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Juan hob eine Hand, als er das unverkennbare Geräusch sich nähernder Hubschrauber hörte. Der Lärm wurde vom Blätterdach des Dschungels gedämpft, und er brauchte gar nicht zu hoffen, sie durch das dichte Laub, das sich über ihnen wie ein Leichentuch ausbreitete, zu lokalisieren. Aber die besten Jäger der Welt können die winzigste Bewegung im Gewirr der Vegetation wahrnehmen, und er zweifelte keineswegs daran, dass es sich um Armeehubschrauber handelte. Sie hatten nicht den gepflegten Klang privater Helikopter, die eigens dafür gebaut werden, um die vom Luxus Verwöhnten von Ort zu Ort zu bringen. Diese Maschinen klangen eher rau und primitiv, nur mit dem Notwendigsten ausgestattet, um so viele Männer und Ausrüstung wie möglich zu transportieren. Doch das menschliche Auge nimmt Bewegungen wesentlich besser wahr als Muster und Strukturen, daher warteten die Männer zusammengekauert neben dem Wildpfad, bis sich der Rotorenlärm entfernte. Unglücklicherweise genau in die Richtung, in die sie unterwegs waren.

»Was denkst du, Chef?«, fragte Jerry Pulaski.

»Unser Begrüßungskomitee ist eingetroffen. Sorgen wir also dafür, dass sie gar nicht erst Zeit haben, die Party vorzubereiten.« Juan warf einen Blick auf das Hand-GPS. »Auf dem Pfad kommen wir ein Stück östlich von der Stelle an, zu der wir hinmüssen. Daher heißt es jetzt querfeldein marschieren. Gleiche Formation wie vorhin.«

Indem sie sich geduckt hielten, konnten die Männer unter den dickeren Blättern und Pflanzenwedeln durchtauchen. Allerdings war Jerry mit seinen eindrucksvollen eins achtzig im Dschungel deutlich im Nachteil. Nach zehn Minuten hatten ihm messerscharfe Blätter das Gesicht zerschnitten, als hätte er eine monatealte Rasierklinge benutzt. In ihrem Hunger auf eine solch üppige Mahlzeit umschwirrten ihn Insekten mit der Unbeirrbarkeit von Kamikazepiloten.

Um es für ihre gepeinigten Körper noch schlimmer zu machen, begann das Terrain anzusteigen. Sie drangen in die Ausläufer einer Bergregion vor, die sie bereits auf den Aufklärungsfotos gesehen hatten. Und der Geruch von brennendem Buschwerk wurde intensiver. Das Holzfällerlager war nur noch ein paar Kilometer weit entfernt.

Juan gab sich alle Mühe, einen Weg durch das Unterholz zu finden, und als er so etwas wie eine größere Lichtung ein Stück vor sich erkennen konnte, machte er den Fehler, darauf zuzueilen, anstatt sie zuerst einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Er trat zu dem gleichen Zeitpunkt auf die Lehmstraße, als ein Sattelschlepper vorbeidonnerte, dessen Motorenlärm durch die Kurve gedämpft wurde, durch die er soeben gefahren war. Wäre Juan nur eine Sekunde später aus dem Dickicht aufgetaucht, hätte der Fahrer ihn gesehen, allerdings nicht rechtzeitig genug, um zu bremsen.

Cabrillo erstarrte und ruderte mit den Armen, um zu verhindern, dass er mit einem letzten Schritt unter die massigen Reifen des leeren Schleppers geriet. Die Rungen, mit denen die mächtigen Stämme, die der Wagen zum Fluss brachte, auf der Ladefläche fixiert wurden, rasten nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt vorbei, und der Sog, den sie in der feuchten Luft erzeugten, drohte ihn gegen den rasenden Stahl zu zerren.

Dann aber war der Wagen vorbei, und zurück blieb eine Staubwolke. Juan machte, was durchaus sein letzter Schritt hätte sein können, und stieß zischend die Luft aus, die angehalten zu haben er gar nicht bemerkt hatte. Sein Training verdrängte augenblicklich die Angst und den Schock, und er warf sich flach auf die mit tiefen Rillen durchzogene Straße – für den unwahrscheinlichen Fall nämlich, dass der Fahrer gerade in seinen Rückspiegel sah. Cabrillo blieb reglos liegen, bis der Laster außer Sicht war, dann ging er wieder zurück und begab sich in Deckung.

