5

 

Adam kam mit Sam auf den Fersen ins Büro, während Sylvia und ihre Familie noch in der Werkstatt waren und darauf warteten, dass Zee den Buick herausfuhr. Ich konnte aus Adams Miene ablesen, dass er jedes Wort gehört hatte, das zwischen Sylvie und mir gefallen war. Er legte mir eine Hand auf die Schulter und küsste mir die Stirn.

»Sei nicht nett zu mir«, sagte ich. »Ich habe Mist gebaut.«

»Es ist nicht dein Fehler, dass dieser übereifrige Junge mit gezogener Waffe hier reingestürmt ist«, meinte Adam. »Jemand hat ihm eine Menge Lügen aufgetischt. Tony und er versuchen, seine Produzentin zu erreichen, aber sie geht nicht ans Telefon. Ich nehme an, dass sie einen großen Kampf fürs Fernsehen wollte. Mann gegen Werwolf.«

»Vielleicht«, meinte ich. »Vielleicht war er nicht mein Fehler. Aber wäre es nicht Kelly Heart gewesen, hätte es genauso gut ein Vampir oder einer vom Feenvolk sein können. Und keiner davon würde zögern, Gabriel oder eines der Mädchen zu töten, wenn sie ihm im Weg stünden.«

Die Hand auf meiner Schulter glitt nach unten und zog mich in eine Umarmung. Ich lehnte mich gegen ihn, obwohl ich wusste, dass ich sie mir unter Vortäuschung falscher Tatsachen erschlich - an der Art, wie er mich tröstete, konnte ich ablesen, dass er das volle Ausmaß meiner Verfehlung noch nicht verstanden hatte. Zweifellos war er zu beschäftigt gewesen, um Sam richtig anzuschauen - und Sam hatte wunderbarerweise nichts getan, was die Aufmerksamkeit der anderen erregt hätte. Noch nicht. Der Tag war noch jung.

Ich atmete tief Adams Geruch ein und fand darin einen Trost, den ich nicht verdiente. Ich hatte viel zu viel Mitleid mit mir selbst, und auch darauf hatte ich keinen Anspruch. Ich entzog mich ihm und sprang auf den Tresen, um zu sitzen, bevor ich alles gestand - ich könnte es nicht ertragen, ihn zu berühren, wenn er beschloss, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Wie Sylvia es getan hatte.

Das klebrige schwarze Zeug, das auf meiner Arbeitsfläche verschmiert gewesen war, seitdem jemand im Mittelalter ein Stück Papier an den Tresen geklebt hatte, war verschwunden, und ich ließ meinen Finger über die saubere Stelle gleiten. Die Cookies hatte sie zurückgelassen.

»Mercy?«

Ich hatte ihn betrogen. Aus den besten Gründen der Welt, aber ich war seine Gefährtin - und ich hatte mich für Samuel entschieden. Ich nehme an, ich hätte hoffen können, dass er nichts bemerkte, aber das erschien mir jetzt im Licht des Morgens einfach falsch. Was, wenn Heart nicht zuerst hier aufgetaucht wäre? Was, wenn er Adam getroffen und ihn erschossen hätte? Was, wenn er zu Adams Firma gefahren wäre oder ein Foto von ihm gehabt hätte... Wenn man darüber nachdachte, war das nicht seltsam? Adam war als Werwolf geoutet, und sein Gesicht machte sich wirklich gut auf Fotos.

Jemand wollte nicht, dass Heart wusste, wer Adam ist. »Mercy?«

»Tut mir leid«, erklärte ich ihm. »Ich versuche, mich abzulenken. Du musst dir Samuel anschauen.« Ich spielte an einem Fleck auf meinem Overall herum, weil ich ihm einfach nicht in die Augen sehen konnte. Wenn Bran wollte, dass Samuel starb, dann musste er erst gegen mich angehen - was er konnte. Aber ich war durch damit, Adam anzulügen - und sei es nur durch Verschweigen -, nur um Bran davon abzuhalten, etwas herauszufinden.

Sam war an uns vorbeigetrottet und stand in der Tür zur Werkstatt. Ich konnte hören, dass Maia immer noch nach ihrem Welpen schrie.

»Welpe?«, fragte Adam amüsiert. Sam drehte sich um, sah ihn an - und Adam erstarrte. Ich war auf meinem Weg an dumm vorbei in Richtung idiotisch. Erst als Adam erstarrte, ging mir plötzlich auf, dass es vielleicht nicht die beste Idee war, dem Alpha des Columbia Rudels in der Enge meines Büros zu zeigen, dass er ein Problem mit Sam hatte. Es war Sam, der als Erster knurrte. Zorn breitete sich auf Adams Gesicht aus. Sam war dominanter, aber er war kein Alpha - und Adam würde sich in seinem eigenen Revier nicht kampflos unterwerfen.

Ich sprang vom Tresen, um mich zwischen sie zu stellen. »Beruhig dich, Sam«, blaffte ich, bevor mir einfiel, was für eine schlechte Idee das war. Ich vergaß es immer wieder - nicht, dass Samuel Probleme hatte; daran dachte ich ständig - sondern, dass sein Wolf nicht Samuel war. Nur weil er sich noch nicht in eine reißende Bestie verwandelt hatte, zu dem alle anderen Werwölfe geworden waren, die ich je hatte die Kontrolle verlieren sehen, hieß nicht, dass er ungefährlich war. Mein Kopf wusste das - aber ich benahm mich trotzdem weiterhin, als wäre er nur Samuel. Weil er sich benahm, wie Samuel es getan hätte. Überwiegend.

Sam nieste und drehte uns den Rücken zu - und ich wagte wieder zu atmen.

