2

Monk hatte eine unruhige Nacht und war am nächsten Morgen schon früh auf den Beinen, um seine Suche nach Angus Stonefield wiederaufzunehmen, obwohl er zu seinem Unwillen feststellen mußte, daß er bereits selbst davon ausging, daß Genevieve mit ihren Befürchtungen recht hatte und er in Wahrheit nur nach einem Beweis für seinen Tod suchte. Aber was er auch finden mochte, es war unwahrscheinlich, daß es sie glücklich machen würde. Wenn Angus mit Geld oder einer anderen Frau durchgebrannt war, würde ihr das nicht nur ihre Zukunft rauben, sondern in gewisser Weise auch ihre Vergangenheit, alles, was gut gewesen war und was sie für die Wahrheit gehalten hatte.

Der Hansom setzte ihn in der Waterloo Road ab.

Es hatte aufgehört zu regnen, und der Tag war kalt und windig, mit schnell dahinjagenden Wolken. Ein schneidender Ostwind, der den Salzgeruch der hereinkommenden Flut und den Ruß und Qualm ungezählter Schornsteine mit sich trug, stieg vom Fluß auf. Monk wich hastig einer Kutsche aus und sprang auf den Gehsteig.

Dann stellte er seinen Mantelkragen noch ein wenig höher auf und ging mit langen Schritten auf Angus Stonefields Geschäft zu. Die Hausdiener hatten ihm am gestrigen Abend nichts von Bedeutung erzählen können. Niemand hatte irgend etwas Ungewöhnliches im Benehmen des verschwundenen Mannes festgestellt, der wie immer um sieben Uhr aufgestanden war und mit seiner Frau gefrühstückt hatte, während sein Nachwuchs im Kinderzimmer aß. Nachdem er die Zeitung und die Post, soweit schon zugestellt, gelesen hatte, brach er rechtzeitig auf, damit er wie gewohnt um halb acht im Büro war. Er unterhielt keine eigene Kutsche, sondern benutzte einen Hansom.

Am Tag seines Verschwindens hatte er den Tag genauso begonnen wie sonst auch. Mit der Morgenpost waren einige kleine Haushaltsrechnungen gekommen sowie eine Einladung und ein höflicher Brief von einem Bekannten. Abgesehen von den unvermeidlichen Händlern und einer Freundin Genevieves, die am Nachmittag zum Tee kam, war kein Fremder im Haus gewesen.

Monk war zu früh dran und mußte eine Viertelstunde warten, bis Mr. Arbuthnot erschien, einen Regenschirm in der Hand, auf dem Bürgersteig von Norden her kommend; er wirkte gehetzt und unglücklich. Arbuthnot war ein kleiner Mann mit dichtem, grauem Haar und einem makellos zurechtgestutzten grauen Schnurrbart.

Monk stellte sich vor.

»Äh!« sagte Arbuthnot nervös. »Ja. Das war wohl unvermeidlich.« Er zog einen Schlüssel aus der Manteltasche und steckte ihn ins Schloß der Eingangstür. Mit einiger Mühe gelang es ihm, sie zu öffnen.

»So denken Sie darüber?« sagte Monk mit einiger Überraschung. »Sie haben etwas in der Art vorhergesehen?« Arbuthnot drückte die Tür auf. »Nun, irgend etwas muß schließlich geschehen«, sagte er traurig. »Wir können nicht einfach so weitermachen. Kommen Sie bitte herein. Erlauben Sie mir, diese elende Tür zu schließen.«

»Sie müßte mal geölt werden«, bemerkte Monk, dem klarwurde, daß Arbuthnot sich auf seine, Monks, Nachforschungen bezogen hatte und nicht auf das Verschwinden seines Arbeitgebers.

»Ja, ja«, pflichtete Arbuthnot ihm bei. »Ich habe es Jenkins immer wieder gesagt, aber er hört einfach nicht auf mich.« Dann ging er in das noch immer leere und ruhige Hauptbüro und entzündete die Lampen; das graue Licht, das durch die Fenster fiel, reichte nicht zum Arbeiten. Monk folgte ihm durch die Glastüren in sein eigenes, behaglicher eingerichtetes Büro. Mit einer leise gemurmelten Entschuldigung bückte Arbuthnot sich und hielt ein Streichholz an das bereits sorgfältig im Kamin aufgestapelte Holz und stieß dann einen Seufzer der Zufriedenheit aus, als die ersten Flammen aufloderten. Dann entzündete er auch hier die Lampen, zog seinen Mantel aus und lud Monk ein, dasselbe zu tun.

»Was kann ich Ihnen erzählen, das Ihnen vielleicht weiterhelfen könnte?« sagte er, während er unglücklich die Brauen zusammenzog. »Ich habe keine Ahnung, was passiert ist, sonst hätte ich das sicher schon lange den Behörden gemeldet, und wir wären jetzt nicht in dieser schrecklichen Lage.«

Monk setzte sich auf den ziemlich unbequemen, steifen Stuhl Arbuthnot gegenüber. »Ich gehe davon aus, daß Sie die Rechnungsbücher überprüft haben, Mr. Arbuthnot, und natürlich auch alle Gelder, die hier aufbewahrt werden?«

»Diese Sache ist wirklich sehr unerfreulich, Sir«, sagte Arbuthnot mit gepreßter, leiser Stimme. »Aber Sie haben recht, ich habe mich verpflichtet gefühlt, das zu tun, auch wenn ich ganz sicher war, daß alles in bester Ordnung sein würde.«

»Und war es so?« drängte Monk.

»Ja, Sir, bis auf den Farthing genau. Für jede Ausgabe liegen Belege vor, ganz wie es sein sollte.« Er zögerte keine Sekunde, und seine Augen flackerten nicht. Vielleicht war es seine absolute Festigkeit, die Monk den Eindruck vermittelte, daß da noch etwas kommen würde.

»Um wieviel Uhr ist Mr. Stonefield an bewußtem Morgen ins Büro gekommen?« fragte er. »Vielleicht könnten Sie mir einfach alles erzählen, was Ihnen von diesem Tag noch in Erinnerung geblieben ist, und zwar in der Reihenfolge, in der es sich zugetragen hat.«

»Ja… ähm, natürlich.« Arbuthnot schauderte ein wenig, drehte sich dann um und griff nach dem Schürhaken, der am Kamin hing, um dem Feuer ein wenig nachzuhelfen. Als er weitersprach, hatte er Monk noch immer den Rücken zugekehrt.

»Er kam wie gewöhnlich um Viertel nach neun. Die erste Post war bereits zugestellt worden. Er hat sie mit ins Büro genommen und gelesen…«

»Wissen Sie, worum es sich dabei gehandelt hat?« unterbrach Monk ihn.

Arbuthnot widmete sich noch einen Augenblick dem Feuer und hängte den Schürhaken dann an seinen Platz zurück.

»Bestellungen, Lieferscheine, Avisierungen von Schiffsfrachten und ein Bewerbungsschreiben um eine Stellung als Gehilfe.« Er seufzte. »Ein sehr vielversprechender junger Mann, aber wenn Mr. Stonefield nicht zurückkommt, bezweifle ich, daß wir auch nur die Leute halten können, die wir bereits haben, ganz zu schweigen von der Einstellung zusätzlichen Personals.«

»Und das war alles? Sie sind sich da ganz sicher?« Monk überging die Frage von Stonefields Rückkehr und der möglicherweise notwendig werdenden Entlassung seiner Angestellten. In dieser Hinsicht hatte er nichts Hilfreiches zu sagen.

»Ja, das bin ich«, sagte Arbuthnot fest. »Ich habe den jungen Barton deswegen befragt, und er konnte sich genau erinnern. Sie können ihn auch selbst fragen, wenn Sie möchten, aber mit der Post ist nichts gekommen, was Mr. Stonefields Fortgang veranlaßt haben könnte, dessen bin ich mir ganz sicher.«

»Irgendwelche Besucher?« fragte Monk, wobei er Arbuthnot genau beobachtete.

»Äh…« Er zögerte. »Ja.«

Monk sah ihn abwartend an. Er fühlte sich sichtbar unwohl, aber man konnte nicht sagen, ob das auf Verlegenheit, Schuldbewußtsein oder nur das allgemeine Unbehagen zurückzuführen war, daß er über jemanden reden mußte, den er geschätzt und respektiert hatte und der jetzt aller Wahrscheinlichkeit nach tot war. Und natürlich würde auch er, falls das Geschäft verkauft oder geschlossen werden mußte, sein Auskommen verlieren.

»Wer?« hakte Monk nach.

Arbuthnot betrachtete den Fußboden zwischen ihnen.

»Mr. Niven. Er betreibt selbst ein ähnliches Geschäft. Das heißt… er… betrieb es.«

»Und jetzt?«

Arbuthnot holte tief Luft. »Ich fürchte, die Zeiten sind sehr hart für ihn.«

»Warum ist er hierhergekommen? Von Ihrem Gehilfen habe ich, als ich gestern hier war, erfahren, daß Mr. Nivens Mißgeschick vor allem auf Mr. Stonefields überlegene Fähigkeiten zurückzuführen ist?«

Arbuthnot blickte hastig auf, und in seinem langen Gesicht stand deutlicher Tadel. »Wenn Sie glauben, Mr. Stonefield hätte ihn mit Absicht aus dem Geschäft gebracht, Sir, befinden Sie sich im Irrtum, und zwar völlig! Das war niemals seine Absicht. Man muß einfach immer sein Bestes geben, wenn man selbst überleben will. Und Mr. Stonefield war eben schneller und sicherer in seinem Urteil. Er ist niemals im eigentlichen Sinn ein Risiko eingegangen«, meinte er kopfschüttelnd, »wenn Sie verstehen, was ich meine? Aber er hat sich immer genau über die jeweiligen Entwicklungen informiert, und er war in Geschäftskreisen wohlgelitten. Die Leute vertrauten ihm in Situationen, in denen sie anderen vielleicht nicht getraut hätten.« Eine Sorgenfalte stand auf seiner Stirn, und er sah Monk forschend an, um sich zu vergewissern, daß dieser wirklich verstanden hatte, was er sagte.

