26

»Wen liebt ihr mehr als mich?«, fragte Linda Ross, als sie eine ruhige Viertelstunde später das Operationszentrum betrat. Sie hatte einen schlanken Schnellhefter in der Hand und ein breites Grinsen im Gesicht.

»Megan Fox«, sagte Mark sofort.

»Beyoncé«, rief der diensthabende Techniker an der Schadenskontrolle.

»Katie Holmes«, sagte Hali.

»Ich hatte schon immer ein besonderes Faible für Julia Roberts«, fügte Eric hinzu.

»Chef«, fragte Linda, »bist du eigentlich auch so ein sexistisches Schwein?«

»Die einzige Frau, die ich mehr liebe als dich, ist meine Mom.«

Die anderen Männer verhöhnten ihn leise.

Linda lächelte. »Touché.«

»Erinnere mich wieder mal daran, warum ich dich so liebe.«

»Weil ich herausgefunden habe, dass sich weniger als hundertfünfzig Kilometer südlich von hier eine norwegische Walfangstation befindet, die in den 1930ern aufgegeben wurde.«

»Wir brauchen aber gar keine Walknochen.«

»Sie wurde als Weltkulturerbe erhalten – und jetzt pass auf –, weil dazu eine Kapelle mit einem Friedhof gehört, der die letzte Ruhestätte für siebenundzwanzig Walfänger ist, die in diesen Gewässern umgekommen sind. Du hast mich gebeten, Knochen zu suchen, und ich gebe dir Knochen.«

Juan kam sofort auf die Füße und war mit zwei Schritten bei ihr. Er musste sich bücken, um ihr einen Kuss auf die samtene Wange zu hauchen. Die Migräne löste sich schnell auf, und die dunkle Wolke, die über ihm aufgezogen war, hob sich. Was ihn so bedrückt hatte, war die unausweichliche Tatsache, dass sie, wenn sie nicht mehrere Skelette fanden, die Geiseln ihrem Schicksal überlassen müssten. Er bezweifelte, dass sie für die Argentinier nicht mehr von Interesse wären, wenn die heiße Phase ihrer Mission begann, daher bedeutete es ihren sicheren Tod, wenn sie zurückgelassen werden würden.

»Großer Meister, ich fange gerade Funkverkehr von chinesischem Arbeitsboot auf«, meldete Hali und wandte sich wieder zu seinen Computern um.

»Blockier ihn!«

Er tippte ein paar Sekunden lang auf seinem Keyboard. »Ich habe die Frequenz isoliert. Sie sind tot. Der Computer verfolgt sie automatisch, während sie auf der Skala nach einem Signal suchen.«

»Okay. Gut. Wenn sie irgendwelche Neuigkeiten berichten wollen, müssen sie zur Basis zurückkehren. Damit wären zwei Probleme in weniger als einer Minute gelöst. Gut gemacht, ihr alle.«

Max und Tamara schlenderten ins Operationszentrum, die Hände so nahe beieinander, dass Juan vermutete, sie mochten gerade noch Hand in Hand gegangen sein. Der Ochsenfrosch und die Prinzessin, dachte er, freute sich aber für sie beide.

»Du kommst genau im richtigen Moment, mein Freund.«

Hanley sah ihn genauso an, wie ein Käufer einen Gebrauchtwagenhändler mustert. »Ich habe ein ungutes Gefühl bei dieser Sache.«

Cabrillo lächelte entwaffnend. »Das solltest du auch. Du musst nämlich Igor spielen und einen Friedhof leerräumen.«

Tamara war entsetzt. »Sie wollen, dass er was tut?«

»Weißt du«, sagte Max und schüttelte den Kopf. »Ich muss zugeben, dass ich im Stillen gehofft habe, dieser Teil der Operation möge nicht stattfinden.«

»Nun komm schon«, neckte ihn Juan, »frische Luft, freier Himmel, vermodernde Norweger. Es wird großartig.«

»Wovon reden Sie beide? Wer vermodert?«

Max wandte sich zu ihr um. »Um die Geiseln zu retten, so dass die Argentinier gar nicht bemerken, dass sie fort sind, müssen wir doch irgendetwas zurücklassen.«

»Aber?«

»Sobald wir sie aus dem Gebäude geholt haben«, erklärte Juan, »fackeln wir es ab. Alles, was sie finden müssen, sind achtzehn verkohlte Skelette. Nur ein Pathologe würde erkennen, dass es nicht die Überreste der ursprünglichen Insassen sind. Wir können bloß froh sein, dass die Winterbesatzungen so klein gehalten werden, sonst müssten wir uns etwas anderes einfallen lassen.«

»Was, zum Beispiel?« Ihre Gedanken wirbelten durcheinander.