»Es tut mir leid«, entschuldigte ich mich bei beiden. »Das war eine dumme Art, die Dinge anzupacken.«

Ich wollte Adam nicht anschauen. Ich wollte nicht sehen, ob er wütend oder verletzt oder was auch immer war. Ich hatte für diesen Tag schon genug. Und das war das Verhalten eines Feiglings. Also drehte ich mich um und schaute zu ihm auf, den Blick starr auf sein Kinn gerichtet - wo ich seine Reaktion sehen konnte, ohne ihn noch durch einen Blick in die Augen herauszufordern.

»Du bist ja so im Arsch«, sagte er nachdenklich.

»Es tut mir leid, dass ich dich habe glauben lassen...«

»Was?«, fragte er. »Dass du ein wenig Abstand vom Rudel brauchst, von mir? Während du in Wirklichkeit dafür sorgen wolltest, dass keiner von uns Samuel sieht?« Er klang vernünftig, aber ich konnte die weiße Linie an seinem Kiefer sehen, die daher kam, dass er die Zähne zusammenbiss. Und auch die Anspannung in seinem Nacken.

»Ja«, antwortete ich. Ben tobte in den Raum - sah unser kleines Schauspiel und blieb abrupt stehen. Adam warf ihm über meine Schulter einen Blick zu, und sofort zuckte Ben zusammen und senkte den Kopf.

»Ich habe es nicht gefangen«, sagte er. »Sie. Das Feending. Aber sie war bewaffnet und hat ihre Waffe fallen lassen, als sie geflohen ist.« Er trug eine Jacke, und darunter zog er jetzt ein Gewehr heraus, das nur sehr wenige Metallteile hatte. Wäre es ein wenig hübscher gewesen, hätte es fast wie ein Spielzeug gewirkt, weil es überwiegend aus Plastik bestand.

»Kel-Tec Gewehr«, sagte Adam, und ich konnte sehen, wie er sich zusammenriss, um sachlich zu wirken. »Gebaut, um Pistolenpatronen aus Pistolenmagazinen zu schießen.« Ben übergab das Gewehr, und Adam löste das Magazin aus der Waffe. Dann riss er mit einem Zischen die Hand zurück und ließ das Magazin auf den Tresen fallen. »Neun Millimeter«, sagte er. »Silbermunition.« Er schaute mich an. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass du entweder mit einer Achtunddreißiger oder mit einer Neun-Millimeter-Pistole auf Heart gezielt hast.«

Meine Verfehlung war noch nicht abgetan, sondern nur vertagt. Ich wünschte, ich könnte es einfach hinter mich bringen. »Neun Millimeter«, stimmte ich ihm zu. »Sie hätte jemanden erschießen können, und es wäre dem Kopfgeldjäger angelastet worden. Wie wahrscheinlich ist schon, dass jemand die Kugeln überprüft und rausgefunden hätte, dass sie nicht aus derselben Waffe stammten?«

»Jemand sollte sterben«, sagte Ben. »Das glaube ich zumindest.«

»Ich stimme zu«, sagte Zee von der Tür zur Garage her. Samuel bewegte sich - ein wenig steifbeinig, aber er bewegte sich -, so dass Zee ins Büro kommen konnte.

»Die ballistische Untersuchung hätte keine Rolle gespielt«, sagte Zee. »Dafür zu sorgen, dass eine Kugel der anderen ähnelt, ist für die Angehörigen des Feenvolks, die mit Silber umgehen, kein Problem. Selbst ein paar mit sehr wenig Magie könnten das zuwege bringen. Eisen ist für die meisten vom Feenvolk unmöglich zu bearbeiten, Blei ist nicht viel besser, aber Silber... Silber akzeptiert Magie leicht und hält sie.«

Mein Wanderstab war mit Silber beschlagen.

Zee sprach weiter. »Die Kugel würde das Aussehen der anderen annehmen. Noch ein paar Schutzzauber mehr, und die zusätzliche Kugel verschwindet. Und wer immer das war, es waren keine Geringfügigen unter dem Feenvolk - sie hatten einen gewissen Anflug der Jagd - der Wilden Jagd.«

»Ich weiß nicht, was das bedeutet.« Aber unser Feenvolk-Mörder war darauf aus gewesen, Werwölfe zu töten. Adam zu töten. Ich musste so viel herausfinden, wie ich konnte.

»In seinem Fall, sinnlose Gewalt«, erklärte Zee mir. »Die Art, die dafür sorgt, dass ein Mann auf die Leichen starrt und sich fragt, warum er sich entschieden hat, abzudrücken, wo er doch eigentlich nur seinen Standpunkt verdeutlichen wollte. Wäre ich nicht hier gewesen, um dem entgegenzuwirken...« Er zuckte mit den Achseln und schaute zu Adam. »Jemand wollte dich tot sehen, mit einem klaren Schuldigen, damit niemand zu genau hinschaut.«

Adam legte das Gewehr neben das Magazin auf den Tresen, schnappte sich Bens Jacke und bedeckte beides damit. »Ich habe in letzter Zeit das Feenvolk nicht gegen mich aufgebracht. Oder?«

Zee schüttelte den Kopf. »Wenn überhaupt, dann funktioniert es andersherum. Es muss ein bestimmtes Individuum sein.« Er runzelte die Stirn, dann meinte er zögernd: »Ich nehme an, es könnte sie auch jemand angeheuert haben.«

Ben meinte: »Ich habe noch nie jemanden vom Feenvolk gesehen, der moderne Waffen verwendet.« Er drehte sich zu Adam um. »Ich weiß, dass sie vom Feenvolk war und alles - aber könnte sie eine dieser Trophäen-Jäger sein?«

»Trophäen-Jäger?«, fragte Zee, bevor ich dasselbe tun konnte.

