Brandschätzchen

 

Leo Krause war stolz.

›Krause An- und Verkauf‹ stand auf dem Schild neben dem Tor und kleiner darunter: ›Wir kaufen zum Tagespreis‹, was suggerieren sollte, Leos Preise seien die besten.

Das Geschäft mit dem Schrott florierte. So gut, dass Krause sich sogar eine ausgesprochen anspruchsvolle Geliebte leisten konnte. Er grinste bei dem Gedanken an Merle. Heiraten würde er sie nie, dazu hatte er mit Weibern schon viel zu viel durch. Wenn er sich nur an die von der NGO erinnerte! Die hatte ihn mit seinem Gebrauchtkleiderhandel in den Ruin getrieben, obwohl sich die ganze Sache so gut angelassen hatte. Was da so in seinem Container landete– unvorstellbar, wie leichtfertig sich manche Menschen von wahren Schmuckstücken trennten. Er hatte das ganze Zeug mit klasse Gewinnen weiterverkauft. Doch irgendein Idiot hatte ihm eingeflüstert, es sei noch viel mehr aus dem Geschäft rauszuholen, wenn er ein karitatives Motiv angeben würde– so kam die NGO ins Spiel. Die Mitarbeiterinnen dort hatten ihm die Suppe ganz schön verhagelt. Plötzlich wollten sie ganz genau wissen, welcher Anteil der Einnahmen tatsächlich für wohltätige Zwecke an entsprechende Organisationen ginge. Schließlich mache er Werbung mit der Aussage, er sei ein human ausgerichteter Mensch, weshalb er Einkünfte als Spenden abführe. Mann! Die hatten regelrecht zur Hatz auf ihn geblasen und ihn mit einem sauberen Blattschuss erledigt! Immerhin war das dann, nach der Pleite im Gebrauchtwarenhandel, schon sein zweiter Konkurs. Er hatte einfach ein zu großes Herz– Leo seufzte tief, knurrte, wenn er an die Typen dachte, die zwar Ware bestellt und abgeholt, aber am Ende nicht bezahlt hatten. So konnte ja ein ehrlicher Geschäftsmann nur in die Insolvenz schliddern! Damals hatte er sich geschworen: Es wird nie geheiratet! Weiber schaden dem Geschäft. Diesem Grundsatz war er bis heute treu geblieben und würde auch in Zukunft in diesem Punkt nicht wanken.

Schließlich ging es ihm finanziell jetzt wahrhaft gut.

Sein schmuckes Eigenheim, die Edelkarossen, mit denen es ihm zu jeder Zeit gelang in der Frauenwelt für Aufsehen zu sorgen. So manches amouröse Abenteuer hatte auf dem Rücksitz des Cabrios seinen Anfang genommen!

Da war es eher ein Problem, die Damen nach Ablauf der Halbwertszeit wieder abzuschütteln. Feste Bindung, das war nichts für einen wie ihn, die Weiber waren doch ohnehin nur hinter seinem Geld her! Davon war er fest überzeugt. Im Laufe der Jahre hatte er aber auch hier eine gewisse Routine entwickelt. Denn für neue Erfahrungen brauchte man eben neue Partnerinnen! Eine für jeden Tag kam erst infrage, wenn er so alt geworden war, dass er sich beim Husten festhalten musste– und davon war er noch meilenweit entfernt.

Sein Schrotthandel.

Seine ganz private Goldgrube.

Krause hatte erst gar nicht glauben können, was die jungen Leute so kaufen wollten! Das war sein Gewinn an der Retrowelle: verbeulte Zinkbadewannen zum Beispiel– heiß begehrt! Gingen weg, egal, wie viel er dafür verlangte. Alte Badeöfen aus Kupfer– dafür zahlten die Kunden Fantasiepreise und waren auch noch glücklich, wenn sie mit der Beute vom Hof rollten! Solche Geschäfte waren ihm die liebsten. Überhaupt hatte er erst zweimal den Trödelkalle kommen lassen müssen, um so ein Ding zeitnah wieder loszuwerden. Und der Kalle, der war ein echtes Schlitzohr. Zahlte bei Leo 60 Euro und verkaufte das Teil am Sonntag auf dem Trödelmarkt für 130 Euro. Noch mal würde Leo dem Kerl nicht auf den Leim kriechen.

Gelegentlich kaufte er Kleinigkeiten. Zum Beispiel von dem jungen Mann neulich, der ihm Messingwasserhähne angeboten hatte. Krause guckte sich die Dinger lange an, zog dann einen Flunsch. »Tja, was soll ich sagen.«

»Draußen steht, Sie zahlen Tagespreise! Höchstpreise!«, trumpfte der Kerl auf.

Leo mochte es gar nicht, wenn man ihm auf die Tour kam. »Das tu ich auch! Da steh’ ich zu! Aber hier sind noch die Dichtungen drin. Wer soll sich denn mit der Rauspopelei beschäftigen? Wissen Sie, was so ein ungelernter Arbeiter heute für einen Stundenlohn hat? Das kann ich mir kaum leisten. Machen Sie das selbst und ich zahle mehr.«

Natürlich hatte das Bürschchen eingelenkt. Seine Masche: mit Problemen den Preis drastisch nach unten reden. Ja, die beherrschte er perfekt. Doch solcherart Handel betrieb Krause nur am Rande. Es ging dabei weniger ums Feilschen als um das Gefühl der Überlegenheit. Sein eigentliches Geschäft machte er mit dem Ankauf von Kabeln, ummantelten Stromleitungen. Da war sauberes Kupfer unter der Isolierung. Genau das brachte ihm am Ende das gute Geld.

