14

 

»Aber das ist nicht der richtige Ort, um zu verhandeln«, sagte sie. »Folgt mir.« Ariana hob Phin in ihre Arme. Samuel schaute zu Gabriel. »Mir geht's gut, Doc«, sagte er. Er warf einen kurzen Blick zu Ariana, dann schaute er zu mir. »Werwolf«, formte er mit den Lippen.

»Nein«, sagte Samuel. »Das bin ich. Ariana gehört zum Feenvolk.«

Gabriel fuhr zu Samuel herum. »Du bist...« Und dann klärte sich seine Miene. »Das erklärt einiges... Schneeball?«

Samuel lächelte. »Bist du dir sicher, dass du keine Hilfe brauchst?«

»Phin ist der Einzige, der wirklich verletzt wurde«, sagte er. »Er hat sich in der letzten Woche schon gut erholt, aber am Anfang war es ziemlich übel.«

Ich warf Gabriel einen scharfen Blick zu, aber dann beschloss ich, dass es nicht wirklich wichtig war, ihm zu sagen, dass draußen, in der realen Welt, erst ein Tag vergangen war - wenn wir es nicht nach draußen schafften, bevor Zee das Tor aufgeben musste, würde es keine Rolle mehr spielen.

Die Stimme der Feenkönigin drang durch den Torbogen. »Kommt ihr?«

Ariana nickte Samuel zu, und er folgte der Feenkönigin. Als Nächstes ging Ariana, und ich bedeutete Jesse und Gabriel, vorzugehen. Dann holte ich tief Luft - so wie man es tut, um vor einer großen Unternehmung Hirn und Lunge zu klären - und roch in diesem kalten, marmornen Raum Erde und wachsende Dinge.

Nur der Schutzzauber der Feenkönigin wirkte im Elphame, hatte Zee gesagt. Ich konzentrierte mich auf meine Nase, während wir im Schlepptau der Feenkönigin durch die Gänge wanderten.

Frage, dachte ich, während ich mich bemühte, die wahren Gerüche von denen zu trennen, die von der Illusion der Königin erzeugt wurden. Wenn es aussieht wie ein Flur, sich anfühlt wie ein Flur und sich benimmt wie ein Flur - ist es dann wichtig, herauszufinden, ob es wirklich ein Flur ist?

Aber Neugier ist so ziemlich meine vorrangigste Sünde. Nach und nach, während wir weitergingen, nahm der Geruch nach Erde, dem Saft von verletztem Holz und nach etwas, das vielleicht Trauer war, zu. Ich schaute zu den hängenden Lichtern auf und sah Baumwurzeln statt silberner Drähte und leuchtende Steine statt Edelsteinen. Steine, die sehr dem ähnelten, den Zee Ariana gegeben hatte. Ich blinzelte, und die Edelsteine waren zurück, aber ich glaubte nicht mehr an sie, und sie flackerten.

Ich stolperte und schaute nach unten. Für einen Moment sah ich eine Wurzel aus weichem Boden aufragen, dann veränderte sich meine Sicht, und die kleinen weißen Fliesen waren zurück, glatt und ohne irgendetwas, worüber man stolpern konnte.

»Mercy?«, fragte Jesse. »Alles okay?«

Die Königin schaute zu mir zurück, und ihr Gesicht - obwohl es immer noch schön war - wirkte anders als das der Frau, die sie noch vor ein paar Minuten gewesen war. Es war irgendwie länglicher, und ihre Wimpern waren länger als alles, was ohne Kleber und künstliche Klebewimpern menschenmöglich war. Schmale, durchsichtige Flügel, wie die einer kleinen Libelle, ragten über ihren Schultern auf. Sie waren zu klein, um ihren Körper ohne Magie vom Boden zu heben.

»Prima«, sagte ich.

Das lange, silberne Kleid, das die Königin getragen hatte, war immer noch real, aber am Rocksaum und in der Nähe ihrer Handgelenke konnte ich jetzt dunkle Flecken sehen, die vielleicht von altem Blut stammten. Die Kette, die sie trug und die ausgesehen hatte wie ein Wasserfall aus Silber und Diamanten, war angelaufenes schwarzes Metall, und die darin eingefassten Steine waren ungeschliffen.

Mein erster Blick auf die große Halle, in die sie uns führte, war umwerfend, und sei es nur wegen des übermäßigen Prunks. Der Boden bestand aus weißem Marmor, der von Silber und Grau durchzogen war. Säulen aus grüner Jade hoben sich elegant, um eine gewölbte Decke zu stützen, die auch in der Kathedrale von Notre Dame nicht fehl am Platz gewirkt hätte. Silberne Bäume mit Blättern aus Jade wuchsen aus dem Marmorboden. Sie schwankten in einem Wind, den ich nicht fühlen konnte. Wann immer die Blätter aneinanderstießen, ertönte harmonisches Geklingel. Elegante Bänke, die aus hellem und dunklem Holz geschnitzt waren wie ein Schachspiel, waren kunstvoll im Raum verteilt und von wunderschönen Frauen und attraktiven Männern besetzt, die uns alle ansahen, als wir den Raum betraten.

Am hintersten Ende des Saals stand ein Podium mit einem silbernen Thron, der fein gearbeitet und mit grünen und roten Edelsteinen verziert war, jeder davon so groß wie meine Handfläche. Neben dem Stuhl lag eine Katze zusammengerollt, die aussah wie ein kleiner Gepard, bis sie den Kopf hob und riesige Ohren zur Schau stellte. Serval, dachte ich, oder zumindest etwas, das der mittelgroßen afrikanischen Raubkatze sehr ähnlich sah. Aber ich roch keine Katze: der gesamte Saal roch nach verrottendem Holz und sterbenden Dingen.

