Leichenwasser

 

Heinrich und Gert Möbus hatten vor einigen Jahren den Autohandel ihres Vaters übernommen.

Leider erwies sich das Geschäft als nicht so lukrativ wie erhofft, was natürlich nicht nur am mangelnden Geschick der Erben, sondern auch an der wachsenden Konkurrenz lag. Es geriet erst ins Schlingern, dann in Schieflage und bekam erschreckend rasch eine derartige Schlagseite, dass ein Untergang kaum mehr abwendbar schien. Aber selbst das war nicht die ganze Wahrheit.

Kreative Buchführung erwies sich als hilfreich in ihrer Situation, aber noch besser war, dass die Brüder bald herausfanden, wie sich mit der richtigen Traute die Gewinne durchaus maximieren lassen konnten.

Gert hatte sich vor einigen Monaten in der Kneipe um die Ecke mit ein paar Kumpeln über das lästige Problem unterhalten und war dabei auf die Lösung gestoßen– praktisch auf eine Goldader. ›Ausländische Abnehmer‹ waren dabei offensichtlich die Zauberworte. Ein bisschen illegal sei das Ganze schon, ließ man Gert wissen, aber eben auch lukrativ. Und im Zweifel gelte es, im entscheidenden Moment schlauer als die Polizei zu sein, aber dabei seien die ›anderen‹ auch schon mal behilflich. Einer, Hans, bot sogar seine Unterstützung beim Knüpfen der Kontakte an. Nun galt es nur noch, den von jeher eher zögerlichen Bruder– Gert bezeichnete ihn gern als totales Weichei der Extraklasse mit Gütesiegel– von der neuen Geschäftsstrategie zu überzeugen.

Das stellte sich als nicht so schwierig dar wie erwartet. Bei dem Gespräch unter Brüdern räumte Heinrich nämlich überraschend freimütig ein, er habe eine neue Flamme, Schmetterlinge im Bauch, aber– wie immer– viel zu wenig Geld im Portemonnaie. Gert versprach, diesen unbefriedigenden Zustand zu ändern, erklärte, wie der Deal abzuwickeln sei, und versicherte, er wolle sich darum kümmern, dass die neuen Geschäftspraktiken sich als gewinnbringend erwiesen.

Wenige Tage später stolzierte eine hochgewachsene, schlanke Gestalt über den Hof der Möbusbruder und inspizierte die Gebrauchtwagen. Von denen hatten Gert und Heinrich zu ihrem Leidwesen so einige, die sich längst als Ladenhüter erwiesen hatten. Manch einer stand schon seit Jahren auf seinem ›Stammplatz‹. Der fremde Herr, der sich gründlich umsah, erklärte, er sei Diplomat aus Moldawien und zeigte sich an einem älteren Ford Mondeo interessiert, den die Brüder schon als unverkäuflich abgeschrieben hatten. 2.500 Euro wollten sie ursprünglich dafür– man einigte sich schnell auf 1.200 Euro bar auf die Hand. Während der Abwicklung des Deals– der Diplomat der Republik Moldawien bat darum, den Mondeo noch einige Zeit auf dem Platz stehen lassen zu dürfen– kam man ins Gespräch.

»Sie haben jede Menge Freifläche dort hinten auf dem Grundstück«, schnitt der Moldawier in überraschend akzentfreiem Deutsch ein neues Thema an. »Wie wäre es, wenn Sie die nutzen? Ich bin gerade dabei, einen Sammeltransport zusammenzustellen, da wäre es toll, wenn ich die Autos hier bei Ihnen lagern könnte.«

Gert und Heinrich wechselten einen kurzen Blick.

»Wie viele Wagen werden es denn am Ende sein?«, erkundigte sich der vorsichtige Heinrich, der fürchtete, der Autohandel Möbus könnte sich innerhalb kürzester Zeit in den Augen der Kunden in einen Autofriedhof verwandeln. So etwas war direkt rufschädigend, das würden sie auf keinen Fall zulassen.

»So 20 bis 30 Autos im Monat. Soll Ihr Schaden nicht sein. Wir machen es so: Falls ich während meines Aufenthalts in Ihrem schönen Land den ein oder anderen Wagen verkaufe, übernehmen Sie die Abwicklung. Das hätte gleich mehrere Vorteile für Sie: Zum einen gibt es auf Ihrem Platz Bewegung, was Ihren Nachbarn deutlich signalisiert, dass es Ihrem Autohaus gut geht. An- und Verkauf brummen. Das würde natürlich auch Ihre Hausbank registrieren– die weiß ja nicht, dass es fremdes Geld ist, was Sie da einnehmen. Zum anderen bedeutet es für Sie 200Euro cash, steuerfrei. Da kann so einiges zusammenkommen.« Der gut aussehende Fremde zwinkerte. »Steuerfrei! Und alles nur für die Unterbringung der Wagen, das Aushändigen der Papiere an den Käufer und das Parken der Gelder.«

»Fremde Gelder laufen nicht über unsere Konten. Das müssen Sie irgendwie anders regeln. Ich bin nicht bereit, unsere Firmenkonten für so etwas zur Verfügung zu stellen«, erklärte Heinrich rigoros.

Der Diplomat der Republik Moldawien lächelte unbeirrt. »Kein Problem. Das lösen wir so, dass alle Seiten zufrieden sind.«

»Und die Haftung?« Gert stöhnte lautlos. Heinrich fand doch wirklich immer irgendein Haar in der Suppe. »Die Kunden werden sich bei uns beschweren, wenn die Autos Mängel haben!«

»Ist nicht Ihre Angelegenheit. Ich schicke einen Techniker, der die Autos gründlich– wie sagen Sie hier in Deutschland, auf Herz und Nieren?– prüft. Bevor der die Autos gecheckt hat, geben Sie keines ab. Ganz einfach und ohne jedes Risiko für Sie.«

 

Heinrich schüttelte zwar in den kommenden Tagen hier und dort den Kopf, murmelte »Wenn das der Papa sehen könnte«, und schlich eher bedrückt denn energiegeladen durch die Ausstellungshalle, doch nun war die Sache angelaufen und nicht mehr aufzuhalten. Zu Gerts Freude legte sich das Genörgel des älteren Bruders bald, als die ersten Autos tatsächlich anrollten.

Allerdings währte die Freude nicht lang. In den kommenden Wochen füllte sich das Gelände der Brüder nach und nach, drohte aus allen Nähten zu platzen– etwa 50 Autos parkten dort, dicht an dicht. Das war jedoch nur ein Teil des Problems. Der andere Teil waren die Kunden, die ihren Kaufvertrag vorwiesen und nun den erworbenen fahrbaren Untersatz abholen wollten.

»Tut uns aufrichtig leid«, vertröstete Heinrich die Leute. »Die Autos sind noch nicht durchgecheckt. Und so geben wir die nicht raus. Wir– und Sie schließlich auch– wollen doch sicher sein, dass mit dem Wagen alles in Ordnung ist.«

»Wo bleibt der Techniker?«, fragte der ältere Bruder, der langsam nervös wurde. »Er wollte doch einen schicken!«

Gert zuckte mit den Schultern. »Wird schon kommen. Mach dir keine Gedanken. Überleg lieber, was du mit dem Geld machst, wenn die Schlitten alle weg sind.«

Doch nach weiteren 14 Tagen hatte sich der Monteur des Diplomaten noch immer nicht eingefunden. Stattdessen erschien an jedem Tag eine neue Invasion von Käufern im Autohaus Möbus. Alle wurden, gemäß der Absprache, auf den Termin nach der Durchsicht vertröstet.

»Gert! Ich sage dir, da ist irgendetwas oberfaul! Heute hatte ich wieder Leute, die Kaufverträge vorgelegt haben für Autos, über deren Verkauf ich schon mindestens drei weitere Verträge gesehen habe. Was machen wir, wenn der Moldawier da ein linkes Spiel getrieben hat? Die Kunden werden über uns herfallen! Obwohl wir ihnen die Karren nicht verkauft haben! Gert, die Sache riecht verdammt nach Ärger.«

»Vielleicht sollten wir ihn einfach mal anrufen? So ein Botschafter hat doch eine Menge Arbeit– da hat er uns schlicht vergessen.« Gert trabte entschlossen ins Büro.

Kam wenig später ungewöhnlich bleich zurück. »Der Typ am Telefon war nicht unser Botschafter. Vielleicht haben die das Personal in der Zwischenzeit ausgetauscht.« Dass er ebenfalls zu hören bekommen hatte, es sei vollkommen ausgeschlossen sich auch nur vorzustellen, der Botschafter wickle derartige Geschäfte ab, ein Sammeltransport gebrauchter Fahrzeuge sei selbstverständlich auch nicht vorgesehen, erzählte er Heinrich nicht.

Um des lieben Friedens willen.

Es sollte noch schlimmer kommen. Mitten in der Nacht klingelte bei den Brüdern das Telefon. Schlaftrunken hörten sie sich an, sie sollten unverzüglich beim Autohaus vorbeifahren– sie würden erwartet. Das stimmte. Der Zoll stand vor dem Tor. Sprachlos mussten Heinrich und Gert mit ansehen, wie alle Autos abtransportiert wurden.

»Die sind beschlagnahmt«, informierte ihn einer der Beamten und legte ein Dokument auf Gerts Schreibtisch.

»Die stehen nur auf unserem Platz«, versicherte dieser. »Wir haben ansonsten mit den Autos nichts zu tun.«

»Hoffen wir mal für Sie, dass das so stimmt. Gehen Sie davon aus, dass wir Ihre Angaben penibel überprüfen. Wir haben diese Autoschieberbande schon lang im Visier– und falls Sie doch an der Gewinnausschüttung beteiligt waren, finden wir es raus!«

Gert seufzte erleichtert. Heinrich sei Dank! Sein Misstrauen hatte das Autohaus vor dem Untergang gerettet. Über die Firmenkonten waren seiner Halsstarrigkeit wegen keine Fremdgelder geflossen.

