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Zuerst hielten wir aber an einem Steak-Haus und aßen zu Abend.

Er hatte das blutige Jackett und das Hemd im Wagen gelassen und sich ein einfaches blaues T-Shirt aus einer Tüte mit diversen Klamotten vom Rücksitz geschnappt. Dann hatte er mich gefragt, ob es seltsam aussah, dass er ein T-Shirt zu Anzughosen trug. Er konnte nicht sehen, wie das T-Shirt sich an die Muskeln seiner Schultern und des Rückens schmiegte. Ich versicherte ihm ehrlich - und ohne eine Miene zu verziehen -, dass es niemanden kümmern würde.

Es war Freitagabend, und das Restaurant war voll. Glücklicherweise wurden wir trotzdem schnell bedient. Nachdem die Kellnerin unsere Bestellung aufgenommen hatte, sagte Adam ein wenig zu beiläufig: »Also, was hast du in deiner Vision gesehen?«

»Nichts Peinliches«, erklärte ich ihm. »Nur dieses eine Mal, als ich dir die Cookies gebracht habe.«

Seine Augen leuchteten auf. »Ach so«, sagte er, und seine Schultern entspannten sich, auch wenn er ein wenig rot wurde. »Daran hatte ich gerade gedacht.«

»Alles okay?«, fragte ich ihn. »Es tut mir leid, dass ich eingedrungen bin.«

Er schüttelte den Kopf. »Du musst dich nicht entschuldigen. Was auch immer du empfängst, du darfst es sehen.«

»Also«, meinte ich beiläufig, »du hattest dein erstes Mal unter einer Tribüne, hm?« Er riss den Kopf hoch.

»Erwischt. Warren hat es mir erzählt.«

Er lächelte. »Kalt und nass und unbequem.«

Die Kellnerin klatschte unser Essen vor uns auf den Tisch und eilte wieder davon. Adam fütterte mich mit Stücken von seinem fast rohen Filet Mignon und ich gab ihm ein wenig von meinem Lachs. Das Essen war gut, die Gesellschaft noch besser, und wäre ich eine Katze gewesen, hätte ich geschnurrt.

»Du wirkst glücklich.« Er nippte an seiner Kaffeetasse und streckte ein Bein aus, so dass sein Fuß an meinem ruhte.

»Du machst mich glücklich«, erklärte ich ihm.

»Du könntest immer glücklich sein«, sagte er und aß den letzten Bissen seiner Ofenkartoffel, »und bei mir einziehen.«

Jeden Morgen neben ihm aufzuwachen... aber.. »Nein. Ich habe dir schon genug Schwierigkeiten gemacht«, erklärte ich. »Das Rudel und ich müssen erst einen… Waffenstillstand ausarbeiten, bevor ich bei dir einziehe. Dein Haus ist die Höhle, das Herz des Rudels. Sie brauchen einen Ort, an dem sie sich sicher fühlen.«

»Sie können sich anpassen.«

»Sie passen sich so schnell an, wie es ihnen möglich ist«, hielt ich dagegen. »Erst kam Warren - hast du übrigens gehört, dass, nachdem du ihn aufgenommen hast, mehrere andere Rudel auch schwulen Wölfen den Beitritt erlaubt haben? Und jetzt ich. Ein Kojote in einem Werwolfrudel - du musst zugeben, dass das eine ziemliche Veränderung ist, mit der das Rudel umgehen muss.«

»Bevor du dich versiehst«, sagte er, »werden Frauen wählen dürfen und ein Schwarzer wird Präsident.« Er wirkte ernst, aber in seiner Stimme klang Humor mit.

»Siehst du?« Ich zeigte mit der Gabel auf ihn. »Sie hängen alle noch im neunzehnten Jahrhundert fest, und du erwartest, dass sie sich verändern. Samuel sagt gerne, dass Werwölfe mit ihrer ersten Verwandlung in den Wolf schon alle Veränderung haben, die sie ertragen können. Andere Arten von Veränderung kann man ihnen nur schwer aufzwingen.«

»Peter und Warren sind die Einzigen, die das neunzehnte Jahrhundert erlebt haben«, erklärte Adam mir. »Die meisten sind jünger als ich.«

Die Kellnerin kam vorbei und blinzelte ein wenig überrascht, als Adam drei Nachspeisen bestellte - Werwölfe brauchen eine Menge Nahrung, um bei Kräften zu bleiben. Ich schüttelte den Kopf, als sie mich ansah.

Als sie gegangen war, nahm ich das Gespräch wieder auf. »Es wird uns nicht wehtun, wenn wir noch ein paar Monate warten, bis alles sich ein wenig beruhigt hat.« Wäre er nicht grundsätzlich meiner Meinung gewesen, würde ich bereits in seinem Haus schlafen, statt mich noch mit ihm zu verabreden. Er verstand genauso gut wie ich, dass es eine Menge Feindseligkeit ausgelöst hatte, dass er mich ins Rudel geholt hatte. Vielleicht wären die Dinge nicht so schlimm geworden, wenn es vorher ein gesundes, ausgeglichenes Rudel gewesen wäre.

Vor ein paar Jahren hatten ein paar aus dem Rudel angefangen, mich zu belästigen - einen Kojoten, der in ihrem Revier lebte. Werwölfe sind sehr territorial, wie ihre tierischen Verwandten in der Wildnis, und sie teilen ihre Jagdgründe nicht leichtfertig mit anderen Raubtieren. Also hatte Adam mich zu seiner Gefährtin gemacht, um das zu stoppen. Ich hatte zu dieser Zeit nicht gewusst, warum die Belästigungen so plötzlich aufhörten - und Adam hatte es auch nicht eilig gehabt, es mir zu erzählen. Aber die Rudelmagie verlangte, dass eine solche Erklärung eine Antwort erhielt, und Adam trug die Kosten, als das nicht geschah. Es ließ ihn schwächer und mürrischer zurück - weniger fähig seinem Rudel dabei zu helfen, ruhig, kühl und gesammelt zu bleiben. Dann hatte er mich fast gleichzeitig zu einem Mitglied des Rudels gemacht, während unsere Gefährtenbindung gebildet wurde - so dass sein Rudel keine Chance hatte, sicheren Boden unter die Füße zu bekommen, bevor es wieder in Treibsand stand »Noch ein Monat«, sagte er schließlich. »Und dann werden sie - und auch Samuel - sich einfach dran gewöhnen müssen.« Der Ausdruck in seinen Augen war ernst, als er sich vorlehnte. »Und du wirst mich heiraten.«

