19.

 

Du siehst wunderschön aus, Elle«, sagte Sarah. »Absolut umwerfend.«

Elle drehte sich im Kreis und betrachtete sich in den Spiegeln. Sie hatte überhaupt nicht in Betracht gezogen, dass sie tatsächlich in einem weißen Brautkleid am Strand getraut werden würde, doch das Gewand, das Sarah ausgesucht hatte, war auserlesen, wenngleich auch gewagt. Das Oberteil bestand aus gerüschtem Seidengeorgette, im Grunde genommen ein Bikinitop mit doppelten Spaghettiträgern, das sich eng an Elles Brüste schmiegte. Asymmetrische transparente Spitze, die mit kleinen Applikationen von Blättern und Mohnblumen gesprenkelt war, floss weich über ihr Zwerchfell. Das Modellkleid stammte von einer beliebten und talentierten Modeschöpferin aus Neuseeland und eignete sich perfekt für eine Hochzeit am Strand. Weißer Satin schmiegte sich tief angesetzt an ihre Hüften, und Perlen funkelten bis zu den Knöcheln.

»Es ist atemberaubend«, verkündete Hannah.

Elle konnte ihren Blick nicht von ihrer Haut losreißen. Libby und ihre Schwestern hatten dafür gesorgt, dass keine einzige Strieme, keine Narbe, nicht das Geringste von ihrer Begegnung mit Stavros zurückgeblieben war. Ihre Haut war makellos und wies nicht den kleinsten Schönheitsfehler auf. Sie blinzelte gegen die Tränen an, als sie ihre älteste Schwester ansah.

»Ich kann nicht glauben, dass die Peitschenmale verschwunden sind. Ich hatte gefürchtet, bleibende Narben zu behalten. Es war mir ein Gräuel, dass Jackson diese Wunden sehen musste. Er ist allerdings nie davor zurückgeschreckt.« Eine leichte Röte überzog sie bei der Erinnerung daran, dass er jede ihrer Striemen mit Küssen bedeckt hatte.

Libby lächelte sie an. »Er wird begeistert sein, wenn er dich in diesem Kleid sieht.«

»Jackson wollte, dass ich einen Bikini trage, aber ich wusste, dass das nicht geht, nicht mal bei einer Strandhochzeit. Ich hätte ohnehin nicht geglaubt, dass ich jemals wieder einen Bikini tragen würde«, gestand Elle.

»Danke, dass du gestern Abend auf Ty aufgepasst hast«, sagte Libby. »Als ich gehört habe, dass er der Esel ist, der sich abseilt, hat mir gegraut. Es schien mir ein allzu großer Zufall zu sein dieselbe Klippe, dasselbe Feld und er ist derjenige, der den Mann vertritt, der mit der eigentlichen Rettung dran ist.«

»Jonas hat Drew gerettet«, sagte Elle und sah Hannah an. »Drew wäre abgestürzt, wenn er ihn nicht an den Armen festgehalten hätte. Er besitzt wirklich eine übernatürliche Veranlagung, ob er es wahrhaben will oder nicht. Er ist losgerannt, bevor diese Klippe nachgegeben hat.«

Hannah blinzelte gegen ihre Tränen an. »Er hat mir erzählt, Jackson hätte sie beide gerettet. Wenn er nicht direkt hinter Jonas gewesen wäre und ihm Rückendeckung gegeben hätte, wie er es schon seit Jahren tut, wäre er gemeinsam mit Drew von der Klippe gestürzt.«

»Die beiden passen gut aufeinander auf«, sagte Elle. Sie warf Sarah einen besorgten Blick zu. »Ist Mom schon hier? Sie hat gesagt, sie kämen rechtzeitig. Sie waren mal wieder in Europa, in dem Haus, das sie dort haben.«

»Joley hat ein kleines Flugzeug geschickt, um sie abzuholen. Der Pilot ist gerade erst vor ein paar Minuten auf dem Little River Airport gelandet. Sie werden es mühelos schaffen«, versicherte ihr Sarah.

»Was ist mit Tante Card?«

»Sie ist gestern am späten Abend eingetroffen und wohnt bei Reginald«, berichtete Abbey. »Als ich angerufen habe, wirkte sie reichlich konfus, und ich wollte ihr keine Fragen stellen. Bei dem Glück, das ich habe, wäre mir das Wort ›Wahrheit‹ aus Versehen rausgerutscht, und dann hätte sie mir viel mehr erzählt, als ich jemals wissen wollte. Da habe ich lieber zugesehen, dass ich das Gespräch schleunigst beende.«

»Ich habe Neuigkeiten«, kündigte Joley an. Sie rückte ihr Kleid zurecht und sah finster auf das kleine Bäuchlein, das sie nicht verbergen konnte. »Meine Güte, das sieht ja jeder. Ilja bekommt was von mir zu hören, wenn er sich blicken lässt.«

»Wir wissen bereits, dass du schwanger bist«, hob Sarah hervor. »Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Und man sieht es dir überhaupt nicht an.«

Joley wartete, bis das Gelächter abgeebbt war. »Sehr komisch«, schnaubte sie entrüstet. »Dann erzähle ich euch eben nichts. Ihr habt es ohnehin nicht verdient. Von mir erfahrt ihr kein Wort.« Sie musterte noch einmal ihre Figur und hielt den Atem an. »Hättest du nicht etwas aussuchen können, das nicht ganz so eng anliegt? Schön ist es ja, aber es sieht, ehrlich gesagt, fast wie ein Brautkleid aus.«

Das Kleid war elfenbeinfarben und das Oberteil aus transparenter Spitze, mit Platinplättchen und Perlen bestickt. Es wurde im Nacken gebunden und war über dem Zwerchfell in einer Passe aus durchscheinender Spitzen gerafft, die mit weiteren Platinplättchen und Perlen überzogen war. Dieser Schnitt stellte ihre üppigen Brüste zur Schau und ließ ihren Rücken verwegen entblößt. Sarah hatte alle Kleider bei derselben Modeschöpferin aus Neuseeland ausgesucht, weil sie sich für eine Strandhochzeit perfekt eigneten und ihnen allen schmeichelten. Seidensatin floss bis zu den Knöcheln hinab und in jeder Bewegung drückte sich Eleganz aus.

»Es ist ein Brautkleid. Ich war selber begeistert davon und wollte darin heiraten, aber für eine kirchliche Trauung erschien es mir nicht passend.«

»Na toll, dann schiebe ich also einen dicken Babybauch vor einem Brautkleid her. Haltet ihr das etwa für attraktiv?“

Für sehr attraktiv sogar«, sagte Hannah beschwichtigend. »Du siehst wunderschön aus, Joley. Reg dich nicht so auf.“

Um Himmels willen«, sagte Sarah. »Es weiß doch jeder, dass du schwanger bist. Warum stellst du dich so an? Hannah sieht man es an, aber dir überhaupt nicht.«

Joley wirkte verlegen. »Hannah ist verheiratet. Ich wollte warten, bis Elle wieder zu Hause ist.«

»Joley!«, rief Elle bestürzt aus. »Das tut mir leid. Vielleicht sollte ich warten, bis ihr alle verheiratet seid.«

»Nein, das solltest du nicht«, sagte Joley mit fester Stimme. »Ich habe nur ein ganz komisches Gefühl dabei, Mom und Dad schwanger gegenüberzutreten. Ihr wisst doch, dass ich immer die bin, die Mist baut.« Sie zuckte die Achseln. »Vermutlich ist es albern, dass ich verheiratet sein möchte, wenn ich doch diejenige bin, über die sich die Regenbogenpresse laufend das Maul zerreißt. O Mann, wie die Presse das wieder ausschlachten wird!«