»Das war knapp«, bemerkte Murph unnötigerweise.

Juan wusste, dass ihn sein Gefährte hänselte, aber er ging nicht darauf ein.

Als sie sicher sein konnten, dass keine weiteren Laster aus dem Nichts heranrasen würden, überquerte das Team eilig die Straße, wobei Mike Trono mit einem hastig abgeschnittenen Ast ihre Fußspuren verwischte.

In sicherem Abstand von der Straße holte Juan dann den Gammastrahlendetektor hervor. Das Gerät war für das Militär konstruiert, also so simpel wie möglich. Die Elektronik hatte man in einem mattschwarzen Kasten von der Größe eines alten Kassettenrecorders untergebracht. Dieser Kasten hatte einen Ein/Aus-Schalter, eine rote Kontrolllampe und ein einfaches Anzeigeinstrument mit einer einzigen Zeigernadel. Wenn die rote Lampe aufleuchtete, fing das Gerät Gammastrahlen auf, und indem der Benutzer es in einem Bogen von dreihundertsechzig Grad herumschwenkte und den Ausschlag der Nadel beobachtete, konnte er feststellen, in welcher Richtung sich die Strahlenquelle befand.

Juan schaltete den Detektor ein. Er gab einen Piepton von sich, um anzuzeigen, dass er arbeitete. Doch die Kontrolllampe blieb dunkel. Sie waren von der abgestürzten Energiezelle immer noch zu weit entfernt, um die geringe Gammastrahlung, die sie aussandte, aufzuspüren.

So drangen sie weiter in die Berge vor und überquerten dabei mehrmals die Straße, die sich in Serpentinen den Berg hinaufwand. Der Rauchgeruch war nun kein schwacher Hauch mehr, sondern die Luft füllte sich mehr und mehr damit. In den Senken und Tälern wogten weiße Wolken wie giftige Gase von einem chemischen Angriff.

Mark machte den Vorschlag, den nächsten Lastwagen anzuhalten und um eine Mitfahrgelegenheit zu bitten – und er meinte dies nur halb im Scherz. Juan wusste, dass die Männer allmählich müde wurden, und entschied, dass sie sich, sobald sie die NASA-Zelle sicher in dem Schutzbehälter mit dem Tragegeschirr hätten, ein sicheres Versteck suchen sollten, um dort die Nacht zu verbringen. Am nächsten Morgen könnten sie zum Boot zurückkehren und auf schnellstem Weg aus Argentinien verschwinden.

Es war Mittag, als sie den Berggipfel erreichten. Sie näherten sich der Kuppe vorsichtig auf dem Bauch, um vom Tal unten aus nicht gesehen zu werden. Was sie erwartete, war eine Szene, die aus der Hölle hätte stammen können.

Wo früher mal ein urweltlicher Wald gestanden hatte, erstreckte sich nun kilometerweit eine Wüste aus Schlamm und Buschwerk. Scheiterhaufen – so hoch wie Heuhaufen – schleuderten dicke Rauchsäulen in den Himmel, während gelbe Planierraupen durch die Landschaft kurvten und ganze Bäume in ihren mechanischen Mäulern mitschleppten. Inmitten des Chaos und so klein wie Ameisen waren da Männer, die von Baumgruppe zu Baumgruppe wanderten. Ihre Sägen heulten im Leerlauf, um dann ein schrilles Singen anzustimmen, wenn sie sich durch das Holz fraßen, das mehrere Generationen gebraucht hatte, um heranzuwachsen.

Links von ihnen breitete sich der Kahlschlag wie ein Krebsgeschwür auf den Bergflanken aus, die bereits von einer neuen Fahrstraße zerschnitten wurden. Etwas erregte Juans Aufmerksamkeit. Er reichte Mark Murphy den Gammastrahlendetektor, holte ein Fernglas aus seinem Rucksack und vergewisserte sich, dass die Sonne nicht von den Linsen reflektiert wurde, ehe er es vor die Augen hielt.

