Das Phantom

 

›Wirtschaftliche Abhängigkeit vom Staat‹, gellte es in seinen Ohren nach. Was dachte sich diese blöde Kuh eigentlich? Der ging es ja gut! Die hatte einen Job beim Arbeitsamt, wurde dafür bezahlt, dass sie anderen ihre Abhängigkeit von der staatlichen Unterstützung vorwarf. Ganz toll! Als ob er gern in dieser Situation wäre! Er hatte früher mal als Lehrer gearbeitet, doch nun brauchte man keine mehr– für Russisch. Eine Verbeamtung war nicht vorgesehen und so fiel er eben durchs Raster, reihte sich unwillig in die Schlange der Antragsteller ein, legte seine finanziellen Verhältnisse und seine persönlichen Lebensumstände offen. Dafür bekam er seit einigen Monaten einen kümmerlichen Lebensunterhalt.

Der Wagen– verkauft. Der Computer ebenfalls. Das Einzige, was er behalten hatte, war sein Laptop. Irgendwie musste er schließlich versuchen am Ball zu bleiben, selbst als ›Harzer‹ hatte man einen Anspruch auf Kommunikation mit der Außenwelt!

Arne Lautenschläger war sauer. So sehr, dass er die Tapete hätte von den Wänden kratzen können.

»Ihr Verhalten ist nicht angemessen«, hatte das blonde Gift geflötet. »Sie sind wirtschaftlich zurzeit vollkommen abhängig vom Staat und nun erlauben Sie sich auch noch Sonderkosten geltend zu machen! Für eine neue Festplatte! Wenn da jeder käme!«

»Kommt aber nicht jeder.«

»Was ich Ihnen mehr zuerkenne, muss ich andernorts entweder kürzen oder eintreiben. Ja, glauben Sie wirklich, der durchschnittliche Arbeitnehmer da draußen, der sich jeden Tag für sein Gehalt abrackert, hat Lust, Ihnen eine neue Festplatte für Ihr Laptop zu schenken?«

Lautenschläger biss sich auf die Zunge. Die Antwort, die er gern gegeben hätte, wäre kontraproduktiv. Er wusste, er würde später Magenschmerzen deswegen bekommen– aber die Festplatte war wichtiger. »Nö. Aber Vater Staat muss doch einsehen, dass ich einen funktionsfähigen Computer brauche. Heutzutage geht es nicht mehr ohne!«

»Dann würde ich meinen, Sie sollten Vater Staat Ihre Bereitschaft beweisen, selbst etwas zu tun«, gab die Blonde zurück und zog ihre viel zu rot geschminkten Lippen boshaft breit. »Ich sehe Sie in den kommenden Woche in unserer Fortbildungsveranstaltung ›Wie bewerbe ich mich richtig?‹. Sollten Sie nicht erscheinen… Sie wissen schon. Wir kürzen dann Ihre Leistungen. Die Einladung geht Ihnen per Post zu. Auf Wiedersehen, Herr Lautenschläger!«

 

Auf dem Weg durch die Gänge zum Fahrstuhl fluchte er vor sich hin. Mal lauter, mal leiser. Aber doch immer so, dass alle anderen hören konnten, wie man hier mit ihm umzuspringen wagte. Unfassbare Unverschämtheit!

»Dann kürzen wir Ihre Leistungen!«, äffte er die blöde Schreibtischkuh nach. »Dann beweisen Sie mal Ihre Arbeitsbereitschaft!« Er hatte nicht übel Lust, irgendeinen dieser stumpfsinnig vor sich hinstarrenden Typen zu erwürgen, an denen er vorbeikam– oder noch besser: Er erträumte sich, eine Bürotür aufzureißen, den Anzugträger hinter dem Monitor an der Krawatte zu packen, das Fenster zu öffnen und ihn einfach auf die Straße hinunterzustoßen. »Grüße von Vater Staat!«, hörte er sich rufen. Oder er würde den Kerl so lange würgen, bis seine Hautfarbe gar nicht mehr zur Krawatte passte, die Augen aus den Höhlen traten, die Zunge

»Auf Wiedersehen, Herr Lautenschläger!«, rief ihm der junge Mann am Infodesk freundlich nach. Aber der ahnte ja auch nichts von Arnes Gewaltfantasien.

In sechs Wochen war Weihnachten. Seine Kinder wussten genau, was sie am liebsten unter dem Weihnachtsbaum finden wollten. Socken und ein warmer Schal waren nett, standen allerdings nicht auf der Wunschliste. Es konnte doch nicht sein, dass er so viele Jahre brav geschuftet hatte und sich nun so gar nichts mehr leisten konnte! Die Gesellschaft behandelte ihn unfair!

Den Kopf an die Scheibe der Straßenbahn gelehnt, schmiedete er Pläne, verwarf sie, überlegte neu. Doch wie er es auch drehte und wendete– legal war nicht zu Reichtum zu kommen.

Miriam hatte vor ein paar Tagen das weißgoldene Collier in der Auslage des Juweliers angehimmelt. Natürlich hatte sie kein Wort darüber verloren– nur ihr Blick… Es war aber wirklich schön anzusehen. Stilisierte Blüten und Blätter, einige funkelnde Diamanten. Es war gar keine Frage, dass es ihr Dekolleté wunderbar zur Geltung bringen würde. Seine Miriam war nämlich eine Frau von Format. Nicht so ein knöcherner Kleiderständer ohne Busen und Arsch. Nein, wohlgerundet und weich.

Er stellte sich das Leuchten in ihren Augen vor, wenn sie an Heiligabend das kleine, leichte Päckchen öffnete und dann vor Freude jauchzte, ihm um den Hals fiel, ihn küsste, ihn

Er stieg aus, machte sich mit schweren Schritten auf den Weg. »Reiß dich zusammen, Arne!«, zischte er ins Schneegrau des Himmels. »Du kannst solche Geschenke nicht machen. Keine Chance. In diesem Jahr müssen wir froh sein, wenn es was Anständiges zu essen gibt!«

Ein Schneeball aus dem Irgendwo knallte an seine Mütze. Der Ruf »Schmarotzer!« folgte.

Wütend fuhr er herum, bereit den Kerl zu schnappen, der ihn so beleidigte. Käme ihm gerade recht, so einen arroganten Jugendlichen aus gutem Hause zu vermöbeln. Aggressionsstau. Gar nicht gut für den Kreislauf und den Magen. Bis zehn zu zählen, half nicht. Als er bei 250 angekommen war, gab er auf.

»Scheiße!«

Miriam fragte gar nicht erst, wie das Gespräch gelaufen war. War nicht notwendig. Ihre kühlen Finger strichen beruhigend über sein Gesicht, als versuchten sie, die Ärgerfalten wegzubügeln. Ihre Lippen drückten sich fest auf seinen Mund, ihr warmer Körper drängte sich an seinen.

»Du bist zu Hause«, flüsterte sie ihm zu, als sei das eine magische Formel und bugsierte ihn auf einen Küchenstuhl. »Tee?«

 

Mitten in der Nacht stand Arne Lautenschläger auf, trat an das Küchenfenster und starrte in die Dunkelheit. Überall lebten glückliche Familien, dachte er voller Selbstmitleid, Familien, die keine Finanzsorgen plagten, die ganz selbstverständlich einkauften, wonach ihnen der Sinn stand.

»Jetzt reicht’s!«, flüsterte er. »Schließlich kommt es nur darauf an, die Sache schlau genug einzufädeln, und schon sind wir alle Sorgen los. An der Bundesagentur für Arbeit vorbei!« Er dachte an seine Sachbearbeiterin und freute sich darüber, dass die blöde Kuh nie etwas von dem Geldsegen erfahren würde.

Eine kleine Erpressung schwebte ihm vor. Kern seines Plans war, jemanden dafür bezahlen zu lassen, dass er, Arne, etwas Angedrohtes am Ende nicht realisierte. Bei einer Entführung kündigte der Täter an, sein Opfer zu töten– er bekam Geld, damit er genau das nicht tat. So weit, so klar.

Aber eine Entführung war aufwendig und kompliziert. Es konnte in jeder Phase viel schiefgehen. Man brauchte ein ausbruchsicheres Versteck, ein Auto, Geld, um das Opfer in der Zwischenzeit zu ernähren. Hohes Risiko! Was, wenn derjenige durch einen blöden Zufall das Gesicht des Täters zu sehen bekam? Seine Gedanken wanderten zu Gäfgen– so etwas kam für ihn nicht infrage. Er wollte niemanden wirklich schädigen und sterben sollte gleich gar niemand.

Er brauchte nur Geld! Eine Androhung! Das würde völlig ausreichen.

Am besten an seinem Plan gefiel ihm, dass die ganze Sache frei erfunden sein könnte und er dennoch das Geld bekäme. Angst, wusste er, war der Schlüssel zum Safe!

 

»Herr Frick?«

Der Geschäftsführer des Lebensmittelkonzerns Gramburger Süd hörte sofort, dass seine Sekretärin besorgt war.

»Ja bitte, Frau Schröter?«

»Ich habe hier einen Herrn in der Leitung, der möchte mit Ihnen persönlich sprechen. Er droht damit, dass etwas Schreckliches geschehen wird…«, hauchte die Vorzimmerdame aufgeregt in die Gegensprechanlage.

»Ruhig Blut. Sonst sind Sie doch auch nicht so leicht aus der Bahn zu werfen!« Frick lachte vorsichtshalber etwas demonstrativer als gewöhnlich.

»Diesmal ist es anders. Der klingt so verbissen!«

»Stellen Sie durch.«

Schon nach den ersten Sätzen war klar, dass die Sekretärin recht hatte. Der Typ klang nicht nur verbissen, sondern auch zu allem entschlossen. Frick fiel ein, dass er ja das Gespräch mitschneiden könnte. Schnell drückte er auf ›Rec‹, hoffte, dass man das leise Klicken nur in seinem Büro hören konnte, und bedauerte, nicht gleich daran gedacht zu haben. Nun konnte er der Polizei bloß einen Ausschnitt des Telefonats zur Verfügung stellen. Für eine Sprachanalyse würde es vielleicht dennoch reichen, dachte er mit gewissem Stolz.