»David hat dieses Jahr zwei Leute gefangen genommen und einen getötet - sie haben ihn gejagt«, erklärte Adam. »Einer war ein Großwildjäger; einer hat sich als Serienkiller entpuppt, der sich bis jetzt als Beute Marines der örtlichen Basis vorgenommen hatte und nun zu größerer Beute wechseln wollte. Und einer war ein Kopfgeldjäger - obwohl auf Davids Kopf genauso wenig eine Prämie ausgesetzt ist wie auf meinen. Es sah so aus, als hätte er sich nur mal daran versuchen wollen, einen Werwolf zu jagen.«

»David Christiansen?«, fragte ich. Christiansen war ein Söldner, dessen kleine Truppe darauf spezialisiert war, Geiseln zu befreien - ich hatte ihn nur einmal getroffen, bevor er berühmt geworden war. Als er ein paar Kinder aus einem Terroristencamp in Südamerika gerettet hatte, hatte ein Fotograf eine Reihe von Bildern geschossen, auf denen Christiansen gleichzeitig heldenhaft und süß wirkte. Die Fotos waren in die nationalen Nachrichten gekommen - und der Marrok hatte David als den ersten Werwolf ausgewählt, der öffentlich gestand, was er war - und damit zum berühmtesten Werwolf des Landes wurde.

»Ja«, antwortete Adam.

»Das grausamste Spiel«, murmelte ich. Sehen Sie? Meine Bildung war nicht an mich verschwendet, egal, was meine Mutter behauptet. Ich kannte Richard Connell.

»Aber das fühlt sich nicht so an«, sagte Adam. »Das war nichts Persönliches. Heart hat mich nicht gejagt, weil er Nervenkitzel wollte, oder zumindest nicht nur deswegen. Jemand hat ihm eine Falle gestellt.«

»Und das nicht mal besonders gut«, fügte ich hinzu. »Er wusste nicht, wer du bist - und seine Produzentin hätte nur eine kurze Internetrecherche machen müssen, um ein Bild von dir zu finden. Man sollte meinen, dass jemand, der ihn dir auf den Hals hetzt, sicherstellen würde, dass er genau weiß, wen er erschießen darf.«

Adam klopfte mit dem Fuß auf den Boden. »Das fühlt sich an wie ein professioneller Job. Jede Menge Planung und eine Menge Arbeit, um jemanden auf eine möglichst öffentliche Art und Weise zu töten. Und, das verrät uns am meisten, als es nicht nach Plan lief, hat sie sich zurückgezogen.«

»Nicht ›jemanden‹«, sagte ich. »Dich. Es ergibt Sinn. Sie wollte nicht, dass Heart dich tötet; das wollte sie selbst erledigen.«

»Nein.« Das war Ben. »Es war falsch, einen Trophäen-Jäger zu vermuten. So fühlt es sich nicht an. Es war nicht persönlich. Eine Frau, die es auf dein Blut abgesehen hat - wenn wir mal davon ausgehen, dass Feenvolkfrauen so sind wie der Rest der Nu...«

»Es ist eine Dame anwesend«, knurrte Adam. »Hüte deine Zunge.«

Ben grinste mich an. »Schön. Wenn wir davon ausgehen, dass Feerwolkdamen so sind wie andere Damen auch, dann wäre sie aufgeregt gewesen und hätte deinem Tod entgegengefiebert. Und wäre wütend gewesen, als ich kam und ihr den Spaß versaut habe. Sie hat nicht mal gezögert, als sie mich entdeckt hat. Hat das Gewehr fallen gelassen und ist weggelaufen - kein Getue, kein Aufstand.«

»Gut ausgebildet«, sagte Adam. »Oder einfach nur kühl kalkulierend.« Er schaute mich an. »Und wenn ich auch zugeben muss, dass es stark danach aussieht, als wäre ich das Ziel gewesen, hätten es genauso gut du oder Zee sein können. Heart hatte Silberkugeln - also hat die Killerin diese auch benutzt. Das heißt nicht, dass sie Werwölfe gejagt hat, nur weil wir wissen, dass es bei Heart so war.«

Tony öffnete die Vordertür. »Geht's dir gut, Mercy?«

»Prima«, log ich, aber ich erwartete nicht, dass irgendjemand mir das wirklich abnahm.

Tony runzelte die Stirn, dann schaute er zu Adam. »Haben Sie irgendwelche Feinde, von denen wir wissen sollten? Es scheint so, als hätte Hearts Produzentin es auf Publicity abgesehen - obwohl wir Genaueres erst wissen werden, wenn wir sie ausfindig gemacht haben. Er hatte den richtigen Papierkram, wenn man mal darüber hinwegsieht, dass er nicht rechtmäßig war. Es gab auch eine Bilderserie von den Opfern. Wir werden feststellen, wo sie sie herhatte, wenn wir mit ihr sprechen.«

»Internet«, sagte Ben. »Es gibt eine Webseite nur für die Bilder von Leichen.«

Wir alle starrten ihn an, und er feixte. »Hey. Schaut mich nicht so an - es liegt am Job.«

Als er Tonys ausdruckslose Miene bemerkte, fuhr er fort: »Informationstechnik, IT - Sie wissen schon, Computer. In der Arbeit stellen wir uns Herausforderungen, wenn wir uns langweilen - in der Art von: derjenige, der die schlimmste Internetseite findet, wird zum Mittagessen eingeladen. Ich habe das kostenlose Mittagessen gewonnen - die Leichen-Website hat gewonnen. Als ich mit den Leuten des Kopfgeldjägers geredet habe, haben sie mir die Bilder der Leichen in dem Ordner gezeigt. Auf der Leichen-Website gibt es eine Unterseite, die nur Bilder von tödlichen Tierattacken beinhaltet. Ich habe eines der Fotos wiedererkannt.«

»Du bist ein kranker, kranker Kerl«, erklärte ich ihm.

»Danke« antwortete Ben und spielte den Bescheidenen.

»Jemand ist hinter Ihnen her«, sagte Tony zu Adam.