In einiger Entfernung konnte er eine ebene Fläche auf einem Hügel erkennen, die genutzt wurde, um dort Baumstämme auf die Sattelschlepper zu laden. Da standen ein Bauwagen mit Aluminiumaufbau und mehrere Spezialfahrzeuge für den Holzeinschlag: Harvester und Holzrücker mit Raupenketten. Dicht dahinter parkten die beiden Helikopter, die sie schon einige Zeit vorher gehört hatten, in der Nachmittagssonne. Ihre Rotoren hingen durch, und ihre Tarnfarbe verschmolz nahezu perfekt mit dem Dschungelgelände hinter ihnen.

Soldaten standen in lockerer Paradeformation herum, während sich zwei andere Männer in Uniform – Offiziere, vermutete er – mit einer Gruppe Holzfäller unterhielten. Zu ihren Füßen lag ein verschmortes Stück Metallschrott. Juan konnte zwar keine Einzelheiten erkennen, aber man brauchte nicht allzu viel Fantasie zu haben, um zu dem Schluss zu kommen, dass es ein Trümmerteil der abgestürzten Rakete oder ihrer Nutzlast war. Er konnte verfolgen, wie einer der Zivilisten wiederholt den Berghang hinaufdeutete, so als ob dicht vor dem Gipfel oder vielleicht auch dahinter irgendetwas Wichtiges geschehen sei.

»Was ist da los?«, fragte Mike.

»Die Party fängt gleich an«, sagte Juan grimmig.

»Ich habe etwas«, meldete Mark und schwenkte den Gammastrahlendetektor hin und her.

»Wo?«, wollte Juan wissen.

»Da drüben.« Mark deutete in die Richtung. »Das Signal ist zwar schwach, aber es kommt ganz eindeutig von dort, wo die Argies gerade ihr kleines Schwätzchen halten.«

Juan stellte sich die Ereignisse vor, die zu dieser ganz besonderen Szene geführt hatten. Nachdem die Rakete explodiert war und ihre Bruchstücke überall in den Dschungel herabregneten, landete ein Teil in der Lichtung und wurde von den Holzfällern geborgen. Sie schleppten es zum Sammelplatz, um es ihren Vorarbeitern zu zeigen, die sofort das Militär riefen, um die Angelegenheit untersuchen zu lassen. In diesem Augenblick berichteten sie den Soldaten, dass auf der Bergspitze oder in ihrer Nähe ein zweites Stück Schrott vom Himmel gefallen war.

 

Major Jorge Espinoza von der Neunten Brigade liebte Befehle. Er liebte es, sie zu empfangen, er liebte es, sie zu erteilen, und er liebte es zuzusehen, wie sie ausgeführt wurden. Über die Natur der Befehle machte er sich eigentlich niemals Gedanken. Ob es darum ging, während seiner Ausbildung sieben Tage lang durch ein Sumpfgebiet zu marschieren, um seine geliebte braune Mütze zu erringen, oder ein Dorf eingeborener Bauern niederzubrennen, machte für ihn keinen Unterschied. Er führte beide Befehle mit großer Entschlossenheit und Hingabe aus. In den Jahren seines Militärdienstes hatte er niemals auch nur danach gefragt, ob seine Anweisungen moralisch waren. Das spielte für ihn keine Rolle. Befehle wurden erteilt. Befehle wurden ausgeführt. Es gab nichts anderes.

Die Männer sahen in ihm den vollendeten Führer, jemanden, der frei war von Gefühlen oder Zweifeln. Aber in seinen privaten Momenten gestand sich Major Jorge Espinoza ein, dass es durchaus Befehle gab, die er anderen vorzog. Viel lieber metzelte er irgendwelche Dorfbewohner nieder, als eine Woche in einem brusthohen und von Blutegeln wimmelnden Sumpf zu verbringen.

Er stammte aus einer militärischen Familie, die Argentinien seit vier Generationen diente. Sein Vater war Oberst beim Geheimdienst gewesen, in jener glorreichen Zeit, als die Generäle noch das Land geführt hatten. Er hatte seinen Sohn mit Geschichten darüber erfreut, was sie mit Staatsfeinden taten, er hatte von Helikopterflügen gesprochen, mit gefesselten Dissidenten über dem eisigen Südatlantik. Sie machten ein Spiel daraus, sie aus tausend Fuß Flughöhe durch die offene Hubschraubertür zu stoßen. Die Aufgabe bestand darin, mit dem zweiten Mann genau den Schaumring des ersten zu treffen. Und so ging es auch mit den übrigen Gefangenen weiter.

