11

 

Die Garage war nur deswegen nicht voller Werwölfe, weil die Zeit nicht ausgereicht hatte, dass die Nachricht sich herumsprechen konnte. Also waren wir statt ungefähr dreißig nur achtzehn oder so, ohne Sam mitzuzählen, der nicht zum Rudel gehörte. Aber ich musste mich einfach immer wieder umdrehen und durchzählen, weil es schien, als wären weniger Leute im Raum. Die meisten Dominanzkämpfe sind - wie Boxkämpfe oder Wrestling-Matches - umgeben von einer jubelnden, schimpfenden, wettenden Menge. Dieses Publikum hier war unheimlich still, und nur eine einzige Person bewegte sich.

Paul joggte auf seiner Seite des gepolsterten Bodens auf der Stelle. Alle fünfzehn Sekunden unterbrach er sich, machte Dehnübungen oder ein wenig Schattenboxen. Er war ein großer Mann mit blonden Haaren und einem kurzgetrimmten rötlichen Bart. Seine Haut war die eines Rothaarigen, fahl und mit Sommersprossen. Die Aufregung über den bevorstehenden Kampf sorgte dafür, dass sein Gesicht rot war. Wie Adam trug er nur eine Karatehose.

Es gibt keine Tradition, die vorschreibt, dass Dominanzkämpfe in menschlicher Form ausgefochten werden. Allerdings ist es gewöhnlich so, weil es damit bei der Herausforderung mehr um Können und Stärke geht. Wenn man mit Reißzähnen und Klauen bewaffnet ist, kann man den Gegner selbst mit einem Glückstreffer ausschalten.

Am anderen Ende der Matte stand Adam in einer tiefen Reiterstellung, den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen und die Schultern entspannt. Alle Anzeichen von Schmerzen waren aus seinem Gesicht verschwunden, aber es war ihm nicht gelungen, in der Zeit, in der er vom Haus zur Matte gegangen war, auch die durch die Schmerzen verursachte Steifheit aus seinen Bewegungen zu verbannen. Selbst wenn er es geschafft hätte - nur ein Idiot konnte die Krusten an seinen Füßen und Händen ansehen, ohne zu verstehen, dass er in Schwierigkeiten steckte.

Als Alpha hätte er schneller heilen sollen, selbst nach so schlimmen Verletzungen. Auch wenn bei Werwölfen, selbst beim selben Werwolf, Wunden mit unterschiedlicher Geschwindigkeit heilen können. Entweder war er schlimmer verletzt gewesen, als er uns hatte merken lassen, oder die Probleme, die er mit seinem Rudel hatte, behinderten seine Heilungsfähigkeit. Ich bemühte mich, nicht zu besorgt zu wirken.

Jesse und ich hatten quasi Ringplätze an Adams Ende der Matte - traditionell für die Familie des Alphas reserviert, aber nicht besonders klug gelegen, da keiner von uns sich besonders gut verteidigen konnte, falls der Kampf über die Grenzen der Matte hinausging. Sam stand neben Jesse und Warren zwischen uns, wahrscheinlich, um die Kämpfer davon abzuhalten, uns zu verletzen.

Adam trug keine Uhr, aber als die Wanduhr auf halb zehn umschaltete, hob er den Kopf, öffnete seine Augen und nickte Darryl zu.

Wölfe neigen nicht zu langen Ansprachen. Darryl schritt vom Rand in die Mitte der Matte. »Paul hat den heutigen Tag gewählt, um unseren Alpha herauszufordern«, verkündete er unverblümt. Er verzog die Lippen, als er sagte: »Die Formalität, die Herausforderung mit dem Marrok abzusprechen, hat er umgangen.«

Niemand murmelte oder wirkte auch nur überrascht. Sie alle wussten, was Paul getan hatte. Es gab die winzige Chance, dass der Marrok sich das Schlamassel ansah, in dem das Rudel steckte, und einräumte, dass Paul keine andere Wahl gehabt hatte. Die Chancen dafür, dass der Marrok Paul nicht umbrachte, wären ein wenig größer gewesen, wenn Adam nicht bereits verletzt gewesen wäre. Aber Paul dachte wahrscheinlich, dass er im Recht war und den Marrok ebenfalls davon überzeugen konnte.

Wahrscheinlich ist alles möglich. Ich ging aber nicht davon aus, dass Paul wirklich verstand, wie unrealistisch seine Hoffnung war. Meines Wissens nach war er dem Marrok nie persönlich begegnet. Henry, der ihn kannte, hatte Paul wahrscheinlich erzählt, dass alles in Ordnung kommen würde. Leute wie Henry sind gut darin, andere dazu zu bringen, ihnen zu glauben. Darryl musterte das Publikum. »Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass ihr von der Matte wegbleibt. Ich bin bereit, mit eurem Leben dafür zu einzustehen, dass es ein fairer Kampf ist. Ist das klar?«

»Entschuldigung«, erklang Mary Jos klare Stimme. Sie war kaum größer als einen Meter fünfzig, also sah ich sie nicht, bis sie vor Darryl auf die Matte trat. »Ich fordere Paul heraus«, sagte sie.

Und dann herrschte Lärm, jaulender Lärm, als die gesamte Garage voller Werwölfe widersprach - Frauen fechten keine Rangkämpfe aus.