Wenige Minuten später telefonierte Maximilian Frick bereits aufgeregt mit dem Leiter seiner Filiale in Berlin-Reinickendorf. »Das Regal mit den Suppentüten. Dort, bei den Fertigsaucen. Napoli. In der linken Box die ersten drei Tüten. Sehen Sie sofort nach, bevor der Laden aufmacht! Nicht auszudenken, wenn der Kerl es ernst meint.«

Er wartete am Telefon, hörte den anderen auf dem Weg durch den Verbrauchermarkt keuchen.

»Hier– ich hab’s. Die ersten drei.«

»Fahren Sie mal mit dem Finger über die Verpackung. Können Sie eine Unregelmäßigkeit entdecken?«

»Ja. Aber dazu brauche ich gar nicht über die Tüte zu fahren. Drei Tüten, drei große rote X darauf.«

»Nehmen Sie die Beutel und bringen Sie sie in Ihr Büro. Wir verständigen die Polizei.«

 

Hauptkommissar Bachmeier war wenig begeistert. Schon wieder so ein Spinner! Erst vor drei Monaten hatte er einen gefasst, der so etwas Ähnliches bei einer anderen Kette probiert hatte.

»Mann, dass die aber auch nichts dazu lernen! Ist doch unglaublich!«, murrte er und warf einen wütenden Blick auf die Beutel, die in einer Tüte der Spurensicherung hinter ihm auf dem Rücksitz lagen. »Jetzt geht das ganze Theater wieder von vorne los! Fingerabdrücke werden wir natürlich ohne Zahl finden– doch die sind nicht registriert, könnte ich drauf wetten. Wenn der Typ schlau ist, hat er irgendetwas beigemengt, das ungiftig oder völlig unschädlich ist. Mehl, Zucker oder Salz. Beim vorletzten Mal war es Babybrei! Selbst wenn wir den Kerl kriegen sollten, kann der sich auf irgendein Bagatelldelikt rausreden.«

»Grober Unfug?«, fragte Peter Maiser und grinste.

»Naja. In der Art eben!«

Bachmeier schaltete krachend einen Gang höher. »Wenn man sich das überlegt!«, fauchte er dann wieder. »Da gibt es in diesem blöden Supermarkt eine Videoüberwachung. Aber nicht in den Regalen mit den Tütensuppen. Weil sich das nicht lohnt! Ich fasse es nicht. Sogar beim Kaugummi hätten wir ein superscharfes Bild vom Täter gehabt– aber nicht bei den Tütensuppen! Das hat der Kerl bestimmt vorher genau ausbaldowert.«

»Es gab eine Geldforderung. Wenn die Firma zahlt, schlagen wir zu.«

»Und dann?«, brummte Bachmeier. »Kleiner Fisch, kleine Strafe. Und kurze Zeit später plant der Kerl den nächsten Coup!«

In diesem Punkt irrte Bachmeier. Es sollte viel schlimmer kommen.

Maximilian Frick hatte dem Anrufer bedeutet, man werde auf seine Forderungen eingehen. Allerdings nur, wenn die Presse keinen Wind von der ganzen Angelegenheit bekäme. »Wenn Sie unsere Kunden verschrecken, gehen Sie ebenfalls leer aus.«

»Ich brauche Geld. Ihre Kunden sind mir im Grunde vollkommen gleichgültig«, versicherte der Erpresser kalt und gab seine Anweisungen für die Lösegeldübergabe durch.

 

Schon wenige Tage später saßen zwei Beamte in Zivil in einem unauffällig am Straßenrand geparkten Auto und beobachteten ein kleines giftgrünes Nylonzelt auf dem Bürgersteig gegenüber.

»Bist du sicher, dass der Kerl auch kommt?«, fragte Herbert Freiser bestimmt schon zum zehnten Mal.

»Woher soll ich das wissen? Der Koffer mit dem Geld liegt dort im Zelt und unser Job ist es, aufzupassen, ob ihn wer mitnimmt. Bisher allerdings ist keiner gekommen. Aber wenn er sein Geld nicht abholt, hat ja die ganze Erpresserei keinen Sinn gehabt.« Hans Schubert schüttelte bekümmert den Kopf.

»In einer Stunde wird’s dunkel.«

»Das weiß ich auch. Dann müssen wir vielleicht aussteigen und näher ran. Sonst sehen wir ihn am Ende nicht.«

Eine gute Stunde verging. Vom Erpresser keine Spur.

»Kollegen? Gleich ist es so dunkel, dass wir das Zelt nicht mehr sehen können. Was sollen wir tun? Bisher hat noch niemand das Geld geholt.«

»Steigt aus und seht nach!«, bellte Bachmeier ins Funkgerät. »Wahrscheinlich kommt er nicht.«

Freiser quälte seine 120 Kilo aus dem Wagen und streckte sich ausgiebig. Träge schlenderte er über die Straße, bummelte am Gebüsch entlang, stand dann wie zufällig vor dem Zelt und bückte sich, als müsse er den Schuh neu binden. Dabei schweifte sein Blick unter das Nylongewebe.

Nichts!

Da lag absolut nichts. Wild gestikulierend lief er zum Wagen zurück. »Der Koffer ist weg!«, ächzte er und ließ sich schwer atmend auf den Beifahrersitz fallen.

»Wie weg?«

»Frag nicht so blöd! Weg!«

»Das wird dem Bachmeier aber gar nicht gefallen. Oh, Mann!«, stöhnte der Kollege und setzte den Funkspruch ab.

Hans hatte sich nicht getäuscht. Bachmeier gefiel das tatsächlich nicht. Er war stinksauer. Zehn Minuten nach der Information hielt sein Auto neben dem Zelt. Die Spurensicherung hatte er auch gleich mitgebracht. Drohend kam er auf die beiden Beamten zu, die sich beeilten, auszusteigen.

»Soll das heißen, ich setze zwei Leute vor ein Zelt, die nichts anderes zu tun haben, als das grüne Ding im Auge zu behalten– und dann wird das Geld abgeholt und die beiden merken es nicht einmal?«, polterte er los.

»Es war keiner da! Echt nicht!«, versicherten sie unisono.

»Herr Bachmeier! Herr Bachmeier? Kommen Sie mal?«, rief ein Kollege, der sich mit der grünen Folie beschäftigte.

Wutschnaubend stapfte der Hauptkommissar los, spuckte aber über die Schulter: »Wir sprechen uns noch! Was soll ich mir ansehen?«, fauchte er dann.

»Knut Helmer mein Name. Ich denke, die beiden haben tatsächlich nicht sehen können, wie der Koffer verschwand. Sehen Sie hier?« Er zog eine grobe Filzplatte beiseite. »So ein Ding wird zum Unterlegen benutzt, wenn es kühl ist und man auf den Knien arbeitet. Da drunter ist ein Gullydeckel. Ihr Erpresser hat den einfach angehoben, den Koffer gegriffen und ist mit dem Geld abgehauen. War denn kein Sender dran?«

»Doch. Natürlich.«

»Nun, dann wird der Koffer einfach da unten liegen. Er hat das Geld eben umgepackt.«

Zwei Männer hoben vorsichtig den schweren runden Deckel an. Ein dritter untersuchte akribisch Rand und Leiter.

»Hier ist vor Kurzem jemand geklettert. Ganz frische Rostabtragungen.« Er leuchtete mit einer kräftigen Stablampe in die Tiefe. »Da unten liegt was. War der Koffer aus Alu?«

»Ja«, knirschte Bachmeier. »Wir dachten, mit dem Peil-Ding sei was nicht in Ordnung. Aber das schien nicht so schlimm. Schließlich sollten ja zwei Mann das Zelt im Auge behalten.«

Später sah er dabei zu, wie einer der Männer in den weißen Schutzanzügen den Koffer nach oben holte.

»Der kommt wieder, glaubt mir. Dem haben wir es zu leicht gemacht!«, murmelte er leise vor sich hin. Es war unübersehbar, dass KHK Bachmeier sich ernsthaft Sorgen machte.

 

»Miriam, ich muss dir was beichten.« Zerknirscht zog Arne Lautenschläger seine Frau zu sich auf die Couch. Auf dem hübschen Gesicht lag ein Schatten. »Nichts Schlimmes, glaube ich jedenfalls«, wiegelte Arne sofort ab. »Es ist nur so, dass man im Amt komischen Typen begegnet. Manche saufen, andere kiffen. Hat eben jeder so seine Methode mit dem Frust umzugehen. Und einer, so ein kleiner, bärtiger Typ, der zockt. Auf der Rennbahn. Und gestern hat er mich überredet, mitzugehen.«

Miriam grunzte missbilligend.

»Ich wollte nur gucken, ehrlich. Eine tolle Atmosphäre da. Diese Spannung, die in der Luft liegt, die seltsamen Männer, die anderen Tipps ins Ohr raunen– ich war schon sehr beeindruckt. Wir standen ganz vorne. Wenn die Pferde vorbeitrampelten, bebte der Boden. Es war umwerfend. Faszinierend.«

»Du hast gewettet!«

Arne senkte den Kopf. »Ja.«

Dann zog er ein kleines Päckchen aus der Jackentasche. »Und das ist für dich. Damit du mir nicht böse bist.«

Miriam sah ihren Mann scharf an. »Wovon sollen wir nun das Essen für Weihnachten bezahlen? Ist doch schon übermorgen. Und du wolltest ein paar Kleinigkeiten für die Kinder…«

»Ich hab da schon eine Idee! Du wirst sehen, alles wird wunderbar.«

Misstrauisch nahm sie ihm das Päckchen aus der Hand. Drehte es von einer Seite auf die andere. Schüttelte vorsichtig. Dann löste sie langsam die Schleife. Schob eine dunkelblaue Schachtel aus der Papierhülle.

»Arne!« Ungläubig starrte sie auf das Armband, das auf dunklem Samt gebettet darauf wartete, von ihr in die Hand genommen zu werden.

