Sonderfall Nationalparks / Schutzgebiete

Februar 2002. Seit 1995 beobachte ich wild lebende Wölfe im Yellowstone-Nationalpark und zeige als Guide deutschen Touristen die Tiere. Auch diesmal war ich wieder mit Kunden unterwegs. Es war unser vorletzter Tag. Wir hatten bisher jeden Tag das Druid-Peak-Rudel beobachtet. In der anbrechenden Dämmerung hielten wir uns in der Nähe eines Hirschkadavers auf, der etwa 200 Meter von der Straße entfernt lag; die Druids hatten das Tier am Morgen gerissen.

Am Kadaver fraßen zwei Jungwölfe. Die älteren, erfahrenen Tiere hatten den Ort verlassen, als die Fotografen und Touristen eintrafen, aber die beiden Einjährigen kümmerten sich nicht um uns.

Erst nachdem sie sich die Bäuche vollgeschlagen hatten, wurden wir für sie interessant. Sie kamen auf uns zu. Wir konnten beobachten, wie sie zwischen Fluchtinstinkt und Neugier hin und her gerissen waren. Die Neugier überwog. Vorsichtig näherten sie sich, Ohren gespitzt, Nackenhaare bis zum Äußersten aufgestellt, aber den Schwanz tief unter den Bauch geklemmt, also von der Körpersprache her eine Mischung aus Angst und Neugier.

Etwa drei Meter von uns entfernt blieben sie neben einem Baum stehen und schnupperten. Sie beobachteten uns eine Weile sehr intensiv, während wir alle stillstanden und keinen Muskel rührten. Dann liefen die Zwei ein Stück die Straße entlang, wobei sie ausgiebig unsere dort geparkten Autos beschnupperten und »markierten«. Schließlich verschwanden sie.

Einige Zeit danach, es war schon dunkel geworden, konnten wir die »Teenager« wiederentdecken. Diesmal hielt ein Auto neben ihnen an der Straße und die Insassen warfen ein Sandwich aus dem Fenster ...

Wölfe, die sich an Menschen gewöhnen und die von ihnen Futter bekommen, spielen, wie wir bereits gehört haben, bei Angriffen eine große Rolle. Da wilde Wölfe sehr scheu sind, sind die Möglichkeiten der Futterkonditionierung überwiegend dort vorhanden, wo die Tiere geschützt sind und nicht gejagt werden dürfen, also hauptsächlich in Nationalparks.

Nach ihrer Wiederansiedlung 1995/96 haben sich die Wölfe im Yellowstone-Nationalpark in den ersten zehn Jahren drastisch vermehrt. Danach pendelte sich die Population ein und die Zahl sank. Heute (2013) werden die Tiere außerhalb der Parkgrenzen wieder gejagt, was zu einem starken Rückgang führte. Zurzeit leben 68 Wölfe im nordöstlichen Teil, dem Lamar Valley.

Zum ersten Mal zeigten die Yellowstone-Wölfe 1999 ein Interesse an Menschen, als ein einjähriger Jungwolf mehrmals die Nähe von Touristen suchte. Auch konnte man ihn dabei beobachten, dass er eine Mülltonne untersuchte und eine Plastiktüte fraß. Das lässt vermuten, dass er von Besuchern gefüttert worden war. Das Tier wanderte ab und starb an einer natürlichen Todesursache.

Zwei Jahre später verhielt sich ein anderer Jährling ebenso. Während seine Rudelmitglieder beim Anblick von Menschen das Weite suchten, lief er dicht an den Zweibeinern vorbei. Auch dieser Wolf wanderte ab und wurde in der Nähe einer Ranch im Paradise Valley getötet, weil er sich Menschen gegenüber zu dreist und unerschrocken verhalten hatte.