Und dann war der Saal, durch den ich mich bewegte, plötzlich überhaupt kein Saal mehr. Ich glaube nicht, dass es in dieser Gegend natürliche Höhlen gab. Es gab ein paar von Menschen gefertigte Höhlen, weil ein paar der Weingüter ihre eigenen Kavernen in den Basalt geschnitten hatten, um dort ihren Wein altern zu lassen. Unsere geologischen Ursprünge sind vulkanisch, was ein paar Lavatunnel zuließ, aber keine Kalksteinhöhlen wie in Karlsbad. Ich nahm an, dass Magie, wenn sie stark genug war, sich nicht viel um Geologie scherte - denn wir waren in einer riesigen Höhle, deren Wände, Decke und Boden nicht aus Stein bestanden, sondern aus Erde und Wurzeln.

Das Elphame war magisch, aber ich fragte mich, ob es wirklich die Magie der Feenkönigin gewesen war, die es geschaffen hatte. Ariana hatte die Baumwurzeln in der Höhle untersucht, in die Zees Eingang uns geführt hatte, und sie hatte gesagt, es müsste ein Waldlord in der Gegend sein. Ich schaute mich um und beschloss, dass sie Recht hatte.

Der Boden war aus Wurzeln geflochten - ich musste schwer aufpassen, um nicht zu stolpern und damit wieder Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Der Thron der Feenkönigin war das Einzige im ganzen Raum, was sich nicht verändert hatte, als ich den Schutzzauber durchbrochen hatte. Die Säulen bestanden aus dicken Wurzeln, die wie lebende Stalagmiten und Stalaktiten entweder von der Decke hingen oder aus dem Boden wuchsen. Die Bänke bestanden aus lebendem Holz, nicht so prunkvoll wie die Illusionen der Königin, aber wunderschön.

Die meisten Feenwesen im Raum waren nicht schön - nur ein paar, wenn man sich nicht an menschlichen Schönheitsbegriffen festklammerte. Keiner von ihnen wirkte wie ein Lord oder eine Lady - Ariana und die Feenkönigin selbst waren noch die menschlichsten unter ihnen, und keine der beiden hätte in einen Laden gehen können, ohne aufzufallen.

Ich verschwendete allerdings kaum Zeit drauf, mir die Feenwesen des Hofes anzusehen. Meine Aufmerksamkeit war von der Kreatur gefesselt, die hinter dem Thron der Feenkönigin lag. Riesig und unbeweglich lag sie da, wie ein von einer Axt gefällter großer Redwood-Stamm. Das Wesen hatte eine Rinde und immergrüne Nadeln - aber auch vier tellergroße Augen, die leuchteten wie Laternen aus Rubinglas. Ich hatte keine Ahnung, wie ein Waldlord aussah, aber ein riesiger Baum mit Augen schien mir eine realistische Möglichkeit zu sein.

Neben dem Thron lag eine Frau in mittleren Jahren mit der Haut und den ausdrucksstarken Gesichtszügen einer Südländerin - griechisch oder italienisch oder sogar türkisch. Sie trug das Halsband, das ich inzwischen mit den Hörigen der Königin verband, war aber zusätzlich auch noch an den Thron gekettet.

Meine Nase hatte mir verraten, dass sich irgendwo zwischen den Feenwesen, den Menschen und dem sterbenden Waldlord eine Hexe befand. Ich hatte hier eine Hexe vor mir, die so mächtig war, dass die Feenkönigin sie durch mehr kontrollieren wollte als nur mit einem silbernen Ring um den Hals.

Unter denen, die sich als Hexen bezeichnen, gibt es verschiedene Arten. Am wenigstens gefährlich sind die Menschen, die Wicca zu ihrer Religion gewählt haben. Manche von ihnen haben einen Funken von Macht, genug, um ihren Glauben zu verstärken, aber nicht genug, um die größeren, böseren Hexen auf sich aufmerksam zu machen. Dann gibt es weiße Hexen - Leute, die in Hexenfamilien geboren wurden und beschlossen haben, keinen Schaden anzurichten. Wie die menschlich geborenen Hexen sind weiße Hexen gewöhnlich nicht besonders mächtig - weil Hexenmagie ihre Macht aus Tod, Schmerz und Opfern bezieht, und weiße Hexen das alles weglassen. Die meisten Hexen mit annehmbarer Macht sind schwarz. Sie riechen danach, manche mehr als andere. Es gibt schwarze Hexen, die es gerade so vermeiden, wirklich Böses zu tun. Elizaveta Arkadyevna, die Hexe unseres Rudels, gehört zu dieser Gruppe. Sie ist sehr mächtig, soweit es Hexen - selbst schwarze Hexen - betrifft. Aber es ist schwierig, das wirklich Böse zu vermeiden - soweit ich es verstanden habe -, denn das kostet viel Zeit und verlangt um einiges mehr vom Praktizierenden als die wahre schwarze Magie. Es ist so viel einfacher, das Leiden anderer für seine Magie einzusetzen, und die Ergebnisse sind verlässlicher.

Diese Hexe - und je näher wir dem Thron kamen, desto stärker wurde der Geruch, so dass meine Annahme immer wahrscheinlicher wurde -, diese Hexe stank nach der schwärzesten Magie. In ihrer Nachbarschaft verschwanden wahrscheinlich Haustiere und kleine Kinder und hin und wieder auch ein Obdachloser. Ich hätte darauf gewettet, dass die Ketten, mit denen der Waldlord gefesselt war, von ihr stammten.

Die Feenkönigin setzte sich auf den Rand ihres Thrones und beugte sich vor, um die Hexe zu tätscheln - was diese nicht besonders zu begeistern schien. Die Flügel der Königin flatterten kurz, als sie sich hinsetzte, dann klappten sie sich ein, so dass sie sich anlehnen konnte. Ihre Augenlider gaben beim Blinzeln ein leise klapperndes Geräusch von sich. Sobald ich ihr gegenüberstand, konnte ich erkennen, dass ihre Augen einfach... falsch waren. Sie starrte und starrte, dann blinzelte sie mehrmals schnell hintereinander. Es war anstrengend zu beobachten.

»Jesse«, sagte sie. »Sag mir deinen Namen.«

»Jessica Tamarind Hauptman«, antwortete Jesse mit seltsam verzerrter Stimme.

