden«, sagte Malinali auf Chontal zu Carlita und mir. Sie lächelte nicht. Mit ernster Feierlichkeit sah sie uns abwechselnd an, und wir erwiderten ihren Blick und wagten oder schafften es nicht, einander anzusehen.

Malinali ist von düsterer Schönheit, eine hochgewachsene, kräftige junge Frau, deren Willensstärke sich in jeder ihrer Bewegungen verrät. Cortés hatte sie zuerst Portocarrero als »persönliche Sklavin« zugeteilt, doch kaum hatten wir die Bucht bei Potonchan hinter uns gelassen, da änderte er seine Meinung. Das war, nachdem er vielleicht eine halbe Stunde lang mit ihr gesprochen hatte. Mithilfe von Aguilar fragte er sie über ihre Herkunft aus und die Klugheit ihrer Antworten beeindruckte ihn offenbar sehr. Ihre Klugheit und ihr Stolz, ihre königliche Anmut und gewiss auch ihre Schönheit.

Malinalis Vater war der Herrscher einer kleinen Aztekenstadt namens Painala gewesen und ihre Mutter hatte ein in der Nähe gelegenes Dorf regiert. Nach dem Tod des Vaters hatte ihre Mutter jedoch einen anderen Herrscher aus der Gegend geheiratet und mit ihm einen Sohn gezeugt. Dieser Sohn sollte eines Tages die Herrschaft über alle drei Fürstentümer erhalten. Da Malinali diesem Plan im Weg stand, verschacherte ihre Mutter sie kurzerhand an fahrende Kaufleute. Die junge Malinali wurde noch mehrere Male weiterverkauft und landete schließlich als Sklavin bei den Maya von Potonchan.

Cortés hörte ihr mit seinem üblichen starren Gesichtsausdruck zu, aber ich spürte, wie sehr er von ihr gebannt war. Sie war eine Sklavin, doch sie dachte und urteilte so frei wie eine Fürstin.

Nachdem sie fertig erzählt hatte, starrten die beiden einander mindestens eine Minute lang schweigend an. »Alonso, ich verspreche dir, dass du bei der nächsten Gelegenheit angemessen entschädigt wirst«, sagte Cortés schließlich und schlug dem »Dröhnenden« auf die Schulter. »Aber diese Sklavin Malinali gehört mir.«

Dagegen konnte Portocarrero nichts sagen – Cortés hatte seinem Freund sowieso schon mehrfach großzügig unter die Arme gegriffen. Als der »Dröhnende« in Kuba nicht genug Geld aufbringen konnte, um sich ein Schwert und ein Pferd für die Expedition zu kaufen, da hatte sich Cortés zwei goldene Troddeln von seinem Umhang abgeschnitten und sie Portocarrero in die Hand gedrückt. Wenig später war der »Dröhnende« zur Hazienda zurückgekehrt, fluchend und polternd wie immer. Aber diesmal hatte er den prächtigen Rappen verflucht, den er von Cortés’ Gold erhandelt hatte.

Am Abend nach jenem Gespräch jedenfalls quartierte sich Malinali auf der Santa Maria in die zweite winzige Kammer vor Cortés’ Kajüte ein, nur durch eine dünne Holzwand von mir und Diego getrennt. Und mit ihr zog Carapitzli dort drüben ein.

- 3 -

Der Totonaken-Häuptling heißt »Sturmbezwinger« – so zumindest stellte er sich Malinali auf Nahuatl vor, so übersetzte sie seinen Namen in Chontal und Aguilar ihn schließlich ins Spanische.

Sturmbezwinger beteuerte seine Freude über die Ankunft der bärtigen Fremden. »Wir haben Ruhmeslieder von Eurem glanzvollen Sieg über Potonchan gehört«, erklärte er. »Auch von Eurem brennenden Durst auf die Tränen des Sonnengottes, der Euch hierhergeführt hat, wurde uns erzählt.«

Cortés fuhr sich mit der flachen Hand über sein Gesicht, als spürte er selbst jenes fiebrige Glitzern in seinen Augen und wollte es vor Sturmbezwinger verbergen. »Ich bin Hernán Cortés, Statthalter des allmächtigen Gottes und des Königs von Spanien«, sprach er mit ruhiger Stimme. »Er hat mich hierhergesandt, um dein Volk für unseren Glauben und für die spanische Krone zu gewinnen und damit ich ihm nach meiner Rückkehr Bericht erstatten kann.«

Bei dem Wort »Bericht« schweifte Cortés’ Blick wieder ganz kurz zu mir herüber, doch vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.

»Wir sind in friedlicher Absicht gekommen«, fügte er hinzu, nachdem erst Aguilar und schließlich Malinali seine Worte übersetzt hatten. »Schwört euren Teufelsgötzen ab, nehmt den einzig wahren Glauben an den allmächtigen Gott an und leistet zudem meinem König Karl den Vasalleneid, so soll euch kein Leid geschehen.«

Er legte eine kurze Pause ein, hob jedoch seine Hand, ehe Aguilar anfangen konnte zu übersetzen. »Und bringt mir Gold«, fügte er hinzu. »Wir benötigen es, um den Schmerz in unseren Herzen zu lindern. Also öffnet eure Schatzkammer, bringt alles Gold herbei und überlasst es uns in gerechtem Tausch.«

Diesmal täuschte ich mich gewiss nicht: Als Cortés »Schatzkammer« sagte, durchbohrte er mich mit seinem Blick – und mir wurde elend zumute.

»Wir sind mit Freuden bereit, Euch von unserem Gold zu geben«, antwortete Sturmbezwinger, »und wir sind im Voraus überzeugt, dass wir im Tausch dafür nützliche und schöne Dinge aus Eurem Land erhalten werden. Doch alles, was wir selbst an Gold besitzen, stammt aus dem Texcoco-Tal im Norden. Der Herrscher der Azteken, der mächtige Montezuma, hat unser Land in blutigen Kriegen unterworfen und presst uns alljährliche Tributleistungen ab, die wir trotz größter Anstrengungen immer weniger erbringen können. Alles, was wir in unserer verzweifelten Lage entbehren können, soll Euch gehören.«

Mit einer schwungvollen Armbewegung, die seinen Umhang emporflattern ließ, wies Sturmbezwinger hinter sich. Auf dem ebenen Platz oberhalb des Strandes waren unterdessen zahlreiche Totonaken aufmarschiert. Sie hatten Bündel und Körbe voller Geschenke mitgebracht und auf einer Unterlage aus Palmwedeln alles in einem großen Halbkreis ausgebreitet. Bohnen und Tortillas, gebratenen Truthahn und Fisch, alles so köstlich gewürzt, dass mir das Wasser im Mund zusammenlief.

Das konnte ich allerdings auch gut gebrauchen, denn während Cortés mit Sturmbezwinger sprach, flog sein Blick immer wieder einmal zu Carapitzli und mir herüber. Mein Mund wurde dann schlagartig trocken und meine Kehle zog sich zusammen wie bei einem Krampf. Vielleicht ging es dem Tätowierten nicht viel anders, wenn sich mein Blick zufällig mit dem seinen kreuzte: Dann überlief ihn ein fast unmerkliches Zittern und er schaute rasch wieder weg – ganz so, als ob ihm mittlerweile wieder eingefallen wäre, was er mir damals am Teufelstempel erzählt hatte. Wie er in jenem Maya-Dorf wirklich gelebt hatte – nicht als Gefangener, sondern als Schwiegersohn des Häuptlings Aak-ek.

Jedenfalls waren wir eine seltsame Versammlung von Blicke-Zuwerfern. Ich selbst starrte Carapitzli unaufhörlich an, allerdings hinter halb gesenkten Lidern, damit Cortés nichts davon mitbekam. Und Malinali? Während sie einen Nahuatl-Wortschwall nach dem anderen von Sturmbezwinger übersetzte, sah sie keine Sekunde lang Aguilar an. Ihre Blicke hafteten auf Cortés, und es waren Blicke von so heißer Glut, dass es sogar unserem Herrn schwerfallen musste, so ausdruckslos wie gewöhnlich dreinzuschauen.

Cortés bedankte sich für die Geschenke, die Sturmbezwinger für uns mitgebracht hatte. Er gab unseren Männern ein Zeichen, und nun erst kamen sie von den Booten herbeigestapft und mischten sich oben auf dem ebenen Platz unter die Totonaken. Neben den Nahrungsmitteln hatten die Indianer auch Gewänder und Schmuckstücke herbeigeschafft – mit Stickereien verzierte Umhänge, Teller aus Silber und Kupfer, Broschen und Ringe aus Grünstein und Jade.

»Eines lasst Euch noch gesagt sein, bärtiger Statthalter Eures gewiss ebenso bärtigen Gottes«, wandte sich Sturmbezwinger erneut an unseren Herrn. Mit einem Mal wirkte er beunruhigt, ja verzagt. »Jubelnd vor Freude werden wir Eurem König den Vasalleneid leisten«, fuhr er fort, »heute noch, wenn Ihr es wünscht. Doch der große und grausame Montezuma wird alles daransetzen, uns für diesen Treuebruch zu bestrafen.«

Cortés blickte mit starrer Miene an dem Totonaken-Häuptling vorbei. Für jemanden, der ihn weniger gut kannte als ich, mochte es so aussehen, als würde er um eine Entscheidung ringen. Aber ich war mir sicher, dass er auch diesmal alles vorausbedacht hatte.

»Wenn du mich fragst, Hernán«, schrie Portocarrero plötzlich los, »dieser verlauste Kerl hier bettelt geradezu darum, dass wir ihm helfen, den anderen Oberwilden zu verdreschen – diesen Mord-Zuma oder wie sich der stinkende Bursche nennt!«

Sturmbezwinger sah den »Dröhnenden« halb erschrocken, halb fragend an.

»Halte einmal deinen Mund, Alonso«, sagte Cortés zu Portocarrero. »Du weißt so gut wie ich, dass wir nicht hierhergekommen sind, um Krieg zu führen.«

Portocarrero ballte die Fäuste und schwieg.

»Das übersetzt du natürlich nicht«, wandte sich Cortés an Aguilar. »Erklärt dem Häuptling, dass wir uns durch den freundlichen Empfang geehrt fühlen und dass wir sehr gerne auf sein Angebot eingehen werden. Jeder Totonake, der hierherkommt und uns Gold bringt, soll im Tausch dafür eine gerechte Anzahl von Gegenständen seiner Wahl erhalten – Spiegel und Scheren, bunte Perlen und eiserne Nadeln. Alles andere wird sich finden.«

Aguilar und Malinali übersetzten. Sturmbezwinger hörte sich alles an, doch sein Gesichtsausdruck wurde mit jedem Wort noch etwas besorgter.

»Ihr versteht nicht, Herr Statthalter«, gab er zurück. »Montezuma hält unser Land besetzt! Sein Tributeintreiber Teudile residiert in Cuetlaxtlan, nur einen halben Tagesmarsch von hier. Er hat dort eine Garnison Aztekenkrieger stationiert, und er unterhält ein ganzes Netz aus Spionen – ihm entgeht nichts, was in unseren Städten geschieht!«

Cortés hörte sich auch diese flehentlichen Worte scheinbar ungerührt an. »Schwört den falschen Götzen und Königen ab«, wiederholte er, »und bekennt euch zum allmächtigen Gott und dem allerkatholischsten König von Spanien, so wird euch kein Leid geschehen.«

- 4 -

Alvarado ließ mehrere große Tische von den Schiffen herüberschaffen und auf dem ebenen Platz aufstellen. Er selbst, Sandoval und einige weitere Männer, die Cortés’ Vertrauen besaßen, nahmen hinter den Tischen Platz. Um sie herum hatten unsere kubanischen Sklaven Säcke voller »Klimperkram« aufgestapelt, wie der »Durchtriebene« unsere Tauschgaben nannte – bunte Glasperlen, Handspiegel und Scheren sowie Mützen und Kniebundhosen, Westen und Strümpfe nach spanischer Sitte, jedoch durchweg von bescheidener Qualität.

Selbst die geringsten Krieger aus Sturmbezwingers Gefolgschaft sind besser gekleidet und tragen kostbarere Schmuckstücke als fast jeder unserer Männer. Ganz zu schweigen von dem Gestank nach Schweiß und Dreck, der die meisten Konquistadoren wie eine Wolke umgibt. Trotzdem zogen sie von früh bis spät über die »verlausten Wilden« und »dreckigen Teufelsjünger« her – während ich mich in wachsender Verwirrung fragte, ob sie nicht sehen konnten oder wollten, wie es sich wirklich verhielt. Dass die Indianer über uns die Nase rümpften und dass sie unsere Tauschgaben ganz offensichtlich als das ansahen, was sie tatsächlich waren: minderwertiger Kram.