Darryl hob die Hand, und widerwilliges Schweigen breitete sich aus.

»Ich habe einen Rang im Rahmen von drei um ihn herum«, sagte sie. Ihr Blick war wahrscheinlich auf Darryls Füße gerichtet, obwohl sie den Kopf hoch erhoben hielt. »Es steht mir zu, mit ihm um das Recht zu kämpfen, den Alpha herauszufordern.«

Ich starrte sie an. Das hätte ich nicht von der Mary Jo erwartet, die zugelassen hatte, dass Feenwesen mein Haus anzündeten, während sie eigentlich Wache stehen sollte.

»Dein Rang ist nicht im Rahmen von dreien«, knurrte Darryl. Sie hob die Hand. »Paul«, sagte sie und hielt einen Finger nach oben. »Henry.« Noch ein Finger. »George und ich.« Sie hatte Recht. Dort hätte auch ich sie in der Hierarchie eingeordnet.

»Du bist eine Frau ohne Gefährten«, sagte Darryl. »Damit ist dein Platz ganz unten. Alec kommt nach George.«

»Alec«, rief sie, ohne den Blick von Darryl abzuwenden. »Wer ist dominanter, du oder ich?« Alec trat um die anderen Wölfe herum und schaute zwischen ihr und Paul hin und her. Ich konnte die Antwort sehen, die er geben wollte, und Darryl entspannte sich ein wenig. Mir fiel auf, dass Adam Mary Jo mit überraschtem Respekt beobachtete. Alec öffnete den Mund, dann zögerte er. »Ihr alle könntet es sehen, wenn ich lüge«, sagte er. Er hob beide Hände in einer kapitulierenden Geste. »Ich hoffe, du weißt, was du tust, Mary Jo.« Dann schaute er Darryl in die Augen und sagte: »Mary hat einen höheren Rang als ich.«

Chaos brach aus. Paul schob sich vor Darryl und tobte. Er war einer der wenigen Leute im Rudel, die groß genug waren, um Darryl direkt in die Augen sehen zu können. Wäre es nicht so laut gewesen, hätte ich hören können, was er sagte - aber ich konnte es mir denken. Paul mochte Mary Jo. Er wollte sie nicht töten.

Mary Jo stand einfach nur da; wie Adam war sie eine Insel der Ruhe in dem ganzen Aufruhr. Sie war klein, aber jedes einzelne Kilo, das sie am Leib hatte, bestand aus Muskeln. Sie war zäh wie altes Schuhleder, schnell und beweglich. Ich war mir nicht so sicher wie Paul, dass sie verlieren würde - ich würde nicht gegen sie antreten wollen.

Wenn sie gewann, konnte sie sich Adam ergeben. Wenn sie sich entschloss, trotzdem zu kämpfen - aber davon ging ich nicht aus -, würde sie bereits müde und wahrscheinlich verletzt zum Kampf antreten. Dann erinnerte ich mich daran, wie Henry sie gegen die Kücheninsel geworfen hatte. Sie hatte sich beim Aufprall ihre Rippen entweder gebrochen oder zumindest angebrochen.

Obwohl ich an ihren Bewegungen nichts ablesen konnte, hatte sie noch nicht genug Zeit gehabt, um zu heilen. Niemand heilte so schnell, außer ein Alpha bei Vollmond.

»Genug!«, brüllte Warren plötzlich, und seine Stimme erschallte über dem Tohuwabohu wie ein Schuss.

Darryl drehte sich zu Mary Jo und sagte: »Nein.«

»Nicht deine Entscheidung«, setzte sie ihn in Kenntnis. »Adam?«

»Ich habe ein Problem«, meinte der. »Die Gerechtigkeit verlangt, dass ich mich dieser Entscheidung enthalte, weil ich mehr als nur ein wenig Eigeninteresse am Ergebnis habe. Im Namen der Gerechtigkeit sollen daher die nächsten drei Ränge entscheiden - Mercy, Darryl und Auriele.«

Er sah mich an. Ich wusste, was ich antworten wollte. Auriele würde wahrscheinlich Mary Jo zustimmen - und wir hatten bereits gehört, wie Darryls Meinung lautete. Selbst wenn Mary Jo verlor, würde es Adam helfen. Ich musterte die Wölfe und entdeckte viele ablehnende Mienen - sie hatten ebenfalls gerechnet, und sie waren nicht sehr glücklich damit, dass ich an der Entscheidung beteiligt sein sollte.

Dann entdeckte ich ein wenig Spielraum.

»Es scheint, als hätten wir noch ein anderes Problem«, sagte ich. »Wenn wir darin übereinstimmen, dass Mary Jo Paul herausfordern kann, weil ihr Rang innerhalb von dreien um ihn herum liegt, dann möchte ich einwerfen, dass Pauls Rang nicht innerhalb von dreien um Adams liegt. Adam, dann ich.« Ich hielt einen Finger hoch. »Darryl und Auriele, dann Warren.«

»Dann Honey«, meinte Warren mit einem kleinen Lächeln. »Dann Paul.«

Paul fletschte die Zähne. »Er hat meine Herausforderung bereits angenommen. Das setzt voraus, dass ich das Recht dazu habe.«

Ich schaute zu Adam. »Netter Versuch«, erklärte er mir. »Aber in diesem Punkt stimme ich Paul zu.«

