8

 

Wir waren auf dem Chemical Drive, der Straße, die aus der Stadt hinaus aufs Land führte, als ein Krankenwagen mit blitzenden Lichtern, aber ohne Sirene in die entgegengesetzte Richtung an uns vorbeischoss. Fast hätte ich umgedreht, um ihm zu folgen.

Nein. Es ist besser, wenn ich erst rausfinde, was genau passiert ist. Sam ist heute kein Arzt, und ich kann nicht besser helfen als das Krankenhaus, in das das Opfer gebracht wird. Und vielleicht lag ja überhaupt niemand, den ich kannte, in dem Krankenwagen.

Sobald ich in meine Straße abbog, drückte ich aufs Gaspedal und ignorierte alle Geschwindigkeitsbeschränkungen. Direkt vor uns stieg von irgendwoher schwarzer Rauch auf. Rote Lichter blitzten - Feuerwehrautos an meinem Haus, das fast nur noch aus Glut bestand.

Adam hätte gedacht, dass ich dort drin war. Ich hatte ihm nicht gesagt, dass ich wegfuhr - weil er mir jemanden mitgegeben hätte, jemanden, dem er vertraute, während ich gewollt hatte, dass alle, denen er vertraute, bei ihm waren. Adams Schrei ergab plötzlich Sinn, aber ich hatte panische Angst vor dem, was er getan hatte, als die Verbindung durchgebrannt war. Es könnte sich angefühlt haben, als wäre ich gestorben oder bewusstlos geworden. Ich hätte ihn anrufen sollen, statt zu warten, bis ich wieder fahren konnte.

Adams Rudel umringte den Trailer, während sie gleichzeitig darauf achteten, den Feuerwehrleuten nicht im Weg zu stehen. Das Feuer musste ausgebrochen sein, während das Meeting noch lief, oder kurz danach - ich unterdrückte mit Mühe die Idee, dass jemand es gelegt haben könnte. Meine Augen glitten über vertraute Gesichter - dort waren Darryl, Auriele, Paul - und ein paar weniger vertraute -, Henry und George. Ich konnte Adam nirgendwo entdecken. Mein Magen verkrampfte sich vor Angst.

Ich parkte so nah, wie es mir mit den Löschzügen möglich war. Ich war immer noch ein gutes Stück vom Feuer entfernt.

Dann rannte ich zum nächsten Rudelmitglied und packte seinen Arm - Auriele. »Wo ist Adam?«, fragte ich.

Sie riss schockiert die Augen auf. »Mercy? Adam dachte, du wärst da drin gewesen, als es explodiert ist.«

Explodiert? Ich sah mich um, und mir ging auf, dass es wirklich aussah, als wäre der Trailer einfach explodiert. Stücke von Verkleidung, Glas und Trailer waren in einem Umkreis von gut einem Dutzend Metern um das brennende Wrack verteilt, das einmal mein Heim gewesen war. Der Trailer hatte eine Gasheizung; vielleicht hatte es einfach ein Leck gegeben. Wie lange musste ein Leck existieren, bevor alles explodierte? Wenn schon etwas ausgetreten war, als ich gegangen war, hätte ich das Gas gerochen.

Morgen werde ich mich schlecht fühlen, weil ich mein Haus verloren habe und die Dinge, die mir wichtig sind, wie meine Fotos... Arme Medea. Ich habe sie eingeschlossen, weil ich sie nachts immer einschließe, damit sie in Sicherheit ist. Ich will gar nicht darüber nachdenken, was ihr passiert ist. Heute habe ich dringendere Ängste.

»Auriele«, sagte ich langsam und deutlich, »wo ist Adam?«

»Mercy!«

Arme schlangen sich um mich und zogen mich an einen Körper. »Oh Gott, oh Gott, Mercy. Er dachte, du wärst tot. Ist durch die Wand des verfickten Trailers gesprungen, um dich zu finden.« Bens Stimme war rau vom Rauch und fast nicht zu erkennen. Hätte ich den britischen Akzent nicht gehört, wäre ich mir nicht sicher gewesen, dass er es wirklich war.

»Ben?« Ich löste mich mit ziemlicher Mühe aus seiner Umarmung - und sehr vorsichtig, weil die Hände, mit denen er mich festhielt, verbrannt und voller Blasen waren -, aber ich musste atmen. »Ben. Sag mir, wo Adam ist.«

»Krankenhaus«, sagte Darryl und kam zu uns, nachdem er sich vorher mit ein paar Feuerwehrmännern unterhalten hatte. »Mary Jo konnte wegen ihres Berufes mit ihm fahren.« Mary Jo war ein Werwolf, die tagsüber als Feuerwehrfrau arbeitete und ausgebildete Rettungssanitäterin war. »Ich fahre dich.«

Ich rannte bereits zurück zum Golf. Irgendwie glitt Sam an mir vorbei, als ich einstieg, und als die Beifahrertür geöffnet wurde, sprang er auf den Rücksitz, damit Ben einsteigen konnte.

»Warren ist unterwegs«, sagte Ben. Seine Zähne klapperten vom Schock, und seine Augen waren helle Wolfsaugen. »Er musste arbeiten, konnte sich nicht rechtzeitig für das Treffen freinehmen. Aber ich habe ihn angerufen und ihm erzählt, dass Adam im Krankenhaus ist.«

»Gut«, sagte ich und raste in einem Sturm aus Kies los. »Warum haben sie dich nicht auch ins Krankenhaus gebracht?«

Nachdem wir das Feuer hinter uns gelassen hatten, war es unmöglich, den Geruch von verbranntem Fleisch und seine Schmerzen zu ignorieren. Der Motor des kleines Wagens röhrte, als ich auf die Schnellstraße schoss. Ben machte die Augen zu und versteifte sich in seinem Sitz.

»Ich war immer noch drin«, sagte er. Er hustete kurz, dann kurbelte er das Fenster herunter und beugte sich nach draußen, wo er eine Weile keuchend und würgend hing. Ich gab ihm die halbleere Wasserflasche, und er spülte sich den Mund aus und spuckte aus dem Fenster. Dann kurbelte er das Fenster wieder hoch und trank einen Schluck. »Adam wollte in dein Schlafzimmer, und ich war auf dem Weg zu Samuels.« Seine Stimme war jetzt noch rauer als vorher.