 

Eines Abends, kurz vor Geschäftsschluss, betraten zwei Herren in feinem Zwirn und Kaschmirmänteln den Verkaufsbereich. Das roch nach einem guten Geschäft– Gert wusste, woran man potenziell gute Kunden auf den ersten Blick erkannte.

Die Männer sahen sich interessiert um, begutachteten die Neuwagen und unterhielten sich in einer fremden Sprache, die weder Heinrich noch Gert beherrschten. Den Brüdern würde es blümerant, als die Herren nicht im geringsten den Eindruck machten, sie wollten das Geschäft in der nächsten Zeit wieder verlassen, um zu ihren wartenden Familien zurückzukehren. Im Gegenteil. Es wirkte so, als hätten diese Kunden viel Zeit mitgebracht.

»Kann ich Ihnen zu einem der Modelle nähere Auskünfte geben?«, erkundigte sich Heinrich devot und erschrak unter dem eisigen Blick des Fremden.

»Ja, zu Ihrem neuen Geschäftsmodell«, gab der Kunde grinsend und in stark akzentgefärbtem Deutsch zurück.

Diese Sprechweise war den Möbusbrüdern schon beinahe vertraut. Moldawier! Auch Gert spürte die Kälte, die sich im Raum ausbreitete. Besonders, als die beiden einen Revolver als argumentative Stütze auf den Schreibtisch legten.

Die Fremden machten die Brüder in freundlichem Ton darauf aufmerksam, dass sie durch ihr Verhalten die sonst reibungslos funktionierenden Abläufe fundamental störten. Die Einnahmen aus den letzten Verkäufen seien noch nicht auf den entsprechenden Konten eingegangen und die teilnehmenden Partner zeigten zunehmende Besorgnis. Daher sei man übereingekommen, zwei befreundete Herren zu den Brüdern zu entsenden, um sie auf ihren Verzug aufmerksam zu machen.

Heinrich schluckte. Das sind echte Killer, wurde ihm klar, die werden nicht lange fackeln. Auch Gerts Gesicht hatte eine ungesunde Färbung angenommen, Heinrich bemerkte, dass die Hände des Bruders leicht bebten. Na, wenn sogar Gert Angst hat, ist die Lage wohl wirklich ernst, erkannte der Ältere und seine eigene Panik erreichte einen neuen, bisher unerreichten Pegelstand.

Nun ließen die Fremden die Brüder wissen, dass sei alles nicht so dramatisch, noch könne man die Angelegenheit ohne größeres Aufheben bereinigen. Der Verbund erwarte lediglich die Herausgabe der ›widerrechtlich‹ eingenommenen Gelder und fordere die gleiche Summe als eine Art Schmerzensgeld. Die Brüder sollten das am besten sofort aus der Welt schaffen, das Geld abheben und den Besuchern übergeben, sonst… Der größere der beiden spielte verträumt an der Sicherung seines Revolvers.

Gert zuckte zusammen. »Welche Einnahmen?«, wagte er sich vor. »Wir sollten nur 200Euro pro verkauftem Wagen bekommen– bar. Doch wir haben ja keinen einzigen ausgeliefert. Der Techniker war noch nicht da! Da können die doch nicht eine solch horrende Summe einfordern. Das können wir– so ganz nebenbei– nicht mal eben fix bei der Bank abheben.«

»Und wo, meine Freunde, sind dann die Autos?«, erkundigte sich der Größere süffisant.

»Beim Zoll.« Gert legte eine Quittung vor.

»Was für eine fantasievolle Geschichte. Wären sie beim Zoll, hätten wir schon davon gehört. So weit weg ist Moldawien auch wieder nicht. Ihr seid schlechte Lügner! Glaubt ihr denn, wir wissen nicht, wie man so einen Wisch fälscht oder sich organisiert?« Verächtlich fegte der Fremde die Quittung vom Tisch. »Wir wollen das Geld sofort– und wir nehmen es für unsere Auftraggeber mit. Jetzt! Oder…« Wieder griff er nach dem Revolver, ließ die Trommel herausschnappen, klickte sie wieder ein, spielte am Abzug, wobei er die Waffe wie zufällig mal auf Heinrich, mal auf Gert richtete.

»Das geht nicht!«, widersetzte sich Gert und Heinrich brach der Schweiß aus.

»Nein?«, lächelte der Kleinere drohend.

»Nein. Wir haben natürlich ein Limit. So viel Geld rückt der Automat sowieso nicht raus.«

Die Besucher berieten sich kurz und für die Brüder unverständlich. Dann stand der Größere auf und zückte sein Handy, hielt Rücksprache mit seinen Auftraggebern. Denen schien diese Entwicklung ebenfalls nicht zu gefallen. Es entspann sich eine reges Hin und Her der Argumente, in dem schließlich die Gier nach dem Geld siegte.

»Gut. Wir kommen morgen wieder. Keine Polizei– sonst seid ihr Geschichte. Uralte Geschichte. Vergessen!«

Wie zwei Schatten glitten die Fremden zur Tür hinaus und waren im nächsten Augenblick verschwunden.

»Scheiße!«, kreischte Heinrich seine Angst hinaus.

»Reiß dich zusammen!«, forderte Gert ruhig. »Ich weiß schon, wie wir die loswerden. Lass dich doch nicht von solch aufgeblasenen Angebern einschüchtern. Die sind auch nur aus Fleisch und Blut. Wie du und ich!«

»Was tun wir denn jetzt?«, jammerte der andere. »Wir haben das Geld nicht! Und die Typen glauben uns kein Wort. Die werden uns einfach abknallen! Ohne zu zögern!«

»Mach dir nicht ins Hemd. Wir müssen das Problem eben anders lösen«, beruhigte ihn der Bruder. »Ich hatte schon einen Plan, bevor die überhaupt wieder aus dem Laden spaziert sind. Ist egal, was die glauben. Wir geben denen keinen Cent.«

»Was?«

»Ja, Brüderchen. Bei solchen Kerlen kommt es einzig darauf an, schneller als sie zu sein.«

 

Am kommenden Abend fanden sich die Fremden pünktlich ein.

»Habt ihr das Geld?«, fragte der Größere barsch. Offensichtlich hatten die beiden keine Lust auf längere Diskussionen.

»Noch nicht. Wir konnten nicht den ganzen Betrag mit einem Mal abheben.«

»Nur, dass das klar ist: Ihr seid komplett raus aus dem Spiel! Das Geld nehmen wir mit– seht es als erste Rate. Dein Bruder wird uns begleiten, bis du alles bezahlt hast! Und wenn ihr euch wieder einmischt und versucht, eure eigene Suppe auf fremdem Feuer zu kochen, geht es für euch nicht so glimpflich ab«, grollte der andere und klopfte wie zufällig auf seine Jackentasche, die sich deutlich ausbeulte.

»Was soll das?«, fuhr Gert nun auf. »Wir haben mit euren Geschäften nichts zu tun gehabt! Mein Bruder wird euch nicht begleiten! Es reicht schon, dass ihr unseren Betrieb in die Pleite treibt!«

»Hör zu, du Würstchen!« Der Große packte Gert am Kragen und zog ihn nah zu sich heran. »Du hast nichts zu melden! Das nächste Mal solltest du dich besser genau erkundigen, mit wem du dich anlegst!«

Gert schlug die Pranke des anderen zur Seite. »Was glaubt ihr eigentlich? Wir denken nicht dran, uns von euch das Geschäft unterm Hintern wegziehen zu lassen! Das ist seit Generationen ein Familienbetrieb gewesen!« Ein Speichelregen flog dem Fremden ins Gesicht. Der blieb unbeeindruckt.

Heinrich beobachtete mit Sorge, wie Gert immer wütender wurde. Schneller zu sein als die beiden, könnte so zu einer unlösbaren Aufgabe werden. Von einem sinnlosen Streit war bei der Planung auch gar nicht die Rede gewesen. Er kam sich ein wenig wie Staffage vor, wie er da stand mit dem Geldkoffer in der Hand. Ihm wurde schlecht, wenn er daran dachte, was passieren würde, wenn die Typen herausfanden, dass der leer war. Der Griff glitt in seiner feuchten Hand hin und her.

Gert und der andere schrien sich inzwischen an.

Heinrich träumte sehnsüchtig von einer Tarnkappe. Plötzlich unsichtbar zu sein, wäre toll. Da kam plötzlich das verabredete Zeichen.

Heinrich knallte der Koffer wie besprochen auf den Tisch– die Kerle kamen mit der arrogant-freundlichen ›Na, geht doch‹-Mimik ganz nah heran, um die Schlösser zu öffnen, Gert trat einen Schritt zurück– da blitzte unerwartet Mündungsfeuer auf, es knallte zweimal gedämpft.

Der Spuk war nicht vorbei! Entgeistert starrte Heinrich auf die Körper, die auf dem gefliesten Boden lagen, und die riesigen Blutlachen, die darunter hervorquollen.

»Scheiße!«, schrie er auf.

»Ruhig Blut, Brüderchen!« Gert war völlig cool.

Er schob die Waffe in die Tasche und kniete neben den Körpern nieder. »Tot!«, verkündete er dann stolz. »Los, steck deine Pistole weg, Heinrich, wir haben noch eine Menge zu tun. Schlafen ist in dieser Nacht nicht drin.« Im Vorbeigehen klopfte er dem Bruder auf die Schulter. »Hätte ich gar nicht von dir gedacht. Super Treffer!«

Heinrichs Körper zitterte unaufhörlich– und das würde sich auch in den nächsten Stunden nicht abstellen lassen. »Ich habe einen Menschen erschossen– und du auch!«, wisperte er.