Es war wohl die Psychopathen-Version des Ringwerfens, aber Jorge hatte es niemals so gesehen.

Er war zu jung gewesen, um aktiv eingesetzt zu werden, als die Briten die Islas Malvinas zurückeroberten, aber er war von Kriegsveteranen ausgebildet worden und betrug sich seitdem wie ein Mustersoldat. Als die Neunte Brigade gegründet wurde, nachdem General Corazón den Aufstand gegen den schwachen ehemaligen Präsidenten angeführt hatte, war Jorge Espinoza einer der Ersten gewesen, die sich freiwillig dazu gemeldet hatten. Seine Ausbildung war nicht einfacher als die der jüngeren Männer gewesen, die jetzt unter seinem Befehl standen. Dafür hatte er für immer ihre absolute Gefolgschaftstreue errungen.

Er war jetzt stellvertretender Kommandeur der gesamten Brigade unter General Philippe Espinoza, seinem Vater, der aus seinem Ruhestand zurückgekehrt war, um diese Position zu bekleiden. Jegliche Gerüchte über Vetternwirtschaft verstummten angesichts der absoluten Skrupellosigkeit und Effizienz, mit welcher der jüngere Espinoza seine Pflichten wahrnahm.

Und er war ein Kommandeur, der es liebte, aus der ersten Reihe zu führen. Deshalb war er ja auch hier, tief in der Amazonasregion seines Landes, und unterhielt sich mit Holzfällern über etwas, das sie in der Nähe ihres Arbeitsplatzes hatten vom Himmel fallen sehen. Das Wrackteil, das sie ihm gezeigt hatten, sah tatsächlich wie ein Teil einer amerikanischen Rakete aus. Es bestand aus Aluminium, sorgfältig vernietet, so dass auf seiner Oberfläche nicht der geringste Makel zu sehen war. Die Ränder waren schartig, wie bei einer Explosion abgerissen, und die weiße Farbe wies Kratzspuren auf.

Die Junta betrachtete die Bergung jedes Teils der Rakete als günstige Möglichkeit, die Vereinigten Staaten in Verlegenheit zu bringen. Sie wussten nicht, welche Nutzlast sie befördert hatte. Die NASA sprach von einem Wettersatelliten, doch die herrschenden Generäle konnten die Möglichkeit nicht ignorieren, dass sein Zweck wohl eher die Spionage hätte sein sollen.

»Wir glauben, dass ein weiteres Teil auf der anderen Seite des Berges heruntergekommen ist«, sagte der Vorarbeiter und deutete auf den zur Hälfte kahlen Hügel hinter ihnen. Die Anwesenheit so vieler brauner Mützen machte ihn zwar nervös, aber er hielt es für seine Pflicht, das Militär zu informieren. »Die Stelle befindet sich hinter diesen Männern, die oben auf dem Berg arbeiten. Einige wollten sich auf die Suche machen, aber ich bezahle sie fürs Holzfällen und nicht fürs Suchen nach irgendwelchen Trümmern. Es war schon schlimm genug, dass sie eine Stunde damit verschwendet haben, diesen Schrott aus dem Morast auszugraben.«

Espinoza sah zu seinem Adjutanten, Leutnant Raul Jimenez, hinüber. Im Gegensatz zu dem Major, der von seiner Großmutter väterlicherseits hellbraunes Haar und blaue Augen geerbt hatte, verriet Jimenez’ eher dunkle Erscheinung seine baskischen Vorfahren. Die beiden Männer bildeten praktisch seit dem Beginn ihrer militärischen Ausbildung ein Team. Der Rangunterschied beruhte nicht so sehr auf voneinander abweichenden Fähigkeiten, sondern eher darauf, dass Jimenez nicht von der Seite seines Freundes weichen wollte, um ein eigenes Kommando zu übernehmen.

Sie brauchten keinerlei Worte zu wechseln, um zu wissen, was der andere dachte.