Im Winter 2001 und 2002 zeigten besonders zwei Jungwölfe unerschrockenes Verhalten und näherten sich immer wieder Menschen oder ihren Autos. Als Touristen versuchten, einen von ihnen zu streicheln, sprang der jedoch zurück. Einmal versuchte der anwesende Biologe die Wölfe mit Rufen und Schreien wegzujagen, worauf sie nicht reagierten. Als er einen Schneeball nach ihnen warf, jagten sie dem Ball nach.

All diese Zwischenfälle betrafen das Druid-Peak-Rudel. Aber auch ein anderes Wolfsrudel näherte sich im Winter 2001/02 des Öfteren Besuchern. Im Gibbon-Meadow-Gebiet liefen Wölfe auf Schneemobile zu. Diese Tiere stammten vor ihrer Wiederansiedlung ursprünglich aus British Columbia. Dort waren sie von Schneemobilen gejagt worden, sie hätten also eine natürliche Angst vor diesen Fahrzeugen haben müssen – nicht jedoch in diesem Winter.

Im Winter 2004 jagte und tötete das Swan-Lake-Rudel (10 bis 12 Wölfe) insgesamt vier Wapitihirsche in Mammoth bei den Unterkünften der Parkangestellten. Einen Hirsch jagten sie sogar über das Footballfeld der Schule. Betont werden muss dabei, dass dieses Wolfsrudel nicht an Menschen gewöhnt war, sondern lediglich bei der Jagd »im Eifer des Gefechts« in die Nähe der Wohngebäude geriet. Die Besorgnis der Bewohner veranlasste den Direktor des Wolfsprogramms, Doug Smith, ein Rundschreiben mit Anweisungen herauszugeben, wie sich die Leute den Wölfen gegenüber verhalten sollten.

Am 19. Mai 2009 musste in Yellowstone ein Jährling der Gibbon-Meadow-Wolfsfamilie getötet werden, weil er sich wiederholt Menschen genähert hatte. Mehrmals hatte er Radfahrer und Motorradfahrer gejagt, offensichtlich in der Erwartung, Futter zu bekommen. Trotz zahlreicher Versuche, ihn mit Silvesterkrachern und Gummikugeln zu verjagen, kehrte der Wolf immer wieder zurück.

Schließlich verfolgte und jagte er eine Frau mit ihrem Fahrrad. Die verängstigte Frau hielt einen Pick-up an, der sie nach Hause brachte. Als eine leere Öldose von der Ladefläche des Autos rollte, schnappte sich der Wolf die Dose und lief davon – ein eindeutiges Zeichen, dass er zuvor gefüttert worden war.

»Vermutlich wollte der junge, neugierige Wolf niemandem Böses tun”, sagte Doug Smith Reportern. »Aber wir können nicht riskieren, dass ein Wolf jemanden verletzt.«

Am 8. Oktober 2011 wurde im Yellowstone Nationalpark von Beamten ein Wolf getötet, der sich mehrmals und längere Zeit Menschen genährt hatte.

Mindestens sieben Mal seit Juli hatte sich das 55 Kilo schwere Tier in der Nähe von Old Faithful und Fishing Bridge Angestellten und Touristen genähert. Der Wolf gehörte zu den Mollies und kam aus dem Pelican Valley. Er war zwei bis vier Jahre alt.

Eine besondere Form von »Überreaktion« präsentierte ein Wanderer in Yellowstone. Der Mann, der allein unterwegs war, traf auf eine Wolfshöhle. Da alle Gebiete rund um Wolfshöhlen im Frühjahr für Wanderer gesperrt sind, hat er sich dort offensichtlich illegal aufgehalten. Die Wölfin kam aus der Höhle und bellte ihn an, was er als Knurren empfand. Daraufhin besprühte er das Tier mit seinem Bärenspray an und rannte davon. Wolfsgegner interpretierten das Verhalten der Wölfin in den Medien sofort als »Wolfsangriff«.