»Ich habe gewonnen, mein Schatz! Nicht, dass wir jetzt reich wären, aber eine hübsche Summe ist es schon. Niemand weiß davon. Und wir werden dafür sorgen, dass das so bleibt.«

Sie küsste ihn stürmisch.

»In diesem Jahr werden wir so richtig Weihnachten feiern!«, versprach Arne feierlich.

Ein neues, geheimes Glück zog in die Familie ein.

 

Kurz nach Neujahr fand sich Arne zu seiner Fortbildungsveranstaltung ›Wie bewerbe ich mich richtig?‹ beim Arbeitsamt ein. Er legte seinen Ausweis vor, ein junger Mann suchte seinen Namen in der langen Liste heraus und setzte einen Haken dahinter.

»Die Bescheinigung darf ich Ihnen erst am Ende des Tages geben, tut mir leid. Das Amt besteht darauf. Die haben Angst, dass sich sonst alle in der ersten Zigarettenpause verdrücken.« Dabei zuckte er bedauernd mit den Schultern.

»Ist schon okay. So gehen die täglich mit uns um. Wir sind das schon gewöhnt«, tröstete Arne und verzog sich in eine der hintersten Reihen. Es dauerte gar nicht lang, da gesellte sich Ralf zu ihm, den er schon aus der letzten Fortbildung kannte. Man zwinkerte sich zu.

»Sag mal, du bist doch Deutschlehrer?«, staunte Arne. »Dich haben sie auch einbestellt?«

»Klar, Mann! Hier geht es darum, die Kurse zu füllen. Ob ich das nun brauche oder nicht, wenn ich nicht komme, kürzen die mir die Leistungen. Außerdem habe ich Deutsch immer nur fachfremd unterrichtet, ich bin Russischlehrer!«

»Du hast Jugendlichen beigebracht, wie man sich bewirbt!«

»Ach, ist doch wurscht. Hier is’ es warm. Und guck, ich treffe auf nette Leute wie dich! Besser als manch anderer Tag!«

Arne grinste, Ralf setzte sich, zog einen Block und einen Stift aus der Tasche. »Gewappnet sein ist alles!«, feixte der ehemalige Deutschlehrer. »Neues Jahr– neue Arbeit!«

»Ach weißt du, Glück muss man haben! Haste das gelesen von diesem Erpresser, der die Polizei so vorgeführt hat? Lässt die den Koffer mit der Kohle auf dem Gullydeckel ablegen! Die haben nicht mal gemerkt, dass das Geld schon weg ist, sondern haben brav stundenlang auf so ein Plastikzelt gestarrt und auf den gewartet, der den Koffer holt. Ha! Genial! Der Typ hat meine volle Sympathie. Sicher einer wie wir. Arbeitslos und chronisch in Geldschwierigkeiten. Außerdem war das auch noch kurz vor Weihnachten! Ich gönn dem jeden Cent der Beute!«

»Und die Polizei hat keine Ahnung, wer sie da so gelinkt hat?«

»Liest wohl keine Zeitung, was?« Ralf sah Arne erstaunt an, ließ sich dann aber doch zu mehr Informationen herab. »Der hat den Supermarkt erpresst. Hat gedroht, er würde irgendwelche Produkte vergiften. In den Tüten, die sie gefunden haben, war aber nur Backpulver beigemischt worden. Das Geld wurde gezahlt, der Erpresser konnte ein fröhliches Weihnachtsfest feiern und die Leute unbesorgt einkaufen. Allerdings glaube ich nicht, dass der lang mit dem Geld auskommt. 15.000 Euro war ja eher eine bescheidene Forderung, spricht dafür, dass er noch wenig Erfahrung in diesem Metier hat. Aber besser als nix ist es allemal– viele wären froh, wenn das ihr Jahresgehalt wäre. Steuerfrei! Wie gesagt: Ich gönn es dem Typen! Linkt die ganze Bullerei! Wenn ich mir das vorstelle: Zwei Beamte hocken in der Kälte und warten auf den Erpresser– und der hat das Geld längst geholt, ohne dass die was gemerkt haben!« Er lachte herzlich.

So etwas wie Stolz machte sich wohltuend warm in Arnes Brust breit. Die Leute klatschten für ihn! Gern hätte er sich geoutet, aber er war ja kein Idiot.

»Tja, ist schon cool«, fiel sein Beifall beinahe zu mager aus. Schnell setzte er hinzu: »Der muss jetzt sicher nicht hier in dieser Fortbildungsmaßnahme sitzen!«

 

Vier Monate später verweigerte Georg, der Wirt in der Sportklause, ihm ein letztes Bier vor dem Weg nach Hause. »Ne, Arne. Nix für ungut, aber bei dir stehen schon fast 60 Euro auf dem Deckel. Da kann ich unmöglich weiter anschreiben.« Zerknirschte Miene zu den bösen Worten. »Meine Sportnix müssen auch immer gleich löhnen.«

Arne war fassungslos. »Ey, ich komme seit so langer Zeit zu dir auf mein Abendbier– oder auch mal zwei. Höhen und Tiefen haben wir miteinander durchgestanden, und jetzt lässt du mich einfach fallen? Die Freundschaft mit einem Harzer erscheint dir auf einmal geschäftsschädigend?«

»Na ja. Du musst mich doch auch verstehen. Ich brauch mein Geld– und so viel Außenstände kann ich mir nicht erlauben.«

»Nee. Arschlöcher können sich Freundschaften mit Arbeitslosen nicht erlauben. Mag wohl sein. Den Deckel zahle ich nächste Woche, wenn der Scheck von Vater Staat einläuft. Danach sehen wir uns nie wieder!«

Sprach’s, glitt von seinem angestammten Barhocker und stapfte wütend durch die Frühlingsluft nach Hause. So konnte es nicht weitergehen. Klar, das Geld von Frick war ein Pflaster gewesen– mehr nicht. Die regelmäßigen Zahlungen von Staats wegen hielten ihn und seine Familie am Leben. Und er, Arne, musste sich von jedermann ins Gesicht spucken lassen.

Miriam merkte sofort, dass etwas vorgefallen war. »Na, Leberläusewetter?«

»Ach!«, winkte Arne ab. »Der Georg. Der will seinen Deckel bezahlt haben– vorher gibt es bei ihm für einen wie mich kein Bier mehr!«

Miriam wuschelte durch seine Haare. »Das ist gemein! Wenn du erst wieder einen Job hast, sieht alles anders aus. Wie war denn das Vorstellungsgespräch heute?«

»Ha!« Arne hängte die Jacke auf, schlüpfte in seine Hausschuhe. »Das war der Hammer. 15 Bewerber von der Job-Agentur im engen Gang, Rücken an der Wand. Dann kam der Chef. Ich habe gleich gesehen, dass da was nicht stimmt, so wie der geguckt hat. Panik, sag ich dir!«

Miriam bugsierte ihren Arne zur Couch.

»Und dann wurde plötzlich die Tür zum Büro der Sekretärin geöffnet, die Tippse fragte, was wir eigentlich hier wollten! Nun, wir zeigten ihr die Schreiben unserer Sachbearbeiter mit der Aufforderung, uns zu bewerben. Daraufhin schloss sie hastig die Tür. Dahinter aufgeregtes Getuschel, ein Telefon klingelte, eine tiefe Stimme brüllte irgendwelches unverständliches Zeug. Danach wurde die Tür wieder geöffnet– diesmal stand der Chef selbst da. Er wisse eigentlich nicht, was die Job-Agentur sich bei solchen Aktionen denke, aber er habe überhaupt keine freien Stellen gemeldet. Er würde uns nun allen einen Stempel auf den Schrieb drücken, der bestätigt, dass wir uns hier eingefunden hätten, damit man nicht unsere Gelder einbehalte– mehr könne er leider nicht für uns tun.«

Er zog das Schreiben aus der hinteren Hosentasche. Ziemlich zerknittert. »Da ist der Stempel. Nächste Woche kommt Geld.«

»Das ist auch notwendig. Wir haben da ein paar Außenstände. Zum Beispiel will die Klassenlehrerin von …«

»Ich weiß!«, maulte Arne. »Wir überweisen nächste Woche.«

Miriam fiel neben ihm auf das Sofa. »Arne?«

»Mhm?«

»Dein Deckel bei Georg, die Klassenfahrt, Julchen braucht neue Kleider für den Sommer– das wird knapp, oder?«

»Das ist nicht nur knapp, es ist eigentlich nicht möglich. Aber ich werde es schon irgendwie hinkriegen, mach dir keine Sorgen. Auf Papa ist Verlass!«, verkündete er mit unangebrachtem Optimismus.

Seine Frau kuschelte sich an seine Schulter. »Wetten? Beim Pferderennen?«

Daran hatte Arne auch schon gedacht. Es war doch so einfach gewesen! Und wenn man geschickt vorging, war die Polizei kein ernst zu nehmender Gegner, das hatte sie ja schon unter Beweis gestellt.

Er nickte. »Mal sehen, was geht.«

 

In jener Nacht lauschte er den regelmäßigen Atemzügen seiner Frau, während er seinen nächsten Coup plante. Eine spektakuläre Aktion, diesmal teurer für das Opfer.

Gegen Morgen, als es hinter den Gardinen schon langsam grau wurde, hatte er eine geniale Idee: Er würde die Gelegenheit nutzen und gleichzeitig Rache nehmen! Niemand hatte das Recht, Arne sein Feierabendbier zu verweigern– gleichgültig, ob er nun Arbeit hatte oder eben nicht!

Ein Drohbrief musste her. Den konnte er natürlich nicht von Hand schreiben. Es gab Spezialisten beim LKA, die sich damit beschäftigen würden, zu großes Risiko. Drucken schien ihm zu billig. Ein bisschen mehr Aufwand durfte es schon sein. Ein Brief aus aufgeklebten Buchstaben kam seiner persönlichen Vorstellung am nächsten. Im Fernsehen zeigten sie das auch immer. Georg, der Wirt der Sportlerkneipe, war von sehr einfacher Natur, dem musste er bekannte Bilder anbieten, damit er den Ernst der Lage erkannte. Gleich nach dem Frühstück stellte er sich auf seinen kleinen Balkon und starrte mit brennenden Gedanken auf das Dach seiner– seit gestern ehemaligen– Stammkneipe.

