Täterfallen

 

»Paul? Pauhaul! Wo steckt du denn?«

Der Mann, den die Kollegen bei der KT (Kriminaltechnik) respektvoll Paule und die von der Schutzpolizei Trapper nannten, hob misslaunig den Kopf. Er schob den speckigen Lederhut hin und her, bevor er grantig fragte: »Hier! Wer will was von mir?«

»Ach, da steckst du! Dein Westernhut ist gerade noch zu sehen!«

»Und?« Paul Sommer reagierte empfindlich. Wie immer, wenn jemand auf seinen Hang zum Western anspielte. Filme gucken war für die meisten ja noch in Ordnung gewesen, der original amerikanische Hut, den er nur zum Schlafen absetzte, auch. Doch als neulich rauskam, dass er am Wochenende Line Dance… Da war das Getuschel in Gang gekommen. Jeder fühlte sich bemüßigt einen blöden Kommentar abzugeben, Paul hatte sich gewaltig darüber geärgert und war nun in Alarmbereitschaft.

»Was machst du denn da?«

Paul lugte über die Kante der Arbeitsfläche. »Aufräumen!« Er kam aus der Hocke hoch und runzelte die Stirn. »Hubertus Hauk. Du kommst doch nicht ohne Grund zu mir.«

»Messerscharf kombiniert«, lobte der Polizist, »ich bin stolz darauf, mit dir befreundet zu sein!« Hauk lehnte sich an eines der Regale und verschränkte die Hände über dem eindrucksvollen Bauch.

»Pass bloß auf, dass du mit nichts in Berührung kommst. Du weißt schon, dass du sonst leuchtest wie ein Christbaum.«

»Ja, ja– schon klar. Deine Fallen sind mir schließlich nicht neu. Woran arbeitest du gerade?«

»An diesem Speditionsdiebstahl. Bei Kramer. Habt ihr doch aufgenommen, nicht? Zum dritten Mal in zwei Monaten sind Lastwagen voll mit ›Weißwaren‹ entwendet worden. Wenn ständig Trockner und Waschmaschinen gleich wagenladungsladungsweise verschwinden, hat die Versicherung irgendwann keine Lust mehr, den Schaden zu regulieren. Ist ja logisch. Die wittern dann Eigenverschulden oder– im schlimmsten Fall– Mitbeteiligung.«

»Was wohl bedeutet, dass die Spedition gern kooperiert hat«, grinste Hauk, der wusste, dass das nicht unbedingt immer der Fall sein musste.

»Yupp.«

»Na, eröffnet ja ganz andere Möglichkeiten, wenn die mit auf dem Klavier spielen. Hast du die Diebe geschnappt?«

»Was glaubst du?«

»Du hast! Sehe ich schon am Leuchten in deinen Augen. Fahrtenschreiber?«

»Genau. Haben wir unsere Modelle eingebaut. Den zweiten Fahrtenschreiber hat keiner der Fahrer bemerkt. Tja– und nach der Auswertung der Scheiben war alles klar.«

Über die Kleinarbeit verlor er kein Wort. Der Fahrer des einen LKW hatte seine Fracht 4,5 Stunden lang durch die Landschaft gekurvt, bevor er dann fast eine Stunde vor den Messehallen ›geparkt‹ hatte.

»Abladeort identifiziert?«

»Logisch. Und wir wissen auch, dass mindestens drei Leute abgeladen haben müssen. Der Rest ist nicht mehr unser Bier.«

»Saubere Arbeit«, lobte Hauk.

»Hm. Du bist ja sicher nicht hier, um mich nach dem Anti-Knitter-Spülprogramm der Waschmaschinen zu fragen?«

Hauke wand sich. »Ich weiß ja, dass du viel auf deinem Schreibtisch liegen hast …«

»Was dich aber nicht davon abhalten wird, noch mehr draufzupacken!«, grummelte Paul.

»Na ja– wir haben schon wieder eine Anzeige gegen unbekannt aus dem Klinikum. Da gibt es mal wieder eine diebische Elster. Ist schlecht für das Arbeitsklima auf der Station, klar, aber auch fürs Image des Hauses, wenn die Patienten immerzu rumlaufen und allen erzählen, dass sie beklaut wurden, während sie gerade wehrlos auf dem OP-Tisch lagen oder mal eben zur Toilette waren!«

»Diebereien in überschaubarer Klientel sind immer ein Problem.«

»Eben. Tatsache ist auch, dass das schon länger so geht. Ich war gerade beim Chef der Verwaltung.«

»Wie lang?« Paul hatte schon einen Block und einen Stift in der Hand. Hauk registrierte zufrieden, dass der Freund eifrig mitschrieb.