Ich lächelte, so dass er meine Zähne sah. »Meinst du nicht: ›Willst du mich heiraten?«‹ Ich hatte es eigentlich als Witz gemeint, aber seine Augen wurden heller, bis goldene Flecken in der Dunkelheit schwammen. »Du hattest deine Chance, wegzulaufen, Kojote. Jetzt ist es zu spät.« Er lächelte. »Deine Mutter wird glücklich sein, dass sie ein wenig von dem Hochzeitszeug deiner Schwester verbrauchen kann, nachdem diese Feier nicht stattgefunden hat.«

Panik erfüllte mein Herz. »Du hast nicht mit ihr darüber geredet, oder?« Ich hatte Visionen von einer vollen Kirche, in der Überall weißer Satin hing. Und Tauben. Meine Mutter hatte Tauben bei ihrer Hochzeit gehabt. Meine Schwester war durchgebrannt, um ihr zu entkommen. Meine Mutter ist wie eine Dampfwalze, und sie kann nicht besonders gut zuhören... niemandem.

Der Wolf verschwand aus seinen Augen, und er grinste. »Du hast kein Problem damit, einen Werwolf mit einer Tochter im Teenageralter und einem Rudel, das gerade in seine Einzelteile zerfällt, zu heiraten - aber beim Gedanken an deine Mutter bekommst du Panik?«

»Du kennst meine Mutter«, meinte ich. »Du solltest genauso Panik bekommen.« Er lachte. »Du warst ihr einfach noch nicht lang genug ausgesetzt.« Ihn zu warnen war nur fair.

 

 

Wir hatten Glück und bekamen einen Zähltisch für uns alleine, weil die Frauen, die auf der Bahn links neben uns gespielt hatten, gerade zusammenpackten, als wir unsere Kugeln aussuchten. Meine war leuchtend grün mit goldenen Streifen. Adams war schwarz.

»Du hast keine Fantasie«, sagte ich selbstgefällig. »Es hätte dir überhaupt nicht wehgetan, wenn du dir eine pinke Kugel ausgesucht hättest.«

»Alle pinken Kugeln hatten Löcher für Kinderfinger«, erklärte er mir. »Die schwarzen Kugeln sind die schwersten.«

Ich öffnete den Mund, aber er brachte mich mit einem Kuss zum Schweigen. »Nicht hier«, sagte er. »Schau neben uns.« Wir wurden beobachtet - von einem ungefähr fünfjährigen Jungen und einem Kleinkind in einem rosafarbenen Kleid mit Rüschen.

Ich streckte die Nase hoch in die Luft. »Als würde ich Witze über deine Bälle machen. Wie kindisch.«

Er grinste mich an. »Ich habe mir schon gedacht, dass du so denken würdest.«

Ich setzte mich und spielte mit der Einstellung für die Spielernamen, bis ich zufrieden war.

»Fiel Ohne Rücksicht Durch«, sagte er trocken, als er mir über die Schulter schaute.

»Ich dachte, ich nehme unsere Automarken. Du fährst jetzt einen FORD. F-O-R-D.«

»Viel Waldmeister?«

»Wenige coole Worte fangen mit V oder W an«, gab ich zu.

Er lehnte sich über meine Schulter und änderte es in Vintage Wolf, dann flüsterte er mir ins Ohr: »Vorwitzig wunderbar. Meins.«

»Damit kann ich leben.« Und sein warmer Atem an meinem Ohr sorgte dafür, dass ich mich sogar sehr vorwitzig fühlte. Bis Adam kam, hatte ich mich immer gefühlt wie seine schwarze Bowlingkugel - langweilig, aber nützlich. Ich bin nicht besonders gut aussehend, wenn man mal über die etwas exotische Hautfarbe hinwegsieht, die mir mein Blackfoot-Vater vererbt hat. Und Adam... die Leute drehen sich um, wenn Adam vorbeigeht. Selbst hier in der Bowlinganlage erregte er Aufsehen.

»Geh und wirf deine langweilige schwarze Kugel«, wies ich ihn streng an. »Mit mir zu flirten wird dir nichts helfen, weil inzwischen der Computer das Zählen übernimmt.«

»Als brauchte ich Hilfe«, feixte er und ging ein paar Schritte zurück, bevor er sich umdrehte und seine Aufmerksamkeit auf die armen, hilflosen Bowlingpins richtete. Er bowlte mit der tödlichen Ernsthaftigkeit und dem bestimmten Stil, mit dem er auch alles andere tat. Kontrollierte Macht, das war Adam. Aber ich fing an, etwas anderes in den Blicken der Leute zu bemerken, die uns ansahen. Adam ansahen. Er war nicht wirklich eine Berühmtheit; er hatte versucht, nicht in den Nachrichten aufzutauchen. Aber Adam war einer der Werwölfe, die in die Öffentlichkeit getreten waren - ein bescheidener, erfolgreicher Geschäftsmann, dessen Security-Firma die amerikanische Nukleartechnologie vor fremden Zugriffen schützte: ein guter Kerl, der zufällig auch ein Werwolf war. Alles wunderbar, wenn sie davon in der Zeitung lasen, nahm ich an. Aber es war anders, wenn sie eben diesen Werwolf in ihrer Bowlinganlage entdeckten.

Sie haben Angst vor ihm.

Der Gedanke war so stark, als hätte ihn mir jemand ins Ohr geflüstert, und plötzlich machte ich mir Sorgen.