»Mom und Dad haben noch nie geglaubt, dass du Mist baust, du Dummkopf«, sagte Sarah und schlang ihren Arm um ihre jüngere Schwester. »Sie sind stolz auf dich. Sie lieben Ilja und sie wissen, warum ihr gewartet habt. Es war doch klar, dass du auf Elle warten würdest. Ich vermute, du wirst einfach so impulsiv sein müssen wie Jackson und gleich als Nächste heiraten. Wir können das auf die Schnelle organisieren. Abbey und Aleksandr heiraten im Kreis der Familie im Garten ihres Hauses.«

Joley strich wieder mit den Händen über ihr Kleid. »Ich bin verrückt nach Ilja«, brach es aus ihr heraus, »aber manchmal mache ich mir Sorgen, dass ich gerade, weil ich so verrückt nach ihm bin, alles verpatzen werde.«

Abigail zog die Stirn in Falten. »Joley, Ilja ist genauso verrückt nach dir. Wieso bist du plötzlich so verunsichert?«

»Wenn es um Mom und Dad geht, war ich schon immer verunsichert. Und Ilja ist mein Leben. Ich gehe so sehr in ihm auf, dass es mir manchmal so vorkommt, als sei ich besessen von ihm.« Joley rieb ihre Handfläche an ihrem Oberschenkel. »Ich hasse es, nicht in seiner Nähe zu sein.«

Sarah warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Nun, meine Süße, uns bleiben nur noch ein paar Minuten für die letzten Handgriffe, denn sonst kommt die Braut zu spät und Jackson wird einen Bullen herschicken, damit er sie abholt.«

»Nun erzähl uns schon die Neuigkeiten«, drängte Hannah.

»Sylvia Fredrickson bekommt ein Baby.« Joley kostete das Erstaunen ihrer Schwestern aus. »Inez hat Mason und Sylvia zur Hochzeit eingeladen, und Sylvia wollte sich absichern, dass wir auch ganz bestimmt nichts dagegen haben, wenn sie kommen. Sie war wirklich ganz reizend am Telefon, und sie hat einen glücklichen Eindruck gemacht. Sie hat gesagt, Mason hätte sich nicht von ihr scheiden lassen und sie würden sich wieder vertragen. Aber sie wollte sich noch einmal bei Abigail entschuldigen, und du sollst wissen, Abbey, dass ihr Leben durch dich tausendmal besser ist, als es andernfalls gewesen wäre.«

»Natürlich hast du ihr gesagt, sie soll zur Hochzeit kommen«, sagte Elle. »Ja«, bestätigte Joley.

»Es freut mich, dass sie ihr Leben wieder im Griff hat«, sagte Abbey.

Hannah gab einen Laut von sich und wartete, bis alle sie ansahen. »Ich finde, diejenigen unter euch, die meinen Entschluss kritisiert haben, Sylvia eine Lektion zu erteilen, sollten sich entschuldigen. Ich bin sicher, dass meine Hilfe sie auf den rechten Pfad geführt hat.«

»Der Abdruck einer leuchtend roten Hand auf ihrem Gesicht, sobald sie gelogen hat?«, sagte Joley. »Richtig, Hannah, das war sehr hilfreich.«

Sie lachten alle. Sarah schüttelte den Kopf. »Wie du es hinkriegst, das zu sagen, ohne eine Miene zu verziehen, und dann auch noch in diesem selbstgerechten Tonfall, Hannah, wird mir immer ein Rätsel bleiben.«

Elle sah wieder auf ihre Armbanduhr. »Ich wollte wirklich noch mit Mom reden, bevor ich heirate. Nur für ein paar Minuten.«

Sarah rieb ihren Arm. »Nimm dir etwas mehr Zeit dafür.« Bomber bellte kurz und Elle rannte ans Fenster, um hinauszuschauen. »Sie ist hier!« Sie fing an zu weinen.

Hannah schlang Elle einen Arm um die Taille. »Pass auf, dass deine Schminke nicht verläuft.«

»Ich hätte nie geglaubt, dass ich sie jemals wiedersehe«, schluchzte Elle.

Hannah brach gemeinsam mit ihr in Tränen aus. Als ihre Eltern zur Tür hereinkamen, fanden sie alle ihre Töchter weinend vor. Mrs. Drake zog Elle in ihre Arme und hielt sie an sich gedrückt. Mr. Drake schlang seine Arme fest um die beiden, und sie standen einfach nur zitternd da und hielten einander fest, dankbar dafür, dass Elle noch am Leben und nach Hause zurückgekehrt war.

»Ich habe dich noch nie so rausgeputzt gesehen«, sagte Jonas und klopfte einen nicht vorhandenen Fussel von dem Sakko, das er Jackson hinhielt. »Man könnte dich glatt als Schönling bezeichnen.«

Jackson widerstand dem Drang, Jonas den Stinkefinger zu zeigen. Stattdessen rückte er seine Krawatte zurecht. »Derjenige könnte dann hart auf dem Arsch landen. Ich dachte, eine Hochzeit am Strand würde mir den Anzug und die Krawatte ersparen.«

»Pech gehabt«, sagte Damon. »Sarah wollte, dass Elle ein wunderschönes Kleid trägt, und da musst du dich neben ihr halbwegs anständig machen.«

Jackson wandte sich abrupt vom Spiegel ab, als Ilja hereinkam. »Hat sich unser Verdacht bestätigt, dass die Yacht draußen auf dem Meer vor Anker liegt?«

»Ja.« Ilja warf einen schnellen Seitenblick auf Jonas. »Ich musste Hannahs Hilfe in Anspruch nehmen, um die Yacht so zu postieren, dass wir an sie rankommen können. Tut mir leid, Jonas, aber niemand anderem gehorcht der Wind so gut wie Hannah.«

»Hast du sie in den Plan eingeweiht?«, fragte Jonas.

Sämtliche Männer drehten sich um und betrachteten Ilja mit besorgten Mienen, als sie auf seine Antwort warteten. Ilja schüttelte den Kopf. »Ich habe ihr nur gesagt, wir hätten einen Plan und seien noch dabei, die Einzelheiten auszuarbeiten. Sowie ich ihr gesagt habe, dass Damon mitmacht, schien sie erleichtert zu sein. Anscheinend werden Jackson und Jonas als ziemlich hitzköpfig angesehen.«

Ty nickte zustimmend. »Libby hat gesagt, dass Elle sich Sorgen macht, Jackson könnte etwas Verrücktes tun und im Gefängnis landen. Hannah meinte, wenn er das täte, würde der Blödmann, mit dem sie verheiratet ist, gemeinsam mit ihm in dieselbe Zelle gesperrt werden.«

Jonas gab ein höhnisches Schnauben von sich und sah Damon finster an. »Wie ist es dir gelungen, Sarah weiszumachen, du seist das reinste Unschuldslamm?«

Damon zuckte die Achseln. »Sie bewundert meinen Verstand, und sie weiß, dass ich ein logisch denkender Mann bin.« Er breitete eine Landkarte auf dem Küchentisch aus. »Und meine Unschuldsmiene ist auch nicht ohne.«

»In erster Linie liegt es daran, dass du gut Blödsinn schwafeln kannst«, warf Aleksandr ein, als er sich über die Landkarte beugte. »Und jetzt erklär mir mal, was ich hier sehen soll.«

»Was wir tun werden, meine Herren, ist Folgendes: Unterstützt durch die Einwohner dieses Küstenorts und unsere Frauen werden wir ein neues Bermudadreieck erschaffen. Ein Schiff wird untergehen und mit ihm Stavros Gratsos, der Milliardär und Schiffsmagnat, der betrüblicherweise auf dem Meer verschollen sein wird. Er wird also nicht verhaftet werden. Niemandem kann man die Schuld an seinem Tod geben, und die Vorfälle werden so rätselhaft sein, dass die Leute im Laufe künftiger Jahre Spekulationen anstellen können. Als Begleiterscheinung werden am Himmel während der Hochzeit spektakuläre Phänomene zu sehen sein und sämtliche Gäste werden beschwören, dass wir alle gemeinsam die Feierlichkeiten begangen haben und keiner Gratsos in irgendeiner Weise etwas angetan haben konnte.«