Entsprang seine absolute Aufrichtigkeit dem Wunsch, seine Position zu sichern für den Fall, daß Stonefield doch noch zurückkehren würde, oder nahm er Niven aus irgendeinem von einem Dutzend möglichen Gründe in Schutz, zu denen auch die Übereinkunft, irgend etwas zu vertuschen, gehören könnte?

»Warum ist Mr. Niven hergekommen?« wiederholte Monk.

»Wie war er angezogen? Wie hat er sich benommen?« Als Arbuthnot abermals zögerte, wurde er ungeduldig. »Wenn Sie wollen, daß ich auch nur die geringste Chance habe, Mr. Stonefield zu finden, müssen Sie mir die reine Wahrheit sagen!«

Arbuthnot bemerkte die Schärfe in Monks Stimme, sein ausweichendes Verhalten machte tiefem Mitleid und Unbehagen Platz.

»Er kam, um festzustellen, ob wir ihm irgendwelche Aufträge zuschanzen könnten, Sir. Ich fürchte, die Dinge sind sehr schwierig für ihn. Er wußte, daß Mr. Stonefield ihm helfen würde, wenn er könnte, aber ich fürchte, im Augenblick war einfach nichts zu machen. Er hat ihm allerdings ein Empfehlungsschreiben gegeben, in dem er seine Ehrlichkeit und Sorgfalt betonte, für den Fall, daß so etwas ihm nützlich sein könnte.« Er schluckte.

»Und sein Benehmen?« drang Monk weiter in ihn.

»Besorgt«, erwiderte Arbuthnot schnell. »Am Ende seiner Kraft, der arme Mann.« Sein Blick hob sich, und er sah Monk in die Augen. »Aber ein Gentleman bis ins Mark, Sir. Keinen Augenblick lang hat er sich dem Selbstmitleid überlassen oder Ärger auf Mr. Stonefield gezeigt. Die simple Wahrheit ist, daß er im Gegensatz zu Mr. Stonefield in Geschäftsdingen eine Fehlentscheidung getroffen hat, und das zu einem Zeitpunkt im ständigen Auf und Ab des Geschäftslebens, da es ihn teuer zu stehen gekommen ist. Ich glaube, er hat das genauso gesehen und die Sache aufgenommen wie ein Mann.«

Monk neigte dazu, ihm zu glauben, aber er hatte dennoch die Absicht, Titus Niven persönlich kennenzulernen.

»War er der einzige Besucher?« fragte er.

Röte stieg in Arbuthnots Gesicht, und er brauchte mehrere Sekunden, um sich eine Antwort zurechtzulegen. Er hatte die Hände ineinander verschränkt und vermied es, Monk in die Augen zu sehen.

»Nein, Sir. Da war noch eine Dame… zumindest eine weibliche Person. Ich weiß nicht, wie ich sie beschreiben soll…«

»Ehrlich!« sagte Monk knapp.

Arbuthnot holte tief Luft und atmete dann langsam wieder aus.

Monk wartete.

Arbuthnot nahm die Aufforderung, ehrlich zu sein, sehr wörtlich, als könne er damit der Notwendigkeit entgehen, eine persönlichere Meinung auszusprechen.

»Durchschnittlich groß, vielleicht ein wenig mager, aber das ist Ansichtssache, nehme ich an. Recht gut gebaut, ja wirklich, wenn man bedenkt, woher sie kam…«

»Woher kam sie denn?« unterbrach ihn Monk. Der Mann schweifte langsam vom Thema ab.

»Oh, irgendwo aus Limehouse, würde ich sagen, jedenfalls ihrer Sprache nach zu urteilen.« Unbewußt blähte Arbuthnot die Nasenflügel und preßte die Lippen zusammen, als nähme er einen ekelerregenden Geruch wahr. Allerdings konnte das, wenn er sich nicht irrte und sie tatsächlich aus den Elendsvierteln des Hafens im East End kam, durchaus der Fall gewesen sein. Die feuchten, überfüllten Räume, die offenen Müllkippen, die Abwässer vom Fluß machten alles andere unmöglich.

»Hübsch«, sagte Arbuthnot traurig. »Das zumindest hat die Natur ihr mitgegeben, auch wenn sie ihr Bestes tat, diesen Umstand mit Farbe und grellen Kleidern zu verbergen. Sehr aufdringlich.«

»Eine Prostituierte?« fragte Monk rundheraus.

Arbuthnot zuckte zusammen. »Ich habe keine Ahnung. Sie sagte nichts, was darauf hätte schließen lassen.«

»Was hat sie denn gesagt? Um Himmels willen, muß ich Ihnen denn jede Antwort aus der Nase ziehen? Wer war sie und was wollte sie? Sie wollte doch bestimmt keine Termingeschäfte machen!«

»Natürlich nicht!« Arbuthnot errötete heftig. »Sie fragte nach Mr. Stonefield, und als ich ihn von ihrer Anwesenheit informierte, ließ er sie augenblicklich zu sich kommen.« Er holte noch einmal tief Luft. »Das war nicht ihr erster Besuch hier. Sie war, soweit ich weiß, bereits zweimal hier. Als Namen hat sie Selina angegeben, nur das, keinen Nachnamen.«

»Vielen Dank. Was hat Mr. Stonefield von ihr erzählt? Hat er ihre Besuche hier erklärt?«

Arbuthnots Augen weiteten sich. »Nein, Sir. Es stand uns nicht zu nachzufragen, wer sie war.«

»Und er hatte nicht das Bedürfnis, es Ihnen zu erzählen?« Monk ließ seine Überraschung durchblicken. »Was glaubten Sie denn, wer diese Frau war? Und erzählen Sie mir nicht, Sie hätten nicht darüber nachgedacht.«

»Nun, doch…«, gab Arbuthnot zu. »Natürlich haben wir uns gefragt, wer sie sein könnte. Ich nahm an, es ging irgendwie um seinen Bruder, da es sich, wie Sie ja bereits bemerkt haben, nicht um geschäftliche Dinge handeln konnte.«

Das erste Auflodern des Feuers ließ jetzt, da das Anzündmaterial verbrannt war, langsam nach, und Arbuthnot legte mehr Kohlen auf. »Wie benahm sich Mr. Stonefield, nachdem sie gegangen war?« setzte Monk seine Befragung fort.

»Er wirkte beunruhigt. Und irgendwie aufgeregt«, antwortete Arbuthnot unglücklich. »Er hat das ganze Geld aus dem Safe genommen: fünf Pfund, zwölf Shilling und Sixpence. Dann unterschrieb er noch eine Quittung dafür und verließ das Büro.«

»Wie lange nach Selinas Besuch war das?«

»Soweit ich mich erinnern kann, müßten es ungefähr zehn oder fünfzehn Minuten gewesen sein.«

»Hat er gesagt, wohin er gehen würde oder wann mit seiner Rückkehr zu rechnen sei?« Er beobachtete Arbuthnot genau.

»Nein, Sir.« Arbuthnot schüttelte langsam den Kopf, und sein Blick war traurig und besorgt. »Er sagte, er müsse sich um eine dringende Angelegenheit kümmern, und ich solle an seiner Stelle mit Mr. Hurley sprechen. Mr. Hurley ist ein Makler, den wir für diesen Nachmittag erwarteten. Ich nahm an, daß er damit rechnete, den ganzen Tag fort zu sein, aber ich habe keinen Augenblick gezweifelt, ihn am nächsten Morgen wiederzusehen. Er hat keine Anweisungen für den nächsten Tag gegeben, und es standen Entscheidungen von größter Wichtigkeit an. So etwas hätte er einfach nicht vergessen.« Plötzlich traten Trauer und eine verzweifelte Furcht sowie Verwirrung in seine Züge, und Monk begriff auf einmal, welchen Schaden Stonefields Verschwinden in Arbuthnots eigener Welt angerichtet hatte. An einem Tag war noch alles sicher und geregelt gewesen, vorhersehbar, wenn auch vielleicht ein wenig langweilig. Am nächsten Tag war alles anders, voller Rätsel und banger Fragen. Sein Lebensunterhalt und vielleicht sogar sein Heim waren in Gefahr. Überall lauerte plötzlich Ungewißheit. Er war derjenige, der Genevieve würde sagen müssen, daß das Geschäft nicht länger weitergeführt werden konnte, und dann würde er den Rest des Personals entlassen und die Firma auflösen müssen und dabei versuchen zu retten, was zu retten war, die Schulden zu bezahlen und, wenn schon sonst nichts, wenigstens einen makellosen Ruf zu bewahren.

Monk zermarterte sich das Gehirn nach einer tröstlichen oder hilfreichen Bemerkung, aber ihm fiel nichts ein.

»Um wieviel Uhr ist er aufgebrochen? Bitte seien Sie so präzise, wie es Ihnen nur möglich ist«, bat er. Die Frage war trocken und nüchtern und gab nichts von dem preis, was er empfand.