»Eine kleine Atombombe vielleicht.«

Nach dem, was sie bei der Corporation bisher erlebt hatte, war sie sich nicht sicher, ob Cabrillo einen Scherz machte oder nicht. Es hätte sie nicht überrascht, wenn Letzteres der Fall gewesen wäre.

Er zeigte ihr ein wölfisches Grinsen, das ihr nichts anderes verriet, als dass sie von einer Bande draufgängerischer Halbwüchsiger umgeben war. Hilfe suchend sah sie Max an. Er zuckte lediglich die Achseln. Sie sagte: »Ich denke, es ist ganz gut, dass sie nur eine kleine Bombe nehmen wollen.«

Linda kam zu ihr, als wollte sie ihr in diesem Wahnsinn eine Stütze sein, und sagte: »Keine Sorge. Wir wissen ganz genau, was wir tun.«

»Da bin ich aber froh, ich weiß es nämlich nicht.«

Hanley brach zwanzig Minuten später in einem RHIB auf und hatte ein Schlauchboot im Schlepptau. Er und seine vier Mann Besatzung fuhren etwa acht Kilometer aufs Meer hinaus, bevor sie nach Süden schwenkten. Daher bestand keine Gefahr, dass sie vom Festland aus zu sehen waren. Max hatte eine benzingetriebene Hochdruckpumpe eingeladen, die er beim Ausgraben der Skelette einsetzen wollte. Der Druck der Nadel heißen Wassers konnte bis auf viertausend PSI gesteigert werden, also mehr als genug, um den Permafrost aufzutauen, in dem die Leichen ruhten. Wie er bei ihrer Abfahrt bemerkt hatte: »Spitzhacken und Schaufeln sind nichts für Mrs. Hanleys Lieblingssohn.«

Juan hatte an diesem Tag einen entschieden schwierigeren Job. Da die Chinesen die Bucht absuchten, in der das Wrack lag, konnten Mike Trono und sein Team ihre Arbeit nicht wiederaufnehmen. Dadurch wurde das Nomad Tauchboot mit seiner Luftschleuse frei. Der ständig dämmrige Himmel war dunkel genug, um ausreichenden Schutz vor Beobachtung zu bieten, und die argentinischen Ölbohrinseln und das Heißwasser-Sprudelsystem würden seine Arbeitsgeräusche kaschieren.

Unten im Unterwasser-Operationsraum traf Juan Vorbereitungen für seinen Tauchgang. Unter seinem Viking Trockenanzug trug er einen breitmaschigen Overall, in den dreißig Meter dünner Schläuche eingewebt waren. Durch diese Schläuche zirkulierte warmes Wasser aus einer Nabelschnur, die mit dem U-Boot verbunden war. Er wusste, dass die Argentinier die Bucht heizten, konnte aber nicht das Risiko eingehen, während seines Ausflugs mit eisigem Wasser in Berührung zu kommen. Außerdem enthielt die Nabelschnur seine Kommunikationsverbindung und den Atemschlauch, daher brauchte er sich keine klobigen Tanks auf den Rücken zu laden.

Der Vollgesichtshelm war mit starken Lampen ausgestattet, die er abdunkelte, indem er die Linsen zur Hälfte mit Farbe bedeckte. Es würde ihm die Arbeit erschweren, aber gleichzeitig wäre er von der Wasseroberfläche aus schwerer auszumachen. Er müsste nur ständig daran denken, niemals nach oben zu blicken und den Lampenstrahl zur Wasseroberfläche zu richten.

Linda würde das Mini-U-Boot lenken, während Eddie Seng Juans Tauchgang überwachte.

