Kabelklau

 

»Du, Paul, vorhin hat einer ’ne Akte für dich vorbeigebracht. Liegt auf deinem Schreibtisch!«

Sommers Adrenalinpegel stieg. »Ist vielleicht zu diesen Diebstählen. Computer und Bürotechnik!« Mit langen Schritten durchquerte er das Büro und schlug den Pappordner auf. Enttäuscht las er, dass die Täter entkommen waren. »Scheiße!«, fluchte er herzhaft. »Die haben’s versemmelt!«

»Wer hat was versemmelt?«, fragte Hubertus Hauk und streckte neugierig seinen Kopf vor.

»Deine Kollegen. Dann nützen auch meine Fallen nichts. Ein bisschen müsst ihr schon auch erledigen!«

Hubertus zog rasch den Kopf wieder ein.

»Dabei hatte ich das System der Gruppe schnell durchschaut– die waren zwar der Meinung, sie seien unglaublich klug, aber das denken Verbrecher ja gern von sich!«

Hauk drehte sich zur Seite, damit der Freund sein Grinsen nicht sehen konnte.

Paul Sommer war so richtig in Fahrt gekommen. »Ziemlich geschickt. Drei Gruppen. Die ersten schaffen den Zugang, beginnen direkt mit dem Ausräumen, Trupp B übernimmt und ›erschließt‹ sich alle anderen Räume des Lagers, gibt die notwendigen Informationen an Gruppe C weiter, die dann wissen, welche Räume sie leeren sollen. Generalstabsmäßige Planung! Die Bürotechnik einzusacken war ein Teil des Konzepts, weißt du? In Wahrheit waren die auch an ganz bestimmten Dingen aus dem Lager interessiert: Sportbekleidung. Und natürlich haben sie nicht jede genommen, nein, die wussten genau, was sie wollen! Nike, Adidas, Puma. Tja, der Spezialisierungseifer geht bis in die kriminellen Kreise!«

»Und, was ist passiert?«

»Es gibt gar nicht so viele Speditionen in unserer Gegend, die diesen Ansprüchen ›unserer Klientel‹ genügen. Ich habe eine ausgewählt, meine elektronische Falle installiert.«

Hubertus zog eine Augenbraue hoch.

»Du willst wissen, welche? Na ja«, Paul tat bescheiden, »es war ganz einfach. Ich habe dafür gesorgt, dass die Telefonanlage das Präsidium im Falle eines Einbruchs verständigte. Hat auch reibungslos geklappt, wir kriegten alle Informationen auf den Schirm– sogar in welcher Lagerhalle die Kerle sich gerade aufhielten.«

»Toll, gratuliere! Dann verstehe ich aber nicht, wieso du meinst, die Sache sei versemmelt worden. Hat doch alles funktioniert.« Hauk sah den Freund verständnislos an.

»Hätte! Es hätte alles funktioniert!« Pauls Hände griffen in die Luft, als wolle er einem unsichtbaren Gegner an die Gurgel gehen. »Doch ihr schickt mir einen Streifenwagen mit Frischlingen! Und was machen die? Fahren mit Sondersignal und Blaulicht bis direkt vor die Tür! Mit quietschenden Reifen– wie im Kino! Die Bande hat nicht lang genug gewartet, um sich dieses Schauspiel zu gönnen!«

»Komm, wir gehen einen Kaffee trinken. Ich lad dich ein, du hast ja bei mir so viel gut, wie du selbst festgestellt hast«, feixte Hauk. »Dann legt sich dein Ärger wieder. Ich verstehe ja, dass du sauer bist. Solche Idioten! Mit Sonderrechten! Signal und Blaulicht! Das hat für die ganz bestimmt noch ein Nachspiel, Paul, das passiert denen in ihrem ganzen Polizistenleben kein zweites Mal!«

Paul Sommer warf einen kurzen Blick auf dieUhr. »Gebongt! Ich habe noch eine halbe Stunde, dann muss ich los.«

»Ein neuer Einsatz für Trapper Paule?«

»Ja. Kabelklau. Bei der Lausitzer Spreewaldbahngesellschaft. Die wollen eine Privatstrecke betreiben und sind gerade mitten in den Arbeiten. Bin mal neugierig, was die mir erzählen werden.«

 

»Sehen Sie, Herr Sommer, wir betreiben eine Industriebahnstrecke. Auf 7,3 Kilometern. Unsere Lokführer lieben die Trasse, die neuen Loks sind leise, leicht zu bedienen– und dazu noch kostensparend. Eigentlich alles bestens.« Herr Neumann seufzte tief. Gramfalten zogen sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln, dunkle Schatten lagen unter seinen Augen.

Paul Sommer wartete.

»Und nun wollten wir eine ganz neue Trasse bauen. Diesmal über 17,3 Kilometer.« Neumann stockte. »Und dann das! Kabelklau!«, brach es unvermittelt aus ihm hervor. »Dabei haben wir so viel unternommen, um diese miesen Gauner fernzuhalten. Jeder weiß ja, wie wertvoll Kupferkabel sind. Die Beratungsstelle der Kriminalpolizei hat empfohlen, und wir haben reagiert: neue, schwere Türen eingebaut, alles mit speziellen Schlössern gesichert, eine Alarmanlage einbauen lassen– und doch hat all das nichts genützt!«

»Die Diebe kamen trotzdem rein?«

»Das muss von langer Hand vorbereitet gewesen sein! Die waren so geschickt, dass wir den Diebstahl zunächst gar nicht bemerkt haben! Dieses Lager in Blaubach ist so gut gesichert, dass wir nicht im Traum daran dachten, es sei zu knacken. Sie kommen ja nicht einmal unbemerkt an das Objekt ran. Bewegungsmelder reagieren sofort, alles wird taghell. Allein die Videoanlage hat fast 30.000 Euro gekostet. Sensoren im Eingangsbereich, eine Infrarotschranke– wir haben wirklich weder Kosten noch Mühen gescheut.«

»Wie sind die Diebe dann reingekommen?«, fragte Sommer interessiert, obwohl er schon eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, wie die Bande das bewerkstelligt haben könnte.

»Die Kerle sind von hinten ran. Leichtbauhalle. Die müssen sich mit dem Bausystem ausgekannt haben. Haben einfach einzelne Wandelemente rausgenommen, war so einfach zu öffnen wie eine Fischbüchse!«

»Von der Seite waren Sie nicht so gut auf potenzielle Einbrüche vorbereitet.«

»Nein! Und das müssen diese Gangster gewusst haben! Die Wandelemente haben sie nach jeder Tour ordentlich wieder eingesetzt, deshalb haben wir zunächst nichts bemerkt!« Das zuvor blasse Gesicht des Geschäftsführers hatte sich ungesund rot verfärbt.