Es ist aber völlig normal, wenn ein Wolf einen vermeintlichen Eindringling in der Nähe der Höhle oder des Rendezvousgebietes anbellt. Damit warnt er sowohl den Störenfried als auch den eigenen Nachwuchs. Dies bedeutet keine Gefahr für Menschen, sondern nur eine Form von »Ablenkung«, die dem Rest der Familie Gelegenheit gibt, sich in Sicherheit zu bringen. Erstaunlich jedoch, welche Reaktionen es beim Zweibeiner hervorrufen kann.

Mir selbst haben sich in den vielen Jahren, die ich Wölfe beobachte, oft einzelne Tiere genähert, absichtlich oder zufällig. Stets haben sie mich entweder ignoriert oder sind – nach einem kurzen Augenblick der Begutachtung – davongelaufen, sobald ich mich bewegt habe. Das Verhalten der Jährlinge am Kadaver (im Februar 2002) könnte man wie folgt erklären: Das Druid-Rudel bestand damals neben den erfahrenen Eltern Nummer 21M und Nummer 42F aus zwölf einjährigen Jungtieren und nur einem weiteren erwachsenen Tier. Alle anderen älteren Wölfe waren abgewandert. So viele neugierige »Teenager« unter Kontrolle zu halten, ist wahrlich keine leichte Aufgabe für ein Elternpaar. Die beiden Jungwölfe waren unbeaufsichtigt am Hirschkadaver, das Hauptrudel hatte sich beim Eintreffen der Touristen zurückgezogen. Ich bin überzeugt, dass die Wölfe sich nie Menschen genähert hätten, wenn die Elterntiere in der Nähe gewesen wären. So aber verhielten sich die Jungwölfe wie menschliche Jugendliche, deren Eltern nicht anwesend sind, und »untersuchten« die Zweibeiner. Neugier oder Dreistigkeit sind also auch bei Wildtieren oft eine Frage des Alters.

Fast alle Wölfe, die sich vermeintlich aggressiv gegenüber Menschen zeigten, hatten ihre Scheu dadurch verloren, dass sie sich wiederholt über längere Zeit in ihrer Nähe aufhielten. Die Wölfe von Yellowstone gehören zu den am meisten beobachteten Kaniden Nordamerikas. Von den jährlich drei Millionen Besuchern wollen fast ein Drittel die die berühmten Vierbeiner sehen. Besonders das Druid-Peak-Rudel und später die Lamar Canyon Wölfe wurden täglich von Hunderten Touristen gesehen. Die Wölfe haben eine Höhle nur 400 Meter von der Straße entfernt, und die Beutegreifer überqueren im Frühjahr, wenn sie Welpen haben, täglich die Straße, den Nachwuchs zu versorgen. Dabei laufen sie oft dicht an Besuchern und Fotografen vorbei. Dann sind im Allgemeinen die Menschen das Problem, wenn sie beispielsweise durch ihre Begeisterung die Wölfe daran hindern, die Straße zu überqueren und zur Höhle zu laufen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Wölfe in Nationalparks und geschützten Gebieten aufgrund der starken Frequentierung durch Menschen ein Problem werden können, aber nicht zwangsläufig werden müssen.

 

Management von Wölfen und Menschen

Aufgrund ihrer jahrhundertelangen Verfolgung ist es in Europa fast unmöglich, einen wilden Wolf zu beobachten. Diese Gelegenheit haben Naturliebhaber nur in nordamerikanischen Nationalparks wie Yellowstone, Denali oder Algonquin, die immer höhere Besucherzahlen verzeichnen. Aber durch die verschärften Schutzmaßnahmen nimmt die Anzahl der Wölfe zu, sodass in Zukunft öfter mit Begegnungen zwischen Wölfen und Menschen zu rechnen sein wird.