Seine Rache war nah.

Die Wand der daneben liegenden Sporthalle zum Kiez hin war frisch gestaltet, stellte er beiläufig fest, hier tobten sich die Sprayer gern aus, schufen mal mehr und mal weniger gefällige Kunstwerke. Aber bunt waren sie allemal– und Farbe war in seiner Gegend eher Mangelware. Außer Grau war nur wenig anderes vertreten. Da taten die Bilder den Augen gut, egal, wie gelungen sie waren. Aufs Dach zu kommen war leicht, er hatte die Sprayer oft genug dabei beobachtet. Kein Problem.

Die Lüftung der Sporthalle, die Luft ansaugte.

Ein bisschen Buttersäure und die Sache ist erledigt, dachte Arne zufrieden und wandte sich nun Überlegungen zur Übergabe des Geldes zu. Einen übersichtlichen Platz müsste er wählen, wo jeder Fremde leicht auszumachen ist. Für Arne Lautenschläger war schnell klar, wie und wo er die Zahlung inszenieren würde. Im Park! Das Geld in einer Zeitung im Mülleimer. Er selbst könnte dann in aller Ruhe Zeitung lesend auf einer Bank warten, bis sich eine günstige Gelegenheit ergab, das Geld an sich zu bringen.

Als Miriam die Kinder in die Schule brachte, begann Arne mit den Vorbereitungen für den Text.

Das Wochenblatt flatterte kostenfrei in alle Haushalte im Kiez, nun stand ein ungewöhnliches Recycling der Artikel an. »Diesmal sind Sie noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen– beim nächsten Mal nehme ich ein giftiges Gas! Wollen Sie wirklich riskieren, dass in Ihrer Halle Menschen sterben? Wenn nicht, dann zahlen Sie…«, hier stockten Arnes Gedanken jedes Mal. Wie hoch sollte seine Forderung ausfallen? Mit 15.000 Euro waren er und seine Familie nicht sehr lange ausgekommen, was daran lag, dass er seiner Miriam diesen wundervollen Schmuck gekauft hatte. Armband und Collier. Die Frau seines Herzens sollte schon sehen, dass sie ihm richtig was wert war. Ein bisschen höher sollte die Forderung diesmal schon sein. Auf der anderen Seite konnte er nicht gut abschätzen, welchen Betrag Georg und sein Sporthallenpächter aufbringen konnten. Er beschloss, die Stelle erst einmal freizulassen. »Wickeln Sie das Geld in eine Zeitung und werfen Sie es am 24. des Monats in den ersten Mülleimer links vom südlichen Parkeingang. Gehen Sie rasch weiter, sehen Sie sich nicht neugierig um. Keine Polizei! SonstEs grüßt das Phantom!«

Arne fand den Text überzeugend. Georgs Niveau angemessen. Blieb noch das Problem mit der Summe. Nach reiflicher Überlegung setzte Arne schließlich 150.000 ein. Seine Finger schwitzten in den eng anliegenden Handschuhen, was die Bastelarbeit erheblich erschwerte. Aber Fingerabdrücke galt es auf jeden Fall zu vermeiden– er wusste sehr genau, wie wichtig das war.

Bei seinem täglichen Nachmittagsrundgang sammelte er, was er zur Tarnung verwenden wollte, für den Fall, die Polizei könnte ihn beim Klettern auf dem Dach erwischen. Die Sprayer ließen oft genug einfach die leeren Dosen zurück. Georg schimpfte immer darüber. »Die Malerei mag ja noch angehen! Aber können die dann nicht wenigstens ihren Müll selbst entsorgen? Bin ich denn deren Depp fürs Grobe?«, meckerte der Wirt dann lautstark. Mit den leeren Dosen im Gepäck wäre er für die Polizei einer aus der Szene, was rechtlich gesehen billiger war, als ein Erpresser zu sein. Also steckte er einige der Metalldosen ein. Terpentin müsste sich noch im Keller finden, das hatten die Jungs auch immer in der Tasche, zum Korrigieren und Verwischen.

Miriam bemerkte nichts von all den Vorbereitungen.

Arne deponierte seine Beutestücke im Keller, machte sich dann auf die Suche nach der alten Flasche, die lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Erinnerung an gelungene Schulstreiche, abgesagte Klassenarbeit wegen des unzumutbaren Gestanks im Schulgebäude– lange her. Buttersäure! Irgendwo schlummerte sie noch, wartete auf ihren gewinnbringenden Einsatz. Und tatsächlich. In dem Karton, der Kleinzeug aus seiner Studentenbude enthielt, entdeckte er sie, gut gesichert in einem extra Karton. Fast liebevoll strichen seine Finger über das angeschimmelte Etikett.

Fehlte noch ein letzter Blick in den Park, nur um sicherzugehen, dass nicht jemand ›seinen‹ Mülleimer abgebaut hatte. Er dachte daran, zum Eintüten des Briefs in den Umschlag ein weiteres Paar Latexhandschuhe aus Miriams Vorrat anzuziehen, um auch hier Fingerspuren zu vermeiden. Die Klebefläche des Briefumschlags befeuchtete er mit Leitungswasser. Bloß Vorsicht mit DNA-Spuren! Arne wusste, was er beachten musste.

Jetzt galt es nur noch den richtigen Moment abzupassen. Der kam schneller als erwartet.

»Arne, macht es dir etwas aus, wenn ich heute mit den Kindern bei meinen Eltern übernachte?«, erkundigte sich Miriam zwei Tage später beim ersten Kaffee des Tages. Ihr Ton war schuldbewusst angehaucht, war ihr doch bewusst, wie sehr Arnes Verhältnis zu den Schwiegereltern gelitten hatte, nachdem er ›freigesetzt‹ worden war. »Andere schaffen es auch verbeamtet zu werden«, hatte ihr Vater Arne zu verstehen gegeben. »Die letzten Idioten kriegen das hin! Nur mein Herr Schwiegersohn, der nicht! Der wird sogar entlassen!« Seit damals hatte ihr Mann sie nie mehr dorthin begleitet.

»Ist schon in Ordnung«, murmelte Arne zu ihrer Überraschung nur.

»Macht es dir wirklich nichts aus? Ich will nicht, dass es dir nachher leid tut. Ich weiß ja, wie einsam die Wohnung ohne die Familie sein kann.«

»Ist schon in okay. Es sind deine Eltern, die wollen natürlich auch ihre Tochter und die Enkel sehen. Ist doch logisch. Aber, Miriam, kein Wort über…«

»… die Pferdewette! Ich bin doch nicht blöd! Hast du eigentlich deinen Freund inzwischen getroffen, den, der dir den Tipp gegeben hatte?«

»Heute Nachmittag. Alles wird gut.« Sie lachten gemeinsam über den dummen Spruch.

 

Für Arne war klar, was nun anstand. Er packte die Dosen, das Terpentin, ein Katzenschälchen– langsam nervte ihn das mit den Handschuhen gewaltig– und den Rest Buttersäure in seinen Rucksack. Stellte ihn hinter der Wohnungstür parat. Danach bezog er Posten auf seinem Balkon. Wartete geduldig darauf, dass Kneipe und Sporthalle sich zu füllen begannen, die fleißigen Arbeitsplatzbesitzer vorbeikamen, um die unnötigen Kalorien des Kantinenessens und den Arbeitsstress abzubauen, hinunterzuspülen oder wegzusporten.

»Na los, ihr Sporthosen! Das Training wartet! Ich hab euch so satt. Dieses dumme Geschwätz über Stress am Arbeitsplatz und wie schön es die Harzer hätten, die sich dem ganzen Druck nicht aussetzen müssten. Die wären doch so richtig gut dran, der ganze Tag frei für Sport! Was wisst ihr denn schon! Mir wäre so eine Portion Leistungsdruck schon ganz angenehm, dann könnte ich mir die Mitgliedschaft in eurem Sportclub auch leisten. Ihr widerwärtigen Snobs– ich werde euch heut mal rennen lassen!«

Als es zu dämmern begann, tauschte Arne seine blaue gegen eine schwarze Jeans, zog einen schwarzen Rollkragenpullover, einen ebenso dunklen Kapuzensweater und dunkle Lederhandschuhe– Überbleibsel aus besseren Tagen– an, nahm den Rucksack und machte sich auf den Weg. Kurz vor dem Sportzentrum setzte er die Kapuze auf, trabte von der bunten Mauer her an das Gebäude heran, schlüpfte wieder in die Latexhaut. Den geheimen Aufstieg der Sprayer zu finden, war ein Kinderspiel. Nun war nur noch die Buttersäure günstig zu platzieren. Er staunte selbst darüber, dass seine Hände kein bisschen zitterten, als er die widerlich stinkende Flüssigkeit in das Katzenschälchen goss und unter dem Ansaugrohr abstellte. Jetzt noch ein paar der leeren Spraydosen abgelegt. So!

Behände kletterte er wieder vom Dach, warf im Vorübergehen den Erpresserbrief in Georgs Kasten und kehrte in seine Wohnung zurück, damit er das nun einsetzende Chaos nicht verpasste.

Und richtig. Er hatte sich kaum in einen Stuhl gesetzt und in eine Decke gewickelt, da kamen auch schon die ersten Feierabendsportler aus der Halle gerannt. Ihre aufgeregten Stimmen waren bis zu ihm herauf zu hören. Georg lief zwischen den Leuten herum, es wurde diskutiert, gestikuliert. Es dauerte auch gar nicht lang, bis Blaulicht und Sirenengeheul auf den Zufahrtstraßen die Ankunft der Polizei meldete. Zufrieden registrierte Arne, dass auch einige Rettungswagen geordert worden waren. Ein riesiger Affenzirkus! Er klatschte in die Hände. Mit ein bisschen Glück würde dieses Ereignis Georg in eine tiefe Krise stürzen!