Aleksandr schüttelte den Kopf. »Du glaubst wirklich, wir können ein Schiff einfach verschwinden lassen?«

Damon nickte. »Er benutzt das Meer als seine Waffe. Es ist sein Element. Er wird draußen auf seiner Yacht bleiben und von dort aus den größtmöglichen Schaden anrichten. Aber wir sind klüger als er. Wir werden das hervorbringen, was unter dem Begriff ›glaubwürdige physikalische Anomalien‹ bekannt ist.«

Matt räusperte sich. »Weißt du, Damon, vielleicht ist das dir und Ty ja klar, aber wir Übrigen verlassen uns lieber auf Waffen. Denn das hier« - er breitete seine Arme über der Landkarte aus – »ist mir absolut unverständlich. Ich begreife kein Wort.«

»Wir haben alles, was wir brauchen. Wir sitzen genau auf einem Kontinentalsockel. Die San-Andreas-Verwerfung verläuft exakt an dieser Küste entlang, stimmt's? Tatsächlich haben wir hier sogar eine sogenannte Triple Junction, eine geologische Konstellation, wo drei tektonische Platten zusammentreffen«, sagte Ty. »Werden nicht sogar schon Witze darüber gerissen, dass das nächste Erdbeben uns alle auslöschen wird?«

Ilja sah ihn finster an. »Halt die Klappe. Wir wollen doch nicht, dass Gratsos auf dumme Ideen kommt.«

»Du kannst kein Erdbeben auslösen, Damon«, wandte Jonas ein. »Was hast du denn vor? Einen Tsunami hervorzubringen, damit der Mistkerl absäuft? Du würdest ganz Sea Haven mitreißen.«

»Nein, ich will keine Welle initiieren. Ich bin deiner Meinung, das ist viel zu gefährlich. Wir haben etwas weitaus Besseres. Methanhydrat, und davon gibt es erhebliche Vorkommen auf dem Meeresgrund. Diese Hydrate bilden sich nur in den Kontinentalsockeln, und daher zeichnen sie sich durch ein Vorkommen in geringeren Tiefen aus. Mit anderen Worten, in unserer Reichweite.« Damon wirkte zufrieden mit sich. Er strahlte die Männer an und wedelte mit dem Arm, als hätte er gerade einen Zaubertrick vorgeführt.

Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann räusperte sich Matt. »Methangas? Wir werden ihn damit bombardieren? Ihn ausräuchern? Oder was? Worauf soll das hinauslaufen?«

Damon sah Ty an und zog eine Augenbraue hoch. »Ich sagte doch, dass wir seine Yacht versenken werden. Habe ich euch das nicht erklärt? Wir werden allen ein interessantes wissenschaftliches Rätsel aufgeben.«

Jackson schwang einen Stuhl herum, setzte sich und nahm die Rückenlehne als Armstütze. »Jetzt mal schön langsam, Damon.«

»Was wir tun werden, ist ganz einfach. Wir werden am Strand feiern, und oben am Himmel werden alle nach einer Weile seltsame Erscheinungen beobachten wie die, die mit dem Bermudadreieck in Verbindung gebracht werden. Wir werden den Leuten alles vorsetzen, was im Laufe der Jahre in die Berichte eingegangen ist. Am Himmel werden Flammen zu sehen sein, das Wasser wird seine Farbe verändern, Lichter werden auftauchen, alles, was uns einfällt. Darauf habe ich Inez angesetzt.«

»Inez?«, fauchte Jackson. »Du kannst sie unmöglich in diese Geschichte hineinziehen.«

»Sie ist auf Draht, Jackson. Sie ist zu mir gekommen und hat gesagt, sie sei ganz sicher, dass du einen Plan hättest, und ganz gleich, was du ausheckst, ich sollte dich davon abhalten und mir einen besseren Plan einfallen lassen.«

Jonas lachte und klopfte Jackson derb auf die Schulter. »Die kluge alte Dame schätzt deine Gehirntätigkeit richtig ein, Mann.«

Jackson rieb sich mit einer Hand das Gesicht. »Es wäre alles viel einfacher und sauberer, wenn ich den Mistkerl mit einem Gewehr abknallen würde.«

»Er ist Milliardär, Jackson. Meinst du nicht auch, das würde ein paar Leuten auffallen?«, sagte Damon. Sein Blick drückte aus, dass er Elle und Hannah zustimmte - Jackson war ein Hitzkopf. Jonas zog ebenfalls einen Stuhl mit der Lehne nach vorn heran, setzte sich neben Jackson und zog die Karte zu ihnen rüber.

»Jetzt erklär uns, wie das abläuft, Damon.« Es war anzunehmen, dass Jackson den Weg des Scharfschützen einschlagen würde, wenn er nicht glaubte, die Bedrohung für Elle würde endgültig aus dem Weg geräumt, und Jonas hatte nicht vor, seinen besten Freund wegen Mordes zu verhaften. »Wie versenken wir ein Schiff?«

Damon tauschte einen ausgelassenen Blick mit Ty aus und rieb sich in seiner Schadenfreude sogar die Hände. »Das erklärst du ihnen, Ty.«

Tyson nickte. »Es gibt mehrere Möglichkeiten, ein Schiff zu versenken.«

»Man sprengt es in die Luft«, murmelte Matt tonlos.

»Ohne damit ihn Berührung zu kommen«, ergänzte Damon. »Ihr seid alle von Sprengstoff und Waffen besessen.«

»Es gibt nichts Befriedigenderes als eine ordentliche Explosion«, stimmte Matt zu. »Aber ich höre. Mein Interesse ist geweckt.«

»Da ich jetzt deine Aufmerksamkeit habe«, sagte Ty mit einem finsteren Blick auf ihn, »könntest du vielleicht versuchen, mir zu folgen. Die einfachste Art, es sich vorzustellen, ist die, dass man sich ein U-Boot ausmalt. Wenn man es simpel ausdrückt, ist ein U-Boot mit Luft gefüllt und bleibt auf der Wasseroberfläche, weil es leichter als das Wasser ist, richtig? Wenn es untertauchen soll, lässt man einen Teil der Luft ab und lässt Wasser hinein, und schon geht es unter, weil es jetzt schwerer als das Wasser ist.«

»Dann werden wir also ein Loch in die Yacht sprengen, damit Wasser reinläuft«, sagte Jackson.

Jonas blickte finster. »Vermutlich könnten wir einen der Delfine dafür benutzen, die Sprengladung anzubringen, aber damit könnten wir Abbey gegen uns aufbringen.«

»Um Himmels willen, ich bitte euch«, brach es aus Damon heraus. »Wir werden das verdammte Boot nicht in die Luft jagen. Schlagt euch das aus dem Kopf. Wir werden keine Sprengladungen anbringen, sondern auf einer naturwissenschaftlichen Grundlage vorgehen und es als eine physikalische Anomalie erscheinen lassen, ein Naturphänomen, das gelegentlich auftritt.«

»Mit anderen Worten, haltet den Mund und hört zu«, übersetzte Ilja, der an der Wand lehnte und die Arme vor der Brust verschränkt hatte.