»Jessica«, wiederholte die Königin. »Ist das nicht ein hübscher Name? Komm und setz dich zu meinen Füßen, Jessica.« Sie sah mich an und lächelte breit, als Jesse tat, was ihr befohlen worden war.

Die Königin beugte sich vor und tätschelte ihr den Kopf- und Jesse schien es mehr zu genießen als die Hexe. »Sie gehört bereits zur Hälfte mir«, erklärte die Königin mir. »Dein junger Mann, Gabriel, und ich haben das auch schon getan. Nicht wahr?«

»Ja, meine Königin«, murmelte er angespannt.

»Ich habe ihm wegen unseres Handels kein Halsband angelegt, Mercedes Thompson, aber solange ein Mensch in meiner Gegenwart ist, gehört er mir, es sei denn, ich unterdrücke meine Magie. Es war nicht klug, mir noch eine Hörige zu bringen.« Sie tätschelte Jesse ein letztes Mal, dann lehnte sie sich wieder zurück. »Aber das ist noch nicht alles, was du in mein Elphame gebracht hast. Sag mir, Mercedes, wie ist es dir gelungen, nicht nur eine vom Feenvolk mitzubringen, sondern auch einen Wolf, wo du doch nicht von dieser Sache zu ihnen sprechen solltest?«

Ich gab ihr die Kurzversion. »Ich habe unser Telefonat aufgenommen.«

»Aha.« Sie wirkte, als hätte sie in eine Zitrone gebissen, aber sie beschwerte sich nicht.

»Also, Mercedes Thompson, du schreist nach Feilscherei.« Sie lächelte kühl. »Du willst das Silbergeborene gegen dein Leben eintauschen?«

Ariana warf mir einen scharfen Blick zu, aber ich wusste, wie man zuhörte - und ich wusste, dass ein Handel mit dem Feenvolk immer damit endete, dass man den Tag bereute, an dem man ihn abgeschlossen hatte. Das hatte ich schon gewusst, bevor ich Phins Buch gelesen hatte. Wenn ich nicht verdammt vorsichtig war, könnte ich das Buch gegen mein Leben eintauschen - und mir am Ende wünschen, ich wäre tot. Zum Beispiel könnte ich hier rauskommen, aber gezwungen sein, Jesse und Gabriel zurückzulassen.

»Ich weiß nicht«, sagte ich und wand mich unter dem starren Blick der Feenkönigin. Ich biss mir auf die Innenseite der Lippe, bis ich blutete - und es tat ziemlich weh, weil Menschenzähne nicht scharf genug sind, um einfach Haut zu durchtrennen.

»Samuel«, sagte ich, »einen Kuss für Mut und einen klaren Blick, mein Liebling?«

Samuel drehte sich überrascht zu mir um - ein Kuss war wahrscheinlich das Letzte, woran er gerade gedacht hatte. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und musste quasi an ihm hochklettern, um seinen Mund zu erreichen. Ich presste meine offenen Lippen auf seine und bemühte mich, soviel Blut wie möglich in seinen Mund zu überführen. Nach einem winzigen Zögern schien er zu verstehen, was ich tat. Er beteiligte sich eifrig, leckte meine Lippen und stellte mich sanft wieder ab.

Ich hoffte, dass das Blut genauso wirken würde wie im Buchladen, und dass er erkannte, was ich tat. An Samuels Reaktion konnte ich schwer etwas ablesen, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass es funktioniert hatte. Vielleicht würde es keine Rolle spielen, aber mal abgesehen von der Pistole in meinem Schulterholster und der Waffe, die Jesse hinten im Hosenbund trug, war Samuel unsere beste Verteidigung gegen die Feenfrau. Vielleicht war er sogar noch besser als Pistolen, weil er um einiges schwerer zu stoppen war. Es konnte auf keinen Fall schaden, wenn er wusste, wogegen wir kämpften.

»Wie rührend«, sagte die Königin gelangweilt. »Bist du jetzt schon mutig und klarsichtig genug, um mir das Silbergeborene zu geben?«

»Sie feilschen nicht«, sagte ich und bemühte mich, sie das Blut in meinem Mund nicht sehen zu lassen. »Das ist ein Austausch. Ich würde über so einen Tausch nur nachdenken, wenn meine Kameraden gehen dürfen. Um ihren baldigen, sicheren Abzug zu gewähren, wäre ich bereit, mich auf einen Wettkampf einzulassen.«

»Ein echter Wettkampf?«, fragte sie. »Spielst du ein Instrument?« Das Klavier und ich pflegen eine innige Hassbeziehung. Ich betrachtete nichts, was ich je getan hatte, als Klavierspiel, und mein Klavierlehrer hatte ebenso gedacht. »Nein.«

»Dann ein anderer Wettstreit. Du hältst etwas meiner Wahl, während es sich verwandelt. Jedes Mal wenn es sich verwandelt, gebe ich eine Person frei.«

Sie schnippte mit den Fingern. Die Hexe murmelte etwas, und das Feenwesen, das uns am Nächsten stand - eine kurze, feingliedrige Kreatur mit einer Haut wie ein Pfirsich und pinkgrünen Haaren - ging in Flammen auf. Es war kein Schutzzauber, weil der Raum sich nicht veränderte. Es waren echte Flammen, auch wenn sie das Feenwesen nicht zu verletzen schienen.