»Siehst du?«, sagte ich. »Tony denkt auch, dass du das Ziel bist.«

Adam zuckte mit den Achseln. »Ich werde vorsichtig sein.« Werwölfe sind ziemlich taff, und Adam ist taffer als die meisten - aber trotzdem hatte ich schon eine Menge von ihnen sterben sehen.

»Tja, also, dann legen Sie mich auf die Schnellwahltaste und töten Sie niemanden, außer es geht nicht anders.« Tony schaute wieder zu mir. »Hey, Mercy. Hast du mit Sylvia geredet? Sie wirkte ziemlich aufgeregt, als sie gegangen ist. Sind alle in Ordnung?« Ich konnte die Emotionen in seinem Blick sehen. Er war an ihr interessiert und hatte sich ihr einmal genähert. Sie hatte ihm mitgeteilt, dass sie nicht mit Leuten ausging, mit denen sie zusammenarbeitete - und, soweit es Sylvia betraf, war es das gewesen.

»Sie war nicht besonders glücklich darüber, dass Heart eine Waffe auf Maia gerichtet hat«, erklärte ich ihm. »Aber ich glaube, auf mich war sie wütender als auf Heart. Er hat keinen Werwolf mitgebracht und ihn mit ihren Kindern spielen lassen.«

Sein Gesicht wurde völlig ausdruckslos, wie die Maske, die Polizisten bei Vernehmungen aufsetzen.

»Ja«, sagte ich. »Ich glaube nicht, dass sie nochmal hierherkommt, um ihr Auto reparieren zu lassen. Gabriel kommt auch nicht mehr.«

»Du hast was getan?«

»Lassen Sie den Quatsch«, knurrte Adam. Er deutete auf Sam. »Dieser Wolf könnte niemals einem Kind ein Haar krümmen, und das wusste Mercy.«

»Heute herrschen besondere Umstände«, erinnerte ich Adam rau - wie konnte er vergessen, dass wir es nicht mit Samuel zu tun hatten, sondern mit seinem Wolf? »Sie war zurecht wütend auf mich. Wenn ich daran gedacht hätte, dass Sylvia und die Kinder hier sein würden, hätte ich ihn nicht mitgebracht.«

»Waren sie in Gefahr?«, fragte Tony.

»Nein«, antwortete Adam, und er meinte es ernst.

»Wusste Mercy das?«

»Ja«, sagte Adam gleichzeitig mit meinem »Nein«. »Sie fühlt sich nur schuldig, weil sie denkt, sie hätte es Sylvia trotzdem sagen müssen.«

Tony schaute wieder zu mir. »Sylvia ist nicht unvernünftig.« Er zögerte und schenkte mir ein kleines Lächeln. »Nicht wirklich. Wenn du es erklären würdest..«

»Sie sind weg«, sagte ich. »Es ist besser so. Seitdem ich mit den Wölfen renne« - und dem Feenvolk und den Vampiren -, »ist es hier einfach nicht mehr sicher.«

»Aber für dich ist es sicher?«

Bevor ich antworten konnte, öffnete die Tür sich ein weiteres Mal, und Kelly Heart kam in den Raum. Mein Büro ist nicht allzu groß - und hier drin waren bereits ich, Zee, Sam, Adam und Tony. Kelly war eineinhalb Personen zu viel. Sam knurrte den Kopfgeldjäger an, aber er hätte an Zee, Adam und mir vorbei gemusst, um ihn zu erreichen - oder er musste über den Tresen springen. »Mr. Heart?«, fragte ich.

»Meine Kameraleute haben mir erzählt, dass jemand die Kameras im Van zerstört hat.« Er schaute zu Ben. Der grinste. Sams Knurren wurde ein wenig lauter. Nach einem Moment zuckte Heart mit den Schultern. »Ziemlich kompliziert anzustellen. Also haben wir nur noch die Aufnahmen aus Joes Kamera, und die stoppen in dem Moment, wo Ms. Thompson mich entwaffnet hat. Aber die Kameras werden nicht von meinem Gehalt bezahlt.« Er schaute mich an. »Sie haben sich ziemlich schnell bewegt.«

»Kein Werwolf«, erklärte ich in gelangweiltem Tonfall, während ich mich an Ben vorbeischob, so dass ich mit dem Rücken zum Tresen stand. Das war nicht viel besser, weil Sam immer noch auf den Tresen und dann über mich hinwegspringen konnte, aber vielleicht würde es ihn ein wenig aufhalten.

»Ich bin nur hier, um die Pistole zu holen.« Er lächelte mich breit an. »Mein Team ist extrem besorgt, dass wir die Silberkugeln verlieren könnten.«

»Mercy«, sagte Tony. »Wenn du in Ordnung bist, muss ich nichts von irgendeiner Pistole wissen, die ich dann in meinem Bericht erwähnen müsste.«

»Uns geht's prima«, antwortete ich ihm. »Adam ist hier.«

»Genau«, meinte Tony trocken, nachdem er Adam kurz gemustert hatte. »Ich glaube, du bist sicher genug, Mercy. Ich mache mich wieder an die Arbeit.« Er öffnete die Tür. »Bist du dir sicher, dass ich nicht mit Sylvia sprechen soll?«

»Ich bin mir sicher. So ist es einfacher. Besser.«

»In Ordnung.« Er ging, aber es waren trotzdem noch zu viele Leute im Raum.

»Jetzt, wo die Polizei weg ist, werden Sie mir da verraten, worum es heute Morgen ging?«, fragte Heart. »Warum uns jemand aus Kalifornien hierherschicken sollte, nur um einen komplizierten Streich zu spielen, bei dem Leute hätten sterben können?«

»Nein«, sagte Adam.

