DRITTES KAPITEL
Kostbarer als Gold

- 1 -

»Du bist ein Held, Orte – das sagen alle, auch Cortés!« Diego steht über mich gebeugt und grinst wie ein Affe. »Du hast Cristóbal de Tapia das Leben gerettet – das erklärt er seit vorgestern jedem, der es hören will. Und allen anderen auch.«

»Seit vorgestern?«, wiederhole ich.

Diego nickt. »Am ersten Tag, nachdem wir die Stadt erobert hatten, lag er selbst noch hier im Krankensaal und war zu schwach, um mehr als ein paar Seufzer von sich zu geben. Er hatte wohl ziemlich viel Blut verloren, und wenn du diesen riesengroßen Indianer nicht umgehauen hättest …«

»Sag das noch mal!«, falle ich ihm ins Wort. »Wieso umgehauen?«

Diego macht große Augen. »Erinnerst du dich denn an gar nichts?«

Ich schüttele den Kopf und stöhne im nächsten Moment auf. Vorsichtig taste ich über meinen Hinterkopf und spüre einen Verband mit einer dicken Beule darunter. Verschwommen sehe ich den Krieger mit dem Holzknüppel vor mir, der mich bis in die Lücke zwischen den beiden Häusern verfolgt hat.

»Er hat dir seinen Knüppel auf den Kopf geschlagen«, sagt Diego. »Kein Wunder, dass du dich erst mal an nichts erinnerst. Aber irgendwie musst du ihm dann noch diesen enormen Mauerbrocken über den Schädel gehauen haben – obwohl du schon am Boden lagst.«

Ich setze mich vorsichtig auf und schaue um mich. Wir befinden uns in einer Säulenhalle von gewaltigen Ausmaßen. Die Wände sind mit seltsamen Gemälden und Reliefbändern bedeckt, die anscheinend eine gefiederte Riesenschlange darstellen. Die Sonne scheint zwischen den Säulen hindurch, und draußen erkenne ich eine breite Treppe, die auf den Tempelplatz hinunterführt. Kein Zweifel, sage ich mir – wir sind in der Indianerstadt! Cortés muss sie also tatsächlich erobert haben – mit ein paar Hundert Kämpfern gegen eine Streitmacht von vielen Tausend Kriegern!

In einiger Entfernung entdecke ich unseren Wundarzt Jeminez, der gerade einen der Gänge zwischen den Krankenlagern entlangeilt. Fünfzig oder noch mehr unserer Männer liegen auf Flechtmatten am Boden und jeder von ihnen hat einen Verband am Kopf, um die Brust oder einen Arm.

»Das sieht schlimmer aus, als es ist«, behauptet Diego. »Wir haben siebenundfünfzig Verwundete, aber keinen einzigen Toten. Unser einziger Verlust heißt Melchorejo – er hat das Durcheinander anscheinend genutzt, um die Flucht zu ergreifen. Aber was soll’s«, fügt Diego lachend hinzu. »Als Dolmetscher haben wir jetzt ja den Tätowierten.«

Ich komme mir vor wie in einem Traum. Doch gleichzeitig weiß ich ganz genau, dass ich all das hier wirklich erlebe – nicht nur deshalb, weil mein Kopf so schmerzhaft dröhnt.

»Die Indianer haben über tausend Krieger verloren«, fährt Diego fort. »Rund vierhundert, als wir vor drei Tagen ihre Stadt erobert haben. Und bei den Kämpfen gestern und vorgestern draußen in den Maisfeldern haben wir noch einmal mindestens siebenhundert Indianer getötet.«

In allen Einzelheiten erzählt er mir dann, wie sich die Eroberung von Potonchan abgespielt hat. Mit den Feldschlangen schossen unsere Artilleristen zweimal ins Leere – trotzdem waren die Indianer zuerst wie gelähmt vor Schreck, weil die Kanonen einen solchen Donnerkrach machten. Schon nach kurzer Zeit fassten sie sich wieder und verteidigten sich mit äußerster Entschlossenheit. Aber dann schlug der dritte Schuss in die Stadtmauer ein, direkt neben dem Torturm. Gleichzeitig drangen Alvarado und Avila von hinten mit ihren Kompanien in die Stadt ein. Sandoval und seine Männer waren mittlerweile zu ihnen gestoßen, abgesehen von einem kleinen Trupp, der Tapia und mich mit einem Boot zurück ins Lager brachte. Cortés und seine dreihundertfünfzig Kämpfer griffen also vom Fluss her an, und mit nochmals fast zweihundert Kämpfern drangen Alvarado, Avila und Sandoval von Süden her zum Stadtzentrum vor. Auf dem großen Tempelplatz kam es dann zur Schlacht, bei der Hunderte Indianer getötet oder verwundet und gefangen genommen wurden.

»Wir verstanden zuerst gar nicht, warum sie sich so ungeschickt anstellten«, erzählt Diego und seine Augen leuchten vor Begeisterung. »Mit ihren gezähnten Knüppeln oder auch mit ihren Speeren und Spießen hätten sie uns genauso tödliche Verwundungen beibringen können, wie wir das bei ihnen gemacht haben. Aber dann hat Sandoval ausgerufen: ›Männer, wisst ihr was? Sie wollen uns gar nicht töten! Sie wollen uns nur verwunden und gefangen nehmen – töten dürfen nur ihre Priester!‹ Und ganz genauso war es auch«, redet Diego weiter, »sie spießten sich geradezu auf unsere Schwerter auf bei dem Versuch, einen von uns kampfunfähig zu machen und zu ihren Tempeln zu schleppen. Deshalb konnte jeder von uns es mit acht oder sogar zehn von ihnen aufnehmen – wie der Rasende Roland im Ritterroman!«

»Langsam, Diego«, sage ich und hebe eine Hand. »Du sagst die ganze Zeit wir und uns – heißt das etwa, dass du an diesen Kämpfen teilgenommen hast?«

Er sackt ein bisschen in sich zusammen. »Ich musste die ganze Zeit an Portocarreros Seite bleiben«, murmelt er. »Nachdem sie dich bewusstlos und mit blutendem Kopf unter dem toten Indianer hervorgezogen hatten, wollten sie wohl auf keinen Fall riskieren, dass auch noch Cortés’ zweiter Page aus den Stiefeln kippt. Und jedes Mal, wenn ich mit meinem Kurzschwert einen Indianer angreifen wollte, hatte der ›Dröhnende‹ ihn schon umgehauen – und gleich noch zwei oder drei weitere dazu.«

Diese letzten Sätze von Diego bekomme ich kaum mehr mit. »Tot …«, murmele ich und mein Mund fühlt sich mit einem Mal staubtrocken an. »Hast du eben gesagt, dass auch der Indianer, der mich verfolgt hat, tot ist?«

»So tot, wie man nur sein kann«, bestätigt Diego. »Du musst ihm diesen Mauerbrocken mit voller Kraft auf den Kopf gehauen haben. Sein Schädel war zerplatzt, und was darin …«

»Ist schon gut, ist ja schon gut«, unterbreche ich ihn erneut. »Verschone mich mit blutigen Einzelheiten!«, fahre ich fort. »Oder willst du, dass ich dir auf die Füße kotze?«

»Das lass mal besser sein«, empfiehlt mir Diego und grinst mich ungerührt an. »Sonst bringen sie dich in die Halle gegenüber – zu den rund hundert Mann, die gestern nach der Schlacht fauliges Wasser getrunken haben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es da drüben zugeht.«

»Vor allem will ich es mir nicht vorstellen«, sage ich und werde von einem eisigen Schauder durchgeschüttelt. Ich werfe einen raschen Blick zu der Säulengalerie, aber das Bauwerk gegenüber ist glücklicherweise zu weit entfernt. Außer einer Treppe und einer weiteren Säulengalerie darüber kann ich von hier aus nichts erkennen.

Doch mit meinen Gedanken bin ich sowieso immer noch bei meinem seltsamen Kampf mit dem Indianer. »Ein Mauerbrocken«, murmele ich. »Ich kann mich wirklich nicht erinnern. Ich weiß nur noch, wie ich von hinten diesen grässlichen Schlag auf den Kopf bekommen habe. Aber sonst …«

Ich unterbreche mich mitten im Satz. Auf einmal sehe ich das Mädchen wieder vor mir, die braune, halb vom Dunkel verschluckte Gestalt. Wie sie in dem schmalen Durchlass in der Hauswand stand und mir mit ihren Augen ein Zeichen machte, dass ich weitergehen soll …

»Hey, Orte, was ist los?«, ruft Diego. Er hat mich bei den Schultern gepackt und schüttelt mich nicht gerade sanft hin und her. »Verlierst du jetzt wieder das Bewusstsein, oder was?«

»Ganz im Gegenteil«, murmele ich.

Mir ist nämlich gerade klar geworden, dass niemand anderes als das Mädchen den Steinbrocken auf den Kopf meines Verfolgers gehauen haben kann. Jetzt sehe ich sogar vor mir, wie sich alles abgespielt haben muss. Er zog mir seinen Knüppel über, ich ging zu Boden, und wahrscheinlich kauerte er sich dann neben mich, um nachzusehen, ob ich noch lebte. Als Nächstes hätte er mich zweifellos zu einem Götzentempel geschleppt, um mich dem Teufel opfern zu lassen. Aber dann kam das Mädchen aus seinem Versteck hervor und schlug ihm den Steinbrocken auf den Kopf.

