Zur Strecke gebracht
»Bist du fertig?«
»Aber Liebling, Frauen sind immer fertig!«, antwortete sie glucksend.
Dr.Rolf Klabundes Blick glitt wohlgefällig über sein Konterfei im Flurspiegel.
Lucie, seine Frau, trat von hinten an ihn heran, schmunzelte und meinte: »Was für ein schöner Mann!«
»Was für eine tolle Frau! Übrigens, dein Vater kann mich nach wie vor nicht ausstehen. Der Doktor ist ihm schon recht, so als schmückendes Beiwerk für den Stammbaum– aber er ist felsenfest davon überzeugt, seine Tochter einem Nichtskönner an den Arm gehängt zu haben.«
»Ach ja.« Sie seufzte. »Er kann es halt nicht lassen. Bei jeder Gelegenheit stichelt er. Kannst du das nicht einfach überhören? Du hast doch mich geheiratet und nicht ihn!«
»Es ist nur so, dass er mich immer spüren lässt, was er von mir denkt. Und dass er dieser Ehe kaum zwei Jahre gibt. Er hofft nämlich, dass du bis dahin deinen Fehler erkannt hast.«
»Ja, ich weiß. Und natürlich ist jeder Besuch bei ihm so etwas wie Maßnehmen– ich sehe es ja auch. Leg doch im Hirn einen Ordner ›Sonderling‹ an und pack all das Unangenehme einfach rein, schieb ihn ganz hinten in die Ablage und schau nie wieder nach!« Sie lachte und drückte ihm mit spitzen Lippen einen Kuss auf die Wange. »Komm, das Konzert fängt sicher pünktlich an und Parkplätze sind Mangelware!«
Lucie lenkte den schweren Wagen sicher durch den Feierabendverkehr. Klabundes Augen tasteten über ihre schlanke Gestalt. Er dachte daran, dass ihn zunächst nur ihr Name fasziniert hatte– von Liebe auf den ersten Blick konnte keine Rede sein. Aber das würde er ihr natürlich nie beichten, so etwas war schädlich für eine Beziehung und die eigene Frau musste ja nun wirklich nicht alles wissen. Dr.Klabunde war ein großer Verehrer des Fürsten Pückler, hatte alle seine Bücher verschlungen, sich an der philosophischen und politischen Weitsicht des Mannes erfreut. Und dessen Gattin trug ebenfalls den Namen Lucie. Pückler hatte seine Frau liebevoll Schnucke genannt, doch so weit wollte Klabunde es dann doch nicht treiben. Schnucke erinnerte an eine Schafrasse, und dafür hätte seine Lucie nun wirklich kein Verständnis aufgebracht. Er schmunzelte, als er ihre Stimme in seinem Kopf empört ausrufen hörte: ›Was soll das? Bin ich in deinen Augen so naiv und ahnungslos wie ein Schaf? Wenn du mich noch einmal so nennst, wähle ich für dich den Kosenamen »Ochse«!‹ Nein, auf diese Diskussion wollte er es lieber nicht ankommen lassen.
»Wir stellen den Wagen dort drüben ab. Dann sind es nur ein paar Minuten zu Fuß!«, entschied Lucie und steuerte die Parklücke an.
Pfarrer Joshua Blank freute sich über den Erfolg seiner neuen Geschäftsidee. Er hatte so viele Kontakte zu Jugendlichen, da lag es doch nahe, sie mit allem zu versorgen, was der Mensch in dieser Phase der Entwicklung für ein stabiles Selbst benötigte, fand er. Theologische Stärkung für die Seele war dabei allerdings nur ein Aspekt seines Tuns. Der Seelsorger hatte entdeckt, dass seine Schäfchen noch ganz andere Bedürfnisse hatten, die sie auf kriminellem Weg zu befriedigen versuchten– in der Öffentlichkeit. Und ohne Garantie für die Qualität des erworbenen Produkts. Das hatte sich nun zum Glück geändert. Dank seiner Initiative.