Heart trat zwei Schritte vor und ragte über Adam auf. »Was hat Ihr Lakai auf der anderen Straßenseite gejagt?«

Bevor ich auch nur erwähnen konnte, dass es vielleicht ein wenig voreilig war, einen Werwolf zu bedrohen, hatte Adam den Kopfgeldjäger bereits gegen die Tür genagelt und seinen Unterarm auf Hearts Kehle gepresst. Heart war größer, breiter und scheinbar muskulöser - aber er war kein Werwolf.

»Das geht Sie nichts an«, erklärte Adam mit tiefer, hungriger Stimme.

»Er ist nicht der Feind«, meinte ich zu Adam. »Bring ihn nicht um. Und, Mr. Heart, falls Sie Werwölfe jagen wollen, dann sollten Sie auch Ihre Hausaufgaben machen. Drohen Sie niemals einem Alpha. Die mögen das nicht besonders.«

Adam verstärkte den Druck auf die Kehle des Kopfgeldjägers, aber immerhin hörte Heart nach einem kurzen Verteidigungsversuch auf zu kämpfen. Adam trat einen Schritt zurück. Seine Hände ballten sich ein paar Mal zu Fäusten, um sich dann wieder zu öffnen vielleicht kämpfte er so gegen das Bedürfnis an, den Kopfgeldjäger zu schlagen. Als er Heart den Rücken zuwandte, hatte ich das Gefühl, dass jeder im Raum erleichtert aufatmete.

»Ich bin genauso erregt wie Sie«, erklärte Heart Adam. »Daphne... Meine Produzentin wird vermisst. Sie ist ein guter Mensch. Jemand hat ihr diese Akte gegeben und sie dazu gebracht, mich auf Sie zu hetzen. Sie ist nicht in ihrem Büro, sie geht nicht an ihr Telefon, und ihre Haushälterin hat sie seit drei Tagen nicht gesehen. Und ich weiß nicht mal, wo ich suchen soll.«

Adam seufzte und zog die Schultern nach hinten, um seine Anspannung ein wenig zu lösen. »Ich weiß nicht, wo sie ist. Ich weiß nicht, wer das geplant hat oder warum - oder auch nur, ob ich wirklich das Ziel war. Geben Sie mir Ihre Visitenkarte. Wenn ich etwas herausfinde, was helfen könnte, werde ich mich bei Ihnen melden.«

»Gehört Ihre Produzentin zum Feenvolk?«, fragte ich Heart. Adam legte eine Hand auf meine Schulter - ein deutliches Signal, dass ich den Mund halten sollte. Er wollte nicht, dass ich Heart neugierig machte. Ich machte mir eher Sorgen darum, dass er vielleicht etwas wusste, was uns weiterhelfen konnte - etwas, was uns verraten würde, ob das anvisierte Opfer wirklich Adam gewesen war.

»Nein«, meinte Heart. »Warum? Hat das Feenvolk etwas damit zu tun?«

»Unseres Wissens nach nicht«, sagte Adam.

»Warum fragen Sie dann nach dem Feenvolk?«

»Sie scheinen sich ein wenig zu sicher zu sein, dass Ihre Produzentin nicht zum Feenvolk gehört.«

»Sie ist Mitglied von mehreren Anti-Feenvolk-Gruppierungen - was in Hollywood heutzutage wirklich Mut erfordert - und lässt sich gerne darüber aus, wie das Land sich den Täuschungen des Kleinen Volkes ergibt.«

»Wann haben Sie erfahren, dass Sie hierhergeschickt werden?«, fragte ich.

Heart drehte sich zu mir um und wirkte nachdenklich. »Gestern Morgen. Ja, das heißt, dass Daphne schon zwei Tage vorher nicht mehr zu Hause war.« Er lächelte mich an. »Sie wurden mir als die Augenweide des Alphas beschrieben.«

Adam prustete. »Was?«, fragte ich ihn. »Du findest also, ich bin kein guter Augenschmaus?« Ich schaute an mir herunter auf meinen blauen Overall und meine ölverschmierten Hände. Ich hatte mir mal wieder einen Nagel eingerissen.

»Honey ist ein Augenschmaus«, sagte Ben entschuldigend. »Du bist... einfach du.«

»Mein«, sagte Adam und schob sich zwischen Heart und mich. »Was sie ist, ist mein.«

Heart zog eine weitere Visitenkarte heraus und gab sie mir. »Rufen Sie mich an, wenn Sie noch Fragen haben. Oder wenn Sie etwas herausfinden, was dabei helfen könnte, Daphne zu finden. Sie ist ein guter Mensch. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie das hier als Streich oder Publicitygag geplant hat.«

Heart nickte Adam zu und ging. Ben folgte ihm aus der Tür - und Sam glitt durch den Türspalt, bevor die Tür zugefallen war.

Zee schaute Adam und mich an. »Ich gehe einfach und passe ein wenig auf Samuel auf, hm? Auf diese Art kriege ich was von der Beute ab, wenn er jemanden zur Strecke bringt.«

»Und du kannst Heart seine Pistole zurückgeben«, meinte ich.

Zee grinste fröhlich und zog ein Stück Metall hervor, das irgendwie hübsch war - Stahl mit Silbereinschlüssen. »Ich werde sicherstellen, dass er sie dabeihat, wenn er abfährt.« Er schloss die Tür hinter sich und ließ mich mit Adam allein.

»Mercy«, sagte Adam. Und dann klingelte sein Handy. Er riss es mit einer ungeduldigen Bewegung aus seiner Gürteltasche, schaute auf die Nummer, atmete einmal tief durch und ging dran.

»Hauptman«, grunzte er.

»Adam«, erklang die freundliche Stimme des Marrok. »Du musst Mercy und meinen Sohn für mich finden.«

»Ich weiß, wo sie sind«, sagte Adam und schaute mir in die Augen. Mit mir oder den anderen Wölfen im direkten Umfeld gab es niemals so etwas wie ein privates Telefongespräch. Adam hätte den Anruf auch draußen annehmen können, wo ein Privatgespräch mit Bran möglich gewesen wäre.