Sie muss ungeheuer stark sein, sage ich mir, und ein Grinsen zieht meinen Mund auseinander. So stark wie eine Amazone …

»Was ist denn jetzt schon wieder los?«, fragt mich Diego. »Erst starrst du so glasig vor dich hin, als ob du gleich wieder umkippen würdest. Und jetzt grinst du so blöd, als hättest du dich verliebt! Aber hier gibt es keine Mädchen, Orte, schau dich nur um! Nicht mal Indianerinnen – die haben die Krieger alle aus der Stadt geschafft. Aber vielleicht hast du dir deine schöne Geliebte ja einfach erträumt? Würde zu dir passen, Junge«, fügt Diego hinzu und klopft mir gönnerhaft auf den Oberarm. »Auch wenn du neuerdings ein Held bist und Tapia das Leben gerettet hast – ein Träumer bist und bleibst du trotzdem!«

So schwatzt Diego vor sich hin, und ich höre ihm mit brummendem Kopf zu und versuche gleichzeitig, mich zu erinnern. Vielleicht habe ich mir ja wirklich nur eingebildet, dass sich dort in der Nische ein Mädchen versteckte? Womöglich habe ich ja, als ich schon halb ohnmächtig war, den Stein irgendwie zu fassen gekriegt und dem Indianer auf den Kopf gehauen, ohne es noch bewusst mitzubekommen?

Aber das glaube ich keinen Augenblick lang. Ich habe das Mädchen gesehen, sage ich mir, und ich habe sogar gespürt, dass sie mir helfen wird. Und ganz genauso muss es dann ja auch gekommen sein. Aber warum hat sie mir überhaupt geholfen? Sie ist doch bestimmt ein Indianermädchen von hier – weshalb also hat sie einen ihrer eigenen Leute getötet, um mir das Leben zu retten?

An diesem Rätsel grübele ich herum, während sich Diego auf die Suche nach Cortés macht. Unser Herr hat befohlen, ihm sogleich Meldung zu erstatten, wenn ich wieder zu mir gekommen bin. Dieser Befehl schmeichelt mir sehr, aber mehr noch beunruhigt er mich: Schließlich habe ich in der Indianerstadt nichts Besonderes beobachtet, wovon ich Cortés berichten könnte.

- 2 -

»Erhebe dich, Orteguilla, falls deine Kräfte dafür reichen.« Wundarzt Jeminez reicht mir seine Hand und zieht mich von meinem Lager hoch. »Der Commandante betritt soeben unser bescheidenes Hospital«, fährt der Schlitzohrige fort, »und ich wette meinen prächtigsten Gallenstein, dass er wegen dir gekommen ist.«

Ich werfe meine Decke zurück und rappele mich auf. Die verwundeten Männer im ganzen Saal sind urplötzlich verstummt und schauen Cortés in ehrerbietigem Schweigen entgegen. Unser Herr grüßt nach links und rechts, ruft dem einen ein paar Scherzworte, dem anderen eine aufmunternde Floskel zu, aber er bleibt bei niemandem stehen. Suchend schweift sein Blick durch die Halle, und als er mich in meinem Winkel entdeckt hat, kräuselt jenes stille Lächeln seine Lippen.

Mit federnden Schritten eilt er herbei und streckt mir beide Hände entgegen. Ungeachtet der feuchtheißen Witterung trägt er wieder seinen Samtumhang und den breitkrempigen Hut. »Orteguilla!«, ruft er aus. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Aber nun sehe ich, dass du wieder wohlauf bist.«

Zögernd reiche ich ihm meine Hände. Er zieht mich zu sich heran, das ist niemals vorher geschehen. Ich bin gerührt, aber mehr noch beunruhigt. Cortés tut nichts ohne sorgfältigste Berechnung, jedenfalls steht er in diesem Ruf. Wenn er mich nun vor aller Augen derartig auszeichnet, kann das eigentlich nur heißen, dass er etwas ebenso Außerordentliches von mir erwartet. Eine weitere »Heldentat« vielleicht oder einen Bericht, der vor tiefgründigen Erkenntnissen zu den Eigenarten der Indianer strotzt.

Aber ich werde ihn enttäuschen müssen, so oder so. Den riesenhaften Indianer habe nicht ich besiegt, sondern ein geheimnisvolles Mädchen. Und von der Stadt habe ich bestimmt viel weniger gesehen als er. Ehe ich irgendwelche Herzen ergründen konnte, lag ich schon bewusstlos am Boden.

»Du bist doch wieder bei Kräften?«, fragt Cortés. »Dann lass uns ein paar Schritte gehen«, fügt er hinzu, bevor ich irgendetwas antworten kann. »Ich will dir etwas zeigen.«

Zwischen den Säulen hindurch treten wir ins Freie. Meine Beine fühlen sich noch ein wenig schwach an, aber abgesehen von dem klopfenden Schmerz in meinem Hinterkopf fühle ich mich eigentlich ganz gut. Vorhin habe ich eine ganze Schüssel Fleischbrühe in mich hineingeschlürft, und ich spürte richtiggehend, wie ich mit jedem Schluck wieder etwas stärker wurde.

Die Treppe hinab zu dem gewaltig großen Tempelplatz sieht aus wie für Riesen erbaut. Die gigantischen Pyramiden und Paläste kommen mir mit einem Mal vollkommen unwirklich vor. Vielleicht liegt es daran, dass der Platz heute fast menschenleer ist.

»Du hast im Schlaf geredet«, sagt Cortés, nachdem wir die Riesenstufen hinter uns gelassen haben. »Jeminez sagt, es war nur wenig zu verstehen. Aber du musst hier in der Stadt etwas erlebt haben, das dich bis in deinen Ohnmachtsschlaf hinein verfolgt hat.«

Der Atem stockt mir bei diesen Worten, doch ich nehme mich zusammen. Ich darf mir nichts anmerken lassen!, durchzuckt es mich, und niemals ist mir ein Gedanke wahrer erschienen als dieser. Obwohl ich selbst nicht richtig verstehe, was ich vor Cortés so dringend verbergen muss. Und aus welchem Grund.

»Was habe ich denn gesagt?«, frage ich und schaue ihn mit gespielter Gleichgültigkeit an. »So viel wie Aguilar hatte ich ja bestimmt nicht zu erzählen.«

Unser Herr wirft mir einen forschenden Blick zu. »Du hast eine Amazone besungen«, sagt er, »aber das hat wohl nichts weiter zu bedeuten.«

Er lächelt versonnen, und mir fällt ein, was ich auf Kuba mehr als einmal über Cortés munkeln hörte. Bevor er die Goldmine fand und ein reicher Haziendero wurde, soll er der ärgste Weiberheld in der ganzen Neuen Welt gewesen sein. Angeblich ließ Gouverneur Velazquez ihn sogar einmal in den Kerker sperren, weil er der Schwester eines Hazienderos die Ehe versprochen, sich dann aber lieber mit anderen Frauen vergnügt haben soll. Zu dem heutigen Cortés scheinen diese Geschichten überhaupt nicht zu passen, und doch bin ich mir aus irgendeinem Grund sicher, dass sie wahr sind.

»Was ist dort in dem Durchgang zwischen den Häusern passiert?«, fragt mich Cortés. »Du hast den Indianer besiegt, der hinter dir her war. Wenn du ihn nicht von Tapia abgelenkt hättest, wäre der Ärmste vermutlich auf einem Opferaltar gelandet. Aber jetzt verrate mir, Orteguilla: Wie hast du das gemacht?«

Er nimmt mich beim Ellbogen und zieht mich quer über den Platz. Die Sonne scheint, aber der Platz ist mit Pfützen übersät. Die Luft ist dampfend feucht, und ich spüre, wie mir Schweißtropfen den Rücken hinunterrollen.

»Dein Gegner war ein starker Mann und schwer bewaffnet«, fährt Cortés fort. »Du lagst bereits am Boden und hattest eine Wunde am Hinterkopf. Du musst benommen gewesen sein. Und trotzdem hast du ihn mit einem einzigen Schlag getötet! Sogar Portocarrero war beeindruckt – und das will wirklich etwas heißen.«

Er spricht in beiläufigem Tonfall, doch ich spüre, dass es ihm ernst ist. Er hat ein Gespür für Dinge, die scheinbar nebensächlich sind – wenn man aber an so einem Fadenende zieht, dann zeigt sich oftmals, dass alles, was man gesucht hat, wie aufgefädelt daran hängt. So hat es mir Cortés einmal auf Kuba erklärt.

»Es tut mir leid, Herr«, antworte ich, »aber ich weiß nicht, wie es sich zugetragen hat. Der Schlag auf meinen Kopf hat mein Gedächtnis verdunkelt. Ich weiß nicht einmal, wo der Stein herkam, den ich ihm anscheinend auf den Schädel gehauen habe.«

Wieder wirft mir Cortés einen raschen Seitenblick zu. »Irgendetwas Geheimnisvolles steckt dahinter«, sagt er, »das spürst du bestimmt genauso wie ich. Aber du wirst es ergründen, Orteguilla, und dann erstattest du mir Bericht.«

Ich nicke und murmele, dass ich ihn ganz bestimmt nicht enttäuschen werde. Dabei komme ich mir wie ein Lügner und Verräter vor, und doch fühle ich, dass ich so und nicht anders handeln muss. Ich darf niemandem von dem Mädchen erzählen, sage ich mir – auch wenn es dadurch so aussieht, als wollte ich mich mit fremden Taten schmücken. Nur warum ich weder Cortés noch Diego oder irgendwem sonst von dem Mädchen erzählen darf, das ist mir alles andere als klar. Wieder einmal kommt mir mein eigenes Herz so unergründlich vor wie das tiefe Meer.

Cortés steuert auf einen bunt bemalten Rundturm in einer Seitenstraße hinter dem Tempelplatz zu. Vor der Tür stehen zwei unserer Männer Wache. Als wir bei ihnen sind, salutieren sie und treten zur Seite, um uns einzulassen. Cortés eilt die enge Wendeltreppe hoch, und ich folge ihm, so rasch ich kann.