Kam ein Kunde mit dem Zeug an, ließ er ihn wissen, welch eine Zumutung es war, so etwas überhaupt jemandem zum Kauf anzubieten. Er könne nur reines Kupfer an den Großhandel abgeben, informierte er den Anbieter weiter. Und stets deutete er an, dass das Geschäft nur deswegen nicht defizitär sei, weil man die Arbeiter, die die Ummantelung abzögen, schwarz bezahle. Arme Schweine. Spiegeltrinker, Drogenabhängige, Leute ohne Perspektive. Er habe ein Herz für diese Penner, er gebe ihnen das, was sie vielleicht nicht glücklich machte, aber das Stück Leben, was sie noch hatten, erträglicher.

Manchmal wandten die Verkäufer ein, es sei heute üblich die Ummantelung abzubrennen. Das waren die ganz Schlauen die kamen ihm gerade recht!

»Was glauben Sie denn, wie teuer es ist, die Brandgase zu reinigen? Und die giftigen Schlacken muss ich entsorgen lassen! Sondermüll! Da können Sie noch froh sein, dass ich ein Unternehmen gefunden habe, das mir trotz der horrenden Kosten noch erlaubt, meine Preise aufrecht zu halten!«

Mehr brauchte es meist nicht, um den Kunden zu überzeugen. Die waren doch alle auf den schnellen Rubel aus! Selbst Schuld, dachte er, wenn ein kleines Unbehagen in ihm aufkommen wollte, bei so viel Phrasendrescherei. Der hätte auch woanders hingehen können!

 

Turnusmäßig, etwa alle drei Monate, zündelte Leo Krause kriminell. Zu diesem Zweck verteilte er die gesammelten ummantelten Kupferkabel in großen Haufen überall auf seinem riesigen Grundstück. Das hatte er nicht immer so gehandhabt, aber seit dem Ärger damals erschien ihm diese Methode schlichtweg sicherer. Vor ein paar Jahren nämlich, als er seinen Mount Kabelrest in Brand setzte, hätte er um ein Haar seine beiden Lagerhallen eingebüßt. Völlig außer Kontrolle war die Angelegenheit geraten. Er dachte schon daran, die Feuerwehr zu alarmieren, weil die Intensität der Flammen nicht beherrschbar schien– da beruhigte sich die Lage allmählich. So ein Schreck!

Und die Brandgase! Seinem HNO-Arzt hatte er von Arbeit mit Salmiak erzählt, um den Zustand seiner Schleimhäute zu erklären. Tagelang war ihm schlecht gewesen, nach der Löscherei in jener Nacht. Wenigstens war seine damalige Herzensdame rund um die Uhr für ihn dagewesen! Hatte sich nicht unangenehm angefühlt, so versorgt zu werden. Getrennt hatte er sich trotzdem von ihr– getreu seinem Grundsatz: bindungsfrei macht’s Leben neu! Leo der Wal! Taucht aus jeder Tiefe wieder auf.

Natürlich hatte es damals Beschwerden aus den Wohnblöcken gehagelt– nicht zu knapp. Aber seine zweite Gabe, neben der glücklichen Hand fürs Geschäft, war seine Kommunikationsfähigkeit. Wortreiche Entschuldigungen, deutliche Zerknirschtheit, ein paar Schnäpse und ein Versprechen– mehr hatte ihn die Sache am Ende nicht gekostet.

Hätte natürlich schlimmer ausgehen können.

Wenn zum Beispiel die Polizei gerufen worden wäre. Die Beamten brachten bei einem wie ihm doch immer gleich diese penetranten Typen vom Umweltamt mit. Am Ende hätte womöglich eine saftige Strafe rausgeschaut– und sein Verdienst wäre natürlich futsch gewesen, weil die sachgerechte Entsorgung dann auf seine Kosten erfolgt wäre. Dabei musste er doch seine Jacht in Goyatz unterhalten und brauchte Geld für Merles kleines Hobby, ihr Reitpferd. Aber darum hätten die Polizisten sich natürlich nicht geschert. Merle, seine Neue!

Um nicht erneut eine Welle des Protestes auszulösen, fackelte er nur noch kleine Häufchen ab, nachts, wenn die Entrüsteten schliefen und von dem– zugegebenermaßen unangenehmen und ein bisschen giftigen– Gestank nichts mitbekamen. Windrichtung musste stimmen.

Er arbeitete bei solchen Aktionen grundsätzlich allein– Mitwisser bei Drecksarbeit waren ein Risiko, das man vermeiden konnte. Die Methode hatte sich bewährt, bisher gab’s für ihn nur ein einziges Mal wirkliche Probleme mit der Staatsgewalt. Man traf überall auf sie, diese ganz Genauen (in der Branche einschlägig als ›Tintenpisser‹ bekannt), die immer irgendeinen Paragrafen ausgruben, der einem braven Bürger– und als solcher sah Krause sich durchaus– das Genick brechen konnte.

8.000 Euro Bußgeld!

Aber so kriegte man einen wie ihn nicht klein. Ohne mit der Wimper zu zucken, überwies er den gesamten Betrag lange vor der gesetzten Frist. Sollten die ruhig sehen, dass Krause mit solchen Aktionen nicht einzuschüchtern war. Ein bisschen ungerecht behandelt kam er sich dennoch vor. Klar, es stimmte– die Lagerkapazität seines Platzes hatte er um 200 Prozent überschritten. Aber letztlich war er völlig harmlos im Vergleich zu den anderen. Denen, die ständig Material annahmen, annahmen, annahmen– und dann, wenn es an die Entsorgung ging, Pleite machten! Dann blieb nämlich die Allgemeinheit auf den Kosten sitzen, während der Sammler längst mit dem schönen Geld über alle Berge war! Ja, da waren die Behörden doch mit einem wie ihm richtig gut bedient, fand Krause.

Fast meinte er schon, man müsse ihm wirklich von Herzen dankbar sein! Blieb nur der Stress mit diesen Ökobürgern, die sich in den Wohnblocks drüben angesiedelt hatten. Widerwärtig! Ständig auf Meckertour.