Schau sie dir an. Ich sah, wie die Männer sich um ihre Frauen scharten, wie die Mütter eilig ihre Kinder um sich versammelten. Schon bald würde es eine Massenflucht geben - und das auch nur, wenn die Gruppe von jungen Männern, die vier Bahnen von uns entfernt langsam aufstand, nichts Dummes tat.

Er hat es noch nicht bemerkt.

Adam schenkte mir ein hinterhältiges, zufriedenes Grinsen, als er nach seinem Strike zu mir zurückkam - ein Strike, der umso bemerkenswerter war, weil alle Pins noch ganz waren und die Bahn nicht kaputtgegangen war. Zu viel Kraft kann genauso ein Nachteil sein wie zu wenig.

Schau neben dich.

Ich nahm meine grüne Kugel und warf einen kurzen Blick zu den Leuten neben uns. Wie Adam waren sie zu sehr in ihr Spiel vertieft, um das aufkeimende wütende Gemurmel zu bemerken. Der Junge krabbelte unter den Stühlen herum, und seine Eltern zankten sich gerade über irgendetwas am Zähltisch. Ihr süßes kleines Mädchen - im rosafarbenen Kleid und mit kleinen rosafarbenen Löwen in den zwei kurzen Zöpfen an ihrem Hinterkopf - saß auf der Kugel-Rücklaufbahn und spielte mit dem Gebläse, das schwitzende Hände trocknen sollte. Sie bewegte ihre kleinen Hände über dem kalten Zug und lachte.

Adam wird sich schlecht fühlen, wenn ihm auffällt, dass Leute gehen, weil er hier ist.

Schweiß bildete sich auf meiner Stirn, was lächerlich war, weil es hier drin eigentlich nicht heiß war. Ich stoppte auf halber Strecke zur Wurflinie (oder wie auch immer man das nannte) und hob wie vorhin Adam meine Kugel nach oben vor die Brust.

Vielleicht gibt es einen Weg, allen zu zeigen, dass er kein Monster ist, sondern ein Held.

Ich warf einen Blick über die Schulter und beobachtete, wie das kleine Mädchen ihre Hände auf die Ventilatorgitter drückte. Ihr Bruder war durch den Sitzbereich gewandert und spielte mit den Kugeln in den Regalen. Seine Mutter hatte gerade erst bemerkt, dass er weg war, und war aufgestanden, um ihn zu holen.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die Pins. »Schaust du hin?«, fragte ich Adam. Der Drang, irgendetwas für Adam zu tun, war so stark, dass meine Hände sich verkrampften.

»Meine Holzaugen sind wachsam«, antwortete er. »Wirst du etwas Bewundernswertes tun?«

Ich schwang die Kugel ungeschickt, als hätte ich noch nie in meinem Leben gebowlt, verpasste den richtigen Zeitpunkt zum Loslassen und ließ sie nach hinten davonschießen. Direkt auf das kleine Mädchen, das mit dem Luftstrom spielte. Adam fing die Kugel einen guten halben Meter vor dem Kleinkind ab. Sie schaute zu Adam auf, weil sein schwerer Aufprall auf dem Boden ihr Spiel gestört hatte. Als sie einen fremden Mann so nah bei sich entdeckte, wurden ihre Augen groß und ihre Unterlippe wanderte nach vorne.

Adam hat eigentlich kein Interesse an Kindern (außer, es sind seine eigenen), bis sie Teenager oder älter und, wie er mir einmal erzählt hatte, fähig sind, ein interessantes Gespräch zu führen. »Hey«, sagte er und wirkte, als fühlte er sich unwohl in seiner Haut.

Sie betrachtete ihn einen Moment. Aber sie war ein Mädchen, und Adam war... na ja, eben Adam. Sie schlug die Hände vor den Mund und kicherte. Es war bezaubernd. Unglaublich süß. Er war verloren, und jeder, der uns beobachtete, konnte es sehen. Die winzige Unwiderstehliche quietschte, als ihr Vater sie hochhob und ihre Mutter, mit dem kleinen Jungen hinter sich, Adam dankte.

Und du bist der Bösewicht in diesem Stück. Arme Mercy.

Natürlich war ich die Böse; ich hatte fast ein Kleinkind zermatscht. Was hatte ich mir dabei gedacht? Wenn sie einen Schritt zurückgetreten oder Adam nicht schnell genug gewesen wäre, hätte sie sterben können.

Sie war nie in Gefahr. Du hast die Kugel nicht auf sie geworfen, sondern sie nur an ihr vorbeigerollt. Sie hätte sie nicht getroffen. Du hast ihn gerettet, und er hat es nicht mal bemerkt.

Er musterte mich grimmig, nachdem wir die Bahn gewechselt hatten (um die Sicherheit aller anderen zu garantieren, auch wenn der nervöse Manager es nicht so ausgedrückt hatte). Wir starteten unser Spiel neu, und er ließ mich als Erste werfen.

Ich achtete sorgfältig darauf, die Kugel zuerst in die Rinne zu werfen, wo sie kaum jemandem schaden konnte. Ich war mir nicht sicher, ob ich es für mich selbst tat oder weil alle mich beobachteten.

Du hast nur versucht, Adam bei Laune zu halten. Und das ist jetzt der Dank dafür.

Fast Kleinkinder zu zerquetschen war nicht wirklich etwas, wofür ich Dank erwartete. Ich rieb mir die Stirn, als könnte das meinen Kopf klären.

Die Kugel hätte sie nicht getroffen. Dafür hast du gesorgt. Selbst wenn Adam sie nicht erwischt hätte, wäre sie harmlos an ihr vorbeigerollt.

Adam beobachtete mich nachdenklich, aber er sprach mich nicht an, als ich sorgfältig dafür sorgte, mit Millionen, Billionen Punkten zu verlieren. Ich konnte nach meinem spektakulären Dummschuss ja kaum gut bowlen, sonst würde jemand daraufkommen, dass ich es absichtlich getan hatte.

Ich hatte es absichtlich getan, oder? Ich konnte einfach nicht glauben, dass ich so etwas getan hatte. Was stimmte nicht mit mir? Wenn Adam zugänglicher gewirkt hätte, hätte ich vielleicht mit ihm darüber geredet.