»Wie schlimm hat es dich erwischt?«

»Ich komme in Ordnung. Rauchvergiftung stinkt.«

 

 

Zu dritt rasten wir in die Notaufnahme. Selbst an einem Ort, der so an seltsame Dinge gewöhnt ist, müssen wir ein ziemliches Spektakel geboten haben. Ich schaute kurz auf Sam. Er hatte sich irgendwann, als ich nicht hingesehen hatte, auf dem Boden gewälzt, so dass die Blutreste jetzt von Dreck verdeckt waren. Wir alle wirkten schmuddelig, aber zumindest ging ich nicht davon aus, dass Sam und ich aussahen, als hätten wir Feenwesen getötet. Natürlich sahen wir auch nicht aus, als hätten wir versucht, ein Feuer zu löschen, wie es bei Ben der Fall war.

Ich würde mir etwas einfallen lassen, falls wirklich jemand fragen sollte. Ich hatte völlig vergessen, dass etwas an uns viel schockierender war als Dreck, Verbrennungen und alte, überwiegend schon ausgewaschene Blutflecken.

»Hey, Sie können hier keinen Hund mit reinbringen!« Die Krankenschwester der Notaufnahme kam drei schnelle Schritte auf uns zu, schaute mir in die Augen... und kam stolpernd zum Stehen. »Ms. Thompson? Ist das ein Werwolf?«

»Wo ist Adam Hauptman?« Aber ein Brüllen aus der Notaufnahme verriet mir alles, was ich wissen musste. »Wer hatte nur die clevere Idee, ihn hierherzubringen?«, murmelte ich und rannte auf die Doppeltür zwischen dem Wartezimmer und der Notaufnahme zu, Ben und Sam an meiner Seite.

»Ich nicht«, sagte Ben schon ein wenig fröhlicher. Ich glaube, er hatte sich auch Sorgen darum gemacht, was wir finden würden. »Ich bin von jeder Schuld freigesprochen. Ich war im Trailer, und mir wurde gerade schön warm, als sie ihn hierhergeschickt haben.«

Ein grauer Werwolf, dessen Fell um die Schnauze herum etwas dunkler wurde, stand in dem Gang zwischen den Räumen und dem Empfang. Seine Verwandlung war so frisch, dass man immer noch sehen konnte, wie die Muskeln seines Rückens sich neu formten. Ihm fehlten große Stücke Fell, wo seine Haut geschwärzt war und Blasen geschlagen hatte als wäre sie aus Wachs. Alle vier Beine waren schrecklich verbrannt, die verkohlte Haut wirkte wie eine groteske Nachahmung des schwarzen Fell s, das sonst dort wuchs. Der Vorhang, der den Raum abgetrennt hatte, hing an seinem Schwanz.

Ich blieb direkt hinter den Türen stehen und schätzte die Situation ab.

Jody, die Krankenschwester, mit der ich in der Nacht von Samuels Unfall gesprochen hatte, stand wie erstarrt - doch irgendjemand hatte ihr Tipps gegeben, wie man sich in der Nähe von Werwölfen verhielt, denn ihre Augen waren auf den Boden gerichtet. Aber selbst ich konnte ihre Furcht riechen; für einen Werwolf ein appetitanregender Geruch. Mary Jo kauerte vor Adam, eine Hand auf den Boden gestützt, den Kopf unterwürfig gesenkt - und ihr durchtrainierter, athletischer Körper, der neben dem Wolf so zerbrechlich wirkte, befand sich zwischen allen Zuschauern und ihrem Alpha.

Ich warf einen kurzen Blick zu Sam, aber anscheinend hatte er genug von dem toten Feenwesen gefressen, denn seine Aufmerksamkeit war völlig auf Adam konzentriert, auch wenn er neben mir blieb. Ben wartete auf meiner anderen Seite, völlig unbeweglich, als würde er sich schwer anstrengen, Adams Aufmerksamkeit nicht auf sich zu ziehen.

Unter anderen Umständen hätte ich mir keine solchen Sorgen gemacht. Werwölfe neigen dazu, ihre menschliche Hälfte zu verlieren, wenn sie schwer verletzt werden, aber sie können von ihrem Gefährten oder einem dominanteren Wolf zurückgerufen werden.

Samuel war dominanter als Adam, und ich war Adams Gefährtin. Wir hätten beide in der Lage sein sollen, ihn zurückzuholen. Unglücklicherweise war Samuel heute Abend nicht er selbst, und Adam hatte unsere Gefährtenverbindung durchgebrannt, als er gedacht hatte, ich wäre im Trailer. Ich wusste nicht, was das in Bezug auf seine Reaktion auf mich bedeutete. Er senkte den Kopf und trat einen Schritt nach vorne. Die Zeit des Zauderns war vorbei.

»Adam«, sagte ich. Sein gesamter Körper erstarrte.

»Adam?« Ich trat einen Schritt von Sam und Ben weg. »Adam, es ist alles in Ordnung. Das sind die Guten. Sie versuchen zu helfen - du bist verletzt worden.«

Ich bin schnell, und ich habe gute Reflexe, aber ich sah nicht einmal, dass er sich bewegte. Er drückte mich nach hinten gegen den Türrahmen und hob sich auf seine armen, verbrannten Hinterbeine, bis sein Gesicht und meines auf derselben Höhe waren. Der Gestank von Rauch und Verbranntem umhüllte uns, als sein heißer Atem meine Wange traf. Er atmete tief ein, dann fing sein gesamter Körper an zu zittern.

Er hatte wirklich geglaubt, ich wäre tot. »Ich bin okay«, murmelte ich, schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück, um ihm meine Kehle darzubieten. »Ich war nicht im Trailer, als er explodiert ist.«

Seine Nase zog eine Spur von meinem Kinn bis zum Schlüsselbein, dann packte ihn ein tiefes, keuchendes Husten, das scheinbar ewig anhielt. Als es endlich vorbei war, legte er mir den Kopf auf die Schulter und fing an, sich zu verwandeln.

Es war für alle Beteiligten sicherer, wenn er menschlich war. Das war wahrscheinlich der Grund, warum er es tat. Aber er war gerade schlimm verletzt worden - und hatte sich erst vor wenigen Minuten vom Menschen in einen Wolf verwandelt. Die Rückverwandlung nur Minuten danach zu versuchen, war unglaublich schwierig. Dass er sich trotzdem dazu entschloss, zeigte mir, dass er wirklich in schlechter Verfassung war.

Er hätte niemals seine Verwandlung eingeleitet, während er mich berührte, wenn er voll bei Bewusstsein gewesen wäre. Die Verwandlung ist schon alleine schmerzhaft genug; Hautkontakt macht es nur noch schlimmer. Wenn man dann noch die unbehagliche Haltung bedachte und die Schmerzen, die Adam bereits wegen seiner Verbrennungen hatte - ich wusste nicht, was passieren würde. Ich ließ mich langsam am Türrahmen nach unten gleiten und zog ihn mit mir, während seine Haut sich dehnte und die Knochen sich bewegten. Einen Werwolf bei der Verwandlung zu beobachten ist nicht schön.