 

Als Leo Krause an diesem Tag über seinen Platz ging, war seine Stimmung gedämpft. Es hatte sich in der letzten Zeit so einiges angesammelt– Kapital, das nur noch aus der lästigen Umhüllung befreit werden musste. Viel Geld, das er in den nächsten Wochen flüssig und jederzeit verfügbar brauchte, die Bezahlung der Kreuzfahrt für zwei Personen war fällig. Eine Überraschung für Merle, die immer noch glaubte, sie würden an die Ostsee fahren! Wenn er an ihre Augen dachte, an das Strahlen und Leuchten darin, wenn sie erkannte, was ihr Leo da gebucht hatte, wurde ihm leichter ums Herz. Seine Konkubine, wie er sie liebevoll nannte, ›rundete‹ sich in diesem Jahr, und da wollte er sich natürlich nicht lumpen lassen.

Das Risiko, alles in einem Berg abzufackeln, würde er nicht wieder eingehen! Daher waren über das gesamte Gelände kleinere Kabelberge aufgeschüttet worden. Unpraktischer zwar, weil es gleichzeitig an mehreren Stellen brannte, er alle Feuer im Auge behalten und nebenbei darauf achten musste, dass den Leuten drüben im Achtgeschosser nichts auffiel. Die hatten nämlich von ihrem Balkon einen unverbaubaren Blick direkt in sein Areal! Und einen eigens dafür angeschafften Fotoapparat, wie ihm zugetragen worden war. Hausgemeinschaftsversammlung. Man blies zum Kampf gegen den Stinki. Aber was wollten die in der Nacht fotografieren? Da schliefen die braven Bürger doch!

Die Sache eilte.

Wenn sie seine Haufen entdeckten, konnten diese Ökos auf dumme Gedanken kommen– vor allem dann, wenn die über Nacht verschwunden waren. Sich in Rauch aufgelöst hatten, dachte Krause und freute sich über diese bildhafte und stimmige Formulierung.

Heute Nacht!, entschied er und leitete alles andere in die Wege.

»Man kann sicher viel an Negativem über Leo Krause sagen, aber ein umsichtiger Planer bin ich allemal. Da bleibt nichts unbedacht!«, murmelte er mit gewissem Stolz vor sich hin und rieb sich die schraubstockartigen Pranken.

 

Rudolf Bergemann gehörte zu denjenigen, die dem Schrotthändler ein Dorn im Auge waren. Natürlicher Feind sozusagen. Er wohnte in der achten Etage eines Wohnblocks, hatte auf der einen Seite eine schöne Aussicht über die Stadt. Leider auf der anderen einen ebenso unbeschränkten Blick auf Leo Krauses Schrottplatz. Nun wäre Bergemann durchaus bereit gewesen, die unmittelbare Nachbarschaft als Kröte zu schlucken, denn er und seine Familie fühlten sich hier wohl, die Nachbarn waren nette Leute, es gab keinen Ärger wegen der üblichen Nickeligkeiten– wären da nicht die potenziell giftigen Dämpfe gewesen, die aus Krauses Richtung manchmal zu ihnen rüberzogen. Wenn der Wind ungünstig stand, roch es oft eindeutig nach verbranntem Altöl. Sicher, Gerüche, auch lästige, produzierten gelegentlich auch mal die Hubers von unten und die Neumanns gleich daneben. Leute von der Sorte, die meinten, es sei unerlässlich, im Sommer an jedem Wochenende auf dem Balkon zu grillen. Noch schlimmer aber waren die Schremmels. Die räucherten sogar auf dem Sonnenplatz. Dieser beißende Gestank war schon eine Zumutung.

Ärgerlich– aber dennoch mit der Belästigung aus Richtung Schrottplatz nicht zu vergleichen.

Leos Krauses Qualm nämlich verursachte bei Bergemanns Töchtern hartnäckigen Husten und Brechanfälle. Das hatte auch der Arzt bestätigt, der zunächst von Pseudokrupp ausgegangen war. Bergemann war fest davon überzeugt, dass der Händler da Kunststoff verbrannte! »Der lässt sich die Abnahme von dem Dreck gut bezahlen und dann entsorgt er den Müll nicht ordnungsgemäß, sondern verbrennt das Zeug einfach!«, schimpfte der Familienvater unter Gleichgesinnten, doch beweisen konnte er das zu seinem Leidwesen nicht. Immerhin hatte er den großen Brand damals festgehalten. Jede Menge Fotos hatte er gemacht. Schade, dass die Bilder nicht auch den Geruch wiedergaben hatten. Als die vom Umweltamt kamen, hatte sich die stinkende Wolke längst aufgelöst und die konnten mit ihrer ganzen hypermodernen Messtechnik nichts mehr feststellen! Abschließend kam man zum Ergebnis, es habe sich um einen Brand gehandelt, wie er überall und jederzeit vorkommen könne, Vorsatz sei nicht erkennbar. Sogar die Versicherung hatte gezahlt.

 

»Drüben sind wieder Haufen!« Lotti Bergemanns Stimme hatte eine hysterische Färbung.

»Ich habe die auch schon gesehen«, knurrte ihr Mann hilflos und nahm den Feldstecher runter. »Acht habe ich gezählt. Aber es ihm natürlich nicht verboten, diese Kabel zu Haufen zusammenzuschieben. Die Polizei unternimmt da nichts.«

»Einen Versuch ist vielleicht dennoch wert. Könnte doch sein, dass es inzwischen schon mehr Beschwerden gegeben hat– und die warten nur auf den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt!«, insistierte Lotti. »Denk doch an die Mädchen!«

So ermahnt kreisten die Gedanken des Familienoberhaupts während der Arbeit im Büro ständig um Leo, die Haufen und das drohende Husten und Erbrechen seiner Töchter, das besorgniserregend war und manchmal mehrere Tage anhielt. Als die Mittagspause nahte, hatte er einen Entschluss gefasst.