Oben treten wir in einen dämmrigen Saal. Durch Lukenfenster dringt nur wenig Sonnenlicht ein. Der Boden ist mit Flechtmatten ausgelegt, an den Wänden stehen tönerne Krüge in Regalen.

»Weißt du, was das hier ist?«, fragt mich Cortés.

Auf den Matten liegen bemalte und beschriebene Blätter verstreut. Einige sind zusammengerollt und mit Schnüren umwunden, andere zu langen Faltbüchern zusammengeklebt – Leporello-Heften, wie wir sie auch in Spanien verwenden. Nur dass die Falthefte der Indianer viel bunter sind, ein Gewirr aus Schrift- und Bilderzeichen, das jedes Blatt bis in das letzte Eckchen bedeckt.

»Ein Lese- und Schreibsaal«, sage ich und kann es selbst kaum glauben. »Habe ich recht, Herr?«

Ich kauere mich auf eine Flechtmatte und nehme eins der beschriebenen Blätter zur Hand. Es fühlt sich an wie ein dünnes Tuch aus Pflanzenfasern, das mit einer lackartigen Oberfläche versehen worden ist.

Cortés nickt mir zu. »Jeder dieser Krüge«, sagt er und deutet auf die Wandregale, »enthält eines oder mehrere solcher Bücher. Die Tonkrüge sollen sie offenbar vor der Feuchtigkeit beschützen. Es sind Tausende Bücher – eine ganze Teufelsbücherei!«

Er schüttelt den Kopf und beginnt, in der Indianerbibliothek auf und ab zu gehen. »Meine Männer«, sagt er, »reden von den Indianern immer noch so, als ob es Wilde wären, Waldmenschen, halbe Tiere. Aber du und ich wissen, dass das nicht wahr ist, Orteguilla. Sie können lesen und schreiben. In dieser Stadt hier stehen prächtigere Bauten als in den meisten Städten der Alten Welt.«

Erneut wirft er mir einen forschenden Blick zu. Allmählich wird mir dieses Zwiegespräch unheimlich. Unser Herr hat mich schon mehr als einmal in sein Vertrauen gezogen, aber niemals vorher in solchem Maß. Und nie zuvor hatte ich so wie heute das Gefühl, dass er gleichzeitig einen leisen Argwohn gegen mich hegt.

»Wir müssen schleunigst ergründen, was wirklich in diesen Indianern vorgeht«, fährt er fort. »Wie sie denken und fühlen, was sie fürchten und was sie begehren – nur wenn wir das herausbekommen, werden sie uns verraten, wo ihre Goldschätze verborgen sind.«

Er geht weiter auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt. »In den letzten Tagen haben wir mehr oder weniger die ganze Stadt durchsucht«, erzählt er mir. »Wir haben alle gefangenen Indianer verhört, aber sie behaupten nur immer wieder, dass es hier in der Gegend kein Gold gebe. Bis auf ein paar kleine Figuren und Masken haben wir tatsächlich nichts gefunden. Auch die Schneiden ihrer Streitäxte sind nicht aus Gold, wie wir anfangs geglaubt haben – es sind Kupferbeile, die sie wohl mehr zur Zierde mit sich herumtragen. Jedenfalls polieren sie das Metall, bis es beinahe wie Gold glänzt. Aber wie dem auch sei: Ich rieche, dass es hier irgendwo gewaltige Goldmengen geben muss.«

Direkt vor mir bleibt er plötzlich stehen und legt mir seine Hände auf die Schultern. »Sie haben das Gold vor uns versteckt«, sagt er, »und mit deiner Hilfe werde ich es finden.«

Ich muss schlucken. Es ist wie ein Krampf. Das Mädchen fällt mir wieder ein, und erneut spüre ich, dass ich Cortés auf gar keinen Fall von ihr erzählen darf. Ich öffne meinen Mund, aber außer krampfhaften Schluckgeräuschen dringt nichts daraus hervor.

»Verzeiht, Herr«, gelingt es mir schließlich zu sagen. »Meine Verwundung …« Ich taste über den Verband an meinem Hinterkopf. Die Beule darunter fühlt sich uneben an, wie mit schorfigen Höckern bedeckt.

Cortés nimmt mich beim Arm und führt mich zu einer steinernen Bank, die in die Turmwand eingelassen ist. Ich lasse mich darauf fallen und versuche verzweifelt, meine Gedanken zu ordnen.

»Und jetzt heraus mit der Sprache«, sagt unser Herr, »was ist dir Besonderes aufgefallen, als du mit Sandoval hier herumgelaufen bist?«

- 3 -

»Es ist nur sehr wenig, Herr«, beginne ich zögernd, »und bestimmt werdet Ihr finden, dass auch dieses Wenige für Euch wertlos ist.«

Ich gebe mir einen Ruck. Jetzt will ich es nur noch hinter mich bringen, egal was danach geschieht.

»Sie halten uns für Wilde«, presse ich hervor, »genauso wie wir geglaubt haben, dass sie Wilde sind!«

Ich rechne schon damit, dass er mich auslachen oder verärgert wegschicken wird. Aber Cortés schaut mich nur erstaunt an und gleich darauf wird sein Gesichtsausdruck nachdenklich.

Er setzt sich neben mich auf die Mauerbank. »Wie kommst du darauf?«, will er wissen.

»Für ihre Nasen scheinen wir nicht gerade Wohlgeruch zu verströmen«, sage ich, »und bei ihnen sind auch die erwachsenen Krieger weder im Gesicht noch an Handrücken oder Armen behaart. Aber das allein ist es nicht.«

»Was ist es dann?«, fragt mich Cortés.

Ich überlege hin und her, wie ich es ihm – und vor allem erst einmal mir selbst – erklären soll. »Es ist nur ein Eindruck, kaum mehr als eine Ahnung«, sage ich. »Sie glauben, dass ihre Welt wertvoller und höher entwickelt ist als unsere. Für sie sind wir die Barbaren, die von ihren Sitten und Gebräuchen nichts verstehen. Und deshalb haben sie zwar manchmal auch Angst vor uns – aber nur ungefähr so, wie wir uns vor einem Bären oder Tiger erschrecken würden, der plötzlich vor uns auftaucht.«

Cortés starrt mindestens eine Minute lang vor sich hin, dann nickt er mehrfach. »Wenn sie uns für Verkörperungen ihrer Götter halten würden«, sagte er, »wäre natürlich alles viel einfacher. Aber du hast recht, Orteguilla, du hast völlig recht: Für sie sind wir höchstens eine Art Ungeheuer.« Er hebt seinen Kopf und schaut mich wieder von der Seite forschend an. »Und was sonst noch?«

»Sie sind neugierig!«, platze ich heraus. »Aber verzeiht, Herr, das ist nun wahrhaftig keine Neuigkeit. Die Indianer sind so neugierig, dass sie darüber alles andere vergessen können – ihre Angst, ihren Zorn, sogar ihre Feindseligkeit.«

Auch das lässt sich Cortés einen Moment lang durch den Kopf gehen. »Dass sie so neugierig wie Kinder sind, ist wirklich keine Neuigkeit«, sagt er schließlich. »Aber dass sie darüber sogar ihre Feindseligkeit vergessen können, hatte ich so noch nicht gesehen.«

Er denkt erneut eine kleine Weile lang nach. »Du glaubst vielleicht, dass deine Beobachtungen von geringem Wert für mich seien«, fährt er fort. »Aber das Gegenteil trifft zu. Erst jetzt beginne ich zu begreifen, warum wir diese dreitägige Schlacht gegen eine zehnfache Übermacht letzten Endes gewonnen haben. Und warum es zwischenzeitlich so aussah, als ob sie uns abschlachten oder günstigstenfalls davonjagen würden.«

Er springt wieder auf und geht erneut zwischen den Krügen voller Faltbücher und den am Boden verstreut liegenden Blättern auf und ab. Dabei erzählt er mir, wie die Kämpfe der letzten beiden Tage verlaufen sind. Vorgestern befahl er drei Kompanien unter der Führung von Sandoval, Portocarrero und Alvarado, in einem Umkreis von fünf spanischen Meilen nach Maisbauern und Truthahnzüchtern zu suchen. Die Männer sollten für alles, was sie mitnahmen, einen gerechten Preis bezahlen, aber wenn die Bauern ihnen nicht freiwillig Lebensmittel verkauften, dann sollten sie sie notfalls mit Waffengewalt dazu zwingen.

Alvarado stieß bald schon auf eine große Zahl von Feldern, die mit Mais bebaut und von Wassergräben durchzogen waren. Doch als sie die Bauern aufforderten, ihnen einen Teil ihrer Ernte zu verkaufen, da wurden sie auf einmal von mehreren Hundert Indianern angegriffen. Sie riefen die anderen Kompanien zu Hilfe, und auch Cortés selbst eilte mit einer weiteren Kompanie, dreißig Armbrustschützen und zwei Kanonen herbei. Doch diesmal blieben die Geschütze wirkungslos. Um ihre Treffsicherheit ist es ohnehin nicht sehr gut bestellt, und an den Donnerkrach, das Blitzen und Qualmen aus dem Mündungsrohr hatten sich die Indianer nach der Schlacht am Vortag bereits gewöhnt.