»Schade, dass ich dein Gesicht nicht sehen kann, wenn du den Brief aufmachst! Die Augen werden dir übergehen!«, freute sich Arne, der Erpresser und Rächer. Der Feierabendbiertrinker bedauerte den Verlust seines Stammplatzes. Aber das hat Georg mir ja einbrockt, dachte er, daran trage ich selbst nun wirklich keine Schuld.

Erst als sich draußen eine gewisse Ruhe einstellte, setzte er sich mit einer Stulle vor den Fernseher. Da! Im lokalen Sender kam schon ein Bericht über ihn! Und der Brief war auch schon entdeckt worden. Arnes Brust schwoll an vor Stolz. Die Polizei hatte noch keine Vorstellung von der Substanz, die verwendet worden war, es werde in alle Richtungen ermittelt, man prüfe die gesundheitliche Gefährdung zur Stunde noch, die drei Personen, die ins Krankenhaus eingeliefert wurden, konnten es inzwischen wieder verlassen. Arne war zufrieden. Er hatte nicht erwartet, dass jemand sich wegen eingeatmeter Buttersäuredämpfe im Krankenhaus behandeln lassen musste, glaubte sich daran erinnern zu können, dass diese Säure völlig unbedenklich war, aber letztlich war ja niemand gesundheitlich zu Schaden gekommen. Hysteriker bestimmt, Hypochonder, die in jeder Lage gleich das Schlimmste befürchteten, beruhigte er sein schlechtes Gewissen. Und die Ernsthaftigkeit seiner Forderung unterstrich es allemal.

 

In dieser Nacht konnte Arne wieder nicht schlafen. Das lag vielleicht daran, dass er es nicht gewohnt war, allein in diesem breiten Bett zu liegen. Aber das war nicht der einzige Grund. In Gedanken ging er wieder und wieder das Szenario durch, das er beobachtet hatte. Polizei überall, wohlgeordnetes, überlegtes Vorgehen, alles stimmig, jeder wusste, was er zu tun hatte. Und Zweifel machten sich breit. Hatte er seine Gegner unterschätzt? Der Übergabeort war von ihm gewählt worden, weil er das Terrain gut überblicken konnte. Kein störendes Buschwerk, keine Hütten oder Schuppen. Doch das galt natürlich für die Polizisten ebenso. Es wäre gar keine Schwierigkeit den Mülleimer unter permanenter Beobachtung zu halten. In dem Moment, in dem er die Zeitung an sich nähme, wäre er verloren.

Was tun?

»Ich kann Georg anrufen und telefonisch einen anderen Übergabeort vereinbaren«, murmelte er der Bettdecke zu. »Aber Georg hat kein Interesse, zu schweigen. Er will sicher sein, dass der Täter im Gefängnis landet. Schon wegen seiner Sportler. Der wird natürlich sofort die Polizei informieren. Scheiße! Wenn das mit dem Geld nicht so eilig wäre, könnte ich ja in aller Ruhe… Aber so geht das nicht.«

Als er am Morgen frühstückte, wusste er, dass er zwar in den Park gehen und sich das Schauspiel ansehen würde– aber mehr nicht. Rasch brach er auf, um die letzten leeren Dosen und die verräterischen Papierschnipsel zu entsorgen, die im Keller auf den Abtransport warteten. Bei seiner Rückkehr erwarteten ihn zu seinem nicht geringen Schrecken bereits zwei Polizeibeamte an der Wohnungstür. Zuvorkommend, allerdings mit zitternden Knien, bot er den beiden Kaffee an, den sie aber ablehnten.

»Gestern Abend gab es drüben bei der Sporthalle ziemlichen Trubel. Wir möchten nun wissen, ob Sie davon etwas bemerkt haben.«

»Als die Streifenwagen vorfuhren, das war ja nicht zu überhören. Ich habe dann gesehen, dass drüben viele Leute irgendwie kopflos rumgerannt sind– mehr nicht. Aus den Nachrichten habe ich erfahren, dass es einen Giftgasanschlag gegeben haben soll. Wer macht denn so was?«, gab Arne sich entrüstet.

»Uns interessiert, ob Ihnen vielleicht jemand aufgefallen ist, gestern oder in den letzten Tagen, der sich auffällig benommen hat, sich dort an der Halle herumdrückte und offensichtlich die Umgebung erkundete.«

»Nein, das tut mir leid. Sonst sind da immer mal Sprayer unterwegs, aber selbst von denen habe ich in der letzten Zeit niemanden gesehen.«

Damit gaben sich die beiden Beamten zufrieden und Arne atmete tief durch, als sie gegangen waren.

 

Im Park waren an jenem Nachmittag besonders viele Spaziergänger unterwegs. Das fiel ihm sofort auf. Lautenschläger setzte sich auf die Bank neben dem von ihm bestimmten Mülleimer und schlug ein Buch auf. ›Tractatus Satanicus‹, ein dicker Wälzer über das wahre Wesen des Teufels, den er sich selbst zu Weihnachten geschenkt hatte. Damit konnte er sich gut und gerne ein paar Stunden beschäftigen. Schließlich war er arbeitslos. Warum nicht mal eines der gängigen Klischees erfüllen– zum Beispiel das vom glücklichen und entspannten Müßiggänger?

Obwohl er den Eindruck erweckte, ganz mit dem Text beschäftigt zu sein, bemerkte er doch, dass immer wieder dieselben Spaziergänger an ihm vorbeikamen. Gelegentlich setzte sich einer von ihnen neben Arne auf die Bank, schlug ostentativ eine Zeitung auf und brabbelte leise in sein Sprechgerät. Geschickt sieht anders aus, konstatierte der Erpresser fast ärgerlich, so geht das doch nicht, das durchschaut heutzutage jeder Grundschüler!

Als es dunkel wurde, brach man den Polizeieinsatz ab. Ein Spaziergänger nahm das Zeitungspaket aus dem Mülleimer und trug es zu einer Gruppe hinüber, die außerhalb des Parks gelauert hatte, bereit, jederzeit über den herzufallen, der das Geld aus dem Metallbehälter fischen wollte.

Entschlossen klappte Arne Lautenschläger das Buch zu und ging nachdenklich nach Hause zurück. Eines war klar: Er brauchte einen neuen Plan!

 

Miriam brachte gerade die Kinder ins Bett, als er die Wohnung betrat.

»Kaum lässt man dich mal allein, schon gibt es drüben einen Anschlag!«, lachte sie und umarmte ihn freudig.

»Du bist ja bloß sauer, weil du das Spektakel verpasst hast!«

»Schalt mal den Fernseher ein, gleich kommt ein Bericht darüber!«, rief sie ihm aus dem Bad zu, wo sie das Zähneputzen des Nachwuchses überwachte.

»KHK Bachmeier steht uns für ein ausführliches Gespräch zur Verfügung. Guten Abend, Herr Bachmeier. Da hat die Polizei wohl alle Hände voll zu tun, um diesen Täter, der sich das Phantom nennt, zu schnappen. Es hat sich bei dem Anschlag auf die Sporthalle gestern also nicht um einen Giftgasanschlag gehandelt? Das können Sie bestätigen?«, fragte eine aufgeregte Reporterin und drückte mit dem Mikro fast die Nase ihres Gesprächspartners platt.

»Es handelte sich um Buttersäure. Die stinkt zwar unerträglich, ist aber nicht giftig. Sie kennen den Geruch sicher von Stinkbomben. Mehrere Mitglieder des Sportclubs klagten über tränende Augen, Übelkeit, Kopfschmerzen und Erbrechen, aber niemand musste stationär aufgenommen werden.«

»Wie kam die Buttersäure denn ins Gebäude?«

Bachmeier wand sich. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als wolle er der Frage ausweichen. Dann entschied er sich doch für eine Antwort. »Über das Lüftungssystem. Wir gehen davon aus, dass der Täter vorher gründlich recherchiert hat und so die Stelle entdeckte, die für den Anschlag am günstigsten schien.«

»Wir haben auch von einer geplanten Geldübergabe gehört. Wie hoch war die Forderung des Täters?«

Bachmeier unterdrückte ein Grinsen. Arne sah es deutlich. Er ärgerte sich. Offensichtlich nahm dieser Typ ihn nicht ernst.

»Der Täter hat eine Geldforderung geschickt, das stimmt. Die Übergabe scheiterte allerdings. Er hat das Geld nicht abgeholt.«

»Nicht abgeholt?«, echote die Reporterin fassungslos. »Heißt das, die Mitglieder des Sportclubs müssen nun mit weiteren Anschlägen rechnen?«

»Nein, das heißt es nicht!«, kam die Parade diesmal ohne jedes Zögern.

Arne grunzte.

In den Nachrichten berichtete ein Polizeisprecher wenig später, es habe sich kein Lösegeld in der Zeitung befunden, die Geldübergabe sei nur inszeniert gewesen, um den Täter zu fassen. Das wurde allerdings eilig dementiert– doch Arne war sich sicher, dass es der Wahrheit entsprach. Die haben auch noch versucht mich übers Ohr zu hauen, hämmerte es hinter seiner Stirn, diese Möchtegerncowboys!

»Na, gut, dann eben Plan B!«, vertraute er seinem Salamibrot an. »So geht man mit Arne Lautenschläger besser nicht um! Ihr glaubt, ihr hättet es hier mit einem verblödeten Dilettanten zu tun! Das macht den Täter ärgerlich. Und wenn er sich ärgert…« Er brach abrupt ab, als seine Kinder sich plötzlich neben ihn in die weiche Couch fallen ließen. »Na, meine Süßen, wie hat es euch bei Oma und Opa gefallen?«

»Gut!«

»Mir war es zu langweilig.«

»Aber der Opa hat mit uns Dinosaurierskelette gebastelt. Willst du mal eins sehen?« Schon war Julchen aufgesprungen und holte eilig die Trophäe aus dem Kinderzimmer.

Arne staunte pflichtschuldig.