»Ungefähr um halb elf«, antwortete Arbuthnot düster, und in seinen sanften Augen spiegelte sich ein Widerwillen, den Monk nur allzugut verstand.

»Wissen Sie auch, wie?«

Arbuthnot starrte ihn an. »Pardon?«

»Wissen Sie, wie?« wiederholte Monk. »Wenn ich seine Schritte nachvollziehen soll, wäre es nützlich zu wissen, ob er zu Fuß ging oder einen Hansom nahm, was er anhatte, ob er sich auf der Straße nach links oder rechts wandte…«

»Äh ja, ich verstehe.« Arbuthnot sah ihn erleichtert an.

»Natürlich. Ich bitte um Verzeihung. Ich habe Sie falsch verstanden. Er trug einen Überzieher und hatte einen Schirm bei sich. Es war ein sehr unfreundlicher Tag. Außerdem trug er wie immer einen Hut, einen schwarzen Zylinder. Er nahm einen Hansom und fuhr Richtung Waterloo Bridge.« Er suchte in Monks Gesicht nach einer Reaktion. »Glauben Sie, Sie haben eine Chance, ihn zu finden?«

Sofort kam Monk eine Lüge in den Sinn. Es wäre soviel einfacher gewesen. Er hätte ihm gern ein wenig Hoffnung gemacht, aber die Macht der Gewohnheit war zu stark.

»Ich glaube nicht, daß die Chancen groß sind. Aber vielleicht bringe ich in Erfahrung, was aus ihm geworden ist, was für Mrs. Stonefield, wenn auch wenig Trost, so doch zumindest einen gewissen praktischen Nutzen hätte. Es tut mir leid.«

Eine ganze Reihe unterschiedlicher Gefühle spiegelten sich in Arbuthnots Gesicht wider: Schmerz, Resignation, Mitleid und am Ende eine Art widerwilliger Respekt.

»Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Sir. Wenn ich sonst noch irgend etwas tun kann, um Ihnen behilflich zu sein, brauchen Sie es mich nur wissen zu lassen.« Er erhob sich. »Jetzt gibt es eine Menge Dinge, um die ich mich kümmern muß.« Er schluckte und hustete. »Nur für den Fall, daß Mr. Stonefield zurückkehren sollte, müssen die Dinge hier weitergehen…«

Monk nickte und sagte nichts. Er stand auf und zog seinen Mantel an. Arbuthnot führte ihn durch das Büro, in dem die Angestellten mittlerweile eifrig über Briefe, Geschäftsbücher und Notizen gebeugt saßen. Der Raum war hell erleuchtet, jede Lampe brannte, und gepflegte Köpfe neigten sich über Schreibfedern, Tinte und Papier. Kein Laut war zu hören, bis auf das Kratzen der Federn und das sanfte Zischen des Gases. Niemand sah auf, als er durch den Raum ging, aber er wußte, sobald er draußen war, würden Getuschel und reger Blickwechsel einsetzen.

Monk vermutete, daß Stonefield ins East End gefahren war, um auf eine Nachricht zu reagieren, die entweder direkt von Caleb kam oder diesen doch zumindest betraf. Eine andere Erklärung gab es nicht. Als er die Treppe hinunter auf die windige Straße ging und sich seinen Mantel wieder zuknöpfte, ging ihm allerdings durch den Sinn, daß die Frau, Selina, in irgendeiner Beziehung zu Stonefield stehen konnte, die nichts mit Caleb zu tun hatte. Einige äußerst respektable Männer mit makellosem Privatleben hatten gleichwohl etwas für die derberen Reize der Frauen von der Straße übrig und unterhielten einen zweiten Haushalt, von dem man im ersten nicht das geringste wußte. Diese Möglichkeit verwarf Monk jedoch wieder, weil er nicht glaubte, daß Stonefield so unbesonnen gewesen wäre, einer solchen Frau, wenn es sie denn gegeben haben sollte, seine Geschäftsadresse zu nennen. So ein Verhalten wäre geradezu lächerlich gefährlich gewesen und vollkommen unnötig. Arrangements dieser Art konnten nur dann von Dauer sein, wenn sie absolut geheimgehalten wurden.

Mit schnellen Schritten ging er bis zur Brücke hinunter. Vielleicht war es sehr unprofessionell, aber er glaubte Genevieve, daß Angus Stonefield seinen Bruder aufgesucht und daß diesmal der Streit zwischen ihnen mit einer Gewalttat geendet hatte, bei der Angus entweder so schwer verwundet worden war, daß er nicht nach Hause zurückkehren oder auch nur eine Nachricht schicken konnte, oder aber er war jetzt tot, und das Beste, was Monk tun konnte, war, einen Beweis dafür zu finden, der ausreichte, um seiner Witwe Zugang zu seinem Vermögen zu verschaffen.

Als erstes mußte er den Droschkenkutscher finden, der Angus am Morgen seines Verschwindens ins East End gefahren hatte. Wahrscheinlich war es jemand aus den Ställen in der näheren Umgebung; wenn nicht, würde er von dort aus die Kreise seiner Nachforschungen ausweiten.

Es kostete ihn schließlich fünf kalte und ermüdende Stunden und mehr als eine falsche Spur, bevor er sicher war, den richtigen Mann gefunden zu haben. Er traf ihn am Nachmittag in der Stamford Street in der Nähe des Flusses. Er stand an einem flachen, offenen Kohleofen, über dem er sich die steifgefrorenen Finger auftaute, und trat von einem Fuß auf den anderen, um sich warm zu halten. Sein Pferd, das hinter ihm stand, schnaubte seinen Atem in die kalte Luft und wartete ungeduldig mit gesenktem Kopf auf den nächsten Fahrgast und die Gelegenheit, sich zu bewegen.

»Soll's wo hingehen, Chef?« fragte der Kutscher hoffnungsvoll.

»Kommt drauf an«, erwiderte Monk, der neben ihm stehengeblieben war. »Haben Sie letzten Dienstag etwa gegen halb elf Uhr morgens einen Fahrgast an der Waterloo Road aufgenommen und ihn dann vielleicht nach Osten gefahren? Großer, dunkler Gentleman mit Überzieher, Zylinder und Regenschirm.« Er zeigte ihm Lady Ravensbrooks Zeichnung.

»Un' was wär', wenn ich's getan hätt?« erkundigte sich der Droschkenkutscher vorsichtig.

»Dann wäre eine heiße Tasse Tee mit einer Prise von was Stärkerem für Sie drin und eine Fahrt dorthin, wo Sie ihn abgesetzt haben«, erwiderte Monk. »Und jede Menge Unannehmlichkeiten, wenn Sie mich anlügen.«

Der Kutscher wandte sich ruckartig von dem Feuer ab und sah Monk aus schmal gewordenen Augen an.

»Na, da soll mich doch! Wenn das nicht Inspektor Monk ist«, sagte er überrascht. »Sind aber nicht mehr bei den Bullen, oder wie? Hab' so was läuten hören.« Weder seine Stimme noch sein Gesicht ließen irgendwelche Rückschlüsse auf seine Gefühle diesbezüglich zu.

Damit hatte er bei Monk einen wunden Punkt berührt. Seine Kündigung bei der Polizei war ihm durch jenen letzten Streit mit Runcorn aufgezwungen worden. Die Tatsache, daß er am Ende recht und Runcorn unrecht behalten hatte, war ihm nicht weiter von Nutzen gewesen. Ohne jegliches Auskommen war ihm nichts anderes übriggeblieben, als eine Tätigkeit als privater Ermittler aufzunehmen; außer seinen Fähigkeiten als Detektiv besaß er nichts, das er zu Geld machen konnte. Aber das bedeutete, daß er sich jetzt weder auf die Autorität der Polizei berufen noch die Vorteile ihres weit verzweigten Netzwerks und die Fähigkeiten der Spezialisten nutzen konnte, ein Umstand, auf den der Kutscher ihn so treffend aufmerksam gemacht hatte.

»Tja, was wollen Sie denn von dem armen Schlucker, den ich gefahren hab', hm? Was hat er ausgefressen? Hat die Kasse mitgehen lassen, was?« fragte der Kutscher. »Un' wenn er's getan hat, was geht's dann Sie an?«

»Nein, er hat nichts dergleichen getan«, erklärte Monk ihm wahrheitsgemäß. »Er ist verschwunden. Seine Frau befürchtet, es könne ihm etwas zugestoßen sein.«

»Wahrscheinlich nur mit irgendeinem Flittchen auf und davon gegangen, der dumme Kerl«, sagte der Droschkenkutscher verächtlich. »Dann sind Sie also privat tätig, ja? Und arbeiten für Frauen, denen die Ehemänner durchgebrannt sind, hm?« Er grinste und entblößte dabei eine Reihe von Zahnlücken. »Tief gesunken, was - Inspektor Monk?«

»Immer noch wärmer als Droschken fahren!« fuhr Monk ihn an, bis er sich daran erinnerte, daß er auf die Hilfe des Mannes angewiesen war. Er erstickte fast an dem Versuch, höflich zu bleiben. »Manchmal«, fügte er mit zusammengebissenen Zähnen hinzu.

