2.3. Männlich und weiblich
 

Ein Wort noch zum Thema männlich und weiblich im Märchen. Wenn ich in meinen Gruppen mit Märchen arbeite, geht es ja immer darum, sich in bestimmten Gestalten selbst wiederzuentdecken. Es ist sehr häufig so, dass ein Mann sich in einer weiblichen Gestalt wiederfindet, oder sich von einer weiblichen Gestalt am tiefsten berührt fühlt, während eine Frau sich oft von einer männlichen Gestalt am meisten berührt fühlt, sich in einer männlichen Gestalt wiederfindet.

 

Ich tendiere dazu, wie auch in der Jungschen Psychologie üblich, männlich und weiblich nicht gleichzusetzen mit biologisch männlich und weiblich, da wir alle, ob als Mann oder Frau geboren, männliche und weibliche Anteile in uns haben. Die weibliche Seele im Mann nennt Jung Anima. Den männlichen Aspekt, der in der Frau wohnt, Animus. Ob man diese Begriffe nun verwendet oder nicht: Wenn ich vom alten König oder vom Helden spreche, wenn ich von der Königin spreche, wenn ich von irgendeiner männlichen oder weiblichen Gestalt spreche, dann meine ich damit eine archetypische Gestalt, die auf unterschiedliche Weise in uns allen wohnt. Der König wohnt genauso in der Frau wie die Königin im Mann. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist für uns Männer, unsere »innere Königin« zu erfahren, zu entdecken. Wenn wir eine gute »innere Ehe« führen, das Weibliche auch in uns selbst erkennen und schätzen lernen, was eben der klassische patriarchale Mann nicht tut, dann ist die Voraussetzung, eine liebevolle Beziehung zum anderen Geschlecht zu entwickeln, mit Sicherheit gegeben. Wie sollen wir als Männer eine äußere Frau lieben und verstehen, wenn wir unsere innere Frau nicht lieben und verstehen? Die Beziehungen, die Männer zu Frauen haben, spiegeln im Grunde auch die Beziehung, die ein Mann zu seiner inneren Frau hat. Je erfüllter, selbstverständlicher, vertrauter diese Beziehung zur Anima, zur Welt des Unbewussten, zur eigenen Gefühlswelt ist, desto leichter wird es, zu einer Frau eine liebevolle Beziehung aufzubauen, oder überhaupt erst liebes- und beziehungsfähig zu werden.

 

Lernt dagegen eine Frau ihren »inneren Mann« zu achten, zu lieben und ihn einzuladen ins Leben sowie Entscheidungsfähigkeit, die Kriegerseite zu entwickeln oder auch die Autoritäts- und Königsposition zu leben, wird es ihr umso leichter fallen, auch Männer zu lieben, ohne sich von ihnen bedroht zu fühlen, ohne diese archetypisch männlichen Aspekte nur von ihnen zu erwarten oder diese auf sie zu projizieren.