»Wie viel wurde denn insgesamt erbeutet?«

»Die haben etwa 50 Prozent unseres Lagers geplündert! Signalkabel, insgesamt drei Tonnen! Das bringt richtig Geld!«

»Ist irgendetwas davon im Schrotthandel aufgetaucht? Das hat die Polizei doch sicher schon überprüft?«

»Nichts! Wahrscheinlich wurde alles über die Grenze in Nachbarländer geschafft. Haben Sie gewusst, dass man Maschinen zum Abisolieren sogar bei Ebay kaufen kann? Sie investieren bis maximal 800 Euro. Das rechnet sich natürlich, bei den Preisen, die im Moment für Blankmaterial gezahlt werden!«

»Ja– sieht nach einem hübschen Reingewinn aus. Sie sagen, es wurde mehrfach eingebrochen?«

»Wir schätzen, so drei- bis viermal. Geklaut haben die immer so um die 700 bis 1.000 Kilogramm Kupferkabel. Es ist unglaublich!«

Paul Sommer überlegte. Diese Mengen waren alles andere als belanglos. »Und nun haben die Diebe auch hier in Ihrem Lager in Brandenburg zugeschlagen?«

»Ja. Beute etwa eine dreiviertel Tonne.«

»Ich melde mich in den nächsten Tagen wieder bei Ihnen. Ich würde mir den Tatort gern selbst ansehen, um mir ein Bild machen zu können. Ich rufe sie an.«

Während Paul zu seinem Wagen zurückging, überlegte er schon, welche nächsten Schritte einzuleiten waren. Woher wussten die Diebe überhaupt, dass es in der Halle etwas zu klauen gab?, war stets eine der ersten Fragen, die sich in einem solchen Fall aufdrängten. Insiderwissen? Gab es einen Tippgeber direkt aus der Firma oder unter den Lieferanten? Wenn die Halle ausbaldowert werden musste, ließen sich womöglich Spuren des heimlichen Beobachters finden? Er konnte das Stöhnen der Kollegen jetzt schon hören, wenn er ihnen vorschlagen würde, mehrere hundert Quadratmeter nach weggeschnippten Zigarettenkippen oder Papiertaschentüchern abzusuchen, wobei allen klar war, dass Fundstücke gar nicht unbedingt mit dem Fall zu tun haben mussten.

Ein anderes Problem war natürlich der Abtransport dieser eher unhandlichen Beute. Eine Rolle Kupferkabel konnte man schließlich nicht in der Hosentasche vom Platz tragen! Ein Transportmittel war notwendig. Auto, LKW, was kam noch infrage? Und überhaupt: Kein Schrotthändler würde eine Tonne von dem Zeug aufkaufen, ohne einen Zuschlag für die Hehlerei zu verlangen– Kosten, die mit eingeplant werden mussten. Ein regelmäßiges Geräusch störte seine Gedanken, ein penetrantes Dudeln. Es dauerte eine Weile, bis Paul Sommer bemerkte, dass es sich um den Klingelton seines eigenen Handys handelte. Er runzelte missbilligend die Stirn. Seine Nummer war geheim, wer also …?

Einbruchsdezernat.

»Wir wurden heute Morgen über den Diebstahl von Kupferkabel am Bahnhof Kaltheim informiert. Paul, wir bräuchten dich hier vor Ort. Wo bist du denn gerade?«

Paul orderte sein Tatortfahrzeug und schmunzelte in Vorfreude auf das gute Essen, das er diesmal bei dem Vietnamesen genießen würde, dessen kleines Lokal beim Bahnhof Kaltheim um die Ecke lag– die beste vietnamesische Küche außerhalb des Landes!

»KOK Liebscher«, stellte sich der Einsatzleiter vor, der seine Überraschung über den Aufzug Sommers kaum verbergen konnte. Irgendwie hatte er sich den Fachmann der KT 5.1 für Täterfallen völlig anders vorgestellt.

»Heute früh um 7Uhr, direkt bei Dienstbeginn, hat die Bahn den Diebstahl gemeldet. Dort drüben«, Liebscher wies vage in die gegenüberliegende Richtung, »auf Gleis 41 stand der Rungenwagen mit dem Kabelmaterial über Nacht, denn es sollte gleich am Morgen zur Strecke nach Lehnitz. Der ganze Waggon– leergemacht. Dabei ist sogar eine Kontrollstreife gefahren geworden, alle zwei Stunden ist ein Funkwagen hier vorbeigekommen. Letztes Abfahren um 4Uhr.«

»Moment!«, unterbrach ihn Sommer. »Wenn alle zwei Stunden eine Funkstreife hier kontrollieren sollte, war das doch um 6Uhr zum letzten Mal!«

»Ja, stimmt schon. Aber der Wagen wurde unterwegs von einem Bürger angehalten, der von einer üblen Schlägerei berichtete. Natürlich haben die beiden Beamten übernommen. Zwei Streithähne, ausländischer Herkunft, die zunächst ihre Ausweispapiere nicht vorweisen konnten. Glücklicherweise fanden sie letztlich doch, als die Kollegen ihnen drohten, sie auf die Wache mitzunehmen, um dort die Identität feststellen zu lassen. So erschienen die Kollegen deutlich verspätet an der Ladestraße. Da waren die Laderinge schon verschwunden. Natürlich ist hier eigentlich die Bundespolizei zuständig. Ah– da kommt er ja auch schon. Guten Morgen, Herr Blohm.«

KHK Blohm brachte neue Informationen ein. Der Bahnvertreter hatte inzwischen erklärt, dass dies nicht der erste ›Vorfall‹ dieser Art in Kaltheim war.

»Ist wohl ungefähr drei Wochen her. Da hatte die Bahn am Ende der Ladestraße eine Trommel Kabel mit Abrollvorrichtung stehen. Zum größten Teil schon verarbeitet, war nur noch ein Rest übrig. Die Diebe hatten sich einen uneinsehbaren Platz hinter dem alten Stellwerk ausgesucht, das Ende dahinter gezogen, langsam abgerollt und zerschnitten. Abschnitte von etwa zwei Metern, nimmt man an. Keiner hat was bemerkt. Schaden 200 bis 300Euro.«

»Tricky!«, kommentierte Sommer knapp.

»Auch die Strecke Magdeburg–Berlin ist offensichtlich beliebtes Ziel der Bande. In taktarmen Zeiten, also nach 22Uhr. Kabelbrücke eingebaut, Oberleitung durchtrennt, zweite Brücke und ab durch die Mitte mit 100Meter Oberleitung. Alle bisher bekanntgemachten Diebstähle fanden in der Nähe von Bahn-Baustellen statt. Das ist der momentane Stand.«

Paul Sommer zuckte mit den Schultern. »Für mich ist hier nichts mehr zu tun. Nach einem Raub ist es für die Täterfalle zu spät. Die bringen wir ja prophylaktisch an. Schicken Sie mir die Akten, ich überlege dann, wo wir einen Einsatz planen können.« Verabschiedete sich freundlich und machte sich dann auf den Weg zu ›seinem‹ vietnamesischen Restaurant.