Tyson nickte. »Wir werden ohnehin nicht diese Methode verwenden, um das Schiff zu versenken. Unser Ansatz ist ein anderer. Wir werden dafür sorgen, dass die Wasserdichte geringer ist als die der Yacht.« Tyson grinste jetzt von einem Ohr zum anderen, und sein Blick wirkte beinah ehrfürchtig, als er Damon ansah. »Dieser Plan ist genial. Du bist eindeutig der Meister, Yoda.«

Jonas schnaubte eingeschnappt und biss offensichtlich die Zähne zusammen. »Okay, Meister, wie machen wir das Wasser leichter als das Schiff?«

»Wir lassen über dem Vorkommen auf der Kontinentalplatte Methangas ins Wasser entweichen. Das Gas wird in Form einer Säule an die Oberfläche strömen und auf dem Weg nach oben in immer kleinere Blasen zerfallen. Entscheidend ist, und hier kommt unsere verborgene Strömung ins Spiel, dass das Gas sehr rasch und hochkonzentriert aufsteigt und somit an einer ganz bestimmten Stelle enorm aufgewühltes, ungeheuer stark sprudelndes Wasser liefert.«

Ty führte die Erklärung weiter, als er die ungläubigen Gesichter sah, von denen sie umgeben waren. »Da das Wasser mit winzigen Methanblasen gefüllt sein wird, wird es vorwiegend aus Methangas bestehen. Und Methangas ist nur halb so dicht wie Luft. Die Luft in der Yacht befindet sich unter dem Wasserspiegel und erlaubt ihr zu schwimmen, aber jetzt sitzt das Schiff auf der einen Stelle im Meer mit geringerer Dichte, und daher wird die Yacht sinken.«

Verblüffte Stille trat ein. »Seid ihr sicher?«, fragte Jonas. »Und wenn sie es schaffen, das Schiff zu verlassen, bevor es untergeht?«

»Es wird sinken wie ein Stein, wobei der einzige Haken, den ich vorhersehen kann, der ist, dass das Gasvorkommen, das ich anzapfen will, etwa auf halber Höhe zwischen dem Meeresgrund und der Wasseroberfläche liegt. Das bedeutet, wenn das Schiff untergeht, wird es auf halber Höhe stecken bleiben. Es wird nicht bis auf den Grund sinken«, sagte Damon.

»Darüber würde ich mir keine allzu großen Sorgen machen«, sagte Tyson. »Ihre Instinkte werden dafür sorgen, dass sie auf dem kürzesten Wege zur Wasseroberfläche schwimmen wollen, aber genau das wird sich nicht machen lassen. Es ist eine exakte Umkehrung des Toten Meeres.«

Jackson rieb sich die Augen. »Was ist die Umkehrung des Toten Meeres? Wovon redet ihr?«

Damon zuckte die Achseln. »Im Toten Meer ist der Salzgehalt außerordentlich hoch, und daher sind die Moleküle so nah beieinander und weisen eine solche Dichte auf, dass das Wasser extrem gut trägt. Der Auftrieb ist enorm. Wenn es eines gibt, was man in diesem Meer ganz bestimmt nicht tun will, dann ist das lotrecht tauchen. Wenn man geradewegs nach unten tauchen würde, könnte man stecken bleiben, buchstäblich stecken bleiben, mit dem Kopf nach unten und den Füßen nach oben, ohne jemals wieder rauskommen zu können. Die Tragfähigkeit des Wassers würde einen in eben dieser Haltung festhalten und man würde ertrinken.«

»Das hast du jetzt frei erfunden«, sagte Matt.

»Nein. Es ist wahr. Und wenn Stavros erkennen würde, dass er von Methangas umgeben ist - aber das wird er nicht merken, denn er wird panisch, verwirrt und orientierungslos sein -, könnte er theoretisch nach unten tauchen und dann fortschwimmen und zusehen, dass er zügig aus dem klar umgrenzten Gebiet rauskommt, in dem das Gas aufsteigt, denn außerhalb könnte er sofort wieder an die Oberfläche auftauchen. Natürlich ist das Wasser kalt, und wenn dann auch noch Sturm über dem Meer herrscht, wird er es nicht schaffen, aber es besteht eine sehr geringe Möglichkeit.«

»Was ist mit anderen Schiffen?«, fragte Jonas.

»Zwei Dinge. Erstens hat Inez jeden Fischer von hier bis zur Hölle und zurück zu der Hochzeit eingeladen und zweitens haben wir eine Wettervorhersage herausgegeben, die Sturm ankündigt und vor der Brandung warnt«, sagte Damon.

»Und ich habe dafür gesorgt, dass sich auch noch herumspricht, ich hätte ein ganz ungutes Gefühl dabei, heute aufs Wasser rauszurudern«, fügte Ilja hinzu.

»Wie lange werden wir andere Schiffe von hier fernhalten müssen?«, fragte Jonas.

»Das Gas wird sich schnell auflösen. Bis dahin wird sich das Schiff mit Wasser gefüllt haben und dann wird es auf den Grund sinken. Falls Spuren des Gases gefunden werden, wird es das Ganze nur noch mysteriöser machen. Kein anderes Schiff wird gefährdet sein, weil wir den konzentrierten Strahl brauchen, um die Yacht zu versenken, und der hat sich schnell aufgelöst«, fügte Damon hinzu.

»Wir werden auch dafür sorgen, dass genug psychische Energien auftreten, um ihn anzulocken. Abbey wird eine Vorführung im Meer veranstalten. Hannah wird eine Show am Himmel abziehen. Alles, was geschehen wird, wird den Eindruck erwecken, als hätten die Geschehnisse ein besonderes physikalisches Phänomen herbeigeführt. Und genau das werden die Leute später erzählen. Selbstverständlich werden Abbey und Hannah und alle anderen am Strand versammelt sein und zusehen, wie Jackson und Elle ihr Ehegelöbnis ablegen«, fügte Damon hinzu. »Perfekte Alibis für alle.«

Ilja fuhr sich mit einer Hand durch das Haar. »Da gibt es noch ein kleines Problem.«

»Und was wäre das?«

»Mein Bruder. Ich habe versucht, ihn von dem Schiff zu locken, mit dem Hintergedanken, ihn wegen Beamtenbestechung verhaften zu lassen«, sagte Ilja. »Ich habe ihn benachrichtigt, du wolltest nur mit ihm reden.«

Jackson sprang so schnell auf, dass sein Stuhl umfiel. Er stieß ihn aus dem Weg und ging auf Ilja zu. »Du hast nie etwas davon gesagt, dass du einen Bruder hast, der für Gratsos arbeitet.«

»Nein, das habe ich nicht getan«, sagte Ilja. »Ich wusste nichts davon, bis wir Elle von der Insel geholt haben. Ich habe mit ihr gesprochen und sie gebeten, es vertraulich zu behandeln, bis ich dahintergekommen bin, was hier vorgeht.«

»Wann?«, fragte Jackson. »Sie war jede Minute mit mir zusammen.«

»Nicht heute Morgen. Ich war im Drake-Haus, als du sie dort abgesetzt hast, damit sie sich fertigmachen kann.«

Jackson fluchte tonlos. Er war wütend auf Ilja und noch wütender auf Elle.

Verdammt nochmal, was soll das heißen, Elle. So etwas enthältst du mir nicht vor, verstanden? Es ist meine Aufgabe, dich zu beschützen, und der Teufel soll mich holen, wenn du mir Informationen vorenthältst.

Fluch nicht, wenn du an unserem Hochzeitstag mit mir sprichst. Ist das alles, was du mir zu sagen hast? Ich stehe hier wie ein Idiot, weil du mir nicht gesagt hast, dass Iljas Bruder für Gratsos arbeitet.

Jackson stolzierte aus dem Haus, um nicht in Iljas Nähe zu bleiben. Da er versucht war, ihm eine reinzuhauen, lief er auf seiner Veranda auf und ab.

Dann beruhigst du dich jetzt besser. Er hat mich gebeten, es vertraulich zu behandeln.

Mir ist scheißegal, worum er dich gebeten hat. So läuft das bei uns nicht. Du sagst mir alles.

Eine kurze Pause entstand.

Tut mir leid, Jackson. Ich hatte nicht vor, dir etwas zu verschweigen. Ilja hat mir erzählt, sie hätten einander im Visier gehabt und beide hätten ihre Waffen gesenkt. Er wollte wissen, welche Rolle sein Bruder bei den Geschehnissen auf der Insel gespielt hat. Sein Bruder war Leibwächter, aber er war der Einzige, der nett zu mir war. Er wollte eindeutig, dass ich von der Yacht verschwinde, bevor Stavros mich auf die Insel gebracht hat. Er hat sich mit Stavros deswegen gestritten.