Sobald sie gestartet waren, lenkte Linda sie zum Heck der Oregon. Dicht unter dem leeren Flaggenmast war eine Luke geöffnet worden, in der eine große Trommel Schleppseil zu sehen war. Statt aus Stahl bestand es aus geflochtenen Karbonfasern und hatte zwar nur ein Fünftel des Gewichts, aber die fünffache Zugkraft eines herkömmlichen Seils. Ein zusätzlicher Vorteil war, dass es keinen Auftrieb hatte, sondern im Wasser schwebte. Linda erfasste das Ende mit dem kraftvollen mechanischen Greifarm der Nomad und fädelte es in einen Halteschlitz ein, aus dem es sich nicht lösen konnte.

Dann machten sie sich auf den Weg zur argentinischen Basis. Der Zugwiderstand des Seils war anfangs nur gering, aber die drei wussten, dass sich das U-Boot, wenn erst einmal genügend Seil ausgelaufen wäre, abmühen würde. Sie hatten ihren Start entsprechend geplant, damit das Nomad mit der Flut in die Bucht einlief.

Sie brauchten mehr als eine Stunde bis zu den Pfeilern, die die Gasraffinerie trugen, die Juan und Linc in der vorangegangenen Nacht so eingehend studiert hatten. Da die Bucht künstlich erwärmt wurde, wimmelte es im Bereich der Stahlbetonstützen von Meerestieren. Dunkelbraune Krabben huschten über den Meeresboden, und Fische schossen zwischen den Pfeilern umher, die mit Muscheln und Rankenfußkrebsen überkrustet waren.

Das Nomad war fünfundsechzig Fuß lang, jedoch mit den Strahlrudern, die an wichtigen Stellen seines Rumpfs verteilt waren, in höchstem Maß manövrierbar. Linda hatte die Unterlippe zwischen ihre wunderschönen weißen Zähne geklemmt, während sie das Boot unter den Industriekomplex und um einen der Stützpfeiler herumbugsierte. Dort ließ sie es dann auf den Grund sinken.

Abermals aktivierte sie den Greifarm. So stark das Karbonfaserkabel auch war, so war es trotzdem für jede Form von Abrieb anfällig – und wenn man es über die raue Oberfläche des Piers zog, würde es beträchtlich geschwächt werden. Um es davor zu schützen, benutzte sie den Greifarm zum Abkratzen der Muschelkolonien. Die kleinen Meerestiere schnappten heftig mit ihren Schalen, während sie abgelöst wurden, und katapultierten sich in dunklere Gefilde.

Als Nächstes drehte sie die Greifhand, um ein Bündel Plastikschläuche, die in jedem Fachhandel erhältlich waren, aus einem Gerätebehälter zu ziehen. Es war das gleiche Material, das auch für Sanitäreinrichtungen benutzt wurde und überall in der Basis angetroffen werden konnte. Sein Vorhandensein würde in dem unwahrscheinlichen Fall, dass es tatsächlich gefunden wurde, keinerlei Verdacht erregen. Man würde es lediglich als Abfall betrachten, der im Meer entsorgt worden war. Die Schläuche waren zusammengeklebt worden und formten einen Halbkreis, der genau um die Rückseite des Piers passte. Das Seil würde über dieses glatte Plastikpolster gleiten und nicht über den Beton.

Sie schob das Plastikpolster an Ort und Stelle und lenkte das Tauchboot um die Rückseite des Pfeilers herum.

»Gut gemacht«, sagte Juan, während sie sich langsam zurückzogen. Das schwarze Schleppseil rutschte ohne nennenswerten Widerstand über das Schlauchbündel. »Noch ein Stopp liegt vor uns.«

Sie wendete das Nomad und startete zur Rückfahrt durch die Bucht. Das Gewicht des Seils und die Tatsache, dass sie nun gegen die Flut ankämpfen mussten, die noch nicht ihren Höchststand erreicht hatte, strapazierten den Motor des Tauchboots. Die Batterien leerten sich fast doppelt so schnell wie unter normalen Bedingungen, und ihre Geschwindigkeit reduzierte sich auf Kriechtempo. Doch sie kamen immer noch voran.