Er will gar nicht hören, was du zu sagen hast. Am besten, du hältst den Mund. Er würde es sowieso nie verstehen.

Es machte mir nichts aus, oder zumindest protestierte ich nicht dagegen, wie Adam sicherstellte, dass er immer an der Stelle stand, wo er meinen Ball auffangen konnte, falls ich wieder die Kontrolle verlor. Schließlich machte seine Rettung des Kleinkindes einen viel besseren Eindruck, wenn er zu denken schien, dass ich ein Idiot war, oder?

Vier Würfe später trat Adam vor mich und sagte so leise, dass es niemand anders hören konnte: »Du hast es absichtlich getan, oder? Was zur Hölle hast du dir dabei gedacht?« Und aus irgendeinem Grund, obwohl ich eigentlich seiner Meinung war, machte seine Frage mich wütend. Oder vielleicht war es auch die Stimme in meinem Kopf.

Er hätte es früher verstehen müssen. Er sollte seine Gefährtin besser verstehen als jeder andere. Du solltest dich nicht vor ihm, rechtfertigen müssen. Am besten, du sagst gar nichts.

Ich zog eine Augenbraue hoch und stiefelte an ihm vorbei, um mir meine Kugel zu holen. Die Kränkung verstärkte noch meine Wut. Ich war wütend genug, um mich zu vergessen und einen Strike zu werfen. Ich sorgte dafür, dass das die letzten Punkte waren, die ich in diesem Spiel machte - und ich sprach kein Wort mit ihm.

Adam gewann mit über zweihundert Punkten. Als er seine letzte Bahn abgeräumt hatte, brachte er unsere Kugeln zurück ins Regal, während ich die Schuhe wechselte. Die Teenager-Jungs (inzwischen fünf Bahnen entfernt) fingen ihn ab und holten sich ein Autogramm. Ich brachte meine Schuhe zurück zum Tresen und gab sie zurück - und zahlte auch die Bahn.

»Ist er wirklich der Alpha?«, fragte das Mädchen hinter dem Tresen.

»Ja«, antwortete ich zähneknirschend.

»Wow.«

»Jau.«

Ich verließ die Bowlinganlage und wartete neben seinem glänzenden neuen Truck, der noch verschlossen war. Die Temperaturen waren um zehn Grad gefallen, sobald die Sonne untergegangen war, und es war kalt genug, dass mir in meinem Kleid und den hochhackigen Schuhen kühl wurde. Oder vielmehr hätte ich gefroren, wenn meine Wut mich nicht schön warm gehalten hätte.

Ich stand neben der Beifahrertür, so dass er mich nicht sah. Ich beobachtete, wie er den Kopf hob und die Luft witterte. Dann lehnte ich meine Hüfte gegen den Truck, und die Bewegung erregte seine Aufmerksamkeit. Er hielt den Blick auf mich gerichtet, als er vom Gebäude zum Auto kam.

Er hat geglaubt, dass du absichtlich ein Kind gefährden würdest, damit er gut dasteht. Er versteht nicht, dass du so etwas niemals tun würdest. Sie wäre nicht verletzt worden; die Kugel wäre einfach an ihr vorbeigerollt. Er schuldet dir eine Entschuldigung.

Ich sagte nichts. Ich konnte ihm ja wohl kaum erzählen, dass kleine Stimmen in meinem Kopf mich dazu gezwungen hatten, oder?

Er kniff die Augen zusammen, schwieg aber ebenfalls. Dann öffnete er mit der Fernbedienung das Auto und ließ mich allein einsteigen. Ich schnallte mich an, dann lehnte ich mich zurück und schloss die Augen. Meine Hände waren im Schoß zu Fäusten geballt, lockerten sich aber, als eine vertraute Form darin erschien und meine Hände sich um das alte Holz und Silber des vom Feenvolk gefertigten Wanderstabs schlossen.

Ich hatte mich so sehr daran gewöhnt, dass er unerwartet auftauchte, dass ich nicht mal überrascht war, obwohl es das erste Mal war, dass ich sein Erscheinen fühlte. Ich war mehr damit beschäftigt, über unser desaströses Date nachzudenken. Als ich den Wanderstab in den Händen hielt, fühlte es sich an, als würde mein Kopf endlich wieder klar. Ich war nicht mehr wütend. Ich war einfach nur müde und wollte nach Hause.

»Mercy.« Adam war wütend genug für uns beide: Ich konnte seine Zähne knirschen hören. Er dachte, ich würde Bowlingkugeln auf kleine Mädchen werfen. Ich konnte ihm keinen Vorwurf machen. Ich verlagerte den Wanderstab, bis die Spitze auf dem Boden ruhte, dann rieb ich den silbernen Knauf. Es gab nichts, was ich zu meiner Verteidigung anbringen konnte - ich wollte mich nicht verteidigen. Ich war erschreckend dumm gewesen. Was, wenn Adam ein wenig langsamer gewesen wäre? Mir war schlecht.

»Ich verstehe Frauen einfach nicht«, stieß er hervor, ließ den Motor an und trat etwas fester als notwendig aufs Gas.

Ich umklammerte mit all meiner Kraft den Stab des Feenvolkes und hielt die gesamte Heimfahrt über meine Augen geschlossen. Mein Magen tat weh. Er hatte Recht damit, wütend zu sein, Recht damit, aufgebracht zu sein.

Ich hatte das verzweifelte Gefühl, das irgendetwas falsch, falsch, falsch war. Ich konnte nicht mit ihm reden, weil ich Angst hatte, alles nur noch schlimmer zu machen. Ich musste erst selbst verstehen, warum ich getan hatte, was ich getan hatte, bevor ich es ihm erklären konnte.

Schweigend fuhren wir in meine Einfahrt. Samuels Auto war verschwunden, also musste er schon früher in die Arbeit gefahren sein. Ich musste mit ihm reden, weil ich einen üblen Verdacht in Bezug auf heute Abend hatte. Ich konnte nicht mit Adam reden - weil es klingen würde, als würde ich eine Ausrede für mich suchen. Ich brauchte Samuel, und er war nicht da.