»Seit Monaten. Mit schöner Regelmäßigkeit.«

»Warum haben die denn nicht gleich reagiert?«

»Gute Frage. Die habe ich auch gestellt. ›Ach ja, Polizei im Haus, das haben wir nicht so gern, ist ja für unsere Patienten nicht unbedingt beruhigend, wenn Beamte in Uniform auf der Station unterwegs sind‹– du weißt schon, das Übliche. Dabei sind wir sowieso ständig dort, weil wir ja die Patienten nach Überfällen und so befragen müssen. Also, um es kurz zu machen: Sie hatten einen konkreten Verdacht gegen einen jungen Arzt, der mittlerweile weg ist. Nach kurzer Pause haben die Diebstähle wieder angefangen.«

»Hm. Da scheint sich derjenige aber sehr sicher zu fühlen.«

»Nun, es ist eine geriatrische Station. Demenzkranke liegen dort natürlich auch. Vergesslichkeit ist allgemeines Problem unter den Patienten. Wenn man die befragt, wissen sie nicht, wann sie ihre Börse zum letzten Mal in der Hand hatten, ob und wie viel Geld drin war, oder die EC-Karte im Seitenfach steckte… Ist eben schwierig. Meist sind es die Angehörigen, die merken, dass was fehlt.«

»Ganze Börse weg? Nur ausgeräumt? Alles Geld– oder nur bestimmte Scheine? EC-Karte ebenfalls geklaut?«, fragte Paul im Stakkato.

»Geldbeutel sind in wenigen Fällen verschwunden, meist wurden nur Scheine entnommen, kleine, wenn große drin waren, hat der Täter sie stecken lassen. EC-Karten wurden nicht entwendet oder in den Fällen, in denen sie mit dem Portemonnaie verschwanden, nicht benutzt.«

»Gut.«

»Insgesamt handelt es sich um 17Diebstähle! In sechs Monaten!« Hubertus Hauk spürte, wie ihm die Zornesröte bis unter den Scheitel stieg. »Polizei im Haus ist nicht gut fürs Image– aber einen Dieb kann man offensichtlich doch eine ganze Weile ertragen! Mann!«

»Ach, Hubertus. Ihr seid eben leicht zu erkennen. Grün wie Fröschlein zwischen den weißen Kitteln. Und bewaffnet! Schau, wenn die Bösen verpflichtet wären Schwarz zu tragen, würden sie auch viel mehr auffallen! Vielleicht kann man da mal ein Gesetz…« Paul Sommer grinste.

»Bald ist Ostern. Du weißt selbst, dass vor den Feiertagen die Quote immer ansteigt. Kannst du nicht gleich mitkommen? Du hättest was gut bei mir!«

»Hubertus! Bei dir habe ich schon so viel gut, das kannst du bis an unser beider Ende nicht mehr abgelten!«

»Paule– ich sehe doch, dass du längst Feuer gefangen hast. Gib deinem Jagdtrieb lange Zügel und komm!«

»Muss ja klappen, wenn ich mit einem auf die Jagd gehen soll, der Hubertus heißt!« Paul rotierte einmal um die eigene Achse. Seine grauen Augen huschten wieselflink über Regale und Schränke. Hinter seiner Stirn fasste er zusammen, was er benötigen würde. »Na gut. Weil du so lieb bittest. Ich brauche Geld!«

»Ich auch!« Hauk schmunzelte triumphierend. Er hatte es doch gewusst, Paul würde schon anbeißen!

»Die übliche Stückelung. Je zweimal Fünf-, Zehn-, Fünfzehn und Zwanzigeuroscheine. Bring die vorbei und wir legen los.«

Hubertus nickte dem Freund zu und stürmte die Treppe im LKA hinunter. »Fünf, zehn, fünfzehn und zwanzig Euro. Das dürfte ja nun kein Problem sein!« Er stutzte. »Mann! Dieser Scherzkeks! Hat er mich doch schon wieder geleimt. Fünfzehneuroscheine. Ha! Ha!« Typisch Paul, wenn der gute Laune hatte, musste man mit allem rechnen. Bloß gut, dass er die Bestellung nicht schon telefonisch durchgegeben hatte. Glück gehabt!