»Und im offiziellen Verhaltenskodex«, sagte Ben mürrisch, »den ich verdammt nochmal auswendig lernen musste, bevor ich ins Rudel aufgenommen wurde, steht, Herausforderung wenn Rang Zitat innerhalb von drei Wolfen‹ Zitat Ende liegt. Das wichtige Wort lautet ›Wölfen‹.«

»Also kann Mary Jo nicht kämpfen«, sagte Paul mit einem erleichterten Grinsen. »Sie ist kein Wolf, sondern eine Wölfin.«

»Trotzdem hat Mary Jo einen berechtigten Anspruch«, gab ich zu bedenken. »Sie steht rangmäßig innerhalb von drei Personen um Paul. Steht im Verhaltenskodex ausdrücklich, dass der Herausforderer ein Mann sein muss?« Kyle hatte mir mal gesagt, dass eines der Geheimnisse von Anwälten darin lag, keinem Zeugen je eine Frage zu stellen, deren Antwort man nicht bereits kannte. Ich wusste, was im Kodex stand, aber es würde besser klingen, wenn jemand anders es aussprach.

»Nein«, sagte Ben.

Ich hatte getan, was mir möglich war. Adam drängte mich mit seinem Schweigen, also schaute ich zu Mary Jo und sagte: »Wie bei Adam steht für mich zu viel auf dem Spiel.«

»Mercy«, flüsterte Jesse bitter. »Was tust du?« Ich tätschelte die Hand, mit der sie mein Handgelenk umklammerte.

»Also werden es Darryl, Auriele und Warren entscheiden«, sagte Adam.

Da meine Gefährtenbindung mit Adam irgendwie wieder funktionierte, wusste ich, was er dachte. Er war der Meinung, dass es nur weiteren Unfrieden ins Rudel gebracht hätte, wenn ich mich an der Entscheidung beteiligt hätte. Noch ein dämlicher Fehler, den man dem Kojoten im Rudel anlasten konnte - statt die Entscheidung als das zu sehen, was sie war: Eine Anerkennung von Mary Jos Recht, unabhängig von ihrem Geschlecht eine Herausforderung auszusprechen. Wahrscheinlich hatte er Recht.

»Es gibt nur drei Frauen in diesem Rudel«, sagte Darryl. Ich nahm an, dass er mich nicht vergessen hatte, sondern von echten weiblichen Werwölfen sprach und nicht von Frauen generell. »Das ist typisch für alle Rudel. Die meisten Werwölfe sterben, bevor sie auch nur ein Jahrzehnt als Wolf gelebt haben, aber bei Frauen wird diese Lebensspanne fast verdoppelt, weil sie keine Dominanzkämpfe mit den Männern führen können. Und trotzdem sind es so wenige. Ihr seid zu wertvoll, als dass wir erlauben könnten, dass ihr so viel riskiert.«

Ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass er nicht zum gesamten Rudel sprach, sondern nur mit Auriele.

»Das wäre sinnvoll bei einer Spezies, bei der Frauen für das Überleben wichtig sind. Aber das sind wir eben nicht. Wir können keine Kinder haben - und damit sind wir für das Rudel keinen Deut wertvoller als jeder andere auch.«

Es klang nach einer alten Diskussion.

»Ich stimme mit Nein«, sagte Darryl, und seine Zähne schlugen hörbar aufeinander.

»Ich stimme mit Ja«, antwortete Auriele kühl.

»Verdammt nochmal«, sagte Warren. »Ihr werft mich neben allem anderen auch noch mitten in einen Ehestreit?«

»Es liegt an dir«, sagte Auriele grimmig.

»Zur Hölle«, meinte Warren. »Wenn das kein Stich ins Wespennest ist, was dann? Mary Jo?«

»Ja?«

»Bist du dir sicher, Süße?« Ich hatte das Gefühl, als würde das gesamte Rudel den Atem anhalten.

»Das ist mein Fehler«, erklärte sie. »Dass Adam verletzt wurde, dass das Rudel in solchem Aufruhr ist. Ich habe nicht alles davon verschuldet, aber ich habe es auch nicht aufgehalten. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass ich eine passende Wiedergutmachung leiste, oder nicht? Wenigstens versuche, den Schaden zu beheben?«

Warren starrte sie an, und ich konnte sehen, wie der Wolf in seinen Augen aufblitzte und wieder verschwand. »Okay. Okay. Kämpf gegen ihn, Mary Jo - aber du solltest besser gewinnen, verstanden?«

Sie nickte. »Ich werde mein Bestes tun.«

»Besser mal«, antwortete er grimmig.

»Mary Jo.« In Pauls Stimme lag ein flehender Ton. »Ich will dir nicht wehtun, Frau.«

Sie streifte die Schuhe von den Füßen und fing an, ihre Socken auszuziehen. »Ergibst du dich?«, fragte sie ihn, während sie auf einem Bein balancierte.

Er starrte sie an, und sein Körper verspannte sich vor Wut. »Ich habe meinen Kopf für dich riskiert«, sagte er.

Sie nickte. »Ja. Und es war falsch von mir, dich darum zu bitten.« Sie warf den zweiten Socken zur Seite und sah ihn an. »Aber Henry hat uns beide benutzt, um das Rudel zu ruinieren. Willst du ihn damit durchkommen lassen?«

In der Garage war es sehr still. Ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt jemand atmete. Henrys Name war ein Schock gewesen. Köpfe drehten sich zu Henry um, der an der Wand neben dem Garagentor lehnte, so weit wie möglich von Adams Seite der Matte entfernt.