 

Die Wache machte nicht den Eindruck, als könnte man sich vor Arbeit kaum retten. Bedächtig ging es zu, offensichtlich hatten auch die Beamten gerade Pause. Er trug sein Anliegen vor, wurde weiterverwiesen– an Kriminalkommissar Krause! So ein Schreck! Womöglich war der Mann mit Leo Krause verwandt!

»Ein Krause hackt dem anderen kein Auge aus!«, schimpfte der Vater, als er den Gang entlangging.

Es gab noch Wunder in diesen schweren Zeiten, musste er wenig später feststellen, der sympathische junge Mann war mit dem Schrotthändler nicht einmal bekannt!

Bergemann atmete auf. »Es lässt sich nicht leugnen, dass von dort immer wieder Gestank zu uns herüberweht. Meine Kinder werden krank davon. Wir glauben, er verbrennt da Kunststoffmüll oder Kabel. Jedenfalls kann ich von meiner Wohnung aus sehen, dass er was vorbereitet! Könnten Sie der Sache nicht mal nachgehen? Wenn das giftig ist! Womöglich bleiben dann bei uns allen irgendwelche Substanzen im Körper zurück und wir kriegen Krebs! Chronisches Asthma! Vielleicht eine Nervenschädigung!«

»Ich kann Ihre Sorge gut verstehen. In einer Zeit, in der schon vor Paprika und anderem Gemüse gewarnt wird, möchte man nicht auch noch giftige Luft atmen müssen. Allerdings ist es nicht verboten, Müll zu kleinen Häuflein zusammenzuschieben. Vielleicht will er den Entsorger bestellen und das Zeug abtransportieren lassen.«

»Einen Entsorger habe ich dort noch nie vorfahren sehen!«

»Nun, Sie sind ja auch nicht den ganzen Tag zu Hause, oder? Aber gut. Ich werde mich mit Eberswalde in Verbindung setzen, dort sitzen unsere Umweltfachleute. Die haben zwar gerade einen Fall auf dem Tisch– eine illegale Mülldeponie in Oberhavel–, aber ich mach Druck. Mal sehen…«

Rudolf Bergemann kehrte am Abend mit einem guten Gefühl zu seinen Lieben zurück. Er war nicht untätig geblieben, hatte alles nur Mögliche in die Wege geleitet. Lotti fühlte sich bestätigt, man muss ihm nur Druck machen, dann ist er richtig gut.

 

In dieser Nacht schlief der Familienvater dennoch schlecht. Von fern war der Lärm schweren Geräts zu hören. Vielleicht richtete die Stadt die Baustelle ein, vorn an der Kreuzung, wo die Straße so tiefe Spurrinnen hat, dass ältere Leute ihren Rollator nicht mehr über die Ampelfurt schieben können, überlegte er und starrte ins Dunkel, warf sich unruhig von einer Seite auf die andere. Gegen Morgen fand er endlich Ruhe.

Doch dann das böse Erwachen. Halsschmerzen, ein Rest von Qualm hing im Schlafzimmer– und noch mehr. Ekelhaft süßlich, irgendwie klebrig.

»Das ist doch unfassbar! Er hat es wieder getan!«, regte er sich auf, packte Pullover, Pyjama und Unterwäsche in einen kleinen Koffer. »Lotti, die Polizei wollte sich ja ohnehin um die Sache kümmern. Könntest du bitte den Kriminalkommissar Krause anrufen? Hier ist die Karte. Der wird sich ja sicher noch an unser Gespräch von gestern erinnern! Sag ihm, was passiert ist. Vielleicht kommen die dann sofort!«

Lotti nickte. »Vergiss den Rasierapparat nicht!«, mahnte sie aus der Küche. »Ich kümmer’ mich drum, wenn ich die Kinder in die Schule gebracht habe.«

»Es stinkt!«, beschwerte sich die Jüngste und wollte das Fenster öffnen.

»Die Fenster bleiben zu!«, kommandierte die Mutter. »Sonst kommt noch mehr von dem giftigen Gestank rein! Dieser Mann kennt keine Skrupel! Der wird uns noch alle umbringen mit seiner verantwortungslosen Kokelei!«

»So, ich muss los!«, verkündete der Vater unzufrieden. »Ich lasse euch nur ungern mit diesem Problem allein. Aber bis Ende der Woche bin ich zurück. Wenn die Polizei sich in der Zwischenzeit nicht rührt, gehe ich dann eben noch mal persönlich bei diesem Krause vorbei!« Er verabschiedete sich mit einem Kuss von jeder seiner Frauen, schärfte Lotti noch einmal ein, das Telefonat mit der Polizei nicht zu vergessen, und war verschwunden.

 

Lotti musste man daran natürlich nicht erinnern! Sowie sie von ihrer ›Schultour‹ zurück war, wählte sie die Nummer von der Visitenkarte. Kein Durchkommen. Beim nächsten Versuch: besetzt. Bei allen folgenden ebenfalls. Bloß gut, dass ich keinen Mord zu melden habe! Oder eine Messerstecherei mit einem flüchtenden Täter!, dachte Frau Bergemann verärgert. Im Zweifel ist man schon tot und der Mörder längst in Sicherheit, bevor jemand die Tat überhaupt melden kann!

Doch dann, endlich, Freizeichen– Kontakt!

»Oh, Herr Krause ist noch nicht im Dienst?« Frau Bergemann war ein wenig enttäuscht. In ihrer Vorstellung bewachte die Polizei die Bürger rund um die Uhr– dass es Schichten geben konnte, daran hatte sie überhaupt nicht gedacht.

»Vielleicht kann ich ihm ja etwas ausrichten«, schlug die jugendliche Stimme am anderen Ende vor.