Gert beobachtete ihn genervt. »Nun reiß dich mal zusammen!«, fauchte er.

Heinrich nickte. Alles blieb unverändert. »Die Polizei wird bald hier sein«, quengelte er. »Irgendjemand erwartet die beiden sicher. Wenn die nun nicht kommen, schlagen die Alarm.«

»Sicher nicht«, gab Gert kalt zurück. »Wenn, dann kommen die selbst!«

»So viel Blut«, hauchte Heinrich. »So viel!«

 

Mit vereinten Kräften wickelten sie die toten Männer in Planen ein und verluden sie in einen Transporter, einen alten T4 von VW, der nicht zu der moldawischen Gebrauchtwagenabteilung gehört hatte. Danach hoben sie eine Schubkarre und eine Motorsäge hinein.

»Mann, ist das kalt!« Heinrich rieb sich die Hände und Gert klatschte ihm ein paar warme Handschuhe vor die Brust. »Hier. Zieh die an!«

Der Jüngere schob sich hinters Steuer und fuhr los. Ruhig und ohne jede Hast. Heinrich war gegen seinen Willen beeindruckt.

Nicht lange und sie erreichen einen Waldparkplatz.

»Dort unten. Ich habe mir das gestern schon alles angesehen. Hat sich nicht viel verändert seit unserer Kindheit. Es ist nicht sehr weit– aber die Kerle sind schwer. Wir laden sie in die Karre und los!«

»Beide?«

Gert überlegte. Stieg aus und war plötzlich von der Dunkelheit verschluckt. Heinrich, der sich mit den Leichen als einziger Gesellschaft unbehaglich fühlte, ging ihm eilig ein Stück nach. Entdeckte den Bruder auf dem zugefrorenen See– ein kleiner schwarzer Punkt auf makelloser Fläche.

»Neumond wäre günstiger gewesen«, schimpfte Heinrich. »Mann, ist ja wie auf dem Präsentierteller.«

Gert war rasch zurück.

»Morgen wird man unsere Spuren im Schnee sehen! Die Reifenspuren, unsere Schuhe, die Karre– alles!«, wimmerte Heinrich verzweifelt. »Noch bevor wir den Laden aufschließen kommen, sind die anderen da– oder die Polizei!«

»Es schneit! Guck doch mal. Bis zum Morgen siehst du nichts mehr. Und Eisfischer kommen auch früh, noch vor Tagesanbruch. Die nehmen Schubkarren, um ihr Zeug aufs Eis zu schaffen. Niemand würde sich was bei Spuren hier denken. Wir gehen raus, bis zu der Stelle, wo das Wasser mehr als 20Meter tief ist. Du weißt schon, die, zu der wir als Kinder nicht rausschwimmen durften, weil Mama solche Angst um uns hatte.«

Heinrich blieb skeptisch.

»Das Eis trägt. Aber besser wir gehen kein Risiko ein und karren einen nach dem anderen hin. Wir haben die Planen ja mit Seil umwickelt. Zum Beschweren nehmen wir die Hohlblocksteine, von unserem Umbau, die habe ich schon heute Nachmittag eingeladen. In so einer Situation muss man nur an alles denken– und schon funktioniert die Sache ohne Probleme. Die stopfen wir unter die Plane, dann können die Leichen nicht zur Oberfläche auftreiben. Los!«

Ächzend hoben sie ein Paket heraus. Gert zog sofort mit der Karre los. Kam zurück. Das zweite verdächtige Paket wurde umgeladen.

»Nimm die Kettensäge. Los!«, verlangte er, und Heinrich griff zu.

Während Gert den zweiten Leichnam auf der Eisfläche zwischenlagerte, befestigte Heinrich die Betonblöcke an den Planen. An die toten, langsam auskühlenden Körper darin wollte er gar nicht denken.

 

»So, los!«, kommandierte Gert und sein Bruder fragte sich, ob es nun für immer so bleiben würde. Gert gab Befehle und er musste gehorchen. Zu diesem unpassenden Zeitpunkt wollte er darüber keine Diskussion vom Zaun brechen, aber gefallen lassen würde er sich das auf Dauer nicht, beschloss Heinrich. Er packte die Säge und schnitt ein sauberes Loch in die erstaunlich dicke Eisschicht. Das Jaulen des Motors war weithin zu hören.

»Wenn jetzt einer kommt, erwischt der uns mit zwei Toten hier!«

»Quatsch nicht. Es ist mitten in der Nacht. Bei der Kälte kommt keiner gucken!« Mit einer Brechstange schob Heinrich das runde dicke Trennstück ächzend und schwitzend zu einem guten Teil unter das Eis, bis das Loch für das ungewöhnliche Fischfutter groß genug war.

Mit einem lauten Platschen versanken die Opfer im Wasser. Es gurgelte noch ein wenig, dann war nichts mehr zu hören. Mit viel Kraftaufwand wurde das dicke Runde wieder zurück geschoben.

»Passgenau«, grinste sich Gert eins. In einer Stunde würde keiner mehr erkennen, wo das Loch war. Er schaute noch einmal– mit sich und der Welt des Autohauses mit Familientradition im Reinen– in den Himmel. Dank an Frau Holle. Sie wird den Rest schon richten.

»Mach schon!«, forderte der Jüngere und sah ungeduldig zu, wie der Bruder versuchte, lockeren Schnee über die Fuge zu schieben. »Ich bring schon mal die Karre und die Säge zum Auto zurück!«

Heinrich war wieder mit seinen Ängsten allein.

 

Den Rest der Nacht verbrachten die Brüder mit Hausarbeit. Pünktlich zur Ladenöffnung beseitigten sie die allerletzten Spuren ihrer nächtlichen Aktivitäten und betrachteten zufrieden das Ergebnis.

»Nichts mehr zu sehen«, beruhigte Gert den blassen Bruder. »Uns kann keiner was!«

Gern hätte Heinrich »Dein Wort in Gottes Ohr« geantwortet, war sich aber nicht sicher, ob es geschickt war, sich nach einem gemeinschaftlichen Mord und der Beseitigung von Leichen und Tatspuren ausgerechnet auf den Herrn zu berufen. Deshalb schwieg er lieber.

»Guck nicht so! Wenn die ersten Kunden kommen und deine sauertöpfische Miene sehen, dann glauben die, bei uns klopft der Insolvenzverwalter an die Tür!«

Heinrich versuchte ein zuversichtliches Lächeln– und scheiterte.

 

Der Stein kam schneller ins Rollen, als es die Brüder erwartet hatten. Zunächst meldete der Besitzer des Hotels, in dem die Moldawier abgestiegen waren, seine Übernachtungsgäste als abgängig.

»Den ganzen Abend hat hier der Attaché der Republik Moldawien an der Bar gesessen und auf seine Freunde gewartet. Aber die sind nicht zurückgekommen. Der arme Mann wurde immer besorgter, schließlich waren die drei fest verabredet. Und mal ehrlich: Wer lässt schon einen Diplomaten warten? Heute Morgen sind sie auch nicht zum Frühstück gekommen. Das Mädchen hat nachgesehen– es ist alles da, die haben sich also nicht aus dem Staub gemacht. Ich denke, denen ist was zugestoßen.«

»Haben die beiden ein Auto?«

»Ja«, bestätigte der Hotelier. »Von so einer Mietwagenfirma. Stand auf unserem Parkplatz. Mit dem sind sie gestern weggefahren.«

»Wir kümmern uns drum«, versicherte Michael Johns, der diensthabende Beamte, und ließ sich die Namen der Gäste geben. Er beschloss, seinen Vorgesetzten Knut Leber in Kenntnis zu setzen. Vielleicht lauerten in diesem Fall internationale Verwicklungen– ein Diplomat der Republik Moldawien hatte schließlich auf die beiden Gäste gewartet. Je schneller das von seinem Schreibtisch runter war, desto besser.

 

»Ist gerade reingekommen«, informierte Knut Leber seine Kollegen. »Anonymer Hinweis auf einen Schusswechsel in der letzten Nacht. Möglicherweise Mord. Angeblich sollen die Brüder Möbus verwickelt sein. Der Tippgeber sprach von einer Auseinandersetzung im Autohändlermilieu. Vielleicht Schieber? Wir sollten besser mal nachsehen, passt mir so gar nicht, wir haben in dem Fall mit der toten jungen Frau aus dem Wiesenpark eine heiße Spur, der würde ich jetzt lieber nachgehen, aber ist schon richtig, je näher wir zeitlich zum Geschehen am Tatort sind, desto besser die Informationen.«

»Ich habe hier auch noch was. Zwei Männer sind verschwunden…«, begann Johns seine weitschweifige Erklärung.

 

So stand wenig später ein Streifenwagen vor dem Eingang. Heinrich entdeckte ihn zuerst. Seine Knie gaben nach, er musste sich an der Kante seines Schreibtischs festhalten. »Gert! Gert!«, warnte er leise. »Polizei!«

 

»Guten Morgen, meine Herren! Hier riecht es ja wie bei mir zu Hause nach dem Frühjahrsputz!«, staunte einer der Beamten beim Betreten der Ausstellungshalle.

Gert schoss einen warnenden Blick auf seinen Bruder ab. Jeder Kommentar war jetzt ein Risiko. »Wie können wir Ihnen helfen?« Er gab sich höflich und forsch.

»So genau wissen wir das noch gar nicht. Wir sind darüber informiert worden, dass in diesen Räumlichkeiten ein Schusswechsel stattgefunden haben könnte, in dessen Verlauf es Tote gab. Können Sie dazu etwas sagen?«, fragte Knut Leber freundlich.

»Bei uns?«, keuchte Heinrich aus dem Büro.