Doch anders als die Maya in Potonchan tauschten die Totonaken ihre goldenen Statuetten und Teller, Ketten und Armreifen bereitwillig ein. Zu Hunderten kamen sie aus der nahen Hafenstadt und aus den umliegenden Dörfern herbeigeströmt und stellten sich geduldig vor den Tischen an. Von den Gesichtern unserer Männer konnte ich ablesen, wie rasch und unaufhaltsam in ihnen das Goldfieber stieg. Ebenso verrieten mir die Gesichter der Totonaken, dass sie von unseren Tauschgaben wenig angetan waren – und doch wechselten sie ohne Murren ihre Goldschätze gegen wertlose Glasperlen oder fadenscheinige Strümpfe ein.

Wir sahen ihnen dabei zu und irgendwann sagte Malinali mit gedämpfter Stimme etwas auf Chontal. Aguilar schaute sie verwundert an. Erst auf ein Zeichen von Cortés hin begann er, ihre Worte zögernd zu übersetzen. Schließlich war sie nur eine Sklavin, überdies eine »verlauste Wilde« – jedenfalls in den Augen der meisten unserer Männer. Bestimmt zerrissen sie sich hinter Cortés’ Rücken sowieso schon ihre Mäuler, weil er den Dolmetscherdiensten einer Indianerin vertraute. Doch Malinali wollte sich anscheinend nicht mit ihrer Rolle als Übersetzerin begnügen. Ohne irgendwen um Erlaubnis zu fragen, ergriff sie von sich aus das Wort – und Cortés hatte offenbar nichts dagegen!

»Die Totonaken sind voller Zorn und Hass auf die Azteken, Herr«, sagte sie und schaute Cortés erneut mit leidenschaftlich glühenden Augen an. »Sie würden Euch alles geben, was sie entbehren können – wenn Ihr ihnen nur helft, Montezuma zu besiegen!«

Ganz genau wie sie selbst, durchzuckte es mich. Mit traumhafter Sicherheit muss Cortés bei jenem Gespräch ihr Herz ergründet haben. Malinali ist nicht nur stolz und klug – sie ist auch voller Zorn auf ihr eigenes Volk, die Azteken! Auf ihr Land, in dem sie, eine Fürstentochter, von ihrer eigenen Mutter in die Sklaverei verkauft wurde. Und diese Wut, die in ihr kocht, weil sie von ihren eigenen Leuten verraten und verstoßen worden ist – die macht sie zur idealen Verbündeten unseres Herrn! Malinali weiß mehr als viele andere über Bräuche und Denkungsart in ihrer alten Heimat, und sie ist von Herzen gern bereit, dieses Wissen preiszugeben – wenn Cortés es nur dazu nutzt, den Azteken zu schaden.

Diese Gedankenfetzen wirbelten mir durch den Kopf, während Cortés ihr nur einen raschen Blick zuwarf und dann wie gedankenverloren nickte. Ich empfand Stolz auf mich selbst, weil es mir gelungen war, auch dieses Geheimnis zu ergründen – doch dann kam mir ein weiterer Gedanke und mein Atem stockte.

Hat mich Cortés etwa aus dem gleichen oder zumindest aus einem ganz ähnlichen Grund erwählt wie Malinali?, fragte ich mich. Weil er auch in mir jenen Zorn erspürt hat, der mich in dunklen Stunden überkommt – den verzehrend heißen Zorn auf mein Schicksal als Drittgeborener? Auf meinen Bruder Leonel, der nur ein paar Minuten vor mir auf die Welt gekommen ist und mir so den Platz versperrt hat, der eigentlich mir zusteht – mir, mir, einzig und allein mir? Oh mein Gott!, dachte ich und presste die Zähne aufeinander. Ich hatte nie mit ihm darüber gesprochen, ihm niemals anvertraut, wie ich in jenen schwarzen Augenblicken fühlte – und doch erkannte ich jetzt, dass er von Anfang an gerade das in mir erspürt haben musste: die Bereitschaft, mich durch einen ungeheuren Verrat zu rächen.

So grübelte ich vor mich hin, während um uns herum Unmengen Gold gegen minderwertigen Klimperkram eingetauscht wurden. Erst als ich eine Hand an meinem Unterarm spürte, schreckte ich aus meinen Gedanken auf.

Ganz nah vor mir stand Cortés. Er schaute mich nicht an, sondern hatte seinen Oberkörper zur Seite gedreht und sprach mit Sandoval. Von der Seite her spürte ich zudem Carapitzlis Blick auf mir, und einen Moment lang schien es mir, als wäre dies beides zusammen mehr, als ich aushalten könnte. Als ob sie im Begriff wären, mich entzweizureißen und jeder eine Hälfte von mir mit sich davonzutragen.

»Sorgt dafür, dass niemand auf eigene Faust mit den Indianern Handel treibt!«, rief Cortés dem »Tollkühnen« zu.

Sandoval nickte lachend zurück. »Geht klar!«, rief er zurück. »Wer sich nicht daran hält, wird geköpft!«

Er lachte noch lauter. Ich fragte mich, ob er deshalb lachte, weil die Drohung nicht ernst gemeint war – oder im Gegenteil, um ihren tödlichen Ernst ein wenig abzumildern. Doch gleich darauf vergaß ich diesen Gedanken.

»Was ist das eigentlich zwischen dir und dem Indianermädchen, Orteguilla?«, fragte Cortés und sah mich durchbohrend an.

Genau diese Frage hatte ich zuvor schon in seinem Blick gelesen, doch das tröstete mich in diesem Moment überhaupt nicht. Ich empfand Entsetzen, sonst gar nichts. Pure Angst, dass er bis zum Grund meines Herzens geblickt und dort nichts anderes entdeckt hätte als meinen Verrat.

Zaghaft hob ich die Schultern.

»Vielleicht ist es ja Liebe«, fuhr Cortés fort und seine Lippen kräuselten sich zu jenem flüchtigen Lächeln. »Das würde jedenfalls einiges erklären – und es würde manches leichter machen, jedenfalls für den Anfang.«

Sein Lächeln war längst wieder erloschen. Er umfasste meinen Arm noch fester und zog mich ein paar Schritte beiseite. Carapitzli folgte uns mit ihrem Blick, und in meiner Verwirrung kam es mir vor, als ob sie schon wüsste, was Cortés nun zu mir sagen würde.

»Finde heraus, was es mit dem Mädchen auf sich hat!«, befahl mir unser Herr. »Malinali kennt die Kleine schon seit zwei Jahren, aber sie trägt ein Geheimnis mit sich herum, das sie trotz allem Zureden nicht offenbaren will. Sie gibt vor, die Tochter eines einfachen Tuchhändlers aus Texcoco zu sein, einer mit Montezuma verbündeten Stadt oben im Norden. Aber ihr Nahuatl, sagt Malinali, klingt sehr viel eher so, als ob sie in Tenochtitlan aufgewachsen wäre, in der Hauptstadt der Azteken also – und zwar in den höchsten Adelskreisen.«

Cortés ließ meinen Arm unvermittelt los. »Finde es heraus und erstatte mir Bericht«, sagte er.

In meinem Kopf war nichts als ein schreckliches Durcheinander. »Aber ich kann kein Nahuatl«, brachte ich hervor, »und sie spricht kein Wort Spanisch!«

»Dann bring es ihr bei!«, befahl mir unser Herr und ging davon.

- 5 -

Am Ostersamstag kurz nach Sonnenaufgang erschien erneut der Totonaken-Häuptling in unserem Stützpunkt. Wir alle hatten die Nacht auf den Schiffen verbracht und uns gerade erst wieder an Land rudern lassen, als Sturmbezwinger sich vor unserem Herrn auf die Knie warf. Er wirkte noch besorgter als am Vortag, und noch bevor Malinali und Aguilar seine Worte übersetzt hatten, wurde mir klar, was ihn bedrückte. Seine beiden Begleiter waren noch sehr viel prächtiger gekleidet als er selbst. Vor allem aber strahlten sie die tückische Sanftheit wohlgenährter Raubtiere aus. Ich spürte sofort, dass es Abgesandte des »großen und grausamen Montezuma« sein mussten.

Der jüngere der beiden nannte sich Cuitlalpitoc. Er erklärte, dass Montezuma ihn eigens hergeschickt habe, um die edlen Fremden zu begrüßen und reich zu beschenken. Cuitlalpitoc schien mir etwa in Cortés’ Alter sein, Anfang oder Mitte dreißig. Er trug einen prunkvollen Umhang, der mit Vogelfedern besetzt, mit Gold- und Silberfäden durchwirkt war und in allen Farben schillerte. Seine Füße steckten in goldenen Sandalen, deren gleichfalls goldenes Schnürwerk sich bis zu seinen Knien emporwand. Seinen Kopf zierte ein hoch aufgetürmter Federschmuck, und um seinen Hals hingen so viele Gold- und Silberketten, dass er bei jeder Bewegung klirrte. Sein Begleiter war der Tributeintreiber Teudile, von dem Sturmbezwinger am Vortag schon gesprochen hatte, ein vierschrötiger Mann mit flinkem Blick und einem gewaltigen Nasenpflock aus Jade.

»Und wenn sie sich noch so sehr wie Pfauen oder wie Weiber ausstaffieren«, polterte Portocarrero, »für mich sind und bleiben es stinkende Teufelsjünger!«

»Aber sie duften ja«, gab Sandoval mit unbekümmertem Lachen zurück. »Nach Veilchen und Zitrone, Alonso – riechst du das nicht auch?«

Der »Dröhnende« begann, einen weiteren Fluch hervorzustoßen, doch Alvarado gebot ihm zu schweigen. Der »Durchtriebene« wirkte angespannt und das war wahrhaftig kein Wunder.

Mit den beiden Azteken war eine unabsehbar große Gefolgschaft gekommen, zweitausend Männer oder noch ein paar Hundert mehr. Sie strömten auf den Platz über der Küste, an dessen Rand wir bei den Tischen für den Goldhandel standen. Sie luden ihre Bündel an der Stelle ab, die Teudile ihnen angewiesen hatte, und kauerten sich dann stumm auf den Boden. Sie alle trugen die einfachen Gewänder von Dienern oder Sklaven, und soweit ich das erkennen konnte, war niemand von ihnen bewaffnet. Trotzdem überkam auch mich bei ihrem Anblick ein ungutes Gefühl. Dabei hatte ich zu diesem Zeitpunkt die Zauberer noch nicht einmal entdeckt. Wenn schon ein Abgesandter Montezumas mit einem so zahlreichen Gefolge reist, ging es mir durch den Kopf – wie groß muss dann erst die Streitmacht des Aztekenherrschers sein?

Teudile und Cuitlalpitoc überboten einander mit überschwänglichen Lobpreisungen. Sturmbezwinger stand stumm daneben, mit gesenktem Kopf und zusammengepresstem Mund. Die Kunde von Cortés’ ruhmreichem Sieg über Potonchan sei bis nach Tenochtitlan gedrungen, erklärte der Abgesandte aus der Hauptstadt. Der König der bärtigen Fremden, fügte Teudile hinzu, müsse ein Herrscher von großer Macht sein, wenn schon sein Statthalter Cortés das Gebaren eines Gottes an den Tag lege.

»Eines Gottes?«, vergewisserte sich Cortés, nachdem Malinali und Aguilar übersetzt hatten.

Cuitlalpitoc und Teudile wechselten ratlose Blicke. »Erstaunt Euch das, mein Herr?«, fragte der Abgesandte.

Cortés sah ihn nur an.

Teudile räusperte sich umständlich die Kehle frei. »Nun, wie wir hörten«, ließ er sich vernehmen, »habt Ihr Euch dagegen ausgesprochen, Menschenherzen zu opfern – genau wie einst der große Quetzalcoatl!«

Cortés starrte noch ausdrucksloser, falls das überhaupt möglich war. »Und deshalb glaubt ihr, dass ich dieser Gott sei?«

Die beiden Azteken tauschten erneut verwirrte Blicke. Teudile winkte einige Diener herbei, und Cuitlalpitoc sagte: »Wir sind uns noch nicht schlüssig. Was glaubt Ihr, Herr?«

Während Cortés noch vorgab, über diese Frage nachzudenken, näherten sich drei Männer aus dem Gefolge der Azteken. Sie kauerten sich vor unserem Herrn auf den Boden, zogen Blätter und Zeichenstifte unter ihren Gewändern hervor und begannen zu malen. Ich stand zwischen Malinali und Carlita eingezwängt, aber auch ohne mich von der Stelle zu bewegen, konnte ich einem von ihnen über die Schulter sehen. Sein Stift fuhr geschwind über das Blatt aus Pflanzenfasern, das er auf einem kleinen Brett ausgespannt hatte. Er besaß eine äußerst geschickte Hand – obwohl er erst wenige Striche ausgeführt hatte, war Cortés’ charakteristisches Profil bereits klar zu erkennen. Das vorgereckte Kinn, der dünne, wie stets sorgsam gestutzte Bart, die wuchtige Stirn unter dem breitkrempigen Hut. Auch Cortés’ Umhang gab der Zeichner mit größter Genauigkeit wieder – den talarartigen Schnitt, die würfelförmigen Goldtroddeln, die sein Gewand am Kragen, an Ärmeln und Säumen zierten.