 

Am Nachmittag stand plötzlich Hubertus Hauk in der Tür. »Ich bin der Bote. Du wolltest Akten zum Kupferkabelklau!«, verkündete er und schwenkte keuchend einen dicken Stapel durch die Luft. »Kaffee?«

»Du glaubst, du kannst deine Schuld bei mir durch Kaffee abarbeiten?«, lachte Paul, stellte aber fest, dass er solch einen kleinen Anschub nach dem guten Essen brauchen könnte, und ließ sich überreden.

Der weitere Nachmittag gehörte ganz dem Studium der Unterlagen. Während er las, notierte er sich einige zentrale Fragen. Warum fanden die Diebstähle immer in Baustellennähe statt? Welches Fahrzeug wurde verwendet? ›Baustellenfahrzeug‹ schrieb er dahinter, mit Ausrufezeichen. Schließlich sollte der illegale Transport ja nicht auffallen. Wie hatten die Diebe das Verladen und Wegschaffen bewerkstelligt? Nicht in Handarbeit, überlegte Paul, das war bei den Mengen nicht möglich. Offensichtlich gab es keinerlei Hinweise darauf, dass der lokale Schrotthandel involviert war.

Hatte man die Kabel über die Autobahn zu irgendeiner nahegelegenen Grenze geschafft? Durch Sachsen? Oder direkter? Er kratzte sich mit dem Bleistift am Haaransatz. Vielleicht konnten die Kollegen beim Zoll nachfragen.

 

Das Telefon klingelte. »Mensch, Hubertus, solche Sehnsucht?«

»Nee, aber Neuigkeiten!«, erklärte der Freund und nuschelte vor Aufregung. »Stell dir mal vor, wir wissen jetzt, wie der Inhalt des Güterwagens abtransportiert wurde. Mit einer Draisine!«

»Was? Mit einer echten Draisine? Und wie haben die die Beute vom Waggon auf das Ding verladen?«

»Da steht so ein Schienenkran, der wird zum Verladen benutzt, und den haben die Kerle einfach auch verwendet. Ist so ein komisches Zwitterding. Mit dem kann man sowohl auf der Straße als auch auf der Schiene fahren. Ich komm mal eben rüber!«

 

Paul Sommer fuhr den PC hoch. Er musste sich jetzt erst einmal ein Bild von der Lage der Ladestraße, den Zufahrtswegen, dem Fundort der Draisine verschaffen, sonst waren alle Überlegungen am Ende nichts wert. Es bedurfte einer soliden Grundlage. Er zoomte sich näher ran. Alles war gut zu sehen. Die Ladestraße, die Gleise 35–41, die Ruine des Stellwerks, hinter der die Kabelstücke abgeschnitten wurden, Lagerhallen, Geräte der Vertragsfirma zur Verladung. »Und wo wurde nun diese Draisine gefunden?«

Hauk zeigte es dem Freund auf dem Monitorbild.

»Wie lang braucht man, um solch eine Ladung vom Waggon auf die Draisine zu verlagern? Und wo genau stand der Schienenkran am Abend vor dem Raub?«

Hubertus Hauk beantwortete geduldig alle Fragen.

»Die Draisine haben die nicht zum Abtransport genutzt«, behauptete Paul plötzlich. »Sieh mal, wo die steht. Da gibt es gar keine Möglichkeit, die Beute weiterzuverladen. Nee, das soll uns nur irritieren. Ich wette, die hatten Insiderwissen. Bahn oder Auftragsfirma oder beides.«

 

»Klaus, wie schön, dass du noch in der Sicherheitsabteilung arbeitest! Ach, in leitender Position. Du, ich hab doch noch was gut bei dir, nicht? Also …«

Und Paul Sommer mutierte zu einem Undercover-Ermittler. Beauftragter zur Durchführung des Qualitätsmanagements mit Schwerpunkt Signalanlagen war seine den neuen Kollegen mitgeteilte Bezeichnung für sein Arbeitsgebiet. Paul Sommer fühlte sich nicht wohl bei der Sache, schließlich lauerten hier viele Fettnäpfchen– nicht auszudenken was passieren würde, wenn er sich verriet. Außerdem gab es noch ein weiteres Problem: Er hatte sich seit Langem mit seinem Selbst arrangiert, wollte kein anderes und befürchtete, dass ihm auch keine andere Identität ›passen‹ würde. Was, wenn er nach kurzer Zeit aufflog?

»Wir haben eine Überprüfungssoftware entwickelt. Um die in den nächsten vier Wochen testen zu können, brauche ich noch ein paar Angaben. Wo genau sind denn die Baustellen, welche Signale sind davon betroffen, wo muss wann und für wie lange um-, neu- oder abgeschaltet werden?«, erkundigte er sich und gab sich einen hoffentlich professionellen Touch.

»Klar, die gebe ich dir, Kollege. Alle Daten, Zahlen usw. Brauche ich nur eine Unterschrift und deine Telefonnummer, wenn wir Rückfragen haben sollten. Dann brenn ich dir schnell eine DVD.«

Sommer geriet ins Schwitzen. Telefonnummer? Doch dann kam ihm der rettende Gedanke. »Meine Unterschrift gebe ich dir, doch die Telefonnummer nützt dir nichts. Von diesem Projekt hängt für die Bahn viel ab. Image und so. Es geht ja um Zuverlässigkeit. Da habe ich nichts zu entscheiden. Wenn es was gibt, wendet ihr euch am besten direkt an die Sicherheitsabteilung. Wenn die glauben, ich müsste es auch wissen, melden die sich dann bei mir.« Kühn gab er die Durchwahl von Klaus an. Dem würde schon was einfallen.

Mit den Dateien und ein paar Akten und Plänen unter dem Arm machte Paul sich auf den Weg ins LKA.

 

Dort fühlte er sich wohl. Umgeben von all seinen Täterfallen. Der spezielle Duft seiner Chemikalien sorgte bei ihm für Wohlbehagen. Seit einiger Zeit schon arbeitete er an einem DNA-Fangstoff mit Fluoreszenz. Natürlich musste es eine DNA werdendie nicht natürlich vorkam, sonst funktionierte die Falle ja nicht, damit man sie gut und mobil nachweisen konnte.

Sommer hatte sich von den Biologen eine synthetisieren lassen. Jetzt stellte sich das Problem, wie er sie dauerhaft an die Kabel bringen konnte. Wenn es regnete und sein Fangstoff einfach abgewaschen wurde, stellten sich ganz neue, ausgesprochen unbequeme Fragen.