»Wie kommt nur jemand darauf, wir könnten in so etwas verstrickt sein?«, empörte sich Gert. »Das ist doch ungeheuerlich!«

Knut Leber gab seinem Kollegen ein Zeichen, der daraufhin zum Streifenwagen zurückkehrte. Es war deutlich zu sehen, dass er eifrig mit jemandem sprach.

»Sie haben eine Firma, die in Ihren Räumen die Reinigungsarbeiten durchführt?«, erkundigte sich Leber ungerührt.

»Firma wäre wohl zu viel gesagt. Wir beschäftigen eine Reinigungskraft. Wenn Sie möchten, gebe ich Ihnen Namen und Adresse.«

»Kommt diese Kraft jeden Tag?«

»Dienstag, Donnerstag, Samstag. Nur wenn der Frost nachlässt und wieder Schmuddelwetter kommt, putzt sie nach Notwendigkeit auch an anderen Tagen.«

»Aha. Da es hier so sauber riecht, war sie also gestern im Einsatz, wenngleich es Freitag war?«

»Nein.« Gert lachte. »Manchmal legen wir auch selbst Hand an. Gestern war eine Familie in den Ausstellungsräumen. Deren vier Kinder brachten einen unglaublichen Dreck rein. Profilsohlen eben. Wenn der Schnee taut, fällt der ganze Kies und Modder heraus. So konnte es jedenfalls nicht bleiben– also haben wir das gestern selbst weggewischt.«

Heinrich schwieg. Jetzt würde der Polizist sicher den Eimer und den Schrubber sehen wollen.

»Seltsam. Weder Schrubber noch Lappen sind feucht.« Leber warf Gert einen unergründlichen Blick zu, als er wieder aus der Kammer kam.

»Wir trocknen das immer an der Heizung– damit das Zeug nicht anfängt zu modern. Sie wissen schon, sonst stinkt’s.«

Heinrich staunte. Gert hatte wirklich immer eine Antwort parat. Er entspannte sich etwas.

Lebers Handy meldete sich.

»Ha!«, hörten die Brüder nur.

Danach führte Leber noch ein weiteres Gespräch: »Der Wagen der Vermissten wurde über das GPS-Signal geortet, der steht hier um die Ecke und im Autohaus stinkt’s nach aggressivem Reiniger, vielleicht Wasserstoffperoxid. Ich denke, wir brauchen Unterstützung!«

Der Parkplatz vor dem Autohaus füllte sich. Diskutierende Männer stiegen aus, bepackt mit Koffern und Kisten.

Der Herr, der nun zu Gert trat, zog ein amtlich aussehendes Schreiben hervor und verkündete: »Herr Möbus, aufgrund einer Anzeige suchen wir hier nach Hinweisen, die auf ein Kapitalverbrechen deuten können. Dieser richterliche Beschluss erlaubt uns, einige Untersuchungen durchzuführen.«

Gert nickte selbstbewusst. »Kein Problem. Solange mir nur nichts an die Ausstellungswagen kommt!«

»Gut. Wir sind eher an den Wänden und dem Boden interessiert.«

»Wer zahlt uns den Verdienstausfall?«, hakte Gert bei Herrn Leber nach. »Schließlich kann ich ja wohl kaum ein Kundengespräch führen, wenn all diese Leute auf meinem Boden rumkriechen!«

»Mit welchen Kunden wollten Sie sprechen, Herr Möbus?«, grinste Leber und zeigte ins ansonsten menschenleere Rund.

Gert schnaubte, trollte sich aber ins Büro.

Heinrich beobachtete besorgt, wie die Techniker mit Chemikalien zu hantieren begannen. »Gert, sieh doch mal!«

»Setz dich endlich hin!«, zischte der Bruder.

»Können Sie die Rollos runterlassen?«, fragte einer der Männer in weißer Schutzkleidung mit der Aufschrift ›Polizei‹.

Gert nickte. Drückte auf mehrere Knöpfe. Ratternd fuhren Innenrollos herunter. Schweigen klebte zwischen den Brüdern wie Giftnebel aus einer Spraydose.

»Entschuldigung. Können Sie bitten mal herkommen?«

Bläulicher Schimmer. Auf dem Boden, zwischen den gut geschrubbten Fliesen.

»Sehen Sie, die Kollegen haben gleich geahnt, dass wir auf den Fliesen nichts mehr werden nachweisen können, die sind– wie man deutlich riechen kann– mit einem aggressiven Reiniger gesäubert worden. Aber beim Putzen werden gern die Fugen vergessen– das ist unsere Chance, denn hier sind wichtige Informationen ›gespeichert‹. Und hier, sehen Sie, dieser Schimmer im UV-Licht beweist, dass in diese Fugen Blut eingesickert ist.«

Gert sagte nichts, Heinrich schwieg ohnehin.

»Ihr könnt wieder hochziehen!«, rief der Mann, der mit einer Kamera bewaffnet um die schimmernden Flecken herumschlich.

»Nun?«, fragte ein neuer Teilnehmer der Runde, der sich als Kommissar Gerald Schütz von der Kriminalpolizei vorgestellt hatte.

»Tja«, grunzte Heinrich.

»Ach!« Gert schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Weißt du noch, Heinrich, wie der Hund sich verletzt hat? Der ist doch hier überall durch den Raum gelaufen, lag auch ’ne Weile, bis wir gemerkt haben, dass er blutet.« An den Kommissar gewandt erklärte er: »Nebenan war eine Baustelle. Die wurde nicht sauber geführt und an manchen Stellen ragten Eisenbänder aus dem Erdreich. Wir hatten das ein paar Mal moniert, doch der Bauherr hat nichts unternommen. Na ja. Es kam, wie es kommen musste. Unsere Hündin Carla hatte sich beim Stöbern dort den Hinterlauf aufgeschlitzt.«

»Sie meinen, das ist Hundeblut? Aha. Bei welchem Tierarzt haben Sie das Tier behandeln lassen? Muss ja eine dramatische Wunde gewesen sein, bei der Menge an Blut, die das Tier verloren hat. Sie haben doch gerade gesehen, wie groß der Fleck war, der im UV-Licht gestrahlt hat?«

»Gar nicht. Ich habe selbst einen Verband angelegt und nach ein paar Tagen war alles ganz gut verheilt. Carla ist keine von den wehleidigen. Wenn es eine Narbe gegeben hat, ist davon jedenfalls nichts zu sehen. Der Hund ist wie neu!«, scherzte Gert.

Der Kriminaltechniker schüttelte den Kopf, er hatte zwischenzeitlich eine besonders ›trächtige‹ Fuge aus dem Fliesenverband herausgekratzt und mit seinem ›Zauberkit‹ untersucht. »Hm, das ist jetzt natürlich sonderbar. Denn diese Blutanhaftungen stammen eindeutig von einem Menschen.«

Das verschlug selbst Gert die Sprache.

Die Brüder wurden vorläufig festgenommen. Abgeführt in Handschellen, sichtbar für ›Kunden‹, die sich bereits am Autohaus Möbus versammelt hatten.

 

»Es ist ziemlich klar, was gestern bei Ihnen passiert ist, nicht wahr?« Kommissar Schütze ging langsam in seinem Büro auf und ab. »Wir haben zuverlässige Informationen darüber, dass Sie vorgestern und gestern Besuch von zwei vorgeblichen Moldawiern hatten. Von ihrem letzten Besuch sind sie nicht ins Hotel zurückgekehrt. Also, Sie haben sich mit ihnen gestritten! Wahrscheinlich um Geld!« Dabei sah er den jüngeren Möbusbruder scharf an.

»Ach, die beiden Kunden waren aus dem Ausland?«, staunte Gert. »Die waren an einem unserer Modelle interessiert, wollten am nächsten Abend wiederkommen und eine Probefahrt machen. Aber gestern sind sie einfach nicht mehr aufgetaucht«, schloss Gert. »Unser Geschäft ist sauber«, versicherte er ungefragt. »Aber wir wissen natürlich, dass es auch im Autohandel schwarze Schafe gibt, die nur am schnellen Geld interessiert sind. Dazu muss man sich aber mit finsteren Typen einlassen– wir sind keine monopolkapitalistischen Profithyänen.«

 

Die gleiche Frage stellte Schütze im Nebenraum auch dem Älteren.

»Die kamen wegen einer Probefahrt«, bestätigte Heinrich. »Wir hatten sogar schon die roten Nummernschilder montiert.«

»Es gab keine Auseinandersetzung wegen irgendwelcher Geschäfte? Unsere Kollegen, die in diesem Dunstkreis ermitteln, haben uns Akten zur Verfügung gestellt. Die kennen die beiden Männer gut. Eine deutsche Gruppe.«

»Ach, die kamen gar nicht aus Moldawien?« Heinrich wirkte ehrlich überrascht.

»Welche Art Geschäfte haben Sie mit ihnen abgeschlossen?«

»Wir lassen uns doch nicht mit solchen Typen ein! So was entspricht nicht unserer Firmenphilosophie.«

»Sie sind keine Profithyänen?« Gerald Schütze kämpfte gegen ein Grinsen. »Meint Ihr Bruder.«

Wo Gert solche Paraden immer her hat, staunte Heinrich, nickte nur.

Kriminalkommissar Schütze ließ nicht locker. Er war ein guter Beobachter, erkannte schnell die Wesensverschiedenheit der Brüder und beschloss, sich diese Erkenntnis zu Nutze zu machen. Während Gert in einem Nebenraum wartete, holte er für Heinrich und sich einen Kaffee.