Er setzte den Blinker und bog ab. Beschwingt summte er das Lied aus dem Radio mit, dachte daran, dass seine Mutter noch immer den besten aller Mohnkuchen backen konnte. Der Nachmittag war entspannt verlaufen, Besuche auf dem Land hatten immer eine befreiende Wirkung auf den Geist, die Seele atmete auf und der Körper durfte loslassen, musste nicht den üblichen Muskeltonus halten, der dafür sorgte, dass der Pfarrer stets aufrecht ging. Blank war davon überzeugt, das vermittle den Eindruck auch charakterlich aufrecht zu sein– und diese Wirkung zu erzielen war ihm wichtig. Eine Gemeinde, die an der Charakterfestigkeit und Sicherheit im Glauben ihres Hirten zweifelte, war wie ein Haufen nervöser Hühner.
Nach einigen Kilometern fiel ihm auf, dass der nachfolgende Wagen immer den gleichen Abstand hielt.
»Wäre das ein Film, würde ich annehmen, ich werde verfolgt«, amüsierte sich der Pfarrer und verlangsamte das Tempo, beschleunigte plötzlich, verlangsamte wieder. Der Verfolgerwagen passte sich tatsächlich an. Der Pfarrer zuckte mit den Schultern, beschloss, das Auto zu ignorieren, und hatte das Manöver tatsächlich schon nach wenigen Augenblicken vergessen.
Umso größer war seine Überraschung, als der Wagen hinter ihm plötzlich überholte und ›Bitte folgen!‹ auf dem Dach aufleuchtete.
»Scheiße, Polizei!«, erkannte er verärgert. Ob ein Stoßgebet helfen würde? Ein Versuch konnte jedenfalls nicht schaden!
Die Beamten lotsten ihn auf einen Parkplatz. Blank spielte für einen Moment mit dem Gedanken, durchzustarten und in der Nacht zu verschwinden– doch gerade noch rechtzeitig wurde ihm klar, dass die Beamten Zeit genug gehabt hatten, um sein Kennzeichen zu notieren. Schließlich fuhren sie ja schon eine ganze Weile hinter ihm her. Einer der Beamten kam mit wiegendem Schritt auf Blanks Auto zu, klopfte lässig an die Scheibe auf der Fahrerseite. Blank versenkte sie in der Tür, sah den Mann– wie er hoffte freundlich– an und wartete.
»Hauptmeister Müller. Ihre Fahrzeugpapiere bitte! Sie können sich bestimmt denken, warum wir Sie angehalten haben?«
»Nein«, antwortete Blank ehrlich und reichte Führerschein und Fahrzeugschein durchs Fenster. »Habe ich irgendwas falsch gemacht? Oder geht vielleicht mein Rücklicht nicht? Das merkt man selbst ja oft erst, wenn es einem jemand sagt.«
»Nein, das ist nicht der Grund. Sie sind uns durch Ihre Fahrweise aufgefallen.«
»Ach!«
»Ja. Rechts blinken und links abbiegen, Schlangenlinien, Tempo steigern und dann in den Kriechgang schalten– insgesamt machte das einen auffälligen Eindruck auf uns. Haben Sie Alkohol getrunken?«
»Aber, aber! Ich trinke nie, wenn ich fahren will.«
»Na, dann können Sie ja auch ohne Sorge ins Gerät pusten, oder?«
»Sicher.« Blank spürte Ärger in sich aufsteigen. »Aber wären Sie mir nicht so auffällig unauffällig gefolgt, hätte ich all diese Manöver gar nicht durchgeführt. Ich wollte rauskriegen, ob Sie mich verfolgen!«
»Ha!« Der Beamte lachte. »Das notier ich mir für mein Verzeichnis der originellsten Ausreden! Wie wollen Sie mir dann Ihre seltsame Sprechweise erklären? Alles Tarnung, oder was? Sie sind Agent aus Berlin auf Landtour?«
Inzwischen war der Kollege mit dem Dräger-Gerät hinzugekommen. »Pusten Sie einfach mal, anschließend sehen wir weiter. Dreimal tief ein- und ausatmen, dann kräftig ins das Röhrchen hier blasen.«
Blank stöhnte genervt auf. Stieß seinen Atem kraftvoll ins Gerät.