»Ja, es ist so: Mein Mann war gestern schon bei Ihnen und hat…« Es folgte eine Zusammenfassung dessen, was Rudolf Bergemann Herrn Krause berichtet hatte, auf Lottis Art, umständlich und weitschweifig. »Und nun hat der Leo Krause wieder was abgefackelt! Das ist ein echter Verbrecher!«

»Ja, über den Vorgang bin ich informiert. Wir haben den Sachverhalt schon nach Eberswalde durchgestellt. Die vom LKA kommen vorbei und sehen sich die Sache genauer an.«

Damit war das Telefonat beendet. Hatte der junge Mann auch wirklich zugehört, mitbekommen, dass es wieder gebrannt hatte? Lotti war sich da nicht so sicher. Auf dem Weg nach unten traf sie im Fahrstuhl auf Schröders, Herrn Schneider und die Familie Hübner. Alle waren entrüstet. »Diesmal lassen wir uns das nicht gefallen«, kam man überein.

»Ich habe schon die Polizei angerufen. Die sind schon dran.« Stolz setzte Lotti hinzu: »Der Rudolf war schon gestern auf dem Revier, weil ihm das Treiben drüben auf dem Schrottplatz verdächtig vorkam!«

Als der besorgte Gatte am Abend seine Frau anrief, konnte sie ihm bestätigen, dass die Dinge nun ihren Lauf nehmen würden, er könne ruhig seine Fortbildung ›genießen‹.

Doch schon am nächsten Tag erwarte Lotti ein herber Rückschlag. Sie wählte am späten Nachmittag die Nummer von Kriminalkommissar Krause und erreichte diesmal weder ihn noch den jungen Kollegen von gestern, sondern eine völlig neue Stimme. Die klang nach Behäbigkeit, Bequemlichkeit, zu viel von zu fettem Essen– kurz: uninteressiert an Lottis Problem.

»Also wirklich, gute Frau«, begann der Kerl jovial. ›Gute Frau‹ war eine Formulierung, die Lotti so richtig gegen den Strich ging. »Sie haben doch vorgestern erst die Anzeige gemacht! Wenn da jeder ständig anriefe, wäre die Leitung nie mehr frei! Wir sind doch hier kein Auskunftsbüro! Ja, was erwarten Sie denn? Bei uns kann auch keiner hexen!«

Frau Bergemann spürte etwas Unbekanntes kräftig in sich aufwallen. Es war viel stärker und größer als bloßer Ärger oder gar Wut. »Jetzt hören Sie mir mal zu!«, forderte Lotti kalt. »Vorgestern haben wir gewarnt, gestern hatte der Krause dann seine Kabelhaufen abgefackelt und die ganze Gegend hier verpestet. Wenn wir nun alle vergiftet worden sind? Und Sie unternehmen einfach gar nichts! Ihren Namen bitte. Mit wem habe ich gesprochen. Ich will doch später sagen können, wer da so hilfreich war bei unserer Polizei«, verlangte sie spitz.

Stimmengewirr im Hintergrund.

»Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich weiß, was nun geplant ist«, versprach die Stimme eilig und beendete das Gespräch.

Am späten Nachmittag– Lotti konnte kaum glauben, dass die Polizei sie wirklich zurückrief– wieder die joviale Stimme. »Ja, wie ich sehe, wurde in dieser Angelegenheit bereits mit Eberswalde Kontakt aufgenommen. Und hier habe ich einen Vermerk: Die Kollegen kommen morgen früh– ja, na klar früh. Im Dunkeln sehen sie ja nichts.«

Das schien logisch. Lotti kühlte langsam herunter. »Wir werden ja sehen, ob das auch wirklich klappt!«, gab sie noch schnippisch zurück, dann legte sie auf.

Doch tatsächlich: Bei Tagesanbruch konnte Frau Bergemann eine wahre Karawane von Fahrzeugen beobachten, die vor dem Tor des Schrottplatzes hielt. Blaulicht, Blaulicht ohne Ende. Lotti Bergemann griff nach dem Feldstecher. ›Kriminalpolizei Tatortdienst‹ entzifferte sie auf zweien der fünf Fahrzeuge. Die anderen waren alle grün. Müssen noch alte Wagen sein, dachte Lotti schon wieder ein bisschen beleidigt, die neuen sind ja blau. Na ja, passt dann auch irgendwie zum Schrottplatz!

 

Die Beamten warteten nicht auf Leo Krause, der in aller Herrgottsfrüh telefonisch von diesem Einsatz in Kenntnis gesetzt und aufgefordert worden war, sich unverzüglich vor Ort einzufinden. Man griff in bewährter Manier auf den herbeigeorderten Schlüsseldienst zurück.

»Scheiße!«, entfuhr es dem Einsatzleiter Kriminalhauptkommissar Nöhle, als das große Tor aufgestoßen wurde. »Alles blitzblank! So einen sauber gefegten Schrottplatz habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen!«

Leo Krause erschien etwas später, das von ihm bekannte leichte Lächeln im Gesicht, als habe er gerade ein besonders gutes Geschäft abgewickelt. »Guten Morgen! Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« Freundlichkeit guckte aus jedem Knopfloch, doch Bernhard Nöhle empfand deutlich den nur knapp darunterliegenden Sarkasmus.