Paul sah ihn ebenfalls an. Für einen Moment glaubte ich, dass es funktionieren würde.

»Willst du dich von einem Mädchen am Schwanz herumführen lassen, wie ich es getan habe?«, fragte Henry und klang unglücklich. »Sie will Adam, und sie ist bereit, uns beide dafür wegzuwerfen.« Es war eine meisterhafte Vorstellung, und Paul schluckte es - Haken mit Köder und Senkblei.

»Dann zur Hölle mit dir«, sagte Paul zu ihr. »Zur Hölle mit dir, Mary Jo. Ich akzeptiere deine Herausforderung.« Er schaute zu Adam. »Du wirst warten müssen. Es sieht so aus, als würde ich zuerst mein Dessert essen.«

Dann stiefelte er an sein Ende der Matte, in Henrys Nähe. Mary Jo ging zu Adam.

»Wiedergutmachung akzeptiert«, sagte er. »Denk daran, dass er mit dem Herzen kämpft, nicht mit dem Kopf.«

»Und er bewegt sich langsamer nach links als nach rechts«, fügte sie hinzu.

Adam verließ sie. Als er über die weiße Matte ging, hinterließ er überall, wo er auftrat, kleine Blutspuren. Blut war besser als gelblicher Eiter, oder?

»Gut gemacht«, murmelte er, als er neben mich trat. »Danke. Ich wusste nicht, ob du mich gehört hast oder nicht.«

Warren trat Adam seinen Platz zwischen Jesse und mir ab und stellte sich neben Jesse, um ihr zu helfen, falls es nötig sein sollte. Sam kam zu mir und legte sich mit einem Seufzen neben mir auf den Zement.

»Warte ab, ob du mir noch gratulieren willst, wenn sie tot ist«, sagte ich sehr leise. Ich hätte ihm von ihren Rippen erzählt, aber ich hatte Angst, dass die falschen Ohren es hörten und Paul davon erfahren würde. Natürlich wusste Henry es... Aber irgendwie ging ich nicht davon aus, dass er Paul erzählen würde, dass er Mary Jo die Rippen gebrochen hatte. Paul würde das nicht verstehen - und Henry war klug genug, das zu wissen.

Mary Jo nahm dieselbe Reiterstellung ein wie Adam vorher und drehte sich zu Paul, der ihr seinen Rücken zuwandte.

»Herausforderung ausgesprochen und akzeptiert«, sagte Darryl. »Kampf bis zum Tod, aber der Gewinner kann eine Kapitulation akzeptieren.«

»Ich stimme zu«, sagte Mary Jo.

»Ja«, sagte Paul.

Mary Jo war schneller, und sie war eine besser ausgebildete Kämpferin. Aber wenn sie traf, dann traf sie nicht so hart. Hätte Paul eher ihre Größe gehabt statt fast eins neunzig groß zu sein, hätte sie eine gute Chance gehabt. Aber er war gute dreißig Zentimeter größer als sie, und das bedeutete auch größere Reichweite. Ich konnte mich von seinem Kampf mit Warren daran erinnern, dass er für einen Mann seiner Größe erstaunlich schnell war.

Schließlich landete er einen Faustschlag auf ihrer Schulter, der sie zu Boden warf, als hätte er sie mit einem Hammer getroffen.

»Gib auf«, sagte er.

Sie steckte ihre Füße zwischen seine und schlug sie auseinander. Dann rollte sie wie ein Affe zwischen seine gespreizten Beine und rammte ihm einen Ellbogen in die Nieren, als sie hinter ihm auf die Beine kam. Ein zweiter Tritt gegen das Knie hätte ihn fast zu Boden geworfen, aber er erholte sich.

»Zur Hölle damit«, presste sie durch die Zähne hervor, als sie einen gewissen Abstand zwischen sich und ihn gebracht hatte.

»Hör auf, sie zu schonen«, mahnte Darryl. »Das ist ein Kampf bis zum Tod, Paul. Sie wird dich töten, wenn sie kann. Wenn du ihre Herausforderung angenommen hast, musst du ihr auch den Respekt erweisen, ehrlich zu kämpfen.«

»Richtig«, sagte Adam.

Paul knurrte lautlos, trat an den Rand der Matte zurück und hob seine Arme zu einem hohen Block, die Beine parallel zueinander, so dass er sie quasi einlud, ihn am Oberkörper zu treffen. Das Problem mit dieser Falle war, dass Mary Jo durchaus fähig wäre, es in einen großen Fehler zu verwandeln, wenn sie richtig mit der Situation umging. Ich packte Adams Arm und bemühte mich, ihm nicht die Fingernägel in die Haut zu bohren.

Er war angespannt und murmelte: »Pass auf, pass auf. Er ist schneller, als er aussieht.«

Mary Jo trat langsam nach links, dann nach rechts, und Paul folgte ihren Bewegungen mühelos. Sie verlagerte ihr Gewicht nach links - aber mit einer schnellen Bewegung brach sie nach rechts aus und warf sich in den Angriff. Sie machte einen langen, weiten Sprung, der fast wirkte wie aus einem Fechtkampf. Ihre Faust verschwamm, als sie Hüfte und Schulter in eine Linie brachte und ihr Arm nach vorne schoss wie eine Lanze. Es war ein perfekter Schlag, ausgeführt mit übernatürlicher Geschwindigkeit.