Es folgte eine kurze Pause. »Ah. Wärst du so freundlich, mir einen von ihnen zu geben?«

»Ich glaube«, meinte Adam vorsichtig, »dass es ein wenig voreilig wäre, das zu tun.«

Es folgte eine längere Pause, und Brans Stimme war um einiges kühler, als er wieder sprach. »Aha. Sei sehr vorsichtig, Adam.«

»Ich glaube, das bin ich«, meinte Adam.

»Ich kann mit ihm sprechen«, sagte ich, weil ich wusste, dass Bran mich hören konnte. Adam stellte sich wie ein Schild zwischen Samuel und seinen Vater. Wenn irgendetwas passierte, würde Bran ihn zur Verantwortung ziehen.

Ich liebe Bran. Er hat mich mindestens genau so sehr großgezogen wie meine Pflegeeltern. Aber ich bin nicht blind in meiner Liebe. Seine erste Pflicht ist immer, die Wölfe zu beschützen. Wenn das bedeutete, seinen Sohn töten zu müssen, würde er es tun - aber Adam würde er schneller töten.

Adam sagte: »Nein. Mein Revier, meine Verantwortung.«

»Schön«, sagte der Marrok. »Wenn ich oder die Meinen helfen können, wirst du mich anrufen.«

»Ja«, sagte Adam. »Ich werde dich Ende der Woche mit Ergebnissen anrufen.«

»Mercy«, sagte Bran. »Ich hoffe, das ist der beste Weg.«

»Für Samuel«, antwortete ich. »Für mich, für dich. Da ist es der richtige Weg, glaube ich. Vielleicht nicht unbedingt für Adam.«

»Adam hatte schon immer... heroische Tendenzen.«

Ich berührte Adams Arm. »Er ist mein Held.«

Es folgte ein weiteres kurzes Schweigen. Wenn man ihm persönlich gegenübersteht, wägt Bran seine Worte nicht so sorgfältig ab. Das Telefon ist schwieriger, weil Wölfe sehr über ihre Körper kommunizieren.

»Das ist das Romantischste, was ich je aus deinem Mund gehört habe«, meinte Bran. »Sei vorsichtig, Adam, sonst verwandelst du sie noch in ein richtiges Mädchen.«

Adam schaute mich an. »Ich mag sie genau so, wie sie ist, Bran.« Und er meinte es, trotz meinem dreckigen Overall, den eingerissenen Fingernägeln und allem anderen.

Bran lachte kurz, dann wurde er wieder ernst. »Kümmere dich um meinen Sohn. Und warte nicht zu lang, bis du mich anrufst.« Er legte auf.

»Danke«, sagte ich zu Adam.

Er steckte sein Handy weg. »Ich habe es nicht für dich getan«, antwortete er. »Egal, ob der Wolf die Kontrolle hat oder nicht, Samuel ist offensichtlich nicht so gefährlich, wie einer von uns es sein würde. Alt zu sein hat gewisse Vorteile. Aber Bran muss dem Buchstaben des Gesetzes folgen. Wenn er genau wüsste, was los ist, müsste er das Urteil vollstrecken.«

»Du nicht?«

Adam zuckte mit den Achseln. »Ich nehme an, ich folge weniger dem Buchstaben des Gesetzes, sondern mehr dem Geist dahinter.« So hatte ich ihn nie gesehen. Ich hätte bedenken müssen... Die Linie zwischen schwarz und weiß zieht er selbst.

Ich schaute auf den Boden. »Also, ich nehme an, dass es zu spät ist für eine Entschuldigung. Dass sie nicht ausreichen würde.«

»Wofür genau willst du dich entschuldigen? ›Lieber Adam, es tut mir leid, dass ich versucht habe, vor dir zu verheimlichen, dass Samuel durchgedreht ist? Es tut mir leid, dass ich die Probleme zwischen uns dazu benutzt habe, um dich von mir wegzutreiben, damit ich mich drum kümmern kann?‹ Oder, mein persönlicher Liebling: ›Es tut mir leid, dass ich dir nicht sagen konnte, was los ist, aber ich konnte mich nicht darauf verlassen, dass du so damit umgehen würdest, wie ich damit umgehen wollte‹?« Am Anfang hatte er noch amüsiert geklungen, aber beim letzten Satz war seine Stimme scharf genug, um Leder zu durchtrennen.

Ich hielt den Mund. Das kann ich. Manchmal. Wenn ich wirklich im Unrecht bin.

Er seufzte. »Ich glaube nicht, dass eine Entschuldigung richtig wäre, Mercy. Weil eine Entschuldigung implizieren würde, dass du es nicht wieder tun würdest. Aber unter ähnlichen Umständen würdest du alles wieder genauso machen, oder?«

»Nein.«

»Und du solltest dich nicht dafür entschuldigen, dass du Recht hattest«, sagte er mit einem tiefen Seufzen. »So gerne ich dir auch das Gegenteil erzählen würde.« Ich riss den Kopf hoch und sah, dass er es absolut ernst meinte.

»Wenn du mich angerufen hättest, um mir zu erzählen, dass Samuel die Kontrolle verloren hat, wäre ich rübergekommen und hätte ihn umgebracht. Hätte ihn mit einer Kugel erledigt, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich ihn in einem Kampf besiegen kann. Ich habe schon Wölfe gesehen, die die Kontrolle verloren haben, so wie du auch.«

Ich schluckte schwer. Nickte.