Zwanzig Minuten später befanden sie sich unter der Admiral Guillermo Brown. Ihr Anker lag seitlich auf dem felsigen Meeresgrund, und seine schwere Kette reichte bis hoch zur Wasseroberfläche. Weniger als sechs Meter Wasser trennten ihren Kiel vom Boden.

»Ein seltsamer Name für ein argentinisches Schiff. Brown«, meinte Eddie, während er Juan den Taucherhelm reichte.

»Eigentlich hieß er William Brown, wurde in Irland geboren und wanderte nach Argentinien aus. Er soll Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ihre Marine geschaffen haben, um gegen die Spanier zu kämpfen.«

»Wie kannst du so etwas wissen?«, fragte Linda aus dem Cockpit.

»Wie? Ich hab es gegoogelt, als ich den Kreuzer zum ersten Mal gesehen habe. Ich fand auch, dass der Name ziemlich seltsam klingt.«

Juan watschelte zu der kleinen Luftschleuse, beladen mit einem Gürtel, an dem sein Werkzeug hing. Auf dem Rücken trug er einen Flammenwerfer mit zwei Zylindern aus dem Zweiten Weltkrieg. Sobald er sich in der Schleuse befand und die Tür geschlossen war, steckte er seine Nabelschnur in eine Anschlussöffnung, kontrollierte die Verbindungen und vergewisserte sich dass warmes Wasser durch seinen Anzug strömte, er genügend Atemluft bekam und die Kommunikation mit dem U-Boot stabil war. Erst als die Überprüfung zu Eddies Zufriedenheit ausfiel, öffnete er das Ventil, das das allenfalls kleiderschrankgroße Abteil flutete.

Wasser schäumte und zischte, während es an seinem Körper emporstieg und den Gummianzug gegen die Beine presste, als der Druck zunahm. Die Temperatur war angenehm, doch er wollte nicht ausschließen, dass er auf eisige Partien traf. Er konnte sehen, wie Eddie ihn durch ein kleines Fenster in der Luftschleusentür beobachtete. Juan gab ihm durch das traditionelle Taucherzeichen zu verstehen, dass alles in Ordnung sei. Eddie erwiderte das Zeichen.

Augenblicke später erreichte das Wasser die Decke. Juan griff über sich, um die äußere Luke zu öffnen. Ein paar verirrte Luftbläschen tanzten heraus, als sie aufschwang. Er kletterte aus dem U-Boot und hielt dabei den Kopf gesenkt, so dass die Lampen an seinem Helm auf den Meeresgrund gerichtet blieben. Er war sich einigermaßen sicher, dass die Argentinier bei solchen eisigen Bedingungen Beobachter postiert hatten, aber er und Linc hatten in der vergangenen Nacht auch nicht damit gerechnet, dass ihnen ein Wachtposten in die Quere kam.

Die schwachen Vibrationen im Wasser rührten von dem Hilfsgenerator des Kreuzers her, der genügend Energie produzierte, um die Systeme des Schiffes in Gang zu halten und die Männer mit Wärme zu versorgen. Die Hauptmaschinen waren ausgeschaltet. Das wusste er bereits, nachdem er nur eine geringe Menge Rauch gesehen hatte, die aus dem einzigen Schornstein des Schiffes entwich.

Er sprang vom U-Boot ab und segelte in einem eleganten Bogen auf den Meeresboden. Seine Stiefel trafen auf und wirbelten ein wenig Schlick auf, der langsam davontrieb. Einer der circa zehn Zentimeter dicken Sprudelschläuche befand sich links von ihm. Davon stiegen in einem dünnen, silbrig glänzenden Strom Luftblasen auf.

Juan wandte seine Aufmerksamkeit dem Anker der Admiral Brown zu. Er war etwa drei Meter lang und wog sicherlich um die vier Tonnen – mehr als genug, um das Schiff bei Ebbe und Flut in Position zu halten. Überschüssige Kette lag in einem kleinen rostfarbenen Haufen daneben.