»Möchten Sie rauchen?«

Heinrich trank dankbar von dem heißen schwarzen Gebräu. »Bin Nichtraucher. Diese Qualmerei kostet nur ein Schweinegeld und schadet der Gesundheit.«

»Wir werden eine DNA-Analyse erstellen. Damit können wir nachweisen, ob das Blut in ihren Fugen von den vermissten Männern stammt.«

»Vielleicht hatte sich ja einer von denen vorher irgendwo verletzt. Kann doch sein. Dann hauen Sie uns jetzt dafür in die Pfanne!«

Gerald Schütze seufzte. »Das gibt es nur im Fernsehen. Ich hau doch keinen in die Pfanne!«, wehrte er sich leutselig. »Schließlich käme ja dann der Falsche ins Gefängnis und ein Mörder liefe frei rum. Nee, nee.« Er trank ebenfalls von seinem Kaffee und ließ Heinrich nicht eine Sekunde aus den Augen. Wenn er geschickt genug vorging, würde Heinrich Möbus mit Sicherheit einen Fehler machen, vielleicht gar freiwillig die Morde einräumen.

»Ihnen geht es heute nicht so gut, oder? Der Magen?«

»Ja, der reagiert immer so empfindlich. Und bei dem Stress ist es kein Wunder!« Der Beschuldigte zuckte zusammen.

»Mir geht das auch so. Kalkulierter Stress geht ja noch, aber wenn dann überraschend etwas dazwischen kommt, ist Schluss mit lustig.« Schütze wartete, bis sein Gegenüber sich etwas entspannt hatte. »Wenn wir den DNA-Abgleich haben, kann sich von euch keiner mehr rausreden. Die verschwundenen Männer haben uns jede Menge Vergleichsmaterial im Hotel zurückgelassen. Zahnbürsten, Haare im Kamm und auf dem Kopfkissen. Sie stecken in Geldschwierigkeiten, nicht wahr? Da muss man schon mal zu unorthodoxen Maßnahmen greifen, damit der Rubel wieder rollt!«

»Nein, nein. Der Gert hat doch sicher auch gesagt, dass wir das nie machen würden«, widersprach Heinrich leise.

»Das glaubt ihm nur keiner. Unsere Leute finden das ohnehin raus. Illegale Geschäftspraktiken bleiben nie lange verborgen, wenn die Polizei ermittelt.« Schütze beugte sich weit über den Tisch, kam Heinrich ganz nah. »Für Sie stellt sich nur noch die Frage der Schadensbegrenzung. Darüber sollten Sie ernsthaft nachdenken. Geständnisse werden vom Gericht immer strafmildernd gewertet. Das lohnt sich bei Mord so richtig. Ist ein gewaltiger Unterschied, ob ich ein Leben lang sitze oder nach etwa fünf bis zehn Jahren wieder rauskomme.«

Heinrich schwieg zu diesem Angebot.

Gut, dann anders, beschloss Schütze und brachte für den zweiten Anlauf einen Kollegen mit. »So, Herr Möbus. Sie hatten ja jetzt etwas Zeit, um über alles nachzudenken. Dies ist Kommissar Pfahl, er wird sich zu uns setzen.«

Heinrichs Blick flackerte nervös von einem zum anderen.

»Sie bleiben also bei der Aussage, es habe gestern weder einen Besuch der Moldawier gegeben noch einen Streit mit ihnen?«

»Ja, das hat der Gert doch bestimmt auch gesagt.«

»Ach, der Kerl lügt doch!«, polterte Pfahl unbeherrscht los. »Klar gab es einen Streit! Den wird auch jemand gehört haben. Da finden wir Zeugen!«

»Herr Möbus, die vermissten Männer haben in einem Telefongespräch mit Freunden erklärt, sie wollten sich jetzt auf den Weg zu Ihnen machen. Angeblich um die Angelegenheit endgültig aus der Welt zu schaffen.«

»Aha«, mehr fiel dem Autohändler nicht ein.

»Nun, noch können Sie mit uns zusammenarbeiten…«

»Lass den Quatsch«, fiel Pfahl dem Kollegen rüde ins Wort. »Siehst Du denn nicht, dass der Kerl nichts sagen will? Der wartet lieber darauf, dass wir ihm jedes Stückchen nachweisen! Dann ist es eh zu spät. Wir vergeuden hier unsere Zeit!«

»Nun lass mich doch mal!«, beschwerte sich Schütze. »Wenn du mich dauernd unterbrichst, kann ich Herrn Möbus gar nicht erklären, dass nur einer der Mörder dieses Angebot annehmen kann. Und dass natürlich seinem Bruder ebenfalls dieses Angebot gemacht wird.«

»Was? Dem habt ihr das auch angeboten? Dabei ist das so ein arroganter Schnösel. Na ja– so ist es ja oft, erst machen die einen auf eiskalter Killer und dann hängen sie andere hin, wenn’s ans Bezahlen geht. Kennt man ja!«, ereiferte sich Pfahl.

»Ich glaube, es ist besser, du gehst wieder. Hast du nicht jemand anders, den du bei der Arbeit stören kannst?«

Pfahl stöhnte hörbar, stand aber auf. In der Tür drehte er sich noch mal um. »Ey, wenn du jemanden ranlassen willst, der das mit dem Verhören wirklich kann und auch Ergebnisse liefert– dann weißt du ja, wo du mich finden kannst!«, grinste er fies, bevor er auf den Gang hinaustrat.

Die beiden Zurückgelassenen sagten kein Wort.

Schütze konnte diese Stille gut aushalten, sie war Teil seines Konzepts. Heinrich Möbus dagegen litt. Ohne Gert wusste er nicht recht, was er tun oder sagen sollte. Noch schlimmer: was er nicht sagen sollte. Zweifel nagten an seiner Seele. Ob der Gert wohl wirklich das Angebot zur Strafminderung annehmen würde? Selbst wenn es auf Kosten des Bruders ging? Dieser Pfahl kannte sich bestimmt gut aus, mit Beschuldigten– der machte den ganzen Tag nichts anderes. Sicher war dessen Urteil richtig. Was bedeuten würde, dass Gert vielleicht genau in diesem Moment… Heinrichs Welt geriet vollkommen aus dem Tritt. Ihm wurde schwindelig.

»Ist Ihnen nicht gut, Herr Möbus?«, fragte Schütze mitfühlend. »Brauchen Sie ein Glas Wasser?«

»Ja, bitte«, röchelte Heinrich.

Nach den ersten Schlucken erholte er sich schnell. »Die Typen standen vorgestern plötzlich im Laden«, begann er stockend. »Wie aus dem Boden gestampft. Wir haben gleich gesehen, dass das keine normalen Kunden waren. Die haben eine Waffe gehabt– die lag während des Gesprächs zwischen uns auf dem Tisch, natürlich näher bei denen. Sie haben versucht, uns zu erpressen, wir sind zum Schein darauf eingegangen. Doch so viel Geld konnten wir ja in der kurzen Zeit gar nicht auftreiben.«

Shit, erkannte Schütze, der hat eindeutig mehr Angst vor seinem Bruder als vor der lebenslangen Haft im Gefängnis. Der ist noch nicht reif.

»Also haben sie die Frist verlängert. Danach haben wir die beiden nicht wiedergesehen«, schloss Heinrich mit einem erleichterten Seufzer.

Schütze brach ab. Er würde noch viele Gespräche führen müssen.

 

In den kommenden Wochen konnte die Polizei Beweise zusammentragen: Das auffällige Auto der Mietwagenfirma war an beiden Tagen von Zeugen in der Nähe des Autohauses gesehen worden, die DNA-Analyse ergab wie erwartet zwei Übereinstimmungen mit den Vergleichs-DNA aus dem Hotelzimmer. Die Bankauskunft brachte an den Tag, dass die finanzielle Lage der Brüder entgegen ihrer eigenen Angaben äußerst prekär war.

Die Leichen jedoch blieben unauffindbar.

Während es draußen langsam Frühling wurde, gelang es Schütze, in vielen Gesprächen eine Art Vertrauensverhältnis zu dem ängstlichen Heinrich Möbus aufzubauen, während dessen Bruder Gert sich nach wie vor eisig abweisend verhielt und zu allen Vorhaltungen hartnäckig schwieg.

»Hallo, Herr Möbus.«

Heinrich war bleich. Seine Stimme klang brüchig. »Hallo, Herr Schütze.«

Nachdem der Kommissar sein Gegenüber über neue Erkenntnisse informiert hatte, schlug er plötzlich einen neuen Ton an. »Ist schon traurig. Ihr Vater wäre entsetzt, wenn er Sie so sehen könnte.«

Heinrich senkte den Kopf, wich dem Blick Schützes aus.

»Er hat Ihnen damals ein florierendes kleines Unternehmen vererbt. Was ist schiefgelaufen?«

»Die Krise. Arbeitslosigkeit, Konsumverweigerung. Es gab viele Gründe, warum Leute auf einmal keine Autos mehr kaufen wollten.« Heinrich seufzte. »Unser Vater hätte den Betrieb auch nicht retten können.«

»Aber er wäre nie so weit gegangen. Ich fürchte, er könnte Ihnen das alles nicht verzeihen.«

»Meinen Sie?« Heinrich Möbus wurde unsicher. »Vielleicht haben Sie recht. Er war ein sehr gradliniger Mensch. Preußische Erziehung.«

»Na, aber die haben Sie doch auch genossen.«

»Ich habe alles versaut. Vater würde mich hassen.«

»Warum?«

»Weil ich versagt habe. Ich bin der Ältere! Ich hätte Gert aufhalten müssen. Aber das habe ich noch nie gut gekonnt. Gert ist sich immer absolut sicher, bei allem, was er tut. Da kommt man nicht gegen an.«

»Wie bei dem Plan fürs große Geld.«

»Wo hat es uns jetzt hingeführt? Ins Gefängnis. Gert und seine tolle Ideen. Vater hat mich immer vor ihm gewarnt.« Heinrich stierte blicklos vor sich hin. »Der Gert ist gefährlich, hat er gesagt. Und jetzt hat er mich sogar zum Mörder gemacht«, flüsterte Möbus.