»Tja, Mr. Monk«, schniefte der Kutscher und wischte sich die Nase an seinem Ärmel ab, bevor er Monk einen boshaften Blick zuwarf. »Wenn Sie mich fragen, ich meine, höflich fragen, könnt' ich Ihnen sagen, wo ich ihn abgesetzt hab'. Aber vergessen Sie nicht, daß ich meinen Tee haben will, mit 'nem Tropfen Brandy drin, wie versprochen. Keinen billigen Gin, nee. Und ich kenne den Unterschied, also versuchen Sie mal ja nicht, mich mit was anderem abzuspeisen.«

»Woher soll ich wissen, ob Sie mir die Wahrheit sagen?« fragte Monk rundheraus.

»Können Sie nicht wissen«, erwiderte der Kutscher mit sichtlicher Zufriedenheit. »Aber ich glaub' nicht, daß Sie sich so sehr verändert haben. Jedenfalls will ich nicht, daß Sie mir ständig auf der Pelle sitzen. Ganz schön unangenehm können Sie werden, wenn mal einer nicht tut, was Sie wollen. Weiß ich, weiß ich! Am besten, ich erzähl' Ihnen 'ne gute Geschichte, und Sie bezahlen mir 'n guten Preis.«

»Geht in Ordnung.« Monk schob eine Hand in seine Rocktasche und holte einen Sixpence heraus. »Fahren Sie mich dahin, wo Sie ihn abgesetzt haben, und ich gebe Ihnen im nächsten Pub einen Tee mit Brandy aus.«

Der Cabby nahm das Sixpencestück als Anzahlung, biß gewohnheitsmäßig darauf, um es auf seine Echtheit zu prüfen, und ließ es dann in die Tasche gleiten.

»Dann mal los!« sagte er vergnügt, ging zu seinem Pferd hinüber und griff nach den Zügeln, bevor er auf den Kutschbock kletterte.

Monk stieg in die Droschke und setzte sich. Das Pferd verfiel in einen schnellen Schritt und begann dann zu traben.

Sie überquerten die Blackfriars Bridge und bewegten sich dann in gleichmäßigem Tempo Richtung Osten durch die Stadt, bevor sie nach Whitechapel kamen und schließlich nach Limehouse. Die Straßen wurden schmaler und schmutziger, die Ziegelsteine dunkler, die Fenster kleiner, und der Gestank von Abfallhaufen und Schweineställen wurde durchdringender. Abwasserkanäle flossen über und liefen in die Gosse, offensichtlich waren schon seit Wochen weder Straßenkehrer noch Mistkarren hier vorbeigekommen. Über die Bridge Road war kurz zuvor eine Viehherde zum Schlachter getrieben worden. Der Geruch weckte deutliche Erinnerungen in Monk, allerdings nur an Gefühle, nicht an Gesichter oder Ereignisse. Er erinnerte sich an ohnmächtigen Zorn, aber nicht an die Gründe dafür. Nur sein pochendes Herz war ihm im Gedächtnis geblieben, und den Geruch hatte er immer noch in der Nase. Es konnte drei Jahre her sein oder zwanzig. Die Vergangenheit hatte keine Bedeutung für ihn, hatte ihm nichts mehr zu sagen.

»So, da wären wir!« sagte der Droschkenkutscher laut, während er sein Pferd zum Stehen brachte und an die Tür klopfte.

Monk konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart und stieg aus: Sie befanden sich in einer schmalen, schmutzigen Straße, die parallel zum Fluß verlief und in einem Bezirk namens Limehouse Reach lag. Er kramte in seiner Tasche herum und förderte das Fahrgeld zutage, das er noch dem Sixpencestück, das er dem Mann bereits gegeben hatte, hinzufügte.

»Und meinen Tee mit Brandy«, erinnerte der Kutscher ihn. Monk legte noch einmal Sixpence drauf.

»Ha«, sagte der Mann gutgelaunt. »Kann ich sonst noch was für Sie tun?«

»Haben Sie denselben Mann früher schon einmal irgendwo hingebracht?« fragte Monk.

»'n paarmal. Warum?«

»Wohin haben Sie ihn gefahren?«

»Einmal hierher, einmal nach Westen. Oh, und irgendwann mal die Edgware Road rauf, zu irgend 'nem Haus. Schätze, da hat er vielleicht gewohnt. Komisch, wie? Was will so'n anständiger Herr wie der bloß hier? Hier gibt's nix, was irgend jemand wollen könnte. Halbe Meile weiter weg haben sie sogar Typhus.« Er zeigte mit dem Daumen seines Fausthandschuhs nach Osten. »Und jemand hat mir erzählt, in Whitechapel hätten sie sogar die Cholera, oder vielleicht war's auch Mile End. Oder Blackwall, was weiß ich.«

»Keine Ahnung«, erwiderte Monk. »Das muß ich noch herausfinden. Ich nehme nicht an, daß Sie gesehen haben, in welche Richtung er ging?«

Der Kutscher grinste. »Hab' mich schon gefragt, ob Sie daran denken würden. Ja, da lang ist er gegangen.« Wieder machte er eine ruckartige Bewegung mit dem Daumen. »Da lang, Richtung Isle of Dogs.«

»Vielen Dank.« Monk beendete das Gespräch und ging in die Richtung, in die der Kutscher gedeutet hatte.

»Wenn er da rein ist, werden Sie ihn nicht finden!« rief der Droschkenfahrer hinter ihm her. »Armer Teufel«, fügte er dann kaum hörbar hinzu.

Monk befürchtete, daß er recht hatte, aber er drehte sich nicht um und verlangsamte auch nicht seinen Schritt. Es wurde schwierig für ihn, Angus aufzuspüren, es sei denn, daß er sich mit seiner Kleidung von den normalen Bewohnern dieses Viertels so sehr unterschieden hatte, wie Monk es jetzt tat. Aber es war unwahrscheinlich, daß er haltgemacht und in den verschiedenen Läden, die sich vereinzelt in dieser Straße befanden, irgend etwas erworben hatte. Es gab keine Zeitungshändler. Die Leute in Limehouse Reach hatten für solchen Luxus kein Geld, ganz zu schweigen von der Frage, ob sie überhaupt des Lesens kundig waren. Dinge, die sie interessierten, erfuhren sie aus mündlichen Berichten oder von den Straßensängern, deren Geschäft es war, alles, was sie an offiziellen Bekanntmachungen oder Gerüchten aufgeschnappt hatten, in endlose Verse zu fassen und sie dann in einer Art musikalischer Ein-Mann-Vorstellung an verschiedenen Orten zum besten zu geben, um von wohlwollenden Zuhörern ein paar Kupfermünzen einzuheimsen. Hier und dort gab es Anschlagtafeln für die wenigen Lesekundigen, aber auf keiner davon wurden irgendwelche Dinge zum Verkauf angeboten. Sogar die Hausierer hielten sich eher weiter westlich auf, wo die Wahrscheinlichkeit, Kundschaft zu finden, weitaus größer war.

Er ging in einen Krämerladen, in dem Tee, getrocknete Bohnen, Mehl, Zuckersirup und Kerzen verkauft wurden. Der Laden war dunkel und roch nach Staub, Talg und Kampfer. Monk holte die Zeichnung von Angus hervor und erntete dafür einen leeren, verständnislosen Blick. Dann versuchte er es noch bei einem Apotheker, einem Pfandleiher, einem Eisenwarenhändler, einem Lumpenhändler und schließlich bei einem zweiten Eisenwarenhändler, aber überall mit ähnlichem Ergebnis. Die Leute starrten Monks teure Kleider an, seinen warmen, gut geschnittenen Mantel und die blankpolierten Stiefel, die seine Füße trocken hielten, und wußten sofort, daß er nicht zu ihnen gehörte. In Lumpen gekleidete Kinder mit Zahnlücken und schmutzigen Gesichtern, einige sogar barfuß, folgten ihm, bettelten um Geld, wobei sie abwechselnd pfiffen und hinter ihm her schrien. Er gab ihnen alle Pennys, die er bei sich hatte, aber als er nach Angus Stonefield fragte, verfielen sie in jähes Schweigen und rannten davon.

Auf der Union Road, die auf den Fluß zulief und deren Gehsteige mit ihren abgebröckelten und ungleichmäßigen Pflastersteinen so schmal waren, daß er kaum darauf stehen konnte, versuchte er es, nur weil ihm nichts anderes einfiel, bei einem Flickschuster, der aus alten Schuhen neue machte.

»Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen, bekleidet mit einem ordentlichen Mantel und Zylinder? Vielleicht hatte er sogar einen Regenschirm bei sich?« erkundigte er sich mit ausdrucksloser Stimme.

Der Flickschuster, ein schmalbrüstiger kleiner Mann mit pfeifendem Atem, nahm das Papier in die Hand und betrachtete es argwöhnisch.

»Sieht für mich ein bißchen nach Caleb Stone aus. Und den hab' ich bloß ein paarmal gesehen. War aber immer noch ein paarmal zu oft. Ist allerdings kein Gesicht, das man vergessen würde. Nur daß dieser Herr ganz vernünftig aussieht und richtig ordentlich. Kleider wie ein feiner Pinkel, sagen Sie?«

Monk verspürte eine jähe Erregung, obwohl seine Vernunft ihm etwas anderes sagte.

»Ja«, erwiderte er schnell. »Das ist nur eine Zeichnung. Vergessen Sie Caleb Stonefield…«

»Stone«, verbesserte ihn der Flickschuster.

»Entschuldigung, Stone.« Monk ging nicht weiter darauf ein.