Mit arrogantem Blick nahm Müller das Messinstrument an sich. »Na, dann schau’n wir doch mal.« Er stutzte, drehte das kleine Gerät hin und her, um besser sehen zu können. »Hm, 0,0 Promille. Das wundert mich aber schon.«
»Ich habe doch gesagt, dass ich nie trinke, wenn ich mit dem Wagen unterwegs bin!«, triumphierte Blank. »Können Sie mir jetzt meine Papiere wiedergeben, ich möchte nach Hause, ich habe noch eine Predigt auszuarbeiten.«
»Pfarrer, was? Nach Hause können wir Sie dennoch nicht fahren lassen; es bleibt noch die auffällige Fahrweise! Diese Geräte haben eine gewisse Messfehlertoleranz, das heißt, dass sie nicht immer exakt sind. Steigen Sie bitte mal aus.«
»Nein!«
»Sie sollen nur auf der Linie hier ein paar Schritte geradeaus gehen! Das ist doch sicher kein Problem. Auch nicht für einen Mann der Kirche!«
»Nein, bestimmt nicht. Aber ich will nicht. Sie haben keinen Alkohol nachgewiesen, also kann ich nach Hause fahren!«, beharrte Joshua Blank eigensinnig.
»Wenn Sie sich weigern, nehmen wir Sie mit zur Blutabnahme. Das dauert am Ende länger, als mal eben auszusteigen und ein paar Schritte zu gehen.«
»Ich steige nicht aus und ich gehe nicht. Ich mache keine albernen Kniebeugen und zähle nicht rückwärts von hundert bis eins. Ich werde auch sonst nichts tun! Wir sind hier in Deutschland. In den USA müssen die Verdächtigen ›one mississippi, two mississippi‹ und so weiter sagen. Bei uns nicht!«
Die Miene von Hauptmeister Müller verdüsterte sich. »Gut. Sie wollen es ja nicht anders. Dann begleiten Sie uns jetzt zur Blutprobe.«
»Dazu können Sie mich nicht zwingen! Ich kenne meine Rechte!«, schoss der Seelsorger wütend zurück.
Müller grinste. »So einer sind Sie also! Einer von den Besserwissern!« Er zog sein Handy aus der Jacke. »Falls Sie gedacht haben, ich muss nun bis morgen warten– Irrtum. Wir sind modern, wir kriegen den Beschluss auch mündlich, ganz einfach per Telefon.«
So fand sich Joshua Blank eine halbe Stunde später in einem sterilen Raum wieder. Ein Arzt traf Vorbereitungen zur Blutabnahme.
»Machen Sie bitte mal Ihren Arm frei.«
»Und wenn nicht?«
»Dann unter Zwang. Sie können es sich aussuchen«, erklärte der Mediziner müde. »Mir ist es ziemlich gleichgültig, aber für Sie ist es unter Zwang wesentlich unangenehmer, das kann ich versprechen.«
Ergeben krempelte Blank den Ärmel hoch.
»Geht doch. So, jetzt muss ich noch stauen und alles ist nullkommanix vorbei.«
Blank wandte sich ab. Er hatte noch nie Blut sehen können, schon gar nicht sein eigenes.
»Danke.«
Ein Etikett wurde aufgeklebt, dann war die Prozedur beendet.
»Einen Moment dauert es noch. Bitte setzten Sie sich dort drüben hin.«
Der ›Moment‹ sollte sich als dehnbar erweisen. Blanks Stimmung sank unter den Nullpunkt. Er konnte sich schon vorstellen, warum sich alles so in die Länge zog. Verdammte Scheiße!, fluchte er in Gedanken, verdammt noch mal!
»Was ich jetzt brauche, ist eine Eingebung!«, knurrte er vor sich hin.
Dr.Klabunde spürte die Vibration seines Handys in der Sakkotasche. Vorsichtig zog er es hervor, kontrollierte die Nummer im Display, zeigte seiner Lucie die Anzeige und küsste sie sanft, bevor er sich auf den Weg zur Tür machte. Dieses Konzert würde er nun auch wieder verpassen!