 

Als Hubertus nach zwei Stunden wieder bei Paul antrabte, hatte dieser bereits seine Zauberflüssigkeiten vorbereitet.

»Hier. Ich hab schon mal die Anreibung hergestellt.«

U-Acetat, las Hubertus auf der Pulverflasche. Aha, dachte er, nun bin ich der Einzige, der wenigstens einen der Fangstoffe mit Namen kennt.

Für die Schutzpolizei gab es keine chemischen Bezeichnungen. Sie erfuhren nur, dass Fangstoff 1, Fangstoff 2 oder Fangstoff 3 zum Einsatz kommen sollten. Sommer hatte jede Menge dieser Fallenmaterialien und machte ein großes Geheimnis um deren Zusammensetzung.

»Ich habe diese Zusammensetzung gewählt, weil das mit der Falle ja nur funktioniert, wenn mein Stoff normalerweise an jenem Ort nicht vorkommt. In einem Krankenhaus mit jeder Menge Chemie überall muss man das gut planen, sonst haben wir am Ende gar nichts erreicht, aber alles verraten!«

»Klar«, stimmte Hauk zu, das war einzusehen.

Früher hatte Paul Sommer gern Ninhydrin oder Pyrogallo verwendet. Doch seit klar war, dass Ninhydrin krebserregend und Pyrogallo zu unspezifisch war, weil es sich bei Kontakt mit Sauerstoff viel zu bereitwillig braun verfärbte, konnte er die beiden natürlich nicht mehr einsetzen. Aber glücklicherweise stand ihm ja ein ganzes Arsenal anderer Substanzen zur Verfügung: Auramin, Fuchsin … Paul nahm einen kleinen Karton mit Geldbörsen aus dem Schrank, verkündete: »Ich hab da schon mal was vorbereitet!«, und lachte breit über diesen Hobbythek-Spruch von Jean Pütz. Zum Schluss drückte er Hubertus Hauk noch ein Knäuel Einweghandschuhe in die Tasche. »Du weißt schon: Sonst wirst du am Ende noch als unser Täter abgeführt!«, gab er ihm freundschaftlich mit auf den Weg.

 

Schon am nächsten Vormittag kam der Anruf. »Eine der Börsen ist echt weg. Liegt nicht mehr auf dem Nachttisch.«

»Ha! Bin schon auf dem Weg. Du bist doch vor Ort, oder? Ich kann ja schließlich niemanden festnehmen, da braucht es schon einen von der Exekutive!«

»Logisch. Ich warte beim Verwaltungsdirektor auf dich. Herrn Franz Jülich.«

Rasch griff Paul Sommer nach seinem ›Hebammenköfferchen‹. Durchaus passend für einen Einsatz im Klinikum, fand er, und fuhr dorthin.

Kaum eine halbe Stunde später saß er in einem lichtdurchfluteten Raum. Alles war unnatürlich aufgeräumt, jedes Ding schien einen festen Platz zu haben, selbst auf dem Schreibtisch herrschte penible Ordnung. Sommer waren Leute mit so ordentlichen Schreibtischen von jeher verdächtig. Wer arbeitet, lebt immer eine wenig im Chaos, war sein Leitspruch. Der Verwaltungschef zögerte. Paul Sommer kannte diese Phase. Und sie nervte ihn gewaltig. Ungeduldig wippte er mit dem rechten Fuß, während der Mann ihm auseinanderzusetzen versuchte, warum man nun doch besser nicht gegen den Dieb vorgehen sollte.

»Ich glaube, wir können das hier abkürzen!«, fiel er ihm ins Wort. »Es ist im Grunde sehr einfach. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie weiterhin einen Dieb dulden wollen, der langfristig dem Image des Klinikums mehr schaden wird, oder ob ich nun den Kerl identifizieren soll, samt einem eventuellen Artikel in der lokalen Presse über die Ergreifung des Täters.«

»Wollen Sie wirklich einen Straftäter dulden?«, setzte Hauk erstaunt nach. »17 Mal hatte er schon Erfolg!«

»Na gut– aber verhalten Sie sich so unauffällig wie nur möglich! Es muss ja nicht gleich jeder mitkriegen, dass jemand festgenommen wird!«, stimmte Herr Jülich unglücklich zu.