Ich stemmte meine Handflächen flach auf den Boden, um der Versuchung zu widerstehen, ihn zu berühren. So sehr mein Kopf auch wusste, dass das Letzte, was er jetzt brauchte, Hautkontakt war, mein Körper war seltsamerweise davon überzeugt, dass er die Qual der Verwandlung lindern würde.

Ich schaute zu Ben und deutete mit dem Kinn auf die Krankenschwester und den Arzt, der einen Vorhang zur Seite gezogen hatte, um zu sehen, was los war. Ben schenkte mir einen »Warum ich?«-Blick. Als Antwort schaute ich erst zu Adam - offensichtlich lahmgelegt - und dann zu Sam, der ein Wolf war. Ben hob die Augen zum Himmel, wie um Gottes Gnade zu erflehen. Dann trottete er los, die Hände schützend vor dem Körper, um die Probleme zu lösen, die er lösen konnte. Dann schaute ich zu Mary Jo und fing einen Blick auf, der mir galt.. Und was für einen Blick. Sobald sie bemerkte, dass ich sie ansah, klärte sich ihre Miene. Ich konnte das Gefühl nicht identifizieren, das ich gesehen hatte - aber es war sehr stark gewesen.

»Irgendwer verletzt?«, fragte Ben. Wenn er sich mal über sein normalerweise ziemlich fieses Auftreten hinauswagte, empfanden die meisten Leute Ben als beruhigend. Ich glaube, es liegt an diesem eleganten britischen Akzent und seinem gelassenen Auftreten - und selbst mit den Verbrennungen und der verkokelten Kleidung wirkte er irgendwie zivilisierter als wir anderen.

»Nein«, antwortete der Arzt, auf dessen Namensschild Dr. Rex Fournier stand. Er wirkte, als wäre er vielleicht Mitte vierzig. »Ich habe ihn überrascht, als ich den Vorhang zurückgezogen habe.« Und dann sagte er mit einer Fairness, die man bei zu Tode verängstigten Leute selten findet: »Er hat sich ziemlich bemüht, niemanden zu verletzen. Hat mich nur zur Seite gestoßen. Wäre ich nicht über den Stuhl gestolpert, wäre ich nicht mal gefallen.«

»Er war bewusstlos, als ich gegangen bin«, erklärte Mary Jo halb entschuldigend. »Ich bin losgezogen, weil ich jemanden suchen wollte, der ihm helfen kann - wir waren schon eine Weile hier. Mir war einfach nicht klar, dass ich so lange weg war, dass er sich verwandeln konnte.«

»Nicht allzu lang«, sagte ich. »Der Krankenwagen ist mir entgegengekommen. Ihr könnt noch nicht länger als eine halbe Stunde hier sein, und fast die Hälfte davon braucht er, um eine Verwandlung abzuschließen. Wer hatte überhaupt die unglaublich clevere Idee, Adam in diesem Zustand ins Krankenhaus zu bringen?« Mary Jo. Ich konnte es von ihrem Gesicht ablesen.

»Man muss doch nur das ganze tote Fleisch abschälen«, sagte sie. Eine wirklich, wirklich schmerzhafte Prozedur - und Schmerzmittel wirken bei Werwölfen nie lange. Es war so eine schlechte Idee, dass wir sie alle einfach nur anstarrten, zumindest alle, die Bescheid wussten - Ben, Sam und ich. Adam war mit seiner Verwandlung beschäftigt.

»Mir war nicht klar, wie schlimm es ist«, verteidigte sie sich. »Ich dachte, es wären nur seine Hände. Ich habe seine Füße nicht gesehen, bis wir schon im Krankenwagen waren. Wären es nur seine Hände gewesen, wäre alles in Ordnung gewesen.«

Vielleicht. Eventuell.

»Ich dachte, du und Samuel wären tot«, sagte sie. »Und damit war ich der Rudelmediziner. Und als Sanitäterin und loyale Gefolgsfrau meines Alphas erschien mir das Krankenhaus die sicherste Option zu sein.«

Sie hatte gerade gelogen. Nicht in Bezug darauf, dass Adam im Krankenhaus sicherer war als zu Hause. Mit den Turbulenzen der letzten Zeit hatte sie wahrscheinlich sogar Recht damit, dass ein schwer verwundeter Adam in diesem Zustand beim Rudel nicht in Sicherheit war. Sie würden ihn zerreißen und sich hinterher entschuldigen und sich vielleicht sogar schlecht fühlen. Aber ihre erste Aussage...

Vielleicht hatte sie gedacht, wir wären zu überreizt, um es zu bemerken - und Ben war sich manchmal der subtilen Zeichen der anderen Wölfe wirklich nicht bewusst. Aber vielleicht war Mary Jo nicht klar, dass ich Lügen genauso gut erkennen konnte wie die anderen Wölfe.

»Du wusstest, dass wir nicht im Haus waren«, sagte ich langsam. Und dann dämmerte mir, was das bedeutete. »Hat Adam dich als Wache postiert, während er sich mit den anderen getroffen hat? Hast du gesehen, wie wir gegangen sind?« Hatte sie. Es stand in ihrem Gesicht geschrieben - und sie machte sich nicht einmal die Mühe, es zu leugnen. Sie konnte vielleicht die Menschen in diesem Raum belügen, aber nicht den Rest von uns.

»Warum hast du es ihm nicht gesagt?«, fragte Ben. »Warum hast du ihn nicht aufgehalten, bevor er ins Feuer gelaufen ist?«

»Antworte ihm«, befahl ich.

Sie hielt meinem Blick für drei lange Sekunden stand, bevor sie schließlich die Augen senkte. »Ich sollte dir folgen, wenn du weggehst. Sicherstellen, dass du nicht verletzt wirst. Aber weißt du, ich bin der Meinung, alle wären besser dran, wenn einer der Vampire dich getötet hätte.«

»Also hast du beschlossen, dich Adam zu widersetzen, weil du nicht seiner Meinung warst«, sagte Ben. »Er hat dich dafür ausgewählt, auf Mercy aufzupassen, weil er darauf vertraut hat, dass du dich darum kümmerst, während er sich mit dem Rudel auseinandersetzt - und du hast dieses Vertrauen verraten.«

Ich war dankbar, dass Ben sprach.