»Sie sind neugierig, das hast du ganz richtig beobachtet«, sagt Cortés, »aber ihre Neugierde ist nicht nur schnell entfacht, sondern fast noch schneller wieder abgekühlt. Und dann kämpfen sie so zäh und furchtlos weiter, als ob sie alle mit Kanonendonner aufgewachsen wären.«

Wegen der hochragenden Maispflanzen auf den Feldern blieben auch die Armbrustschützen wirkungslos, erzählt Cortés weiter. Unsere Männer stolperten in den Äckern herum, fielen in Wassergräben, und nach kürzester Zeit waren dreißig von ihnen verwundet, davon die Hälfte so schwer, dass sie sofort verarztet werden mussten. Hätten die Indianer es darauf angelegt, ihre Gegner zu töten, so wären bei dieser Schlacht zweifellos viele unserer Männer ums Leben gekommen.

Schließlich befahl Cortés den Rückzug und die Indianer schickten ihnen noch Hagel von Pfeilen und höhnisches Gelächter hinterher. Unser Herr aber blieb unbeeindruckt. Er befahl, die Verwundeten zu versorgen, und schickte Sandoval mit einem kleinen Trupp zur Küste, damit sie im Schutz der Nacht die Pferde herbeiholten.

»Gestern früh zogen wir aufs Neue in die Schlacht«, sagt er, »wieder draußen in den Maisfeldern, aber diesmal mit allen Pferden. Du kannst dir kaum vorstellen, was für eine ungeheure Wirkung wir bei den Indianern hervorriefen: sechzehn Ritter in voller Rüstung zu Pferde. Sie starrten uns mit offenen Mündern an oder rannten schreiend davon. So oder so vergaßen sie zu kämpfen und schauten nur wie gelähmt zu, während wir ihre Streitmacht wie eine Schafherde zusammentrieben und niedermachten. Einige von ihnen ließen wir am Leben und nahmen sie als Gefangene mit in die Stadt. Sie versicherten nur immer wieder, dass sie von Ungeheuern angegriffen worden seien – Mischwesen, halb Menschen mit Eisenhaut und halb Hirsche ohne Geweih. Ich glaube«, fügt Cortés hinzu, »sie haben bis jetzt noch nicht begriffen, dass die Männer, von denen sie verhört wurden, dieselben waren, die vorher auf den Pferden sitzend gegen sie gekämpft hatten.«

Er bleibt mit dem Rücken zu mir vor einer Fensterluke stehen und schaut auf die Straße hinaus. »Aber auch an die Pferde werden sie sich bald gewöhnt haben«, sagt er, »und was dann? Weitere Geheimwaffen haben wir nicht. Und auch wenn wir nun weiter ins Landesinnere vordringen werden – die Botschaft, dass wir feuerspeiende Feldschlangen und schnaubende Zentauren mit uns führen, wird uns windesschnell vorauseilen.«

Ich stehe auf und gehe zu Cortés hinüber. »Ihr wollt weiter ins Landesinnere, Herr?«, frage ich.

Er dreht sich um und sieht mich so starr und ausdruckslos an, wie nur er das kann. »Morgen früh wird der Herrscher von Potonchan hier erscheinen und mir irgendwelche Geschenke übergeben«, antwortet er. »Um uns friedlich zu stimmen und vor allem, um uns zum Abzug zu bewegen. Natürlich wird es nicht der wirkliche Herrscher sein, sondern irgendein Indianer, den sie für diese Aufgabe ausgesucht haben. Aber glaubst du wirklich, Orteguilla, dass er mir den Goldschatz seines Königs zu Füßen legen wird?«

Ich schüttele meinen Kopf – behutsam, denn unter dem Verband klopft der Schmerz wieder stärker. »Er wird wieder nur Truthahn und Maisfladen bringen«, sage ich.

Cortés lächelt mich an, doch seine Augen bleiben wachsam. »Aber vielleicht findest du ja noch heraus«, sagt er, »wo sie ihr Gold verborgen haben.«

»Ich, Herr?«, frage ich. »Wie stellt Ihr Euch das vor?«

Cortés legt mir einen Arm um die Schultern und zieht mich mit sich, zur Treppe zurück. »Letzte Nacht sandte mir Gott der Herr wieder einen Traum«, sagt er. »Ich sah dich, Orteguilla, mit einem ungeheuren Haufen goldener Masken und Figuren, die vor dir aufgehäuft lagen. Also denke nach, geh in dich, versuche vor allem, dich zu erinnern! Du besitzt den Schlüssel zum Goldschatz von Potonchan. Wenn deine Erinnerung zurückgekehrt ist, wirst du auch wissen, wo das Gold ist.«

Mein Herz beginnt, wie irrsinnig zu hämmern, und einen Moment lang befürchte ich, dass meine Beine unter mir zusammenklappen werden. Aber ich schaffe es erneut, mir nichts anmerken zu lassen.

»Ich will mich bemühen, Herr«, gelobe ich mit halbwegs fester Stimme.

Cortés versetzt einem der bunt beschrifteten Falthefte einen Tritt. »Und bevor wir von hier weggehen«, sagt er abschließend, »werden wir diese Teufelsbibliothek natürlich niederbrennen.«

- 4 -

Nach diesem sonderbaren Zwiegespräch mit unserem Herrn bin ich wie von Sinnen. Mein Herz rast, das Blut rauscht mir in den Ohren. Wundarzt Jeminez murmelt etwas von wiederkehrendem Fieber und befiehlt mir, mich erneut auf meine Matte zu legen. Bereitwillig befolge ich seine Weisung – hier im Krankensaal lassen sie mich zumindest in Ruhe.

Bevor es so weit ist, erscheint allerdings erst noch Cristóbal de Tapia an meinem Krankenlager. Mit würdevollen Verneigungen beteuert er, dass er mir auf ewig dankbar sein werde. »Wenn ich dir irgendwie einmal gefällig sein kann, Orteguilla de Villafuerte, lass es mich wissen«, verkündet er. »Für den Retter meines Lebens werde ich keinerlei Mühen scheuen!«

Ich murmele »Ihr seid zu gütig« oder etwas Ähnliches und flattere mit den Lidern, so als ob ich die Augen nicht länger aufhalten könnte. Endlich zieht er sich zurück und kurz darauf lässt mich auch Diego allein.

Zusammengerollt wie ein Teppich liege ich in meinem Winkel in der Säulenhalle und versuche, meine Gedanken zu ordnen und, mehr noch, mein tobendes Herz zu beruhigen.

Wer ist das Mädchen?, frage ich mich ein ums andere Mal. Warum hat sie mir beigestanden? Und dann wieder: Ist sie der »Schlüssel zum Goldschatz«, von dem Cortés geträumt hat? Dass unserem Herrn wirklich dieser Traum gesandt wurde, bezweifle ich keinen Augenblick lang. Schließlich hat er sogar vorausgesehen, wie viele Truthahnrationen uns die Indianer vor ihr Stadttor bringen würden. Er hat prophezeit, dass und wann Melchorejo die Flucht ergreifen würde – und wieder ist alles so gekommen, wie er es vorausgesagt hat.

Werde ich hier in Potonchan also wirklich ungeheure Mengen goldener Masken und Figuren finden, wie sie Cortés im Traum erblickt hat – »zu deinen Füßen aufgehäuft«? Und das Indianermädchen, meine geheimnisvolle Amazone, wird sie mir wirklich dabei helfen?

Aber ich will das nicht!, schreit es in mir. Wie oft habe ich die heilige Muttergottes angefleht: Lass uns kein Gold finden, zumindest noch nicht jetzt! Ich weiß doch, was das sonnengelbe Metall in den Herzen und Köpfen der Männer anrichtet, die vom Goldfieber befallen werden! Und jetzt soll ich selbst dieses Fieber entfachen?

Ich werfe mich auf meinem Lager hin und her. Wundarzt Jeminez beugt sich über mich. Er kühlt mir die Stirn und träufelt mir eine Flüssigkeit auf die Lippen. »Was ist denn, Junge?«, murmelt er. »Hast du Schmerzen?«

Ich schüttele den Kopf und knirsche mit den Zähnen. Niemand darf auch nur das Geringste von dem Durcheinander in meinem Innern erfahren!, beschwöre ich mich selbst. Von dem Mädchen oder gar von meinen heimlichen Gebeten, dass unsere Suche nach Gold vergeblich sein soll. Nur wenn wir hier in Potonchan keinen Goldschatz finden, wird Cortés uns weiter ins Landesinnere führen – das hat er ja gerade eben zu mir gesagt!

Ich fühle mich vollkommen erschöpft, mein Kopf tut schrecklich weh. Und mein Herz will einfach nicht aufhören, wie tobsüchtig in meiner Brust zu hämmern.

Irgendwann schlafe ich trotzdem wieder ein. Als ich zu mir komme, dämmert vor der gigantischen Säulenwand der neue Morgen. Gleich wird der Herrscher von Potonchan erscheinen, geht es mir durch den Kopf – und bald danach werden wir aufbrechen und die Indianerstadt hinter uns lassen! Und solange ich hier fiebernd auf dem Krankenbett liege, kann auch niemand von mir verlangen, dass ich das Versteck aufspüre, in dem der Herrscher von Potonchan seinen Goldschatz verborgen hat. Also muss ich nur einfach hier in meinem Winkel bleiben und mich krank und schlafend stellen, bis draußen das Signal zum Aufbruch ertönt.

Das sage ich mir wieder und wieder vor, dabei weiß ich ganz genau, dass keine Silbe davon stimmt. Der Schlüssel zum Goldschatz ist in meiner Erinnerung, hat Cortés zu mir gesagt. Wenn ich mich erinnere, was in jenem Gang zwischen den beiden Häusern passiert ist, werde ich auch den Goldschatz finden. Und das Mädchen ist dieser Schlüssel, ich weiß es ja längst! Ich spüre es mit jeder Faser meines irrsinnig klopfenden Herzens: Sie hat mich gerettet, und sie wird mir zeigen, wo das Gold von Potonchan verborgen ist. Auch wenn sich in mir alles dagegen sträubt und auch wenn ich nicht im Mindesten begreife, wie das vor sich gehen soll.