»Das ist ein T-Rex. Der hat andere Saurier gejagt und gefressen, sagt Opa. Der war sehr gefährlich.«

»Es war sicher gar nicht so leicht, das Ding zusammenzukleben.«

»Die haben den ganzen Nachmittag dazu gebraucht!«, maulte sein Sohn. »Ich war für Schwimmen gehen. Aber nö, war nix zu machen!«

»Deine kleine Schwester hatte Spaß. Du hättest doch was lesen können.«

»Ich bin mehr der sportliche Typ«, tönte der Junge altklug und nahm dem Vater das Versprechen ab, die Familie an einem der nächsten Wochenenden ins Schwimmbad einzuladen– mit allem Drumunddran. Das bedeutete Mittagessen und Cola für alle.

Arne schmunzelte und zwinkerte ihm zu. »Wird schon klappen. Aber jetzt wird geschlafen!«

 

Gleich am nächsten Morgen begann Arne mit der Vorbereitung für Plan B. Es war keine so gute Idee gewesen, sich von der Lust auf Rache vom Wesentlichen abbringen zu lassen! Frick hatte prompt und ohne viel Federlesens bezahlt– und er würde es wieder tun.

»Diesmal wird er ein bisschen mehr Anschub brauchen. Backpulver ist nicht mehr genug. Ich brauche was Bedrohliches«, erklärte Arne beim Rasieren seinem Spiegelbild. »Gift.«

Sein Gegenüber nickte so begeistert, dass er sich um ein Haar geschnitten hätte. Er war bereit, der Polizei den Zahn vom Idioten als Erpresser endgültig zu ziehen! Gift, das war klar, aber welches? Und wo sollte er es hineinmischen? Die Sache mit dem Backpulver in der Tütensuppe war relativ einfach gewesen und harmlos. Das müsste diesmal natürlich anders sein– die Gefährdung sollte real gefühlt werden können– und natürlich stieg nun die geforderte Summe! Er konnte sich ein wenig Zeit lassen, die anderen weichkochen, wenn es sich als notwendig herausstellen sollte.

Miriam freute sich darüber, dass Arne bester Laune war, als er sich die erste Tasse Kaffee einschenkte. »Na, dir geht es ja richtig gut heute!«

»Ja, ich treffe mich nachher mit meinem Kumpel– du weißt schon, dem Pferdekenner!«

Miriam war zufrieden.

 

Bachmeier war nicht wirklich überrascht darüber, von diesem Erpresser erneut zu hören: Das Phantom. Klar, ich hätte mich auch geärgert, wenn man versucht hätte, mir Zeitungsschnipsel statt Geld unterzujubeln, dachte er, als er zur eilig einberufenen Besprechung unterwegs war. Logisch, der Kerl wollte ernst genommen werden. Bachmeier predigte schon seit Jahren: Einmal zu viel ernst genommen schadet nicht, aber einmal an der falschen Stelle nicht ernst genommen, konnte eine Katastrophe auslösen!

Wenig später lagen die neuen Fakten auf dem Tisch: Einige Gläser Apfelmus hatten Mitarbeiter der Supermarktkette entdeckt und sofort aus den Regalen entfernt. Eine telefonische Warnung, in einer Filiale, wo man auf die elektronische Aufzeichnung von Gesprächen nicht vorbereitet war, setzte die Suchaktion in Gang, in deren Verlauf insgesamt sieben präparierte Gläser sichergestellt werden konnten. Bachmeier war beunruhigt– der Kerl fuhr nun schärfere Geschütze auf. Die Geldforderung war auch erwachsen geworden. Nun ging es nicht mehr um ein paar Tausend Euro, sondern um eine halbe Million. Ort und Zeitpunkt der Übergabe: noch unbekannt, erfuhr er.

»Eine Grauverfärbung und unangenehmer Geruch fallen auf, wenn man die Gläser öffnet. Sieht aus, als wollte er eher warnen denn vergiften. Die Gläser sind zur Analyse«, verkündete Peter Maiser und ließ sich schwer in seinen Schreibtischstuhl fallen.

»Wer hat die Informationspanne beim letzten Mal zu verantworten?«, erkundigte er sich und sah grantig in die Runde. »Wenn man mir übers Fernsehen mitteilt, dass statt Geld nur Schnipsel im Mülleimer lagen, reagiere ich als Erpresser stinksauer! Das ist durchaus nachvollziehbar! Diesmal muss die Sache besser laufen. Ich weiß nicht mit Sicherheit, wie gefährlich der Kerl tatsächlich ist– aber da er diesmal kein Backpulver verwendet hat, ist klar, dass er das Potenzial zum richtig bösen Buben hat!«

Allgemeines Gemurmel antwortete ihm.

»Das bedeutet für uns, die Öffentlichkeit muss gewarnt werden!« Das Gemurmel nahm an Lautstärke zu. »Darüber diskutiere ich nicht! Wenn nun jemand vom Apfelmus genascht hätte? Nicht auszudenken. ›Polizei lässt tödliche Vergiftung zu!‹ Also: Information an die Medien! Dann: Die Übergabe wird diesmal besser vorbereitet. Das mit dem Sender in der Tasche hat nicht funktioniert, also stecken wir ihn diesmal zwischen die Scheine. Wir präparieren Geldbündel– Papier und 100-Euro-Scheine. So bemerkt er den Fake nicht sofort. Die Teams am Übergabeort koordiniere ich diesmal selbst.«

Nur nickende Köpfe in der Runde. An peinlichen Schlagzeilen über schlaue Verbrecher und dumme Bullen war hier niemand interessiert.

 

Arne saß im Wartebereich der Arbeitsagentur. Seine Sachbearbeiterin war noch mit einem anderen ›Kunden‹ beschäftigt.

»Na, hallo– auch wieder da!«, begrüßte ihn Ralf jovial und klopfte ihm auf die Schulter. »Hat’s schon gewirkt?«

»Super. Der letzte, zu dem sie uns geschickt haben, hatte gar keine freie Stelle und konnte sich nicht erklären, warum man ihm einen Haufen Arbeitslose in den Flur gestopft hat.«

»Die Bewerbung war richtig– der Betrieb falsch«, grinste Ralf und Arne bemerkte, dass dem anderen die oberen mittleren Schneidezähne fehlten.

»Was ist dir denn passiert?«

»Prügelei. Ich würde ja jetzt gern so was sagen wie: Du solltest erst mal die anderen sehen! Aber das glaubst du mir ja eh nicht. Termin beim Zahnarzt habe ich schon– war ein Überfall, ich hatte keine Schuld.«

»Wer überfällt schon einen Harzer?«

»Einer, der noch ärmer dran ist. Hast du gelesen, das Phantom hat wieder zugeschlagen! Ist ein schlaues Kerlchen! Geht der Polizei nicht auf den Leim– einige munkeln schon, dass er Kontakte haben muss, sonst wäre er sicher im Park geschnappt worden!«

»Kontakte?«, gab sich Arne begriffsstutzig.

»Die Leute glauben, er wusste von dem Papier. Würde mich nicht wundern, wenn der bald einen neuen Coup startet. Ist ja ein bisschen wie ein Spiel, nicht? Wer linkt wen.«

»Herr Lautenschläger!«, schnarrte die Stimme seiner Sachbearbeiterin über den Gang.

»Meinste, die hat was für dich?«

»Nee. Die hatte noch nie was für mich. Die gibt mir nicht mal die Hand, wegen der Ansteckungsgefahr. Tschüss, Ralf!«

 

Bachmeier wurde blass. »Was war da drin?«

»Simazin.«

»Das schmeckt man doch!«

»Kinder nicht unbedingt. Für sie ist es nicht ungewöhnlich, dass etwas seltsam schmeckt– sie entdecken ja noch.«

»Scheiße! Es hätte also diesmal ernst werden können. Was ist mit den Videoaufzeichnungen?«

Ein anderer Kollege reichte ihm einen Bericht über den Tisch. »Hier ist das Ergebnis der Auswertung. Mit mittlerer Wahrscheinlichkeit ein Mann– aber das ist eben nicht sicher. Die Haare sind nicht zu sehen, er weiß offensichtlich um die Kamera und schaut nie direkt in ihre Richtung. Seine Bewegungen erscheinen flüssig, aber nicht jugendlich. Im Bericht steht, er sei wohl mittleren Alters, zwischen 30 und 50.«

Bauchmeiers Faust sauste auf den Schreibtisch. Seine Kaffeetasse sprang in die Luft, eine kleine Menge der kalten Flüssigkeit schwappte auf seine Jeans. »Wir haben also nichts!«

»So kann man das nicht sagen. Immerhin können wir seine Größe ganz gut bestimmen. Die Kollegen haben die Regalbödenabstände ausgemessen und sich auf eine Größe von 1,78 Meter bis 1,82 Meter festgelegt.«

»Wow! Dann haben wir ihn ja praktisch schon!«, höhnte Bachmeier, der hektisch versuchte, den Kaffee von der Hose zu tupfen. »Meine Frau ist in Urlaub– bei ihrer Schwester. Mann, ich hab keinen Bock auf Wäsche waschen, und das ist meine vorletzte Jeans.«

»Vorletzte?«

»Ich hab nur zwei!«, fauchte Bachmeier den jungen Kollegen an. »Hat sich der Kerl inzwischen gemeldet?«

»Nein. Wir haben eine Fangschaltung installiert. Bleibt nur, zu warten.«

Warten gehörte nicht zu den Dingen, die Bachmeier besonders gern tat. »Die Geldbündel sind vorbereitet? Ich denke mir, er wird es eilig haben. Sollte er sich schon vor dem letzten Fehlschlag in finanziellen Schwierigkeiten befunden haben, sind die in der Zwischenzeit sicher nicht geringer geworden. Und für die, die gern langfristig planen, ist schon bald wieder Weihnachten. Da steigt der Bedarf an Barmitteln bei uns allen an– auch bei denen, die sich kriminell die Taschen füllen wollen!«

»Wir haben einige Bündel so geschnürt, wie Sie vorgegeben haben. Die Übergabe wird wohl in der Dunkelheit stattfinden– wir haben es so gemacht, dass er nicht auf den ersten Blick die Manipulation erkennen kann. Der Sender ist flach, fällt nur auf, wenn man mittig auf die Banderole drückt, am richtigen Bündel. Nicht sehr wahrscheinlich, dass er das bemerkt.«

»Ich kann noch immer nicht glauben, dass die Scheine beim ersten Mal nicht mit einer Farbpatrone versehen waren! Natürlich will am Ende niemand die Verantwortung für die Schlamperei übernehmen, aber ganz klar: Wäre die erste Übergabe gescheitert, hätte das Phantom keine weitere Erpressung versucht!«, polterte Bachmeier.