Schütze musste sich sehr beherrschen, um hier nicht sofort einzuhaken. Ruhig Blut, lass dir nichts anmerken, ermahnte er sich, nur nicht stören.

»Mein Vater würde wollen, dass ich zu dem, was ich getan habe, auch stehe. Ein Mann übernimmt jederzeit die Verantwortung für sich und sein Handeln– das hat er immer gesagt.«

Wieder wurde es ganz still im Raum.

»Ich kann das Geräusch nicht vergessen. Sie kommen zu mir– wecken mich nachts, quälen mich mit Vorwürfen. Dieses Gurgeln, als die beiden auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Grauenvoll! Seither wache ich jede Nacht auf und muss mich übergeben.«

Nur das Atmen der Männer war zu hören.

»Diese Typen haben uns bedroht. Gert meinte, die würden uns so oder so umbringen, das mit der Geldforderung sei nur ein Trick. Es ginge darum, schneller als sie zu sein. Als sie zum zweiten Mal kamen, waren wir schneller. So viel Blut! Es war alles voll davon. Selbst eins der Autos hatte was abbekommen. Schrecklich. Unvorstellbar grässlich! Gert hatte alles vorbereitet. Die Planen, die Steine, die Säge, die Karre und so. Wir haben sie eingewickelt, später noch Steine angebunden, damit die nie wieder hochkommen. Und als sie dann im See verschwunden waren, habe ich fast daran geglaubt, dass man uns nichts beweisen kann.«

»In welchem See?«

»Peterssee.«

»Zeigen Sie mir die Stelle?«

»Ist ja jetzt schon egal, oder?«

 

Zwei Stunden später waren Möbus und Schütze in einem zivilen Polizeifahrzeug unterwegs. Der geständige Mörder saß neben einem uniformierten Beamten steif auf dem Rücksitz, angespannt, die Augen fest auf die Straße gerichtet.

»Hier ist die Einfahrt zum Parkplatz«, sagte er leise. Der Kommissar bog ab.

»Dort hat unser Transporter gestanden.«

Schütze stellte den Wagen ein Stück von der Stelle entfernt ab.

»Wir haben sie nacheinander geholt. Beide gleichzeitig wäre nicht gegangen. Das Eis hätte uns vielleicht nicht getragen. Wir haben sie nacheinander in die Schubkarre gelegt und sind losgefahren. Zwischen den Bäumen durch bis ans Ufer. Gert hat vorgeschlagen, die Hohlblocksteine vom Hof zu nehmen, um die Körper zu beschweren, hat ihnen das quasi als Marschgepäck verordnet– das habe ich übernommen. Danach sind wir aufs Eis. Irgendwo legten wir erst den einen, dann den anderen ab. Ich habe das Loch gesägt. Wir haben sie nacheinander darin versenkt. Danach musste Gert ja nur die Scheibe wieder einsetzen. Die würde festfrieren. Wenn überhaupt jemand etwas sehen könnte, würde der glauben, hier waren Eisfischer. Komisch, wenn man das so erzählt, klingt es, als wäre die Sache schnell erledigt gewesen– aber mir kam’s in der Nacht endlos vor.«

Schützes Blick wanderte über die Wasseroberfläche. Wie sollte er hier die Leichen finden? »Sind Sie mit der Schubkarre weit übers Eis gefahren? Oder nur ein paar Schritte?«

»Kann ich nicht sagen. Aber bestimmt ein ziemliches Stück. Es sollte ja auch tief genug sein an der Stelle.«

 

Am nächsten Tag fand sich der Kommissar mit ein paar Beamten am See ein. Inzwischen hatte er sich kundig gemacht. Circa 90.000 Quadratmeter groß, bis zu 24Meter tief, eutrophiert bis 16Meter, hatte man ihm bei der Wasserwirtschaft erklärt. Eutrophiert bedeutete, das Wasser sei voller Schwebeteilchen, also trübe. Das klang nicht vielversprechend. Gerald Schütze ahnte, dass diese Bedingungen den Einsatz von Tauchern stark einschränken würden. Aber er wollte nichts unversucht lassen.

Während ein Teil der Beamten zur Befragung der Nachbarn aufbrach, fuhr Schütze mit einem Taucher aufs Wasser raus und nahm Proben.

»Sieht ja fast aus wie Erbsensuppe!«, war der Kommentar von Polizeihauptkommissar Heimo Kunze, als er begutachtete, was der Taucher aus der Tiefe gezogen hatte. »Das wird schwierig.«

»Aber es ist machbar?«

»Ehrlich gesagt, nee. Wenn überhaupt, dann geht es nur in einem definierten Bereich. Dieser See ist so groß, da tauchen die Jungs monatelang und finden nichts. Legen Sie fest, wo die Leichen sind. Dann gehen wir runter und bergen sie. Für eine allgemeine Suchaktion sehe ich keine Chance auf Erfolg.«

»Machen Sie einen anderen Vorschlag! Es muss doch möglich sein, mit einer anderen Methode in diesem Gewässer nach den Körpern zu suchen. Also, es war kalt. Das Wasser erwärmt sich gerade erst. Die beiden dürfen gut erhalten sein. Da unten waren die bei 4Grad gelagert!«

»Na ja. Vielleicht geht es mit Rechen.«

»Das habe ich schon mal gesehen. Da haben wir einen Selbstmörder gesucht. Leichenrechen heißen die, nicht wahr? Wie lang dauert die Vorbereitung, wann können Sie die Suche durchführen?«

Kunze ruderte das Schlauchboot zurück ans Ufer. »Ich mache einen Dienstplan für meine Männer. Wir bereiten den Einsatz vor und dann könnten wir in drei Tagen anfangen. Wir machen einen Probetauchgang. Kann ja sein, dass meine Jungs doch mit den Verhältnissen klarkommen. Wenn nicht, dann können wir immer noch mit den Rechen arbeiten. Bei der Größe des Sees eine ziemliche Aufgabe. Außerdem kann es passieren, dass wir nur Leichenteile bergen.«

Schütze knurrte unzufrieden, es blieb ihm aber nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Als die Tauchereinheit anrückte, staunte er nicht schlecht: vierzig Beamte, vier LKW mit Bootsanhänger, Leuchtgiraffen, Tauchanzügen, Umkleiden, fünf Personentransportfahrzeuge etc. Es entstand eine richtige Zeltstadt. Man könnte meinen, die wollen hier Urlaub machen, dachte Schütze.

Die Beamten hatten tatsächlich einige Aussagen von Anwohnern zusammengetragen, die sich daran erinnern konnten, kurz nach dem Jahreswechsel nachts gehört zu haben, wie ein Loch in den See gesägt wurde. Sie hätten sich noch darüber gewundert, dass jemand um diese Zeit zum Eisfischen draußen war. Bei Temperaturen um minus 17Grad bräuchte man eine Menge Glühwein oder Grog, um nicht zum Fischerstäbchen zu werden, während man darauf wartete, dass einer anbiss. An welchem Tag genau die nächtliche Sägerei zu hören war, wusste niemand mehr zu sagen. Ein älterer Herr erzählte, er habe am folgenden Tag nach dem Loch geguckt, weil viele Schlittschuhläufer unterwegs waren und er fürchtete, es könne jemand an der Stelle einbrechen– doch da sei reinweg gar nichts zu sehen gewesen. Was eigenartig sei, denn normalerweise entstehe ja eine deutliche Stufe.

Schön, dachte Schütze, das bestätigte die Aussage Heinrich Möbus‹, aber zu den Leichen führt mich das nicht.

Die Skepsis Kunzes machte Schütze zu schaffen. Was, wenn die Rechen nicht zum erhofften Erfolg führten? Es musste ein Plan B her, auf den er bei Bedarf ausweichen könnte. Welche Möglichkeiten blieben ihm, wenn Taucher und Rechen versagten? Er griff zum Telefon und vereinbarte einen Termin mit Matthias Franke aus der Kriminaltechnik.

Am folgenden Abend trafen sie sich in einer Altstadtkneipe. Als sie ihre Schnitzel weitgehend bewältigt hatten, fragte Franke: »Also, um was geht es denn nun genau?«

Gerald Schütze erklärte es ihm.

»Zwei gleich, ja? Hm. Ich denke, da kann ich schon ein bisschen helfen. Wir könnten einen Bodenprofilplan des Gewässers raussuchen. Ich glaube, den gibt es schon. Dann rechne ich dir aus, wie weit die Typen mit den Leichen übers Eis gegangen sein müssen, um sicherzugehen, dass die Fracht auch tief genug sinkt und nicht mit den Beinen von irgendeinem Schwimmer im Sommer kollidiert. Am besten ist es, wenn du mir mal die Akte rüber schiebst, dann kann ich mir einen Kopf machen. Und danach überlege ich mir, wie man die Pakete aufspüren kann. Zwei Tage?«

»Das geht nicht! Wer soll das bezahlen? Der Staatsanwalt war schon kaum geneigt, die Kosten für den Taucheinsatz zu übernehmen. Ohne das Geständnis hätte ich gar nichts erreicht. Jetzt muss ein Erfolg her, sonst kann ich mir den nächsten Besuch bei ihm sparen.«

»Aber schlecht ist er nicht!«

»Na ja, ist schon wahr, er hat uns bisher nie im Regen stehen lassen. Zwei Tage ist trotzdem zu lang! Ruf mich an, dann treffen wir uns auf ein weiteres Bierchen.«

 

Die Suche mit den Rechen zog sich hin, das Ergebnis: ein alter Koffer, zwei Fahrräder, ein Einkaufswagen und Kleinkram, aber keine Leichen. Jedes Mal, wenn sich etwas in den Zinken verhakte, hoffte der Kommissar– wurde jedoch immer wieder enttäuscht. Gegen Mittag des zweiten Tage entschloss sich Kunze doch ein paar seiner Männer tauchen zu lassen. Das Ergebnis war ernüchternd:

»Nichts. Man sieht überhaupt nichts«, beschwerte sich einer der Taucher, »und mit dem Atemventil gibt es auch Probleme, die Trübung ist so fein, unsere Ventile machen nicht mit, wir saufen schlichtweg ab. Wenn ich den Scheinwerfer einschalte, dann hat man das Gefühl, man sehe auf eine grüne Wand. So können wir nicht suchen.«

Am späten Nachmittag gesellte sich Matthias Franke zu den frustrierten Männern am Ufer des Sees. »Ich habe mir folgendes überlegt. Deine Mörder kamen aus Richtung Parkplatz– das ist hier.« Er zeigte den Punkt auf der mitgebrachten Karte, zog mit dem Finger einen Weg durch das kurze Waldstück nach. »Eine Eisschicht bedeckte den See komplett. Sie haben sicher erst mal die Tragfähigkeit getestet– schließlich wollten sie ja nicht zusammen mit den Opfern untergehen. In Ufernähe Leichen zu deponieren, ist Schwachsinn. Dort werden sie sogar im Winter rasch entdeckt. Von Hunden zum Beispiel. Selbst wenn wir den ganzen Flachwasserbereich abziehen, bleibt immer noch eine enorme Fläche, die es zu untersuchen gilt. Wie weit würdest du laufen, habe ich mich gefragt. Allerdings, die beiden kannten sich aus, sie haben schon als Kinder hier gespielt.«

»Sie wollten ihre Fracht im Tiefen versenken, meint mein Mörder.«

»Eben. Die kennen sich hier aus. Aber ganz bis zur Mitte werden sie auch nicht gegangen sein, zu viel Arbeit und Entdeckungsrisiko, 80Meter weniger reichen auch. Aus Erfahrung weiß man, dass in der Mitte die Eisdecke vielleicht nicht ausreichend dick ist, um zwei Männer, zwei Leichen und eine Schubkarre zu tragen.«

Kunze schaltete sich ein. »Im Januar waren eigentlich alle Gewässer gut zugefroren. Das kam sogar in den Nachrichten. Ich habe mich im Wetteramt erkundigt, starker Frost bis minus 20Grad für mehrere Wochen. Wir können nicht ausschließen, dass die Mörder das ebenfalls gewusst haben.«

»Gut, dann gehen wir also davon aus, dass sie die Körper in diesem Areal versenkt haben.« Franke deutete eine große Fläche an. »Das ist ein viel zu weitläufiges Gebiet, um frei zu suchen, circa 2.800 Quadratmeter. Nein, das geht nicht. Selbst dann, wenn wir davon ausgehen, dass sie eher näher am parkplatznahen Ufer geblieben sind, als über die Mitte in Richtung des anderen Strandes zu laufen. Wir können allerdings nicht ausschließen, dass die Strömung sich an den Leichen zu schaffen gemacht hat.«

Gerald Schütze spürte Mutlosigkeit in sich aufsteigen. Es konnte doch nicht so schwierig sein, diese Männer wieder aufzuspüren! »Was bleibt also?«, fragte er unnötig scharf. »Entschuldigung, ich bin ein bisschen ungeduldig.«

Franke grinste, zeigte Verständnis. »Ist schon blöd, wenn einem die Leute erklären, was alles nicht geht. Versteh’ ich schon. Deshalb weiß ich ja auch, was geht! Weißt du, wie man heutzutage Fischschwärme ausfindig macht?«

»Klar, mit Sonar.«

»Genau. Das könnten wir hier probieren. Sonar, Radar, Georadar. All das, was Wellen zurückwirft. Lass uns die Männer holen, die mit den elektromagnetischen Wellen umgehen können.«

»Unter Wasser, wie soll das gehen? Das ist doch alles ziemlich schweres Gerät, das kann man nicht so einfach vom Schlauchboot aus in den See halten!«

»Das lass mal deren Sorge sein. Was hier geht, kann ich dir auch nicht sagen, aber das werden wir bald wissen. Finden wir eine Anomalie, könnte das eine der Leichen sein.« Franke strahlte.

»Muss aber nicht!«, dämpfte nun Kunze die keimende Hoffnung. »Jeder größere Stein, der auf dem Grund liegt, produziert auch solch eine Anomalie.«

»Einen Versuch ist es wert!«, entschied Schütze.

»Dann kümmere ich mich um die Geräte. Dazu frage ich am besten bei der BTU nach. Morgen gebe ich dir Bescheid.« Franke sprang auf, raffte das Kartenmaterial zusammen und lief los. »Mach ich sofort!«, rief er zum Abschied und war verschwunden.

Gerald Schütze half Kunze und seinen Männern beim Zusammenpacken des Equipments.

»Das Boot, die Crew, zwei Taucher mit Ausrüstung stelle ich dir für die kommenden Tage in Bereitschaft. Wenn du ein verdächtiges Areal findest, kommen sie vorbei und tauchen nach.«

»Danke schön.«

»Viel Erfolg!«, wünschte Kunze und brauste davon.

 

Franke hielt Wort. Schon am Nachmittag des nächsten Tages fand sich ein Team der BTU mit der entsprechenden Technik am Ufer ein. Die Geräte wurden auf Boote verladen und gesichert. Dann fuhren die Teams los. Langsam und stetig, von einem Ufer zum anderen. Ein Student überwachte derweil auf dem Monitor das entstehende Bild.

Während die BTU das Wasser durchschallte, überlegte Schütze, ob man das Problem auch auf andere Weise lösen konnte. Franke hatte da was erwähnte. Für einen kurzen Moment hatte er einen Geistesblitz gehabt, der leider im Verlauf des Gesprächs erloschen und nun nicht mehr greifbar war. Worüber hatten sie nur gesprochen?

Er beobachtete einen Spaziergänger, der neugierig stehenblieb. »Was suchen Sie denn da?«, rief er dem BTU-Boot zu und der Student gab zurück: »Anomalien!«

»Aha!« Der Luftschnapper machte kehrt, pfiff und trollte sich mit seinem Hund in Richtung Parkplatz. Schütze grinste. Ob der Mann wohl Aliens verstanden hatte?

Hund!, fiel ihm plötzlich ein, genau. Franke hatte über Hunde gesprochen. Leichen entwickelten beim Verwesen einen starken Geruch. Und nach mehreren Monaten im See dürften die Körper trotz der kühlen Lagerung angefangen haben, sich zu zersetzen. Wurden dabei nicht auch Gifte oder Gase frei? Schütze konnte sich an den Vortrag des Rechtsmediziners dazu nicht mehr sicher erinnern. Aber diesen Verwesungsgestank, den kannte er! Schließlich war er mindestens dreimal im Monat im Leichenschauhaus.

Ein Kollege aus Stuttgart, den er vor etwa einem Jahr zufällig im Zug getroffen hatte, erzählte von einem Einsatz mit Leichenspürhunden, die einen Toten in mehr als 30Metern Tiefe geortet hatten. Er konnte sich genau erinnern, wie erstaunt er gewesen war, nie hätte er das für möglich gehalten. Doch der Kollege war sich sicher! Und dieser See war 24Meter tief. Vielleicht war das eine weitere Chance. Er griff zu seinem Handy.

»Ja, wir haben einige Leichenspürhunde, die speziell dafür ausgebildet sind«, bestätigte man ihm. »Aber die Tiere können nicht den ganzen Tag über einen riesigen See schnuppern. Sobald Sie ein eingegrenztes Areal haben, kommen wir vorbei.«

Tags darauf hatte Schütze am frühen Nachmittag nicht nur ein Areal– er hatte zwei!

Der Student, der den Monitor überwacht hatte, brachte ihm eine Mappe voller Ausdrucke zum Einsatzwagen. »Wir haben zwei Areale gefunden, in denen es eine Häufung von Anomalien gibt, die mit dem Vorhandensein einer Leiche erklärbar sein könnten.«

Schon allein die unpräzise Formulierung trieb Schütze den Schweiß auf die Stirn. Er brauchte Ergebnisse!

»Einmal hier und einmal dort.« Der junge Mann zeichnete die suspekten Gebiete mit einem roten Filzstift auf der Karte in den See ein. »Dabei müssen Sie bedenken, dass die Strömung eine gewisse Rolle spielt. Deshalb werden die beiden Pakete nicht mehr genau dort zu finden sein, wo man sie versenkt hat. Wir haben die Strömungsdaten eingespeist, damit wir von vornherein eine Grundannahme haben, wo eine Anomalie auch wirklich einen Leichenfund anzeigen könnte. Schließlich führt ja jede Störung zu einer Abweichung– selbst ein versenktes Fahrrad, ein illegal entsorgter Müllbehälter, im See verlorenes Spielzeug. Der Computer hat diese Informationen bei der Auswertung berücksichtigt.«

»Wie groß sind diese Areale genau?«

»Etwa 80 mal 20Meter. Für den nordöstlichen Bereich können wir das noch weiter eingrenzen, vielleicht auf 40 Quadratmeter. Dazu benötigen wir ein hoch spezialisiertes Gerät. Wir haben das schon angefordert. Morgen am frühen Nachmittag können wir anfangen.«

»Prima!«, freute sich Schütze und rief wieder bei der Hundestaffel an. »Ich kann den Suchbereich auf zwei Gebiete von insgesamt 1.640Quadratmeter eingrenzen.«

»Gut, ich bringe fünf Hunde mit. Wie der Kaiser so treffend sagt: Schau’n mer mal…«

 

Hochspannung. Endlich, die Leichenspürhunde kamen an.

»Bevor die Tiere anfangen zu arbeiten, müssen sie sich noch etwas austoben«, erfuhr der ungeduldige Gerald Schütze, der nervös von einem Fuß auf den anderen trat, während er die Hunde beim Spiel beobachtete.