Noch haben wir ihn gar nicht, dachte Paul und setzte siegessicher hinzu: Aber gleich.

 

Die Modalitäten der Befragung waren fix geklärt.

Paul Sommer würde als Mitarbeiter der Abteilung Arbeitsschutz vorgestellt, der im Auftrag des Klinikums nach Verletzungen an den Händen der Mitarbeiter suchte, um gegebenenfalls andere Handschuhe zu bestellen. Der Trapper mit Lederhut, Weste und Cowboystiefeln entsprach dabei vielleicht nicht unbedingt den Vorstellungen der Mitarbeiter, da aber niemand so genau wusste, was man in dieser Abteilung tatsächlich erforschte oder entschied, war das wohl zweitrangig.

Ihm wurde ein kleiner Besprechungsraum zugewiesen– Paul Sommer brachte seine Schwarzlichtlampe in Startposition. Die Tür zum Nebenraum blieb angelehnt, so konnte Jülich Ohrenzeuge der Gespräche werden. Die Klinikverwaltung wies die Stationsschwester an, nach und nach jeden Kollegen in diesem Raum vorbeizuschicken.

Susanne, der Sonnenschein der Station, war die erste.

»Haben Sie sich in letzter Zeit Verletzungen während der Arbeit zugezogen?«

Susanne betrachtete prüfend ihre schmalen Hände. »Nein?«, antwortete sie unsicher.

»Sehen Sie, es ist wichtig, dass die Handschuhe, die wir einsetzen, unser Personal auch effektiv schützen. Sollten sie bei der geringsten Belastung reißen oder keinerlei Widerstand bieten, wechseln wir den Anbieter. Wir wollen ja nicht, dass sich jemand infiziert.«

Susanne nickte. Drehte ihre Hände im Licht des Fensters hin und her, zog die Augenbrauen hoch, überlegte angestrengt. Schließlich wollte sie keine falsche Antwort geben. Doch dann rang sie sich endlich durch. »Nein. Ganz sicher nicht!«

»Gut!«, ließ Paul sie wissen. »Danke.«

So erging es ihm auch bei den nächsten Mitarbeitern. Keiner konnte sich an eine Verletzung oder gar größere Wunde erinnern.

»Nee! Ick hab mir nich verletzt. Schon ewig nich mehr. Ick pass da jut auf, man weiß ja nie, wat man sich da wechholt.«

»Sind Sie sicher?«

»Aber logisch. Det müsst ick ja wohl am besten wissen.«

»Darf ich mal sehen?«

Lächelnd überließ die Schwester dem fremden Mann ihre Hände.

»Da, da ist ein winziger Ritz.«

»Wo?« Klara guckte genau hin. »Tatsache. Da is wat. Aber det is ja so winzig, dat is kein Problem.«.

»Behalten Sie das aber sicherheitshalber im Auge«, warnte der Trapper ganz rollenkonform. »Wenn sich die Wunde in den nächsten zwei Stunden entzünden sollte, kommen sie, ohne zu zögern, wieder zu mir.«

Klara nickte verunsichert und huschte eilig durch die Tür.

»Die nächste, bitte!«, rief sie der Kollegin schnell zu und war schon über den Gang verschwunden.

Viola Bruch sah aus, als wünsche sie sich weit weg von Sommer und diesem Raum. Die junge Frau wirkte seltsam. Sommer hätte nicht sagen können, woran er das festmachtesie war einfach nicht wie die anderen. Bauchgefühl.

Beiläufig begann der Trapper ein Gespräch mit ihr. »In den letzten Monaten soll ja ziemlich viel Geld verschwunden sein. Ist ja sicher nicht angenehm, auf einer solchen Station zu arbeiten. Da verdächtigt jeder jeden, oder?«

Viola antwortete empört: »Na, stellen Sie sich mal vor, die bezeichnen uns schon als Klaustation! Toller Titel! Da muss man vorsichtig sein, wenn man mal einem Patienten das Geld für die Telefonkarte aus dem Geldbeutel klaubt.«

Der Trapper zog die Schwester ins Vertrauen. »Ich bin gar nicht vom Arbeitsschutz. Ich komme von der Polizei. Vielleicht können Sie mir bei meinen Ermittlungen ein bisschen weiterhelfen?«