»Trommeln Sie so viele Leute zusammen, wie Sie in einer Viertelstunde schaffen können«, befahl Jimenez. Er hatte die Stimme eines Ausbilders, wenn sie sofortigen Gehorsam fordert. »Wir bilden eine Schützenlinie und bewegen uns den Berg hinauf, bis wir finden, was die Yanquis im Dschungel verloren haben.«

Das einzige Anzeichen, dass sich der Vorarbeiter der Holzfällerfirma über den Befehl ärgerte, war, dass er sich unter seinem schmuddeligen Hut den Kopf kratzte, bevor er nickte. »Alles für die Neunte Brigade.«

Die Zivilisten entfernten sich, um ihre Männer zu rufen, und ließen Espinoza mit seinem Adjutanten allein zurück. Beide Männer zündeten sich Zigarillos an und teilten sich dazu ein einziges Sturmstreichholz. »Was meinen Sie, Jefe?«, fragte Jimenez und blies eine Rauchwolke aus, die sich mit dem Dunst vermischte, der bereits über dem Holzfällerlager hing.

»Wir werden finden, was die Männer gesehen haben«, sagte Major Espinoza. »Die einzige Frage ist nur, ob es unsere Mühe auch wert ist.«

»Wann immer wir der Welt zeigen können, dass die Amerikaner nicht unfehlbar sind, freut sich das Propagandaministerium.«

»Die Weltmeinung ist derart gegen unsere Regierung gerichtet, dass ich fürchte, ein paar Stücke Weltraumschrott werden daran wohl kaum etwas ändern können. Aber Befehl ist Befehl, nicht wahr? Außerdem ist es eine gute Übung für die Männer. Ständig nur aus der komfortablen Sicherheit unserer Kanonenboote Dörfer auszuradieren, könnte noch dazu führen, dass sie weich werden.«

 

Als der Vorarbeiter des Holzfällerlagers den Befehl erhielt, seine Männer zu sammeln, waren Cabrillo und sein Team bereits unterwegs. Es würde zu einem Wettrennen kommen, wer als Erster die Beute fände. Juan und seine Männer hatten zwar einen weiteren Weg vor sich, aber sie würden in der Nähe der Berggipfel bleiben können, während die argentinischen Soldaten den Berghang ersteigen müssten. Außerdem würden sie durch die Notwendigkeit einer sorgfältigen Suche aufgehalten werden. Die Männer der Corporation besaßen hingegen den Gammastrahlendetektor, der ihnen wie ein Bluthund helfen würde, die Energiezelle zu lokalisieren.

Das Bewusstsein, sich beeilen zu müssen, trieb sie an und versetzte sie in die Lage, die Schmerzen in ihren Muskeln und Gelenken zu ignorieren. Wenn sie die Energiezelle fänden und damit verschwinden könnten, würden die Argentinier nicht einmal erfahren, dass sie jemals hier gewesen waren.

Die Männer waren zügig unterwegs, achteten jedoch darauf, sich so leise wie möglich zu verhalten. Kein Geräusch war lauter als das Rascheln der Pflanzen auf ihrer Kleidung und das ständige Flüstern ihres Atems. Der Qualm von unten, wo der Wald gerodet wurde, war in ihrer Höhe nur ein vager Dunstschleier. Doch unten, wo die Soldaten ihre Schützenlinie bildeten, machte er sich als weitere Behinderung ihrer Suche bemerkbar.

Juan verlangsamte seinen Schritt zwar nicht, als er das herannahende Heulen des Turbinenmotors eines Helikopters hörte, aber er konnte nichts dagegen tun, dass er zu verzagen drohte. Er hätte wissen müssen, dass sie die Möglichkeit einer Aufklärung aus der Luft nutzen würden. Ein Stück Weltraumschrott von siebzig Pfund Gewicht, das nach einem langen freien Fall auf der Erde aufschlug, würde einen Krater hinterlassen, der groß genug wäre, um aus der Luft identifiziert zu werden. Es war allerdings die Frage, ob das Laubdach des Dschungels dicht genug war, den Aufschlagpunkt vor einer Suche aus der Luft zu verbergen.

Er hatte das ungute Gefühl, dass ihnen dieses Glück nicht beschieden war.

»Das Signal des Detektors ist immer noch okay«, meldete Mark. Sie hatten für den schnellen Marsch zum Berggipfel darauf verzichtet, sich weiträumiger zu verteilen, daher befand er sich nur ein paar Schritte hinter Cabrillo.