»Dieser Mann ist mit ihm verwandt, daher wird es also eine gewisse Ähnlichkeit geben. Haben Sie ihn schon einmal gesehen? Vor allem, haben Sie ihn letzten Dienstag gesehen? Er ist wahrscheinlich hier langgekommen.«

»Angezogen wie 'n feiner Pinkel, mit allem Drum und Dran?«

»Ja.«

»Glaub' nicht, daß er einen Hut aufhatte, aber an ihn erinnern tu' ich mich. Jawohl, ich hab' ihn gesehen.«

Monk seufzte vor Erleichterung. Das durfte er dem Mann jedoch nicht zeigen, sonst würde er sich vielleicht versucht fühlen, die Wahrheit noch ein wenig auszuschmücken.

»Vielen Dank«, sagte er so nüchtern, wie er konnte, und versuchte das Hochgefühl zu ersticken, das in ihm aufsteigen wollte. »Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet.« Er kramte ein Dreipencestück aus seiner Tasche hervor, der Preis für ein Pint Bier. »Trinken Sie einen auf mich«, meinte er.

Der Schuster zögerte nur eine Sekunde lang. »Klar, mach' ich, Chef«, versprach er und ließ eine kräftige, mißgestaltete und schwielige Hand hervorschnellen, bevor Monk sich eines anderen besinnen konnte.

»In welche Richtung ist er gegangen?« Monk stellte die letzte Frage.

»Nach Westen«, erwiderte der Schuster sofort. »Richtung Süddocks.«

Monk hatte bereits den Türgriff nach unten gedrückt, um den Laden zu verlassen, als ihm eine andere Frage in den Sinn kam, vielleicht die naheliegendste überhaupt.

»Wo wohnt Caleb Stone?«

Der Flickschuster erbleichte unter der dicken Schmutzschicht auf seinem Gesicht.

»Weiß ich nicht, Mister, und ich bin froh, wenn das so bleibt. Und wenn Sie auch nur einen Funken Verstand haben, wollen Sie's auch nicht wissen. Bei manchen Leuten ist Unwissenheit ein Segen.«

»Verstehe. Ich danke Ihnen trotzdem.« Monk lachte ihn kurz an, drehte sich dann um und trat hinaus auf die kalte Straße und tauchte hinein in den Gestank der salzigen Flut, der säuerlichen Abwässer und der überquellenden Kanalisation.

Er versuchte es noch den ganzen Tag über, aber gegen fünf Uhr war es dunkel geworden und bitterkalt dazu, so daß sich auf dem glitschigen Pflaster der Gehwege eine dünne Eisschicht gebildet hatte; er hatte nichts weiter erreicht. Wenn er unbewaffnet hierblieb, würde er sich nur unnötig in Gefahr bringen. Also ging er schnellen Schritts mit gesenktem Kopf und aufgestelltem Kragen zurück zur West India Dock Road, wo Straßenlaternen und ein Hansom auf ihn warteten, der ihn wieder nach Hause brachte. Es war dumm von ihm gewesen, in guter Kleidung hierherzukommen. Den Gestank würde er wohl nie mehr loswerden. Noch eine Lücke in seinem Gedächtnis!

Daran hätte er denken müssen, bevor er sich auf den Weg machte! Es waren nicht nur die klaffenden Lücken in seinem Leben - seine ganze Kindheit, seine Jugend und die frühen Mannesjahre, die ihm ein Rätsel aufgaben, genauso wie seine Triumphe und Niederlagen, seine Liebesaffären, falls es irgendwelche gegeben hatte, die von Bedeutung waren -, es waren die dummen Kleinigkeiten, das praktische Wissen, das er vergessen hatte, die Fehler, die sich jeden Tag wie Splitter in seine Haut bohrten.

Der Droschkenkutscher hatte, was das Fieber in Limehouse betraf, mehr oder weniger recht gehabt. Es war allerdings nicht die Art Typhus, die auf die Atemwege schlug, sondern der Darmtyphus, der die Bewohner der Elendsquartiere heimsuchte und von einem überquellenden Abfallhaufen zum nächsten weitergetragen wurde.

Hester Latterly war zusammen mit Florence Nightingale als Krankenschwester auf der Krim gewesen, im Krankenhaus von Scutari und auf dem Schlachtfeld. Sie war weiß Gott an Krankheiten, Kälte und Schmutz und an den Anblick menschlichen Leidens gewöhnt. Sie konnte die Zahl der Menschen, die sie an Verletzungen oder Fieber hatte sterben sehen, nicht mehr zählen. Aber trotzdem griff ihr das Elend der Armen und Kranken in Limehouse ans Herz, bis ihr nur noch eine einzige Möglichkeit blieb, es zu ertragen und die Alpträume abzuschütteln, die sie quälten: Seite an Seite mit ihrer engen Freundin und Monks Gönnerin, Lady Callandra Daviot, und Dr. Kristian Beck tat sie alles in ihrer Macht Stehende, um einerseits das Elend zu lindern, wie klein ihr Beitrag auch sein mochte, und andererseits alles daranzusetzen, die Zustände, die diese Krankheiten zu Epidemien werden ließen, zu beseitigen.

An dem Tag, an dem Monk die Straßen nach jemandem, der Angus Stonefield gesehen hatte, absuchte, schrubbte Hester auf Händen und Knien den Fußboden eines Lagerhauses, das Enid Ravensbrook, eine weitere Frau, die über Geldmittel und ein mitleidiges Herz verfügte, ihnen zumindest vorübergehend zur Verfügung gestellt hatte, damit sie es nach dem Vorbild der Militärkrankenhäuser in Scutan als Fieberhospital herrichten konnten. Hester hatte das Gefühl, daß das Wasser, das sie verwendete, genauso infiziert war wie die Patienten, aber sie hatte jede Menge Essig hinzugefügt und hoffte, dieser würde seinen Zweck erfüllen. Dr. Beck hatte außerdem ein halbes Dutzend offener Kohleöfen beschafft, in denen sie Tabakblätter verbrennen konnten, eine in der Marine weit verbreitete Praxis, um die Zwischendecks auszuräuchern und auf diese Weise gegen das gelbe Fieber anzukämpfen. Callandra hatte mehrere Flaschen Gin gekauft, die im Medizinschrank verschlossen worden waren und benutzt werden sollten, um Töpfe, Tassen und Instrumente aller Art zu reinigen.

Hester hatte gerade den letzten Quadratmeter des Fußbodens bewältigt und war aufgestanden, beugte sich ein paarmal vor und zurück, um ihren steifen Rücken zu entspannen, als plötzlich Callandra auftauchte. Sie war eine Frau mit breiten Hüften, die ihre Jugend schon eine ganze Weile hinter sich hatte. Ihr Haar war immer unordentlich, aber heute übertraf es seine gewohnte Wildheit noch. Es stand in sämtliche Richtungen, und mehrere Haarnadeln drohten vollends den Halt zu verlieren. Nicht einmal als junge Frau konnte sie als schön gegolten haben, aber die Intelligenz und der Humor, die sich in ihren Gesichtszügen ausdrückten, verliehen ihm einen einzigartigen Charme.

»Fertig?« fragte sie fröhlich. »Hervorragend. Ich fürchte, wir werden jeden Zentimeter Platz brauchen, den wir finden können. Und natürlich Decken.« Sie ließ ihren Blick kurz durch das Zimmer schweifen und machte sich dann daran, es sorgfältig abzuschreiten, um genau festzulegen, wie viele Leute auf dem Boden Platz finden konnten, ohne einander zu berühren. »Ich hätte gern Pritschen«, fuhr sie fort, wobei sie Hester immer noch den Rücken zuwandte. Dann drehte sie sich um und begann, die Breite des Raums abzumessen. »Es gibt hier im Umkreis von Meilen keinen Abfallhaufen und keine Jauchegrube, die nicht schon jetzt überquellen.«

»Hat Dr. Beck schon mit dem Gemeinderat gesprochen?« fragte Hester, während sie nach ihrem Eimer griff und ans Fenster trat, um ihn auszuschütten. Es gab keine Abwasserkanäle, und das Wasser im Eimer enthielt so viel Essig, daß es der Gosse wohl eher zugute kommen als dort weiteren Schaden anrichten würde.

Callandra erreichte die andere Seite des Raums und verzählte sich. Sie hatte Kristian Beck schon vor dieser unglückseligen Sache im Royal Free Hospital vergangenen Sommer geliebt. Hester wußte das, aber es war ein Thema, über das sie niemals sprachen. Es war zu privat und zu schmerzlich. Die Tiefe, mit der Kristian ihre Gefühle erwiderte, verschlimmerte die Situation nur noch. Callandra war verwitwet, aber Kristians Frau lebte noch. Sie hatte schon lange aufgehört, ihn zu lieben, falls sie das überhaupt jemals in der Art, wie er es sich ersehnte, getan hatte, aber sie hielt zäh an ihren Rechten fest und an den damit verbundenen Annehmlichkeiten. Callandra konnte er nichts geben außer einer tiefen Freundschaft, Humor, Wärme, Bewunderung und der gemeinsamen Leidenschaft für Dinge, an die sie beide mit Begeisterung und Hingabe glaubten.

Schon die bloße Erwähnung seines Namens brachte sie noch heute aus der Fassung. Sie drehte sich um und begann von neuem, die Breite des Raums abzumessen.

Hester blickte aus dem Fenster, um sicherzugehen, daß unten niemand vorbeiging, bevor sie den Eimer ausleerte.