»Alles, was geschieht, hat sich in früheren Zeiten schon einmal oder mehrfach zugetragen«, erklärte Teudile. »Dieses kosmische Gesetz ist in Eurem Land gewiss ebenso bekannt wie bei uns.«

»Und aus diesem Grund«, ergriff wiederum der Abgesandte das Wort, »hat mich unser Herrscher, der Große Montezuma, beauftragt, ihm Bericht zu erstatten: Wie Ihr ausseht, wie Eure Gewänder beschaffen sind, welche Vorlieben und Abneigungen Ihr an den Tag legt. So wird er mithilfe seiner Priester und Ratgeber herausfinden, mit welchem Ereignis aus früheren Zeiten Euer Erscheinen übereinstimmt. Und so wird der Große Montezuma schließlich auch erkennen, wie er Euch nach dem Willen der Götter zu begegnen hat. Bis dahin bittet er Euch, sich als seine hochgeschätzten Gäste zu betrachten und hier an der Küste zu verweilen, solange es Euch beliebt. Es soll Euch an keinerlei Bequemlichkeit fehlen.«

Teudile hob eine Hand und schnipste mit den Fingern. Weitere Diener eilten herbei. Sie öffneten die Bündel und Tragekörbe, die sie in der Nähe aufgestapelt hatten, und reichten dem Tributeintreiber, was er durch hervorgefauchte Befehle jeweils verlangte.

Als Erstes übergab er Cortés einen kunstvollen Kopfschmuck aus überwiegend roten Vogelfedern. Unser Herr wollte ihn achtlos an Portocarrero weiterreichen, da berührte Malinali seine Hand mit der ihren.

»Rot«, sagte sie auf Chontal, »die Farbe von Quetzalcoatl, dem gütigen Schöpfergott. Vor langer Zeit wurde er von Tezcatlipoca, dem Gott des Krieges und der Zauberei, gestürzt. Die Seher prophezeien, dass er eines Tages zurückkehren wird.«

Während sie sprach und der Tätowierte ihre Worte ins Spanische übersetzte, schaute Malinali die ganze Zeit über nur Cortés an. Letzte Nacht auf der Santa Maria, ging es mir durch den Kopf, hatte sie zum ersten Mal das Lager mit unserem Herrn geteilt. Durch die Bretterwand, die Diegos und meine Kammer von seiner Kajüte trennt, war wie stets jeder Laut zu hören, nur waren es diesmal ganz andere Laute als sonst. Auch Carapitzli, allein in der Nachbarkammer, war gewiss kein Seufzen und kein Stöhnen entgangen. Während ich das dachte, schaute ich unwillkürlich zu ihr hinüber, und wir beide wurden rot.

Unsere Herzen sind verbunden, Carlita.

Der Tributeintreiber überreichte Cortés weitere kostbare Geschenke. Goldene Figuren und Ketten, goldene Teller und Becher und schließlich eine verzierte und bunt bemalte hölzerne Kiste, die bis zum Rand mit tränenförmigen Goldklumpen gefüllt war.

»Malinali soll Montezuma meine Dankbarkeit und Verehrung versichern«, sagte Cortés zu Aguilar. »Sie soll Wendungen größter Höflichkeit gebrauchen und gleichzeitig jeden Anschein vermeiden, dass diese Gaben mich sonderlich beeindruckt hätten.« Er deutete auf die goldenen Schmuckstücke und Kunstwerke, die um ihn herum auf dem Boden aufgehäuft lagen.

»Aber was genau soll sie ihm sagen?«, fragte Aguilar. »Sie ist nur eine Indianerin, sie wird irgendetwas Falsches anmerken, wenn Ihr nicht …«

»Tu wie befohlen, bunter Mönch!«, schnitt ihm Cortés das Wort ab. Er wandte sich um und winkte Diego herbei, der einige Schritte abseits am Strand stand. »… aus dem Boot, du weißt schon«, war alles, was ich von seinem geflüsterten Befehl verstand.

Diego stob davon und war nur ein paar Atemzüge später zurück. Vor seine Brust gepresst trug er einen Lehnstuhl, der mit einem karmesinroten Sitzpolster versehen war und dessen Armlehnen aufwendige Schnitzereien aufwiesen. Er setzte den Stuhl zwischen Cortés und den beiden Azteken ab. Unter seinem Gewand zog er eine Mütze hervor, die gleichfalls karmesinrot war. Eine schwere Goldmünze hing daran, die den heiligen Georg als Drachentöter darstellte.

Unser Herr nahm die Mütze und legte sie auf den Lehnstuhl. »Das sind meine Geschenke für Euren Herrscher«, sagte er und beobachtete aufmerksam, wie Cuitlalpitoc und Teudile diese Worte aufnahmen. »Trifft es denn zu, was über König Montezuma geredet wird – dass er unermesslich viel Gold besitzt, mehr als jeder andere Herrscher auf der Welt?«

»Oh ja!«, antwortete der Tributeintreiber. »Nahezu jede Träne, die der Sonnengott jemals vergossen hat, befindet sich in Montezumas Obhut.«

Nachdem Malinali und Aguilar diese Worte übersetzt hatten, stieß Portocarrero ein heiseres Röcheln aus. Sandoval atmete hörbar ein, und selbst Alvarado, der sich fast immer vollkommen in der Gewalt hat, überlief ein krampfhaftes Zittern.

Ihrer aller Augen begannen zu glitzern. Der Anblick presste mir das Herz zusammen. Cortés fuhr sich erneut mit der Hand über die Augen, als ob er deren fiebrigen Glanz verbergen wollte.

Er wird dorthin gehen – ins goldene Herz des Aztekenreichs!, schoss es mir durch den Kopf. Nach Tenochtitlan, ob Montezuma ihn einlädt oder nicht und auch wenn er damit gegen die Befehle von Velazquez verstößt. »Ich werde den Thron erklimmen, der für mich bestimmt ist«, hat Cortés einmal, noch auf Kuba, zu seinen Vertrauten gesagt. »Oder ich werde am Galgen enden!«

Währenddessen beugte sich Teudile vor, nahm die Mütze auf und drehte sie hin und her. Sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er diese Kopfbedeckung nicht gerade für ein Meisterwerk hielt, trotz der funkelnden Goldmünze. Doch das war nur die Sichtweise des Tributeintreibers – der Abgesandte Cuitlalpitoc dagegen schaute mit ehrfürchtiger Miene zwischen der Mütze und dem Sessel hin und her.

»Ich werde dem Großen Montezuma Eure Geschenke überbringen«, erklärte er, »und ich bin sicher, dass er sie hocherfreut entgegennehmen wird.«

Wiederum konnte ich leicht erraten, weshalb er sich in diesem Punkt so sicher war. »Rot«, hatte Malinali ja soeben gesagt, »die Farbe von Quetzalcoatl, ihrem Schöpfergott.« Deshalb hatte unser Herr befohlen, gerade diese beiden roten Gegenstände herbeizuholen: damit Cuitlalpitoc in dem Glauben bestärkt würde, den wiedergekehrten Indianergott vor sich zu sehen. Quetzalcoatl, der die Farbe Rot liebte und Menschenopfer verschmähte.

»Ich werde Montezuma in seinem Palast in Tenochtitlan aufsuchen«, antwortete Cortés, »und ich wünsche, dass er auf diesem Stuhl sitzt und diese Mütze trägt, wenn er mich empfängt.«

Seine Worte riefen bei Cuitlalpitoc und Teudile große Bestürzung hervor. »Ihr dürft auf gar keinen Fall nach Tenochtitlan kommen!«, rief der eine aus.

»Jedenfalls nicht, solange der Große Montezuma Euch nicht förmlich eingeladen hat!«, bekräftigte der andere. »Bis dahin seid Ihr hier an diesem Ort sein hochwillkommener Gast. Montezuma hat befohlen, Euch ein Hüttendorf zu errichten. Die Diener, die wir mitgebracht haben, werden sich sogleich an die Arbeit machen.«

Teudile versetzte einem der Zeichner, die zu unseren Füßen kauerten, einen Fußtritt. Er sprang auf und lief zu einer Gruppe kräftig aussehender Männer hinüber.

»Ihr werdet Lebensmittel erhalten, so viel ihr benötigt«, fuhr Cuitlalpitoc in beschwörendem Tonfall fort. »Sämtliche Diener stehen zu Eurer Verfügung, solange Ihr Gäste unseres Herrschers seid. Sie werden für Euch kochen und in jeder Hinsicht für Eure Bequemlichkeit sorgen.«

»Richtet Montezuma auch hierfür meinen Dank aus«, antwortete Cortés. »Und kommt morgen wieder – dann könnt Ihr mit uns die Ostermesse zu Ehren des allmächtigen Gottes feiern. Auch werdet ihr wundersame Dinge zu sehen bekommen, und ich will, dass Ihr Eurem Herrscher von alledem genauestens Bericht erstattet.«

Cuitlalpitoc und Teudile versprachen, alles so auszuführen, wie Cortés es wünschte. Unter vielerlei Verneigungen und Bekundungen der Dankbarkeit und Ehrfurcht zogen sie sich zurück. Drei Diener folgten ihnen, einer mit der Mütze in der Hand, der zweite mit dem Stuhl, der dritte mit den zusammengerollten Zeichenblättern.

Unterdessen schwärmten die Diener, die Teudile uns überlassen hatte, in den nahe gelegenen Wald aus. Sie schnitten Äste ab, kehrten im Laufschritt zurück und errichteten im Handumdrehen Hunderte Rundhütten. Jeder Einzelne der mehr als zweitausend Männer und Frauen schien ganz genau zu wissen, welche Handgriffe er auszuführen hatte. Nur sechs oder sieben von ihnen beteiligten sich an diesen Arbeiten nicht.

In ihren spinnwebgrauen Gewändern rannten sie rastlos auf dem Platz umher. Jeder für sich, unablässig in Bewegung, mit wehenden Gewändern und Haaren. Aus irgendeinem Grund spürte ich sofort, dass es Zauberer waren.

- 6 -

Tags darauf spazierten Diego und ich kreuz und quer im Hüttendorf herum und Carlita wich nicht von unserer Seite. Eigentlich war es andersherum, nur konnte ich das Diego natürlich nicht sagen. So beschwor ich ihn bloß im Stillen, mich endlich mit Carapitzli allein zu lassen, aber er bekam nichts davon mit.

Wir Pagen trugen noch unsere schwarzen Feiertagsgewänder, von der feierlichen Ostermesse, die Cortés eben zusammen mit fünf unserer Patres zelebriert hatte. Die Tische, die sonst dem Goldhandel dienten, waren zusammengeschoben, mit weißen Tüchern verhüllt und so zu einem großen Altar umgewandelt worden. Teudile und Cuitlalpitoc hatten an dem Gottesdienst teilgenommen, außerdem sämtliche zweitausend Diener. »Nimm dieses Bildnis der Muttergottes«, hatte Cortés schließlich zu Cuitlalpitoc gesagt und ihm eine geschnitzte Madonna überreicht, »und überbringe es Montezuma! Er soll es im prächtigsten seiner Tempel aufstellen, es wird ihm Glück bringen. Und wenn ich erst in Tenochtitlan bin, werde ich dort zusammen mit ihm beten.«

Vom Strand her erklangen nun Hufgeklapper und vielstimmiges Wiehern. Die Indianer stießen Rufe des Erstaunens aus und rannten zum Meer hinab – alle zweitausend Mann in gestrecktem Lauf, jedenfalls hörte es sich von hier oben aus so an. Ich hatte am Vorabend schon mitbekommen, was Cortés dort veranstalten wollte, um den Tributeintreiber und den Abgesandten noch stärker zu beeindrucken. Alvarado und Sandoval sollten zwei Reiterscharen in voller Rüstung anführen, die sich am Strand einen Schaukampf lieferten, mit funkelnden Schwertern und unzähligen scheppernden Glöckchen am Zaumzeug der Pferde. Anschließend würden die Artilleristen unsere Geschütze abfeuern und natürlich würden die Indianer wiederum außer sich sein vor Schreck über den Donnerknall. Die Zeichner würden auch dieses Spektakel auf ihren Blättern festhalten und Cuitlalpitoc würde seinem König von den schimmernden Zentauren und den donnernden und blitzenden Geschützen erzählen.