»Vielleicht! Anwohner haben sich über anhaltenden Gestank von Ihrem Schrottplatz beschwert. Und ehrlich gesagt, rieche ich noch immer etwas.«

»Ach, die meckern laufend«, wischte Krause die Anschuldigung vom Tisch. »Beim Schrotthandel wird eben keine Lavendelseife verkauft. Da riecht es schon mal, das, womit ich handle, duftet nicht. Aber da drüben«, er wies vage in nördliche Richtung, »ist eine Agrargenossenschaft. Die verbrennen manchmal Altöl, da bin ich ziemlich sicher. Ich war schon mehrfach dort und habe denen gesagt, dass sie das lassen sollen. Ist ja schließlich nicht nur verboten, sondern auch noch umweltschädlich!« Ganz entrüsteter Ehrenmann. Nur gut, dachte Krause, dass ich die Schlacken sofort entsorgt habe. Hausmülldeponie– schließlich müssen in diesen Zeiten doch alle zusammenhalten und die Leute vom Sicherheitsdienst sind nun wirklich schlecht bezahlt. Jeder Kabelberg war auf einem großen Stahlblech aufgeschichtet gewesen, so ließ sich alles schnell und problemlos abfahren. Die riesigen Bleche standen längst schon wieder unschuldig in einer seiner Lagerhallen. Die sauberen Kabelreste hatten noch in derselben Nacht seinen Hof verlassen und waren zu ihrem neuen Besitzer gefahren worden– alle hatten Hand in Hand gearbeitet, wie es sich gehört. »Sehen Sie, bei mir riecht es vielleicht nicht immer toll, aber richtigen Gestank produziere ich nicht. Und schon gar nicht so, dass er die Leute dort in den Wohnblocks stören könnte.«

Kein Risiko, schätzte Krause die Lage ein.

»Wir glauben, dass Sie vor drei Tagen nachts etwas auf Ihrem Gelände verbrannt haben.«

»Ich? Aber nein!« Er trat näher an den Kriminalhauptkommissar heran und meinte vertraulich: »Es gibt schon Leute, die gelegentlich hier in der Gegend ihren Müll abladen und anstecken. Ich sage da nichts.« Er setzte augenzwinkernd hinzu: »Sehen Sie, ich bin ja nicht besser als die Polizei erlaubt.«

»Wir möchten gern einen Blick in Ihre Bücher werfen. Nur um sicherzugehen.«

»Selbstverständlich, kein Problem. Meine Bücher sind sauber. Was anderes ist für mich undenkbar. Gute Erziehung«, grinste Krause selbstgerecht.

In dem Moment trat Jürgen Biedermann hinzu. Unscheinbar, schmalgesichtig, mit langer Nase, deren Endstück ausgesprochen bewegungsfreudig war. Sah aus, als schnupperte er. Man erwartete fast, seitlich Tasthaare entdecken zu können. Deshalb hatte ihm vor Jahren schon irgendjemand voller Respekt den Namen Spitzmaus verliehen.

Spitzmaus hatte offensichtlich Witterung aufgenommen. Altöl, Agrargenossenschaft? Nein! Süßlicher Geruch, der bei der Verbrennung von Polystyrol entsteht. Polystyrol und Kabelummantelung, das wollte nicht so recht passen. Die Nase der Spitzmaus war so lang wie die Säule der Gaschromatographie, ein Gerät, mit dem man die Zusammensetzung von Gasgemischen feststellen konnte. Spitzmaus war eben eine Klasse für sich. Hatte sehr oft den richtigen Riecher.

Während Leo Krause mit zwei Beamten in sein Büro schlenderte, um die Bücher herauszusuchen, meinte Biedermann: »Alles sauber. Eine Luftanalyse wird kein Ergebnis mehr bringen, das uns weiterhilft, versuchen können wir es dennoch. Bodenproben sind auf diesem weitläufigen Areal viel zu aufwendig. Bei diesem riesigen Gelände wissen wir gar nicht, wo wir überall Proben nehmen müssten. Wäre was anderes, wenn die Zeugen die Orte direkt benennen könnten, aber das wird ja wohl kaum möglich sein.«

Ratlosigkeit und Enttäuschung machten sich breit. Was nun? Verdacht auf eine Straftat und keine Beweise!

KK Nöhle rief seine Leute zusammen, einschließlich des Tatortdienstes, obwohl der nicht zur Kripo im eigentlichen Sinne zählte. Tatorttrupp der Kriminaltechnik, allesamt Forensiker.

»Mir ist da was eingefallen: Wir wissen ja, dass er gezündelt hat. Kabelummantelungen abgebrannt, um das schöne, saubere Kupfer zu Traumpreisen weiterverkaufen zu können.« Wer hatte den Beitrag geleistet? Die Spitzmaus natürlich, wer sonst?

»Und?«, fragte Nöhle gereizt.

»Ein Feuer, das über mehrere Stunden brennt, erzeugt jede Menge Wärme, oder? Wie die Osterfeuer. Als Kinder haben wir am nächsten Tag noch unsere Kartoffeln mit der Restwärme der Asche gegart. Sogar die Feuerwehr hat Wache gehalten, um zu vermeiden, dass es wieder aufflackert. Diese Aufheizung müssten wir doch eigentlich aufspüren können.«

»Wie stellen Sie sich das vor? Sollen wir jetzt 50 Thermometer anfordern und wie die Rutengänger das Gelände sondieren?« Man merkte einmal mehr die deutliche Konkurrenz zwischen den Abteilungen der Polizei.

Bernhard Nöhle ärgerte sich. Wärme im Boden, logisch, da hätte ich auch allein drauf kommen können, überlegte er, aber wäre ich sicher auch, wenn ich nicht das Gespräch mit Krause hätte führen müssen, tröstete er sich. Dann schaltete er plötzlich um.

»Sicher. Klar, das ist eine gute Idee. Wir fragen mal nach, ob der Hubi frei ist und rüberkommen kann.« Nöhle wurde etwas verzögert klar, was Spitzmaus gemeint hatte. Und er hatte recht, dachte der Einsatzleiter und war froh, es nicht laut sagen zu müssen. Wenn wir noch eine Chance haben, dann diese. Hubschrauber und Wärmebildkamera, das war die Lösung! Biedermann, der hatte wieder zwei und zwei zusammen zählen können. Unersetzlich dieser Kerl. Nöhle zückte sein Handy und begann zu telefonieren. Gab es nicht sogar eine Hubschrauberstaffel am Flughafen Schönefeld, oder war die inzwischen den Einsparungen zum Opfer gefallen?

Rasch stellte sich heraus, dass es zwei Hubschrauber gab; der eine, mit Wärmebildkamera ausgestattet, stand zur Wartung in Magdeburg, der zweite verfügte nicht über eine solche Kamera.