»Ich glaube, wir könnten ungefähr neunzig Leute hier unterbringen«, bemerkte Callandra. Dann zuckte es in ihrem Gesicht. »Ich wünschte bei Gott, ich könnte glauben, das wäre alles. Wir haben schon siebenundvierzig Fälle, nicht mitgerechnet die siebzehn Toten und die dreizehn Leute, die zu krank sind, um verlegt werden zu können. Es würde mich überraschen, wenn sie die Nacht überlebten.« Ihre Stimme wurde lauter. »Ich fühle mich so hilflos! Es ist so, als kämpfte man mit Mop und Putzeimer gegen die anströmende Flut!«

Die Tür hinter Hester öffnete sich, und eine Frau von hinreißendem Äußeren trat ein, eine Flasche Gin unter dem Arm und jeweils eine in den Händen. Es war Enid Ravensbrook.

»Das ist wohl besser als gar nichts«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln. »Ich habe Mary geschickt, etwas sauberes Stroh zu holen. Sie kann es beim Stallknecht des Gasthofs am anderen Ende der Gasse versuchen. Seine Mutter ist eins der Opfer. Er wird tun, was er kann.« Sie stellte den Gin auf den Fußboden. »Ich weiß nicht, was ich mit dem Brunnen machen soll. Ich habe das Wasser heraufgepumpt, aber es riecht genauso wie der Schweinestall nebenan.«

»Und wahrscheinlich aus gutem Grund«, sagte Hester und biß sich auf die Lippen. »In der Phoebe Street ist ein Brunnen, der dem Geruch nach einigermaßen in Ordnung ist, aber es wird furchtbar lästig sein, das Wasser von dort herüberzutragen. Und wir sind sehr knapp, was Eimer betrifft.«

»Wir werden uns welche borgen«, meinte Enid resolut.

»Wenn jede Familie auch nur einen für uns erübrigen könnte, hätten wir schnell für alle Zwecke genug beisammen.«

»Ich fürchte, daraus wird nichts«, entgegnete Hester, während sie Eimer, Schrubber und Putzlappen sorgfältig wegräumte.

»Die meisten Familien hier haben überhaupt nur einen einzigen Trog.«

»Einen Trog wofür?« wollte Enid wissen. »Vielleicht können sie ihren Nachttopf auch zum Schrubben des Fußbodens benutzen?«

»Einen Trog für alles«, erklärte Hester ihr. »Zum Schrubben des Fußbodens, um das Baby zu baden, als Nachttopf und zum Kochen.«

»O Gott!« Enid stand stocksteif da und errötete dann; einen Augenblick lang war sie sprachlos. Dann holte sie tief Luft.

»Tut mir leid. Ich bin wohl immer noch ziemlich ahnungslos. Ich werde einige Eimer kaufen.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und wollte gerade gehen, als sie beinahe mit Kristian Beck zusammenstieß, der in der Tür stand. Sein Gesicht war starr vor Zorn, die brennende Röte auf seinen Wangen hatte nichts mit der Kälte draußen zu tun, und sein schöner Mund hatte sich zu einer schmalen Linie verzogen. Sie brauchten ihn nicht zu fragen, ob er bei der lokalen Behörde Erfolg gehabt hatte oder nicht.

Callandra war die erste, die das Wort ergriff.

»Nichts?« fragte sie leise und ohne eine Spur von Kritik in ihrer Stimme.

»Nichts«, wiederholte er. Selbst mit diesem einen Wort verriet er einen leichten, kontinentalen Akzent, eigentlich kaum wahrnehmbar, nur eine zusätzliche Akkuratesse, die verriet, daß das Englische nicht seine Muttersprache war. Seine Stimme klang volltönend, sehr tief und drückte im Augenblick absolute Verachtung aus. »Sie machen hundert Ausflüchte, aber letzten Endes laufen sie alle auf dasselbe hinaus. Es ist ihnen nicht wichtig genug!«

»Welche Entschuldigungen können sie haben?« fragte Enid scharf. »Was könnte das sein? Die Menschen sterben, zu Dutzenden, und es könnten Hunderte sein, bevor es vorüber ist. Das ist doch ungeheuerlich!«

Hester hatte fast zwei Jahre als Krankenschwester bei der Armee verbracht. Sie wußte, wie solche Institutionen funktionierten. Keine einheimische Behörde konnte schlimmer sein als die militärischen Führungsstäbe oder in ihren Auffassungen noch halsstarriger und verknöcherter als diese. Callandras verstorbener Gatte war Armeearzt gewesen; auch sie war mit den Ritualen und eingefahrener Verhaltensweisen vertraut.

»Geld«, sagte Kristian angeekelt. Dann sah er sich mit unverhohlener Zufriedenheit in dem sauber geschrubbten Lagerhaus um. Es war kalt und unmöbliert, aber sauber. »Der Bau ordentlicher Abwasserkanäle würde die Steuern um mindestens einen Penny erhöhen, und das will natürlich keiner von ihnen«, fügte er hinzu.

»Aber begreifen diese Leute denn nicht…«, begann Enid.

»Nur einen Penny…«, schnaubte Callandra.

»Mindestens die Hälfte der Ratsmitglieder sind Ladenbesitzer«, erklärte Kristian mit müder Geduld. »Ein Penny zusätzliche Gemeindeabgaben würde ihrem Geschäft schaden.«

»Die Hälfte des Rats Ladenbesitzer?« Hester zog ein Gesicht.

»Das ist doch lächerlich! Warum so viele Vertreter einer Berufsgruppe? Wo bleiben die Bauarbeiter, die Schuster, die Bäcker, die ganz gewöhnlichen Leute?«

»Die arbeiten«, sagte Kristian einfach. »Man kann nicht im Rat sitzen, wenn man nicht Geld und Zeit hat. Gewöhnliche Männer tun ihre Arbeit, sie können es sich nicht leisten, darauf zu verzichten.«

Hester holte tief Luft, um neuerliche Einwände zu erheben. Kristian kam ihr zuvor. »Man darf sich nicht einmal an der Wahl der Ratsmitglieder beteiligen, wenn man selbst nicht ein Vermögen von mehr als tausend Pfund besitzt«, stellte er fest.

»Oder Mieteinnahmen von mehr als hundert Pfund im Jahr. Das schließt die große Mehrheit der Männer aus, und natürlich sämtliche Frauen.«

»Also werden ohnehin nur einflußreiche Geschäftsleute gewählt werden!« sagte Hester mit vor Zorn bebender Stimme.

»So ist es«, erwiderte Kristian. »Aber es ist niemandem damit gedient, wenn wir unsere Energie auf etwas verschwenden, das wir nicht ändern können. Zorn ist ein gefühlsmäßiger Luxus, für den wir keine Zeit haben.«

»Dann müssen wir das ändern!« Callandra schien an ihren Worten beinahe zu ersticken, so überwältigend war ihr Ärger. Sie fuhr herum, um sich mit Tränen der Ohnmacht in den Augen in dieser Scheune umzusehen, in der sie Menschen gesund pflegen wollten. »Es ist unvorstellbar, daß wir Menschen in einem solchen Verschlag unterbringen müssen, Menschen, die wir nicht retten können, weil ein paar verfluchte kleine Krämer nicht bereit sind, einen Penny mehr Gemeindeabgaben zu bezahlen, damit wir die Abwässerkanäle aus den Straßen wegbekommen!«

Kristian sah sie mit so unverhohlener Zuneigung an, daß Hester, die zwischen ihnen stand, sich wie ein Eindringling vorkam.

»Meine liebe Callandra«, sagte er geduldig. »Die Sache ist sehr viel komplizierter. Zunächst einmal wäre da die Frage, was wir damit anfangen sollen. Einige Leute befürworten ein Wasserleitungssystem, aber auch das muß irgendwo enden, und was würde dann aus dem Fluß? Er würde zu einer einzigen großen Kloake verkommen. Und wir bekämen auch Probleme mit dem Wasser. Bei starkem Regen würde es möglicherweise nicht ablaufen, und der ganze Unrat der Stadt würde sich in die Wohnhäuser ergießen.«

Sie sah ihn an, dachte über die schlimme Situation nach und nahm dabei mit allen ihren Sinnen sein Gesicht, seine Augen und seinen Mund wahr. »Aber im Sommer wird der Unrat von den trockenen Abfallhaufen überall hingeweht«, sagte sie.

»Selbst die Luft ist erfüllt vom Staub des Dungs und schlimmerer Dinge.«

»Ich weiß«, erwiderte er.

Aus dem Treppenhaus hörten sie ein Geräusch. Sie hatten gar nicht bemerkt, daß Mary gegangen war, aber nun kehrte sie mit einem auffällig kleinen Mann zurück, der einen abgewetzten Hut trug und eine Jacke, die mehrere Nummern zu groß war.

»Das ist Mr. Stabb«, stellte sie ihn vor. »Und er wird uns für einen Penny am Tag zwei Dutzend Eimer und Töpfe zur Verfügung stellen.«

»Das Stück natürlich«, warf Mr. Stabb hastig ein. »Ich habe eine Familie zu ernähren. Aber meine Ma ist achtundvierzig an Cholera gestorben, und da möcht' ich doch jetzt auch mein Scherflein beitragen, sozusagen.«

Hester holte schon tief Luft, um mit dem Mann zu feilschen.

»Vielen Dank«, sagte Callandra schnell, bevor ihre Freundin zu Wort kommen konnte. »Wir brauchen sie sofort. Und wenn Sie noch jemand anderen kennen, der bereit wäre zu helfen, schicken Sie ihn bitte her.«

»Geht klar«, versprach Mr. Stabb nachdenklich, und seine Züge verrieten deutlich, daß er im Geist hastige Berechnungen anstellte.