Aber er hat dir nicht bei deiner Flucht geholfen und er muss ganz genau gewusst haben, was Stavros dir angetan hat.

Er ist nie in das Zimmer gekommen, bis zu dem Tag, als Stavros diesen Wächter reingebracht und ihn getötet hat. Der Leibwächter war außer sich vor Wut.

Jackson ließ einen Schwall von wüsten Beschimpfungen los, die viel unflätiger waren als sein übliches Fluchen. Ihm war scheißegal, ob der Mann Iljas Bruder war, wenn er nichts gegen die Foltern unternommen hatte, die Elle zugemutet worden waren. Vielleicht hatte er nicht alles gewusst, aber er war schuldig und konnte von ihm aus als Mitwisser gemeinsam mit dem Schiff untergehen.

Er drehte sich um, als er das leise Geräusch hörte, mit dem die Tür geschlossen wurde. Ilja stand ihm gegenüber. »Er ist so aufgewachsen wie ich, Jackson, und er arbeitet als Geheimagent. Du weißt, dass man nicht die Arbeit von Monaten oder gar von Jahren sausen lässt, um eine Einzelperson zu retten. Man muss die größeren Zusammenhänge im Auge behalten.«

»Ich will keine blödsinnigen Ausreden hören.«

In den Tiefen von Iljas Augen flackerte etwas Hartes auf, doch er blieb weiterhin ruhig. »Du hast als Geheimagent gearbeitet. Ich bin sicher, dass du schwierige Entscheidungen treffen musstest. Wenn du den ganzen Ring ausheben willst, rettest du dann Hunderte, vielleicht Tausende, oder eine Einzelperson?«

»Du weißt nicht mit Sicherheit, dass er verdeckte Ermittlungen anstellt.«

»Ich weiß es. Ich kann dir nicht sagen, woher ich es weiß, aber es ist nun mal so.« Ilja sah Jackson mit festem Blick an. »Er muss mit sich selbst klarkommen und mit dem leben, was er getan hat, um an Gratsos herankommen zu können, genauso, wie auch ich mit sehr unerfreulichen Dingen leben musste.«

»Auf der Insel hat er seinen Boss vor Schaden bewahrt. Du kannst mir nicht einreden, er hätte es nicht getan. Also wird er es wieder tun, wenn du ihm auch nur den kleinsten Wink gibst, was wir vorhaben.«

»Eben deshalb habe ich nicht die Absicht, ihm einen Tipp zu geben. Ich habe versucht, ihn an Land zu locken, aber wenn er sich nicht ködern lässt, wird er gemeinsam mit Gratsos sterben. Ich bin ebenso wenig wie du bereit, Joley und Hannah oder irgendeine der Drake-Schwestern zu gefährden. Sie sind jetzt meine Familie, und meine oberste Loyalität liegt bei ihnen.«

»Sag mir, dass du Gratsos nicht im Visier hattest und ihn hast laufen lassen.«

»Würdest du mir glauben?«

Jackson nickte und sah Ilja weiterhin fest in die Augen. Ilja schüttelte den Kopf. »Ich hatte keine freie Schusslinie. Um ihn umzulegen, hätte ich ihn durch seinen Leibwächter hindurch erschießen müssen.«

Jackson stieß langsam seinen angehaltenen Atem aus. »Okay. Also gut. Lass es uns hinter uns bringen. Es tut mir leid, dass dein Bruder in dieser Geschichte drinsteckt.«

Ilja zuckte die Achseln. »Das ist die Welt, in der wir leben. Die Welt, in der wir aufgewachsen sind. Wir alle wissen, dass wir Risiken eingehen. Es muss mir nicht gefallen, aber ich werde mit meinem Entschluss leben, ihn aufzugeben.«

Jackson?

Elles Stimme zitterte.

Willst du immer noch heiraten?

Jackson fühlte die Liebe, die in seinem Innern aufwogte.

Mehr denn je. Wir werden kämpfen, Elle. Du weißt, dass wir es tun werden. Es wird hoch hergehen, und mir werden Dinge herausrutschen, die ich gar nicht so meine; mir werden Schnitzer unterlaufen, und ich werde fluchen und tierisch sauer auf dich sein. Aber das wird nie etwas daran ändern, was ich für dich empfinde. Mir ist eine aufbrausende Frau lieber. Ich will keine Frau, die kuscht. Ich will eine Frau, die mir etwas entgegensetzt, die ihre Meinung vertritt, wenn sie glaubt, im Recht zu sein. Natürlich wird es am Ende darauf hinauslaufen, dass ich Recht habe, und wenn du das erkennst, werden wir zur Versöhnung ganz tollen Sex haben.

Er fühlte das Gelächter, das in ihr aufstieg und ihn wärmte. Ein Teil von ihm machte sich Sorgen, sie würde Vernunft annehmen und ihn stehen lassen. Seine Mutter hatte sich zurückgezogen, sich immer mehr distanziert, bis er sie schließlich gar nicht mehr erreichen konnte. Sein Vater konnte der Verlockung des Motorradfahrerlebens nicht widerstehen. Er hatte bei ihnen bleiben wollen, doch das Leben, das sie miteinander führten, hatte ihm einfach nicht genügt - das Bayou und ein häusliches Leben war nicht das, was er brauchte. Jackson war kein ausreichender Grund für ihn gewesen, zu Hause zu bleiben. Manchmal kam er sich immer noch vor wie dieser Junge, der verzweifelt versuchte, seine Familie zusammenzuhalten, und dabei ständig das Gefühl hatte, keiner wollte ihn wirklich, weil er einfach nicht gut genug war.

Ich will dich.

Elles Stimme war inbrünstig.

Ich will dich mit jeder Faser meines Wesens. Kannst du mich nicht fühlen, Jackson? Kannst du meine Liebe nicht fühlen?

In ihn ergoss sich ein solcher Gefühlsüberschwang, dass er fast in die Knie gegangen wäre.

Ich fühle dich, Elle, ich fühle mich restlos von dir eingehüllt. Ich kann es nicht erwarten, dich zu heiraten.

Er ging wieder in sein Haus und wandte sich den wartenden Männern zu. Damon hatte seine Landkarte vom Tisch genommen und verbrannte sie im Kamin, bevor er sein Jackett anzog. Die anderen rückten ihre Krawatten zurecht, strichen Fusseln von ihren Anzügen und taten überhaupt alles, um Inez zufriedenzustellen.

»Alles okay mit dir?«, fragte Jonas und legte Jackson eine Hand auf die Schulter.

Jackson nickte. »Das ist der glücklichste Tag meines Lebens.«

Jonas grinste ihn an. »Ich weiß, was du meinst.«

Jackson wandte sich an Damon. »Und du glaubst wirklich, wir kriegen das hin? Sein Schiff zu versenken?«

Damon nickte. »Ganz bestimmt. Bei den Feierlichkeiten werden genügend Energien freigesetzt, auf die wir zurückgreifen können, um alles, was Gratsos sich ausdenkt, zu besiegen. Es wird klappen. Konzentriere du dich nur auf die Hochzeit. Morgen wird Elle von Stavros Gratsos' vorzeitigem Ableben erfahren, wenn sie die Zeitung aufschlägt, es sei denn, die Haie schnappen sich seine Leiche, bevor sie identifiziert werden kann.«

»Wenn es nicht klappt, habe ich diese Nacht mit ihr«, sagte Jackson.