»Was gibt es denn?«
»Wir haben hier einen mit null Alkohol. Der Schnelltest zeigt THC an. Auch an den Händen. Können Sie nicht mal eben herkommen? Sie wissen schon, wir brauchen Klarheit darüber, ob er nur ein bisschen gekifft hat oder vielleicht mit dem Zeug dealt.« Der Beamte machte eine theatralische Pause und setzte hinzu: »Ist ein Pfarrer!«
Klabunde atmete tief durch. »Blut wurde gezapft?«
»Ja. Sicher.«
»Gut. Schick mir die Ausbeute und deinen Bericht rüber auf meinen Schreibtisch. Antrag nicht vergessen! Ich versuche gleich morgen mein Glück.«
Beschwingt kehrte er ins Foyer zurück, bestellte an der Bar zwei Gläser Champagner und wartete auf Lucie und die Pause. Nun könnte es ja doch noch ein unvergesslicher Abend werden!
»Herr Blank, zuerst die erfreuliche Nachricht: Wir bringen Sie jetzt nach Hause, aber …«
Aber du hast einen Hirntumor, ergänzte Blank den Satz für sich selbst.
»Für mich stellt sich die Frage, ob Sie mir erklären können, weshalb wir bei Ihnen einen Nachweis für THC bekommen haben?«
»THC?«
»Cannabis!«
»Das positive Testergebnis ist falsch!« Blanks Gedanken kamen gefährlich ins Stolpern. Er versuchte wenigstens äußerlich cool zu bleiben. Machte eine wegwischende Handbewegung, die ihn um ein Haar vom Stuhl gerissen hätte. »Ich bin Gemeindepfarrer! Ich predige gegen den Drogenkonsum, gegen Internet ohne Grenzen, gegen Gewalt im Fernsehen und vieles andere!«
»Tja, was soll man da sagen.«
Ein Beamter ging hinter ihnen durch, hatte es offenbar eilig. Dennoch kommentierte er noch: »Pfarrer reden auch über Familien und Liebe– und doch gibt’s welche, die dann kleine Jungs ficken!«, und war gleich darauf um die Ecke verschwunden.
Blanks Blutdruck stieg unkontrolliert. »Nun reicht es aber! Ich muss mir von Ihnen nichts unterstellen lassen. Verfehlungen einzelner Kollegen können Sie nicht mir anlasten!« Sein Kopf fühlte sich an, als könne er jeden Moment platzen.
»Wir werden weitere Untersuchungen veranlassen. Pfarrer hin oder her– Sie sind auffällig gefahren und wir kriegen raus, warum das so war. Ihr Auto bleibt in Gewahrsam. Morgen können Sie es abholen. Ein Kollege bringt Sie nach Hause.«
Dr.Klabunde kam bester Stimmung ins Labor. Lucie war wirklich eine umwerfende Frau. Alles könnte wunderbar sein, wenn da nicht ihre Eltern wären. Sicher, andere Ehemänner hatten auch Schwiegereltern, aber, da war er sich sicher, nicht solche. Als er den Kittel überzog, schalteten sich die privaten Gedanken ab. »Blutalkoholuntersuchung und Untersuchung auf Stoffe, die dem BtMG unterliegen. Na bitte.«
Er begann mit der Arbeit. Schon bald lag ihm die Auswertung vor. Der Pfarrer hatte nicht gelogen, gepichelt hatte er nicht. Doch er hatte einen anderen überraschenden Cocktail anzubieten. Klabunde zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Na, da wird er wohl so einiges erklären müssen.«
Staatsanwalt Jochen Frisch sah den Pfarrer forschend an. Der starrte bockig zurück.
»Und Sie behaupten, noch nie in Ihrem Leben mit Drogen in Kontakt gekommen zu sein?«
»Ich nehme so etwas nicht. Ist mir schon immer zu gefährlich gewesen.«
»Das ist eigenartig. Uns liegt nun das Ergebnis aus dem Labor vor. In Ihrem Blut war kein Alkohol, das stimmt, aber wir haben Opiate und THC in nicht unerheblicher Konzentration nachgewiesen.«
»Falsche Methode? Falsche Probe? Vielleicht haben Sie ja am selben Abend noch ein paar Konsumenten zur ›freiwilligen‹ Blutspende mitgenommen.«
»Das haben wir überprüft. An jenem Abend war es außergewöhnlich ruhig. Könnte es sein, dass Sie auf dem Weg irgendwo eingekehrt sind?«
»Nein!«
»Nur zu Besuch bei Ihrer Mutter? Dabei bleiben Sie?«
»Ja!«
»Sie werden sich vielleicht vor Gericht verantworten müssen«, gab Frisch zu bedenken.