Irgendwann später erschallt draußen auf dem Tempelplatz eine Fanfare. Alle Verletzten, die sich irgendwie voranschleppen können, rappeln sich von ihren Matten auf. Ich folge ihrem Beispiel und gehe gleichfalls zur Säulenwand hinüber. Unten auf dem Platz legen Jesus Mendoza und einige weitere Zimmerer gerade letzte Hand an ein gewaltiges Podest an. Es erhebt sich unmittelbar vor der größten und prächtigsten Pyramide, auf deren First die spanische Fahne neben einem gewaltig großen Holzkreuz weht. Auf einen Wink von Mendoza hin nähern sich einige Dutzend unserer kubanischen Sklaven und bestreuen das Podest mit frisch geschnittenen Palmzweigen.

Heute ist Palmsonntag, wird mir klar, der letzte Sonntag vor Ostern. Weitere Sklaven eilen herbei, Körbe voller Palmwedel auf dem Rücken. Von feierlich gekleideten Konquistadoren beaufsichtigt, streuen sie die Palmzweige quer über dem Tempelplatz in Richtung Norden aus, geradewegs auf den zerschossenen Torturm zu.

Ich beginne zu ahnen, was Cortés vorhat. Auch wenn ich keine prophetischen Kräfte besitze, weiß ich schon im Vorhinein, dass es ihm auch diesmal gelingen wird, die Indianer zu beeindrucken. Und dass ihre Begeisterung und Ergriffenheit wiederum nicht lange andauern wird – weil ihre Neugierde rasch entfacht ist, aber noch schneller wieder erlahmt.

Auf der Straße, die von Süden her, aus dem gebirgigen Hinterland, nach Potonchan führt, nähert sich währenddessen eine würdevolle Prozession dem Tempelplatz. Von hier oben aus, zwischen den Säulen über der Treppe, könnte man fast meinen, dass dieser feierliche Zug bereits zur heiligen Palmsonntagsmesse gehört. Dabei ist es die Delegation der Indianer, angeführt von einem Krieger, der von Kopf bis Fuß in schillerndes Gefieder gehüllt ist. Hinter ihm schreiten zwanzig weitere Indianer, mit kunstvollem Kopfschmuck aus Vogelfedern und in prächtige Umhänge gekleidet. Wahrscheinlich sind es Häuptlinge verschiedener Dörfer und Stämme aus den umliegenden Bergen, sage ich mir, und der Gefiederte, der ihnen voranschreitet, wird sich zweifellos als Herrscher von Potonchan ausgeben.

In einem Abstand von ein paar Dutzend Schritten folgen dreißig oder vierzig weitere Indianer. Sie tragen gleichfalls Federschmuck auf den Köpfen, doch ihre Oberkörper sind entblößt und wie ihre Gesichter bunt bemalt. Auf dem Rücken schleppen sie Lastkörbe, die mit Tragebändern an ihrer Stirn befestigt sind. Etliche von ihnen ziehen außerdem vermummte Gefangene hinter sich her.

»Wen zerren sie denn da herbei?«, murmelt einer der verwundeten Männer in meiner Nähe.

Die Gefangenen tragen Säcke aus Pflanzenfasern über den Köpfen. Ihre Körper sind bis zu den Füßen in unförmige Gewänder gehüllt.

»Das sieht ganz so aus«, rätselt ein Zweiter, »als wollten sie Gefangene austauschen – dabei haben sie doch keinen Einzigen von uns geschnappt!«

»Und wenn sie einen von uns erwischt hätten«, mischt sich der Nächste ein, »dann hätten sie ihn längst dem Teufel geopfert und seine Arme und Beine aufgefressen, wie es Aguilar erlebt hat!«

- 5 -

Angespannt sehe ich zu, wie sich der (angebliche) Herrscher von Potonchan und sein Gefolge dem palmgeschmückten Podest auf dem Tempelplatz nähern. Dort thront unser Herr mittlerweile auf einer Art Flechttruhe, unter einem Baldachin, der ihn vor der ärgsten Hitze schützt. Die Sonne steht schon wieder hoch am Himmel, dennoch trägt Cortés seinen schwarzen Samtumhang und den federgeschmückten Hut. Die goldenen Troddeln an seinem Gewand und die Goldfäden in seinen Strümpfen funkeln bis zu mir herüber. Links und rechts von ihm stehen seine drei Vertrauten. Auch sie haben ihre kostbarste Feiertagskleidung angelegt. Portocarreros Gesicht ist feuerrot, und obwohl er seine Stimme zu dämpfen versucht, dröhnen seine Flüche über den Platz.

Auf dem Podest vor Cortés kauert der Tätowierte. Einen Schritt hinter der Flechttruhe entdecke ich den Notar Pedro Gutierrez, der mit eingezogenem Kopf unter dem Baldachin steht. Er hält ein großes schwarzes Buch vor seine Brust gedrückt – zweifellos das Requerimiento.

Der angebliche Herrscher der Indianerstadt kniet vor dem Podest nieder, beugt seinen Oberkörper weit nach vorn und stülpt die Lippen vor, als wollte er den Boden küssen. In dieser Haltung faucht er einige Worte hervor und richtet sich wieder auf.

»Der König von Potonchan grüßt Euch ehrerbietig, Caudillo«, ruft Aguilar mit lauter Stimme, »und er bittet Euch um Frieden!«

Cortés sieht sein Gegenüber durchbohrend an. »Ich, Hernán Cortés, der Statthalter des einen und allmächtigen Gottes«, sagt er, »heiße den Herrscher von Potonchan im Namen des Heiligen Vaters und des Königs von Spanien willkommen. Übergib mir sieben Körbe voller Gold, so will ich mit dir Frieden schließen.«

Aguilar übersetzt und die Miene des Gefiederten wird bei jedem Wort grimmiger. »Du wirst heute zahlreiche Geschenke von mir erhalten, bärtiger Fremdling«, antwortet er, »goldene Kunstwerke und anderes, das weit kostbarer ist als Gold.«

Er wendet sich um und macht eine gebieterische Handbewegung. Die Krieger mit den Körben auf dem Rücken nähern sich dem Podest und ziehen die vermummten Gefangenen hinter sich her. Sie setzen ihre Körbe ab und reihen sie nebeneinander am Rand des Podestes auf.

Der Gefiederte greift scheinbar wahllos in einzelne Körbe hinein, hebt goldene Masken, Figuren aus Türkisstein und bunt bemalte Holzscheiben in die Höhe. »Dies alles sind kostbare Kunstwerke«, erklärt er, »und es schmerzt mich sehr, sie Euch überlassen zu müssen. Aber Ihr habt uns im Kampf besiegt, und so dürfen wir uns nicht beklagen. Eure Götter waren diesmal stärker als die unseren.«

Der angebliche Herrscher von Potonchan legt die Masken und sonstigen Kunstwerke in die Körbe zurück und wendet sich abermals um. Auf ein Zeichen von ihm ziehen seine Männer den zwanzig Gefangenen fast gleichzeitig die Tücher von den Köpfen herunter. Ein Raunen und Stöhnen geht über den Platz.

Erstaunt schaue ich mich um, und da erst fällt mir auf, dass rings herum im Schatten der Pyramiden und Paläste unzählige unserer Männer aufgereiht stehen. Anscheinend ist jeder, der nicht irgendwo anders in der Stadt, im Lager am Fluss oder bei den Schiffen an der Küste Wache halten muss, herbeigeeilt, um mitzuerleben, wie sich die Indianer von Potonchan unserem Herrn unterwerfen. Und vor allem, um mit eigenen Augen zu sehen, ob sie uns endlich bringen, wonach die meisten von uns lechzen wie der Verdurstende nach Wasser und der Erstickende nach Luft.

Aber der Gefiederte hat uns wiederum kein Gold gebracht, oder bloß ein paar Masken und Figuren – und trotzdem stöhnen unsere Männer wie aus einer Kehle auf. Ganz gleich, ob sie bei Kräften oder im Kampf verwundet worden sind, ob sie Verbände tragen oder sich nur mit notdürftig gezimmerten Krücken aufrecht halten. Sie raunen und stöhnen und seufzen, aber es sind keine Laute der Enttäuschung – oder jedenfalls nicht nur.

Die Krieger werfen die Tücher zu Boden, die sie den Gefangenen von den Köpfen gezogen haben. Es sind junge Frauen, oder vielleicht sogar noch Mädchen, alle mit brauner Haut und glänzend schwarzen Haaren.

»Kostbarer als Gold!«, wiederholt der Gefiederte und deutet auf die jungen Frauen. »Sie gehören Euch, Herr«, übersetzt Aguilar. »Ihr Lächeln wird Eure Herzen besänftigen, sodass ihr nicht länger nach den goldenen Tränen des Sonnengottes giert. Und sie werden für euch kochen, Herr«, fügt er hinzu. »Dann braucht ihr keine fremden Städte mehr wegen ein paar Truthahnrationen zu belagern.«

Ob der vermeintliche Herrscher von Potonchan bei diesen Worten seine Raubkatzenzähne zu einem Grinsen entblößt hat, kann ich nicht sagen. Auch was Cortés ihm antwortet, bekomme ich nicht mit.

Meine ganze Aufmerksamkeit ist auf das Mädchen gerichtet, das zwischen den anderen jungen Frauen vor dem Podest steht. Ich erkenne sie an ihren Augen, die groß und dunkel sind und mich über den weiten Platz hinweg so beschwörend ansehen, wie auch ich zu ihr hinüberstarre.