Ich löste meinen Gurt und machte Anstalten, die Tür zu öffnen - da schoss Adams Arm an mir vorbei und hielt sie zu. »Wir müssen reden«, sagte er, und diesmal klang er nicht mehr wütend. Aber er war zu nah. Ich konnte nicht atmen, wenn er so nah war. Und genau in diesem Moment, als ich es am wenigsten gebrauchen konnte, bekam ich eine Panikattacke.

Mit einem verzweifelten Geräusch, das ich einfach nicht unterdrücken konnte, zog ich meine Füße auf den Sitz und katapultierte mich über den Vordersitz nach hinten. Die hintere Tür war ebenfalls verschlossen, aber als ich anfing, am Griff zu rütteln, entriegelte Adam die Türen, und ich war frei. Ich stolperte vom Truck weg. Ich zitterte und schwitzte in der Nachtluft, während ich den Feenvolk-Stab wie eine Keule oder ein Schwert in der Hand hielt, das mich davor bewahren konnte... dämlich zu sein. Dämlich. Dämlich. Verdammter Tim. Verdammt sollte alles sein, was er mir angetan hatte, so dass ich jetzt dämlich zitternd in der perfekten Sicherheit meiner eigenen dämlichen Einfahrt stand.

Ich wollte wieder ich selbst sein, nicht diese Fremde, die Angst davor hatte, berührt zu werden - und die kleine Stimmen in ihrem Kopf hörte, die sie dazu zwangen, Bowlingkugeln auf Kinder zu werfen.

»Mercy«, sagte Adam. Er war ausgestiegen und hinten um den Truck herumgegangen. Seine Stimme war sanft und ihr Klang... Plötzlich konnte ich seine Trauer und Verwirrung spüren - etwas war passiert, und er wusste einfach nicht, was. Er wusste nur, dass er irgendwie etwas vermasselt hatte. Aber er hatte keine Ahnung, wie es so schrecklich hatte schieflaufen können.

Ich wollte nicht wissen, was er fühlte, weil ich mich dadurch nur noch dümmer fühlte - und verletzlicher.

»Ich muss rein«, erklärte ich dem Stab in meiner Hand, weil ich in diesem Moment Adam einfach nicht ins Gesicht sehen konnte. Wenn ich ihn angesehen hätte, dann wäre ich weggelaufen, und er hätte mich gejagt. An jedem anderen Tag hätte das vielleicht Spaß gemacht. Heute wäre es ein Desaster geworden. Also bewegte ich mich langsam.

Er folgte mir nicht, als ich zu meiner Tür ging, sondern sagte nur von dort, wo er stand: »Ich schicke jemanden vorbei, um Wache zu stehen.« Weil ich die Gefährtin des Alphas war. Weil er sich Sorgen um mich machte. Wegen Tim. Aufgrund von Schuldgefühlen.

»Nein«, sagte er und trat einen Schritt näher, was mir verriet, dass die Verbindung auf seiner Seite gerade stärker war. »Weil ich dich liebe.«

Ich schloss sanft die Tür zwischen uns und lehnte mich mit der Stirn dagegen. Mein Magen tat weh; meine Kehle war wie zugeschnürt.

Ich wollte schreien oder jemanden schlagen, aber stattdessen umklammerte ich den Wanderstab so fest, dass meine Finger wehtaten, und lauschte darauf, wie Adam in seinen Truck stieg und aus meiner Einfahrt setzte.

Ich schaute auf den Wanderstab. Früher - vielleicht immer noch - hatte er dafür gesorgt, dass die Schafe seines Besitzers immer Zwillinge warfen. Aber er war vor langer Zeit angefertigt worden, und alte Magie wuchs und wandelte sich manchmal. Er war zu mehr geworden als nur ein Wanderstab mit landwirtschaftlichem Einsatzgebiet. Was das genau bedeutete, wusste niemand - außer, dass er mir immer folgte.

Vielleicht war es nur Zufall, dass ich mich nach dem Vorfall in der Bowlingarena erst wieder als ich selbst gefühlt hatte, als ich den Stab in Händen hielt. Und vielleicht war es auch kein Zufall. Ich hatte mich über die Jahre oft mit Adam gestritten. Das war wahrscheinlich unvermeidbar, wenn man bedachte, wer wir waren - der sprichwörtliche und tatsächliche Alpha-Mann und... ich, die ich zwischen jeder Menge dominanter Kerle aufgezogen worden war und beschlossen hatte, nicht zuzulassen, dass sie mich kontrollierten (egal, wie gut gemeint ihre Kontrolle auch sein mochte). Aber so hatte ich mich nach einem Streit noch nie gefühlt. Normalerweise fühlte ich mich energiegeladen und fröhlich - statt krank und bis ins Mark verängstigt.

Natürlich war der Streit normalerweise meine Idee und nicht die von jemandem, der die Rudelbindung benutzte, um mit meinem Ich zu spielen. Ich konnte falschliegen. Vielleicht war es auch eine neue Art von schicker Reaktion auf meinen Zusammenstoß mit dem nicht-wirklich-innig-vermissten Tim - als wären Panikattacken und Flashbacks nicht schon genug.

Aber jetzt, wo es vorbei war, schmeckten die Stimmen für mich nach Rudel. Ich hatte nie gehört, dass das Rudel jemanden durch die Verbindung so beeinflussen konnte, aber es gab auch so einiges, was ich über Rudelmagie nicht wusste.

Ich musste mal aus meiner Haut, mich für eine Weile von der Rudel- und der Gefährtenbindung befreien, durch die zu viele Leute Zugang zu meinem Kopf hatten. Das konnte ich: Vielleicht konnte ich nicht alles loswerden, aber ich konnte meine menschliche Haut abwerfen und allein laufen. Meinen Kopf ein wenig klären. Ich musste mir darüber klarwerden, was heute Abend passiert war. Entfernung sorgte zwischen Adam und mir nicht immer für Einsamkeit, aber normalerweise schwächte sie die Verbindung zwischen Adam und mir - und auch zwischen dem Rudel und mir. Ich musste verschwinden, bevor die angekündigte Wache auftauchte, weil sie mich sicherlich nicht allein durch die Nacht laufen lassen würde.