»Und? Ein bekiffter, zugedröhnter Pfarrer. Ist sicher toll für die Presse. Am Ende gibt es nur Ärger für die Staatsanwaltschaft, denn ich bin das beklagenswerte Opfer eines Irrtums!«
»Sie hatten das Zeug sogar an den Händen!«
»Und? Ich war bei meiner Mutter zum Kaffeetrinken. Es gab ihren wunderbaren Mohnkuchen. Den esse ich immer mit den Fingern– traditionell. Schon wegen des Zuckergusses, den man ablecken kann. Danach habe ich nur noch mein Lenkrad angefasst. Nix mit Drogen!«
Mohnkuchen, überlegte Frisch, ob das wohl die Ursache war? Er würde Dr.Klabunde danach fragen.
Joshua Blank ging nach Hause. Nichts konnte man ihm nachweisen, gar nichts!
Dr. Klabunde stieß am Abend auf seinen Schwiegervater, der im Esszimmer Platz genommen hatte.
»Ach, der Herr Schwiegersohn!«, lautete die frostige Begrüßung. »Auch mal wieder zu Hause.«
Lucie verdrehte hinter dem Rücken des Vaters die Augen, gab ihrem Mann einen liebevollen Begrüßungskuss.
Schweigend trank der Vater sein Glas aus. »Ich halte nichts von Männern, die ihre Frauen zu lang sich selbst überlassen. Meine Lucie hat es nicht verdient, den ganzen Tag im Haus sitzen zu müssen. Sie braucht einen Partner, der sie ausführt, zu Partys begleitet und gesellschaftliche Kontakte pflegt.«
Lucie brachte ihren Vater zur Tür. »Entschuldige. Er benimmt sich dir gegenüber einfach ekelhaft!«
»Er hat sich für dich einen anderen gewünscht«, tröstete sie ihr Mann.
»Ja, aber als er von Dr.Klabunde hörte, fand er es im Grunde schick. Ein Doktor in der Familie.Dann muss er den Mann hinter dem Titel akzeptieren. Er wird es lernen.«
»Er fand es gut, bis er gemerkt hat, dass ich Chemiker bin und kein Mediziner. Ist doch egal. Warum war er eigentlich hier?«
»Nur um seinem Ärger Luft zu machen. Wegen des Pfarrers. Er meint, die Typen reden sich ohnehin immer raus. Ich glaube, er kennt ihn und hatte mal Streit mit ihm. Komm, ich habe was Schönes gekocht.«
Damit war der Besuch des Schwiegervaters ausradiert.
»Dr.Klabunde. Dieser Pfarrer erzählt von Mohnkuchen, den er gegessen haben will. Halten Sie es für möglich, dass er genug Opium aufgenommen haben könnte, um davon berauscht zu sein?«, erkundigte sich Jochen Frisch am nächsten Morgen.
»Das ist von der Menge abhängig. Ich weiß, es geistern immer wieder Berichte durchs Internet, dass schon ein Mohnbrötchen zum Frühstück für den ganzen Tag ›beflügelt‹, aber das stimmt natürlich nicht. Ein Stück Mohnkuchen? Ziemlich unwahrscheinlich. Und das THC erklärt es gar nicht. Ich mache mich kundig«, versprach der Chemiker, während Frisch Joshua Blank erneut in sein Büro bestellte.
»Nun ist aber gut! So sympathisch finde ich Sie auch wieder nicht, dass ich Sie jeden Tag sehen muss!«, schimpfte der Pfarrer grantig. »Ich habe eine Menge zu erledigen und kann meine Zeit nicht sinnlos vertändeln!«
»Der Mohnkuchen. Wie viel davon haben Sie gegessen? Ein Stück, zwei?«
Blank sah schuldbewusst an sich hinunter. Er hatte seine Füße im Stehen schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. »Nun, der Kuchen meiner Mutter ist etwas Besonderes. Während normale Kuchen eine Mohnschicht haben, die etwa so«, er deutete es mit seinen Fingern an, »dick ist, womöglich gar aus einer Mischung von Mohn und Grieß besteht, ist die Schicht bei meiner Mutter etwa doppelt so mächtig. Sie bindet sie mit ein bisschen Sahne, gerade ausreichend, damit der Mohn nicht herausbröselt. Und obendrauf kommt eine fingerdicke Zuckergusslage. Wunderbar.«
Jochen Frisch bekam eine Gänsehaut. Allein die Vorstellung von diesem Kuchen verursachte ihm Völlegefühl und Übelkeit.