Vierzig anstrengende Minuten später näherten sie sich dem Punkt, wo der Hubschrauber über dem Dschungel kreiste und offenbar nach irgendwelchen Anzeichen für den Aufschlag suchte. Sie hatten keine Ahnung, wie weit die Soldaten am Boden mit ihrem Aufstieg mittlerweile gekommen sein mochten. Die Männer der Corporation waren gezwungen, ihr Tempo zu drosseln, sobald der argentinische Helikopter in Sichtweite geriet.

Juan wünschte sich, der Detektor könnte ihnen einen Hinweis über die Entfernung bis zum Zielpunkt liefern. Ohne diese Information hatten sie keine Ahnung, ob sie sich in der Nähe der Energiezelle befanden oder ob sie vielleicht sogar noch ein oder zwei Kilometer gehen mussten. Plötzlich aber veränderte sich der Lärm des Hubschraubers. Er schwankte nicht mehr auf Grund des Dopplereffekts, der sich bei seinem Hin- und Herflug bemerkbar machte, sondern behielt einen stetigen Rhythmus bei. Er stand in etwa achthundert Metern Entfernung in der Luft. Das konnte nur einen Grund haben.

Er befand sich über dem Einschlagskrater der Energiezelle.

Cabrillo stieß einen Fluch aus. Ein Team dort könnte mit einem Seil vom Hubschrauber heruntergelassen werden, sich die Zelle holen und wieder an Bord der Maschine sein, ehe er und seine Männer auch nur die halbe Strecke hinter sich gebracht hätten.

Ohne ausdrücklich angespornt zu werden, legten die Männer noch an Tempo zu und brachen durch den Dschungel, als wäre er ihr natürlicher Lebensraum. Juan rannte mit sturer Entschlossenheit und begann Kraftreserven anzuzapfen, die ihn noch nie zuvor im Stich gelassen hatten. Er wusste, dass er nach allem, was er bis zu diesem Punkt geleistet hatte, immer noch eine Meile unter sechs Minuten schaffte. Mike Trono konnte bei diesem Tempo mithalten, doch Mark und Jerry begannen allmählich langsamer zu werden.

Unerklärlicherweise verließ der Hubschrauber seine Position und entfernte sich nach Süden in Richtung des Holzfällerlagers. Cabrillo nahm das als gutes Omen und wurde langsamer, da die Turbinen und der Rotorlärm seine Laufschritte nicht mehr überdeckten. Seine Brust hob und senkte sich heftig, doch er brachte seinen Atem wieder unter Kontrolle, indem er tiefe, konzentrierte Atemzüge machte, um seinem Körper frischen Sauerstoff zuzuführen. Er konnte fast spüren, wie sich die Milchsäure in seinen Muskeln auflöste. Er und Mike ließen sich fallen, um ihren Weg kriechend fortzusetzen, und überwanden das letzte Stück mit schlangenhafter Lautlosigkeit.

Die Energiezelle war in einem flachen Winkel auf der Erde aufgeschlagen, war dabei durch den Dschungel gerast und hatte eine trichterförmige, verschmorte Schneise im Laub hinterlassen. Der Krater selbst stellte einen schwarzen Ring versengter Erde dar. Fünf argentinische Soldaten waren mit Seilen zu der Stelle herabgelassen worden. Zwei von ihnen gruben im Krater mit Schaufeln, die sie wahrscheinlich bei den Holzfällern requiriert hatten. Die anderen bildeten eine Sperrkette. Alle fünf trugen braune Tellermützen.

Da Juan die Methoden der Neunten Brigade genau studiert hatte, um sie überzeugend imitieren zu können, wusste er, dass sie stets in Sechsergruppen operierten. Demnach war noch ein weiterer Mann in der Nähe, den er jedoch nirgendwo sehen konnte. Schnell schickte er drei Klicks über sein Einsatzfunkgerät. Es war der Befehl für alle Beteiligten, sich zurückzuhalten und eine geeignete Deckung zu suchen.

Er und Mike könnten die drei Wächter ausschalten, bevor sie dazu in der Lage waren, per Funk eine Warnung zu senden, und sich dann die beiden Männer mit den Schaufeln vornehmen, die ihre Oberkleidung ausgezogen und in der Nähe auf einen Haufen gelegt hatten. Aber der sechste Mann, der Unsichtbare. Er war ein Joker, der zuerst außer Gefecht gesetzt werden musste.