Kontaminationspfade, wer konnte mit dem Stoff in Berührung gekommen sein, war er etwa mit dem Oberflächenwasser ins Trinkwasser geraten? Nein, das wollte er sich sparen. Einige Versuchsreihen waren noch nötig– dann war die Falle wohl einsetzbar.

Hubertus Hauk sah wieder vorbei. »Na, wie sieht’s aus. Hast du schon einen Plan?«, fragte er.

»Wenn ich wüsste, wo der nächste Raubzug stattfinden soll, wäre mir schon geholfen. Aber noch gibt es drei potenzielle Orte. Ich kann ja nicht überall gleichzeitig sein«, maulte Paul und verschwieg sein Problem mit der Haftung der DNA auf dem Untergrund.

»Wir haben neue Infos. Restkupfer, Kupferabfälle und andere Buntmetalle werden in Bergkirchen gesammelt. Und…«

»Wenn da was zu holen wäre, hätten die Kerle doch längst zugeschlagen!«, unterbrach ihn Paul grantig.

»Lass mich doch mal ausreden! Für die übernächste Woche ist ein großer Transport dorthin geplant– Kabelreste aus Nauen und Potsdam. So lagert dort plötzlich eine richtig große Menge ein. Das könnte unsere Gang schon reizen, den nächsten Coup dort zu planen!«

»Na ja, wenn das so ist. Ich sehe mir morgen mal alles an.«

»Am Sachstand hat sich nichts geändert. Unter den Augen der Sicherheitsleute, immer in der Nähe von Baustellen, immer Kupferkabel in größerer Menge. Neu ist nur, dass es diesmal auch die privaten Bahnen trifft.«

»Sag mal …«, begann Paul nachdenklich und blätterte die Akte mit den Tatortbildern durch. »Eigentlich haben die doch immer ungefähr die gleiche Menge Kupferkabel geklaut.«

»Bis auf den letzten Raubzug. Da war’s ’ne ganze Waggonladung!«, korrigierte Hauk.

»Sieh mal hier.« Sommer deutete auf eines der Fotos. »Guck mal ganz genau hin. Diese Spuren da– die haben den Waggon nicht mit einem Mal geleert. Die mussten ihn mehrfach ansteuern. Weißt du, ich bin mir sicher, dass diese Jungs ein Transportmittel verwenden, mit dem sie ziemlich genau eine Tonne Diebesgut wegbringen können.«

»Mann! Dann sind die mehrfach wiedergekommen in jener Nacht. Und vom Sicherheitsdienst will keiner etwas bemerkt haben? Ist ja nicht zu fassen!«

»Ich fahre noch mal raus nach Kaltheim und sehe mich um. Mit unserem aktuellen Wissen kann ich mir die Abläufe besser vorstellen und darüber nachdenken, wo sich am besten eine Falle hätte einrichten lassen– morgen sehe ich mir dann den Platz von Bergkirchen an und beginne mit der strategischen Planung.«

 

Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Als Paul Sommer am nächsten Morgen in sein Labor trat, klingelte bereits das Telefon. Missmutig meldete er sich. Ein so früher Anruf konnte nichts Gutes bedeuten.

»Wir haben einen Tippgeber in Sachen Kabelklau!«, erfuhr er aus dem Einbruchsdezernat. »Das Ding soll heute gegen Mitternacht durchgezogen werden. Bei der Baustelle in der Nähe von Frankfurt/Oder, Bahnstrecke etwa 3Kilometer Richtung Berlin. Ey, Trapper, kannst du deine Falle auslegen?«

Paul überlegte. Das Problem mit der Haftung hatte er noch immer nicht gelöst– er würde auf klassische Strategien zurückgreifen müssen.

»Wie lang wird denn da gearbeitet?«

»Bis 16Uhr. Danach hast du freie Bahn bei der Bahn!«, kicherte der andere albern. »Der Polier bleibt manchmal bis 19Uhr.«

»Heute nicht. Sorgt dafür, dass er einen Anruf bekommt, der ihn zu einer Besprechung anderswohin beordert. Ich will nicht, dass jemand vor Ort etwas von meinem Treiben mitkriegt. Was für eine Falle darf es denn sein?«

»Wir dachten an Fangolin!«

»Aha! Ihr habt mal wieder keine Ahnung– und Paul Sommer soll es richten, stimmt doch? Na ja. Ich komme und lege Schlingen aus. Gegen 19:15Uhr bin ich weg und ihr übernehmt.«

»In Ordnung. Und wenn wir einen Tatverdächtigen stellen, also ich meine, was machen wir dann mit ihm?«

Paul schmunzelte. Der Typ war wirklich einer von den Ahnungslosen. »Nehmt KK Voss mit. Der kennt sich aus und weiß, wie das geht.«

»Wir brauchen noch einen Codenamen für die Aktion.«

»Ja, da fällt mir auch schon einer ein: Eierkopp!«

»Ha, ha– ist ja saukomisch«, nörgelte der andere und legte beleidigt auf.

Paul begann sofort mit der Zubereitung seiner Mixturen, schüttete Farben zusammen, nahm etwas Balsam hier und eine wenig Emulgator dort. Rührte, machte Anreibungen, grunzte unzufrieden, verwarf und mischte neu.

Als Hauk ihn am späten Nachmittag abholte, hatte er sein Arsenal in einer Tasche wohl verpackt, trug Karohemd, blaue verwaschene Jacke und entsprechende Hose, derbes Schuhwerk. Nur auf den Hut hatte er nicht verzichten können.

»Na, wie ich sehe, bist du ja bestens vorbereitet!«, lobte der Freund, der ähnliche Klamotten trug.

»Warte mal ab, wie deine Kollegen aussehen, die die Observation übernommen haben!«, unkte der Trapper. »Schließlich wollen wir ja nicht auffallen. Wenn jemand auf den ersten Blick erkennen kann, dass wir nicht auf die Baustelle gehören, ist die Sache gelaufen!«, knurrte Paul. Wehmütig seufzend legte er selbst sein Markenzeichen, den Cowboyhut auf dem Schreibtisch ab. Der würde bei der Aktion nur stören.

Kaum näherten sich Trapper und Polizist der Baustelle, wurden sie von zwei gut gebauten Kerlen angesprochen, die aussahen, als seien sie auf dem Weg zum Fitnessstudio vom Pfad abgekommen.

»Siehst du«, zischelte Paul, »das habe ich mir gedacht. Die fallen doch sofort als Fremdkörper auf.«

»Wird ja bald dunkel«, tröstete Hubertus und nahm sich vor, das Thema ermittlungsangepasste Kleidung bei Gelegenheit anzusprechen.