»Sie kann kein Feuer halten. Nicht ohne zu sterben«, sagte Ariana. Sie hatte weder mich noch Samuel angeschaut, seitdem ich ihn geküsst hatte. Ich war mir nicht sicher, ob sie vermutete, dass etwas in der Luft lag - oder ob sie glaubte, wir wären ein Liebespaar. »Und das verstößt gegen den Kern des Wettstreits. Es muss etwas sein, das für den Herausforderer möglich ist - egal, wie unwahrscheinlich.«

»Schön«, sagte die Königin. »Wenn du so heikel bist, Silber, kannst du der Herausforderer sein.« Sie lachte, und die Wurzeln an der Decke wanden sich, als das Geräusch von klingelnden Glöckchen durch den Raum hallte. »Natürlich weiß ich, wer du warst, liebe Silber - wie konntest du etwas anderes annehmen? Gibt es so viele von uns, die sich entschieden haben, entstellt durch die Zähne von Hunden und Wölfen zu leben? Nein. Nur Silber. Also, entweder nimmst du die Herausforderung an, oder ich töte diese fastmenschliche Frau, die nicht so menschlich ist wie dein Phin oder der Junge. Ein Halbblut ist nicht menschlich genug, um nach den Regeln der Gastfreundschaft im Elphame gerettet zu werden.«

Ariana schien den Hohn der Königin gar nicht wahrzunehmen. Stattdessen sagte sie langsam und klar: »Ich halte dieses Feenwesen, das sich verwandeln wird - die Form des Feuers gilt noch nicht als Verwandlung. Danach lässt du jedes Mal, wenn es sich verändert, einen meiner Kameraden frei. Es wird sich noch fünfmal verwandeln und jede Form drei Minuten halten, und wenn ich Erfolg habe, werden alle gehen. Wenn nicht, wird für jede Form, die ich halten konnte, einer freigelassen werden.«

Während sie sprach, stellte Ariana Phin neben Gabriel. Selbst unter dem Zauber der Königin streckte Gabriel eine Hand aus, um Phin zu stützen.

»Viermal«, sagte die Königin. »Fünf Formen. Ich werde Mercedes Thompson nicht gehen lassen, die das Silbergeborene besitzt.«

»Es ist in Ordnung«, sagte ich zu Ariana. »Ich bin ein Überlebenskünstler. Da kannst du jeden fragen. Ich kann mit der Königin um das Buch feilschen, wenn ihr alle in Sicherheit seid.«

»Sechs Formen«, sagte Ariana. »Eine für jeden von ihnen. Die Regeln verlangen es. ›Einen Wettkampf zu verlangen, heißt um das Leben aller Gefangenen bangen.«‹ Der Reim floss nicht gut, aber ich nahm an, dass es keine hochwertige Lyrik brauchte, um die Regeln der Feenkönigin zu überliefern.

Die Königin blinzelte irritiert. Ich musste mich anstrengen, um den Blick nicht abzuwenden - oder selbst zu schnell zu blinzeln.

»Akzeptiert«, knurrte sie. »Aber Mercedes ist die Letzte, die befreit wird, und dein Enkelsohn der Erste.«

Samuel sagte: »Dann Phin, Jesse, Gabriel, Ariana, ich und Mercedes.«

»Phin, Ariana, dann der Rest mit Mercedes am Ende«, hielt die Feenkönigin dagegen.

Ich konnte erkennen, was sie vorhatte. Indem sie Phin und Ariana an den Anfang stellte, wollte sie Arianas Motivation schwächen, während die Herausforderung schwerer und schwerer wurde.

Samuel schüttelte den Kopf. »Phin, Jesse, Gabriel, Ariana, ich und Mercedes.«

»Ich fange an, mich zu langweilen«, sagte die Königin. »Abgemacht. So wird der Handel vonstattengehen.«

Ariana musterte Samuel aus verkniffenen Augen - ich glaube, weil er sie vor sich gestellt hatte. Aber ich war seiner Meinung. Zuerst die Hilflosen befreien, dann diejenigen, die sich verteidigen konnten. Und das bedeutete Ariana vor Samuel.

»Der Handel ist besiegelt«, stimmte Ariana zu. Dann trat sie nach vorne und umarmte das brennende Feenwesen. Sobald sie es berührte, fing ihr Haar genauso Feuer wie ihr Kleid, und alles, was nicht brennbar war, fiel zu Boden, auch der Stein, den Zee ihr gegeben hatte. Sein gleichmäßiges Leuchten war neben dem Feuer kaum zu sehen, während der Rest von Ariana für einen Moment schwelte, bevor sie ebenfalls in Flammen aufging.

»Sie hält Erde, Luft, Feuer und Wasser«, erklärte Samuel mir. Hätte ich ihn nicht so gut gekannt, hätte ich geglaubt, er wäre völlig desinteressiert. »Das hat dafür gesorgt, dass sie noch hohe Magie wirken konnte, nachdem der Großteil des Landes unter dem Feenhügel außer Reichweite war. Magisches Feuer kann sie nicht verletzen.«

Die Königin sprach mit der Hexe. Als sie fertig war, stand die Hexe auf und hatte plötzlich ein Stahlmesser in der Hand. Sie hob ihre Ketten und bewegte sich bis an deren Grenzen, so dass sie gerade den Waldlord erreichen konnte. Sie rammte das Messer in die baumartige Kreatur, und er brüllte auf, zitterte und blutete bernsteinartige Flüssigkeit auf das Messer. Der Boden unter meinen Füßen erzitterte, und die Deckenwurzeln peitschten.

Samuel legte eine Hand unter meinen Ellbogen, um mich zu stützen - und so wusste ich, dass mein Blut seine Schuldigkeit getan hatte. Er konnte durch den Schutzzauber hindurch die Realität dessen sehen, womit wir es zu tun hatten.

Die Hexe leckte über die Klinge und schob einen Finger in die Wunde, die sie dem gefangenen Feenwesen zugefügt hatte. Mit diesem Finger zeichnete sie Symbole in die Luft, die dort hängen blieben und kränklich gelb leuchteten. Sie zog ihr Hemd nach oben, um ihren Bauch zu entblößen, dann griff sie sich die Symbole aus der Luft und klatschte sie auf ihre nackte Haut. Als sie fertig war, ging sie zurück zum Thron, setzte sich und säuberte das Messer mit ihrer Zunge. Sie bemerkte meinen Blick und lächelte.

Vielleicht wusste sie nichts von dem Schutzzauber, oder sie dachte, ich hätte Angst vor Katzen. Eines war sicher: Sie wusste, dass ich Angst vor ihr hatte. Ich wünschte mir inständig, ich wüsste, was sie getan hatte.