Ohne mir die Mühe zu machen, in mein Schlafzimmer zu gehen, zog ich mich aus. Den Wanderstab wegzustellen kostete mich schon größere Überwindung, was mir verriet, dass ich mich bereits selbst davon überzeugt hatte, dass er blockieren konnte, was auch immer mich beeinflusst hatte. Ich wartete, bereit, den Stab sofort wieder an mich zu nehmen, aber in meinem Kopf erklangen keine Stimmen mehr. Entweder hatten sie das Interesse verloren, weil Adam weg war und sie ihr Ziel erreicht hatten. Oder Entfernung war wirklich ein so entscheidender Faktor, wie ich glaubte. Egal, wie, ich würde den Stab zurücklassen müssen, weil ein Kojote, der dieses Ding im Maul trug, einfach zu viel Aufmerksamkeit erregen würde.

Also glitt ich mit einem erleichterten Seufzen in meine Kojotenform. In meiner vierpfotigen Form fühlte ich mich sofort sicherer, mehr in meiner Mitte. Dämlich, weil ich nie bemerkt hatte, dass eine Gestaltwandlung auch nur den leisesten Einfluss auf meine Gefährtenverbindung oder die Rudelverbindung hatte. Aber im Moment klammerte ich mich an alles, was dafür sorgte, dass ich mich besser fühlte.

Ich sprang durch die Hundeklappe, die Samuel in meiner Hintertür installiert hatte, und rannte in die Nacht. Draußen roch es anders, besser, klarer. In meiner Kojotenhaut empfing ich mehr Informationen als in meiner menschlichen Form. Ich konnte das Murmeltier in seiner nahe gelegenen Höhle riechen und die Fledermäuse, die in den Dachsparren meiner Garage lebten. Der Monat war schon halb vergangen, und der Mond war eine orangefarbene, breite Scheibe - selbst für meine Kojotenaugen, die nur wenig Farben sahen. Der Staub der letzten Ernte hing in der Luft.

Und ein Werwolf in Wolfsform näherte sich. Ben, dachte ich, und das war gut. Darryl hätte meinen Kojoten gespürt, aber Ben war in London aufgewachsen und hatte bis vor eineinhalb Jahren auch dort gelebt. Ihn konnte ich leichter täuschen.

Ich erstarrte und widerstand der Versuchung, mich auf den Boden fallen zu lassen, um mich zu verstecken. Bewegungen erregen Aufmerksamkeit, und mein Pelz ist perfekt dafür gefärbt, mit der Wüste zu verschmelzen.

Ben schaute nicht mal in meine Richtung, und sobald er um die Ecke verschwunden war - offensichtlich auf dem Weg zur vorderen Veranda -, rannte ich durch den Wüstenbeifuß und das trockene Gras davon in die Nacht. Ich war gerade auf dem Weg zum Fluss, zu einem steinigen Ufer, wo ich allein sein konnte, als ein Hase vor mir aus dem Gebüsch sprang. Und erst in diesem Moment merkte ich, wie hungrig ich war.

Ich hatte zum Abendessen eine Menge gegessen - es gab keinen Grund, hungrig zu sein. Und das war kein leichter Hunger. Ich war am Verhungern. Etwas stimmte nicht. Ich schob den Gedanken zur Seite, während ich jagte. Dieser Hase entkam mir, aber nicht der nächste, und ich verschlang ihn bis auf die Knochen. Es war nicht ansatzweise genug. Ich jagte noch eine halbe Stunde, bis ich eine Wachtel aufscheuchte.

Ich töte nicht gerne Wachteln. Diese einzelne Feder auf ihrem Kopf, die immer gegenläufig zur Kopfbewegung wippt, wenn sie sich bewegen, bringt mich zum Lächeln. Und sie sind einfältig und haben gegen einen Kojoten keine Chance, zumindest nicht gegen mich. Ich nehme an, ganz so verletzlich können sie nicht sein, weil ich nicht der einzige Kojote in der Gegend bin und es immer noch jede Menge Wachteln gibt. Aber ich fühle mich trotzdem immer schuldig, wenn ich sie jage.

Als ich meine zweite Jagdbeute verschlungen hatte, plante ich die Vergeltung, die ich an der Person üben würde, die mich so hungrig gemacht hatte, dass ich Wachtel fressen musste. Ein Werwolfrudel kann sich von einem seiner Mitglieder nähren, sich Energie borgen. Ich war mir nicht sicher, wie genau es funktionierte, aber ich hatte es schon oft genug gesehen. Das ist ein Teil dessen, was einen Alpha-Wolf zu mehr macht als er war, bevor er den Rang innehat.

Nichts davon hatte mich je beeinträchtigt, bevor ich Teil von Adams Rudel geworden war, also hatte ich mir keine Gedanken darum gemacht. Niemand war fähig gewesen, in meinen Kopf einzudringen und mich glauben zu lassen, dass es eine gute Idee war, eine Bowlingkugel auf ein Kleinkind zu werfen. Oder meinen Frust an Adam auszulassen.

Vollgefressen und erledigt erreichte ich mein Ziel.

Ich weiß nicht, ob dieses kleine Stück Fluss irgendjemandem gehört; der nächste Zaun war hundert Meter entfernt, das nächste Haus noch ein wenig weiter. Es lagen ein paar alte Bierdosen herum, und wenn es ein wenig wärmer gewesen wäre, wäre ich vielleicht Leuten begegnet. Ich kletterte auf den großen Stein und versuchte, das Rudel und Adam zu spüren. Ich war allein. Nur ich, der Fluss und, weit oben auf den Horse Heaven Hills, die kleinen Lichter der Windmühlen-Farmen. Ich weiß nicht, ob es an der reinen Entfernung lag oder ob dieses kleine Stück Flussufer etwas Besonderes war, aber hier hatte ich noch nie die Berührung von Gefährten- oder Rudelverbindung gespürt.