Dann war es so weit. Die Boote zogen wieder in langsamen Bahnen über das Wasser– im Bug stand jeweils ein Hund, aufmerksam die Nase über der Wasseroberfläche, der Körper angespannt, hoch konzentriert. Gerald Schütze bedauerte den Anlass für diesen Einsatz– denn ohne Kenntnis darüber, was die Hunde da trieben, hätte er diesen ästhetischen Anblick genießen können.

»Wenn die Hunde Leichengeruch wahrnehmen, setzen sie sich im Boot. Kein Gebell, kein Geräusch. Das haben sie so gelernt.« Justus Weinberg beobachtete die Tiere mit Stolz. Minute um Minute zogen die Boote weiter, glitten beinahe geräuschlos über die Oberfläche.

Plötzlich setze sich einer der Hunde in den Bug. Der Hundeführer lobte das Tier– zog einen großen Kreis, näherte sich erneut der Stelle und das Tier reagierte wie zuvor. »Hier ist was!«, rief der Hundeführer, bestimmte die Koordinaten und brachte Boot und Hund zum Ufer zurück.

Nach wenigen Stunden gab es zwei von den Hunden identifizierte Orte. Vier der fünf Tiere hatten übereinstimmend reagiert. Schütze forderte Taucher an.

Dieses Mal ausgestattet mit den Daten für den wahrscheinlichen Fundort. Wegen der zu erwartenden Probleme mit den Atemventilen verwendete man ein spezielles Tauchsystem mit stationärer Luftversorgung und Sonderausrüstung. Zwar konnten die Männer unter Wasser wegen der aufgewirbelten Schwebeteilchen nichts sehen, bewegten sich aber tastend voran und entdeckten schließlich zwei ominöse Pakete, eingewickelt in dunkle Plane, verschnürt mit einem Kunststoffseil.

Nach der Bergung des ersten Päckchens fiel die Verpackung auseinander. Gerald Schütze sah in das Gesicht von einem der Männer, die er so lange gesucht hatte. Weiß war es, wirkte aufgequollen. Der gesamte Körper schien unglaublich gut erhalten, er zeichnete sich deutlich unter der Plane und der Kleidung ab.

»Muss ja richtig gutes Lagerhaltungsklima gewesen sein da unten. Sieht noch frisch aus«, stellte er fest.

»Besser, Sie lassen die beiden eilig in die Gerichtsmedizin bringen. Ist nicht das erste Mal, dass ich das sehe. Die zersetzen sich an der Luft in atemberaubender Geschwindigkeit«, warnte der Taucher.

Und er sollte recht behalten. Noch bevor der zweite Körper geborgen war, verströmte die zuvor relativ geruchlose Leiche unglaublichen Verwesungsgestank, es war, als könne man dem Zerfall regelrecht zusehen. Der Leichnam wirkte wie aufgeblasen, drohte gar zu platzen. Schütze war erleichtert, als die Toten auf dem Weg in die Kühlräume der Rechtsmedizin waren.

Die beiden Mörder saßen hinter Schloss und Riegel und die Opfer hatte er nun auch gefunden. Blieb noch, die Farbe an den gesicherten Hohlblocksteinen mit der Wand im Hof des Autohauses abzugleichen, um die Sache endgültig abzuschließen.

Zufrieden fuhr Schütze in sein Büro zurück, um das Protokoll fertigzustellen und die Akten weiterzuleiten.

 

Sonar: Als Sonar bezeichnet man ein Verfahren zur Ortung von Gegenständen oder Ähnlichem mittels hochfrequenten Schallwellen. Der Name ist die Abkürzung von ›SOund Navigation And Ranging‹ ab. Sonar-Systeme eignen sich besonders für die Unterwassererkundung, da sich der Schall unter Wasser mit geringerem Verlust als in der Luft ausbreitet und etwaige Reflexionen auf diese Art erst messbar werden. Es gibt aktive und passive Sonarsysteme, die je nach Auftrag eingesetzt werden können. Diese Methode arbeitet zerstörungsfrei.

 

Radar: Als Radar bezeichnet man eine Methode zur Ortung und Entfernungsmessung von Gegenständen und Ähnlichem. Dieses System arbeitet mit elektromagnetischen Wellen im Bereich der Radiofrequenzen. Dabei werden die Wellen von einem Sender ausgestrahlt und beispielsweise von einem metallischen Körper wie einem Schiffsrumpf oder einem Flugzeug reflektiert. Auch Radar ist eine Abkürzung, und zwar für ›RAdio Detection And Ranging‹. Diese Methode arbeitet wie das Sonar zerstörungsfrei.

 

Georadar: kommt zur zerstörungsfreien beziehungsweise zerstörungsarmen Untersuchung von Böden zum Einsatz. Dabei sendet man elektromagnetische Wellen mit Frequenzen von 10 bis 1.000 Megahertz in den Boden. In einem homogenen Medium (zum Beispiel reinem Sand) erhält man eine konstante Ausbreitungsgeschwindigkeit als Resultat. Trifft sie auf ein anderes Medium, wie z.B. einen Fels, ändert sie sich. Aus den unterschiedlichen Laufzeiten des Signals erkennt der Fachmann Auffälligkeiten, sogenannte Anomalien. An diesen Stellen wird bei Verdacht (z.B. auf ›illegale Beerdigung‹) gegraben, um dem veränderten Signal einen konkreten Sachverhalt zuzuordnen.

 

Leichenspürhunde: Hunde verfügen über ein sehr viel empfindlicheres Riechorgan als Menschen. Während der Mensch mittels 10 bis 30Millionen Sinneszellen in der Nase Gerüche oder Düfte wahrnehmen kann, sind es z.B. beim Schäferhund 220 Millionen. Es ist möglich, Hunde auf die Wahrnehmung unterschiedlichster Gerüche zu trainieren. Neben den Leichenspürhunden sind wohl Drogen-, Lawinen-, Sprengstoff- und Geldspürhunde sowie Fährtenhunde am bekanntesten. Hunde kommen auch nach Erdbeben oder anderen Katastrophen zum Einsatz, wenn es gilt, Verschüttete zu retten. Beim Verwesungsprozess von Körpern werden ganz typische Gerüche freigesetzt, der Hund wird auf deren Identifikation trainiert, zeigt dann beim Aufspüren des Geruchs eine ihm beigebrachte Reaktion. Nachgewiesen ist, dass Hunde auch Leichen in Gewässern mit Tiefen bis zu 30Metern ›erschnüffeln‹ können.

 

Luminol: eine Chemikalie, die zum Nachweis von Blut verwendet wird. In Verbindung von Oxydationsmitteln wie Wasserstoffperoxid reagiert sie schon bei geringsten, oft mit bloßem Auge nicht wahrnehmbaren Mengen. Bei positivem Test (Reaktion mit dem Blutfarbstoff Hämoglobin) zeigt die Flüssigkeit eine bläuliche Chemolumineszenz und leuchtet im UV-Licht.

 

Bluestar: wird gelegentlich anstelle von Luminol verwandt. Es ist leicht zu mischen und ermöglicht eine Identifikation von Blut, selbst wenn die Umgebung nicht vollkommen abgedunkelt ist. Beide Tests, Luminol und Bluestar, sind hoch empfindlich und können Blut in einer Konzentration von weniger als 1 : 100.000 nachweisen. Es ist möglich, sie großflächig an Tatorten zu versprühen. Der DNA-Nachweis wird durch diese Produkte nicht berührt. Daneben gibt es eine Reihe mikrokristalliner Tests, die allerdings nicht so empfindlich wie Luminol oder Bluestar sind.

 

DNA: ist eine Abkürzung für Deoxyribonucleic Acid (deutsch: Desoxyribonukleinsäure, DNS). Dabei handelt es sich um den Träger der Erbinformation. In Deutschland ist es erlaubt, aus dem nichtcodierenden Bereich des Erbguts Verdächtiger neun Faktoren zu bestimmen, die bei einer Vergleichsuntersuchung zur Identifizierung des Täters herangezogen werden können. DNA kann aus den unterschiedlichsten Zellen des Körpers gewonnen und bestimmt werden. Schon geringe Mengen sind ausreichend, um entsprechende Test im Labor durchzuführen.

 

Verhörmethoden: sind Techniken, die der Aufklärung von Straftaten dienen. Ziel ist es, möglichst der Wahrheit entsprechende Aussagen zu bekommen, Lügen zu entlarven und Täter zu überführen oder Geständnisse zu erwirken. Es entspricht der Natur des Menschen, sich bei Bedrohung selbst zu schützen– und Straftäter sind nur in wenigen Fällen bereit, frei und offen über ihre Taten zu sprechen. So entwickelte man auf psychologischer Basis gründende Gesprächstaktiken, die eingesetzt werden, um Sachverhalte aufzuklären. Aus verschiedenen Fernsehserien ist beispielsweise die Methode ›guter Polizist, böser Polizist‹ bekannt,aber auch das Cross Over, bei dem durch gezieltes Nachfragen immer gleicher Sachverhalte Widersprüche in den aussagen entdeckt werden können.

 

Leichenrechen: Wenn Taucher bei der Suche im Wasser nicht zum Einsatz kommen können, weil das Wasser zu trüb oder Tauchen in diesem Gewässer zu gefährlich wäre, wird abhängig vom Suchgebiet ein Leichenrechen verwendet. Ist der ungefähre Ablageort bekannt, fährt man den Untergrund mit einer Harke in entsprechender Größe ab. Verfängt sich ein Gegenstand wie beispielsweise ein toter Körper, so löst dies einen Mechanismus aus, der die anschließende Bergung ermöglicht. Die Suche nach Leichen auf dem Grund eines Sees ist ein typisches Beispiel für den Einsatz dieser Rechen.