Was auch immer es war, es war unwahrscheinlich, dass es uns helfen würde. Drei Minuten mal sechs ist achtzehn - und Zee hielt das Tor bereits eine Weile offen. Achtzehn zusätzliche Minuten würden ihn ein gutes Stück über die Stunde hinausbringen, die er uns versprochen hatte. Die Feenkönigin würde Zees Öffnung nicht brauchen, um die anderen freizulassen - aber solange sie noch offen war, würden sie das Elphame am selben Tag verlassen, an dem sie es betreten hatten.

Endlich war die Zeit vergangen, und das Feenwesen, das Ariana hielt, verwandelte sich in Eis. Drei Minuten sind eine lange Zeit, um einen riesigen Eiswürfel festzuhalten. Ich konnte nicht verstehen, warum Ariana ihn weiter eng an sich gepresst hielt, statt ihn etwas lockerer zu halten, so dass sie ihn nicht auf so breiter Fläche berührte. Insbesondere, da ihre Kleidung verbrannt war und sie nackt war, ohne jeglichen Schutz zwischen sich und dem Eis.

»Fleisch an Fleisch, denk daran«, sagte die Feenkönigin verschnupft, was mir verriet, dass sie gehofft hatte, dass Ariana sich zurückzog.

Ich hörte Murmeln um uns herum, weil die Angehörigen des Feenvolkes Arianas Narben kommentierten. Wie hässlich sie seien, wie beschämend. Ich hatte das Gefühl, dass sie das absichtlich taten, auf Befehl der Feenkönigin, aber selbst wenn es so war, konnte ich an Ariana keinerlei Reaktion erkennen.

Drei Minuten waren vorbei, und Jesse war sicher - und das Feenwesen, das Ariana hielt, verwandelte sich in Rauch. Sie schien darauf vorbereitet gewesen zu sein, denn schon als seine Enden anfingen, sich aufzulösen, streckte sie den Arm aus und entriss dem Feenwesen neben sich seinen Mantel. Sie wickelte den Mantel um sich selbst und das Wesen in ihrem Griff, dann berührte sie es mit einer kalten Hand, und eine Eisschicht überzog den Stoff und fing so den Rauch in dem gefrorenen Mantel ein.

Verstohlen musterte ich die Angehörigen des Feenvolkes, die mit uns im Saal waren. Als wir hier angekommen waren, waren es schon einige gewesen, aber andere waren kurz darauf zielstrebig eingetreten, als hätte die Königin sie alle herbeizitiert. Ich zählte achtundzwanzig, ohne den Waldlord mitzuzählen, den man meiner Einschätzung nach kaum zu ihren Gefolgsleuten zählen konnte.

Ich schaute in ihre Gesichter, und sie schienen weniger... leer als die der Hörigen, aber trotzdem hatte ich nicht das Gefühl, dass sie alle aus freiem Willen hier waren. Vielleicht lag es daran, wie alle achtundzwanzig hungrig auf die Königin starrten, als warteten sie auf irgendeine Aufgabe, einen Befehl - irgendetwas, was sie für ihre wahre Liebe tun konnten, die sie anbeteten. Ich hatte schon öfter Kontakt mit dem Feenvolk gehabt. Man findet selten auch nur drei gleichzeitig, die sich über etwas einig sind, ganz zu schweigen von achtundzwanzig.

»Schau dir die Narben an, die ihr Vater ihr beigebracht hat«, sagte einer. »Wie konnte sie das überleben? Es sieht aus, als wäre sie von Monstern zerfleischt worden.«

»Kennst du die Geschichte nicht?«, fragte ein Dritter. Sie alle schauten zu Ariana und nicht mehr auf die Feenkönigin, als der Dritte weitersprach. »Ihr Vater hat seine Monster drei Jahre lang jeden Morgen auf sie gehetzt.«

Ariana presste die Lippen aufeinander, als auch sie sich erinnerte. Und dann waren wieder drei Minuten vorbei - sie hatte Gabriels Freiheit gewonnen. Das Feenwesen unter dem Mantel begann zu wachsen, und Ariana ließ den Mantel zu Boden fallen. Zuerst konnte ich nicht mal erkennen, wo die Herausforderung lag.

Das Wesen hatte sich in ein Feenwesen verwandelt, einen großen Mann mit fast menschlichem Gesicht. Seine Haut hatte die Farbe und Struktur von Weißbirkenrinde, an manchen Stellen glatt und weiß, an anderen rau und dunkelgrau oder sogar schwarz. Seine Haare wirkten wie zerrissene Rinde und hingen um sein Gesicht. Er war nicht hässlich oder furchteinflößend - aber dann fing Ariana an zu zittern.

Neben mir versteifte sich Samuel, und aus seiner Kehle stieg ein tiefes Knurren auf.

»Hallo, meine Tochter«, sagte der Feenmann mit der weißen Rindenhaut. Danach wechselte er ins Walisische; sein Akzent war so stark, dass ich kein Wort von dem verstand, was er sagte. Er hob seinen rechten Arm - ich konnte sehen, dass die Hand daran fehlte - und tätschelte ihr mit dem Stumpf das Haar. Arianas Vater war auch ein Waldlord gewesen, aber offensichtlich nicht dieselbe Art von Waldlord wie der, den die Feenkönigin gefangen hielt. Er sah völlig anders aus.

Die Feenkönigin hatte ihre Leute eingesetzt, um Ariana für diesen Moment zu schwächen, um sie daran zu erinnern, was dieser Mann ihr angetan hatte. Aber sie hatte Ariana unterschätzt, wenn sie geglaubt hatte, dass sie einfach loslassen würde. Sie umarmte den Mann noch fester und zog ihn näher an sich.

Samuels Walisisch konnte ich verstehen: Ich hörte ihn diesmal nicht übers Telefon, er sprach langsam, und seine Worte waren ziemlich einfach: »Er kann seine Hunde nicht rufen, Ari, meine Geliebte. Mach dir keine Sorgen. Sie sind tot und verschwunden. Dafür habe ich gesorgt. Er ist nicht real, nicht real. Diese Art von Macht hat sie nicht. Mein Dad hat deinen umgebracht. Ich habe die Hunde getötet, und sie kommen nicht zurück.«

Geduldig wiederholte er seine Worte wieder und wieder, so dass sie auf etwas anderes lauschen konnte als das Feenwesen in ihren Armen, das anscheinend die Form ihres gewalttätigen Vaters hatte.