Aber wozu das alles, wozu? Mit dieser Frage quälte ich mich herum und nicht einmal Carlitas Nähe konnte mich richtig aufmuntern. Vor der Messe hatte Cortés nochmals einige Worte mit Teudile und Cuitlalpitoc gewechselt und sich dabei auch nebenher nach der Größe von Montezumas Streitmacht erkundigt.

»Zwölf mal hunderttausend Mann!«, hatte Cuitlalpitoc ohne Zögern erwidert. Selbst Sandoval war ein wenig blass geworden, nachdem Malinali und Aguilar diese ungeheure Zahl übersetzt hatten. Cortés aber war mit seinem stillen Lächeln darüber hinweggegangen, so als wären mehr als eine Million Aztekenkrieger nicht weiter der Rede wert.

»Ich gehe nach unten, mir die Kämpfe ansehen!«, rief Diego. »Ich schätze, du kommst nicht mit, Orte?« Er grinste mich über die Schulter an und rannte schon davon, zum Strand hinab.

Endlich war ich mit Carlita allein. Mit ihr und meinen sorgenvollen Grübeleien, besser gesagt. Unser Herr wird nach Tenochtitlan marschieren, sagte ich mir wieder und wieder, während ich mit Carapitzli weiter auf den sandigen Wegen zwischen den Rundhütten herumspazierte. Von diesem Plan wird sich Cortés durch nichts und niemanden abbringen lassen – nicht von Montezuma und seiner unermesslich großen Kriegerschar und auch nicht von denjenigen unserer Männer, die sich Gouverneur Velazquez verpflichtet fühlen. Denn alles, wovon Cortés jemals geträumt hat, wartet in Tenochtitlan auf ihn. Der mächtigste Thron und der größte Goldschatz der Neuen Welt.

Hatte ich mir nicht gerade so etwas immer gewünscht, fragte ich mich – unsere Expedition als niemals endendes Abenteuer? Und würde es nicht ganz genau so kommen, wenn Cortés sich wirklich zu dem tollkühnen Marsch nach Tenochtitlan entschloss? Vor meinem inneren Auge sah ich unseren Herrn schon auf einem funkelnden Goldthron sitzen. Neben ihm Malinali und beide trugen eine goldene Krone auf dem Kopf. Aber das ist Wahnsinn!, sagte ich mir dann wieder. Wir haben gerade einmal fünfhundertfünfzig Kämpfer – Montezuma aber hat mehr als eine Million! Selbst wenn jeder Konquistador hundert Indianer in offener Schlacht besiegen würde – so hätten die Azteken dennoch nicht einmal den zwanzigsten Teil ihrer Streitmacht verloren! Ganz zu schweigen von der Unterstützung durch den Teufel, die sie erhalten würden, wenn sie es erst einmal geschafft hätten, einen oder mehrere unserer Kämpfer in ihren Götzentempeln zu opfern. Und trotzdem fühlte ich, dass Cortés das ganz und gar Unmögliche wagen würde.

Carlita riss mich aus meinen Grübeleien. »Nahualli«, sagte sie und zeigte zum Waldrand hinter den Hütten.

Ich schaute in die Richtung, in die sie gedeutet hatte, und auf der Stelle war mir klar, was sie meinte. Oder, besser gesagt, wen.

»Nahualli?«, wiederholte ich.

Sie nickte und in ihrem Gesicht kämpfte Besorgnis mit Heiterkeit. Anscheinend hatte ich das Nahuatl-Wort ziemlich seltsam ausgesprochen.

»Zauberer«, sagte ich. »Ja, das glaube ich auch, Carapitzli – diese spinnwebgrauen Männer sind hier, um teuflische Dämonen zu beschwören und einen bösen Zauber über unser Lager zu legen.«

Sie schaute mich aufmerksam an. Ihre Lippen bewegten sich, als spräche sie meine Worte lautlos nach. »Zauberer«, wiederholte sie schließlich – es klang auch ziemlich seltsam, aber mir war überhaupt nicht nach Lachen zumute.

Das lag nur zum Teil an dem Zauberer, der wie eine Vogelscheuche zwischen den Bäumen am Waldrand stand und zu uns herunterstarrte. Mehr noch lag es an Carlitas riesengroßen Augen, die mich anzusaugen schienen – ich konnte nichts anderes mehr machen als sie wie ein Schlafwandler anschauen und hoffen, dass ich nicht wieder in Ohnmacht fallen würde. Wie damals, als wir uns zum ersten Mal gesehen hatten und ich unter dem Knüppel des Kriegers zu Boden gegangen war. Diesmal fühlte ich ein ganz ähnliches Sausen hinter meiner Stirn – als ob ich zu lange unter Wasser geblieben wäre.

»Ihuiyohuia«, sagte sie und machte mir auch gleich vor, was sie meinte. Sie atmete ein und wieder aus, und ich schaute andächtig zu, wie ihre Brust sich hob und wieder senkte.

Dann wurden wir beide wieder einmal gleichzeitig rot. Aber immerhin hatte ich wieder angefangen zu atmen.

»Ichpochtli«, sagte sie und zeigte auf sich selbst.

»Heißt du denn nicht Carapitzli?« Ich riss meine Augen auf.

Sie lachte und nahm mich bei der Hand. Mit ihrer anderen Hand fuhr sie in der Luft die sanften Wölbungen an ihrem Oberkörper nach. »Ichpochtli«, wiederholte sie und mir wurde abermals heiß. Hatte Carapitzli mir gerade erzählt, was »Brüste« auf Nahuatl hieß?

Wir gingen weiter den Weg entlang, auf einen Zauberer zu, der in einer Entfernung von vielleicht fünfzig Schritten einen absonderlichen Tanz aufführte. Er warf seine Beine und Arme in die Luft und schüttelte seinen Kopf mit den langen dünnen Staubfädenhaaren hin und her – es sah aus wie der Todeskampf eines Tarantelskorpions.

»Conetlecatl«, sagte Carapitzli. Sie blieb stehen und fuhr diesmal mir mit ihrer flachen Hand über die Brust. »Conetlecatl«, wiederholte sie und lachte mich an. »Ichpochtli.« Erneut deutete sie auf sich selbst.

Ich tippte mir gegen die Stirn und lachte gleichfalls auf. »Du bist ein Mädchen und ich bin ein Junge!«, sagte ich. »Entschuldige, ich bin nicht der Schnellste. Aber was ich einmal verstanden habe, vergesse ich nie mehr. Du bist eine Ichpochtli und ich bin ein Conetlecatl.«

Sie schaute mich aufmerksam an, während ich das sagte, und ihre Lippen zuckten, als wäre sie kurz davor, laut herauszuprusten. »Mädchen«, sagte sie dann und deutete erneut auf ihre Brust. »Junge.« Sie zog ein grimmiges Gesicht und versetzte mir mit ihrer kleinen braunen Faust einen spielerischen Schlag auf den Brustkorb.

Ich gab ein übertriebenes Japsen von mir, so als ob mir durch ihren Hieb wirklich die Luft weggeblieben wäre. Carlita schaute mich besorgt und reuig an und auf einmal glitt ihre Hand unter mein Gewand und legte sich auf mein heftig pochendes Herz.

»Yollotli«, sagte sie. Ihre kühle kleine Hand auf meinem Herzen zu fühlen war das Beste, was mir in meinem Leben jemals passiert war – jedenfalls kam es mir in diesem Moment so vor.

»Yollotli«, murmelte ich. »Herz.« Ich ermahnte mich zu atmen, denn mir wurde schon wieder schwummrig. Ihuiyohuia. Atmen. »Ich will dich umarmen und küssen, Carlita«, murmelte ich. »Es gibt auf der ganzen Welt nichts, was ich lieber möchte, als dein Herz an meinem zu fühlen und deine Lippen auf meinem Mund.«

Sie verstand alles, was ich sagte, und alles, was ich nicht sagte, auch. Jedenfalls nahm sie ihre Hand von meinem Herzen und strich mir mit zwei Fingern die Lippen entlang. »Camatl«, flüsterte sie und bewegte dabei übertrieben ihre eigenen Lippen.

»Camatl«, wiederholte ich. »Wir sagen Mund. Und wir benutzen unseren Mund nicht nur zum Reden. Sondern auch zum Küssen«, fügte ich hinzu und spitzte hoffnungsvoll meine Lippen.

Mein Herz klopfte so sehr, dass es wehtat. Wenn mich Diego in diesem Moment gesehen hätte, er wäre vor Lachen bestimmt zusammengebrochen. Aber dort, wo Carlita und ich uns gerade befanden, gab es weder abstoßende Zauberer noch hämisch grinsende vierzehnjährige Jungen. Dort gab es niemanden außer ihr und mir.

»Küssen«, wiederholte sie auf Spanisch. »Tzoconia«, murmelte sie und dann wieder: »Küssen.« Ich war mir sicher, dass dieses Wort niemals vorher so köstlich geklungen hatte wie aus ihrem Mund. Aus ihrem Camatl.

Ihre Lippen schwebten so nah vor meinem Mund, dass unser Atem sich vermischte. »Ich liebe dich, Carapitzli«, flüsterte ich. Wie heißt das auf Nahuatl – lieben?«

Ich legte meine Arme um sie und sie presste sich an mich.

»Yolehua«, murmelte sie und drückte ihre Lippen auf meinen Mund.

Ich liebe dich, Carlita, dachte ich. Yolehua. Ich schloss meine Augen und vergaß wieder zu atmen. So wie ich auch alles andere vergaß, außer dem Mädchen in meinen Armen und unseren Lippen und Zungen und dem Glücksgefühl, das mich durchfloss wie goldenes Licht.

Ein grauenvoller Laut, mehr Krächzen als Schrei, ließ uns auseinanderfahren. Unmittelbar neben uns stand einer der grauen Zauberer. Er hielt eine weiße Vogelfeder in der Hand und er hatte seine Zunge beinahe so weit herausgestreckt wie ein Erhängter. Seine Augen waren starr auf uns gerichtet, während er sich das spitze Ende der Feder von unten in seine Zunge bohrte. Dazu stieß er dieses vogelartige Krächzen aus und zuckte mit dem ganzen Körper hin und her. Das Blut lief ihm aus der Zunge, färbte die Vogelfeder rot und rann an seinen Fingern hinab, die die Feder wie einen Schlüssel im Schloss hin und her drehten.

Ich hatte Carlita losgelassen und einen Satz nach hinten gemacht, ohne es richtig zu bemerken. Sie aber stand noch immer mitten auf dem Weg zwischen den Hütten, wo wir uns eben umarmt hatten, und sah regungslos zu, wie der Zauberer in seiner Zunge herumbohrte. Ich zwang mich, gleichfalls genauer hinzuschauen, und erkannte, dass der vordere Teil seiner Zunge vielfach durchlöchert und von Narben überwuchert war.

Der Zauberer riss sich die Feder aus der Zunge und verschwand mit wilden Sprüngen im Wald hinter den Hütten.

»Eztli«, sagte Carapitzli. Sie streckte ihre Zunge ein wenig heraus und deutete mit f latternden Fingern herabspritzende Tropfen an.

Ich nickte und schauderte. »Eztli«, wiederholte ich, »Blut.«

Carlita schaute sich suchend um. Sie stocherte mit der Spitze ihrer Sandale im Laub am Wegrand herum und scharrte einen seltsamen kleinen Gegenstand frei. Mit dem Fuß schob sie ihn näher zu mir heran und bedeutete mir durch Gesten, dass ich das Ding keinesfalls berühren sollte. Aber das hätte ich auch so bestimmt nicht gemacht.

Ich beugte mich nur kurz darüber und drehte mich gleich wieder weg. Es waren einfach zwei Knochen, zu einem diagonalen Kreuz zusammengebunden, mit Lumpen- und Pflanzenfetzen umwickelt und mit reichlich Blut bespritzt. Doch etwas Dämonisches ging von diesem Zauberding aus, eine Bosheit, die ich körperlich spüren konnte.

Mit ihrer Sandalenspitze schob Carlita das Zauberding unter das Laub am Wegrand zurück. Sie schaute mich an und sagte etwas in ihrer Sprache, aber natürlich verstand ich kein Wort. Meine Nahuatl-Kenntnisse hatten heute gute Fortschritte gemacht, doch in dem, was sie nun zu mir sagte, kam keines der Wörter, die sie mir beigebracht hatte, vor. Weder Mädchen und Junge noch Mund und Küssen oder gar Liebe.

Sie sah traurig und wütend aus, und ich spürte, dass sie schon früher einmal schmerzliche Erfahrungen mit Zauberdingern wie diesem hier gemacht haben musste.

- 7 -

Schon am nächsten Tag erschien Sturmbezwinger erneut in unserem Lager. Diesmal wurde der Totonake von zwanzig Indianern begleitet, die allesamt so prächtig gekleidet waren und so sorgenvoll dreinschauten wie er selbst.