Das sah der junge Kollege ganz anders. Seiner Meinung nach war Erpressung einfach eine schnelle Methode, an viel Geld zu kommen. Sicher nicht ganz so effektiv wie eine Geiselnahme, aber eben auch mit weniger Risiko behaftet. Ein Teil von ihm bewunderte den Mann, den sie das Phantom nannten. Der musste ein unglaubliches Gespür haben! Sonst wäre er beim letzten Mal in die Falle getappt.

»Die Tasche?«

»Sicher. Alles vorbereitet. Wenn sie etwas hart aufgesetzt wird, entsteht Staub. Alles wie bestellt.«

Bachmeier sah zum ersten Mal seit Langem zufrieden aus.

 

Arne hörte aufmerksam zu. Der Nachrichtensprecher warnte die Bevölkerung, ein Erpresser habe Apfelmusgläser vergiftet, weitere Anschläge seien nicht ausgeschlossen, und riet zu den üblichen Vorsichtsmaßnahmen. »Überprüfen Sie vor dem Kauf oder Verzehr, ob das Vakuum unter dem Deckel noch erhalten ist. Beim Aufschrauben muss ein leises Ploppen zu hören sein. Probieren Sie zunächst nur eine kleine Menge, riechen Sie am Produkt.«

Natürlich erfolgte auch am Ende der Hinweis an die Bevölkerung, verdächtige Beobachtungen während des Einkaufs sofort dem Personal oder der Polizei zu melden.

Gut, dachte Arne, dann beobachtet mal schön. Er würde nun ein paar Tage verstreichen lassen. Das erhöhte die Ungeduld bei den Ermittlern und den finanziellen Druck auf Frick. Sein Anruf wäre geradezu eine Erleichterung für alle– seine Geldforderung nicht. Mit Peanuts war Schluss.

Fangschaltung– daran musste er auch denken. Sie konnten das Gespräch zurückverfolgen und ihn innerhalb von einer Minute orten. Blieb also nicht viel Zeit für das Telefonat. Sie würden versuchen, das Gespräch in die Länge zu ziehen. Dieses Problem war eines seiner leichtesten Übungen. Arne schwebte ein bewährter technischer Trick vor.

So tönte es ein paar Tage später verrauscht und taschentuchgedämpft– Arne hatte das mal in einem Film gesehen– aus dem Hörer: »Herr Frick, Sie sprechen mit dem Phantom. Wenn Sie nicht wollen, dass weitere Nahrungsmittel vergiftet werden, vielleicht sogar jemand Schaden nimmt, dann…« Es folgte eine ausführliche Beschreibung des Wo und des Wie der Geldübergabe und seine Forderung: 1,5 Millionen Euro!

Danach wartete Arne neugierig im Eingang zu einer Postfiliale auf die heranbrausenden Streifenwagen. Kopfschüttelnd beobachtete er, wie die Beamten ihre Schusswaffen lockerten und sich der Telefonzelle näherten. Einer sicherte das Umfeld, während der andere die Tür aufriss, als vermute er den gefährlichen Täter zwischen den Seiten der Telefonbücher.

Wie eine tickende Bombe trug er dann Arnes fingerabdruckfreien Kassettenrekorder, darauf hatte er natürlich geachtet, zum Wagen.

Arne lachte leise. Ein kluger Verbrecher plante immer mehrere doppelte Böden ein! Er kam sich vor wie ein Puppenspieler, der die Polizei mit dem Kontrollkreuz dirigierte. Wenn er es wollte, kamen sie angesaust, hatten Angst vor ihm. Sie waren genau da, wo er sie haben wollte. Es war ein gutes Gefühl!

 

Bachmeier nickte nur. Er hatte es ja gleich gesagt: Diesmal käme eine richtig hohe Forderung.

»Wir könnten versuchen, ihm über die Medien eine Nachricht zukommen zu lassen. Um ihm zu zeigen, dass er nicht Herr der Situation ist«, schlug einer aus der Runde vor.

»Damit er am Ende meine Kunden umbringt?«, fragte Frick hysterisch. »Kommt gar nicht infrage!«

»Es gäbe uns die Möglichkeit, die Übergabemodalitäten zu verändern. Diesmal hat er ein kompliziertes Verfahren festgelegt, dass es meinen Beamten schwer machen wird, seine Fährte aufzunehmen«, polterte Bachmeier ungehalten. »Einen Koffer aus dem fahrenden Zug werfen! Ha! Ich kann doch nicht die gesamte Strecke überwachen lassen! Jeden Meter einen Beamten? Unmöglich!«

»Er will, dass es an der Strecke Berlin-Hamburg passiert. Das sind knapp 300 Kilometer!«, warf einer der jüngeren Beamten ein. »Vielleicht unterstützen uns die Kollegen aus Hamburg.«

»Selbst wenn! Im Dunkeln hat er gute Chancen, trotzdem zu entkommen!«

»Mit dem Sender im Geld? Den finden wir so was von fix, das glauben Sie gar nicht!«

»Nein, glaube ich tatsächlich nicht!«, gab Frick patzig zurück.

»Wir könnten doch wenigstens versuchen, ihn über die Nachrichten anzusprechen. Eine so große Menge Geld zu beschaffen, daure ein bisschen. Dies sei kein Rückzieher, er möge das nicht falsch verstehen. Dann warten wir ab, wie er reagiert. Wir nennen ihm eine Telefonnummer, unter der er uns rund um die Uhr erreichen kann. Das ist eine taktische Entscheidung, die ihm ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen wird.«

 

Nur Stunden später ging einer der Supermärkte Fricks in Flammen auf.

»Grüße vom Phantom. Ich lasse mich nicht vorführen!«, war die verzerrte Nachricht an die Beamten. »Sollte morgen nicht sofort auf mein Signal reagiert oder sollte das Geld manipuliert werden, wird das der Untergang der Firma Frick sein!«

Maximilian Frick entschied noch in derselben Nacht, dass nun gezahlt werden solle, mit echten Scheinen. An weiteren taktischen Spielchen sei er nicht interessiert, teilte er den Ermittlern mit.

Bachmeier seufzte, konnte den Mann aber verstehen.

Die entsprechenden Maßnahmen wurden eingeleitet, die Übergabe so durchzuführen, wie das Phantom es gefordert hatte. Diesmal überprüfte Bachmeier persönlich den Sitz des Senders, kontrollierte, ob das Phantom den Schwindel würde entdecken können. Doch die obersten Bündel waren komplett echt– wenn er die aufblätterte, sah er nur 500-Euro-Scheine. Bei den unteren war das Geld durch Farbkopien ersetzt. Nur bei guten Lichtverhältnissen zu erkennen. Er war zufrieden.

Die Beamten lauerten in Streifenwagen entlang der Strecke. Die ersten würden nach vorn aufrücken, sobald der Zug vorbei war. Eine Art Staffelfahrt. Hunde würden die suchenden Beamten unterstützen. Alles perfekt vorbereitet.

 

Nicht perfekt genug.

Arne wartete, bis der Polizist, den man auf Frick geschminkt hatte, in den Zug nach Hamburg gestiegen war. Er selbst würde in Richtung Leipzig fahren. Unterwegs dirigierte er über Fricks Mobiltelefon den Mann um. Im Laufschritt hastete der über den Bahnsteig und sprang in letzter Minute in den anderen Zug. Damit waren die Vorbereitungen der Polizei hinfällig.

Arne lauerte im Dämmerlicht, hörte die Lok kommen, wartete, bis der Zug nah genug herangekommen war.

Er gab das Signal. Das Fenster wurde runtergeschoben und eine Sporttasche segelte durch die Nacht.

Ja!

Das Ding zu finden, war nicht schwierig. Hastig trug Arne seine Beute in einen Bereich mit dichtem Buschwerk. Öffnete die Tasche, die bei der Landung auf dem Boden ordentlich eingestaubt worden war, packte die Geldbündel um– bis auf das eine. Er ertastete den Sender sofort. Verzog das Gesicht zu einer geringschätzigen Grimasse.

 

Um nach Hause zu kommen, nutze Arne die Tram. Die Bahn war überraschend voll. Er musste stehen. Zum Glück habe ich es ja nicht so weit, dachte er und versuchte sich ein wenig Freiraum zum bequemen Stehen zu verschaffen. Durch das allgemeine Geschiebe wurde er an der nächsten Station deutlich tiefer in den Gang gedrängt, sah sich unerwartet einem Mann und dessen Hund gegenüber. Nach dem ersten Schreck beruhigte er sich etwas. Der Hund setzte sich direkt vor ihm hin und warf ihm einen warmen Blick aus braunen Augen zu.

Der Hundehalter fing Arnes panischen Blick auf. »Keine Sorge. Der ist gut erzogen. Pedro guckt nur, beißt nicht. Sieht aus, als habe er Sie in sein Herz geschlossen«, lachte der große Mann gutmütig und strich dem Schäferhund liebevoll über den breiten Kopf.

»Hundephobie«, presste Arne zwischen den Zähnen hervor und war unendlich erleichtert, als Mann und Hund an der nächsten Station ausstiegen.