Cabrillo nahm seine MP-5-Maschinenpistole von der Schulter. Sie wäre nur hinderlich, wenn er sich anschlich. Die Pistole würde ebenfalls im Holster stecken bleiben. Selbst wenn er einen Schalldämpfer mitgenommen hätte, würde der Klang eines gedämpften Schusses die Tierwelt ringsum zu panischer Flucht veranlassen und die Argentinier warnen.

Er kannte einige Männer, die ein Faible für die Intimität des Tötens mit dem Messer hatten. Es hatte ihm nie gefallen, und er hatte auch nie darauf vertraut, aber er kannte die Techniken und hatte sie selbst mehr als nur einmal angewandt. Mit einem Messer zu töten war eine schmutzige Angelegenheit, und diejenigen, die sich dieser Methode bedienten, taten es eher aus Lust am Töten als mit der Absicht, den Erfolg ihrer jeweiligen Mission zu gewährleisten.

Es war schwierig, die Szenerie genau in Augenschein zu nehmen. Seine Sicht wurde bereits wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt versperrt, daher schien es fast unmöglich, sich in den sechsten Mann hineinzuversetzen und sich vorzustellen, wo er sich versteckt haben mochte, um seine Kameraden, die den Satellitentrümmer ausgruben, heimlich zu beschützen.

In der Zehn-Uhr-Position – von Juans Standort aus gesehen – war das Unterholz nicht so dicht, weil mehrere hohe Bäume das Sonnenlicht abhielten, so dass es gar nicht bis auf den Erdboden drang. Das lieferte einem Schützen ein besseres Gesichtsfeld. Cabrillo entschied, dass dies die Position sein musste, wo der Mann auf der Lauer lag. Er machte Anstalten, sein Versteck zu verlassen. Er würde einen Bogen schlagen und sich dem Angehörigen der Neunten Brigade von hinten nähern. Und danach würden er und Mike die restlichen Männer ausschalten. Juan zog sein Messer und rutschte ein Stück nach links – und erstarrte.

Stimmen.

Ein Dutzend oder mehr, rufend und lachend, während sie wie eine Rotte wilder Eber durch den Dschungel stürmten. Es waren Soldaten und Holzfäller, und sie gehörten zu den Männern, die den Berghang abgesucht hatten. Sie hatten die Position des Satelliten über Funk mitgeteilt bekommen und waren sofort dorthin aufgestiegen.

Cabrillo verhielt sich still. Jede Aktion wäre jetzt reiner Selbstmord. Auf der Hut vor dem immer noch unsichtbaren sechsten Soldaten, widerstand er dem Drang, sein Funkgerät zu benutzen, um Murph und Pulaski zu rufen. Am besten blieben sie alle so untätig wie möglich und warteten ab, welche Gelegenheit sich von selbst ergeben würde.

Während der Stunde, die die Männer brauchten, um die siebzig Pfund schwere Energiezelle auszugraben, beobachtete Juan das Geschehen, während Mike neben ihm schlief. Er wusste, dass irgendwo im Dschungel hinter ihm entweder Mark oder Jerry ebenfalls ein wenig dringend nötigen Schlaf aufholten.

Sie waren nahe genug am Aufschlagkrater, so dass Juan das Funkgespräch des Leutnants mit der Befehlsstelle mithören konnte. »Wir haben es gefunden, Jefe … ich bin mir nicht sicher. Es ist etwa einen halben Meter lang, rechteckig, und wiegt ungefähr dreißig Kilo … Was? … Keine Ahnung, irgendein wissenschaftlicher Apparat, wenn Sie mich fragen. Ich weiß nicht, welche Funktion das Ding haben soll … Nein, es wird einfacher sein, wenn wir es zum Verladeplatz hinunterschleppen. Wir haben gesehen, dass sie über einige Pick-ups verfügen. Die nehmen wir, um zum Lager runterzukommen. Der Pilot müsste den Kurzschluss in seiner Maschine gefunden haben, wenn wir dort eintreffen, und dann können wir rechtzeitig für ein paar Cocktails im O Club zur Basis zurückkehren.«

Cabrillo hatte genug gehört. Er kannte ihren Plan, und das war die entscheidende Information, die er brauchte. Er tippte Mike auf die Schulter. Der ehemalige Rettungsfallschirmspringer erwachte augenblicklich, aber lautlos. Seine Kampfbereitschaft war sogar noch im Schlaf aktiv. Gemeinsam zogen sie sich vom Aufschlagkrater zurück und achteten darauf, die Vegetation unberührt zu lassen und ihre Position nicht durch schwankende Äste oder Grashalme zu verraten. Nach knapp fünfhundert Metern trafen sie mit Jerry und Murph zusammen.