»Haben Sie sich verlaufen?«, erkundigte sich einer der Möchtegernbodybuilder beinahe fürsorglich.

»Nein, du Eierkopp!«, blaffte Paul zurück.

Sie durften passieren, die beiden in Freizeitsportkleidung zogen weiter.

»Mensch! So was gefährdet den ganzen Einsatz!« Sommer konnte sich nicht so schnell beruhigen.

 

»Es ist normal, dass diese Rollen was Schmieriges an sich haben– aber wenn es klebrig ist, merken die Diebe sofort, dass hier was nicht stimmt. Deshalb war es gar nicht so einfach mit dem Fangstoff. Also: zwei Farben, wegen der Chronologie. Erst hier angefasst, dann da.« Während Paul ein wenig kurzatmig erklärte, präparierte er die untere Seite der riesigen Trommel. Dann löste er den Riegel und drehte die Holztrommel mit Hubertus Hilfe. Beide ächzten dabei und gerieten gewaltig ins Schwitzen. Nun nahm er sich die Bereiche vor, die er bisher nicht erreichen konnte.

»Das Prinzip ist ziemlich simpel. Wo wird ein Arbeiter beim Abrollen anfassen? Am Kabel. Geht nicht, das schafft keiner. Er wird die Rolle drehen. Halt!«, rief er laut und Hubertus zog wie geprügelt die Hand zurück. »Mann! Wenn du da anfasst, bis du ›raus‹. Ich habe keine Lust, schon wieder dich als Dieb zu überführen!«, neckte Paul den Freund. »So, die Trommel ist fertig, jetzt kümmere ich mich ums Kabel. Hier benutze ich den zweiten Stoff. So kann man feststellen, ob die Kontamination von der Rolle oder vom Kabel kommt.« Er bedeckte die Rolle sorgfältig mit einer Plane, dann besprühte er das Kabel mit dem von ihm entwickelten Spray. Ein feiner Auftrag, den niemand bemerken würde. Nach etwa zwei Stunden war alles aufs Beste vorbereitet.

 

»Cäsar 652 für Kupfer 3, bitte kommen!«

»Kupfer 3 hört«, knatterte es ihnen im Wagen entgegen.

»Cäsar 652 hat die Aufgabe erledigt, bitte übernehmen, Kupfer 3.«

»Aha, prima! Und wo genau seid ihr ger…«

»Kupfer 3«, donnerte die Betriebsfunkzentrale dazwischen. »Funkdisziplin halten!«

»Kupfer 3 Ende«, meldete der andere kleinlaut.

»Ja, da sind die streng. Wenn gequatscht wird und ein Kollege einen Notruf absetzen will … nee, nee. Die Leitung muss frei sein.« Hauk startete und fuhr zurück nach Berlin.

»Na, hoffen wir, dass alles klappt. Ich lege mir das Handy jedenfalls auf den Nachttisch!«, meinte Paul zum Abschied und trabte zu seiner Wohnung. Es wurde eine ruhige Nacht. Als der Wecker klingelte, wusste Sommer, dass irgendetwas gründlich schiefgegangen war. Dem Kommissariatsleiter sah man seine Säuernis an. Die Kripo hatte vergeblich die ganze Nacht auf die Diebe gewartet. Es schien, als hätten die Kerle Wind von der Maßnahme bekommen.

»Scheiße!«, maulte Paul, dem klar war, dass man nun seine Fangstoffe schnell und gründlich wieder entfernen musste. Das übernahmen die Kollegen von der chemischen Truppe– zum Glück musste er da nicht selbst Hand anlegen. »Wahrscheinlich sind doch jemandem die beiden Sportler aufgefallen! Zu blöd!«, schimpfte er vor sich hin.

Die Bahnsicherheit übernahm den Abtransport der präparierten Kabeltrommel durch Spezialkräfte, eine Aktion, die vom ahnungslosen Bauleiter mit Unverständnis und Kopfschütteln begleitet wurde. Ein totaler Fehlschlag!

 

Ein Gutes hat es ja, beruhigte sich Paul, so bleibt mir der ganze Tag, um an der DNA-Falle zu arbeiten.

Es musste doch möglich sein …Und schon hantierte er wieder eifrig mit allerlei Substanzen, die das dauerhafte Verbleiben am Ausgangsmaterial sicherstellen sollten.

Zunächst probierte er Waffenöl aus. Er trug es als feinen Nebel auf. Funktionierte nicht, weil es an den Händen haften blieb und der Täter sofort bemerkt hätte, dass mit dem Kabel etwas nicht stimmte. Danach testete er Haarspray. »Mist, das Zeug stinkt ja unerträglich! Bis das verduftet ist, dauert es selbst unter freiem Himmel Stunden! Und es klebt.«

Also auch nicht die Lösung.

Hubertus hörte dem Freund eine Weile beim Fluchen zu. »Ist doch nicht deine Schuld gewesen.«

»Morgen. Was denn?«

»Na, der Fehlschlag. Oder bist du wegen was anderem sauer?«

»Ich brauche eine Substanz, die einen wasserdichten Film bildet und nicht klebt, wenn man darüber streicht. Einiges habe ich schon ausprobiert, nichts klappt so wirklich.«

»Wundpflaster«, murmelte Hauk und zog weiter. »Ich rufe dich nachher mal an!«, rief er über die Schulter zurück.

Paul stand regungslos in seinem Labor. »Wundpflaster! Mann! Genial! Bin gleich zurück!«, rief er in den Flur und sauste in die nächste Apotheke.

Jetzt galt es, die Beipackzettel zu studieren und das ›richtige‹ Pflaster zu finden. Wieder zurück im Labor versuchte er seinen rasenden Puls unter Kontrolle zu bringen. »Benimm dich nicht wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum!«, ermahnte er sich. »Du willst nur einen kleinen Versuch machen!«

Fangstoff-Anreibung dünn aufgetragen, Spray darüber– fünf Minuten Wartezeit, damit das Pflaster trocknen konnte. Dann ließ Paul die Rollos runter, schaltete die UV-Lampe ein, trat ans Waschbecken. Munter perlte das Wasser über sein Präparat. Aber das Beste: Die Lampe bewies, dass nichts von seinem Fangstoff fortgespült wurde. Es funktionierte!

»Hubertus– du, ich habe da eine Idee…«, erläuterte er seinem Freund wenig später am Telefon den neuen Plan.

 

»Wieso ist es denn auf einmal so eilig!«, erkundigte sich Hubertus neugierig, als Paul mit seiner Ausrüstung in den Wagen stieg.