Die Reaktionen, wie die Nationalparkbehörden damit, reichen von einfachen Eingriffen über aggressive Strategien bis hin zu deren Tötung. Dabei ist die Grenze, wo eingegriffen wird, relativ hoch angesetzt. Die Behörden greifen erst ein, wenn ein Wolf

·        sich ständig und ohne Zeichen von Angst Menschen nähert,
·        oft, und ohne Angst Häuser oder Gebäude betritt,
·        sich an Menschen oder menschliches Essen gewöhnt,
·        mindestens einmal von Touristen gefüttert wurde,
·        einen Menschen angegriffen oder verletzt hat.

Zeigt er eine oder mehrere der genannten Verhaltensweisen, ist die Nationalparkverwaltung verpflichtet, einzugreifen. Dies sollte auf die schonendste Art und Weise geschehen. Es ist wichtig, herauszufinden, wann und warum sich ein Wolf Menschen nähert. Daher muss er zunächst einmal längere Zeit beobachtet werden. Darüber hinaus müssen unverzüglich die Besucher informiert und aufgeklärt werden, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten sollen. Hierzu haben die meisten Nationalparks Informationsbroschüren herausgegeben.

Wenn es Hinweise gibt, dass ein Wolf zum »Problem« werden könnte, stehen der Nationalparkverwaltung verschiedene Methoden zur Verfügung, um das Verhalten des Tieres zu ändern. So werden im Yellowstone-Nationalpark Feuerwerkskörper und Silvesterknaller erfolgreich eingesetzt. Ihr Lärm soll die Wölfe verjagen. Wenn dies nicht hilft, schießt man mit Gummigeschossen, die beim Auftreffen den Wolf zwar schmerzen, aber nicht verletzen. Halten sich futterkonditionierte Wölfe auf Campingplätzen auf, werden diese und das umgrenzende Gebiet für die Öffentlichkeit geschlossen.

Wenn der »Problem«-Wolf nicht auf die zuvor beschriebenen Methoden reagiert und weiterhin aggressives Verhalten gegenüber Menschen zeigt oder sogar angreifen sollte, dann wird er getötet. Eine Umsiedlung ist kaum möglich, da Wölfe immer wieder in ihr Stammrevier zurückwandern. Das Tier in Gefangenschaft unterzubringen, ist enorm schwierig, da es kaum noch freie Plätze für Wölfe gibt. Darüber hinaus die Gefangenschaft für wilde Wölfe eine Tierquälerei. Fast alle sterben bei dem verzweifelten Versuch, auszubrechen.

Leider befassen sich die oben genannten herkömmlichen Managementmethoden nur mit dem aufgetretenen Verhalten, nicht mit dessen Ursache. Viel wichtiger ist meines Erachtens das »Management« der Besucher, und zwar schon weit im Vorfeld, denn Probleme mit Wölfen, Aggressionen von Wölfen und mögliche Angriffe haben ihre Ursache fast immer in vermeidbaren Fehlern der Menschen.

Daher sollten Touristen in Nationalparks viel stärker aufgeklärt und auch überwacht werden. Zwar gibt es überall Parkregeln, die besagen, dass man weder ein Tier füttern noch sich ihm nähern darf (Wölfe und Bären: 100 Meter Abstand!), aber kaum jemand hält sich daran. Nicht nur »gewöhnliche« Touristen, auch professionelle Guides und Fotografen nähern sich oft viel zu dicht einem Wolf (oder einem anderen Tier), um ein gutes Foto zu bekommen. Ganz dringend notwendig wäre daher eine stärkere Überwachung und Kontrolle sowie gravierende Strafen, die direkt vor Ort erhoben werden müssten. Leider ist die Realität, dass alle Nationalparks unter chronischem Geldmangel leiden und nicht das Personal haben, derartige Maßnahmen umzusetzen. Am Ende wird dann als »einfache und billige« Lösung der Todesschuss bevorzugt. Dies sollte allen »Wolfsliebhabern« bewusst sein, die den Tieren so nah sein wollen, dass sie sie zu Tode lieben.