»Wie kommst du da draußen zurecht?«

»Bisher keine Probleme. Ich sehe mir gerade den Anker an.«

»Und?«

»Ich müsste ihn von der Kette lösen können. Der Achsnagel wird mit Schrauben fixiert.«

Cabrillo beugte sich über den Anker und holte einen verstellbaren Schraubenschlüssel aus seinem Gürtel. Er legte ihn über den ersten Schraubenkopf und drehte mit dem Daumen das Einstellrad, bis der Schraubenschlüssel festsaß. Es ließ sich nur mühsam bewegen. Winzige Farbpartikel stiegen vom Schraubenkopf auf, während er sich um eine Achteldrehung bewegte und dann stoppte. Juan zerrte an dem Schlüssel, bis er schließlich beide Füße gegen den Anker stemmte und am Hebel zog, bis ihm fast schwarz vor Augen wurde. Die Schraube gab eine weitere Achteldrehung nach. Zehn Minuten härtester Knochenarbeit waren nötig, um diese erste Schraube zu lösen. Juan war in Schweiß gebadet.

»Unterbrich mal die Heißwasserzufuhr, Eddie. Ich sterbe hier draußen.«

»Schon geschehen.«

Die nächste Schraube gab so leicht nach, dass er nach den ersten Umdrehungen auf den Schraubenschlüssel verzichten und sie mit den Fingern herausdrehen konnte. Die dritte und die vierte Schraube ließen sich zwar nicht gerade leicht entfernen, aber bei weitem nicht so mühsam wie die erste. Er verstaute den Schraubenschlüssel wieder an seinem Gürtel und nahm dafür einen Gummihammer. Er benutzte ihn, um jegliches verräterisches Geräusch zu vermeiden.

Dann schlug er damit auf den Achsnagel, wobei das Wasser seine Aktion behinderte. Aber der Schlag reichte aus, um ihn um drei Zentimeter aus seiner Position zu verschieben. Drei weitere Schläge, und er rutschte fast vollständig aus dem Ankerschaft. Immer noch hielt er das Schiff in der normalen Wasserströmung in Position, doch jeder heftige Ruck würde den Nagel vollends herausrutschen lassen, und die Admiral Brown wäre den Launen der See ausgeliefert.

»Das wär’s. O Mann!«

»Was ist denn?«

»Ich wurde gerade von einer Partie kalten Wassers erwischt. Verdammt, ist das brutal.«

»Soll ich dir wieder heißes Wasser schicken?«

»Nein. Ist weitergetrieben.«

Juan marschierte jetzt über den Meeresboden in Richtung Mini-U-Boot und legte gleichzeitig die Nabelschnur in Schlingen zusammen, damit sie sich nicht verhedderte.

Er löste das Karbonfaserseil aus dem Halteschlitz und zog es zum Anker. Dann ließ er ein wenig Luft in seinen Auftriebkompensator, um sich den Aufstieg zu erleichtern, und hangelte sich Hand über Hand an der Ankerkette hoch. Vorerst ließ er das Seil auf dem Grund liegen.

Dann hielt er inne, als er die Unterseite des einhundertvierzig Meter langen Kriegsschiffes erreichte. Der Rumpf war mit roter anwuchsverhindernder Farbe bedeckt und bemerkenswert frei von Verkrustungen. Als Nächstes musste er acht stählerne Ösen an den Bug schweißen. Dazu trug er die beiden Tanks bei sich. Sie enthielten die Hochleistungsbatterien für ein tragbares Lichtbogenschweißgerät. Normalerweise wurde dies bei Notreparaturen an der Oregon eingesetzt.

Er justierte seinen Auftrieb und schob einen Augenschutz über den Helm, um in nächster Nähe eines elektrischen Funkens arbeiten zu können, der heller war als die Sonne. Die Wölbung des Kreuzerrumpfs schirmte ihn nach oben ab, und innerhalb von zwanzig Minuten hatte er alle acht Schweißpunkte erfolgreich gesetzt. Es waren so viele – nämlich für den Fall, dass ein oder mehrere Schweißnähte nicht hielten. Juan machte sich nicht die Illusion, in dieser besonderen Tätigkeit ein Experte zu sein. Zehn Minuten später hatte er das Schleppseil durch alle acht Ösen gefädelt. Am Ende des Seils befestigte er mit einer Klammer einen Stahlkasten in der Größe eines Buches. Der Kasten diente zum Festmachen des Seils, während sich eine Sprengladung darin befand. Ein Signal von der Oregon würde die kleine Menge Plastiksprengstoff zünden, der Kasten würde zerrissen werden und das Seil freigeben, so dass es von dem Schiff weggezogen würde. Der einzige sichtbare Beweis wären die acht Ösen. Es bestand die Chance, dass sie das, was Juan im Sinn hatte, nicht überleben würden.