»Rein technisch gesehen«, sagte Damon, »wird es noch nicht mal ein Mord sein. Es mag zwar stimmen, dass wir das Ganze im Voraus geplant haben, aber da er uns angreifen wird, handeln wir in Notwehr. Jonas kann also weiterhin ruhig schlafen.«

»Lasst es uns hinter uns bringen«, sagte Aleksandr. »Inez kommt gerade die Dünen herauf, und sie blickt finster.«

 

»Liebe Gemeinde, wir haben uns heute hier versammelt, um diesen Mann und diese Frau im heiligen Stand der Ehe zusammenzuführen.«

Der Geistliche begann mit der Trauung, und Jackson konnte sich kaum zum Zuhören zwingen. Die meiste Zeit hörte er nur den donnernden Herzschlag in seinen Ohren, und so war es schon seit dem Moment, als Elle in Sicht gekommen und auf ihn zugegangen war. Barfuß. Ihr Kleid bestand mehr oder weniger aus einem Bikinioberteil und einem Sarong und war mit funkelnden Perlen bedeckt. Elles Schönheit verschlug ihm den Atem. Ihr rotes Haar war zu einem kunstvollen Knoten aufgesteckt, und sie stand da und wirkte ätherisch in ihrem weißen Gewand mit dem langen Schleier aus Spitze, der um sie herum wie ein Umhang zu wehen schien. Ihre makellose Haut sah unter diesem durchsichtigen Spitzeneinsatz so zart aus, dass er sich beherrschen musste, um seine Hand nicht über ihre entblößte Mitte gleiten zu lassen.

Hinter ihm waren riesige weiße Zelte auf dem Sand errichtet worden, mit langen Tischen voller Speisen und Getränke und mit einer kunstvollen Hochzeitstorte von einer der Konditoreien. Die Einheimischen drängten sich von allen Seiten um sie, Schulter an Schulter. Zarte melodische Klänge trieben auf der leichten Brise und der Duft von Lavendel durchdrang die Luft.

Jackson nahm Elles Hand, steckte ihr den Ring an den Finger und fühlte einen Ruck, der ihm durch Mark und Bein ging. Sie steckte ihm den Ring an seinen Finger und er nahm ihre Hand und küsste sie.

Ilja trat vor und zog Joley hinter sich her. »Trauen Sie uns zuerst, bevor Sie die beiden für Mann und Frau erklären.« Er klopfte auf seine Tasche. »Die Heiratserlaubnis und unsere Ringe habe ich einstecken.«

Tyson grinste und nahm Libby an der Hand. »Jetzt kannst du dich nicht mehr drücken«, sagte er und nahm eine sehr aufrechte Haltung ein, in der er sie überragte und ihr jeden Fluchtweg abschnitt. Er hielt zwei Ringe hoch. »Trauen Sie uns auch.«

»Schaffst du es vor all diesen Leuten, Abigail?«, fragte Aleksandr. Sie nickte und trat neben ihn; sie passte perfekt unter seine Schulter.

Kate und Matt sahen einander an, lachten und stellten sich neben Elle und Jackson. »Wir sind auch so weit.«

»Wir auch«, sagte Damon. »Nachdem jetzt alle hier versammelt sind, Sarah, lass uns ebenfalls heiraten.« Er hielt ihr seine Hand hin, und sie nahm sie.

Hannah und Jonas grinsten einander an. »Ich vermute, wir werden für alle die Trauzeugen sein.«

Jackson legte seinen Arm um Elle und hielt sie an sich gedrückt, während der Geistliche jedes Paar das Ehegelübde wiederholen ließ. Er blickte zum Himmel auf, als der Wind zuzunehmen begann. Eigenartige tanzende Lichter bildeten sich über ihren Köpfen, fast wie die Aurora Borealis am Nachthimmel in Alaska. Purpur- und Blautöne, Rosa und Weiß, Farben von strahlender Leuchtkraft. Einige der Einheimischen keuchten vor Erstaunen und deuteten darauf.

Während die Ringe getauscht wurden, veränderte sich der Himmel erneut, und weitere Farben kamen hinzu, Grün-, Orange- und Rottöne, die durch die Leuchtfarben tanzten und den Eindruck von Flammen am Himmel vermittelten. Jackson blickte zum Horizont hinaus. Er konnte die Yacht nicht sehen, doch er wusste, dass sie dort draußen war. Jetzt fühlte er den Mann, fühlte seine Nähe. Er warf einen Blick auf Bomber. Der Hund fühlte sich unbehaglich und wandte sich dem Meer zu.

Wellen schlugen ans Ufer und strömten über die Felsen. Weit draußen schien das Wasser ein dunkles Grün angenommen zu haben, umgeben von dem tieferen Blau. Und dann schäumte es weiß. Jubel brach aus, als der Geistliche sie für Mann und Frau erklärte und jedes Paar sich küsste und dann der Menge vorgestellt wurde. Es hatte einen seltsamen Klang, als sie als »Jackson und Elle Deveau-Drake« eingeführt wurden.

Delfine sprangen aus dem Wasser, überschlugen sich und tauchten ein, um wieder unter dem schäumenden Meer zu verschwinden. Wale tauchten aus dem Wasser auf und Vögel flogen wie zum Gruß über ihre Köpfe. Etliche Robben streckten ihre Köpfe über die Wellen und blickten zum Strand.

Beifall ertönte, als sich die Paare durch die Menge bewegten und sich in Richtung der weißen Zelte bewegte. Jackson hielt Elle fest an der Hand.

»Einen solchen Himmel habe ich noch nie gesehen«, sagte Elle, und aus ihrer Stimme war Unbehagen herauszuhören.

»Damon hatte eine reichlich verrückte Erklärung dafür. Er sagte, es hat irgendetwas mit der Luftfeuchtigkeit und dem Atmosphärendruck zu tun. Ich weiß es nicht genau. Ich verstehe nicht mal die Hälfte von dem, was er sagt.« Er schüttelte etlichen Leuten die Hände und gab Inez, die sich immer wieder Tränen aus dem Gesicht wischte, einen Kuss.

»Sieh hinter die tanzenden Lichter, draußen am Horizont, Jackson.« Elle drückte seine Hand. »Der Nebel nimmt zu und er ist dicht und dunkel. Sein Nebel. Er ist hier.«

Jackson beugte sich zu ihr und presste seine Lippen auf ihr Haar. »Nicht hier, Kleines. Er ist irgendwo dort draußen auf dem Meer.«

»Und er wird etwas unternehmen. Er wird wütend sein, weil ich dich geheiratet habe.« Ihre Stimme zitterte. »Außerdem habe ich zwei seiner Angriffe abgewendet und sie gegen ihn selbst gerichtet. Das kann sein Stolz nicht verkraften.«

»Denk jetzt nicht an ihn.« Die Band fing an zu spielen, und Jackson zog Elle in seine Arme und wirbelte sie über den Sand; ihre nackten Füße glitten zwischen seine, als er sie eng an sich hielt und sie mit seinem Körper wärmte. »Habe ich dir schon gesagt, wie wunderschön du aussiehst? Ganz im Ernst, Elle, ich habe dich nicht verdient.«

Sie presste ihr Gesicht einen Moment lang an seine Schulter, doch sie war viel zu besorgt, um sich lange an ihn zu schmiegen. Stattdessen blickte sie wieder auf das Meer hinaus. Der Atem stockte in ihrer Kehle, als Jackson sie herumwirbelte und sie zwang, ihren Blick auf die Zelte und die Menschen zu richten, die sich hier versammelt hatten, um mit ihnen zu feiern. »Sieh dir all die Menschen an, die dich lieben, Kleines. Alle sind hier erschienen.«

»Alle, die ich liebe, Jackson.« Ihre Stimme klang jetzt erstickt.

»Er wird uns angreifen.«

»Ich weiß«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Er wird es versuchen und du wirst ihn daran hindern.«

Elle blickte in sein Gesicht auf, sah die Entschlossenheit darin und drehte sich auf der Suche nach ihren Schwestern um. Ihre Ehemänner tanzten mit ihnen, doch die Paare hatten sich zwischen dem Meer und den Einheimischen aufgereiht, als seien sie ihre Hüter.