Und nun? Er konnte doch nicht der einzige Ermittler sein, der so ein Gerät brauchte! Wenn jetzt irgendwo jemand vermisst würde, müsste man doch auch … Klar, fiel es ihm ein, die BTU Cottbus verfügte über so ein Wunderwerk der Technik und die Bundespolizei musste auch eine solche Spezialkamera haben.

Wieder tippte er eine Nummer in sein Handy. Als sich eine jugendliche Stimme meldete, schilderte er sein Problem. »Wir stehen hier auf einem Schrottplatz. Dessen Betreiber steht unter Verdacht, vor Kurzem illegal gezündelt zu haben. Sie wissen schon– man zündet einen Haufen Kabel an, der Kunststoff fließt ab und übrig bleibt das schöne saubere, mit Kupferoxid überzogene Kupfer. Nun hat der Mann hier aber alle verräterischen Spuren schon beseitigt.«

»Und wie kann die Bundespolizei da helfen?«

»Wir vermuten Restwärme im Boden. Gibt es bei Ihnen nicht einen «

»Hubschrauber mit Wärmebildkamera?«, fiel ihm der junge Mann ins Wort. Schnösel, dachte Nöhle grantig, doch seine Stimmung hellte sich sofort wieder auf, als er weiter zuhörte. »Klar haben wir einen. Die WB-Ausrüstung an Bord müsste Ihren Bedürfnissen ziemlich gut entsprechen– sie hat eine Messgenauigkeit von 0,02 Kelvin.«

Ein glücklicher Zufall.

Schon eine Stunde später hörte man ein tiefes Brummen am Himmel. Es war der Hubschrauber, er landete vor Ort, direkt vor dem Gelände des Schrotthandels von Leo Krause. Der Pilot flog mehrfach den Schrottplatz ab, zusammen mit Biedermann, der den Hubi von einer Ecke in die nächste dirigierte. Beim gelegentlichen Blick auf das Kamerabild geriet der Ermittler geradezu in Verzückung. Volltreffer! Aber anmerken ließ er sich nichts. GPS war eingeschaltet, alles bestens. In einer halben Stunde, ein wenig Zeit für die Auswertung würde er noch benötigen, könnten die Truppenteile der Spurensicherung loslegen.

»Was soll denn das?«, fragte Krause amüsiert. »Seid ihr am frühen Morgen noch nicht fit genug das Gelände zu Fuß abzugehen? Tja, der Alltag des Beamten ist nicht von körperlicher Herausforderung geprägt, wie? Da rostet man ein!« Er merkte selbst, dass er vor lauter Nervosität viel zu viel redete.

»Nee. Das ist der Hubi der Bundespolizei. Die machen Aufnahmen mit einer Spezialkamera«, erklärte der Beamte gelassen, der sich von Krause in dessen Buchführung einweisen ließ.

Krause sah zum Fenster raus– und wusste, dass er verloren hatte. Nichts mit Kreuzfahrt, die Jacht konnte er auch vergessen, und Merle? Die würde sich wohl nach einem neuen Sponsor für das edle Reitpferd umsehen. Er seufzte. Irgendwie hatte er sich das Ende ihrer Beziehung anders vorgestellt.

 

Wenig später lag die Auswertung vor. Sieben Hitzeherde konnten identifiziert werden– einer war fraglich. Die Daten wurden aus dem Hubschrauber an die Bodenstation geschickt, die GPS-Koordinaten ermittelt, ebenso wie die Hoch- und Rechtswerte des Grundstücks. Jürgen Biedermann griff in die Außentasche seiner Jacke und zog strahlend einige Beutel für Bodenproben heraus. Natürlich wären Probengläschen besser gewesen, aber da stockte im Moment die Nachlieferung. Engpässe überall. Aus der anderen Tasche zückte er einen Spatel. So! Nun musste er nur noch auf die Daten aus dem kleinen GIS warten, dann waren die verdächtigen Stellen auf dem Gelände mit höchster Präzision bestimmt und er konnte loslegen! Den Rest mussten die Kollegen aus den Büchern und Abrechnungen, Kontoauszügen und Kartenbelegen Krauses ermitteln.

Fall gelöst? Nein!

Dann kam ihm die Spitzmaus wieder in die Quere, es hätte doch jetzt alles so gut laufen können. »Habt ihr mal die Vorprobe auf chlororganische Verbindungen gemacht? AOX können wir erst im Labor bestimmen, ebenso wie die polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffe. Wie? Keine Vorproben. Nein, stopp, Herr Nöhle!«

Vorproben also! Die Kriminaltechniker hoben ihre Kisten aus dem Tatortfahrzeug. Probennahme, Tests– allerdings keine eindeutige Anzeige bei sechs von sieben untersuchten Stellen!

»Was soll denn das?«, empörte sich Nöhle.

Leo Krause witterte schon Morgenluft! Wendete sich das Blatt zu seinen Gunsten?

Nicht so richtig, denn am suspekten Ort Nr. 5 hatte die Vorprobe ein eindeutiges Ergebnis gebracht. Biedermann geriet ins Grübeln. Warum nur an Ort 5 und nicht ebenso bei den anderen? Dafür musste es eine einleuchtende Erklärung geben.

Und wieder bewies er den richtigen Riecher.

»Herr Nöhle, Sie müssen die Durchsuchung noch einmal machen, auch die Lagerhallen dort am anderen Ende. Den Radlader nehmen sich meine Leute vor. Wir untersuchen auch die beiden Schaufeln, die daneben lehnen.«

Drei Stunden später wies Nöhle seine Beute vor: die Bleche, auf denen Krause die Kabel abgebrannt hatte. Vortest positiv. Auf der Rückseite der Bleche eine schwache Reaktion.

»Das passt.« Biedermanns Miene drückte Zufriedenheit aus. Auch die Vorprobe am Radlader fiel positiv aus, ebenso die Proben an den Schaufeln.