Mary Jo war eines der Mitglieder aus Adams Rudel, die ich für Freunde hielt. Nicht, weil sie dadurch, dass jemand vom Feenvolk in meiner Schuld stand, vor einiger Zeit vor dem Tod bewahrt worden war... Ich nahm an, das war ein zweifelhafter Segen, wie die meisten Geschenke des Feenvolks. Aber wir hatten eine Menge Zeit miteinander verbracht, weil Adam sie gerne als Wache einsetzte, wann immer er das Gefühl hatte, dass ich Schutz brauchte. Mary Jo wollte mich tot sehen. Das war es, was ich in ihrem Blick gelesen hatte.

Ich war so schockiert, dass ich ihre Antwort auf Bens Frage vielleicht überhört hätte, wenn sie nicht so abwehrend geklungen hätte.

»So war es nicht. Sie war doch in Sicherheit; sie ist mit Samuel weggefahren. Ich könnte sie doch niemals besser schützen als Samuel.«

»Warum hast du dann die Brandstifter nicht aufgehalten?« Brandstifter? Es war Brandstiftung gewesen?

»Ich hatte nicht den Befehl, das Haus zu beschützen. Sie war nicht drin.« Die tiefe Befriedigung in Bens Lächeln verriet mir, dass er auch nicht gewusst hatte, dass es Brandstiftung war. »Wer waren sie, Mary Jo?«

»Sie waren vom Feenvolk«, sagte sie. »Niemand, den ich kannte. Nur noch mehr Ärger, in den sie das Rudel mit hineinzieht. Was interessiert es mich, wenn sie Mercys Haus niederbrennen wollen?« Sie sah mich an und sagte bösartig: »Ich wünschte, sie hätten es mit dir drin verbrannt.«

»Ben!«

Wie es ihm gelang, seine Hand noch zu stoppen, bevor sie ihr Gesicht traf, weiß ich nicht. Aber er schaffte es. Sie hätte danach den Boden mit ihm gewischt. Sie mochte ja nominell in der Rudelhierarchie einen niedrigeren Rang haben als er, aber nur, weil ungebundene Frauen im Rudel ganz unten standen.

Sie wollte mit ihm kämpfen. Ich konnte es in ihrem Gesicht sehen. Ich konnte mich nicht bewegen, da Adam immer noch auf meinem Schoß lag. »Das reicht.« Ich hielt meine Stimme ruhig.

Ben keuchte, und seine Hände zitterten vor Wut… Oder Schmerzen. Sie waren wirklich schlimm verletzt.

»Er hätte sterben können«, sagte Ben zu mir, und seine Stimme war rau, weil sein Wolf darin mitschwang. »Er hätte sterben können, weil dieses...«Er unterbrach sich. Und die Gewalttätigkeit war so schnell aus Mary Jos Haltung verschwunden, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. In ihren Augen standen Tränen. »Glaubst du, das weiß ich nicht? Er kam aus dem Haus gerannt und schrie ihren Namen. Ich habe versucht, ihm zu sagen, dass es zu spät ist, aber er hat einfach die Wand zerrissen und ist durch das Loch gesprungen. Er hat mich nicht mal gehört.«

»Er hätte dich gehört, wenn du ihm gesagt hättest, dass sie nicht drin ist«, sagte Ben, völlig unbeeindruckt von ihren Tränen. »Ich war direkt hinter ihm. Du hast es nicht mal versucht. Du hättest ihm einfach sagen können, dass sie noch lebt.«

»Genug«, sagte ich. Adams Verwandlung war fast abgeschlossen. »Adam kann das später selbst regeln.«

Ich schaute zu Sam. »Zwei Verwandlungen sind schlimm, wenn es Gewebeschäden gibt, richtig? Es heilt falsch.« Das menschliche Ohr, das ich sehen konnte, war vernarbt, genauso wie Adams gesamter Kopf ab den Augenbrauen aufwärts. Er musste ein nasses Handtuch oder irgendetwas über dem Kopf gehabt haben, um sein Gesicht zu schützen, aber irgendwann war es nach unten gerutscht und hatte seine Kopfhaut nicht mehr bedeckt.

Sam seufzte.

Der Arzt hatte fasziniert Mary Jos Geschichte gelauscht - ich würde wetten, dass er auch Seifenopern schaute. »Es tut mir leid«, meinte er aufrichtig. »Wenn Sie keine Möglichkeit haben, ihn zu bändigen, kann ich ihn hier nicht behandeln. Ich werde meine Belegschaft nicht in Gefahr bringen.«

»Können wir trotzdem einen Raum haben?«, fragte ich. Die Zeit war nicht auf unserer Seite. Wir konnten ihn zurückbringen in sein Haus und uns dort um ihn kümmern... Aber nachdem Mary Jo mich an die Gefahr erinnert hatte, in der er verwundet in der Mitte seines Rudels schweben würde, wollte ich ihn wirklich nicht dorthin zurückbringen und ihm noch mehr wehtun.

Sam fing meinen Blick ein und schaute demonstrativ auf die Tür des Raums, aus dem ich ihn damals geholt hatte.

Ich schaute wieder zu dem Arzt. »Ein echtes Zimmer wäre gut. Können wir den Röntgen-Lagerraum benutzen?«

Der Doktor runzelte die Stirn, aber Jody eilte mir zur Hilfe. »Das ist Doc Cornicks Mercy«, sagte sie. »Sie ist mit Adam Hauptman zusammen, dem Rudelalpha.«

»Der auf meinem Schoß liegt«, erklärte ich ihnen. »Es tut mir leid. Wäre es irgendjemand anders als Adam, könnten wir sicherstellen, dass das Personal nicht in Gefahr ist - aber Adam ist der Einzige, der zuverlässig alle unter Kontrolle halten kann. Sie haben Recht damit, Ihre Leute nicht in Gefahr zu bringen. Aber ich habe ein paar Wölfe hier - Mary Jo ist Rettungssanitäterin -, und wir können es auch allein schaffen. Wenn es nicht so dringend wäre, würden wir ihn einfach nach Hause bringen. Aber wenn wir nicht bald etwas unternehmen, werden Narben zurückbleiben.«

Seine Füße waren am schlimmsten. Völlig menschlich und... Ich konnte Knochen unter der geschwärzten Haut sehen. Er war bewusstlos, völlig verschwitzt und ungefähr viermal bleicher als normal.

»Was benötigen Sie?«, fragte Fournier.