Ihr Augenaufschlag: unschuldig und harmlos. »Würde ich ja gern. Schon weil Sie so ein schmucker Mann sind. Aber leider habe ich gar nichts davon bemerkt– nur immer das Gezischel hinterher.«

»Haben Sie selbst auch schon mal Geld von Patienten aufgehoben und auf den Nachttisch zurückgelegt? Fällt ja gelegentlich was runter, ohne dass der Patient etwas davon bemerkt.«

»Ist mir nicht erinnerlich.«

Aha, jetzt mauert sie mit Worten. »Sie haben mir beim Reinkommen Ihre Hand gegeben.«

»Und Sie haben keine Wunde entdeckt!«

»Hätte ich denn eine finden sollen?« Mann, dachte Sommer, wenn uns einer hört, glaubt der sofort, das ist ein heißer Flirt. Viola schien es nicht zu stören und den Direktor im Hintergrund hatte er fast vergessen.

»Keine Verletzung– nicht mal ein Kratzer.« Sie wedelte fröhlich mit ihren Händen durch den Raum.

Paul Sommer griff zu. Sah ganz genau hin– und meinte dann: »Dies Verfärbungen hier, wo kommen die denn her?«

Viola zog ihre Finger zurück und guckte interessiert auf die kleinen Flecken. »Was weiß ich denn, was das ist«, pampte sie und formte einen Schmollmund.

»Braunschwarz?«

»Hier kommt man mit allem Möglichen in Kontakt. Vielleicht ist es ja auch von den Walnüssen, die ich geknackt habe. Kann doch sein!«

Aha, Erklärungsdruck, dachte Sommer, ich bin auf der richtigen Fährte! Er wusste natürlich genau, dass dieser schwarzbraune Farbton nicht von Nüssen kam– der stammte von seinem Fangstoff! Ziemlich lang anhaftend, das wusste er aus eigener Erfahrung. Er musste seine Hände mit Bimsstein bearbeiten, um das Zeug wieder abzubekommen, wenn er aus Versehen mal in Kontakt damit gekommen war. Da ging die Haut immer gleich mit ab.

»Sie haben einen Garten?«

»Nein. Wir haben für einige der Patienten Nüsse geknackt. War ein Geschenk von Frau Wagner, die hat Walnussbäume.«

»Hat außer Ihnen noch jemand mitgeholfen?«

»Ja, Anne, unsere Stationsschwester.«

Doch als Sommer die Hände von Anne überprüfte, fanden sich daran keine Verfärbungen.

»Sehen Sie, Frau Bruch, das ist ja sonderbar«, sagte er zu Viola, nachdem er sie wieder hereingebeten hatte. »Nur an Ihren Fingern finden sich die Flecken. Und schauen Sie mal, die sehen aus wie die an meinen Händen.«

»Ach, Sie haben auch Nüsse geknackt?«, erkundigte sie sich mit übertrieben überraschtem Augenaufschlag.

»Nein. Ich habe die Geldbörse präpariert, aus der heute Geld entwendet wurde. Diese Flecken hinterlässt mein Silbernitrat.«

Viola Bruch schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und lachte. »Aus Zimmer 16? Die habe ich heute früh aufgehoben, als die Patientin sie beim Aufstehen vom Nachttisch geschubst hatte! War mir ganz entfallen! Ich habe sie in die Schublade gelegt und der Patientin in den Rollstuhl geholfen, damit der Transportdienst sie zum Röntgen und EKG fahren kann.«

Das hilft dir jetzt auch nicht mehr, überlegte Sommer, ich habe dich. »Ziemlich leichtsinnig, auf einer Station, wo so viel abhandenkommt, denken Sie nicht? Da gerät man ja sofort unter Verdacht, wenn man dabei beobachtet wird.«

»Mag sein!«, reagierte die Schwester schnippisch. »Aber damit ist ja wohl geklärt, wie Ihr Silberdings«, sie warf ihm einen bösen Blick zu, »an meine Hände kommen konnte!«

»Bleibt nur noch eine offene Frage. Und die Antwort darauf findet Herr Hauk jetzt für uns. Das ist der Polizeibeamte, der draußen wartet.«

Paul Sommer öffnete die Tür und flüsterte dem Beamten etwas zu. Dann kehrte er an den Tisch zurück und schwieg. Viola begann, nervös an Ihren Fingern zu reiben.

»So kriegen Sie das nicht ab.« Paul grinste.