»Wie viel?«
»Zunächst hat meine Mutter eines für jeden von uns abgeschnitten. Mit Kaffee dazu, köstlich. Danach schlug sie vor, ich könne das Blech mitnehmen, für meine Gemeinde. Sie deckte den Kuchen ab und half mir, das Blech im Kofferraum rutschfest zu verstauen.« Er schwieg plötzlich.
»Und?«, half Frisch dem Redefluss wieder auf die Sprünge.
»Nun, es ist eine Sünde. Ich habe schon gebeichtet.«
»Herr Blank!«
»Der Kuchen hat die Mitglieder meiner Gemeinde nicht erreicht.«
»Ach? Was ist passiert? Haben Sie ihn weggeworfen?« Frisch beobachte mit gewisser Faszination, wie der rote Farbton vom Hals über das Kinn bis zum Scheitel kroch. Überlegte, was der Hausarzt Blanks wohl dazu sagen würde. Lebenserwartung deutlich reduziert, wahrscheinlich.
»Natürlich nicht. Was denken Sie! Ich hielt an einem Parkplatz. Setzte mich dort auf eine Bank in die Sonne, aß ein weiteres Stück. Und danach hatte ich Appetit auf noch eines. Irgendwann war alles aufgegessen– ich habe mich direkt ein wenig geschämt. Aber der Herr wird verstehen, dass ich dem Kuchen meiner Mutter keinen Widerstand entgegensetzen konnte.«
»Völlerei«, stellte Frisch trocken fest.
»Dr.Klabunde, ich habe neue Informationen zu diesem Mohnkuchenfall«, meldete er sich wenig später beim LKA. »Angenommen, die Schicht auf dem Kuchen wäre fünf Zentimeter dick gewesen, und angenommen, der Mann hätte das ganze Blech allein vertilgt…«
»Dann kommt es noch immer auf die Zusammensetzung des Mohns an. Es gibt Sorten mit mehr und mit weniger Gehalt an Opiaten.«
Ein bisschen irritiert fragte der Staatsanwalt nach: »Sagen Sie, kann denn einer allein überhaupt so viel… Also, wenn ich auch nur ein Stück davon hätte essen müssen, ich glaube, das wäre mir gar nicht gelungen! Mit Sahne und Zuckerguss.« Klabunde hörte, wie es Frisch schüttelte. »Das geht doch gar nicht!«
»Ich glaube, das ist wie beim Alkohol. Geübte Trinker laufen erst ab 2,4 Promille richtig geradeaus, andere sind da schon in einem lebensbedrohlichen Zustand.«
»Ach, und Sie meinen, geübte Esser schaffen auch ein ganzes Blech.«
»Wer weiß. Ich brauche die Adresse der Mutter. Dann fahre ich mal hin, lasse mir das Rezept geben; vielleicht findet sich ja noch ein Rest der Mohnmischung. Ich melde mich wieder.«
»Nehmen Sie einen Beamten mit«, riet Frisch. »Wenn die Mutter auch nur ein Viertel so kratzbürstig ist wie der Sohn, werden Sie einen Mann in Uniform brauchen, um über die Schwelle zu dürfen.«
Dr.Klabunde beherzigte den Rat. Frau Blank war schwierig, doch Rolf Klabunde, durch den Umgang mit seinen Schwiegereltern geübt, ließ sich von ihrer abweisenden Haltung nicht beeindrucken.
»Sie wollen also mein Rezept, ja?«, zischte sie giftig und sah aus, als wollte sie den ungebetenen Besucher mit einem Kopfstoß zu Boden bringen. Sie war von beeindruckender Masse und mindestens anderthalb Köpfe größer als der Beamte des LKA.