»Eine Bahre«, sagte Mary Jo. Sie schaute zu Sam, als würde sie darauf warten, dass er die Show übernahm. Dann ging ihr auf, dass er hier auf keinen Fall zeigen durfte, dass er ein Werwolf war. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie das wahre Ausmaß von Samuels Problem verstanden hatte. Sie drehte sich einfach zu dem Arzt um und fing an, medizinisches Kauderwelsch von sich zu geben.

Eine Rollbahre erschien, und Ben hob Adam von meinem Schoß. Unzählige Krankenhausangestellte tauchten auf und räumten die Kisten aus dem Röntgen-Lagerraum - mit sehr wenig Achtung vor der bestehenden Ordnung. Irgendwer würde sich später darüber aufregen. Dr. Fournier wurde in den dritten Stock gerufen und verschwand mit derselben kontrollierten Effizienz, mit der er alle Situationen zu meistern schien - inklusive Werwölfen in seiner Notaufnahme.

Als der Raum leer war, hatten wir, wenn auch knapp, genug Platz für uns alle, die Bahre und das Tablett mit medizinischen Instrumenten, das Jody uns brachte.

»Fournier ist nicht so gut wie Doc Cornick, wenn es knifflig wird.« Jody schenkte mir einen scharfen Blick, als Mary Jo und Ben Adam in die Mitte des kleinen Raums schoben. Ich fragte mich, ob sie wohl darüber nachdachte, wie viele Werwölfe ich anscheinend kannte, und das mit dem Wissen verknüpfte, dass ich Samuels Mitbewohnerin war. Aber selbst wenn es so war, schien sie bei dem Gedanken an all die Werwölfe, die gerade hier waren, nicht hysterisch zu werden, also würde sie vielleicht ihre Vermutungen für sich behalten.

»Fournier wurde nicht verletzt«, sagte ich. »Er hat die Lage nicht verschlimmert. Das reicht mir.«

»Brauchen Sie Hilfe?«, fragte sie mutig.

Ich lächelte sie an. »Nein. Ich glaube, Mary Jo kommt allein zurecht.« Mir wären Jody und der Arzt lieber gewesen, aber ich ging nicht davon aus, dass Adam mir dafür danken würde, wenn ich Menschen in Gefahr brachte. Wie Jody wäre mir auf jeden Fall Samuel lieber gewesen... der verschwunden war.

»Der Raum ist nicht steril, aber es klingt, als würde das keine große Rolle spielen.«

»Nein«, erklärte ich Jody geistesabwesend. Wohin war Sam verschwunden? »Werwölfe kommen besser mit Bakterien klar als Menschen. Es sieht so aus, als wäre alles bereit.«

Ich schloss die Tür, atmete tief durch und drehte mich zu Mary Jo um. »Weißt du, was du tun musst? Ich muss Sam finden.«

»Ich bin hier.« Samuel war nackt wie Gott ihn schuf und schwitzte von der Geschwindigkeit seiner Verwandlung. Seine Haut war überzogen von Staub und Feenwesen-Blut - ein Zustand, dem er mit einem Eimer voll Wasser und einem Handtuch abhalf, das unter den Dingen gewesen sein musste, die Mary Jo verlangt hatte.

Seine Augen waren grau, ein bisschen heller als normal, aber die anderen Wölfe würden es zweifellos auf die Verwandlung schieben. »Ich werde mich darum kümmern.«

»Samuel«, sagte ich.

Aber er wandte den Blick ab und hob etwas hoch, das aus sah wie eine Scheuerbürste mit harten Borsten. »Ihr müsst ihn unten halten. Ben, leg dich über seine Hüfte. Mary Jo, ich sage dir jeweils, wo ich dich brauche. Die Hände werden am schlimmsten, also fangen wir damit an.« »Was ist mit mir?«, fragte ich.

»Rede mit ihm. Erzähl ihm immer wieder, dass wir ihm mit dieser Folter helfen. Wenn er dich hört und dir glaubt, wird er nicht so heftig gegen uns kämpfen. Ich werde ihm ein wenig Morphium geben. Es wird nicht viel helfen und auch nicht lange, also müssen wir uns beeilen.«

Also redete und redete ich, während Samuel die tote Haut und die fast verheilten Krusten mit einer harten Bürste abrieb. Das abgestorbene, verbrannte Gewebe musste entfernt werden. Sobald das weg war, würden die offenen Wunden sauber und ohne Narben verheilen.

Adam verfiel immer wieder in Hustenkrämpfe. Wann immer sie einsetzten, traten alle einen Schritt zurück und ließen ihn keuchen, bis er Blut mit großen schwarzen Brocken darin hervorwürgte. Ben hatte auch ein paar dieser Anfälle, aber er kämpfte mit ihnen, während sein Gewicht weiter Adam unten hielt.

Immer wieder hielt Samuel inne und spritzte Adam noch mehr Morphium. Für mich war am schlimmsten, dass Adam nie ein Geräusch von sich gab oder gegen diejenigen ankämpfte, die ihn auf die Bahre pressten. Er starrte mir nur in die Augen, während er schwitzte und sein Körper von Zittern erschüttert wurde, das zu- oder abnahm, je nachdem, was Samuel gerade tat.

»Ich dachte, du wärst tot«, flüsterte er rau, als Samuel von den Händen zu den Füßen überging. Das schien weniger wehzutun - wahrscheinlich, weil kaum noch Nerven übrig waren. Er war barfuß in ein brennendes Gebäude gesprungen, um mich zu retten.

»Dumm«, sagte ich und blinzelte angestrengt. »Als würde ich sterben, ohne dich mitzunehmen.«

Er lächelte leise. »War es Mary Jo, die uns in der Bowlinganlage verraten hat?«, fragte er und bewies damit, dass er Teile dessen, was während seiner Verwandlung vorgegangen war, mitbekommen hatte.

Wir beide ignorierten das schmerzerfüllte Geräusch, das Mary Jo von sich gab. »Ich werde sie später fragen.«

Er nickte. »Besser...« Er hörte auf zu reden, und seine Pupillen verengten sich trotz des Morphiums, das er im Blut hatte. Er bäumte sich auf und drehte sich, so dass er sein Gesicht gegen meinen Bauch pressen konnte, während er gleichzeitig ein Geräusch von sich gab, das irgendwo zwischen einem Knurren und einem Schrei lag. Ich hielt ihn an mich gedrückt, während Samuel Ben und Mary Jo anknurrte, dass sie ihn ruhig halten sollten.

Beim nächsten Schuss Morphium verteilte Samuel uns alle neu. Ben über Adams Beine - »Und denk nicht, ich hätte deine Hände nicht bemerkt, Ben. Du bist als Nächster dran.« Mary Jo auf dem einen Arm, direkt über dem Ellbogen. Ich auf dem anderen.