»Teudile ist nach Cuetlaxtlan zurückgekehrt«, erklärte er, nachdem er vor Cortés die Erde geküsst hatte. »Und Montezumas Abgesandter Cuitlalpitoc befindet sich auf dem Rückweg nach Tenochtitlan. Aber hütet Euch vor den Dienern, die er Euch scheinbar großzügig überlassen hat«, fügte Sturmbezwinger hinzu und schaute verstohlen nach links und rechts. »Der größte Teil von ihnen sind Spione, die Teudile über alles unterrichten sollen, was in Eurem Lager vor sich geht. Und der Rest von ihnen sind Zauberer, die den Auftrag haben, Euch mithilfe der Geister zu vertreiben, Herr. Falls Ihr nicht freiwillig geht.«

Unser Herr hörte sich diese in klagendem Tonfall vorgetragene Rede gleichmütig an. »Den Zauberern steht eine unangenehme Erfahrung bevor«, sagte er. »Ihre Dämonen vermögen nichts gegen den Schutz, den unser allmächtiger Gott uns gewährt.«

Die Unterredung fand erneut bei den Goldtischen statt, um die herum mittlerweile etliche Stühle aufgestellt und Flechtmatten ausgerollt worden waren. Auch an diesem Treffen nahmen Cortés’ drei engste Vertraute, außerdem Malinali und Aguilar sowie Carapitzli und ich teil. Aus irgendeinem Grund waren jedoch auch zwei Konquistadoren dabei, die zu Gouverneur Velazquez’ Gefolgsleuten gehörten – Francisco de Morla und Francisco de Montejo, der streitlustige Kapitän unseres Frachtschiffs, der sich in Kuba erst im letzten Moment der Expedition angeschlossen hatte.

»Wir sind gekommen, um Euch einen Vorschlag zu unterbreiten, Statthalter Eures mächtigen Königs und allmächtigen Gottes«, fuhr Sturmbezwinger fort. Er deutete auf die zwanzig Totonaken, die um ihn herum einen malerischen Halbkreis bildeten. »Diese Männer sind Häuptlinge kleinerer Totonaken-Städte«, erklärte er, »genau wie ich. Auch wir sind Teudile tributpflichtig, aber anders als die Fürsten in unseren großen Städten haben wir uns eine gewisse Unabhängigkeit von den Azteken bewahrt.«

Sturmbezwinger unterbrach sich und blickte zu Boden, als müsse er sich sammeln oder Mut schöpfen. Cortés schaute ihn weiterhin ohne erkennbare Gemütsbewegung an. Aber ich spürte deutlich, dass er seinem Gegenüber mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörte.

»Wir sind gekommen, um Euch und Eure Kämpfer zu bitten: Bleibt für immer bei uns, Ihr hohen Herren!«, sprach Sturmbezwinger in bewegtem Tonfall weiter. »Errichtet Euch eine Stadt auf unserem Boden, wo es Euch gefällt – an der Küste oder weiter landeinwärts. Zusammen gebieten wir Häuptlinge über rund dreißigtausend Krieger. Mit Eurer Hilfe werden wir die Azteken wieder aus unserem Land werfen und für alle Zeiten von unseren Grenzen fernhalten. Und wenn die Götter es so wollen, werden Ihr und wir gemeinsam die neuen Herrscher über alle Länder und Völker bis hinauf zur Wüste im Norden sein. Anstelle der Azteken – dieser kulturlosen Emporkömmlinge, die erst vor wenigen Generationen hier eingefallen sind und durch Blutrünstigkeit und Lügen die Macht an sich gerissen haben!«

Nachdem Aguilar fertig übersetzt hatte, schaute Cortés mindestens eine halbe Minute lang wie abwesend vor sich hin. Ich spürte, dass er dieser Neuigkeit großen Wert beimaß, auch wenn er wie üblich bemüht war, sich nichts anmerken zu lassen. Verstohlen beobachtete ich ihn und versuchte, mir darüber klar zu werden, warum es für ihn überhaupt einen Unterschied machte, ob die Azteken seit hundert oder fünfhundert Jahren die Völker dieser Gegend beherrschten. Er schien wirklich beeindruckt, so als wäre ihm gerade eben eine mächtige Waffe in die Hände gefallen.

Unser Herr hob schließlich wieder seinen Blick und schaute Malinali an. »Ja, so ist das wahr«, sagte sie in holprigem Spanisch. »Noch vor weniger als vier Kalenderumläufen«, fügte sie auf Chontal hinzu, »also vor nicht einmal zweihundert Jahren, war Tenochtitlan nur eine unwegsame Insel im Texcoco-See, und unsere Vorfahren irrten heimatlos im Norden umher, noch jenseits des Landes der Hundemenschen.«

Aguilar übersetzte, doch Cortés gab sich den Anschein, als ob ihn das alles nicht im Geringsten interessierte. Er wandte sich zu Francisco de Montejo um und sagte in gereiztem Tonfall: »Das bringt uns nicht weiter, oder? Aber diese Indianer hier haben noch viel mehr Gold, das rieche ich – und ich will wissen, wo!«

Ohne eine Antwort von Montejo abzuwarten, wandte er sich erneut zu Sturmbezwinger um. »Ich danke dir für dein Angebot«, sagte er. »Weiß euer König davon?«

Der Totonake nickte. »Unser König heißt Pazinque, Herr, und obwohl er in seinem Palast in Cempoallan praktisch unter Arrest steht, ist er über alles unterrichtet, was hier an der Küste vorgeht. Pazinque persönlich hat uns angewiesen, Euch dieses Angebot zu machen. Er würde sich überaus glücklich schätzen, wenn er selbst mit Euch zusammentreffen könnte. Aber außer durch die Tatsache, dass ihn Teudile überwachen lässt, wird er noch durch einen weiteren Umstand daran gehindert, in eigener Person hierherzureisen.«

Francisco de Morla stieß ein ungeduldiges Schnauben hervor. »Und was ist das bitte sehr für ein Umstand?«, fragte er, nachdem erst Malinali und dann Aguilar übersetzt hatten. »Wie lange sollen wir uns dieses Indianergeschwätz noch anhören?«

Sturmbezwinger schaute erst ihn, dann Aguilar an – offenbar wartete er darauf, dass Morlas Worte für ihn übersetzt würden. Aber nach einem raschen Blick zu Cortés zuckte der Tätowierte nur mit den Schultern.

»Pazinque ist sehr beleibt«, erklärte Sturmbezwinger mit stolzem Lächeln, nachdem er noch einen Augenblick gewartet hatte. »Er besitzt eine überaus prächtige Sänfte, die von acht Sklaven getragen wird. Trotzdem ist es für ihn sehr anstrengend, eine so weite Strecke zurückzulegen – vor allem jetzt in der Regenzeit.«

Portocarrero und Sandoval brachen in Gelächter aus. Auch Alvarado grinste. »So drückend kann die Tributlast also auch wieder nicht sein«, sagte Sandoval. »Ihr König schlägt sich von früh bis spät den Wanst voll – und diese Häuptlinge hier sehen auch nicht gerade abgehärmt aus!«

Wieder schaute Sturmbezwinger erwartungsvoll zu Aguilar und wiederum zuckte der mit den Schultern.

»Genug jetzt mit diesen Kindereien!«, stieß Morla hervor. »Wir haben unseren Auftrag erfüllt und sollten umgehend nach Kuba zurückkehren!« Er sprang von seinem Stuhl auf und funkelte Cortés angriffslustig an. »Oder solltet Ihr vergessen haben, Commandante, dass die Instruktionen von Gouverneur Velazquez Euch sogar verbieten, hier an Land auch nur zu übernachten – geschweige denn, eine Stadt zu erbauen oder gar einen Krieg anzuzetteln?«

Cortés wandte sich nicht einmal um zu ihm. »Setz dich wieder hin, Francisco«, sagte er in gleichgültigem Tonfall. »Wage es noch einmal, so mit mir zu sprechen, und ich lasse dich in Eisen legen.«

Der sonst so rotwangige Morla wurde blass wie ein Leintuch. Er sackte auf seinen Stuhl.

»Selbstverständlich fahren wir zurück, sobald das hier abgeschlossen ist«, fuhr Cortés fort. Er schaute wie suchend umher und sein Blick blieb an mir und Carapitzli haften. »Aber noch ist es nicht so weit«, fügte er hinzu und stand nun seinerseits auf.

Sturmbezwinger, der ihm gegenüber auf einem Stuhl gesessen hatte, beeilte sich, es unserem Herrn gleichzutun. »Welche Nachricht dürfen wir König Pazinque überbringen, Statthalter der bärtigen Mächte?«, fragte er in ehrerbietigem Tonfall. »Nehmt Ihr unser Angebot an?«

Cortés legte dem Totonaken wie segnend eine Hand auf das gefiederte Haupt. »Richte deinem König aus«, antwortete er, »dass ich ihn bald schon in seinem Palast besuchen werde.«

- 8 -

Nach dieser Unterredung brodelte es bei uns im Lager genauso wie auf sämtlichen elf Schiffen. Unter den fünfhundertfünfzig freien Männern, die Cortés bis hierher gefolgt waren, bildeten die Gefolgsleute von Gouverneur Velazquez nur eine kleine Minderheit. Doch zu ihr gehörten so einflussreiche Hauptleute wie die Kapitäne Montejo, Morla und Diego de Ordas.

Auf Geheiß unseres Herrn trieb ich mich den halben Ostermontag über im Lager und auf den Schiffen herum und versuchte herauszufinden, was geredet wurde. Carapitzli war fast immer bei mir und die Männer glotzten sich die Augen nach ihr aus. Auf diese Weise vergaßen sie hoffentlich, sich darüber zu wundern, dass wir überall dort auftauchten, wo gerade über den weiteren Fortgang unserer Expedition gemurrt und gemunkelt wurde.

Am frühen Nachmittag erstattete ich Cortés schließlich Bericht. Wieder einmal war ein heftiger Regenguss niedergegangen. Ein Wolkenbruch in dieser Gegend ist etwas völlig anderes als das stärkste Unwetter in Spanien. Wasser stürzt wie in Flutwellen vom Himmel, man vermag kaum mehr Luft zu holen und in Minutenschnelle ist alles knöcheltief überschwemmt. Nebel wallt auf, so dicht, dass man keine zwei Schritte weit sehen kann. Doch unsere Hütten, die Teudiles Diener scheinbar so flüchtig errichtet hatten, hielten selbst tosenden Regengüssen stand.

Wir trafen in der großen Rundhütte zusammen, die für Cortés in der Mitte des Lagers erbaut worden war. Wiederum waren Alvarado, Sandoval und Portocarrero zugegen, außerdem Malinali und der Tätowierte. Um die Hütte herum hatte Sandoval zwanzig seiner treuesten Männer postiert, die ungebetene Zuhörer fernhalten sollten.

»Das war ein kluger Schachzug, Hernán«, lobte Alvarado gerade, als Carapitzli und ich eintraten, »Morla und Montejo mit anhören zu lassen, wie der Häuptling uns anbot, hier eine Siedlung zu erbauen.« Er setzte sein verschlagenstes Grinsen auf und nickte Cortés zu.

Unser Herr und seine drei Vertrauten thronten auf Stühlen, die anderen hockten am Boden. Cortés machte mir ein Zeichen und ich setzte mich auf die Flechtmatte ihm und Malinali gegenüber. Carlita kauerte sich neben mich und schaute sich neugierig um. Wenn ich nicht gerade heimlich die Gespräche unserer Männer belauschte, hatten sie und ich unermüdlich auf Gegenstände in unserer Nähe gezeigt und einander erklärt, wie diese Dinge auf Spanisch oder Nahuatl heißen. Strand, Meer, Segel, Ruder. Möwe, Angel, Fisch, Köder. Bart, Bauch, Messer, Schwert. Mir brummte der Kopf von den vielen fremdländischen Wörtern und von dem spanischen Stimmengewirr, dem ich Stunde um Stunde verstohlen gelauscht hatte.

Ich bezweifelte nicht im Mindesten, dass Cortés einen ausgeklügelten Plan verfolgt hatte, als er Morla und Montejo an jener Unterredung teilnehmen ließ. Aber ich hatte mir vergeblich den Kopf darüber zerbrochen, was er sich von diesem »Schachzug« versprach. Außer Unruhe und Unmut unter unseren Männern hatte es ihm meiner Ansicht nach nichts eingebracht.