Kaum war er zum Nomad zurückgekehrt und hatte die äußere Schleusentür über sich geschlossen, als Linda das Tauchboot schon startete. Sie waren unterwegs.

»Operation Peitschenschlag ist angelaufen«, sagte er, als Eddie beim Abnehmen des Helms behilflich war.

»Irgendwelche Probleme?«

»Alles ist glattgegangen.«

»Noch mehr gute Neuigkeiten«, sagte Linda. »Eddie verfolgt gerade einen Sturm, der in unsere Richtung zieht. Er sollte morgen um eine Zeit zuschlagen, die in dieser Gegend als Morgendämmerung betrachtet wird.«

»Ruf Eric an und sag ihm, er soll das Schiff ein wenig vom Strand wegziehen. Außerdem soll er den Ballasttank an Steuerbord leeren, den auf der Backbordseite jedoch gefüllt lassen. Das müsste dem alten Mädchen eine überzeugende Schlagseite verleihen.« Juans Augen glänzten vor Erwartungsfreude. »Ich hoffe, die Argentinier haben es genossen, diesen Teil der Welt ein wenig beherrscht zu haben, denn damit ist es in Kürze zu Ende.«

Gegen fünf Uhr nachmittags hatte das chinesische Suchboot die Oregon an ihrem Liegeplatz am Strand passiert. Sie befand sich immer noch nahe genug am Ufer, so dass eine besonders große Welle ihren gehärteten Rumpf auf den Meeresgrund drücken konnte. Es war kaum zu bezweifeln, dass sie melden würden, die Norego habe aus eigener Kraft ihren Liegeplatz am Strand verlassen und begänne wieder mit ihrer ziellosen Wanderung über die Weltmeere. Eine Stunde später kehrte ein erschöpfter und völlig durchfrorener Max Hanley mit seinem Team und der grässlichen Fracht zurück.

»Das war richtig Scheiße«, tat Hanley kund, als das RHIB in die Bootsgarage an der Seite des Schiffes gehievt worden war. »Es ist da draußen nicht nur arschkalt, sondern – dieser Friedhof hätte sogar Stephen King Angst eingejagt. Die Grabsteine bestehen aus geschnitzten Walknochen, und er ist mit einem Zaun aus Walrippen umgeben, die so groß sind wie ich. Das gewölbte Tor wurde aus Schädeln erbaut, so groß wie VW Käfer.«

»Gab es irgendwelche Probleme beim Bergen der sterblichen Überreste?«

»Meinst du außer der Verdammnis meiner Seele – dafür, dass ich geweihten Boden geschändet habe?«

»Nein.«

»In diesem Fall lief alles ausgezeichnet. Die Gräber waren nur dreißig Zentimeter tief, und die Männer waren in Leinensäcken, die man aus Segeln genäht hatte, zur ewigen Ruhe gebettet worden. Zu meiner Überraschung waren sie fast völlig vermodert.«

»Der Boden dürfte zu stark durchfroren gewesen sein, um sie im Winter zu begraben, und im Frühling wird es gerade warm genug, dass Bakterien aktiv werden und ihr Werk verrichten.«

»Und was jetzt?«

»Wärmt euch auf. Mike Trono und sein Team sind eben zum Wrack aufgebrochen. Wenn sie zurückkommen und wir die Nomad wieder vorbereitet haben, ist Showtime.«

»Zieht nicht ein Unwetter heran?«

»Eric sagte, da draußen wird morgen früh die Hölle los sein.«

»Im Augenblick ist es auch nicht gerade das reine Vergnügen.«

»Wie man so schön sagt: ›Du hast ja keine Ahnung, was dich noch erwartet.‹«