»Kannst du ihn halten?«, fragte Samuel.

»Nicht, wenn er das nicht will«, antwortete ich.

»Es ist in Ordnung«, sagte Adam. »Ich werde ihr nicht wehtun.«

Samuel lächelte angespannt. »Nein, wahrscheinlich nicht.«

Als Samuel sich mit der Bürste an Adams Gesicht zu schaffen machte, musste ich die Augen schließen. »Shhh«, beruhigte mich Adam. »Es ist bald vorbei.«

 

 

Wenig später kam Warren. Zu spät, um bei Adam zu helfen, aber er und Mary Jo hielten Ben fest, während Samuel die schwarze Haut und die Blasen von seinen Händen bürstete. Er hatte sich nicht zweimal verwandelt und schon angefangen, falsch zu heilen, aber trotzdem war es schlimm genug.

Adam hatte die Augen geschlossen und ruhte sich aus, während ich neben ihm stand, meine Hände um seinen Oberarm gelegt. Das war eine der wenigen Stellen, an denen seine Haut nicht verbrannt war. Die Verbindung zwischen uns hatte sich noch nicht wieder aufgebaut, und ich musste mich auf meine normalen Sinne verlassen, um zu erraten, was er empfand. Es überraschte mich, dass ich die Verbindung vermisste, jetzt wo sie weg war, denn immerhin hatte sie mich vorher ja ziemlich unglücklich gemacht.

Meine Ohren verrieten mir, dass er nicht wirklich schlief, sondern nur döste. Ben war nicht so ruhig wie Adam, aber er bemühte sich offensichtlich nach Kräften, nicht zu laut zu schreien. Schließlich grub er seine Zähne in Warrens Bizeps und biss zu.

»Guter Junge«, sagte Warren, ohne zusammenzuzucken. »Kau nur ein wenig auf mir rum, wenn das hilft. Zu weit vom Herzen entfernt, um echten Schaden anzurichten. Verdammt, ich hasse Feuer. Pistolen, Messer, Reißzähne und Krallen sind übel - aber Feuer ist am schlimmsten.«

Adams Hände sahen aus wie ein roher Hamburger, aber zumindest nicht mehr wie ein verbrannter Hamburger und eine davon legte sich nun über meine und schloss sich über meinen Fingern. Ich versuchte, mich von ihm zu lösen, aber er öffnete die Augen und hielt mich fest.

»Okay, das war's«, sagte Samuel und trat einen Schritt von Ben zurück. »Setzt ihn auf den Stuhl, und lasst ihn mal kurz in Ruhe.«

»Ich habe eine Kühlbox voller Rinderbraten dabei«, sagte Warren. »Sie steht draußen im Truck, also können wir sie füttern.«

Samuel riss den Kopf hoch. »Dein Alpha steckt in Schwierigkeiten, und du hältst an und gehst erstmal Fleisch kaufen?«

Warren lächelte mit kaltem Blick, während Blut von dem Arm tropfte, an dem Ben genagt hatte. »Nö.«

Samuel starrte ihn an - und Warren starrte an die Wand hinter ihm, ohne auch nur ein Stück nachzugeben. Er konnte Samuel zwar gut leiden, aber Samuel war nicht sein Alpha. Er würde dem einsamen Wolf nicht das Recht einräumen, seine Handlungen infrage zu stellen.

Ich seufzte. »Warren. Warum hast du eine Kühlbox mit Rinderbraten parat?«

Der Cowboy drehte sich zu mir um und schenkte mir ein breites Lächeln. »Kyles Versuch, witzig zu sein. Frag nicht.« Seine Wangenknochen röteten sich ein wenig. »Der Tiefkühlschrank und der Kühlschrank in Kyles Haus sind schon voll. Wir haben alles in die Kühlbox gepackt, damit ich es in meinem Haus in den leeren Tiefkühler räumen kann, aber ich bin noch nicht dazu gekommen.« Er schaute zu Samuel. »Sind wir heute ein wenig bissig?«

»Er wartet darauf, dass Mercy ihm eine Standpauke hält«, sagte Adam. Seine Stimme war sehr leise, aber, hey, wir alle hatten wirklich gute Ohren. »Und Mercy denkt darüber nach, ob sie es tun sollte, während wir alle zuhören, oder lieber nicht.«

»Was hat Mercy gegen dich in der Hand?«, fragte Warren. Als klar wurde, dass Samuel nicht antworten würde, schaute er zu mir.

Ich beobachtete Samuel. »Ich kann einfach nicht mehr«, sagte er schließlich. »Es ist besser, jetzt zu gehen, bevor ich jemanden verletze.«

Ich war zu müde, um diesen Dreck zu schlucken. »Zur Hölle, von wegen du kannst nicht. ›Geh nicht so willig in den Schoß der Nacht‹, Samuel. ›Stets ringen um das Licht mit aller Macht.«‹ Er hatte mir dabei geholfen, dieses Gedicht auswendig zu lernen, als ich auf der High School war. Ich wusste, dass er sich daran erinnern würde. »›Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild‹ Mercy, ›ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht sein Stündchen auf der Bühn' und dann nicht mehr vernommen wird.‹« Er antwortete mit Shakespeare auf meinen Dylan Thomas und sprach das Zitat mit mindestens so viel müder Trostlosigkeit wie der beste Schauspieler. »›Ein Märchen ist's, erzählt von einem Blödling, voller Klang und Wut, das nichts bedeutete‹« Die letzten Worte sprach er mit einem Hauch von Bitternis.

Ich war so wütend, dass ich ihn hätte schlagen können. Stattdessen klatschte ich in gespielter Bewunderung. »Sehr bewegend«, sagte ich. »Und dämlich. Macbeth hat seinen Oberherrn getötet und ist seinem Ehrgeiz gefolgt, um damit Leid und Tod über alle Beteiligten zu bringen. Ich denke mal, dein Leben ist mehr wert als seines. Mehr für mich - und für jeden Patienten, der von dir behandelt wird. Heute Nacht waren es Adam und Ben.«

»Rechne mich auch dazu«, sagte Warren. Vielleicht wusste er nichts über den Grund dieses Gesprächs, aber jeder Wolf würde zumindest das Kernthema schnell verstehen. »Wenn du nicht da gewesen wärst, als mich vor nicht allzu langer Zeit dieser Dämon erwischt hatte, wäre ich tot.«

Samuels Reaktion war nicht, was ich erwartet hatte. Er senkte den Kopf und knurrte Warren an: »Ich bin nicht für dich verantwortlich.«

»Doch, bist du«, sagte Adam und schlug die Augen auf.