»Berichte mir, Orteguilla«, sagte Cortés. »Worüber reden sie?«

Aller Augen richteten sich auf mich. Ich schaute kurz auf den Boden vor mir, um mich zu sammeln. »Was Sturmbezwinger Euch gestern angeboten hat, Herr«, begann ich, »hat sich auf allen unseren Schiffen herumgesprochen. Die Männer sind aufgewühlt und uneins. Einige sagen, wir hätten unsere Mission längst erfüllt und sollten so schnell wie möglich nach Kuba zurückkehren. Wir hätten herausgefunden, dass es in diesem Land sehr viel Gold und andere Reichtümer gibt, sagen sie, und nun sei es Eure Pflicht, Gouverneur Velazquez Bericht zu erstatten.«

Ich unterbrach mich und versuchte, von Cortés’ Gesicht abzulesen, wie er diese Nachrichten aufnahm. Doch wie beinahe immer war seine Miene vollkommen ausdruckslos.

»Weiter«, sagte er nur. »Berichte alles, was du in Erfahrung gebracht hast. Und vergiss nicht hinzuzufügen, wie du selbst die Sache einschätzt.«

Mir stockte der Atem vor Schreck über diesen zusätzlichen Befehl, doch glücklicherweise stieß mich Carapitzli von der Seite an. Ihuiyohuia. Atmen.

»Der Steuermann Cermeno gehört zu diesen Unzufriedenen«, fuhr ich fort, »ebenso Escobar, der früher Page bei Gouverneur Velazquez war. Sie berufen sich vor allem auf die Kapitäne Morla, Montejo und Ordas, und sie behaupten, Euch sei von Velazquez untersagt worden, Land zu besiedeln oder gar zu erobern. Sie glauben, dass der Gouverneur nach unserer Rückkehr unverzüglich eine weitere Expedition ausrüsten und sich persönlich an ihre Spitze setzen werde. Angeblich will er sich zum Vizekönig der neu entdeckten Länder krönen lassen, während Ihr selbst, Herr …«

Ich unterbrach mich erneut und biss mir auf die Unterlippe.

»Während ich selbst …?«, wiederholte Cortés. »Sprich nur weiter, Orteguilla!«

Ich starrte ihn an und meine Augen begannen zu brennen. »Euch, Herr, sagen sie, komme diese Ehre nicht zu!«, stieß ich hervor. »Ihr wärt nur ein kleiner Hidalgo, ein Emporkömmling, der es mit Glück zu einem Vermögen gebracht habe – Velazquez dagegen sei ein Ritter von altem Adel und habe im Kampf gegen die Mauren und als Gefolgsmann des großen Christoph Kolumbus unsterbliche Verdienste angehäuft.«

Ich verstummte erneut und Sandoval und Alvarado brachen in schallendes Gelächter aus. »Vor allem hat er Unmengen Gold angehäuft, der verfluchte Räuber!«, brüllte Portocarrero.

Cortés jedoch schien weiterhin ungerührt. »Wie viele Männer sind es ungefähr«, wollte er von mir wissen, »die diese Meinung teilen?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Von den etwa zweihundertfünfzig Männern, die ich heute wild durcheinanderreden hörte, vielleicht ein Zehntel oder wenig mehr«, antwortete ich. »Alle anderen sagen, sie seien schließlich hierhergekommen, um reich zu werden. In diesem Land gebe es offenbar unermessliche Mengen an Gold und der Boden sei fruchtbarer als irgendwo in Spanien. Die Gelegenheit, hier eine Siedlung zu gründen, bestehe jetzt – und später wohl niemals mehr. Wenn wir nun abzögen, hätten die Azteken reichlich Zeit, sich für unsere Rückkehr zu wappnen. Wenn wir aber jetzt eine Stadt erbauten und mit hohen Mauern umwallten, dann besäßen wir einen uneinnehmbaren Stützpunkt, der große Mengen weiterer Siedler aus Spanien aufnehmen könne. Und aus diesen Gründen, so sagen die meisten Eurer Männer«, schloss ich, »sollten wir das Angebot der Totonaken annehmen. Gouverneur Velazquez und unser König Karl würden schon erkennen, dass wir auf diese Weise zum Besten unseres Landes und des Heiligen Vaters gehandelt hätten.«

»Amen!«, schrie Portocarrero. »Das ist doch beides Teufelsdreck! Wer zur Hölle will schon bei diesen stinkenden Wilden hier als Ackerbauer leben? Und schon gar nicht sind wir hergekommen, um mit zwei lausigen Truhen voller Gold wieder abzuhauen – das bedeutet für jeden von uns gerade mal eine Handvoll gelber Köttel!«

Sandoval legte ihm eine Hand auf den Arm und der »Dröhnende« schrie noch ein paar Atemzüge lang weiter und verstummte dann.

»Und nun deine Einschätzung, Orteguilla!«, befahl Cortés. »Sollten wir tun, was Velazquez’ Gefolgsleute fordern – oder eine Siedlung errichten, wie es die Mehrheit meiner Männer will?«

Ich schaute erneut zu Boden und schluckte krampfhaft. Warum verlangte Cortés von mir, dass ich vor aller Ohren in einer so heiklen Frage Stellung bezog? Er selbst wollte weder das eine noch das andere, da war ich mir sicher. Aber er erwartete doch nicht etwa, dass ich an seiner Stelle aussprach, was niemand außer ihm bisher auch nur zu denken wagte: dass wir einfach weiter und weiter marschieren sollten, bis ins goldene Herz des Aztekenreichs?

Rasch schaute ich zu Carapitzli, die neben mir auf der Matte kauerte. Sie lächelte mich an und berührte mit ihrem Zeigefinger ganz kurz meine Hand.

»Bitte lacht mich nicht aus, Herr«, sagte ich. »Ich bin nur ein Junge und in der Erforschung neuer Welten vollkommen unerfahren. Aber Montezumas Gesandte haben uns doch mitgeteilt, dass ihr König noch mit sich ringt, ob und in welcher Weise er Euch in seiner Hauptstadt empfangen soll. Und gewiss würden es doch weder Gouverneur Velazquez noch König Karl gutheißen, wenn Ihr unter diesen Umständen einfach wieder abreisen würdet, ohne Montezumas Entscheidung abzuwarten. Ihr würdet ihn dadurch nur verärgern, und wer auch immer eine weitere Expedition hierher anführen würde – er müsste den Zorn und die Feindseligkeit büßen, die Ihr, Herr, durch Eure übereilte Abreise im Herzen des Aztekenherrschers entfacht hättet.«

Alvarado, Sandoval und Portocarrero starrten mich an, als ob irgendjemand von uns den Verstand verloren hätte, entweder sie oder ich. Auch Cortés sah verblüfft aus, jedenfalls für seine Verhältnisse. Malinali stieß Aguilar an und forderte ihn durch herrische Gesten auf, ihr zu übersetzen, was ich eben gesagt hatte. Noch während der Tätowierte vor sich hin murmelte, begann sie, seine Worte auf Nahuatl zu wiederholen. Und nachdem sie damit fertig geworden war, starrten auch sie und Carapitzli mich an.

»Er hat recht!«, brach es schließlich aus Portocarrero heraus. »Der verdammte Milchbart hat mitten ins schwarze Teufelsherz getroffen – stimmt’s, Hernán?«

Auch Sandoval und Alvarado machten ihrer Erregung durch Ausrufe Luft, doch unser Herr schenkte ihnen keine Beachtung. Sein Blick ruhte auf mir, und während er mich schweigend anschaute, versuchte ich erneut zu ergründen, was er mit alledem bezweckte.

Was unter den Männern geredet wurde, hätte er sich auch ohne meine Späherdienste leicht zusammenreimen können. Und Montejo und Morla hatte er gewiss nicht deshalb an der gestrigen Unterredung teilnehmen lassen, weil er eine Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten herbeiführen wollte, die für ihn gleichermaßen unannehmbar waren. Cortés wollte nicht als Haziendero, als Ratsherr oder Bürgermeister einer neu gegründeten Stadt am Rand des Totonakenreichs enden und ebenso wenig wollte er unverrichteter Dinge nach Kuba zurückkehren. Aber warum legte er solchen Wert darauf, aus meinem Mund ausgesprochen zu hören, was er selbst im Geheimen plante?

Vielleicht liegt in dieser Frage schon ein Teil der Antwort beschlossen, sagte ich mir dann. Gegenüber den Abgesandten Montezumas hat Cortés immer beteuert, dass er nach Tenochtitlan kommen werde, um persönlich mit dem Aztekenherrscher zu sprechen. Aber anscheinend hat er es bisher nicht einmal vor seinen engsten Vertrauten gewagt, sich allen Ernstes zu diesem irrsinnig scheinenden Plan zu bekennen. Aus Angst, dass selbst der tollkühne Sandoval ihm sonst von der Fahne gehen könnte oder dass der durchtriebene Alvarado ihn eines Tages vor einem spanischen Gericht des Hochverrats bezichtigen würde, um seinen eigenen Hals zu retten. Deshalb hatte Cortés stattdessen mich dazu gebracht, diesen Stein ins Wasser zu werfen – so konnte er nun in aller Ruhe zuschauen, was die anderen davon hielten. Und seine Verblüffung zeigte mir, dass ich meine Aufgabe sogar noch besser erfüllt hatte, als er es erwartet hatte.

»Nun, darüber werde ich nachdenken«, wiegelte er ab, »wenn Teudile mir tatsächlich eine Einladung seines Königs überbringen sollte. Aber ich gebe dir recht, Orteguilla«, fügte er hinzu, »das würde wirklich manches ändern.«

Er wirkte nun ungemein zufrieden, aber irgendetwas an ihm beunruhigte mich dennoch. Ich versuchte, mir darüber klar zu werden, was es war. Sein Blick ruhte nicht auf mir, oder jedenfalls nicht allein auf mir – er schaute gleichzeitig Carapitzli an, und als ich rasch zu ihr hinübersah, fuhr ich regelrecht zusammen.

Sie starrte mich vollkommen fassungslos an. So entgeistert und zerquält sah sie aus, dass ich in diesem Moment durch ihre weit aufgerissenen Augen bis auf den Grund ihres Herzens schauen konnte.

Carlita ist keine Händlerstochter aus Texcoco, das wurde mir schlagartig klar. Sie stammt aus Tenochtitlan, wie Malinali vermutet hat – und die bloße Möglichkeit, dass sie mit uns dorthin zurückkehren müsste, schien sie fast zu Tode zu erschrecken.

Ich spürte Cortés’ Blick auf Carapitzli und mir, schwer wie eine Hand. Und nun kannte ich auch eine zweite Antwort auf meine Frage: Unser Herr wollte herausfinden, wie Carapitzli reagieren würde. Ihr Erschrecken hatte ihm genauso wie mir selbst verraten, dass sie irgendetwas über Tenochtitlan und Montezuma weiß, das für uns höchstwahrscheinlich von großem Nutzen ist.

- 9 -

Der Ostermontag neigte sich bereits, als der Tributeintreiber Teudile wieder in unserem Lager erschien. Wie beim letzten Zusammentreffen empfing ihn Cortés bei den Goldtischen im Freien. In Scharen waren unsere Männer herbeigeströmt und standen und hockten in einem großen Kreis um uns herum.

Der Tributeintreiber trug einen noch prächtigeren Umhang und auf dem Kopf einen noch höher aufgetürmten Kopfschmuck als bei seinen vorherigen Besuchen. Er fiel vor Cortés auf die Knie und küsste den Boden. Unser Herr tat es ihm gleich und verharrte noch in dieser Haltung, als Teudile bereits wieder aufrecht stand.

»Der Große Montezuma hat Eure Geschenke und Grußworte erhalten«, erklärte der Azteke. »Er lässt Euch seinen aufrichtigen Dank ausrichten und hat mir befohlen, Euch weitere Kostbarkeiten zu Füßen zu legen.«

Er schnipste mit den Fingern. Zwei Diener ergriffen eine Kiste vom Umfang zweier aufeinandergestapelter Särge, die sie einige Schritte hinter Teudile abgestellt hatten. Mit sichtlicher Mühe schleppten sie das Behältnis herbei und stellten es zwischen Cortés und dem Tributeintreiber ab.

Teudile knurrte einen Befehl und die Diener öffneten die Kiste. Sie war bis zum Rand mit erlesenen Goldschmiedearbeiten gefüllt. Der Tributeintreiber nahm eine nach der anderen heraus und breitete alles auf dem Tisch neben Cortés aus – goldene Teller und Becher, goldene Götzen- oder Königsfiguren und ein ganzes Obergewand aus reinem Gold, bestehend aus Brust- und Schulterplatten, Armschützern und einem handbreiten Halsband aus gehämmertem Gold.

Cortés nahm jedes einzelne Stück zur Hand und betrachtete es ausgiebig. Seine Augen glänzten dabei so fiebrig, dass es mir in der Seele wehtat.