Gott sein Dank.

Erst als ich mir sicher war, dass Adam mich nicht hören konnte, dachte ich darüber nach, wie unheimlich es war, jemanden in seinem Kopf zu haben - selbst wenn es Adam war, den ich liebte. Das war etwas, wovon Adam auf keinen Fall erfahren würde, wenn ich es irgendwie verhindern konnte.

Seltsamerweise - vielleicht, weil Adam schon länger ein Wolf war als ich am Leben - akzeptierte ich ihn leichter als Werwolf als er sich selbst. Es würde ihn nicht überraschen (so wie es mich überraschte), dass mir das größte Geschenk, das ein Wolf einem anderen machen konnte, eine Höllenangst einjagte, aber es würde ihn unnötig verletzen. Ich würde mich mit der Zeit anpassen - ich hatte keine andere Wahl, wenn ich ihn behalten wollte.

Wäre es nur die Gefährtenverbindung zwischen Adam und mir gewesen, wäre das alles einfacher gewesen. Aber er hatte mich auch in das Rudel aufgenommen, und wenn die Verbindung funktionierte wie geplant, konnte ich sie alle in meinem Kopf spüren, in meiner Nähe. Und mit dieser Verbindung konnten sie anscheinend Energie aus mir saugen und mich dazu bringen, mich mit ihrem Alpha zu streiten.

Jetzt, wo ich wieder allein in meinem Kopf war, fiel es leicht, zurückzuschauen und zu sehen, wie es passiert war - ein Schubs hier, ein Stoß da. Ich würde eine Menge tun, um Adam vor Schaden zu bewahren, aber ich würde keinen Unschuldigen gefährden - und noch nie in meinem Leben hatte ich jemanden mit schwerem Schweigen beharkt. Jeder, der mich beleidigt, hat es verdient, genau zu hören, was er falsch gemacht hat - oder muss in falscher Sicherheit gewiegt werden, bevor ich einen Angriff aus dem Hinterhalt starte, wenn er gerade nicht darauf vorbereitet ist. Aber Schweigen war die Waffe der Wahl von Adams Exfrau gewesen.

Wer auch immer Einfluss auf mich ausgeübt hatte, versuchte, uns auseinanderzutreiben. Wer war es gewesen? Das ganze Rudel? Teile des Rudels? War es vorsätzlich passiert - oder war es eher so, dass das gesamte Rudel mich hasste und unbewusst versuchte, mich zu vertreiben? Und am wichtigsten, zumindest für mich: Wie konnte ich dafür sorgen, dass es nicht nochmal passierte?

Es musste einen Weg geben - denn zweifellos hätten Alphas ihre Rudel um einiges fester im Griff, wenn ein Werwolf ein Rudelmitglied so einfach beeinflussen konnte wie es bei mir passiert war. Dann würde ein Rudel mehr geführt wie ein Kult und weniger wie eine Ansammlung von testosterongeschwängerten Bestien, die durch die Gefahr des plötzlichen Todes durch die Reißzähne ihres Anführers vorübergehend unterworfen wurden. Das, oder sie hätten sich schon längst alle gegenseitig umgebracht.

Ich brauchte Samuel zu Hause, damit ich ihn fragen konnte, wie diese Dinge liefen. Adam würde es zweifellos wissen, aber ich wollte das Gespräch mit ihm erst suchen, wenn ich wusste, wie ich vorgehen sollte. Wenn Adam zu der Überzeugung kam, dass eines seiner Rudelmitglieder Psychospielchen mit mir spielte... Ich war mir nicht sicher, was es für solche Situationen für Regeln gab.

Das war eine der Informationen, die ich von Samuel einholen wollte. Wenn jemand sterben würde, wollte ich sicher sein, dass ich damit einverstanden war oder zumindest davon wusste, bevor ich abdrückte. Sonst könnte es auch sein, dass ich die ganze Sache für mich behielt und stattdessen selbst eine passende Strafe entwarf.

Ich würde warten müssen, bis Samuel von der Arbeit zurückkam. Bis dahin sollte ich mich vielleicht einfach an dem Wanderstab festklammern und das Beste hoffen. Ich blieb an dem kleinen Strand am Fluss sitzen und beobachtete das Mondlicht auf dem Wasser, solange ich mich traute. Aber wenn ich nicht zurückkam, bevor Ben aufging, dass ich nicht da war, würde er die Truppen zusammenrufen. Und ich war einfach nicht in der Stimmung für ein ganzes Rudel Werwolfe.

Ich stand auf, streckte mich und begann den langen Lauf nach Hause.

 

 

Als ich meine Hintertür erreichte, wanderte Ben unruhig davor auf und ab. Als er mich sah, erstarrte er - ihm war klargeworden, dass etwas nicht stimmte, aber bis er mich sah, war er sich nicht sicher gewesen, ob ich wirklich nicht zu Hause war. Er zog die Lefzen hoch, knurrte aber nicht, gefangen zwischen Wut und Sorge, dem dominanten Beschützerinstinkt und dem Wissen, dass ich im Rang über ihm stand.

Körpersprache, wenn man sie denn lesen kann, kann um einiges ausdrucksstärker sein als normale Sprache. Seine Frustration war sein Problem, also ignorierte ich ihn, sprang durch die Hundeklappe - viel, viel zu klein für einen Wolf - und rannte direkt in mein Schlafzimmer.

Ich verwandelte mich wieder in einen Menschen, schnappte mir Unterwäsche und ein sauberes T-Shirt und ging ins Bett. Es war nicht spät - unsere Verabredung hatte nicht besonders lang gedauert, und mein Lauf war nicht viel länger gewesen. Trotzdem, bald würde es Morgen sein und ich musste an einem Wagen arbeiten. Und ich wollte in Topform sein, um mir darüber klarzuwerden, wie genau ich mich Samuel anvertrauen sollte, damit er Adam nichts von meinen Fragen erzählte.