»Geheim ist wohl nicht lange geheim. Deshalb dachte ich mir, wir beide ziehen das durch, und informieren die anderen erst danach. Wir fahren jetzt nach Bergkirchen und sehen uns den Platz gut an. Noch so ein Schuss in den Ofen muss ja nicht sein.«

Gerade als sie in Auffahrt zur Ladestraße einbiegen wollten, kam ihnen der Bauleiter aus Kaltheim in seinem Wagen entgegen, bog nach links ab, ohne sie zu bemerken.

»Schade. Der hätte uns ein bisschen einweisen können!«, meckerte Hauk. »Apropos– weiß eigentlich außer uns irgendjemand von diesem Besuch?«

»Keep cool. Die Sicherheitsleute wissen Bescheid«, lachte Paul und boxte den Freund in die Seite. »Sonst werden wir am Ende noch festgenommen, was?«

 

Das Schrottlager: Kupfer, Kupfer und noch mehr Kupfer! Eine unglaubliche Menge! Hauk fotografierte unauffällig.

»Mann– und die Leute von der Sicherheit haben mir erzählt, dass in den nächsten Tagen noch jede Menge Reste von Signalkabeln dazukommen sollen! Für unsere Gang ist das doch sicher ein Eldorado!«

Auf dem Rückweg überlegte sich Paul schon die neue Strategie.

»Ich werde die Bahnleute bitten, den Riesenhaufen sortieren zu lassen. Signalkabel, Oberleitungen, Kupferblech, Blitzableiter, alte Wasserkessel und so weiter. Die sollen sich eine einleuchtende Begründung dafür ausdenken. Am liebsten wäre mir, wenn am Schluss Häufchen entstünden, etwa 800 bis 1.000 Kilogramm. Wir wissen ja, dass das dem entspricht, was unsere ›Freunde‹ gern abräumen.«

»Weißt du schon, wie du vorgehen willst?«

»Noch nicht genau. Aber die Planung läuft.« Sommer tippte vielsagend gegen seine Stirn. »Wir könnten eine Fangstoffpfütze auslegen. Dann wissen wir wenigstens, wer beim Aufladen geholfen hat. Wer durch meine Suppe läuft, leuchtet.«

»Ja, das ist gut. Mit so einer Information gestaltet sich die Vernehmung ganz anders!«

»Wir können dann auch sagen, wo genau das Auto gestanden hat. Wenn wir die Haufen einzeln präparieren, ist es sogar möglich, festzustellen, wer an welchem Schrott ›gearbeitet‹ hat.«

»Und woher wissen wir, dass sie hier sind? Zugriff funktioniert doch nur, wenn wir den Raubzug mitkriegen.«

»Ja«, murmelte Sommer. »Das ist ein Problem.« Danach hüllte er sich in Schweigen.

Es war so lange still im Wagen, dass Hauk erschrocken zusammenfuhr, als Paul plötzlich »So geht’s!« rief.

»Wie?«

»Mit einem Photoionenkathodenelektronenvervielfacher.«

»Hä?«

»Na, einer Fotozelle. Der Platz ist ja beleuchtet. Ein Auto ohne eingeschaltete Scheinwerfer würde mehr auffallen als eines mit– alle fahren da mit Licht. Um an den Haufen zu kommen, muss man links am Lagergebäude abbiegen. Dabei fällt das Scheinwerferlicht auf die Wand. Dort bringen wir die Fotozelle an, die dann ein Signal an die Kripo weitergibt.«

»Alles schön und gut. Wir wissen aber nicht, wie lang es dauert, bis die Typen zuschlagen. Wenn wir Pech haben, ist der ganze Platz bis dahin mit deinen Fangstoffen kontaminiert und nichts wird geklaut.«

»Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Wir werden den Druck erhöhen.«

»Aha!«

»Unsere Diebe kommen nur an den Tagen Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Kein einziger Raub am Wochenende, am Montag oder Freitag. Also werden wir ihnen einen Termin schmackhaft machen. Wir lassen kolportieren, dass der Schrott aus Bergkirchen am Freitag abtransportiert wird. Das können die sich einfach nicht entgehen lassen!«

 

Am nächsten Abend trafen sich Paul und Hubertus in der kleinen Kneipe um die Ecke auf ein schönes Steak und ein Bier.

»Bloß gut, dass wir beide nicht verheiratet sind. Unsere Frauen würden sonst was denken, wenn wir abends dauernd irgendwo zusammenglucken.«

»Die würden glauben, wir geben uns gegenseitig ein Alibi für Seitensprünge!«, vermutete Paul. »Nee, ist schon besser so.«

Während sie auf ihr Abendessen warteten, breitete Paul eine Skizze auf dem Tisch aus.

»Also– hier sind die Haufen. Jeder wird von mir mit einer speziellen DNA präpariert.«

»Jeder mir ’ner eigenen?«

»Genau. Dein Tipp mit dem Wundpflaster war übrigens genial. Klappt bestens. So können wir jedem Haufen einem Fangstoff zuordnen. Die Fotozelle kommt hier an die Wand«, er deutete auf das eingezeichnete Lagergebäude. »Die verrät uns auch, ob ein Fahrzeug gekommen ist oder mehrere. Das Signal setzt dann die Kripo in Bewegung. Unsere Leute sollen diesmal deutlichen Abstand zur Baustelle halten! Außerdem werde ich die Zufahrt der Ladestraße vorbereiten. Sicher ist sicher. So entgeht uns keines der Fahrzeuge. Und es wäre sicher ein kluger Schachzug einem einen Bonbon ans Hemd zu kleben. So geht er auf keinen Fall verloren und unsere Männer müssen nicht so nah ran.«

»Sicher. Kein Problem. Da tritt einer von unseren Leuten mal kurz vor und erledigt das. Die Diebe sind ja so beschäftigt, die werden das kaum bemerken«, höhnte Hubertus. »Jetzt wirst du gänzlich zum Trapper.«

»Ach was! Sieh mal, hier auf dem Weg zur Ladestraße ist ein Engpass. Gebüsch auf beiden Seiten. Wir müssen an der Stelle hier«, er umkringelte ein Areal, »eine Art Baustelle errichten. Eine Langsamfahrstrecke. Im Gebüsch sitzt einer von unseren Leuten, hat ein GPS an einer Stange und klebt es in einem günstigen Moment unbemerkt an den LKW. Dann finden wir sie, selbst wenn der Zugriff mal wieder in die Hose geht!«

Hauks Miene zeigte Skepsis. Sommer schob die Akte über den Tisch.

»Wir werden uns als Arbeiter verkleidet auf die Sammelstelle begeben. Unser Auftrag: Sortieren des Schrotts. Legende ist da drin. Lies es sorgfältig. Wenn wir fertig sind, wird präpariert.«

»Sag mal, spinnst du? Ich sehe doch nicht aus wie einer, der viel mit den Händen arbeitet!« Er streckte seine gepflegten Hände vor. Keine Schwielen, keine Arthrose, keine Hornhaut.