Weitere Überlegungen dieser Art wurden jedoch durch die Ankunft mehrerer Ballen Stroh und Tuch zunichte gemacht, alter Segel und Sackleinen, aller möglichen Gewebe, die irgendwie dazu taugen mochten, als Lager und Decken zu dienen.

Hester ging aus dem Zimmer, um Brennmaterial für die beiden schwarzen Kanonenöfen zu beschaffen, die so viele Stunden des Tages wie nur möglich brennen mußten, nicht nur wegen der Wärme, sondern auch, damit sie Wasser und Haferschleim kochen konnten oder was sonst noch an Eßbarem zu bekommen war; niemand, dem es gut genug ging, um Nahrung aufnehmen zu können, sollte Hunger leiden. Da Typhus eine Krankheit des Darms war, würden das sicher nicht viele sein, aber falls jemand das Schlimmste überlebte, würde er nach der Krise stärkere Nahrung brauchen. Und natürlich war Flüssigkeit jeder Art von größter Wichtigkeit, denn sie entschied häufig über Leben und Tod.

Fleisch, Milch und Obst waren genausowenig wie grünes Gemüse zu bekommen. Vielleicht würden sie mit Kartoffeln mehr Glück haben, obwohl selbst die zu dieser Jahreszeit rar waren. Wahrscheinlich würden sie sich mit Brot begnügen müssen, mit Trockenerbsen und Tee, wie alle anderen in dieser Gegend auch. Sie würden vielleicht ein wenig Schinken bekommen können, obwohl man damit sehr vorsichtig sein mußte. Fleisch konnte immer von Tieren kommen, die an einer Krankheit gestorben waren, und trotzdem gab es nur ganz wenig davon. Die meisten Familien konnten sich solchen Luxus nur für den arbeitenden Mann leisten. Das Überleben aller hing davon ab, daß er sich so viel von seiner Kraft bewahrte wie nur möglich.

Im Lauf der nächsten Stunden und sogar während der ganzen Nacht wurden Patienten zu ihnen gebracht, manchmal mehrere gleichzeitig. Nicht einmal Kristian konnte viel für sie tun, außer dafür zu sorgen, sie mit dem wenigen, was sie hatten, so sauber und bequem unterzubringen wie es nur ging, und sie mit kühlem, mit Essig versetztem Wasser zu waschen, um das Fieber zu senken. Einige der Kranken fielen erschreckend schnell ins Delirium.

Die ganze Nacht hindurch gingen Hester, Callandra und Enid Ravensbrook mit Wasserschalen und Tüchern von einem behelfsmäßigen Strohlager zum nächsten. Kristian war aus dem Krankenhaus, in dem er arbeitete, zurückgekehrt. Mary und eine andere Frau liefen hin und her, um die Eimer des Eisenhändlers in die Senkgrube auszuleeren. Um halb zwei entspannte sich die Lage ein wenig, und Hester nutzte die Gelegenheit, um warmen Haferschleim zuzubereiten und die Hälfte des Inhalts einer Ginflasche zur Säuberung von Schalen und anderen Dingen zu benutzen.

Plötzlich hörte sie ein Geräusch von der Tür, und als sie aufblickte, sah sie Mary, die mit zwei Kübeln Wasser, die sie aus dem Brunnen der Nachbarstraße heraufgezogen hatte, ins Zimmer trat. Im Kerzenlicht sah sie aus wie eine groteske Milchmagd; ihre Schultern waren gebeugt, und Wind und Regen hatten ihr die Haare ins Gesicht geweht. Das Mieder ihres schlichten Wollkleides war naß, und ihre Röcke waren schlammbespritzt. Sie wohnte ganz in der Nähe und hatte ihre Hilfe angeboten, weil ihre Schwester zu denen gehörte, die von der Seuche heimgesucht worden waren. Mit einem unwillkürlichen Seufzer der Erleichterung setzte sie die Kübel ab und lächelte Hester zu.

»Bitt' schön, Miss. Bißchen Regen mit drin, aber das wird wohl nich' schaden. Soll ich's heiß machen?«

»Ja, ich kann gut noch etwas mehr Wasser gebrauchen«, erwiderte Hester und zeigte auf den Kessel, in dem sie rührte.

»War es auf der Krim auch so?« fragte Mary mit gedämpfter Stimme, nur für den Fall, daß eines der armen Geschöpfe wirklich schlief und nicht einfach bewußtlos war.

»Ja, so ähnlich«, antwortete Hester. »Nur daß wir da natürlich mit Schußwunden zu tun hatten, mit Amputationen und Wundbrand. Aber natürlich hatten wir auch viele Fieberkranke dabei.«

»Ich glaub', ich wär' gern dabeigewesen«, meinte Mary, während sie sich streckte und vorbeugte, weil das Gewicht des Wassers ihr Rückenschmerzen beschert hatte. »Muß besser sein als das hier. Hätte mal fast 'nen Soldaten geheiratet.« Ein flüchtiges Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie an diese Romanze zurückdachte. »Aber dann hab' ich meinen Ernie geheiratet. War bloß 'n Maurer, aber wirklich lieb.« Sie schniefte. »Hat's nie bis zur Armee gebracht. Hatte schlimme Beine. Hatte als Kind Rachitis. Böse Sache, Rachitis.« Sie streckte sich noch einmal und trat näher an den Ofen heran, wobei ihre nassen Röcke gegen ihre Beine klatschten und das Wasser in ihren Stiefeln gluckste. »Is' an Schwindsucht gestorben, mein Ernie. Konnte sogar lesen, hmhm, Hauptmann von den Männern des Todes hat er's genannt. Die Schwindsucht, mein' ich. Hat er mal irgendwo gelesen, das.« Sie begutachtete den Haferschleim, hob dann einen der Kübel hoch und goß eine Gallone Wasser hinzu, um ihn zu verdünnen.

»Vielen Dank«, sagte Hester. »Ihr Ernie scheint etwas ganz Besonderes gewesen zu sein.«

»Das war er«, erwiderte Mary mit stoischer Ruhe. »Vermisse ihn sehr, den armen Kerl. Meine Schwester Dora wollte unbedingt hier raus. Hätt' nie gedacht, daß sie's in einem Sarg tun würde, jedenfalls noch nicht jetzt. Nicht daß viele, die von hier wegkommen, es weit brächten. Ginny Watson vielleicht. Die war hübsch und hatte es in sich, jawohl. Weiß nicht, was aus ihr geworden ist, auch nicht, wo sie hingegangen ist, aber irgendwo rauf nach Westen. Die hat's zu was gebracht. Hat reden gelernt wie feine Leute und sich wie 'ne Dame zu benehmen oder jedenfalls so was Ähnliches.«

Hester versagte sich irgendwelche Spekulationen dahingehend, daß sie wahrscheinlich in einem Bordell gelandet war. Der Traum von Freiheit war zu kostbar, um ihn einfach zu zerstören.

»Wahrscheinlich hat sie geheiratet«, fuhr Mary fort. »Hoffe ich jedenfalls. Ich mochte sie nämlich. Wollen Sie noch mehr Wasser, Miss?«

»Noch nicht, vielen Dank.«

»Oh - da muß sich jemand übergeben, armer Teufel.« Mary schnappte sich einen Eimer und eilte dem Kranken zu Hilfe. Enid trat aus der Dunkelheit auf der anderen Seite des Raums; ihr Gesicht war fahl, ihr volles, natürlich gewelltes Haar saß ein wenig schief auf ihrem Kopf, und ein länglicher Spritzer Kerzenwachs prangte an ihrem Mieder.

»Der kleine Junge am Ende der Reihe ist sehr schwach«, sagte sie tonlos. »Ich glaube nicht, daß er die Nacht überstehen wird.

Ich wünsche mir beinahe, daß es schnell geht, damit sein Leiden ein Ende hat, aber ich weiß, wenn er stirbt, werde ich mir wünschen, es wäre nicht passiert.« Sie putzte sich die Nase und schob sich das Haar aus den Augen. »Ist es nicht lächerlich? Ich habe ihn vor ein paar Stunden zum erstenmal gesehen, und doch trifft es mich so hart, daß ich kaum noch atmen kann. Ich habe ihn nicht einmal sprechen hören.«

»Zeit hat nichts damit zu tun«, erwiderte Hester im Flüsterton, während sie reichlich Salz und Zucker in den Haferbrei gab. Was der Körper verlor, mußte unbedingt wieder ersetzt werden. Während sie rührte, suchten sie ihre eigenen Erinnerungen heim, Soldaten, die sie vielleicht nur ein oder zwei Stunden gekannt hatte, und doch waren deren gequälte Gesichter ihr im Gedächtnis haftengeblieben, und der Mut, mit dem einige von ihnen ihre Wunden und die Zerstörung ihres Körpers trugen. Besonders einer der Männer stand ihr sogar jetzt noch ganz deutlich vor Augen. Sie konnte sein blutverschmiertes Gesicht in dem Kessel voller Haferbrei sehen, das angestrengte Lächeln, seinen blonden Schnurrbart und die formlose Masse da, wo seine rechte Schulter gewesen war. Er war verblutet, und sie hatte nichts tun können, um ihm zu helfen.