»Fühle die Energien, Elle«, flüsterte Jackson. »Sie umgeben uns von allen Seiten. Diese Menschen machen sich etwas aus uns, und sie lachen und singen und feiern, weil sie uns lieben. Der Takt der Musik, das Gelächter, die Energien hier sind gewaltig und sie sind alle positiv.«

Sie holte Atem und sah wieder aufs Meer hinaus. Weit draußen zuckten Blitze am Himmel und schnitten sich durch den dunklen Nebel. Donner grollte und unter ihnen bebte der Boden. Niemand nahm es wahr, während sie tanzten und sangen. Elle ließ Jackson stehen und schloss sich ihren Schwestern an, als sie sich umdrehten und sich dem brodelnden Wasser zuwandten.

»Schick die Tiere fort. Sag ihnen, sie sollen an der Küste entlang in Richtung Point Arena schwimmen«, schlug Damon Abigail vor. »Nur für alle Fälle, damit ihnen nichts passieren kann.«

Abigail tat es und die Delfine und Seelöwen tauchten tief und verschwanden; sie ließen unruhiges, aufgewühltes Wasser zurück.

»Er ist hier«, flüsterte Elle. »Sieh dir den Tang an.«

Zu beiden Seiten eines fünfzehn Meter breiten Streifens hatte sich der Riementang aufgerichtet. Er hob und senkte sich mit dem Wasser und trieb auf der Strömung, wie es zu erwarten war. Doch an den Rändern dieses fünfzehn Meter breiten Bandes lag der Riementang flach ausgestreckt, da das Wasser auf der Oberfläche eine starke Strömung aufwies, wie ein Fluss, der durchs Meer raste. Eine Welle rollte über den Sand, kam auf Elle zu und hielt wenige Zentimeter vor ihren nackten Füßen an, als Hannah vortrat und mit einer Hand winkte. In dem Wasser befand sich ein dickes Knäuel Riementang, das um sich griff und wie ein Lebewesen wirkte, das auf Beutefang war.

Jackson trat verächtlich Treibholz auf die gefräßigen Ranken, und der Strom zog sich schnell zu dem Schiff zurück, das irgendwo jenseits der tanzenden Lichter vor Anker lag. Der Nebel verdichtete sich, nahm einen dunkleren Farbton an und wogte jetzt. Blitze zogen glühend an den Rändern der dunkleren Wolken entlang und Donnerschläge krachten. Wieder bebte der Boden unter ihren Füßen.

Elles Körper spannte sich an. »Er stürzt sich auf uns«, warnte sie.

Ihre Schwestern standen bei ihr, Schulter an Schulter, Elle in der Mitte. Sie konnte vor Furcht kaum atmen. Weit draußen konnte sie jetzt die Wand aus Wasser sehen, die sich bildete und zu einem gewaltigen Turm wuchs. Ihre Kehle schloss sich. Die Monsterwelle nahte schnell, ein Ungeheuer, das von Wut und Hass und einem primitiven Drang nach Herrschaft angetrieben wurde. Stavros war darauf versessen, jeden, den sie liebte, zu vernichten.

Die Luft um sie herum verdichtete sich, der Druck nahm zu, und die Kraft sog an ihnen, als versuchte sie, sie in einen Malstrom der Gewalttätigkeit hineinzuziehen. Libby trat einen Schritt vor, während das Wasser sich zurückzog. Sarah und Abigail packten Libby von beiden Seiten und hielten sie still, während der Sand unter ihren Füßen fortgezogen wurde. Wasser strömte meterweise zurück, um sich mit der einlaufenden Welle zusammenzutun. Elle warf einen Blick über ihre Schulter und stellte fest, dass sich eine gespenstische Stille herabgesenkt hatte.

Niemand rannte. Niemand versuchte sich zu retten. Die Einheimischen standen da und beobachteten, wie die Welle an Kraft und Geschwindigkeit zunahm. Sie mussten sich darüber klar sein, dass die Welle jeden töten würde. Keinem von ihnen konnte entgangen sein, dass sie Häuser und Fahrzeuge zerschmettern und alles zerstören würde, das sich ihr in den Weg stellte.

Elle konnte nicht glauben, dass sich keiner rührte, und dann begriff sie, dass alle sie voller Vertrauen ansahen, mit vollkommener Zuversicht. Sie glaubten an sie. Sie glaubten an ihre Schwestern.

Stavros! Ich werde es nicht zulassen.

Sie schleuderte ihm die Worte entgegen, hob ihre Arme und trat mit Vorbedacht in die Brandung. Sie öffnete ihr Bewusstsein, um sich mit ihren Schwestern zu verbinden, mit ihnen zu verschmelzen, und sie warf ihre Ängste ab, denn es hieß jetzt oder nie. Sie musste Stavros aufhalten. Sie hatte gar keine andere Wahl. Alle verließen sich auf sie, und er würde ihre Familie nicht zerstören. Er würde ihr die Liebe ihres Lebens nicht nehmen. Und er würde weder ihre Freunde noch ihre geliebte Stadt zerstören.

Sie fühlte, wie die Kraft sie durchflutete, als sie den gewaltigen Vorrat an Energien anzapfte, die sie von allen Seiten umgaben. Die Kraft traf sie heftig und versetzte ihr einen solchen Schlag, dass es ihr fast die Füße weggezogen hätte, doch sie gab nicht nach und stellte sich dieser Wand aus Wasser, als sie sich noch schneller voranwälzte und dreißig Meter in die Luft aufragte. Als die Welle näher kam, spaltete sie sich in zwei Hälften auf und kam von beiden Seiten dieser schnellen Strömung auf den Strand zu. Dieses turmhohe Wasser war derartig angefüllt mit gemeinem Hass und Wut, dass sie sich davor fürchtete, ihr mit ihrer eigenen Gewalttätigkeit zu begegnen. Sie wusste nicht, was passieren könnte. Sie brauchte etwas anderes ...

Sie nahm sich einen Moment Zeit, um Ilja einen hilfesuchenden Blick zuzuwerfen, doch er war von ihr abgewandt und stellte sich einer anderen Bedrohung, die sie nicht sehen konnte, denn er erwartete - und glaubte fest daran -, dass sie mit Hilfe ihrer Schwestern für ihrer aller Sicherheit sorgen würde. Sie sah, dass sich ihre Mutter neben Sarah und ihre Tante Carol neben Abigail stellte, und sie fühlte, dass sie ihre Anweisungen erwarteten. Sie drehte ihren Kopf ein letztes Mal nach den Menschen hinter sich um. Ihr Blick fiel auf ein Kind, das aus einem winzigen Behälter Seifenblasen in die Luft blies, und sie wandte sich schnell zu Jackson um und sah ihn an. Seine Augen waren auf sie gerichtet. Sein Bewusstsein war in ihrem. Er schnappte ihre Idee auf, und ein bedächtiges Lächeln ließ seine Lippen weicher werden.

Jackson hatte ihr mit seinem Vortrag über positive Energien unabsichtlich genau das Werkzeug, das sie brauchte, an die Hand gegeben. Eine Woge von Zuversicht durchströmte sie, und sie fühlte die sofortige Reaktion in den vereinten Seelen ihrer Schwestern. Elle sah der einrollenden Welle entgegen, und ein kleines Lachen entrang sich ihr. Wenn sie Stavros' Angriff mit Gewalttätigkeit begegnen würden, würde das seine Macht nur stärken. Sie musste ihm etwas anderes geben, etwas, was er nicht verstehen konnte, und sie war allseits davon umgeben. Nicht Macht. Nicht Herrschaft. Noch nicht einmal Wut oder Rachegelüste. Sondern Freundschaft. Liebe. Vertrauen.