»Diesmal wird er die Strafe wohl nicht mehr einfach aus der Portokasse zahlen können!«, stellte Nöhle trocken fest.

 

Der Schrotthändler Leo Krause wurde zu einer Ganztagesunterbringung mit Verpflegung auf Staatskosten verurteilt.

 

 

 

Wärmebildkamera:Die Wärmebildkamera misst Temperaturabweichungen einzelner Objekte /Areale im Unterschied zur Umgebungstemperatur und setzt sie in ein Wärmebild um. Je heller, desto wärmer, je dunkler, desto kälter ist der aufgenommene Bereich. Es gibt Kameras, die Unterschiede von etwa 0,02 Kelvin registrieren können. Diese Methode kommt häufig bei der Suche nach vermissten Personen zum Einsatz, zum Beispiel beim Versuch, ein Versteck einer entführten Person in Waldgebieten aufzuspüren, sie wird aber auch zur Überwachung bestimmter sicherheitsrelevanter Areale verwendet. Im privaten Bereich wird die Wärmebildkamera eingesetzt, um Energieverluste an Häuserfassaden aufzuspüren, damit eine bessere Wärmedämmung erfolgen kann.

 

AOX: Kurzbezeichnung für Adsorbierbare, Organisch gebundene Halogene. AOX ist ein chemischer Summenparameter, der Hinweise auf das Vorhandensein von chlorhaltigen organischen Verbindungen liefert. So wird bei Ackerflächen der Boden unter anderem auf AOX-Gehalte untersucht, da dies unter gegebenen Umständen auf verbliebene Pflanzenschutzmittel im Erdreich schließen lässt.

 

Vorprobe: Schnelltest. Für viele Substanzen, die an Tatorten vermutet oder gefunden werden, gibt es passende Schnelltests, die einen ersten Nachweis für das Vorhandensein dieser Substanz liefern. Ist das erste Ergebnis positiv, werden weitere Proben entnommen, später im Labor aufbereitet und genauer untersucht, wobei dann nicht nur ein qualitativer Nachweis (die Substanz ist erwiesenermaßen vorhanden), sondern auch ein quantitativer Nachweis (in dieser Probe befindet sich die bestimmte Menge an nachgewiesener Substanz) möglich ist.

 

Bodenproben: Jeder Boden hat eine natürliche Zusammensetzung, die regional sehr unterschiedlich sein kann. Anthropogene Einflüsse können das Erdreich nachhaltig verändern. Je nach Fragestellung werden die Untersuchungsparameter festgelegt. Zur Bestimmung der Fruchtbarkeit gibt es andere Parameter als zum Nachweis eines übermäßigen Gebrauchs von Pflanzenschutzmitteln oder der Ablagerung von Giftstoffen.

 

GaschromatograPHie/Massenspektrometrie: Die Gaschromatographie dient der Untersuchung von Gasgemischen. Häufige Fragestellungen sind Belastungen der Luft mit Schadstoffen. Bei Luftanalysen kommt in der Regel eine Kombination von Gaschromatographie und Massenspektrometrie zum Einsatz. Über ein Vakuum wird Luft in einen Behälter gesaugt und im Labor in geeignete Gefäße entlassen. Mittels einer Nadel wird das Gasgemisch injeziert, in der Chromatographiesäule in seine einzelnen Bestandteile getrennt und danach durch sogenannte Detektoren meßtechnisch erfasst und ausgewertet. Auf diese Weise lässt sich zum Beispiel der Gehalt an Autoabgasen in der Luft bestimmen.

Sind die Substanzen in der zu untersuchenden Probe gänzlich unbekannt, wendet man die Massenspektrometrie an. Nach erfolgter Gaschromatographie durchläuft das Gasgemisch ein weiteres Gerät, das die Inhaltsstoffe weiter trennt und identifiziert. Es entsteht ein auswertbares Spektrogramm, das Informationen über die in der Probe enthaltenen Substanzen liefert. Bei dieser Trennung des Gasgemisches in reine Stoffkomponenten wird eine Substanz in die Gasphase überführt und dort ionisiert. Die ionisierten Teilchen laufen durch ein elektrisches Feld, wo sie nach dem Masse- bzw. Ladungsverhältnis sortiert und anschließend detektiert werden. Dieses Ergebnis wird mit einer Datenbank verglichen, die zuvor in das Gerät zuvor eingespeist wurde. Eine Software schlägt dann dem Operateur vor, um welche Verbindung es sich handeln könnte. Sehr oft wird eine Gerätekombination aus Gaschromatograph und Massenspektrometer eingesetzt. Die Gaschromatographie dient der Substanztrennung und das Massenspektrometer der Substanzidentifizierung.

Bei der SPME (solid phase microextraction, Festphasenmikroextraktion) sticht man eine Nadel durch das Septum des Probengefäßes mit dem Luftgemisch und fährt eine Faser aus, die über einen definierten Zeitraum im Gefäß verbleibt. In dieser Phase lagern sich die im Luftgemisch vorhandenen Substanzen an der Faser an. Diese gibt die Inhaltsstoffe im Injektor der Gaschromatographen unter Hitzeeinwirkung frei und die Analyse kann erfolgen. Es gibt für die unterschiedlichsten Anforderungen passende Fasern, die zum Beispiel mit Aktivkohle präpariert werden.

 

 

 

Massenspektrometer zur Bestimmung von Inhaltsstoffen

 

 

 

Triplepol. Spezieller Analysator und Detektor für die Gaschromatographie / Massenspektrometrie

 

 

 

Identifikationsgerät zur Analyse chemischer Substanzen

 

 

 

Feste Phase zur Trennung von Inhaltsstoffen. Während das gasförmige Analysematerial durch die Säule geleitet wird, trennen sich die unterschiedlichne Substanzen auf und können so einzeln vom Detektor erfasst werden.