Vielleicht sollte ich einfach seinen Vater anrufen. »Ja«, entschied ich. Ich würde Bran anrufen.

 

 

Ich wachte mit dem Telefonhörer am Ohr auf - und dachte für einen Moment, ich hätte das getan, was ich mir beim Einschlafen vorgenommen hatte, weil die Stimme an meinem Ohr Walisisch sprach. Das ergab allerdings überhaupt keinen Sinn. Bran würde mit mir sicher nicht Walisisch sprechen, besonders nicht am Telefon, wo Fremdsprachen noch schwerer zu verstehen waren.

Benommen ging mir auf, dass ich mich dunkel daran erinnern konnte, dass das Telefon geklingelt hatte. Ich musste es mir in halbwachem Zustand gegriffen haben - aber das erklärte noch nicht die Sprache. Ich blinzelte Richtung Uhr- ich hatte weniger als zwei Stunden geschlafen -, und dann hatte ich endlich verstanden, wessen Stimme mir ins Ohr brabbelte.

»Samuel?«, fragte ich. »Warum sprichst du walisisch? Ich verstehe dich nicht, wenn du nicht ein bisschen langsamer redest. Und kurze Worte benutzt.« Das war ein Witz. Im Walisischen gibt es keine kurzen Worte.

»Mercy«, sagte er schwerfällig.

»Samuel?« Ich sprach mit dem Schweigen am anderen Ende der Leitung. »Komm hol...« Er kämpfte mit den Worten, als wäre sein Englisch unglaublich schlecht, was es nicht war und auch nie gewesen war. Nicht, solange ich ihn kannte - fast mein gesamtes Leben, dreißig und noch ein paar Jahre.

»Ich bin gleich da«, sagte ich und griff mir mit einer Hand meine Jeans. »Wo?«

»Im Röntgen-Lagerraum.« Über diese Worte stolperte er kaum. Ich wusste, wo der Lagerraum war. Am Ende der Notaufnahme im Kennewick General Hospital, wo er arbeitete. »Ich hole dich ab.«

Er legte auf, ohne noch etwas zu sagen. Etwas war richtig schiefgelaufen. Aber was auch immer es war, es konnte nicht katastrophal sein, wenn er mich im Lagerraum treffen wollte, abseits von allen Leuten. Wenn sie wüssten, dass er ein Werwolf war, wäre das Versteck im Lagerraum nicht mehr nötig.

Anders als Adam war Samuel nicht in die Öffentlichkeit getreten. Niemand würde zulassen, dass ein Werwolf als Mediziner arbeitete - was wahrscheinlich sogar ziemlich klug war. Die Gerüche von Blut und Angst und Tod waren für die meisten von ihnen zu viel. Aber Samuel war schon seit sehr langer Zeit Arzt, und er war gut in dem, was er tat.

Ben lag auf der Veranda, als ich aus der Tür rannte. Ich stolperte über ihn, flog die vier harten, steilen Stufen runter und landete im Kies. Er hatte gewusst, dass ich rauskam; ich hatte mir keine Mühe gegeben, leise zu sein. Er hätte mir aus dem Weg gehen können, aber er hatte es nicht getan. Vielleicht hatte er sich mir sogar absichtlich in den Weg gestellt. Er zuckte nicht mit der Wimper, als ich ihn ansah.

Ich erkannte den Blick, obwohl ich ihn von ihm noch nie gesehen hatte. Ich war eine Kojotin und die Gefährtin ihres Alphas, und sie waren sich verdammt sicher, dass ich nicht gut genug für ihn war.

»Du hast von dem Streit heute Abend gehört«, sagte ich zu ihm. Er legte die Ohren an und die Schnauze auf seine Vorderpfoten. »Dann hätte jemand dir erzählen sollen, dass sie die Rudelverbindung benutzt haben, um in meine Gedanken einzudringen.« Ich hatte nicht vorgehabt, etwas zu sagen, bevor ich mit Samuel gesprochen hatte, aber mein Sturz über die Treppenstufen hatte mich jeder Selbstkontrolle beraubt.

Er erstarrte, und seine Körperhaltung signalisierte nicht Skepsis, sondern Entsetzen.

Also war es möglich. Verdammt. Verdammt. Verdammt. Ich hatte gehofft, das wäre es nicht, hatte gehofft, ich wäre nur paranoid. Ich konnte das einfach nicht brauchen. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sowohl die Gefährten- als auch die Rudelverbindung ihr Bestes taten, um mir die Seele zu stehlen. Dieses Bild mochte nur metaphorisch sein, aber es machte mir genauso viel Angst als wäre es wirklich möglich.

Herauszufinden, dass jemand diesen gesamten Schlamassel benutzen konnte, um mich zu manipulieren, war das Tüpfelchen auf dem i. Glücklicherweise hatte ich eine Aufgabe, die mich von diesem Ärger ablenkte. Ich stand auf und klopfte mir den Staub von der Kleidung.

Ich hatte eigentlich vorgehabt zu warten und direkt mit Adam zu sprechen, aber dieses Szenario hatte auch seine Vorteile. Es war gut, wenn Adam erfuhr, dass ein paar im Rudel in ihrer Abneigung gegen mich sehr... aktiv vorgingen. Und wenn Ben es ihm erzählte, konnte er nicht meine Gedanken lesen und so feststellen, dass ich nicht nur die Gedankenkontrolle gruselig fand, sondern eigentlich die gesamte Verbindungssache, egal, ob Rudel oder Gefährte.

Ich sagte zu Ben: »Erzähl Adam, was ich gesagt habe.« Das würde er. Ben konnte unheimlich und schrecklich sein, aber er war fast einer meiner Freunde - gemeinsame Alpträume können so etwas auslösen. »Überbring ihm meine Entschuldigung, und sag ihm, dass ich in Deckung gehe« - Adam würde wissen, dass das bedeutete, dass ich mich vom Rudel fernhielt -, »bis ich es unter Kontrolle habe. Und jetzt fahre ich los, um Samuel zu holen, also bist du nicht mehr im Dienst.«