»Genau. Sehen Sie, Ihr Sohn ist da in eine schwierige Lage geraten …«
»Mein Sohn«, korrigierte sie den Fremden rüde, »wird von der Polizei fälschlich verdächtigt und ist durch behördliche Willkür in Bedrängnis geraten.
»Um ihn vor den Folgen zu bewahren, sollten Sie mit mir zusammenarbeiten. Ich kann nämlich durch meine Untersuchungen eventuell seine Unschuld beweisen«, schaffte Klabunde elegant die Kehrtwende. Der junge Beamte der Schutzpolizei hinter ihm staunte nicht schlecht.
»Ich glaube, Sie wollen mein Rezept nur stehlen!«
»Aber nein. Ich muss nur wissen, wie viel Mohn Sie verarbeitet haben und welche Sorte. Das ist das Wichtigste.«
Misstrauisch musterte sie den dünnen Mann. »Sie mögen wohl keinen Kuchen, was?«
»Doch. Gelegentlich.«
»Ich habe noch Kekse da. Kommen Sie rein, ich mache Kaffee.«
Eine halbe Stunde später saßen sie zu dritt am Küchentisch und diskutierten über die Qualität von Mohn, ob es nicht eigentlich ein Verbrechen sei, den guten Mohn mit Grieß zu mischen, darüber, dass die Hausfrauen heutzutage keine Ahnung mehr vom Kochen und Backen hätten, ja, die Kenntnisse der Haushaltsführung allgemein verloren gegangen wären.
»Man muss doch nur mal gucken, was die jungen Leute so essen! Dieses ganze matschige Zeug, das zwischen zwei Schwabbelbrötchenteile passt. Nein. Das ist doch kein Essen!«, empörte sich Mutter Blank. »Bei mir gibt es überwiegend Gemüse und Kräuter aus dem eigenen Garten. Meine Eier kaufe ich beim Nachbarn, dessen Hühner sogar bei mir rumlaufen und deshalb lauter gesundes Futter picken. Den Mohn«, sie schmunzelte, »den muss ich natürlich kaufen. Und diesmal war der Kuchen besonders gut. Ich habe von Joshuas Kräutern was reingemischt. Die zieht er hinten im Gewächshaus. Ich gieße die nur. Aber sie sorgen für eine leicht bittere Note. Ich fand das interessant.«
Dr.Rolf Klabunde wurde hellhörig. Bittere Note, aha! »Ach, darf ich die mal sehen?«
Sofort wucherte wieder der skeptische Ausdruck in ihren Augen. »Das wäre Joshua nicht recht. Er macht ein ziemliches Theater um die Dinger. Für mich sehen die eigentlich aus wie Unkraut, und wenn man ein bisschen nett zu ihnen ist, wachsen die auch so– uferlos.«
»Aber Frau Blank. Es geht doch nur um die Zutaten für den Kuchen«, beruhigte Klabunde. Und als Mutter Blank ihnen die Tür zum Gewächshaus öffnete, waren alle Fragen beantwortet. Allerdings nicht im Sinne der Blanks.
Lucies Vater kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus. »Du warst das? Ein Chemiker überführt diesen dealenden Seelsorger? Ich glaub’s nicht!«, murmelte er immer wieder und schüttelte den Kopf. »Der hat tatsächlich bei Mutti seine Cannabis-Plantage untergebracht? Und die wusste gar nicht, was das für Kraut war? Mann. Nur weil sie es in den Kuchen gemischt hat, ist der Schlangenlinien gefahren– bekifft vom eigenen Zeug.« Er schüttelte entrüstet den Kopf. »Vertickt den Schund an die Jugendlichen in seiner Gemeinde. Unfassbar!«
»Wir wissen noch nicht, ob er wirklich gedealt hat oder es nur vorhatte. Das muss noch geklärt werden.«
»Und mein Schwiegersohn hat all das aufgedeckt?«
»Ja. Ohne ihn wäre keiner drauf gekommen!«, behauptete Lucie stolz und warf ihrem Rolf einen viel versprechenden Blick zu.