»Das ist kein Problem«, widersprach Paul seinem Freund und schob seine Akte zur Seite, um Platz für den Teller zu machen. »Du wirst einfach Handschuhe tragen!«

 

Den Widerstand und das Misstrauen von Hans Scholz, dem Bauleiter, galt es noch zu überwinden, dann konnten sie mit der Arbeit beginnen. Die regulären Kräfte– drei Mann– gingen ihren eigenen Aufgaben nach, ohne die beiden Neuen auch nur eines Blickes zu würdigen.

Gegen Mittag sah Scholz bei ihnen vorbei, erkundigte sich nach dem Fortschritt der Arbeiten.

»Ihr kommt ja recht gut voran!«, lobte er. »Ist auch besser, wenn ihr euch ordentlich ins Zeug legt. Ihr wisst schon, gespart wird überall und zuerst immer am unteren Ende der Nahrungskette!« Sein Lachen war rau und ungeübt. »Mir ist allerdings nicht so ganz klar, wozu diese Aktion stattfindet.«

»Sortiert lässt sich das Zeug besser weiterverkaufen. Der Kunde kann bestimmen, welche Art Schrott er erwerben will und muss sich nicht selbst ans Sortieren machen. Gibt mehr Geld!«

»Na, wenn das so ist, dann will ich euch nicht von eurem Tun abhalten. Ich muss noch zu einer anderen Baustelle. Tschüss!«

Die beiden konnten in aller Ruhe weiterarbeiten.

Für 17Uhr war die Übergabe verabredet, alle Exekutivkräfte sollten eingewiesen werden. Die Zusammenarbeit von Bundespolizei und Kripo war nicht Paul Sommers Angelegenheit, das mussten andere regeln.

Er war nur der Trapper. Schon bald waren sie allein auf dem Schrottplatz. Die Engstelle hatten sie mit ein paar Handgriffen eingerichtet, das Gebüsch war uninteressant genug, um niemanden zu einem zweiten Blick zu verleiten. Ein guter Platz für den Mann mit dem Bonbon.

»Fertig?«

»Fertig!«, bestätigte Sommer und fixierte ein letztes Mal seine DNA-Falle mit Pflasterspray.

 

Hubertus Hauk meldete »Cäsar 652 an Zentrale, bitte kommen«

»Zentrale hört«

»Krücke 1 kann jetzt übernehmen, wir sind fertig. Cäsar 652 Ende.«

Sie fuhren zurück. Es galt, das Auto nun mit allem auszustatten, was sie zur Überführung der Täter brauchten.

»Mann. Morgen wird mir jeder Knochen wehtun!«, jammerte Hauk und fuhr sich stöhnend mit der Hand an die Lendenwirbelsäule, versuchte sich zu strecken. »Mist!«

»Wenn wir die Kerle heute schnappen, dann wirst du kaum Zeit haben, die Schmerzen zu bemerken«, neckte Sommer, packte Wattestäbchen und sterile Präparategläser ein.

»Komm, wir gehen was essen. Seit dem Frühstück haben wir nur eine Stulle und ein Wasser gehabt.«

»Hast du eigentlich deinen Pieper mit? Und eingeschaltet?«

»Ach, den brauche ich doch nicht. Handy ist immer an«, gab Hauk zurück.

»Die Pieperfrequenz ist sicherer.«

Besserwisser, dachte Hubertus und schaltete demonstrativ den Pieper ein. »So. Zufrieden? Können wir jetzt was essen gehen?«

Nach dem Essen– noch immer keine Meldung. Kein Klingeln des Handys, kein Piepersignal.

»Na komm, ich brauche mal ’ne Mütze Schlaf!« Hauk gähnte und massierte sich den Rücken. »Mann!«

Er brachte Paul nach Hause. Als Sommer am nächsten Morgen erneut vom Wecker aufgeschreckt wurde, war sein erster Gedanke: Es hat wieder nicht funktioniert! Gegen 6Uhr war er schon bereit, an einen Maulwurf in den eigenen Reihen zu glauben. Alles war doch perfekt vorbereitet gewesen! Das Klingeln des Telefons eine Stunde später war wie eine Erlösung.

»KHK Blohm. Guten Morgen, Herr Sommer. Wir schicken Ihnen einen Wagen. Sonderrecht. Wir erwarten Sie in Kleinfelde. Und es eilt.«

Kaum sechs Minuten später stand der Wagen vor Sommers Haustür. Mit aufgesetztem Blaulicht. Trotz des Sonderrechts brauchten sie eine Stunde bis Kleinfelde. Und die ganze Zeit über dachte Paul darüber nach, was diese Eile, dieser Aufwand zu bedeuten hatten. Wieder ein Tiefschlag und KHK Blohm wollte sich mit ihm darüber unterhalten, woran es diesmal gelegen hatte? Nein, dann hätte er mich einfach irgendwohin bestellt, aber nicht abholen lassen.

Als sie auf den Vierseitenhof rumpelten, standen Blohm und Hauk vor einer Schuppentür und erwarteten ihn.

»Ey, hat alles geklappt!«, rief Hubertus ihm fröhlich zu.

»Haben Sie alles dabei, was Sie zum Nachweis benötigen?«, fragte Blohm und atmete erleichtert auf, als Sommer nickte und auf seine Tasche zeigte.

»Wir haben sieben Verdächtige vorläufig festgenommen. Eine Frau und sechs Männer. Geholfen haben uns die Bonbons, die wir kleben konnten. Prima Idee. Einen LKW und einen PKW haben wir erwischt und konnten so mühelos folgen. Das Kupferparadies ist hier in der Nebenscheune. Bei der Festnahme gab es ein kleines Gerangel– nichts Ernstes.«

»Jetzt bist du dran! Wir nehmen die jetzt alle mit und wenn du die Täterüberführung gleich hier machst, können wir die Bande ganz gezielt vernehmen«, freute sich Hauk.

Die Frau saß mit trotzig vorgerecktem Kinn auf dem Beifahrersitz des LKW. Erste Vernehmungen hatten ergaben, dass sie der Kopf der Bande sein sollte.

»Ihr gehört der Hof hier. Also, korrekterweise muss es heißen: ihren Eltern. Die beiden sitzen völlig verschüchtert in der Küche. Sieht nicht so aus, als hätten die was von dem gewusst, was ihre Tochter hier durchgezogen hat«, informierte Hubertus den Freund.

»Na gut. Dann bitte doch die Dame und die verdächtigen Herren in die dunkle Scheune. Ich mache schon mal meine ›Waffen‹ klar.«

Drei UV-Lampen. Paul nahm eine in jede Hand, Hubertus bekam die dritte.