 

Kaum war die Tram angefahren, griff der Hundeführer nach seinem Handy. »Hallo, Kollegen, ich war auf dem Weg nach Hause und mein Hund hat einen Verdächtigen in der Tram gestellt. Der hat eindeutig Drogen im Gepäck. Der Kollege Franzer ist in der Bahn geblieben und hat ein Auge auf den Kerl. Ich gebe euch mal eine Beschreibung…«

Schon wenige Stationen später stiegen Bachmeiers Leute in Zivil zu. Natürlich machte sich niemand Illusionen. Schließlich war es möglich, dass sie hier mit Großaufgebot einem eher harmlosen Kiffer folgten. Dennoch– vom zeitlichen Ablauf her könnte es ihr Erpresser sein. Bachmeier setzte auf das Prinzip Hoffnung. Es blieb ihm auch keine Wahl. Der Sender bewegte sich nicht, Beamte suchten nach dem Signalgeber und der Tasche mit dem Geld entlang der Bahnstrecke. Doch es schien, als sei es dem Phantom erneut gelungen, die Verfolger auszutricksen.

Arne Lautenschläger, der sich im Glück wähnte, beschloss auf dem Heimweg noch eine Überraschung für Miriam zu besorgen, um die Geschichte von der gewonnen Pferdewette zu vergolden; hatte ja beim letzten Mal auch funktioniert.

Als er ausstieg, folgten ihm die Beamten dicht. »Zugriff möglichst unauffällig«, mahnte Bachmeier über Funk. »Wenn er jetzt im Kaufhaus irgendwas einkauft, kriegen wir ihn über die Routinekontrolle des Hausdetektivs. Holger? Stell schon mal Kontakt zu dem Mann her.«

So kam es, dass Arne Lautenschläger nach seinem Bummel durch die Lebensmittelabteilung, wo er eine Tafel Schokolade für jedes der Kinder erstand, beim Betrachten der Auslagen in den Schmuckvitrinen von einem diskreten Herrn angesprochen wurde.

Natürlich stimmte er ohne jedes Zögern einer Durchsuchung seines Rucksacks zu. Er fühlte sich völlig sicher, schließlich befanden sich nur unverdächtige Dinge darin.

Zu seiner Überraschung erwartete ihn bereits die Polizei im Raum des Sicherheitsmannes. Sogar ein Zollbeamter mit Hund war dabei. Der Hund setzte sich und behielt Lautenschläger fest im Blick. Ist ja wie bei dem in der Bahn vorhin, dachte er, die Mistköter merken wohl, dass ich Angst habe, und interessieren sich deshalb für einen Phobiker wie mich besonders!

»Würden Sie bitte den Rucksack öffnen und uns den Inhalt zeigen?«, fragte der Hausdetektiv höflich.

Arne zog den Zipper auf. Eine Regenjacke kam zum Vorschein, die beiden Tafeln Schokolade, mehr nicht. Arne verbiss sich ein Grinsen, als er in die enttäuschten Gesichter sah. Was auch immer die in seinem Backpack erwartet hatten– sie hatten sich geirrt. Und dann noch dieses Großaufgebot, tja, Freunde, eine echte Pleite, jubilierte Arnes innere Stimme, peinlich hoch drei.

Die Personalien wurden aufgenommen, ein Protokoll angelegt. »Was soll das? Sie haben nichts bei mir gefunden, was ein solches Protokoll rechtfertigt!«, wehrte sich Lautenschläger selbstbewusst.

»Nun bitte noch die Taschen Ihrer Jacke. Bitte vergessen Sie nicht die Hosentaschen«, forderte der Sicherheitsbeauftragte gleichbleibend freundlich. »Wenn das so bleibt, wir also nichts entdecken, wird es einfach nach unserem Gespräch vernichtet. Nur keine Sorge!«

Arne legte seine Brieftasche auf den Tisch, ein Päckchen Taschentücher und eine kleine Schachtel mit Pfefferminzbonbons. Kleingeld, ein paar Scheine, das Rückgeld und den Kassenbon vom Kauf der Schokoladentafeln vor wenigen Minuten– und einen 500-Euro-Schein–, all das platzierten die Beamten ordentlich neben der Brieftasche.

Der Hund schien das Interesse an Arne für einen Moment verloren zu haben. Er sah den Schein konzentriert an. Na, das habe ich nicht gedacht!, schoss es Arne durch den Kopf, Hunde sind geldgierig! Na ja, vielleicht weiß der hier, dass man das bedruckte Papier braucht, um sein Futter zu bezahlen. Lautenschläger war ganz mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt– so entging ihm das Nicken, das die Beamten austauschten.

»Nun, Herr Lautenschläger, ich fürchte, das ist die Wende in Ihrer Feierabendplanung. Wir werden Sie nun aufs Revier mitnehmen, um ein paar wichtige Fragen zu klären.«

Arne Lautenschläger hörte kaum mehr die üblichen Belehrungen. Wo war der Fehler?, grübelte er fieberhaft, ich hatte doch alles gründlich durchdacht.

Aber wie hätte er auch einen Zollbeamten in Zivil auf dem Heimweg mit einplanen können, dessen Hund immer im Dienst ist.

Wenigstens ist die Beute erst mal sicher untergebracht, tröstete er sich. Die Winterdienstkiste wird frühestens in ein paar Monaten wieder benutzt, vorher schaut da keiner rein. Genug Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, wie wir das Geld ausgeben können!

 

Georgs Kneipe verlor ihre magnetische Wirkung auf von der Arbeit heimkehrende Kiezbewohner. Das traditionelle Feierabendbier konnte man gefahrloser auf der Wohnzimmercouch sitzend trinken. Zu Hause war das Fernsehprogramm auch besser. So dauerte es nur etwa sechs Monate, bis Georg die Sportklause dichtmachen musste.

Sein Sporthallenpächter gab kurz danach ebenfalls auf. Das Vertrauen der Mitglieder des Sportclubs konnte nicht wiederhergestellt werden, einige behaupteten selbst nach Monaten, der Gestank sei noch immer deutlich wahrzunehmen, verursache ihnen Übelkeit.

Fricks Supermärkte gerieten an den Rand des Konkurses. Lebensmitteleinkauf ist Vertrauenssache und die Kunden blieben lange Zeit misstrauisch. Doch in der Folge häuften sich Erpressungsversuche bei anderen Firmen und Fricks Apfelmus- und Tütensuppenkrise geriet in Vergessenheit.

Miriam zog mit den Kindern zu ihren Eltern.

Arne bekommt nur noch gelegentlich Besuch von Ralf, der einer seiner größten Fans geblieben ist. Ob das bis zum Ende der Haft andauern wird, ist ungewiss.

 

Fangschaltung und Ortung: Selbst wenn die eigene Nummer nicht beim Anruf gesendet wird, kann der Anbieter das Gespräch durch sein Netz rückverfolgen bis zum Standort des Apparats, von dem aus telefoniert wurde. Die Umstellung von analog auf digital hat das Verfahren vereinfacht. Bei Mobiltelefonen geht es besonders einfach, weil sich Handys regelmäßig ›einloggen‹ und so vom jeweiligen Funkmast in der Nähe erfasst werden. Diese Signale kann man auswerten und dadurch den Standort des Mobiltelefons mit einer gewissen Fehlertoleranz ermitteln. Einige Smartphones und Androids erstellen über ihre Software eine Art Bewegungsprofil, das vom Netzbetreiber gespeichert werden kann. Um Daten dieser Art zu ermitteln, zu sammeln oder in einem späteren Verfahren verwenden zu können, muss eine solche Überwachung richterlich genehmigt werden. Ohne richterlichen Beschluss sind die bei einer TÜK (Telekommunikationsüberwachung) gewonnenen Ermittlungsergebnisse nicht gerichtsverwertbar.

 

Infrarot-Spektroskopie: Eine Energiequelle produziert elektromagnetische Wellen und ›beschießt‹ damit die zu identifizierende Probe. Bei der Transmission der Energie werden einige Frequenzen absorbiert, andere treten unverändert aus der Probe. Diese Absorption regt die Molekülbindung im zu untersuchenden Material zu Schwingungen an (Pendel-, Wackel-, Wipp-Schwingung). Im Spektrogramm werden diese sichtbar gemacht. Jede Substanz, jedes Material zeigt ein charakteristisches Spektrogramm, das zum Beispiel über einen Abgleich mit vorhandenen Spektrogrammen in Bibliotheken zu einer Identifikation der Probe führt.

Präparation des Geldbehälters: Eine Präparation soll den Täter und jeden anderen, der Zugang und Kontakt zum Behältnis hatte, identifizieren. In der Regel wird dazu die Außenhaut kontaminiert (z.B. mit Drogen), für den Täter unmerklich, für einen Spürhund leicht zu verfolgen. Peilsender, deren Signale eindeutig zugeordnet und verfolgt werden können, kommen gelegentlich zum Einsatz. Das gilt ebenfalls für sogenannte Security Packs, die einen pyrotechnischen Satz enthalten, der beim Öffnen der Tasche oder des Koffers auslöst und Täter sowie Beute farbig markiert.

 

Stimmvergleich und Sprachanalyse: Um eine Vergleichsanalyse durchführen zu können, ist eine elektronische Aufzeichnung notwendig. Nach der Ermittlung eines Tatverdächtigen ist ein Vergleich zwischen seiner Stimme und der aufgezeichneten Sequenz möglich. Dazu spricht der Verdächtige (im günstigsten Fall) einen Text, der einige der im Original verwendeten Worte enthält, dabei wird seine Stimme ebenfalls elektronisch aufgezeichnet. Nun ist ein direkter Vergleich der Mitschnitte möglich. Bei diesem Verfahren muss der Verdächtige willig an der Aufklärung mitarbeiten. Weigert er sich, müssen unbemerkt angefertigte Mitschnitte mit dem Original verglichen werden. Bei der Sprachanalyse liegt das Augenmerk der Ermittler auf der Verwendung regionaler Ausdrucksweisen, z.B. Dialekte, aber auch auf dem Wortschatz und eventuellen Lieblingswörtern, Füllwörtern oder auffälligen Formulierungen. Soll der Standort des Anrufers während des Telefonats ermittelt werden, liegt der Fokus des Beamten auf dem Herausfiltern und Identifizieren von Hintergrundgeräuschen aus dem Mitschnitt.