Paul drehte sich geschmeidig, so dass ihre Faust knapp an seinem Bauch vorbeiglitt. Er rammte beide Fäuste wie einen Hammer auf ihren ungeschützten Rücken, woraufhin sie mit einem Geräusch, das an entfernten Donner erinnerte, auf die Matte fiel. Neben mir grunzte Adam, als hätte er selbst Pauls Fäuste auf den Rücken bekommen.

Mary Jo war sichtlich benommen. Sie lag auf dem Bauch und blinzelte angestrengt. Ihr Mund und ihre Kehle bewegten sich wie bei einem Fisch auf dem Trockenen. Dann sog sie langsam und schaudernd Luft in ihre Lungen, und ihre Augen wurden wieder klar. Wenn ihre Rippen vorher wehgetan hatten, musste sie nach diesem Schlag echte Qualen leiden.

Jeder vernünftige Kämpfer hätte gewusst, dass der Kampf vorbei war, und hätte um Erbarmen gefleht, aber sie versuchte, ihre Ellbogen unter den Körper zu ziehen und sich hochzustemmen. Paul verzog die Lippen zu einem humorlosen Lächeln, während er ihre Bemühungen beobachtete.

»Bleib unten«, sagte Paul zu ihr. »Bleib unten. Gib auf, verdammt nochmal. Ich will dir nicht weiter wehtun.«

Sie hatte es gerade geschafft, sich auf die Ellbogen zu stemmen und ihre Knie an die Brust zu ziehen, als er einen schnellen Seitenschritt machte und mit seiner Fußkante hart von hinten auf ihren Oberschenkel trat, so dass sie wieder auf die Matte fiel. Ein kurzer Schrei entrang sich ihrer Kehle, aber dann riss sie die Knie unter sich und kam auf die Beine. Ihre Deckung war zu tief, und sie hielt den rechten Ellbogen fest gegen ihre verletzten Rippen gepresst. Unter ihrem Ellbogen breitete sich langsam ein Blutfleck aus. Jeder Wolf im Raum konnte es riechen und ich ebenso. Ich machte mir Sorgen, dass eine dieser gebrochenen Rippen die Lunge verletzt haben könnte. Ihr linkes Bein funktionierte nicht richtig, und sie verlagerte ihr Gewicht, so dass der Großteil auf der rechten Ferse lag. Sie stand am äußersten Rand des Rings, was ihr jede Rückzugsmöglichkeit nahm, aber auch den Vorteil hatte, dass Paul sie nicht umkreisen konnte.

Paul näherte sich langsam, vorsichtig, ein Raubtier, das sich an ein verletztes Beutetier anschleicht. Aber ich sah, dass er wegen dem Blut an Mary Jos Rippen die Stirn runzelte. Er versuchte, sich darüber klarzuwerden, wie sie sich diese Verletzung zugezogen hatte. Er trat einen Schritt nach rechts, so dass sie das Gewicht auf das verletzte Bein verlagern musste. Er musste dasselbe gehört haben wie ich - das leise Gurgeln einer kollabierenden Lunge. Sie riss den Mund auf, um mehr Luft zu bekommen.

Paul traf sie mit einem schnellen Vorwärts-Tritt, ohne jegliche Raffinesse, aber dafür mit jeder Menge Kraft. Mary Jo warf beide Arme nach unten und verlangsamte den Tritt, der auf ihr verletztes Bein gerichtet war, aber trotzdem stolperte sie nach hinten von der Matte. Sie hielt mit Mühe ihr Gleichgewicht, aber das Bein war so gut wie nutzlos. Verschiedene Hände schoben sie, nicht unbedingt unfreundlich, zurück in den Ring, wo Paul auf sie wartete.

»Es ist okay«, sagte Adam. »Es ist okay. Gib auf, Mary Jo.«

Mary Jo wirkte niedergeschlagen, aber als sie in den Ring trat, schoss plötzlich ihr verletztes Bein nach vorne, die Zehen ausgestreckt wie bei einer Primaballerina. Ihr Tritt war genauso einfach wie der von Paul. Direkt nach oben, zwischen seine Beine. Er versuchte, ihn abzublocken, aber es war schon zu spät. Man hörte den gedämpften Aufprall, und Paul stieß explosionsartig den Atem aus. Er wich eilig zurück, hielt den Oberkörper gesenkt und die Arme über seinem Unterleib verschränkt, während sich jeder Muskel in seinem Oberkörper durch den plötzlichen Schmerz anspannte. Mary Jo folgte ihm trotz ihrer offensichtlichen Schmerzen und nutzte die Gelegenheit, um ihm mit der Faust einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf zu verpassen. Ein perfekter Nervenschlag, dachte ich. Gut für dich, Mary. Wäre er kein Werwolf gewesen, hätte er für Wochen Lichter gesehen und Glocken gehört. Seine Augen waren wolfsfahl, und seine Arme bewegten sich seltsam, als die Knochen unter seiner Haut anfingen, sich zu verschieben. Paul schüttelte den Kopf und bemühte sich, die Auswirkungen des Schlages abzuschütteln. Wäre sie in besserer Verfassung gewesen, hätte sie ihn jetzt erledigen können.