Ich beobachtete die Miene der Hexe und war mir keineswegs so sicher wie Samuel, dass ihr Vater nicht real war. Hexen können einige wirklich, wirklich furchterregende Dinge. Die ersten drei Dinge, in die sich das Feenwesen verwandelt hatte - Feuer, Eis und Rauch - wirkten auf mich alle wie Feenvolkmagie. Diese Form - bis auf den Geruch, den er verströmte, das war sein eigener - stank nach schwarzer Magie, Hexenmagie. Und Hexen können die Toten rufen.

Für drei Minuten hielt Ariana den Mann, der bereit gewesen war, sie zu foltern, bis sie jeden Willen verloren hatte. Am Ende der drei Minuten hätte sie loslassen und das Elphame verlassen können - und Samuel und mich als Gefangene zurücklassen. Aber sie war stärker. Also ging sie nur in die Knie, als ihr Vater sich in einen knurrenden Werwolf verwandelte, der Samuel mehr als nur ein wenig ähnelte. Sie zog ihn näher an sich und starrte - auf Samuel. Ihre Augen wurden schwarz und ihr Gesicht völlig ausdruckslos, aber sie klammerte sich fest und formte mit den Lippen wieder und wieder ein und dasselbe Wort - Samuels Namen.

Samuel fiel ebenfalls auf die Knie, seine Augen weiß und wild.

»Nicht hier«, erklärte ich ihm, und jetzt war es an mir, zu sprechen. »Du kannst dich hier nicht verwandeln, Samuel. Du musst sie, Phin und die Kinder hier rausbringen. Du musst es tun - sie wird nicht in der Lage sein, irgendetwas zu tun. Halt durch.«

Sie würde es nicht schaffen, mich zu befreien: erst ihr Vater, jetzt ein Werwolf. Ich konnte mir ziemlich gut vorstellen, was die letzte Form sein würde, da die Feenkönigin ja nicht die Absicht hatte, mich laufen zu lassen. Sie, die einmal Daphne gewesen war, dachte, ich wäre der rechtmäßige Besitzer des Silbergeborenen. Sie dachte, dass in dem Moment, in dem sie Gabriel freiließ, unsere Abmachung in Bezug auf meine Sicherheit verwirkt war. Nach den Gesetzen der Gastfreundschaft, die eine Feenkönigin davon abhielten, Menschen zu töten, die in ihr Königreich kamen, war ich nicht menschlich genug, um diesen Schutz ebenfalls zu genießen. Sie konnte mich umbringen und so das Buch bekommen.

Sie hätte Recht gehabt, wäre da nicht eine Sache gewesen. Das Silbergeborene gehörte nicht mir, sondern Phin. Wenn sie mich umbrachte, würde sie dafür nur jede Menge Ärger bekommen - und ich würde mein Bestes tun, sie davon zu überzeugen, sobald die anderen frei waren. Ich musste nur aushalten, bis Adam kam, um mich zu retten. Natürlich würde es mein Leben um einiges einfacher machen, wenn es Ariana gelang, auch die letzte Form zu halten, die das Feenwesen annahm.

Drei Minuten lang klammerte sich Ariana an den Werwolf - und dann verwandelte er sich. Der Hund sah ein wenig aus wie ein riesiger Beagle: weiß mit braunen Flecken und rundlichen Ohren, die neben dem Gesicht nach unten hingen. Aber er hatte nicht ansatzweise das freundliche Gesicht, mit dem Beagles geboren werden und sterben. Ariana schaute auf den Hund vor sich. Sie hatte die Arme um seine Kehle geschlungen und ihre Beine fast unter seinem Körper vergraben. Für einen Moment passierte nichts, und fast gegen meinen Willen verspürte ich einen Stich Hoffnung. Ich wollte nicht allein bei der Feenkönigin bleiben, die mich umbringen wollte.

Dann ließ Ariana den Hund los, der aussehen musste wie die anderen Hunde, mit denen ihr Vater sie gefoltert hatte. Sie rollte sich zu einer Kugel zusammen und riss den Mund auf, um zu schreien, aber jegliches Geräusch wurde von ihrer Panik unterdrückt. Samuel hob sie hoch und tröstete sie liebevoll. Er sprach nicht, sondern wiegte sie nur und summte ihr etwas vor. Er hatte allerdings nicht vergessen, wer der Feind war. Seine Augen waren immer auf die Feenkönigin gerichtet.

»Fünf«, sagte die Feenkönigin mürrisch. »Ich dachte, ich könnte auch dich behalten, Werwolf, aber sie war stärker als ich gedacht hätte.«

Samuel knurrte sie an. Ich bemerkte, dass Zees Stein, der auf dem Boden unter dem Bauch des Hundes lag, inzwischen flackerte. »Samuel«, sagte ich drängend. »Zee wird schon warten. Bring die Kinder und auch Phin….« Besonders Phin. Ich wollte auf keinen Fall einer Angehörigen des Feenvolks, die bereit war, sich einer schwarzen Hexe zu bedienen und andere Wesen zu foltern, noch mehr Macht verleihen. Wir mussten dafür sorgen, dass Phin hier raus und in Sicherheit gebracht wurde, damit das Silbergeborene für sie unerreichbar blieb. »Nimm sie, und verschwinde von hier.«

»Kannst du mir nicht hochhelfen?«, fragte Phin Gabriel. Er wusste, woran ich dachte. Es folgte ein kurzes Zögern, aber als die Königin keinen Einspruch gegen Phins Bitte einlegte, half Gabriel ihm auf die Füße.