Es ist das Mädchen, das mir das Leben gerettet hat. Obwohl ich damals kaum mehr als ihre Augen im Dunkel der Nische gesehen habe, würde ich sie unter Tausenden wiedererkennen. Meine kriegerische Schöne, die Amazone meiner Träume – und laut Cortés der »Schlüssel zum Goldschatz von Potonchan«.

Auf einen Wink von Cortés klappt Notar Gutierrez das schwarze Buch auf und beginnt abermals, Absatz für Absatz das Requerimiento zu verlesen. Der Tätowierte übersetzt, und ich bin sicher, dass die Indianer diesmal – anders als bei Melchorejo – zumindest im Groben verstehen, worum es in der königlichen Erklärung geht. Aber ich bekomme wiederum kein einziges Wort mit. Unentwegt starre ich das Mädchen an und stelle mir vor, wie sie den Stein gehoben und auf den Kopf des Kriegers geschmettert hat. Meine Amazone, denke ich und versuche zu erraten, warum sie das getan hat – ich durchbohre sie mit meinen Blicken und schicke ihr ein ums andere Mal die Frage: Warum? Aber sie schaut nur stumm und beschwörend zurück.

Schließlich erhebt sich Cortés von der Flechttruhe. Er murmelt Sandoval etwas zu und der winkt einige seiner Männer herbei. Sie bringen die zwanzig jungen Indianerinnen zu einem prachtvoll bemalten Flachbau, vor dem bereits zwei Konquistadoren Wache stehen. Die Frauen werden hineingeführt, und nachdem sich das Mädchen ein letztes Mal zu mir umgedreht hat, geht die Tür hinter ihnen wieder zu.

»Wiederhole die Unterwerfungsformel!«, befiehlt Cortés und sieht mit vorgerecktem Kinn über den Gefiederten hinweg.

Am anderen Ende des Platzes bringen zwei Artilleristen eine unserer Kanonen in Stellung. Sie richten das Geschütz nicht auf den Tempelplatz, sondern auf die schmale Straße, an deren Anfang der Rundturm voller Tonkrüge aufragt – die »Teufelsbibliothek«.

Währenddessen faucht der Gefiederte eine Antwort hervor und Aguilar übersetzt: »Freudigen Herzens erkläre ich mich im Namen aller Stämme und Sippen von Potonchan zum Vasallen des Königs der bärtigen Fremdlinge.«

Der angebliche Herrscher von Potonchan fletscht die Raubkatzenzähne, dass die Türkissteine in seinem Mund funkeln. »Uns wurde zugetragen, dass ihr eine lächelnde Göttin anbetet«, setzt er hinzu. »Wir würden uns sehr geehrt fühlen, wenn ihr eure Göttin auch heute anrufen würdet.«

»Zum Teufel mit deiner Göttin, du stinkender Riesenvogel!«, schreit Portocarrero und sein Gesicht verfärbt sich violett. »Du wagst es, den einen und allmächtigen Gott zu verhöhnen?«

Der Gefiederte erstarrt. Genau in diesem Moment reißt Cortés seinen rechten Arm hoch und die beiden Artilleristen am anderen Ende des Platzes feuern die Kanone ab.

Die Indianer brechen in Geschrei aus und halten sich die Ohren zu. Einige fallen auf die Knie, aber der Gefiederte macht ihnen ein gebieterisches Zeichen. Im nächsten Moment stehen alle wieder wie Steinsäulen da und schauen ausdruckslos vor sich hin.

Dabei hat das Geschütz offenbar großen Schaden angerichtet. Von meinem Platz bei den Säulen kann ich den Bücherturm nicht sehen – doch ich habe so gut wie jeder andere den dumpfen Schlag gehört, das Rumpeln und Malmen von Steinmassen, die in sich zusammensacken. Und wie alle anderen sehe ich die Flammen, die nun dort drüben fauchend in den Himmel hinaufzüngeln, und spüre den beißenden Qualm in Augen und Kehle.

Ist es wirklich richtig, was wir hier machen?, frage ich mich mit plötzlichem Erschrecken. Dass sie ihren Götzen Menschenopfer bringen, ist gewiss ein teuflischer Brauch. Aber kann es denn überhaupt sein, dass sie all das hier allein dem Teufel verdanken: ihre prächtigen Bauwerke, Kunstwerke und Bücher, ein allem Anschein nach wohlgeordnetes Reich? Vielleicht haben sie ja früher einmal an den einen und allmächtigen Gott geglaubt – bevor sie irgendwann den Einflüsterungen des Satans erlegen sind?

Ist nicht auch in der Bibel irgendwo von einem Volk die Rede, das zum Götzenglauben abirrte und schließlich auf den rechten Weg zurückfand? Der Kopf brummt mir immer stärker. Schließlich bin ich kein Mönch oder Priester, und bisher schien es mir immer sonnenklar, wo die Grenzlinie zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel verläuft.

Der angebliche Herrscher von Potonchan legt die flachen Hände vor seiner Brust gegeneinander und deutet eine Verneigung vor Cortés an. »Ihr habt uns im Kampf besiegt«, wiederholt er, »und eure Götter waren diesmal stärker als die unseren. Aber ich bitte Euch, bärtiger Herrscher, brennt unsere Stadt nicht nieder!«

Cortés wirft dem Gefiederten einen Blick zu. Dann schiebt er Daumen und Zeigefinger zwischen seine Lippen und stößt einen gellenden Pfiff aus. Fast noch im selben Moment fliegt an einem Palast auf der anderen Seite des Platzes eine Tür auf. Vier prachtvolle Pferde kommen wiehernd und schnaubend heraus – und galoppieren quer über den Platz auf das Podest zu! Vorneweg Cortés’ milchweißer Hengst, dahinter Portocarreros stämmiger Rappe, dann einträchtig nebeneinander Sandovals Schecke und Alvarados fuchsroter Hengst. Ihre Mähnen wehen, ihre Hufe trommeln auf den steinernen Boden – und die Indianer starren ihnen mit schreckgeweiteten Augen entgegen.

- 6 -

Die vier Rösser umringen die Häuptlinge und ihren von Kopf bis Fuß gefiederten Herrscher. Sie schnauben und tänzeln und vor ihren Mäulern bläht sich weißer Schaum. Die Indianer geben ihr Bestes, um unbeeindruckt zu scheinen, aber sie können ihr Grauen nicht vollständig verbergen. Ihre Gesichter sind verzerrt, ihre Beine schlottern. Sie werfen einander Blicke voller Entsetzen zu.

»Die Apostel sind zornig!«, schreit Cortés und deutet mit ausgestreckten Armen auf die schnaubenden Pferde. »Weil ihr es gewagt habt, mich anzugreifen – mich, den Statthalter des einen und allmächtigen Gottes!«

Er klatscht in die Hände und sein Schimmelhengst bäumt sich vor dem Gefiederten auf. »Euch bleibt noch eine einzige Chance, den Zorn der Apostel zu besänftigen!«, ruft Cortés. »Bringt uns sieben Körbe voller Gold!«

Der Gefiederte und die zwanzig Häuptlinge fallen auf die Knie. Sie küssen den Boden, richten ihre Oberkörper wieder auf und recken die Hände zu den Pferden empor.

»Vierfüßige Götter!«, ruft der vermeintliche Herrscher von Potonchan. »Alles, was wir an Gold besitzen, haben wir Eurem Statthalter überreicht! Ich schwöre es – mehr haben wir nicht! Wenn Euch nach großen Goldschätzen verlangt, so zieht weiter nach Norden! Oben am See von Texcoco herrscht der große Montezuma, König der Azteken!«

Auf einen Wink von Cortés werden die Pferde von vier Konquistadoren wieder weggeführt. Der Gefiederte rappelt sich auf und die zwanzig Häuptlinge folgen seinem Beispiel.

»Montezuma, König der Azteken?«, wiederholt Cortés, nachdem Aguilar die Worte des Gefiederten übersetzt hat. »Warum sollte ich dir glauben, dass er Gold besitzt?«

Der Gefiederte starrt ihn so entgeistert an, als ob er an Cortés’ Verstand zweifeln würde. »Niemand ist reicher und mächtiger als Montezuma!«, ruft er aus. »Außer Eurem bärtigen König und Euren zwei- und vierfüßigen Göttern natürlich!«, schiebt er eilends hinterher. »Seine Hauptstadt heißt Tenochtitlan. Seine Schatzkammern quellen über voller Gold und Silber, Federschmuck und Edelsteinen!«

Cortés und seine Vertrauten wechseln bedeutungsvolle Blicke.

»Wenn Ihr uns nicht glaubt, dann martert uns zu Tode«, setzt der angebliche Herrscher von Potonchan hinzu. »Aber dann könnt Ihr uns auch genauso gut auf der Stelle töten. Mehr Gold besitzen wir nicht und das werden auch unsere letzten Worte sein. Egal, ob ihr uns die Fußsohlen verbrennt oder die Haut abzieht.«

Genau in diesem Augenblick wendet unser Herr seinen Kopf nach links und schaut zu mir herüber. Seine dunklen Augen sehen mich durchbohrend an. Er hat die ganze Zeit über gewusst, dass ich gerade hier zwischen den Säulen stehe!, schießt es mir durch den Kopf. Hat er etwa auch mitbekommen, wie das Indianermädchen und ich einander angestarrt haben?

Ich nicke ihm zu, wie um zu sagen: Ja, Herr, er spricht die Wahrheit. Aber gleichzeitig spüre ich, dass der Gefiederte lügt, dass sie ihren Goldschatz hartnäckig vor uns verbergen – und dass Cortés das genauso gut weiß wie ich selbst. Ich spüre sein Erstaunen, seinen Argwohn, doch tief in meinem Herzen fühle ich zugleich die Gewissheit, dass ich so und nicht anders handeln muss.