 

Vom Umgang mit wilden Wölfen

Wir in Deutschland werden kaum die Gelegenheit haben, einem unserer scheuen Wölfe gegenüberzustehen. Haben Sie dennoch einmal das unwahrscheinliche Glück, im Wald auf einen Wolf zu treffen, dann können Sie sich wie folgt verhalten:

- Nehmen Sie Ihren Hund im Wolfsgebiet grundsätzlich an die Leine, lassen sie ihn nachts nicht alleine im Hof oder Garten.

- Ermutigen Sie das Tier auf keinen Fall, näherzukommen. Beobachten Sie, wo der Wolf hinlaufen will und ziehen Sie sich zurück, steigen Sie am besten in Ihr Auto, wenn es in der Nähe ist, damit der Wolf ungehindert weiterziehen kann. Geben Sie ihm Zeit und Raum, auszuweichen.

- Kommt er dennoch näher, sprechen Sie ihn mit ruhiger, selbstbewusster Stimme an. Vermeiden Sie alles, was ihn neugierig macht. Drücken Sie durch Ihre Körpersprache Selbstvertrauen und Größe aus. Manche Biologen raten, den Wolf anzuschreien und Steine nach ihm zu werfen. Diese Empfehlung können Günther Bloch und ich, die wir bei unseren Freilandforschungen in Nordamerika oft Begegnungen mit wilden Wölfen haben, nicht teilen. Wir halten das Werfen von Steinen oder Gegenständen für absolut überflüssig. Nähert sich Ihnen ein Wolf, so lautet unsere Empfehlung: Bleiben Sie stehen, verhalten Sie sich ruhig und selbstbewusst, schauen Sie dem Wolf direkt in die Augen, reden Sie mit ihm in einem »strengen« aber sonst normalen Ton (kein »Babystimmchen«). Wenn er bis auf etwa drei Meter herankommt und sich offensichtlich weiter nähern will, verstärken Sie Ihre Körpersprache und wedeln Sie mit den Armen über dem Kopf. Wenn der Wolf beabsichtigt, Ihr Essen zu stehlen, lehren sie dem Dieb das Fürchten, indem sie ihn Anschreien und sehr »grimmig« reagieren. So wird sich der Vierbeiner möglichst lange an dieses unerfreuliche Erlebnis erinnern. Wenn sich mir in Yellowstone Wölfe genähert haben, war dies meist nur Zufall und sie bemerkten mich oft nicht, weil sie auf etwas anderes konzentriert waren. Selten blieben sie stehen oder kamen neugierig näher. Stets reichte es aus, ruhig und selbstbewusst stehen zu bleiben – und den Anblick einfach zu genießen.

- FÜTTERN SIE NIEMALS EINEN WOLF!!!! Denken Sie daran, dass ein gefütterter Wolf (Bär, Hirsch, Eichhörnchen und ... und ...) ein toter Wolf ist. Sollten Sie im Wolfsgebiet campen oder picknicken, verstauen Sie ihre Lebensmittel außerhalb des Zeltes und hinterlassen Sie einen sauberen Platz. Damit retten Sie das Leben eines Wolfes!

In Deutschland gab es bisher nur wenige Vorfälle mit »Problemwölfen«: 2002 näherten sich Jungwölfe, die wiederholt eine Schafherde in der Oberlausitz angegriffen hatten, dem Schäfer bis auf wenige Meter. Sie hatten sich nachts häufig in der Nähe der Herde aufgehalten und immer wieder versucht, an sie heranzukommen. Dabei wurden sie mehrfach vom Schäfer gestört und verjagt. Als er sie eines Abends wieder in der Nähe seiner Tiere sah, schrie er sie an und trommelte auf seinen Traktor. Offensichtlich durch das Verhalten des Mannes neugierig geworden, kamen drei Wölfe bis auf wenige Meter an ihn heran und beobachteten ihn. Obwohl die Wölfe sich noch einige Wochen in dem Gebiet aufhielten, blieb es bei diesem Einzelfall.