Unsere Männer stießen erregte Rufe aus. Sie fielen einander in die Arme, schlugen sich gegenseitig auf die Schultern und riefen »Holla, jetzt geht’s erst richtig los!« oder »Wo eine Kiste voller Gold ist, gibt es bestimmt noch ein paar mehr!«. Alvarado erhob sich und machte ihnen Zeichen, dass sie stillschweigen sollten. Doch weiterhin summte der Platz um uns herum von ihrem aufgeregten Geraune.

Teudile schnipste erneut mit den Fingern. Wiederum traten zwei Diener aus seinem Gefolge vor. Jeder von ihnen hielt einen gewaltig großen Gegenstand vor die Brust gedrückt, der offenbar kreisrund war – wie ein Wagenrad oder ein mächtiger Käseleib. Die Gegenstände waren in Webtücher gehüllt und so schwer, dass die Diener sie nur mühsam herbeischleppen konnten.

Sie legten die Gaben oben auf die geöffnete Kiste und traten zurück. Mit einem Ruck riss Teudile beide Tücher gleichzeitig weg – und Portocarrero brüllte regelrecht auf! Wieder riefen unsere Männer aus über fünfhundert Kehlen durcheinander und selbst Cortés atmete hörbar zischend durch die Zähne ein.

Vor uns lagen zwei gigantische Scheiben, eine aus Silber, die andere aus Gold. Sie hatten einen Durchmesser von gut drei Fuß und waren über und über mit kunstvollen Schrift- und Bildzeichen bedeckt. Sichtlich stolz begann Teudile zu erklären, dass das silberne Rad den Mondkalender und das goldene den Sonnenkalender der Azteken darstelle. Malinali und Aguilar übersetzten, doch ich spürte, dass Cortés nichts davon mitbekam.

Er beugte sich vor und strich mit abwesendem Gesichtsausdruck über das goldene Rad. Seine Augen glitzerten nicht – sie leuchteten, als ob er anstelle der Augäpfel Goldkugeln in seinem Kopf trüge. Mit beiden Händen hob er die Goldscheibe ein wenig an, wie um ihr Gewicht abzuschätzen, und schüttelte den Kopf.

»Ist das reines Gold?«, fragte er mitten in Teudiles Ausführungen hinein. »Oder woraus sonst besteht diese Scheibe in ihrem Kern?«

Er hob die Scheibe aufs Neue an. An der Art, wie er sein Kinn vorreckte, erkannte ich, dass er drauf und dran war, sie auf die Holzkiste niederkrachen zu lassen, um selbst nachzuprüfen, woraus ihr Kern bestand. Ein halbes Dutzend Goldschmiede mussten monate- oder sogar jahrelang an diesem einzigartigen Kunstwerk gearbeitet haben – doch Cortés interessierte ganz offensichtlich nur, zu wie viel reinem Gold es sich einschmelzen ließ.

»Mahagoniholz«, gab Teudile mit säuerlicher Miene zurück, nachdem Cortés’ Frage für ihn übersetzt worden war. »Jede dieser Scheiben ist zweifingerdick mit Gold oder Silber beschichtet, doch um ihnen die nötige Festigkeit zu verleihen, bergen sie zuinnerst ein hölzernes Herz.«

Cortés nickte und schaute mit leuchtenden Augen von einem funkelnden Rad zum anderen. »Ein hölzernes Herz«, murmelte er, »das ist gut.«

Teudile schnipste ein drittes Mal mit den Fingern. Weitere Diener traten vor und bedeckten die Gold- und Silberräder mit kostbaren Gewändern. Mit einem Umhang und dazu passendem Kopfschmuck, beides prangend rot und offenbar aus nichts anderem als Vogelfedern gefertigt.

Cortés rieb sich die Augen, als erwachte er aus tiefem Schlaf. Nun, da die Goldscheibe unter den Kleidungsstücken verschwunden war, schien er wieder zu Besinnung zu gelangen – wie ein Verzauberter, dem es geglückt war, sich aus dem magischen Bann herauszureißen.

»Ihr liebt die Farbe Rot, hoher Herr«, rief Teudile aus, »und Ihr verschmäht Menschenopfer! Legt diese Gewänder des mächtigen Quetzalcoatl an und bekräftigt durch ein weiteres Zeichen, dass Ihr der wiedergekehrte Quetzalcoatl seid – so wird Euch der Große Montezuma mit Freuden alles zu Füßen legen, was Ihr begehrt!«

Cortés warf erst Alvarado, dann Malinali einen raschen Blick zu. Beide nickten, und mir ging durch den Kopf, dass Malinali nun offenbar auch zu den Vertrauten unseres Herrn gehörte.

»Wird mich Montezuma dann auch in seinem Palast empfangen?«, fragte Cortés.

»Gebt uns ein Zeichen, Herr!«, wiederholte Teudile. »Befreit uns von jedem Zweifel, dass ihr der wiedergekehrte Quetzalcoatl seid, und Montezuma wird alles für Euch öffnen – seine Stadt, seinen Palast und sein Herz!«

Cortés neigte zustimmend seinen Kopf. Die beiden Diener, die die Kleidungsstücke herbeigetragen hatten, traten aufs Neue vor und nahmen ihm seinen Hut und seinen schwarzen Samttalar ab. Der eine hob den Umhang aus roten Vogelfedern auf, der andere den ebenso rot gefiederten Kopfschmuck. Sie kleideten Cortés damit ein und währenddessen erklärte uns Malinali, dass diese Kleidungsstücke aus den unermesslich kostbaren Federn des Quetzalvogels gefertigt worden seien.

Unser Herr ähnelte nun wahrhaftig einem prächtigen Riesenvogel.

»Edler Herr!«, rief Teudile und warf sich vor ihm zu Boden. »Ein Zeichen noch, ein einziges Zeichen – ich flehe Euch an!«

Cortés beugte sich mit wehendem Federschmuck zu Sandoval hinüber und flüsterte ihm etwas zu. Hinter einem der Tische lagen noch die Säcke aufgestapelt, in denen unsere minderwertigen Tauschgaben für den Goldhandel aufbewahrt wurden. Ich beobachtete, wie Sandoval in einem dieser unansehnlichen Säcke herumzukramen begann, und mich beschlich ein ungutes Gefühl. Sie wollten dem Tributeintreiber doch hoffentlich nicht irgendwelchen »Klimperkram« präsentieren – als angeblichen Beweis, dass unser Herr der wiedergekehrte Götze Quetzalcoatl war?

Schließlich zog der »Tollkühne« einen funkelnden Gegenstand aus dem Sack hervor und reichte ihn an Cortés weiter. Zumindest handelte es sich nicht um eine Handvoll wertloser Glasperlen, sondern um einen vergoldeten Helm, wie ihn unsere Männer zu feierlichen Anlässen tragen. Allerdings war die goldene Beschichtung stellenweise abgeblättert und das Eisenblech darunter von Rost zernagt.

In seinem Federkleid beugte sich Cortés über die goldene Kalenderscheibe hinweg und reichte Teudile den Helm. »Diese Kopfbedeckung bringe deinem König!«, sagte er. »Montezuma soll ihn bis zum Rand mit Goldstaub füllen und mir wieder überreichen, wenn er mich vor seinem Stadttor empfängt.«

Der Tributeintreiber nahm den Helm in Empfang und drehte ihn in seinen Händen hin und her. Er schien wenig begeistert von diesem Gegengeschenk. Selbst der kleinste und bescheidenste der goldenen Gegenstände aus seiner Kiste war um ein Vielfaches wertvoller als die rostige Kopfbedeckung, die Sandoval hervorgekramt hatte.

Wieder einmal versuchte ich verzweifelt zu erraten, was unser Herr eigentlich im Schilde führte. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien auch Teudile unsere Gegengabe eher als Verspottung anzusehen – und als Beweis, dass Cortés ein wiedergekehrter Aztekengötze sei, taugte ein spanischer Paradehelm sowieso nicht. Die Aufforderung, den Helm auch noch mit Gold gefüllt zurückzuerstatten, musste in seinen Ohren vollends wie Hohn klingen.

Er wandte sich zu den beiden Dienern um, die Cortés in die roten Gewänder gekleidet hatten. Sie redeten halblaut auf ihn ein, beide wirkten aufgewühlt. An den ehrfürchtigen Gebärden, mit denen sich Teudile ihr Gemurmel anhörte, erkannte ich, dass es keine gewöhnlichen Diener, sondern so etwas wie Priester oder Gelehrte waren. Offenbar sollten sie ihm helfen herauszufinden, ob Cortés tatsächlich der wiedergekehrte Quetzalcoatl war. Und ihre entgeisterten Blicke verrieten mir, dass unser rostiger Goldhelm die Ursache ihrer Verwirrung war.

»Wer seid Ihr, Herr?«, wandte sich Teudile mit bebender Stimme an Cortés. »Einen Helm wie diesen hier trägt nicht der friedliebende Quetzalcoatl – sondern Huitzilopochtli, unser mächtiger Kriegs- und Sonnengott!«

Der Helm fiel ihm beinahe aus der Hand, so sehr zitterten seine Finger. Mit untertänigen Gebärden, doch ohne Cortés um seine Zustimmung zu bitten, kamen die beiden gelehrten Diener neuerlich herbei und nahmen ihm den Umhang und den Kopfschmuck wieder ab. Unser Herr ließ es regungslos geschehen.

»Bleibt an diesem Ort, bärtiger Fremder!«, sagte Teudile zu Cortés. »Ich werde sogleich weitere Eilboten zu Montezuma schicken, und er wird sich erneut mit dem Hohepriester und dem Ältestenrat besprechen. In wenigen Tagen werde ich zurückkehren und Euch verkünden, was sie beschlossen haben.«

Cortés warf sich seinen Samtumhang über und rückte sich den federgeschmückten Hut auf seinem Kopf zurecht. »Ich werde nicht länger warten!«, erklärte er. »Morgen breche ich auf, um Montezuma in seinem Palast aufzusuchen.«

Teudile und die beiden gelehrten Diener steckten erneut ihre Köpfe zusammen. Sie kamen mir nun weniger verstört als zornig vor. Ich verstand immer weniger, was für ein Spiel Cortés hier überhaupt spielte. Er selbst schien mir nicht im Geringsten erzürnt oder aufgewühlt. Gelassen beobachtete er, welche Wirkung seine barsche Ankündigung bei den Azteken hervorrief.

»Richte ihm das aus!«, fuhr er den Tributeintreiber an. »Vergiss nicht zu erwähnen, dass er mich mit dem Helm voller Goldstaub vor seinem Stadttor empfangen soll. Und nun geh!«

Mit einem Satz sprang Cortés über die Kiste mit der goldenen und der silbernen Scheibe hinweg und baute sich drohend vor Teudile auf. Der blieb stehen, wo er stand, doch sein eben noch kakaobraunes Gesicht wurde mit einem Mal grau.

»Wir könnten Euch ein bequemeres Lager weiter landeinwärts errichten«, schlug er beinahe stammelnd vor. »Falls es die Moskitos hier an der Küste sind, die Euch daran hindern, Montezumas Gastfreundschaft zu genießen.«

Cortés schob seinen Kopf so weit nach vorn, dass seine Hutkrempe gegen den Kopfschmuck des Tributeintreibers stieß. »Und wie ich sie genießen werde!«, versicherte er. »In seinem prächtigsten Palast in Tenochtitlan! Und nun lauf, Teudile, und richte ihm alles aus!«

Er legte ihm die flachen Hände auf die Brust und stieß ihn heftig zurück. Mir war mittlerweile klar geworden, dass Cortés es auf einen offenen Streit mit Montezumas Statthalter anlegte, aber ich begriff nach wie vor nicht, was er sich davon versprach.

Teudile fuchtelte mit den Armen. Er wäre wahrscheinlich sogar rückwärts zu Boden gegangen, wenn nicht einige seiner Diener ihm hilfreich zur Seite gesprungen wären. So flog nur der vergoldete Helm durch die Luft – und natürlich war es Diego, der mit einem wahren Hechtsprung von irgendwo herbeigeschnellt kam und »die Kopfbedeckung des Kriegsgottes« auffing.

Einige unserer Männer applaudierten. Diego verneigte sich vor Teudile, überreichte ihm abermals den Helm und verschwand mit einem Satz wieder in der Menge.