Wenig später trat Hauk kurzatmig ein. In der Hand einen Zwanzigeuroschein. »Du hattest mal wieder den richtigen Riecher. Hier ist der Fünfzehneuroschein«, feixte Hauk. »In der Mensa. Ich habe mit der Dame an der Kasse getauscht.«

Mit einer ruhigen Bewegung hielt Sommer die Schwarzlichtlampe über den Schein. Der leuchtete! Strahlend blau!

»Und was soll das nun wieder beweisen? Sie mit Ihren albernen Zaubertricks! Den Schein kann doch jeder zum Bezahlen benutzt haben!«

»Ja. Jeder, dessen Finger im Licht der Lampe hier blau leuchten, denn das Geld aus dem Portemonnaie war ebenfalls präpariert. Darf ich mal?«

Viola betrachtete nun zum x-ten Mal ihre Finger. Nichts zu sehen.

Selbstbewusst streckte sie die Hände über den Tisch, Sommer hielt mit der Lampe darauf, die ein fahles UV-Licht ausstrahlte.

»Drehen Sie bitte die Handflächen nach oben.«

Alles blau! Der Verwaltungschef zischte wütend hinter der Tür und rauschte mit wehendem Sakko herein. Als Paul Sommer ihm einen prüfenden Blick zuwarf, befand er, dass der Mann verflixt krank aussah.

»Wie konnten Sie nur?«, fragte er mit bebender Stimme. »Wie konnten Sie nur?«

Hubertus Hauk zwinkerte seinem Freund zu– ein starkes Team, wir beide, sollte das wohl heißen, erschloss sich Paul und zwinkerte zurück. Die weitere Arbeit überließ der Kriminaltechniker der Polizei. Am Nachmittag brachte Hauk den Rest der präparierten Scheine zurück.

»Na, haben wir doch gut hingekriegt, du Ferkel!«, begrüßte ihn der Freund.

»Ferkel? Ich? Ey, wir haben gerade einen Fall super geklärt– und du meinst, nun…«

»Pump dich nicht so auf«, lachte Paul. »Zeig mal deine Hände.«

»Überführt!«, staunte Hauk, als er alle Finger blau leuchten sah.

 

Täterfallen/Fangstoffe: Fangmittel dienen dazu, einen Zusammenhang zwischen Täter, Tatort und Tat herzustellen– auch dann, wenn es keinen Zeugen gibt. Manche Stoffe reagieren sofort, andere mit Zeitverzögerung. Es kommen selbstverständlich nur Substanzen zum Einsatz, die nicht gesundheitsschädigend wirken. Es gibt mechanische, chemische, optische und elektronische ›Fangtechniken‹.

 

Chemische Fangstoffe werden in der Kriminaltechnik verwendet, um nachzuweisen, dass der präparierte Gegenstand von einer oder mehreren Personen angefasst oder gestohlen wurde. Für einen Täter ist der Fangstoff in der Regel nicht zu erkennen: Er ist weder zu sehen, zu riechen noch zu ertasten. Die chemischen Fangstoffe leuchten unter einer UV-Lampe. Diese Eigenschaft der Chemikalien wird als Fluoreszenz bezeichnet. Es gibt diese Fangstoffe in unterschiedlichen Farben, um auch den Weg von Diebesgut verfolgen zu können. In sehr vielen Fällen werden Gelddiebstähle auf diese Weise aufgeklärt, weil sich ein zuvor präparierter und dann entwendeter Geldschein mittels UV-Licht sehr leicht identifizieren lässt. Auch an Händen und Kleidung des Täters kann der Fangstoff sichtbar gemacht werden.

In der Regel werden keine reinen Chemikalien verwendet. Zur besseren wie sichereren Übertragung stellt man sogenannte Anreibungen, eine Mischung aus Streckungsmittel und Fangstoff, her.

Die meisten der Fangmethoden sind in Kombination anwendbar.

 

Silbernitrat: wurde früher in der Medizin zum Verätzen von Wunden oder Entfernen von Warzen verwendet. Silbernitrat (aus dem Salz der Salpetersäure) färbt Proteine bräunlich bis braun-schwarz ein. Es ätzt dabei nicht nur die Haut, sondern kann ebenfalls auf Papier zum Nachweis von Fingerabdrücken verwendet werden, da Schweiß Eiweißbestandteile enthält.