»Ich weiß, was du nicht weißt - wie der Wolf nach der Jagd fiebert, sich danach sehnt, Blut an seinen Zähnen zu schmecken. Das Töten...« Er wandte kurz den Blick ab, bevor er mich wieder ansah. »Sich selbst überlassen, hätte mein Wolf den Kopfgeldjäger niemals lebend hier rausgelassen, nachdem er eine Pistole auf mich gerichtet hat. Ich bezweifele, dass er es akzeptiert hätte, dass Kinder auf ihm herumklettern.« Trauer glitt über sein Gesicht. »Selbst bei Jesse, meiner eigenen Tochter... würde ich ihm nicht vertrauen. Aber Samuels Wolf konnte damit umgehen. Also werden wir ihm eine Chance geben. Eine Woche. Und nach dieser Woche werden wir dich mit dem Marrok reden lassen, und du wirst ihm erzählen, wie sein Sohn eine ganze Woche die Ruhe bewahrt hat. Und vielleicht kannst du ihm dann noch ein wenig mehr Zeit erkaufen.«

»Es tut mir leid«, sagte ich leise. »Ich habe deine Schuldgefühle benutzt, um dich von mir fernzuhalten.«

Er lehnte sich gegen den Tresen und verschränkte die Arme. »Du hast allerdings nicht gelogen, oder, Mercy? Das Rudel beunruhigt dich, und ich ebenso.«

»Ich brauche nur Zeit, um mich daran zu gewöhnen.« Er schaute mich an - und ich wand mich unter seinem Blick genauso, wie ich es schon bei seiner Tochter beobachtet hatte.

»Lüg mich nicht an, Mercy. Mich nicht. Keine Lügen zwischen uns.«

Ich rieb mir die Augen - ich war nicht kurz vorm Heulen. War ich nicht. Es war nur der nachlassende Adrenalinschock, nachdem ein Bewaffneter mich bedroht hatte, während ich einen wild gewordenen Werwolf im Rücken hatte.

Adam drehte mir den Rücken zu. Ich nahm an, dass er mich den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht sehen lassen wollte. Bis er nach dem Tresen griff und ihn in zwei Teile brach - so dass meine Registrierkasse und jede Menge Papierkram auf den Boden fielen. Seltsamerweise war meine erste Reaktion auf seinen Gewaltausbruch die bestürzte Einsicht, dass es ohne Gabriel meine Aufgabe sein würde, herauszufinden, wie alles zusammengehörte, damit mir das Finanzamt nicht aufs Dach stieg.

Dann heulte Adam. Ein unwirkliches Geräusch aus der Kehle eines Mannes - ich hatte es erst einmal von einem Wolf gehört. Mein Pflegevater Bryan hatte geheult, als er die Leiche seiner Frau, seiner Gefährtin, in den Armen hielt.

Ich trat einen Schritt auf ihn zu - und plötzlich stand Sam zwischen uns, den Kopf angriffsbereit gesenkt.

Die Tür zwischen meinem Büro und meiner Werkstatt ist aus Stahl. Nach Sams Erscheinen war sie außerdem verbogen und zerbrochen und hing nur noch an einer Angel. Ich hatte nicht gehört, wie sie aufbrach; ich hatte nur Adam hören können. Der kein Geräusch von sich gegeben hatte, ging mir auf. Ich hatte sein Heulen aus einer völlig anderen Quelle gehört, durch die Verbindung, die ihn an mich band und mich an ihn.

Adam drehte sich nicht um. »Hab keine Angst vor mir«, flüsterte er. »Verlass mich nicht.« Keine Lügen zwischen uns.

Ich atmete aus, trat ein paar Schritte zurück und ließ mich in einen der alten Stühle an der Wand fallen. Mit meiner lässigen Haltung versuchte ich, die Situation zu entschärfen.

»Adam, ich bin nicht mal vernünftig genug, um Angst vor Sam zu haben, auch wenn er in diesem Zustand ist. Ich weiß nicht, wieso du denkst, dass ich klug genug bin, um Angst vor dir zu haben.« Es wäre klüger, etwas mehr Angst vor einem Werwolf zu haben, der so aufgewühlt war, dass er den von Zee gebauten Tresen zerstörte, als sich Sorgen um ein wenig Papierkram und die Steuer zu machen.

»Bitte Samuel, uns allein zu lassen.«

»Sam?«, fragte ich. Er hatte Adam gehört. Er knurrte, und Adam antwortete genauso. Nur ein wenig lauter.

»Sam«, sagte ich verzweifelt. »Er ist mein Gefährte. Er wird mir nicht wehtun. Geh weg.«

Sam schaute mich an, dann musterte er nochmal Adams Rücken. Ich konnte sehen, wie Adam die Muskeln anspannte, als könnte er Sams Blick spüren.

»Warum schaust du nicht, was Zee gerade macht?«, fragte ich. »Hier bist du momentan keine große Hilfe.« Sam winselte. Trat einen halben Schritt auf Adam zu.

»Sam, bitte.« Ich würde es nicht ertragen, wenn sie anfingen, miteinander zu kämpfen. Jemand würde sterben. Der große weiße Werwolf drehte sich zögernd um und ging. Er hielt regelmäßig an, um zu schauen, ob Adam sich bewegte. Schließlich sprang er über die Reste der Tür hinweg und war verschwunden.

»Adam?«, fragte ich.

Aber er antwortete nicht. Wäre er menschlich gewesen, hätte ich gestichelt - einfach, um es hinter mich zu bringen. Ich hatte ihm wehgetan und wartete auf meine Bestrafung. Ich hatte schon lange, bevor ich am College Immanuel Kant gelesen hatte, gelernt, dass man Entscheidungen trifft und dann mit den Konsequenzen leben muss.

Aber er war kein Mensch. Und im Moment kämpfte er, soweit ich es beurteilen konnte, gegen seinen Wolf. Dass er Alpha war, dominant war, machte diesen Kampf nicht einfacher - vielleicht sogar im Gegenteil. Stur zu sein half - und in diesem Bereich war Adam wunderbar qualifiziert. Dass ich Sam dazu gebracht hatte, zu gehen, half noch mehr. Das Einzige, was ich sonst noch für ihn tun konnte, war still dazusitzen und zu warten, während Adam das Trümmerfeld anstarrte, das er aus meinem Büro gemacht hatte.