Teudile gab den Helm an einen seiner Diener weiter, dann wandte er sich nochmals an unseren Herrn. »Für den Fall, dass Ihr das Zeichen Quetzalcoatls schuldig bleibt«, erklärte er in drohendem Tonfall, »und Euch weigert, bis zu einer Entscheidung Montezumas hier auszuharren, soll ich Euch die folgende Botschaft überbringen.«

Er nahm Haltung an und starrte an Cortés vorbei ins Leere. »Verlasst unser Land«, fuhr er fort, »besteigt unverzüglich Eure schwimmenden Inseln und kehrt dorthin zurück, von wo Ihr aufgebrochen seid. Wagt es nicht, Euch gegen unseren Willen Tenochtitlan zu nähern, sonst werdet Ihr und Eure Männer allesamt auf unseren Opferaltären sterben. So spricht der Große Montezuma – und so wird es geschehen!«

Teudile riss beide Arme hoch. Im nächsten Moment begannen sämtliche zweitausend Diener, die er uns zur Verfügung gestellt hatte, markerschütternd zu trillern und zu schreien. Zugleich kamen sie von allen Seiten herbeigerannt, und für einige bange Momente sah es so aus, als ob sie sich auf uns stürzen wollten.

Unsere Männer griffen zu ihren Waffen, aber das erwies sich als unnötig. Teudile schritt ohne ein weiteres Wort davon, gefolgt von den gelehrten Dienern und all den anderen, die für uns gejagt und gekocht, unsere Hütten gebaut und instandgehalten hatten. Als Letztes sprangen und flatterten ihnen die grauen Zauberer hinterher. Das Geschrei und Getriller war mittlerweile leiser geworden, und so konnten wir stattdessen nun die grässlichen Laute hören, die die Zauberer hervorstießen. Sie tanzten und zuckten wie sterbende Tarantelskorpione, und dazu gaben sie ein höllisches Fauchen und Heulen und Winseln von sich.

Ich schaute in Carapitzlis schreckverzerrtes Gesicht – und da wurde mir klar, dass sie mit ihrem Geschrei den dämonischen Zauber in Gang setzten, den sie all die Tage zuvor in unserem Lager vorbereitet hatten.

- 10 -

Das Unwetter begann gestern Abend, kaum dass die Dunkelheit hereingebrochen war. Und so geht es nun seit Stunden und Stunden – Stürme tosen, Sturzregen prasselt hernieder, und Donnergrollen, lauter als alle Kanonen Kastiliens, lässt Himmel und Erde erzittern. Blitze in teuflisch grellen Farben zerreißen die Dunkelheit – rot wie Blut, wie Quetzalcoatls Gewänder, und dann wieder gleißend gelb, als würden verrückte Dämonen dort draußen das schwarze Tuch der Nacht mit goldenen Sicheln zerfetzen. Und dazu unablässig dieses Stöhnen und Seufzen und Winseln, dieses Ächzen und Wimmern, diese schlurfenden, nachschleifenden Schritte – als hätten die Zauberer wahrhaftig alle Toten aus ihren Gräbern aufgescheucht und in unser Lager getrieben.

Unaufhörlich bimmeln unsere Priester mit ihren Glocken und rufen Gebete zum dröhnenden Himmel hinauf. Keine der teuflischen Erscheinungen, haben sie uns versichert, könne über die Schwellen unserer Hütten gelangen. Denn über jeder Tür hängt ein Kruzifix und jede einzelne Behausung haben unsere Priester gestern Abend noch hastig mit Weihwasser besprengt.

»Vater unser«, murmele ich wie alle anderen im Lager – außer jenen, die wie Diego sogar im Angesicht der heulenden Hölle tief und fest schlafen. »Dein Reich komme …«

Meine Zähne klappern gegeneinander. Da draußen schleicht schon wieder eine Kreatur der Hölle umher, unmittelbar vor unserer Hütte – und jetzt stößt sie einen erbarmungswürdigen Schrei aus!

Ich vergesse zu atmen. Meine Kehle zieht sich zusammen. Das war keine Kreatur aus der Hölle, keine teuflische Spukerscheinung – das war Carlita!

Ich springe aus meiner Hängematte, ohne richtig mitzubekommen, was ich da eigentlich mache. Ich werfe mich gegen den mit Leder bespannten Holzrahmen, der bei diesen Hütten die Tür ersetzt, und taumele nach draußen. Das ist kein Regen, es ist eine Sturzflut. Wo der Weg war, ergießt sich ein reißender Bach. Grellfarbene Blitze zucken über den Himmel. Im nächsten Moment ist es umso dunkler, eine Finsternis so dick, als wäre mein Kopf mit schwarzem Tuch umwickelt.

»Carapitzli!«, rufe ich, aber der Donner, das Schreien und Heulen sind so laut, dass ich meine eigene Stimme kaum hören kann.

Dann abermals ein Schrei – von ihr, ganz bestimmt von ihr! »Orte!«, schreit sie mit überkippender Stimme. Und dann einen Schwall von Worten in Nahuatl, von denen ich kein einziges verstehen kann.

Ich stolpere voran, ich rudere mit den Armen. »Carlita!«, rufe ich.

Die reißende Strömung zerrt an meinen Füßen und bringt mich fast zu Fall. Und dann zuckt wieder ein Blitz auf, rot wie Quetzalcoatls Federgewand, und in diesem unheimlichen Licht kann ich ganz kurz die schlanke Gestalt da vorne am Ende des Hüttenwegs sehen. Aufzuckend wie eine Ahnung, dann schon wieder verschlungen von Dunkelheit.

Längst bin ich durchnässt bis auf die Haut. Zwischen den Hütten kauern Schatten, belauern mich mit hohlen Totenaugen – zumindest kommt es mir so vor. Wer sonst soll es schließlich sein, der diese schaurigen Laute ausstößt, dieses Winseln und röchelnde Atemholen, dieses Stöhnen und Heulen voller Gier?

Was helfen uns schon unsere »Wunderwaffen«, schießt es mir durch den Kopf, alle unsere Rüstungen und Kanonen und Pferde – gegen einen Gegner, der solche Dämonen zu entfesseln vermag?

»Carlita!«, rufe ich.

Sie liegt mit dem Gesicht nach unten am Wegrand. Ich werfe mich neben ihr in den Schlamm. Ihr ganzer Körper zuckt und bebt. Ihre Hände scharren fieberhaft im Laub herum.

Ich lege einen Arm um sie und versuche, sie von dort wegzuziehen. »Hör damit auf!«, schreie ich ihr ins Ohr. Aber sie hört einfach nicht auf. Im Gegenteil, sie scharrt und gräbt nur noch wilder im Laub und im Schlamm herum.

Als wieder ein Blitz aufzuckt, kann ich ganz kurz sehen, was sie da halb schon freigescharrt hat.

»Nicht, Carapitzli! Lass das sein!«, schreie ich und packe sie bei den Schultern. Aber ich schaffe es nicht, sie von diesem grässlichen Ding wegzuziehen. Sie ist stark, sie ist schließlich meine Amazone! In Potonchan hat sie den hünenhaften Krieger mit einem einzigen Hieb erschlagen. »Bitte, Carlita!«, flehe ich. »Du selbst hast mir gesagt, dass man diese Zauberdinger nicht anfassen darf!«

Das Ding hier sieht sogar noch viel grauenvoller aus als neulich die gekreuzten und mit Tuchfetzen umwickelten Knochen. Was Carapitzli diesmal freigescharrt hat, ist ein winziger Kopf, kaum größer als meine Faust, mit boshaft stierenden Augen. Er ragt aus der Erde hervor, sein Mund ist weit aufgerissen, die Zähne gleißen im Licht eines giftig grünen Blitzes, der gerade in diesem Moment die Dunkelheit zerreißt.

Zwischen den Zähnen hängt, halb erst hinabgeschlungen, ein herzförmiger Klumpen, schimmernd rot wie lebenswarmes Fleisch.

»Nicht anfassen!«, stammele ich in Carlitas Ohr. Ihre Hände sind mit Schlamm beschmiert und bewegen sich zuckend. Doch sie versucht nicht mehr, an das grässliche Götzen- oder Dämonenbild heranzukommen.

Ich schaffe es irgendwie, sie und mich selbst so auf die Seite zu drehen, dass wir aneinandergepresst liegen. Herz auf Herz und mein Mund auf ihren Lippen.

»Carlita«, flüstere ich. »Was hattest du vor?«

Aber sie kann mich nicht verstehen – der Donner und das Jaulen und Heulen um uns herum sind viel zu laut. Außerdem habe ich sie ja auf Spanisch gefragt, und bisher kann sie nur ein paar Brocken in meiner Sprache, so viele oder wenige wie ich auf Nahuatl. Überdies kommt es mir vor, als ob sie gar nicht richtig bei Besinnung wäre, mehr wie eine Schlafwandlerin, die aus dem Traum heraus Dinge tut, von denen sie nach dem Erwachen nichts mehr weiß.

Aber vielleicht kann sie gerade deshalb meine Frage verstehen. Nicht mit ihrem Geist, doch mit ihrem Herzen, das heftig gegen mein Herz pocht. Und sowieso hat Malinali ja zu ihr und mir gesagt, dass unsere Herzen miteinander verbunden sind.

Regen prasselt auf uns herab, der Sturm reißt an unseren Haaren und Gewändern. »Carlita«, flüstere ich, »warum?«

Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Erschrocken blicke ich auf – hinter mir kauert Cortés! Von der anderen Seite beugt sich Malinali über uns, packt Carlita bei der Hand und will sie hochziehen.

Carapitzli murmelt etwas und klammert sich an mir fest.

»Sie gibt mir Antwort!«, rufe ich aus. »Malinali – bitte, was hat sie gesagt?«

Malinali betrachtet mich argwöhnisch.

»Antworte ihm!«, befiehlt ihr Cortés.

Regenwasser rinnt aus seiner Hutkrempe und ergießt sich auf meinen Oberarm. Das dämonische Heulen hat aufgehört, fällt mir plötzlich auf. Genauso wie der Donner, die leuchtfarbenen Blitze und der Sturm. Von allen Dächern und Wipfeln tropft und gluckst es, aber auch der Sturzregen ist schlagartig wieder verebbt. Mond und Sterne scheinen vom wolkenlosen Himmel und tauchen alles, was eben noch von Finsternis verschluckt war, in mattes Licht.

»Carapitzli sagen«, antwortet Malinali in holprigem Spanisch, »genauso damals ihre Schwestern und Gefährtinnen getötet! Durch Zauber mit Mictlantecuhtli-Geistern.« Sie deutet auf den faustgroßen Kopf in der Erde, mit seinem weit aufgerissenen Maul, aus dem ein roh nachgebildetes Opferherz heraushängt. »Carapitzli nicht wollte, dass sich alles wie damals wiederholt!«

»Wie damals?«, frage ich. »Was bedeutet das?«

Carapitzlis Augen sind geschlossen, ebenso wie ihr Mund. Ihr Atem geht gleichmäßig und sanft.

Malinali fasst sie unter den Armen und Knien und hebt sie scheinbar mühelos hoch. »Mädchen jetzt schläft«, sagt sie. »Geheimnis später weiter fragen.«

Cortés reicht mir eine Hand, und ich stammele: »Danke, Herr, nicht nötig!«

So rasch ich kann, rappele ich mich auf. Ich bin von Kopf bis Fuß mit Schlamm verschmiert und Carlita sieht sogar noch schlimmer aus. So als ob sie gerade aus einem Grab gekrochen wäre.

»Gleich morgen wird Fray Bartolomé mit der religiösen Unterweisung beginnen«, sagt Cortés in beiläufigem Ton zu mir, während wir zurück zu unseren Hütten gehen. »Dann kann auch die Kleine in ein paar Tagen die Taufe empfangen, so wie Marina, und ist künftig gleichfalls sicher vor solchem Teufelsspuk.«

Fassungslos starre ich ihn von der Seite an. »Marina?«, wiederhole ich.

Mit einem stolzen Lächeln nickt mir Malinali zu. »So ich bald schon heiße!«, bestätigt sie.

Warum hat Cortés die beiden nicht schon früher unterweisen lassen?, schießt es mir durch den Kopf. Kann es sein, dass er ihre Taufe absichtlich hinausgezögert hat, um zu sehen, wie sie auf den Zauber reagieren? Unmöglich!, denke ich – und berichtige mich im gleichen Atemzug: Natürlich, es entspräche nur zu genau seiner Denkungsart! Und die Zauberer, wird mir nun auch noch klar, hat er überhaupt nur deswegen die ganze Zeit über in unserem Lager geduldet – weil er geahnt hat, dass sie uns helfen würden, das tief in Carlitas Herz verschlossene Geheimnis zu ergründen! Warum sie sich davor fürchtet, nach Tenochtitlan zu gehen. Wer sie ist und was sie über Montezuma weiß. Cortés sieht in ihr noch immer den Schlüssel zum Goldschatz, sage ich mir – nicht nur zum Gold von Potonchan, sondern zum Schatz aller Schätze, den Montezuma irgendwo in seinen Palästen hortet!

Cortés schaut mich an und lächelt sein stilles Lächeln, das nur seine Lippen kräuselt. »Der erste Schritt ist getan, Orteguilla«, sagt er. »Nun sieh zu, dass du ihr Geheimnis vollends ergründest!«