»Geht dir das gegen den Strich?«, fragte Warren sanft. Er zuckte mit den Schultern. »Leute sterben. Ich weiß das; du weißt das. Selbst Wölfe wie wir sterben. Wenn du in der Gegend bist, sterben weniger Leute. Das sind Fakten. Dass du sie nicht hören willst, ändert nichts daran.«

Samuel stiefelte von uns allen weg. Es gab allerdings nicht viel Platz hier, und so blieb er mit gesenktem Kopf vor der Wand stehen. »Ich hatte gehofft, es könnte einfacher werden, Mercy. Aber ich hatte vergessen - einfach ist nicht dein Ding.« Er drehte sich um und schaute mir direkt in die Augen. Als er wieder sprach, war es in diesem zärtlichen, herablassenden Tonfall, von dem ich dachte, dass ich ihn längst davon kuriert hätte. »Du kannst mich nicht retten, Mercy. Nicht, wenn ich nicht gerettet werden will.«

»Samuel«, sagte Adam mit fordernder Stimme, viel energischer, als sein Zustand es eigentlich erlaubte. Er hob sich auf die Ellbogen und starrte den anderen Wolf an. Samuel erwiderte Adams Blick... Und dann sah ich für einen Moment Entsetzen über sein Gesicht huschen, bevor er anfing, sich in einen Wolf zu verwandeln. Es war ein schmutziger Trick, etwas, das Alphas - starke Alphas -können. Sie können anderen Wölfen die Verwandlung auf zwingen. Ich vermute, dass es niemals funktioniert hätte, wenn Adam Samuel nicht überrascht hätte. Adam hielt Samuels Blick, während wir mit angehaltenem Atem warteten. Fünfzehn Minuten sind eine lange Zeit, um still zustehen. Und am Ende war Samuel verschwunden und der weißäugige Wolf war statt seiner da.

Der Wolf lächelte Adam an.

»Ich kann dich vielleicht nicht retten, alter Junge«, sagte Adam, legte sich wieder hin und schloss die Augen. »Aber ich kann uns die Zeit verschaffen, die wir brauchen, um dich so hart in den Arsch zu treten, dass du aufhörst, über morgen und morgen und dann wieder morgen‹ nachzudenken und stattdessen darüber nachdenkst, warum dir dein Arsch so wehtut.«

»Manchmal«, sagte Warren, »ist es wirklich leicht zu erkennen, dass du mal beim Militär warst, Boss.«

»Arschtreten ist ein integraler Bestandteil der Armee, sowohl passiv als auch aktiv«, stimmte Adam zu, ohne die Augen zu öffnen.

Mary Jo starrte immer noch Sam an. »Sein Wolf hat die Kontrolle«, sagte sie tief entsetzt.

»Schon seit ein paar Tagen«, stimmte Adam zu. »Bis jetzt keine Leichen.« Er wusste nichts von dem Feenwesen im Buchladen... Aber ich war mir nicht sicher, ob das zählte. Das war Notwehr gewesen, kein unkontrollierter Amoklauf, auch wenn Sam mich hinterher fast als Dessert gefressen hätte.

Sam suchte nachdenklich meinen Blick und mir ging auf, dass er... anders wirkte, ausdrucksstärker als in Phins Buchladen - genauso, wie ich Samuels Wolf kannte. Ich hatte vorher gedacht, er würde aggressiver, aber jetzt sah ich, dass er auch... weniger Samuel gewesen war, selbst weniger Sam. Unsere kleine Katastrophe hatte uns vielleicht noch etwas Zeit erkauft.

»Ich nehme an, dass der Marrok nichts von Samuel weiß?« Warren brach das Schweigen und klang dabei ganz nach Cowboy, sehr lässig - was gewöhnlich bedeutete, dass er alles war, nur das nicht.

»Irgendwie schon«, sagte ich. »Ich habe ihm gesagt, dass er es so genau noch nicht wissen will, und er hat mir geglaubt. Aber nur unter der Bedingung, dass ich mit Charles rede. Und Charles' zufolge lautet die gute Nachricht, dass Samuels Wolf sofort angefangen hätte, Chaos zu verbreiten, wenn er ein wenig unabhängiger wäre. Die schlechte Nachricht ist, dass auch sein Wolf langsam verblassen wird, wenn wir Samuel nicht bald aus seinem Loch holen.« Und es hatte schon angefangen. »Und dann haben wir trotzdem einen toten Samuel, und dazu noch jede Menge Leichen.«

»Quasi eine Wikinger-Bestattung«, kommentierte Warren. Mary Jo warf ihm einen scharfen Blick zu, den er zurückgab. »Ich kann lesen, solange es auch viele gute Bilder gibt«, sagte er und sprach noch langsamer als normalerweise und mit einer Grammatik, die viel mehr einem texanischen Cowboy entsprach.

»Das ist mein Spruch«, erklärte ich Warren. »Und ich nehme dir wirklich übel, dass du ihn geklaut hast.«

Ben lachte. Aber dann fragte er: »Inwiefern ist verblassen anders als einfach nur der Wolf, der die Kontrolle übernimmt?«

Wölfe sind unverblümte Wesen und haben meistens keine Geduld für das vorsichtige Lavieren, das wir anderen als Höflichkeit betrachten.

»Ich habe es so verstanden, dass Sam sich in Reißzähne ohne Hirn verwandeln wird, bevor er danach einfach tot umfällt«, erklärte ich ihnen. »Wahrscheinlich mit weniger Schaden, als normalerweise entsteht, wenn der Wolf die Kontrolle übernimmt. Besonders, weil der Wolf nicht aufhört, bevor ihn jemand aufhält. Aber trotzdem ist es nicht gut.«

»Er wird einfacher zu töten sein, wenn es so weit kommt«, sagte Warren, der sofort die Vorteile erkannt hatte. Samuel war alt, mächtig und klug - wenn sein Wolf nur halb so klug war, dann würde es Bran oder Charles brauchen, um es mit ihm aufzunehmen. Auf diese Art konnte jeder von uns es schaffen, vorausgesetzt, er hatte eine Pistole mit silbernen Kugeln.

Sam schien sich an der Unterhaltung nicht zu stören. Er verengte die Augen zu Schlitzen und schnappte mit vorgetäuschter Wildheit in Warrens Richtung. Aber seine Ohren waren aufgerichtet, also spielte er nur.