Auch ohne die Qualmschwaden, die vom brennenden Bücherturm herüberziehen, hätte ich nur wie durch eine Nebelwand mitbekommen, was danach noch alles passiert. Unsere Männer erklimmen die Pyramiden rings um den Tempelplatz und werfen dutzendweise hölzerne Götzenbilder in die Tiefe. Die Figuren kollern die Pyramidenstufen hinab, es kracht und rumpelt. Wenn die Götzenbilder unten angekommen sind, ist nur noch ein Durcheinander bunt bemalter Trümmer und Splitter von ihnen übrig. Der Gefiederte und seine Gefolgschaft schauen sich das alles ohne erkennbare Gemütsbewegung an.

Sandoval überreicht Cortés sodann eine silberne Glocke, Portocarrero einen dampfenden Weihrauchkessel. Von irgendwo her wird außerdem eine Madonnenfigur herbeigeholt. Geschickt schmückt Alvarado die Truhe mit einem weißen Leinentuch und einigen Palmwedeln, ehe er die geschnitzte Muttergottes darauf stellt.

Cortés schwenkt den Weihrauchkessel und die Glocke und stimmt erneut einen feierlichen Singsang an. Er trägt nun auch wieder eine Priesterrobe und so singt und predigt er und schwenkt die heiligen Requisiten. Unsere Männer kommen von allen Seiten herbei. Ich entdecke Cristóbal de Tapia und den narbenreichen Gonzalo Guerrero. Sogar Francisco de Morla ist herbeigeeilt, der Neffe von Gouverneur Velazquez. Unsere Männer bekreuzigen sich und murmeln die vorgeschriebenen Formeln, und nachdem sie eine Weile zugeschaut haben, machen ihnen die Indianer auch diesmal alles nach. Sie beugen ihre Knie, schlagen unbeholfen das Kreuzzeichen und singen so gut sie können das Ave Maria mit.

»Im Namen des Heiligen Vaters und des allerkatholischsten Königs von Spanien!«, ruft Cortés aus. »Hiermit verleihe ich der Indianerstadt, die bisher Potonchan hieß, den christlichen Namen Santa Maria de la Vitoria – denn nur durch sie, die heilige Muttergottes, nur durch ihren Beistand haben wir die Teufelsjünger besiegt!«

Weiterhin singend, Glocke und Weihrauchkessel schwenkend, steigt Cortés vom Podest hinab. Feierlich schreitet er den Pfad entlang, den unsere Männer mit Palmzweigen quer über den Platz ausgelegt haben. Eine große Schar von Konquistadoren folgt ihm und auch der Gefiederte, seine Häuptlinge und Krieger reihen sich singend und die Knie beugend in die Prozession ein.

Also hat Cortés eingesehen, sage ich mir, dass wir hier in Potonchan kein Gold mehr finden werden? Allem Anschein nach hat er doch angeordnet, dass wir alle die Stadt umgehend verlassen und zu unseren Schiffen an der Küste zurückkehren! Diese Aussicht erfreut mich so sehr, dass ich beinahe in lautes Jubeln ausgebrochen wäre.

Doch da entdecke ich Diego, der in großen Sprüngen die Freitreppe heraufgerannt kommt. Und im nächsten Moment ist es mit meiner Freude wieder vorbei.

»Befehl unseres Herrn!«, ruft er atemlos. »Die Verwundeten und die Kranken bleiben noch bis morgen hier in Potonchan – in Santa Maria de la Vitoria!«, berichtigt er sich mit leuchtenden Augen. »Zu eurer Sicherheit lassen wir eine Kompanie unter Alvarados Kommando hier«, fährt er fort. »Morgen bei Sonnenaufgang nehmen euch die Boote vorne am Fluss auf. Wir anderen machen währenddessen die Schiffe für die Weiterfahrt klar.«

Wundarzt Jeminez hat sich zwischen den Verletzten hindurch einen Weg zu Diego gebahnt. »Das ist ein guter Plan«, sagt er. »Die meisten meiner Patienten können noch etwas Ruhe vertragen, bevor wir in die nächste Schlacht ziehen. Außerdem haben wir sowieso nicht genügend Boote, um alle Mann gleichzeitig zurück zur Küste zu bringen.«

Diego nickt ihm zu und will sich schon wieder abwenden – zweifellos, um im Sturmschritt zu unserem Herrn zurückzulaufen und ihm genauso atemlos Bericht zu erstatten. Er liebt solche Botendienste, besonders den Moment, wenn er die Botschaft verkündet und ihm alle gespannt an den Lippen hängen.

Doch nachdem er sich schon halb herumgeworfen hat, wird er durch einen Ausruf noch einmal aufgehalten. Und der kommt unseligerweise von mir.

»Warte, Diego!«, rufe ich. »Was ist mit den Mädchen?« Ich deute zu dem Palastbau auf der anderen Seite des Platzes. »Den jungen Frauen da drüben, meine ich?«

Alle starren mich an. Diego schaut erst erstaunt, dann grinst er so durchtrieben, wie man das in seinem Alter hinbekommen kann.

»Ach, deshalb hast du vorhin so verliebt vor dich hin geglotzt!«, ruft er aus. »Blödsinn!«, setzt er hinzu und schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Da konntest du ja noch gar nicht wissen, dass der Vogelmann uns die Sklavinnen schenken würde!«

Das Grinsen verschwindet wieder aus seinem Gesicht und Diego schaut mich noch viel erstaunter als vorher an. »Oder wusstest du es doch schon?«, fragt er mich.

Ich schüttele meinen Kopf und hebe gleichzeitig die Schultern. »Natürlich nicht!«, sage ich mit viel mehr Überzeugung in meiner Stimme als in meinem Herzen. »Ich habe die ganze Zeit hier im Krankensaal gelegen – schon vergessen, Diego?«

Er runzelt die Stirn und schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an, als hätte ich ihm gerade einen schwindelerregenden Würfeltrick vorgeführt.

»Na, wie auch immer«, sagt er schließlich. »Die Sklavinnen werden gleichfalls morgen früh abgeholt. Unser Herr will sie an die Kapitäne verteilen.«

- 7 -

Längst ist die Nacht hereingebrochen, doch ich wälze mich wie seit Stunden auf meiner Matte hin und her. Um mich herum stöhnen und murmeln die verwundeten Männer im Schlaf. Ich dagegen werde in dieser Nacht kein Auge mehr zutun, wird mir klar. Leise erhebe ich mich von meinem Lager und schleiche mich im Dunkeln zwischen den Schlafenden hindurch. Ein paarmal streife ich gegen den heraushängenden Fuß oder das angewinkelte Knie eines Schläfers, aber glücklicherweise wacht niemand auf.

Schließlich trete ich zwischen den Säulen hindurch ins Freie. Der Himmel ist wolkenlos und mit funkelnden Sternen übersät. Der nahezu volle Mond übergießt den Tempelplatz mit geisterhaftem Schein. Wo immer die Männer sich aufhalten mögen, die zu unserer Bewachung hier geblieben sind – ich kann keinen von ihnen entdecken.

Ich gehe die Stufen hinunter, ohne mir richtig klarzumachen, was ich da eigentlich tue. Vielleicht bin ich doch nicht so wach, wie ich geglaubt hatte, oder vielleicht kommt diese Benommenheit auch von dem Schlag auf meinen Hinterkopf. Doch ich spüre keinen Schmerz mehr, ich fühle mich frisch und stark und gleichzeitig wie von einem Traum umsponnen.

Absichtlich halte ich mich von dem palastartigen Flachbau fern, in dem die Sklavinnen eingesperrt worden sind. Falls mich doch irgendwer beobachtet, soll er nichts Verdächtiges an mir entdecken. Ich kann nicht schlafen, also vertrete ich mir ein wenig die Beine, das ist alles.

Erst nachdem ich auf menschenleeren Straßen minutenlang in Richtung Osten gegangen bin, wird mir bewusst, wohin es mich anscheinend zieht: zu der Stelle zurück, an der wir vor drei Tagen von den Indianern angegriffen wurden.

Nach ein paar Dutzend weiteren Schritten bin ich wirklich wieder in der kleinen Sackgasse. Im Mondlicht sieht alles anders aus als am hellen Tag, aber ich brauche trotzdem nicht lange, um den Durchgang zwischen den beiden Häusern wiederzufinden. Genau da hat Tapia am Boden gehockt, sage ich mir, eine Hand auf seine blutüberströmte Brust gepresst.

Mein Herz fängt plötzlich an, hart und holprig zu schlagen. Sie ist dort, sie ist bestimmt wieder dort, geht es mir durch den Kopf – in jener Nische links in der Hauswand! Mir ist bewusst, dass das eigentlich unmöglich ist – wie könnte sie dort vorne eingesperrt und gleichzeitig hier draußen sein? Trotzdem zwänge ich mich zwischen den Hauswänden hindurch, so rasch das im Dunkeln geht, und trotzdem bin ich furchtbar enttäuscht, als ich schließlich vor der Mauernische stehe. Sie ist leer, natürlich ist sie leer! Ich taste sogar auf der Hauswand herum, die hier aus irgendeinem Grund diese Einbuchtung aufweist. Vielleicht hat in der Nische früher einmal eine Götterfigur oder so etwas gestanden, sage ich mir und gehe schon weiter, den schmalen Gang entlang.