Die Welle raste um die Strömung herum, die an der Wasseroberfläche verlief und zu Stavros' Yacht zurückströmte. Ihre Schwestern bezogen eine V-förmige Aufstellung mit Elle an der Spitze, und sie alle hoben ihre Hände. Elle begann sämtliche Energien um sie herum an ihre Schwestern weiterzuleiten, ihnen die positiven, freudigen und festlichen Energien zuzuführen.

Wie im Chemieunterricht vor vielen Jahren, als ihre Lehrer sie deshalb finster angesehen hatten, begann Elle die benötigten Bestandteile miteinander zu vermischen. Sie verdichtete das Wasser, führte ihm Wärme zu, Hitze, die von unten durch das Wasser schoss, als die Welle darüberrollte. Dadurch verringerte sich die Oberflächenspannung des Wassers, was etwas trickreich war, und daher arbeitete sie mit ihrer Mutter und ihrer Tante Hand in Hand. Die Welle rollte näher, doch jetzt war sie überhitzt und viel dicker, denn die Zusammensetzung hatte sich bereits verändert. Sie konnte die aufkeimenden Farben sehen, wie ein schillernder Regenbogen, der durch das Wasser rollte. Und dann stellten Hannah und Elle den heftigen Wind bereit, traten gemeinsam vor, die Hände erhoben, und strahlten einander an wie zwei Kinder, als sie die Mischung in Aufruhr versetzten und kräftig hineinbliesen, woraufhin die Wellenteile auseinanderzubrechen begannen.

Große, runde Formen stiegen in den Himmel auf und füllten den offenen Raum, so dass für einige Momente das Blau von einem Baldachin aus riesigen, schillernden Seifenblasen verdeckt wurde, transparenten Kugeln gleich, die in sämtlichen Farben schimmerten. Hinter sich konnte sie das Gelächter und den Beifall hören, als glaubten alle, das sei ein erstaunlicher Bestandteil des Festes, Tausende von Blasen, die über dem Meer trieben, bis an den Horizont, ein Strom von Warmluft, der die freudige Stimmung der Feierlichkeiten über das Meer hinaustrug.

Elle taumelte und Jackson war zur Stelle. Er schlang seine Arme um sie, um ihr Halt zu geben, und küsste ihre Wange. Liebe ergoss sich über sie und in ihr Inneres. Geschwächt klammerte sie sich an ihn und blickte über seine Schulter ihren Schwager an. Gelächter und Gespräche erklangen überall, als die Musik wieder einsetzte und Kinder über den Strand liefen, als seien turmhohe Wellen und Tausende von schillernden Seifenblasen ein alltägliches Vorkommnis. Keiner von ihnen schien die Rückströmung zu bemerkten, die vom Ufer aufs Meer hinausraste und an Kraft zunahm, und den Riementang, der jetzt flach dalag, da Stavros Druck erzeugte, um das Wasser für den nächsten Anlauf zu sich zurückzusaugen.

Ilja schloss einen Moment lang die Augen, und unter dem Wasser barst ein kleines Siegel auf der Kontinentalplatte und setzte Methan in die schnelle Strömung frei. Der rasche Rückstrom trug die Methanblasen mit sich. Ilja konzentrierte sich darauf, die Rückströmung unter die Yacht zu stoßen, so dass die Kraft und die Energien, die Gratsos erzeugte, sein Boot trotz des Ankers weiter aufs Meer hinaustrieben. Der Grieche war vorübergehend gezwungen, seine Kraft von dem Versuch abzuziehen, die nächste Monsterwelle aufzubauen, da er erst verhindern musste, dass seine Yacht davongetragen wurde.

Stavros stand mit den Händen auf der Reling am Bug seiner luxuriösen Yacht und blickte zum Ufer, wo die Feierlichkeiten fortgesetzt wurden, als sei er gar nicht vorhanden. Ein Nichts. Als eine lästige Störung abgetan, nicht als ein imposanter Gegner, ein Mann, mit dem nicht zu spaßen war. Sie verspottete ihn mit ihren schillernden Blasen, sie lachte ihn aus, sie stellte ihn als schwach hin. Das war ein Schlag ins Gesicht, eine Beleidigung, die unverzeihlich war. Sie war über ihn hinweggegangen, sie hatte ihn nicht ernst genommen, aber kurz bevor er alles zerstörte, was ihr am Herzen lag, würde er sie eines Besseren belehren, damit sie erfuhr, wie mächtig er in Wirklichkeit war. Sein Gesicht war von Elles erster übersinnlicher Vergeltung verbrannt, und das war unerwartet und schockierend, der Schmerz immer noch kaum erträglich. Und er konnte kaum laufen, denn jeder Schritt war die reinste Qual. Er würde lange Zeit nicht mit einer Frau zusammen sein können, und sie würde ihm für ihren Verrat büßen - ihren Körper, der ihm gehörte, von einem anderen Mann berühren zu lassen. Und der Preis würde hoch sein: Jeder, den sie liebte, würde sterben.

Die winzigen Methangasblasen ließen das Wasser um das Schiff herum schäumen und sprudeln, sowie Gratsos aufhörte, die verborgene Strömung zu speisen. Die Yacht wankte, bebte und sackte ab wie in ein Loch. Sie sank steil nach unten. Es blieb keine Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. Seine Besatzung tauchte um ihn herum ins Meer und versank gleichfalls, obwohl die Männer kräftig Wasser traten. Er versuchte hektisch, an die Oberfläche zu schwimmen, aber er konnte seinen Körper nicht dazu bringen, sich aufwärts zubewegen.

Aus dem Augenwinkel sah er, wie sein Leibwächter tiefer sank, offenbar die Orientierung verloren hatte, wenige Meter von ihm entfernt in die falsche Richtung schwamm und unterging, und dann verschwand Sid in der Dunkelheit. Um ihn herum schien seine Mannschaft im Wasser zu schweben, die meisten bereits regungslos, doch zwei oder drei kämpften noch schwach in der Kälte und der Dunkelheit.

Stavros kämpfte, trat um sich, paddelte mit den Händen und versuchte, nach oben zu gelangen. Die Kälte sickerte ihm bis in die Knochen, als sei das Wasser in ihn eingedrungen und zu einem Teil von ihm geworden. Er hielt den Atem an, obwohl seine Lunge brannte. Er war Stavros Gratsos. Ihm gehörte die Welt. Nichts und niemand konnte es gegen ihn aufnehmen und schon gar nicht irgendeine nichtswürdige Frau. Er befehligte das Meer, und doch konnte er kein Wasser durch seine Hände ziehen. Er musste dringend Atem holen. Da ihn jetzt die Panik gepackt hatte, öffnete er den Mund, um zu schreien, und nahm dabei nichts als Wasser in sich auf.

 

Die Einwohner von Sea Haven blickten auf das Meer hinaus und sahen etwas, das den Anschein von Meeresleuchten erweckte, phosphoreszierende Lichter, die unter dem Wasser tanzten. Wenn Robben den Meeresboden aufwühlten, sah man oft phosphoreszierendes Rot, Grün und Gelb durch das Wasser glühen. In der Ferne löste sich der Nebel auf, als sei er nie dagewesen, und die Lichter am Himmel tanzten im Rhythmus der Musik. Die Menschen wandten sich wieder den Feierlichkeiten zu, drängten sich um die Paare und bestanden darauf zu tanzen.

Elle runzelte die Stirn und sah ihre Schwestern an. »Ich fühle ihn nicht. Fühlt ihr ihn? Ich fühle überhaupt keine Bedrohung mehr.« Sie wandte sich zu Jackson um und folgte seinem Blick, erst zu Ilja, den sie nicken sah, und dann zu Damon, der breit grinste und ihr zuzwinkerte.

»Was habt ihr getan?«, fragte sie argwöhnisch.

»Küss mich, meine Angetraute«, sagte Jackson und zog sie wieder in seine Arme. »Dieses Kleid oder dieser Bikini mit Sarong, wie auch immer du es nennen willst, bringt mich um den Verstand. Wir werden bald nach Hause gehen müssen.«