Schnelltests: Es gibt eine Reihe von Schnelltests, die einen ersten Hinweis auf den Konsum einer Droge liefern. Nach positivem Schnelltest muss ein gerichtsverwertbarer Nachweis durch eine Blutuntersuchung erfolgen. Zum Nachweis von THC eignet sich zum Beispiel der Durquenos-Levine-Test (2g Vanillin (C8H8O3), 2,5ml Acetaldehyd, 100ml Ethanol), der zu einer Rotverfärbung führt.
Mohn: Wirkstoff Opium. Der Saft der Mohnpflanze wird durch Anritzen der Samenkapsel der noch unreifen Frucht gewonnen. Nach entsprechender Aufbereitung kann das Opium geraucht, getrunken oder gegessen werden. Hauptwirkstoff des Opiums ist Morphin, das in der Medizin als Schmerzmittel Verwendung findet. Der Gehalt von Morphin variiert von Sorte zu Sorte. In manchen sind 2.200ng/ml enthalten. Der Nachweis von Morphin im Körper erfolgt durch eine Blutanalyse. Dazu muss die entnommene Probe aufgearbeitet werden. Zunächst werden aus der vorbehandelten Probe die Blutzellen abzentrifugiert, der sich bildende Überstand muss gereinigt und danach derivatisiert werden. Anschließend kann die Analyse im Gaschromatographen-Massenspektrometer (GC-MS) erfolgen.
Cannabis/Hanf: Hanf wird als Kulturpflanze angebaut. Die Pflanzenfasern werden zur Herstellung von Textilien verwendet. Hanf enthält allerdings auch ein Harz, das als Droge Verwendung findet– in der medizinischen Forschung wird über den Einsatz des Wirkstoffs als Schmerzmittel diskutiert. THC (Tetrahydrocannabinol) hat eine berauschende Wirkung, die etwa zwei bis vier Stunden anhält. Bekannt sind vor allem Haschisch und Marihuana (szenetypische Begriffe: Shit, Chocolate, Gras, Heu). Haschisch wird als zu Platten gepresstes Harz oder Öl verkauft und geraucht. Marihuana bezeichnet die getrockneten Blüten sowie Pflanzenteile und wird ebenfalls geraucht. In geringen Dosen überwiegt die sedierende Wirkung, in höheren Dosen kann es zu psychotischen Zuständen kommen (›bad trips‹). Seit einigen Jahren wird die Langzeitwirkung auf den seelischen Zustand der Konsumenten diskutiert. Angenommen werden Auswirkungen auf die Psyche und die Persönlichkeit des Users; Stimmungsschwankungen, Aggressionsschübe und Konzentrationsschwierigkeiten scheinen vermehrt aufzutreten. Manche Psychiater und Psychotherapeuten sehen auch eine verstärkte Disposition zur Schizophrenie.
Alkoholnachweis im Blut: Der qualitative und quantitative Nachweis von Alkohol im Blut erfolgt über eine Headspace-Gaschromatographie (HS-GS). Da die üblichen Geräte zur Bestimmung des Atemalkohols eine gewisse Fehlertoleranz aufweisen können, wird im Verdachtsfall eine Blutentnahme richterlich angeordnet und von einem Arzt durchgeführt, um einen gesicherten Wert zu erhalten. Eine Probe des Bluts, 0,5ml, wird mit dem internen Standard (n-Propanol) vermischt und 30Minuten lang bei 60°C erwärmt. Dabei verteilen sich alle Inhaltsstoffe des Bluts zu gleichen Anteilen im Dampfraum über der Flüssigkeit. Danach kann die Probe in das Analysegerät gestellt werden. Die Injektion erfolgt mit der entnommenen Probe aus dem Dampfraum und liefert über den EDX und den FID-Detektor ein eindeutiges Ergebnis über den Alkoholanteil im untersuchten Blut. Die rechtliche Strafbarkeit beginnt bei 0,5Promille (bei auffälliger Fahrweise in Einzelfällen auch früher), die absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,1Promille.
Identifiziert Bestandteile der Probe
Feine Nadel zur Injektion von Analyt in den Injektor des Gaschromatographen
Gaschromatograph zur qualitativen und quantitativen Bestimmung aus dem Headspace