»Du«, sagte die Königin und zeigte auf einen Feenmann, der in ihrer Nähe stand. »Bring sie ins Draußen und lass sie gehen. Du wirst den Menschenmann tragen müssen.« Sie schaute Jesse an, dann kurz zu Gabriel. »Geht, Kinder, und wenn ihr außerhalb meines Elphames seid, werdet, wie ihr wart.«

Der Feenmann, auf den sie gezeigt hatte, verbeugte sich tief und hob dann Phin genauso problemlos in seine Arme wie Adriana vorher. Nicht alle vom Feenvolk waren so stark. Schweigend folgten Jesse und Gabriel ihm, als er auf die Tür zuging.

Samuel hielt kurz an und küsste meine Wange. Er hielt immer noch Ariana in den Armen, die vor Angst zitterte. »Bleib am Leben«, sagte er.

»Das habe ich vor.« Ich warf Ariana, die sich mitten in einer Panikattacke befand, einen wachsamen Blick zu. Ich dachte an die Sorge zurück, die sie beim letzten Mal gezeigt hatte, als sie wieder zu sich kam, und fügte hinzu: »Bleib du auch am Leben. Und jetzt verschwinde, solange die Gelegenheit günstig ist.«

»Semper Fi«, sagte er und schaute zu Zees Stein hinunter. Erst dann eilte er den anderen hinterher. Soweit ich wusste, war Samuel nie bei den Marines gewesen. Aber er hatte gewusst, dass ich die Anspielung verstehen würde. Die Marines lassen nie einen Mann zurück. Er würde zurückkommen, mit Adam. Ich musste nur überleben.

Wir alle warteten stumm, bis der Mann vom Feenvolk zurückkehrte, der sie nach draußen geführt hatte. Er verbeugte sich vor der Königin und sagte: »Sie sind im Draußen, sicher und lebendig, meine Königin.«

Ich holte tief Luft, und ein paar Sekunden später war Zees Stein nur noch ein Kiesel unter vielen zwischen den Wurzeln des Höhlenbodens. Sie hatten es meiner groben Berechnung nach mit einem Puffer von ungefähr zwei Minuten geschafft - obwohl Zee das Tor wahrscheinlich offen gehalten hatte, bis er sie sah.

»Mein Teil des Handels ist erfüllt«, erklärte mir die Königin.

»Schön.«

»Du wirst das Buch gegen dein Leben eintauschen.«

»Nö.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe darüber nachgedacht - und habe beschlossen, dass es nicht passieren wird.«

Es gab keine Menschen mehr, die ich beschützen musste. Nur mich selbst. Ich zögerte einen Moment, bevor ich meine Pistole zog, weil ich darüber nachdachte, was die Hexe wohl unternehmen würde, wenn ich sie befreite - und es war genau ein Moment zu viel. Ich griff unter mein T-Shirt, und zwei der Gefolgsleute der Königin packten meine Arme. Die Pistole fiel auf den Boden, und die Feenkönigin trat sie zur Seite - so weit, dass auch die Hexe sie nicht erreichen konnte.

»Du hast mich missverstanden«, erklärte sie mir. »Ich werde dein Leben nehmen, und mit deinem Tod wirst du mir das Buch geben.«

»Ich dachte, ich müsste das Buch besitzen, damit das funktioniert«, sagte ich mit verwirrter Stimme.

Die Feenkönigin starrte mich an. »Hast du das Buch jemandem gegeben, bevor du hier runtergekommen bist?«

»Nicht auf die Art, wie Sie es meinen«, antwortete ich.

»Und was meine ich?«, fragte sie sanft.

»Wieso sollte ich das beantworten?«, fragte ich. Die Feenkönigin nickte einmal scharf, dann streckte die Hexe ihren Arm aus und berührte mich.

 

 

Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Bett, auf dem Phin vorher gelegen hatte. Zumindest roch es nach Phin, aber dieser Raum bestand aus Wurzeln und Erde, nicht aus Marmor. Ich war für einen Moment verwirrt, aber dann wachte ich ganz auf und erkannte, dass ich ihn nie ohne den Schutzzauber gesehen hatte - nur gerochen.

Mein gesamter Körper tat weh, obwohl ich keine neuen Verletzungen hatte. Ich hatte so lange durchgehalten wie möglich, um Samuel und Adam möglichst viel Zeit zu geben, um alle in Sicherheit zu bringen. Ich wusste nicht, ob es lang genug gewesen war. Ich hatte eigentlich erwartet, am Ende tot zu sein. Aber mit unerwarteten Ergebnissen konnte ich umgehen - selbst wenn es die Benutzung eines Nachttopfs einschloss. Zumindest ging ich davon aus, dass der Porzellantopf unter dem anderen Bett einer war. Die Feenkönigin hatte eine Küche mit Kühlschränken und allem Schnickschnack, aber keine Klos? Ich dachte eine Minute darüber nach und beschloss dann, dass es vielleicht nur für Gefangene keines gab.

Nach einer sehr langen Zeitspanne, die wahrscheinlich nicht mehr war als eine Stunde, öffnete sich die Tür, und die Feenkönigin kam mit zwei weiblichen und zwei männlichen Gefolgsleuten in den Raum. Der erste Mann war das Feenwesen, das Samuel und den Rest nach draußen geführt hatte. Er war groß, größer als Samuel, mit Augen wie Gischt. Zum ersten Mal verstand ich, dass er das Wasserwesen war, das in den Buchladen eingebrochen war. Der zweite Mann war nach menschlichen Maßstäben klein, aber nicht auffällig klein. Seine Haut war grün und bewegte sich wie Wellen auf dem offenen Meer.

Wie die Feenkönigin hatte er Flügel auf dem Rücken, auch wenn seine gräulich und ledrig waren, weniger wie die eines Insekts.

Eine der Frauen trug einen Stuhl. Sie war fast menschlich in ihrem Aussehen, mal abgesehen davon, dass ihre Augen orange waren und ihre Haut in fahlem Blau erstrahlte. Die zweite Frau war vom Kopf bis zu den Füßen mit glattem braunen Haar bedeckt, vielleicht fünf Zentimeter lang, und ihre Arme waren ein gutes Drittel länger als sie sein sollten. Sie trug einen schmalen silbernen Ring, der gerade groß genug war, um meinen Hals zu umschließen.