»Du leuchtest auf den Boden, bevor jemand reinkommt«, wies Paul ihn an.

Hauk tat, wie ihm geheißen worden war. Nichts. Gar nichts. Er wollte schon bestätigen, dass das Umfeld clean sei, da entdeckte er doch noch ein schwaches Leuchten. Er sah nach– und fand ein altes Nylonhemd, aus den 1960ern. Paul grinste. »Furchtbar die Dinger. An die erinnere ich mich noch mit Grausen. Jedes Deo versagte!«

Die Verdächtigen traten ein. Paul richtete die UV-Lampe auf die Personen, die sofort in gelb, rosa, grün und blau leuchteten.

»Wo waren Sie denn letzte Nacht unterwegs?«, witzelte Blohm. »Muss ja ’ne tolle Party gewesen sein!«

Feindselige Stille füllte die Scheune bis unters Dach. Es war, als dünsteten die Sieben giftige Dämpfe aus. Paul imponierte das nicht, er stellte sich hinter die Festgenommenen. »Heben Sie bitte Ihre Füße hoch. Einen nach dem anderen.«

Und hier gab es deutliche Unterschiede. Paul kontrollierte die Hände: Außenfläche, Innenfläche. Nur einer der Tatverdächtigen leuchtete in zartem Blau.

»Hier sind die Handschuhe, die die Leute getragen haben. Wir haben die Namen draufgeschrieben.« Blohm reichte Trapper Paul die Plastiktüten mit den Handschuhen, jedes Paar in einer Tüte.

Vier der Paare leuchteten rosa. »Die gehören zu den ›Handwerkern‹«, stellte Sommer fest. »Die haben den Schrott aufgeladen.«

»Bei einem der Herren leuchten die Schuhsohlen gelb, bei einem ist gar nichts«, staunte Hauk.

»Das könnten die beiden sein, die Schmiere gestanden haben«, meinte Blohm.

»Nein. Der mit den sauberen Sohlen ist überhaupt nicht ausgestiegen. Das ist der Fahrer des LKW. Gut, der andere Herr hat kontaminierte Schuhsolen, aber Hände und Handschuhe sind sauber. Der könnte tatsächlich Schmiere gestanden haben«, korrigierte Paul.

»Ist doch komisch, dass bei der Frau nur die Sohle des einen Schuhs was abbekommen hat, nicht?«, wunderte sich Hubertus.

»Ja. Es gibt noch viele offenen Fragen. Gehen wir’s an.« Paul begann damit, Proben von den Sohlen, der Kleidung und den Händen zu nehmen.

»Wie lang wird es denn dauern, bis Sie Ergebnisse haben?«, erkundigte sich Blohm, der sich Mühe gab, es beiläufig klingen zu lassen, doch Paul konnte dennoch hören, wie ungeduldig der KHK war.

»Geben Sie mir vier bis fünf Tage. Wenn es fixer geht, schicke ich den Bericht auch früher. Ihre Täter sind gefasst und überführt sind sie auch schon. Es geht nur noch darum, die Rolle der einzelnen Beteiligten zu klären– und vielleicht plappern die ja im Verhör munter vor sich hin und Sie brauchen meine Ergebnisse nicht mehr als Argumentationshilfe.«

 

Drei Tage später lieferte Paul Sommer seinen Bericht persönlich bei KHK Blohm ab.

»Wir sind schon gut vorangekommen, wie Sie erwartet hatten, Herr Sommer. Frau Scholz war tatsächlich der Kopf der Bande.«

»Scholz? Aber das ist…«

»Genau. Der Name des Bauleiters! Sie ist seine geschiedene Frau. Seit einiger Zeit erschien sie ständig auf seinen verschiedenen Baustellen. Angeblich, weil wichtige Dinge besprochen werden mussten. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter, im besten Problemalter und einen Sohn, der in die Stricherszene abzurutschen droht. Gesprächsbedarf genug. Manchmal behauptete sie auch, dass sie ihn noch immer liebe und nicht wisse, wie sie ohne ihn klarkommen solle– das war ihm gleichermaßen angenehm und lästig. Jetzt glaubt er, dass sie nur vorbeikam, um die Baustellen auszuforschen. Tja. Er hatte sie zu keiner Zeit im Verdacht. Was steht in Ihrem Bericht?«

»Die farbigen Aktivstoffe haben die richtigen Informationen gegeben, die habe ich mit der DNA-Untersuchung bestätigen können. Bei einer Person gab es keinen Nachweis. Bei Person 2 hatten wir einen Nachweis an den Schuhsohlen, nicht an Händen oder Handschuhen. Frau Scholz dito.«

»Wieso war denn nur einer ihrer Schuhe kontaminiert?«

»Ach, manchmal ist die Erklärung einfach. Der LKW war schlicht breiter als die sonst benutzten Leihtransporter. Deshalb war die Spur zu knapp präpariert. Die Reifenspuren belegen das. Sie ist beim Aussteigen nur mit dem einen Fuß in die Spur getreten.«

»Hm.«

»Bei den Personen 4–7 waren die Sohlen positiv. Handschuhe und Hände ebenfalls. Fangstoff 1 und 2 bei allen ›Handwerkern‹. Bei einem war die gesamte Kleidung voller Fangstoff, das muss der gewesen sein, der von oben den Schrott runtergereicht hat.«

»Bis zum nächsten Mal«, verabschiedete sich KHK Blohm freundlich. »Sie haben tolle Arbeit geleistet!«

 

Frau Scholz und ihre Bande hatten freie Kost und Logis in einer der brandenburgischen Justizvollzugsanstalten. Ob Herr Scholz seinen Kindern ein Abrutschen in die Stricherszene und ein Abgleiten in pubertäre Krisen ersparen konnte, ist nicht bekannt.

Der Weg des Kupfers konnte nicht vollständig aufgeklärt werden– nur ein Teil der Gelder wurde aufgespürt.

 

DNA-Fallen: Täterfalle unter Verwendung von DNA. Das genetische Material wird synthetisch hergestellt, damit sichergestellt ist, dass es nicht aus einem natürlichen Vorkommen stammt. Damit sind Verwechslungen ausgeschlossen. Neue Methode und bislang nicht so verbreitet wie die klassischen Fangstoffe. Inzwischen kommt auch ›digitale DNA‹ zum Einsatz. Aufgetragen werden die winzigen Datenplättchen mit einer Flüssigkeit, die aushärtet. Selbst Feuer oder heftige mechanische Einwirkungen können den Plättchen nichts anhaben.

Auch eine speziell hergestellte Mischung wird manchmal als DNA-Falle bezeichnet, was aber in diesem Zusammenhang nur bedeutet, dass die Mischung einmalig und daher eindeutig identifizierbar und zuzuordnen ist.