»Sie haben den Satelliten«, sagte Murph. »Soweit ich feststellen kann, ist er in Bewegung.«

Juan nickte und trank aus seiner Feldflasche. Seit sie auf die argentinische Sondertruppe gestoßen waren, hatte er nicht gewagt, seinen Durst aus der Flasche zu stillen. »Sie marschieren damit zurück zum Wegende und bringen das Ding von dort mit einem Wagen ins Lager. Danach nehmen sie die Helis und verschwinden.«

»Und wir …?« Mark hob eine im Gothic-Stil gezupfte Augenbraue.

»Halten sie auf.«

Nachdem sie in zwei Gruppen parallel zueinander den Berghang hinuntergekommmen waren, näherten sich die Soldaten und das Team der Corporation einem abgeflachten Bereich des Berghangs, etwa zwei Morgen groß, den die Holzfäller freigeräumt hatten, um ihre Maschinen dort aufzustellen. Da stand ein Bagger mit einem Greifer, um damit Baumstämme auf die Sattelschlepper zu laden, und ein sogenannter Yarder. Der Yarder, der über ein Kettenfahrwerk verfügte, besaß einen hohen Mast, über den Kabel drei Kilometer weit den Berghang hinab zu einem beweglichen Holm verliefen, der mit Abspannleinen im Basislager verankert war. An dieser Kabelschlinge hingen Zugseile, die die Arbeiter um die geschälten Stämme gefällter Bäume schlingen konnten. Die Stämme wurden dann den Berghang hinaufgezogen, wo man sie auf die Sattelschlepper lud. Die Zugseile wurden danach wieder bergab geschickt, um die nächste Ladung zu holen.

Die Männer, die auf dem oberen Platz arbeiteten, waren vom Basislager mit den Pick-ups heraufgekommen, die Raul Jimenez für seine Zwecke benutzen wollte.

Juan war zuversichtlich, dass sein Vier-Mann-Team es mit der größeren Gruppe der Argentinier aufnehmen würde, bis sie auf eine tiefe Erdspalte stießen. Sie war das Überbleibsel eines Erdbebens, welches das Land in zwei Hälften geteilt und dafür gesorgt hatte, dass ein Teil des Berges absackte. Wegen des Dschungels, der alles überwucherte, war es unmöglich festzustellen, wie lang die Spalte war, daher hatten sie keine andere Wahl, als sie als Hindernis zu betrachten, das überwunden werden musste und nicht umgangen werden konnte. Nach geologischem Zeitmaß hatte das Erdbeben erst vor kurzer Zeit stattgefunden – vor zwölftausend Jahren nämlich, um genau zu sein. Daher war genügend Zeit verstrichen, in der die Seitenwände der Spalte zu einem ersteigbaren Abhang erodiert waren. Doch sie mussten knapp zwanzig Meter absteigen und auf der anderen Seite wieder hochklettern, was sie unter Einsatz von Händen, Knien, roher Kraft und zahllosen gemurmelten Flüchen schließlich auch schafften.

Alle waren völlig außer Atem, als sie den gegenüberliegenden Rand der Spalte erreichten. Nach Juans Uhr hatten sie jedoch fünfzehn wertvolle Minuten dabei verloren. Sie rannten weiter, wobei sie das Beste erhofften, aber das Schlimmste befürchteten. Seit er den Auftrag von Langston Overholt angenommen hatte, wusste Juan, dass keine Zeit gewesen war, einen angemessenen Plan zu entwickeln, und das bereitete ihm jetzt zunehmend Sorgen. Sie standen zwei Trupps der bestausgebildeten Soldaten Argentiniens gegenüber und hatten nicht mehr als vier Maschinenpistolen und das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Die Chancen, die Energiezelle in ihren Besitz zu bringen, ohne mit den Soldaten zusammenzutreffen, waren gleich null. Und die Wahrscheinlichkeit, die Zelle tatsächlich zu übernehmen und nach Paraguay zu fliehen, schätzte er nicht viel höher als zwanzig zu achtzig ein.