Aber Mary Jo war zu langsam. Er richtete sich auf und hob seine Hände wieder in die Deckung, auch wenn es ihm offensichtlich Mühe bereitete. Dann kam er langsam, unerbittlich auf sie zu. Er ging einfach, um die Lücke zwischen ihnen zu schließen. Ihre rechte Faust sauste auf seine Kehle zu, aber er blockte den Schlag mit rechts, bevor er mit links gegen ihren Ellbogen schlug und damit ihren Körper drehte und ihr dann ein Knie hart in die verletzten Rippen rammte. Sie fiel nach vorne auf die Matte und hustete Blut. Paul folgte ihr nach unten, so dass er auf ihren Schultern landete. Er griff sich eines ihrer Beine und fing an, es nach hinten zu biegen, bis ihr Rücken eine gespannte Kurve bildete.

Man hörte leise Knackgeräusche, und Mary Jo grub panisch ihre Finger in die Matte, ohne Kontrolle. Ihr Wolf kämpfte ums Überleben.

»Verdammt nochmal«, sagte er. »Gib auf. Zwing mich nicht, dich zu töten.«

Aus irgendeinem Grund schaute ich in diesem Moment zu Henry. Der Bastard beobachtete alles ohne irgendeine Gemütsregung.

»Gib auf«, brüllte Adam. »Mary Jo. Gib auf.«

Mary Jo schlug zweimal mit der rechten Hand auf die Matte.

»Sie gibt auf«, sagte Paul und schaute zu Darryl. »Paul hat gewonnen«, sagte Darryl.

»Nimmst du die Kapitulation an?«

»Ja. Ja.«

»Es ist vorbei«, verkündete Darryl.

Paul löste sich von ihr und drehte sie auf den Rücken. »Arzt«, sagte er panisch. »Ein Arzt.«

Ein paar Köpfe drehten sich zu Sam. Er blieb, wo er war, aber er zitterte fast durch den Drang, zu helfen. Schließlich schloss er die Augen und wandte der Szene den Rücken zu. Es war Warren, der Mary Jos T-Shirt hochzog und Adam, der den Erste-Hilfe-Kasten holte.

Ich packte mir Jesse, und wir beide blieben zurück. Innerhalb von ein paar Sekunden konnte ich nicht mehr sehen, was vor sich ging, weil so viele Leute sich um Mary Jo drängten.

»Wir müssen die Rippe aus ihrer Lunge ziehen«, sagte Adam angespannt. Dann: »Wirf die Splitter einfach weg. Sie werden nachwachsen.« Medizin ist unter Werwölfen in vielerlei Hinsicht einfacher - wenn auch brutaler - als bei Menschen. »Halt sie fest, Paul. Je mehr sie sich wehrt, desto mehr wird es wehtun.« Dann flehte er mit viel sanfterer Stimme: »Halt noch ein bisschen durch, Baby. Schon in einer Sekunde wirst du wieder besser atmen können.«

»Ich habe sie nicht in die Rippen geschlagen«, sagte Paul.

»Henry hat sie durch die Küche geprügelt«, erklärte Auriele. »Hier. Schmier die Vaseline nicht überallhin. Nur ein bisschen um die Wunde, um das Teflon Pad abzudichten. Aber drei Seiten des Pads musst du dann festkleben, und das funktioniert besser, wenn du nicht versuchst, es auf mit Vaseline beschmierte Haut zu kleben.« Es folgte erleichtertes Schweigen, als das, was sie taten, anscheinend Erfolg zeigte und Mary Jo wieder atmen konnte. Die Leute zogen sich zurück und ließen ihr mehr Raum, weil sie nicht mehr direkt in Lebensgefahr war.

Das Dojo war mit einer Trage ausgestattet - einer sehr einfachen Bahre, die nur aus einem Metallrahmen mit Griffen bestand, über den Stoff gezogen war. Alec und Auriele legten Mary Jo darauf und trugen sie ins Haus. Ein Mensch hätte unter einer punktierten Lunge wochenlang gelitten. Mit ein paar Pfund rohem Fleisch würde es Mary Jos Lunge wahrscheinlich in ein paar Stunden wieder gutgehen, wenn nicht sogar früher. Die Rippen würden länger brauchen, aber auch sie würden in ein paar Tagen, höchstens einer Woche, wieder so gut wie neu sein. Werwölfe mussten sich keine Sorgen um Infektionen machen, wenn Rippen oder Lungenteile nachwuchsen.

Henry hatte sich nicht bewegt. Mir fiel auf, dass einige aus dem Rudel ihn kritisch beäugten. Und als sie sich als Vorbereitung auf den Schlusskampf von der Matte zurückzogen, blieb um Henry freier Platz - und das hatte es vorher nicht gegeben.

Ein paar Wölfe säuberten die Matte, Paul zog sich in seine Ecke zurück, und Adam stellte sich ans andere Ende.

Ich beobachtete Paul genau. Dieser Nervenschlag von Mary Jo... Zuerst hatte ich gedacht, er hätte ihn einfach abgeschüttelt; er hatte den Weg zum Ende der Matte ziemlich sicher zurückgelegt. Aber noch bevor Mary Jos Blut ganz von der Matte verschwunden war, schüttelte Paul langsam den Kopf und rieb sich mit einer Hand das Ohr, wobei er darauf achtete, nicht die Stelle zu berühren, an der Mary Jo ihn getroffen hatte. Er blinzelte mehrmals schnell hintereinander und schien Probleme damit zu haben, seine Augen scharf zu stellen.