Beim Anblick des silbernen Rings versuchte ich wegzulaufen. Der große Mann fing mich ein und setzte mich auf den Stuhl, während die Frau, die ihn getragen hatte, mich daran festband: Handgelenke, Ellbogen und Fußknöchel.

Dann legte sie das silberne Band um meinen Hals.

Sobald sie jemanden unter ihrem Zauber hat, kann nur sie ihn befreien.

»Ich habe lange gebraucht, um deine Geheimnisse herauszufinden, Mercedes«, sagte sie. »Phin war der Besitzer, aber Ariana hat ihn jetzt sicher bewacht im Reservat, wo keiner der Meinen ihn erreichen kann. Du hast es deinem Freund gegeben, aber er hat es an die Werwölfe weitergegeben, und dorthin können wir auch nicht.«

Wie lange war ich bewusstlos, und was habe ich ihr verraten? Ich erinnerte mich nicht an alles, und das machte mir Sorgen.

Die Feenkönigin trug inzwischen ein anderes Kleid. Dieses war blau und golden. Bedeutete das, dass ein neuer Tag begonnen hatte? Oder hatte sie ihr Kleid nur schmutzig gemacht und sich umgezogen?

»Sie haben mir nur noch Rache gelassen.« Ihre Augen blinzelten auf diese seltsame Art und Weise. »Irgendwann werden sie das Silbergeborene nicht mehr so sorgfältig bewachen, und ich werde es bekommen. Bis dahin nehme ich, was ich kriegen kann. Ich hoffe, du genießt deinen Sieg.«

Dann legte sie mir eine Hand auf die Stirn. »Mercedes Athena Thompson«, sagte sie. Schau mich an.

Der »Schau mich an«-Teil erklang in meinem Kopf. Es erinnerte mich an die Art, wie Mary Jos Stimme in der Bowlinganlage in meine Gedanken eingedrungen war. Vielleicht wäre mir die Stimme der Königin nicht als so fremd erschienen, wenn ich diese Erfahrung nicht schon gemacht hätte.

Du willst mir dienen. Nichts anderes ist mehr wichtig.

Adam war wichtig.

Wenn ich es hier nicht lebend raus schaffte, würde er denken, es wäre sein Fehler. Dass ich ihn mitgenommen hätte, wenn er nicht so geschwächt gewesen wäre, und er dann uns alle hätte retten können. Er würde die Verantwortung für die gesamte Welt übernehmen, wenn niemand da war (wie ich), um ihm die Leviten zu lesen. Also musste ich überleben - weil Adam mir wichtig war.

Die Feenkönigin hatte weiter in meinem Kopf gesprochen, aber ich hatte ihren Worten keine Beachtung geschenkt.

»Wem dienst du?«, fragte sie laut und zog die Hand von meiner Stirn. Als wäre sie an der Antwort wirklich interessiert. »›Erwählet euch heute, wem ihr dienen wollt‹«, murmelte ich. »›Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen‹« Es schien mir einfach passend, Josua zu zitieren.

»Was?«, fragte sie überrascht.

»Was hast du denn von mir erwartet?«, fragte ich und fühlte einen kurzen Stich der Enttäuschung. Manche der alten Angehörigen des Feenvolks reagieren empfindlich auf religiöse Dinge, aber dieser hier schien es nichts auszumachen - zumindest nicht die Heilige Schrift.

»Bringt sie in den Thronsaal«, befahl die Feenkönigin, und ihre Wimpern trommelten vor Wut quasi auf ihre Wangenknochen. Die Männer hoben mich hoch, komplett mit Stuhl, und zerrten mich zurück in den Saal. Ich hatte nur vage Erinnerungen daran, was mir dort von der Hexe angetan worden war - meine Mutter hatte mir einmal gesagt, dass eine Geburt so war. Erst all dieser Schmerz, dann nichts mehr. Aber auch wenn mein Geist die schlimmsten Teile ausgeblendet hatte, reagierte mein Körper trotzdem. Als wir uns dem Raum näherten, verkrampfte mein Magen, und ich fing an zu schwitzen. Als wir schließlich im Saal ankamen, hätte es mich nicht gewundert, wenn die Männer, die mich trugen, meine Angst hätten riechen können.

Sie gingen bis direkt vor den Thron, bevor sie mich abstellten.

»Was hast du getan?«, zischte die Königin die Hexe an, die vor ihr zurückwich. »Was hast du unternommen, damit sie sich mir widersetzen kann?«

»Nichts, meine Königin«, sagte die Hexe. »Nichts, was ihr erlauben würde, sich euch zu widersetzen. Sie ist nur zur Hälfte ein Mensch. Vielleicht liegt darin das Problem.«

Die Königin wandte sich von ihr ab und stürmte zu mir zurück. Sie zog ein silbernes Messer aus ihrem Gürtel und schnitt mich in den Arm, direkt über der Bisswunde, die ich von Samuel hatte. Der Biss wirkte noch frisch, also hatte ich nicht viel Zeit verloren. Sie rieb ihre Finger in mein Blut und führte sie dann zum Mund. Dann schnitt sie sich selbst und ließ drei Tropfen Blut in die offene Wunde auf meinem Arm fallen.

Sie wollte alte Magie verwenden, um uns aneinanderzubinden. Das war die Art von Magie, der sich Wölfe bedienten, um jemanden ins Rudel aufzunehmen. Plötzlich hatte ich einen panischen Gedanken. Wenn sie mich bekam, konnte sie über mich dann das Rudel kontrollieren? Zee hatte sich Sorgen darum gemacht, dass sie die Wölfe verzaubern könnte.

»Mein Blut zu deinem«, sagte sie, und es war zu spät, um irgendetwas zu unternehmen. »Mein Silber, meine Magie, unser Blut macht dich mein.« Weil es schon passiert war.

Ein Nebel rollte durch meinen Kopf.

Ich kämpfte und kämpfte, aber es gab nichts, wogegen ich kämpfen konnte; es war nur Nebel, der scheinbar alles bedeckte und meine Gedanken dämpfte.