Sie alle machten mir mit ihrer Akzeptanz der Realität Kopfschmerzen.

»Packt zusammen, Kinder«, sagte Adam, die Augen immer noch geschlossen. »Es ist Zeit, diese Party nach Hause zu verlagern.«

Zu Hause.

Ich warf einen besorgten Blick zu Warren. Adam würde in ein oder zwei Tagen wieder auf den Beinen und einsatzfähig sein - dank der schicken Werwolf-Heilungs-Superkräfte. Aber das Rudel war immer noch in Aufruhr.

»Geht klar, Boss.« Warren nickte mir zu, während er weiter mit Adam sprach. »Ich nehme an, ich bleibe mal besser eine Weile in deiner Nähe, wenn es dir nichts ausmacht. Darryl wird auch da sein.«

 

 

Wir packten Adam auf die Ladefläche von Warrens Truck, auf eine dicke Camping-Matte und zugedeckt mit einem Schlafsack. Werwölfe sind ziemlich immun gegen Kälte - besonders solche Kälte, wie sie die Tri-Cities im Winter aufbrachten. Aber wir wollten einfach kein Risiko eingehen, Er akzeptierte den Wirbel um ihn mit einer Art königlicher Belustigung, was auch ein wenig anerkennend war, obwohl er kein Wort sagte.

»Camping?«, murmelte ich Warren zu, nachdem wir Adam eingepackt hatten. »Du hast Kyle tatsächlich dazu gebracht, Campen zu gehen?« Kyle wusste die Annehmlichkeiten der Zivilisation sehr zu schätzen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass er freiwillig ein Wochenende im Wald verbrachte.

»Ne«, antwortete er. »Zumindest nicht über Nacht. Aber ich setze meine Hoffnungen auf den nächsten Frühling.«

»Aber du hattest Schlafsäcke und Camping-Matten in deinem Truck.« Ich konnte das Lächeln nicht unterdrücken, das sich auf meinem Gesicht ausbreitete. »Hängt das irgendwie mit der Kühlbox voller Fleisch zusammen?«

Er senkte den Kopf ein Stück, aber gleichzeitig grinste er. »Frag mich nichts, was du nicht wissen willst, Mercy.«

Mary Jo blieb bei Adam im Truck, während ich meinen Golf fuhr, mit Ben auf dem Beifahrersitz und Sam auf der Rückbank. Ben hatte angeboten, den Golf nach Hause zu fahren, damit ich bei Adam bleiben konnte, aber seine Hände waren immer noch offen und schmerzten. Mary Jo würde nichts tun, was Adam verletzte; egal, wie sehr sie mich ablehnte oder sogar hasste, es hatte keinen Einfluss auf ihren Wunsch, für seine Sicherheit zu sorgen.

Sobald ich losgefahren war, sagte Ben: »Du musst herausfinden, wer der zweite Wolf war, der Wachdienst hatte.«

»Was?«

»Der zweite Wolf, den Adam mit Mary Jo auf Wache geschickt hat. Sie will es nicht sagen, und sie ist dominanter als ich, also kann ich sie nicht fragen. Und wenn Warren sie fragt... Sie gehört zu der Fraktion, die der Meinung ist, dass er nicht zum Rudel gehören sollte.«

»Was?« Ich hatte gedacht, alle homophoben Elemente im Rudel wären Männer.

Ben nickte. »Sie behält ihre Meinung eher für sich, aber sie ist auch sturer als viele andere. Wenn Warren ihr einen Befehl gäbe, den sie nicht befolgen will - wie zum Beispiel jemanden zu verraten, der ihr etwas bedeutet -, würde sie sich ihm wahrscheinlich widersetzen. Er würde ihr Schmerzen zufügen müssen, und das würde ihn mehr verletzen als sie, weil er sie mag - und keine Ahnung hat, dass sie zu den Dummen gehört.«

Ich hatte immer gedacht, dass auch Ben einer der Dummen wäre. Man musste mir das wohl vom Gesicht ablesen können, weil er anfing zu lachen.

»Ich war ziemlich verbittert, als ich hier ankam. Ost-Washington ist ein ziemlicher Abstieg nach London.« Er schwieg für eine Weile, aber ungefähr zu der Zeit, als ich auf die Schnellstraße einfuhr, sagte er mit sanfter Stimme: »Warren ist okay. Ihm ist das Rudel wichtig, und das ist in den oberen Rängen nicht so häufig, wie man meinen sollte. Ich habe eine Weile gebraucht, das anzuerkennen - und das lag an mir.«

Ich tätschelte ihm den Arm. »Hat uns auch eine Weile gekostet, mit dir warmzuwerden«, sagte ich. »Muss an deiner charmanten Persönlichkeit liegen.«

Er lachte wieder, aber diesmal mit echtem Humor. »Ja. Kein Zweifel. Du kannst manchmal ein ganz schönes Miststück sein, weißt du das?«

Die Antwort darauf war seit Schulzeiten tief festgefahren. »Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen... Du glaubst also, dass noch jemand anders beobachtet hat, wie Adam in ein brennendes Gebäude gesprungen ist, um mich zu retten, und nichts unternommen hat, um ihn aufzuhalten?«

»Ich denke, dass Adam uns immer zu zweit losschickt. Einen an der Spitze und einen als Rückendeckung. Immer. Mary Jo war nicht allein da draußen, als du und Samuel weggefahren sind. Sie war nicht die Einzige, die diejenigen beobachtet hat, die dein Haus angezündet haben.«

Er schwieg für einen Moment. »Ich glaube, ich weiß, wer es ist, aber ich bin nicht vorurteilsfrei, also werde ich den Mund halten. Denk nur bitte daran: Mary Jo... Sie ist letzten Endes ein anständiger Kerl. Sie ist Feuerwehrfrau, seitdem sie Frauen in die Teams aufgenommen haben. Kann sein, dass sie dich nicht besonders mag, aber mit Samuel hat sie kein Hühnchen zu rupfen. Ich glaube nicht, dass sie die Brandstiftung einfach hätte geschehen lassen, wenn sie nicht von jemandem beeinflusst worden wäre. Und es gibt nicht viele Wölfe im Rudel, die ihren gesunden Menschenverstand so außer Kraft setzen können.«

»Du glaubst, jemand anders hat die Entscheidung getroffen, die Befehle zu missachten.«

Ben nickte langsam. »Ja. Das tue ich.«

»Jemand, dem Adam genug vertraut, so dass er nicht auf dessen Anwesenheit beim Treffen im Haus bestanden hat.«

»Ja.«

»Verdammt.«