Im Frühjahr 2004 hielt sich eine einzige territoriale Wölfin in der Oberlausitz auch nach der Ranzzeit über zwei Monate nachts häufig in der Nähe eines Dorfes auf. Dort lieferte sie sich regelmäßig auf einem Grundstück Scheingefechte mit einer Schäferhündin und ließ sich im Lichte eines Scheinwerferkegels von Schaulustigen beobachten. Nachdem die Löcher des Grundstückszauns geflickt wurden, entspannte sich die Situation. Allerdings provozierte diese Wölfin noch lange in den Nächten die Dorfhunde.

Wir können davon ausgehen, dass es mit der weiteren Ausbreitung der Wolfspopulation auch mehr Zwischenfälle geben wird. Sollten sich einzelne Wölfe verstärkt »problematisch« Menschen gegenüber verhalten, muss rechtzeitig mit entsprechenden und angemessenen Maßnahmen gegengesteuert werden. Wissenschaftler empfehlen das Besendern und ein gezieltes, negatives Konditionieren, das jedoch nur von erfahrenen Fachleuten durchgeführt werden darf. Jeder, der einmal seinen eigenen Hund negativ konditioniert hat, weiß, wie schwierig es ist, den richtigen Moment abzupassen.

 

Die sieben Stadien eines möglichen Wolfsangriffes auf Menschen

Der kanadische Ethologe Valerius Geist von der University of Calgary hat – basierend auf historischen und neuzeitlichen Angriffen – sieben hypothetische Stadien aufgeführt, die zu einem Angriff auf Menschen führen könnten.

1.      Fehlen von natürlicher Beute.
2.      Auf der Suche nach Nahrung nähern sich Wölfe (überwiegend nachts) menschlichen Ansiedlungen. Ihre Nähe wird im Allgemeinen durch das Bellen der Hunde angekündigt.
3.      Nach einer Weile tauchen die Wölfe auch tagsüber in der Nähe der Häuser auf und beobachten Menschen und Nutztiere aus der Ferne.
4.      Die Wölfe werden dreister und greifen auch tagsüber kleinere Haustiere an. Immer noch sind die Angriffe zögernd und auf das Haustier gerichtet. Erste Drohungen (Knurren, Zähnefletschen) dem Menschen gegenüber.
5.      Die Wölfe fangen an, größere Nutztiere anzugreifen. Manchmal betreten sie Verandas oder blicken in Fenster.
6.      Jetzt richten die Wölfe ihre Aufmerksamkeit mehr auf Menschen. Sie nähern sich ihnen oft auf spielerische Art, jagen sie ein kurzes Stück und ziehen an der Kleidung. Konfrontiert man sie, ziehen sie sich zurück.
7.      Die Wölfe greifen Menschen an. Die ersten Angriffe sind ungeschickt, weil sie noch nicht gelernt haben, mit dieser neuen Beuteart umzugehen. In diesem Stadium kann ein Mensch bei einem solchen Angriff oft noch flüchten. Ein einzelner Wolf kann von einem starken Mann auch noch niedergerungen werden.

 

Noch einmal in alle Deutlichkeit: Solche Angriffe sind äußerst selten. Sie geschehen – wenn überhaupt – nur dort, wo es keine natürlichen Beutetiere mehr gibt. Wölfe können es sich nicht leisten, zu dreist oder zu forsch zu agieren. Greifen sie eine ihnen unbekannte Spezies an, riskieren sie eine Verletzung, was sie in der Wildnis stets zu verhindern versuchen. Habituierung ist ein erster Schritte, um Menschen als potenzielle Beute zu erforschen. Darum kann es nicht genug betont werden, dass Wölfe sich nicht an Menschen gewöhnen und unter keinen Umständen von ihnen gefüttert werden dürfen.