Dann atmete Paul einmal tief durch und fand seine Mitte. Sein Körper wurde ruhig und seine Atmung tief und gleichmäßig. Er stand da wie eine Statue, die nackte Brust mit einem dünnen Schweißfilm überzogen. An dem Mann war kein Gramm Fett, und er sah aus wie eine Mischung aus einer Calvin-Klein-Werbung und einer Rekrutierungsanzeige der Armee.

Nachdem die nassen Stellen auf der Matte eilig abgetrocknet worden waren, trat Darryl wieder in die Mitte des Kampfplatzes.

»Paul, willst du deine Herausforderung immer noch aufrechterhalten?«

Er schaute zu Henry. »Du hast Mary Jo geschlagen?« War er immer noch ein wenig aus dem Gleichgewicht? Ich war mir nicht sicher.

»Es war ein Unfall«, sagte Henry. »Mercy hat gesagt...« Er schaute zu mir. »Weißt du, jemand, der so verletzlich ist wie du, sollte lernen, den Mund zu halten, dann müssten andere nicht die Prügel für dich einstecken.«

»Leute, die so viel zu verlieren haben wie du«, antwortete ich, »sollten ihr Temperament besser unter Kontrolle haben.« Der Beleidigung fehlte... der gewisse Biss. Aber es war wichtiger, schnell zu antworten als wirklich schlagfertig zu sein. Ich schaute Paul an. »Mary Jo ist zwischen mich und Henry getreten.«

»Und du hast sie trotzdem kämpfen lassen?«, fragte Paul ungläubig. »Du warst nicht der Meinung, dass es gefährlich sein könnte?«

»Ein Kampf bis zum Tod ist immer gefährlich«, erklärte ich ihm. »Sie wusste über ihre Rippen Bescheid. Und ich wusste, dass du sie nicht umbringen wolltest.«

Er starrte mich an. Warf einen kurzen Blick zu Henry. Dann sagte er zu Darryl: »Ja. Lass es uns hinter uns bringen.«

Darryl verneigte sich halb, trat von der Matte und sagte: »Gentlemen, ihr könnt anfangen.« Es lief langsam an.

Während noch ein Großteil der Matte zwischen ihnen lag, salutierte Paul Adam auf eine aufwendige, Art, die ich nicht erkannte; eine elegante Bewegung der Hände und Unterarme, kombiniert mit einem halben Schritt nach vorne und zurück. Er gab ein zischendes Geräusch von sich, das fremdartig und raubtierhaft klang. Adam legte die Fäuste vor der Brust zusammen, dann senkte er sie langsam und schweigend und ging geschmeidig in eine offene Deckung über: ein gewöhnlicher Salut, einfach und direkt. Er ähnelte sehr dem Gruß, den mein Sensei mir beigebracht hatte.

Die Krusten an seinen Händen brachen auf, als er die Finger bewegte.

Paul trat in einer schnellen Folge von Zick-Zack-Schritten nach vorne, die ihn über die Matte gleiten ließ, während es gleichzeitig fast unmöglich war, vorauszusehen, wo sein nächster Schritt ihn hinführen würde. Den linken Arm hielt er hoch, fast senkrecht, während er mit rechts eine tiefe Deckung aufrechterhielt, seine Hand unbewusst fast auf Höhe seiner Leiste.

Adam beobachtete ihn und drehte sich langsam, um ihm weiter entgegenzusehen, während Paul die Matte überquerte. Hatte er gesehen, was ich gesehen hatte? Dass Paul blinzelte, als müsste er seine Sicht klären? Adam lächelte ein wenig. Für mich? Ich entschied, dass ich besser daran arbeiten sollte, mich aus seinem Kopf herauszuhalten, wenn ich nur rausfinden konnte, wie - und ihm damit die Möglichkeit zu geben, sich voll auf Paul zu konzentrieren.

Pauls Fuß schoss in einem tiefen, scharfen Tritt Richtung Knie nach vorne, aber Adam verlagerte sein Gewicht und hob zur Antwort ebenfalls den Fuß. Er blockte, und Pauls Fuß wurde aufgehalten, nur um sofort in einem abgewandelten Halbkreisfußtritt auf seine rechte Wange zuzuschießen. Paul war stark genug, um echte Kraft hinter den Tritt zu legen, obwohl er so nah dran war. Adam schaffte es gerade noch, ihn abzuwehren, und die Macht des Trittes ließ ihn einen halben Schritt zurückstolpern. Paul tänzelte nach hinten außer Reichweite.

Adam trat langsam und entschlossen nach vorne, ein paar mutige Schritte, die Augen immer auf seinen Gegner gerichtet. Paul zog sich zurück und machte automatisch dem Alpha Platz. Dann fing er sich und starrte Adam böse an, der seinen Blick auffing und hielt. Bei Werwölfen konnte ein Kampf auf den verschiedensten Ebenen geführt werden. Um sich Adams Blick zu entziehen, wirbelte Paul in einen weiteren Halbkreisfaßtritt mit links, aber er war zu weit entfernt, um effektiv zu treffen. Ich hielt das für dämliche Energieverschwendung, aber zumindest hatte diese Bewegung dafür gesorgt, dass er den Blickkontakt brechen konnte, ohne den Kampf zu verlieren. Er benutzte mehr die Beine als die Arme, und ich fragte mich, ob er sich im Kampf mit Mary Jo die Hände verletzt hatte. Falls ja, war es nicht schlimm genug, um wirklich einen Unterschied zu machen.