Als jener Krieger hinter mir her war, dachte ich, dass es am anderen Ende des Gangs eine weitere Straße oder einen kleinen Platz geben müsste, von Häusern gesäumt. Doch als ich zwischen den Häusern hervortrete, finde ich mich am Rand eines verwilderten kleinen Parks. In Schlangenlinien führt ein Pfad zwischen Wiesen und Büschen hindurch. Am anderen Ende des Parks, hinter hoch aufragenden Bäumen, erkenne ich eingestürzte Türme und Pyramiden – eine Ruinenstadt, geht es mir durch den Kopf, wie beim zweiten Teufelstempel im Wald hinter Puerto Deseado.

Zuerst kann ich mich nicht entscheiden, ob ich weitergehen oder zum Tempelplatz zurückkehren soll. Vielleicht schleichen dort bei den Ruinen ja Raubkatzen oder rachegierige Indianer herum, sage ich mir. Doch dann bemerke ich die schmale Gestalt da drüben zwischen den Bäumen – mit ihrem unförmigen, knöchellangen Gewand, dem schimmernd schwarzen Haar, das ihren Kopf wie ein Helm umschmiegt, und mit diesen unglaublich großen, dunklen Augen, die beschwörend zu mir herüberstarren …

Meine Augen können eigentlich gar nicht feststellen, sage ich mir, ob sie es wirklich ist. Dafür ist es viel zu dunkel, auch wenn der Mond vom wolkenlosen Himmel scheint. Außerdem habe ich sie ja bisher noch kein einziges Mal aus der Nähe gesehen – eigentlich kann ich also gar nicht wissen, wie sie aussieht. Aber mein Herz weiß es trotzdem, mein Herz, das nun so heftig in meiner Brust hämmert, dass es bis dort drüben zu hören sein muss. Ich renne jetzt beinahe den Pfad entlang, auf die Bäume zu, das Mädchen, die Ruinenstadt im Wald.

Als ich endlich bei ihr bin, schaut sie mich ernst, beinahe finster an. Sie ist kaum kleiner als ich und sie riecht wie eine ganze Wiese voller Wildblumen. Nun fasst sie mich bei der Hand, dreht sich um und zieht mich hinter sich her, zwischen Bäumen und Ruinen tiefer in den Wald. Schließlich bleibt sie stehen und deutet auf eine Pyramide, die fast vollständig mit Erde bedeckt, mit Gras und Buschwerk überwuchert ist. Sogar etliche Bäume wachsen schief aus den Wänden und oben aus dem First des Bauwerks hervor.

Das Mädchen macht eine schlängelnde Handbewegung, und ich verstehe, was sie mir sagen will: Ich soll um die Ruine herumgehen, zu ihrer Rückseite. Mit einer Geste fordere ich sie auf, mir voranzugehen und mir den Weg zu zeigen, aber sie schüttelt nur leicht den Kopf.

Zum ersten Mal sehe ich sie lächeln. Ihre Zähne blitzen hinter den Lippen auf und ganz kurz bekomme ich auch die Spitze ihrer Zunge zu sehen. Mein Herz klopft so schnell und hart, dass es wehtut.

»Carapitzli«, flüstert sie und deutet mit dem Finger auf ihre Brust. Sie zeigt auf mich und macht ein fragendes Gesicht.

»Orteguilla«, flüstere ich. »Orte!«, schiebe ich hinterher und grinse jetzt mindestens so blöde verliebt, wie Diego das vorhin von mir behauptet hat.

Sie berührt mich mit einer Hand ganz leicht am Oberarm. Mit der anderen deutet sie erneut zu der überwucherten Pyramide.

Widerstrebend gehe ich in die gewiesene Richtung. Ich habe Angst, dass Carapitzli nicht mehr da sein wird, wenn ich von dieser Erkundung zurückkomme. Aber mir ist auch klar, dass ich hier nicht einfach wieder weggehen kann, ohne mir zumindest anzuschauen, was sich dort in der Rückseite der Pyramide befindet. Dabei weiß ich es eigentlich schon – doch mir kommt es vor, als ob mein Verrat nur noch größer und unverzeihlicher würde, wenn ich mich nicht wenigstens davon überzeugen würde, dass der Goldschatz von Potonchan wirklich dort versteckt ist.

Mein Verrat an Cortés.

Ich umrunde die Pyramide und entdecke einen schmalen Einlass im Sockel. Dahinter windet sich eine Treppe ins Innere des Baus. Sie sieht glitschig aus, und es gluckst vor Feuchtigkeit, als ich auf die erste Stufe trete. Ich stolpere die kleine Treppe hinauf, die vor einer Mauer endet. Einige Augenblicke lang taste ich an der mit Moos bedeckten Wand herum. Und dann vergesse ich weiterzuatmen.

Mitten in der Mauer, ziemlich genau in Höhe meines Kopfes, befindet sich ein kreisrundes Loch. Ich betaste seine Umrisse – wahrscheinlich ist es gerade groß genug, dass ich meinen Kopf hindurchschieben könnte. Durch den Treppenschacht hinter mir gelangt nur wenig Mondlicht in die Pyramide hinein. Doch selbst dieser schwache Widerschein genügt, um in dem Hohlraum hinter dem Mauerloch alles zum Funkeln zu bringen.

Mit bebenden Fingern ziehe ich einen der dünnen Kienscheite aus meinem Gewand, die ich stets bei mir trage. Ich streiche ihn an und leuchte damit in das Wandloch hinein.

Das Herz setzt mir für einen halben Schlag aus. Ich reiße meine Augen auf und beiße mir auf die Unterlippe, um ganz sicherzugehen, dass ich nicht doch nur träume. Aber das Beißen tut so weh, wie mir das noch in keinem Traum passiert ist.

Durch das Mauerloch starren mich Dutzende goldener Masken an. Auch Goldscheiben so groß wie Wagenräder sehe ich nun, Vasen und Schalen, die mit Blattgold verkleidet oder sogar aus massivem Gold geschmiedet sind! Daneben Schnürsandalen aus Gold, goldene Arm- und Halsreifen und Unmengen kleiner Goldklumpen. Sie sind wie Tränen geformt, und da fällt mir ein, wie der Gefiederte das Gold genannt hat: »die Tränen des Sonnengottes«.

Aber ich will das nicht!, denke ich wieder. Heilige Muttergottes, ich habe dich doch wieder und wieder angefleht: Lass uns kein Gold finden, zumindest nicht so bald!

Während ich noch in das Mauerloch hineinstarre und Dutzende Goldmasken zu mir zurückstarren, höre ich in der Ferne meinen Namen rufen.

»Orteguilla! Wo bist du, mein Retter? So antworte doch! Wir brechen auf!«

Ich lösche den Kienspan, wende mich um und stolpere die Treppe wieder hinab. Draußen klopfe und wische ich mir die Schimmelflechten von den Ärmeln und schüttele mir Staub und Spinnweb aus meinen Haaren. Ich eile um die Pyramide herum und zurück auf den Pfad.

Von Carapitzli ist nichts mehr zu sehen, aber darüber bin ich in diesem Moment beinahe froh.

»Orteguilla de Villafuerte!«, ruft der würdevolle Cristóbal de Tapia, und ich renne, so schnell ich kann, durch den verwilderten Park und in den schmalen Durchgang zwischen den Häusern. Eben als ich mich in die Mauernische presse, taucht Tapia am vorderen Ende des Durchgangs auf.

»Orteguilla?«, ruft er und ich löse mich aus dem Dunkel der Nische und gehe ihm entgegen. »Ich wollte mich hier noch einmal umsehen«, sage ich in unbekümmertem Tonfall. »Schließlich war es mein erster Kampf mit einem Indianer.«

»Ich wusste, dass ich dich hier antreffen würde«, gibt Tapia zurück. Er legt mir seine Hände auf die Schultern und sieht mich feierlich an. »Jetzt aber schnell, mein Retter«, sagt er, »alle sind schon zum Abmarsch bereit.«

Erst als ich neben Tapia zum Tempelplatz zurückeile, wird mir bewusst, dass über der Indianerstadt schon wieder der Morgen dämmert.

Aber wie kann das sein? War es nicht dunkle Nacht, als ich dort draußen mit Carapitzli zusammentraf? Wie lange war ich in der Pyramide? Oder habe ich mir doch alles nur eingebildet – die Begegnung mit dem Mädchen, die goldenen Masken und »Tränen des Sonnengottes« in jenem Gelass?

Ich taste nach dem Verband auf meinem Hinterkopf. Tapia schaut mich von der Seite mitfühlend und ein wenig schuldbewusst an.

Wundarzt Jeminez hat mich gewarnt, sage ich mir – ein solcher Schlag auf den Kopf kann dazu führen, dass man noch Tage oder Wochen später zwischen Wirklichkeit und Traumgespinst nur mühsam unterscheiden kann.

Verstohlen taste ich nach dem Kienscheit in meinem Gewand. Seine Spitze fühlt sich rußig an und so heiß, dass ich mir fast die Finger daran verbrenne.

Aber was beweist das?, frage ich mich, während ich mich neben Tapia in die Kolonne auf dem Tempelplatz einreihe. Habe ich hinter jenem Mauerloch wirklich den Goldschatz von Potonchan funkeln sehen – oder glaubte ich nur zu erblicken, was ich nach der Prophezeiung unseres Herrn dort vorfinden würde, »zu meinen Füßen aufgehäuft«?

Tief in Grübeleien versunken, marschiere ich mit den anderen zum Rio Grijalva hinaus. Nicht einmal Carapitzli kann ich zwischen den anderen Sklavinnen entdecken, die mit einem der großen Karavellen-Beiboote zur Küste gefahren werden. Und in meiner Verwirrung kommt es mir vor, als ob auch sie nur eine Erscheinung aus meinen Fieberträumen wäre.