»Nein, wahrscheinlich nicht.« Enid griff nach den Schüsseln und rümpfte die Nase, als sie den unvermeidlichen Gingeruch wahrnahm. Dann begann sie in sechs der Schalen ein wenig Haferbrei zu schöpfen. »Ich weiß nicht, ob überhaupt jemand essen kann, aber wir sollten es wenigstens versuchen.« Sie sah den Brei unglücklich an. »Er ist zu dünn. Haben wir denn nicht etwas mehr Hafermehl?«

»Der Brei darf gar nicht so dick sein«, erklärte ihr Hester.

»Die Leute können nicht viel Nahrung aufnehmen. Das Wichtigste ist die Flüssigkeit.«

Enid holte tief Luft und begriff in diesem Augenblick möglicherweise, warum sie nicht einfach nur Wasser nahmen. Sie selbst hätte keinen Tropfen herunterbekommen, vor allem, da sie wußte, woher das Wasser kam. Schweigend nahm sie Schüsseln und Löffel und machte sich an die ermüdende, qualvolle Aufgabe, einem Menschen nach dem anderen dabei zu helfen, einen Schluck zu sich zu nehmen und nach Möglichkeit bei sich zu behalten.

Die Nacht ging nur langsam vorbei. Die Gerüche und Geräusche der Krankheit erfüllten den großen Raum. Schatten zuckten im flackernden Kerzenlicht hin und her, während der Talg herunterbrannte. Etwa gegen drei Uhr morgens kehrte Kristian zurück. Callandra ging zu Hester. Sie hatte dunkle Ringe der Erschöpfung unter den Augen, und ihre Röcke waren besudelt, da sie einem Kranken in höchster Not beigestanden hatte.

»Gehen Sie, und legen Sie sich ein paar Stunden schlafen«, sagte sie leise. »Kristian und ich kommen schon zurecht.« Ihre Worte klangen völlig natürlich, und doch wußte Hester, was es sie kostete, ihrer beider Namen auf diese Art und Weise auszusprechen. »Wir werden Sie gegen Morgen wecken.«

»Nur ein paar Stunden«, entgegnete Hester energisch.

»Wecken Sie mich um fünf. Was ist mit Enid?«

»Die konnte ich auch überreden.« Callandra lächelte schwach.

»Und jetzt gehen Sie. Sie können nicht unbegrenzt aufbleiben. Wenn Sie sich nicht ausruhen, nützen Sie uns irgendwann nichts mehr. Das haben Sie mir oft genug gesagt.«

Hester zuckte ein wenig kläglich die Achseln. Es hatte keinen Sinn, die Tatsache zu leugnen.

»Behalten Sie den Jungen da drüben auf der linken Seite im Auge.« Sie zeigte auf eine zusammengekrümmte Gestalt, die in ungefähr zwanzig Fuß Entfernung halb auf der Seite lag. »Er hat sich ein Schultergelenk verrenkt. Ich habe es wieder eingerenkt, aber wenn er sich aufsetzt, um sich zu übergeben, rutscht es wieder heraus.«

»Armes kleines Geschöpf«, seufzte Callandra. »So wie er aussieht, ist er höchstens zehn oder zwölf, aber das ist schwer zu sagen.«

»Er meinte, er sei sechzehn«, erwiderte Hester. »Aber ich glaube nicht, daß er zählen kann.«

»Ist das erst vor kurzem passiert? Die Schulter, meine ich?«

»Das habe ich ihn auch gefragt. Er sagte, er sei Caleb Stone in den Weg gelaufen und hätte für seine Unverschämtheit Prügel bezogen.«

Callandra zuckte zusammen. »Am anderen Ende der Reihe liegt eine Frau mit einer Narbe im Gesicht. Sie sagte, das sei auch Caleb Stones Messer gewesen. Sie hat mir nicht erzählt, warum. Er scheint ein sehr gewalttätiger Mann zu sein. Ich glaube, sie hat immer noch Angst vor ihm.«

»Nun, hier werden wir ihn wohl nicht zu sehen bekommen«, meinte Hester trocken. »Es sei denn, er bekäme Typhus. Niemand kommt in Pesthäuser, um Rache zu nehmen oder um Schulden einzufordern, wie hoch sie auch sein mögen.« Sie sah sich in dem dunklen, höhlenartigen Raum des Lagerhauses um.

»Und keine Rache könnte schlimmer sein als das hier«, fügte sie leise hinzu.

»Gehen Sie, und ruhen Sie sich aus«, befahl Callandra. »Sonst sind Sie nachher nicht in der Verfassung zu arbeiten, wenn ich schlafe.«

Hester gehorchte dankbar. Sie hatte es nicht gewagt, darüber nachzudenken, wie müde sie war, sonst hätte sie nicht weitermachen können. Jetzt zumindest stand es ihr frei, in den kleinen Raum zu gehen, in dem ein zusätzlicher Strohballen lag, auf den sie sich in der Dunkelheit niedersinken lassen konnte, ohne an ihre Pflichten zu denken, ohne die Geräusche des Erbrechens und das stete Bewußtsein menschlichen Leidens. Einen Augenblick lang durfte sie das alles vergessen und ihrer Erschöpfung nachgeben.

Aber das Stroh kratzte. Es war viel Zeit vergangen seit Scutari, und sie hatte das Gefühl überwältigender Hilflosigkeit im Angesicht solch unendlichen Schmerzes vergessen; es ließ sich nicht so einfach, wie sie gedacht hatte, ausblenden. Ihre Ohren lauschten noch immer auf die Geräusche, und ihr Körper straffte sich, als müßte sie trotz allem, was Callandra gesagt hatte, wieder hinausgehen und das Ihrige tun, um zu helfen.

Aber es wäre unsinnig gewesen. Schon bald würde sie zu erschöpft sein, um ihren Anteil an der Arbeit zu übernehmen, wenn Callandra und Kristian schliefen. Sie mußte ihren Geist ganz bewußt mit etwas anderem beschäftigen, mußte sich dazu zwingen, an etwas zu denken, das ihr half, diese furchtbaren Stunden zu vergessen.

Die Gedanken kamen ungebeten, trotz ihrer festen Vorsätze, dieses Thema zu meiden. Vielleicht war es die Tatsache, daß sie unbequem in einem kleinen, fremden Raum lag, fast am Ende ihrer Kraft, sowohl körperlich als auch gefühlsmäßig; sie mußte an Monk denken, beinahe, als könne sie seine Wärme neben sich spüren, seine Haut riechen, und ein einziges Mal, seit sie sich kannten, wirklich wissen, daß es keinen Streit geben würde, keine Kluft, keine Barriere zwischen ihnen. Heiß schoß ihr das Blut in die Wangen, als sie sich daran erinnerte, wie uneingeschränkt sie sich ihm in diesem einen, alles verzehrenden Kuß überlassen hatte. Ihr ganzes Herz, ihren Verstand und ihren Willen hatte sie hineingelegt, all die Dinge, die sie ihm niemals hätte sagen können. Seit dem Abschluß des Farrahne-Falls hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Damals hatte sie im Eifer der Nachforschungen keine Zeit gefunden, mehr zu empfinden als Verlegenheit für einen flüchtigen Augenblick, so verzweifelt waren ihre Bemühungen gewesen, den Fall zu lösen.

Wenn sie sich jetzt wiedersahen, würde alles anders sein. Erinnerungen, die keiner von ihnen ad acta legen oder vergessen konnte, würden zwischen ihnen stehen. Was er auch sagen mochte, wie er sich jetzt auch benehmen mochte, sie wußte, daß er in diesem Augenblick, als sie in dem geschlossenen Raum dem Tod ins Auge geblickt hatten, alle Masken fallen gelassen hatte, all seinen kostbaren und bis dahin so sorgfältig aufrechterhaltenen Selbstschutz; und im Angesicht einer schmerzhaften, verzweifelten Zärtlichkeit hatte er zugegeben, daß auch er wußte, was es bedeutete zu lieben.

Nicht daß sie sich eingeredet hätte, daß die Barrieren zwischen ihnen überwunden waren. Natürlich waren sie das nicht. Mit der Rettung und der Rückkehr in den Alltag waren auch die Differenzen zwischen ihnen wiederaufgetaucht, die Schatten, die sie trennten. Sie war nicht die Art Frau, die ihn hinreißen konnte. Sie war zu zänkisch, zu unabhängig, zu direkt. Sie wußte nicht einmal, wie man flirtete oder einen Mann betörte, wie man ihm das Gefühl gab, ritterlich oder stark oder gar romantisch zu sein.

Und er hatte zu oft schlechte Laune. Außerdem war er skrupellos und übermäßig kritisch, und seine Vergangenheit war dunkel, voller Ängste und Verrücktheiten, von denen nicht einmal er selbst wußte; vielleicht hatte es in seinem Leben Akte der Gewalt gegeben, die ihm selbst in Alpträumen nur halb bewußt waren, Grausamkeiten, die er sich einbildete, für die er aber keine Beweise hatte - bis auf das, was andere ihm erzählten, nicht mit Worten, sondern mit der Art, wie sie auf ihn reagierten, dem Aufflackern alten Schmerzes, alter Demütigungen, die sein scharfer, schneller Verstand und seine allzu bissige Zunge ihnen zugefügt hatten.

Sie kannte alle Argumente, die sich genauso in ihr Gehirn bohrten wie die stachligen Strohhalme in ihre Arme und durch den dünnen Stoff ihres Kleides. Und so, wie sie jetzt süßes Vergessen umfing, löschte die Erinnerung an seine Berührung alles aus, bis sie so müde war, daß sie einschlafen konnte.