Paul nutzte den Schwung von seinem ergebnislosen Tritt, um heftig herumzuwirbeln und seine rechte Ferse in einem wilden Tritt gegen Adams Bauch vorschießen zu lassen. Er mochte ja ein Trottel sein, aber Paul wusste, wie man sich bewegte, und er war unglaublich schnell. Adam gelang es wieder, den Tritt zu blocken, aber das dämpfte den Schlag nur. Er ließ zu, dass er durch den Tritt zusammenklappte und nach hinten auf die Matte geworfen wurde. Eigentlich sprang er mehr nach hinten. Paul folgte ihm und hob die Arme in die hohe Blockposition, die er auch bei Mary Jo verwendet hatte. In dem Moment, als Paul ihn erreichte, fand Adam sein Gleichgewicht, wirbelte auf dem linken Fuß herum und trieb sein rechtes Bein in einem Seitentritt nach vorne. Man hörte das Geräusch von reißendem Stoff, als sein Bein sich voll durchstreckte, aber trotzdem verfehlte er Paul um eine Handspanne oder mehr.

Paul ballte die Hände und rammte beide Fäuste nach unten, in einer genauen Wiederholung des Angriffs, den er auch bei Mary Jo verwendet hatte. Adam war in der Hüfte vorgebeugt, das Bein immer noch ausgestreckt, sein Rücken für Pauls niederrasende Fäuste entblößt. Und dann machte er eine dieser Kung-Fu-Film-Aktionen und wirbelte waagrecht herum. Ich war nicht die Einzige, die aufkeuchte. Der Tritt war gar nicht fehlgegangen; er war nur der Auftakt zu etwas Wunderschönem und Gefährlichem. Adams linkes Bein traf Pauls Schulter mit solcher Kraft, dass Pauls Schlag ins Leere abgelenkt wurde. Er schlug wild in der Luft herum, während er herumgewirbelt wurde und dann zu Boden knallte.

Paul fiel um wie ein Baumstamm, und jeder im Raum konnte das Geräusch hören, als sein Arm brach. Adam landete auf dem Bauch, ein Bein unter Paul gefangen, dessen Körper im rechten Winkel zu Adams lag. Anders als Pauls Sturz war Adams Landung kontrolliert und beabsichtigt. Bevor Paul reagieren konnte, drehte Adam sich herum und rammte das Schienbein seines freien Beins gegen Pauls Brust. In Karatefilmen zerbrechen sie Selleriestangen, um das Geräusch von brechenden Knochen zu imitieren. Vertrauen Sie mir, mein Gehör ist sehr gut, und ich weiß über so was Bescheid: Pauls Rippen klangen nicht mal ansatzweise wie Sellerie. Ein Mensch wäre nach diesem Schlag vielleicht gestorben; auf jeden Fall hätte er Wiederbelebungsmaßnahmen gebraucht. Werwölfe waren da härter.

Pauls Hand knallte auf die Matte.

»Er ergibt sich«, sagte Adam.

»Adam gewinnt«, verkündete Darryl. »Nimmst du Pauls Kapitulation an, Alpha?«

»Das tue ich«, antwortete Adam.

»Dieser Kampf ist vorbei«, sagte Darryl.

Adam beugte sich zu Paul runter. »Der Schneid, den Mary Jo dir im ersten Kampf abgekauft hat, hat mir die Möglichkeit gegeben, mir etwas auszudenken, was dir wehtut - ohne dass ich dich töten musste. Du kannst ihr für dein Leben danken.«

Paul bewegte den Kopf und bot Adam seine Kehle dar. »Das werde ich, Alpha.«

Adam lächelte. »Ich würde dir ja aufhelfen - aber ich glaube, erst sollte sich Warren mal deine Rippen anschauen. Eine punktierte Lunge pro Tag ist genug.«

Ich hatte während des gesamten Kampfes auch Henry im Auge behalten. Und ich schaute genau in dem Moment zu ihm, als er auf die Matte trat.

»Alpha«, rief er. »Ich ford…« Er schaffte es nicht mehr, das ganze Wort auszusprechen - weil ich die Sig Sauer meines Pflegevaters zog und ihm in die Kehle schoss. Für den Bruchteil einer Sekunde starrten ihn alle an, als würde niemand verstehen, wo das ganze Blut herkam.

»Stoppt die Blutung«, sagte ich, auch wenn ich keinerlei Anstalten machte, es selbst zu tun. »Das war eine Bleikugel. Er wird sich erholen.« Auch wenn er für eine ganze Weile nicht reden würde - oder Adam herausfordern. »Wenn er stabil ist, packt ihn in den Käfig, wo er keinen Ärger mehr anzetteln kann.«

Adam schaute mich an. »Nur dir würde ich zutrauen, eine Pistole mit zu einem Faustkampf zu bringen«, sagte er voller Bewunderung. Dann schaute er zu seinem Rudel. Unserem Rudel. »Tut, was sie gesagt hat.«