Für Adam würde ich - ob unsere Gefährtenverbindung nun seltsam war oder nicht - ewig warten.

»Wirklich?«, fragte er in einem Tonfall, den ich noch nie bei ihm gehört hatte. Sanft. Verletzlich. Adam hatte es nicht mit verletzlich.

»Wirklich was?«, fragte ich.

»Trotz der Tatsache, dass dir unsere Verbindung Angst macht, trotz der Art, wie jemand aus dem Rudel dich manipuliert hat, willst du mich immer noch?«

Er hatte meinen Gedanken gelauscht. Dieses Mal machte es mir überhaupt nichts aus. »Adam, ich würde für dich barfuß über glühende Kohlen laufen«, erklärte ich ihm.

»Du hast also nicht die Situation mit Samuel dazu benutzt, um Abstand zwischen uns zu bringen?«

Ich holte tief Luft. Ich ahnte, wie er dazu gekommen war, es so zu deuten. »Du kennst doch diesen Teil in der Bibel, wo Jesus Petrus sagt, dass er ihn dreimal verleugnen wird, bevor der Hahn kräht. Petrus sagt ›Zur Hölle, nein‹. Aber tatsächlich sagt er, als er von ein paar Leuten gefragt wird, ob er einer von Jesus' Jüngern ist, das wäre er nicht. Und nach dem dritten Mal hört er den Hahn krähen und ihm geht auf, was er getan hat. Im Moment fühle ich mich wie Petrus.«

Adam fing an zu lachen. Er drehte sich um, und ich schaute in diese leuchtend goldenen Augen, die mich zu durchschauen schienen, wie Wolfsaugen es immer tun. Und noch mehr, er hatte tatsächlich schon angefangen, sich zu verwandeln - sein Kinn war länger, seine Wangenknochen standen in einem etwas anderen Winkel. »Du vergleichst mich mit Jesus? So wie ich gerade bin?« Er zeigte mit einem Finger auf sein Gesicht. »Findest du nicht, das ist ein wenig blasphemisch?« Seine Stimme klang bitter.

»Ich bin ja auch nicht der heilige Petrus«, erklärte ich ihm. »Aber ich hatte Petrus' ›Was habe ich getan‹-Moment - nur, dass seiner kurz war und meiner ein wenig länger gedauert hat. Er begann, als ich Maia schreien hörte, während ich in der Werkstatt gearbeitet habe, und hat so ziemlich bis zu dem Moment angedauert, in dem du mit Bran telefoniert hast und Samuel ein wenig mehr Zeit erkauft hast. Seltsam, wie Entscheidungen, die zu einer bestimmten Zeit richtig erschienen...«

Ich schüttelte den Kopf. »Petrus dachte wahrscheinlich auch, dass es klug wäre, dem Kerl zu sagen, dass er nicht zu Jesus' Jüngern gehörte. Hielt ihn am Leben, wenn schon nichts anderes. Ich dachte, Samuel das Leben zu retten - nachdem er nicht wütet oder blind Leute tötet... bis jetzt - wäre eine gute Idee. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, dir zu sagen, dass ich ein wenig Abstand brauche. Um mich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass andere Leute in meinem Kopf herumfuhrwerken, ohne dich zu verletzen, weil es mir panische Angst gemacht hat.«

»Was?«, fragte Adam ungläubig.

Ich senkte den Kopf und sagte: »Weil es mir panische Angst gemacht hat - panische Angst macht.«

Er schüttelte den Kopf. »Nicht das - sondern der Teil, in dem du mich nicht verletzen willst.«

»Du bist nicht gerne ein Werwolf«, sagte ich. »Oh, du kommst damit klar - aber du hasst es. Du denkst, es würde dich zu einem Freak machen. Ich wollte dich nicht wissen lassen, dass auch ich mit Teilen des Werwolf-Zeugs meine Probleme habe.« Ich schluckte schwer. »Okay, mehr Probleme als nur diese ganze ›Ich muss dein Leben kontrollieren, weil du mir gehörst‹-Sache, die die meisten Werwölfe haben, die ich kenne.«

Er starrte mich mit diesen gelben Augen an. Sein Mund hing ein Stück offen, weil Unterkiefer und Oberkiefer nicht mehr ganz zusammenpassten. Ich konnte sehen, dass seine Zähne schärfer und unregelmäßiger waren als normalerweise.

»Ich bin ein Freak, Mercy«, sagte er. Ich schnaubte nur.

»Genau, so ein Freak«, stimmte ich zu. »Deswegen sabbere ich dir auch seit Jahren hinterher, obwohl ich nach Samuel den Werwölfen für mein Leben abgeschworen hatte. Ich wusste, wenn ich dir erzähle, dass es mich beunruhigt, Teil des Rudels zu sein und all diese Verbindungen zu haben... würde es dich verletzen. Und du erträgst bereits alles, was ich...«Ich konnte das Wort »Vergewaltigung« einfach nicht aussprechen, also umschrieb ich es wie so oft. »... in Verbindung mit der Tim-Geschichte durchmache. Ich dachte, wenn ich ein wenig Zeit schinde, herausfinde, wie ich dein Rudel davon abhalten kann, mich in deine Exfrau zu verwandeln, und dabei noch Samuel ein wenig Zeit erkaufe...«

Adam lehnte sich an die Wand neben der Tür - die Wand, an der einmal mein Tresen angefangen hatte - und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Was ich versuche zu sagen«, erklärte ich, »ist, dass es mir leid tut. Es schien mir zu diesem Zeitpunkt eine gute Idee zu sein. Und, nein, ich habe das alles nicht arrangiert, um Abstand zwischen uns zu bringen.«

»Du hast versucht, dafür zu sorgen, dass ich nicht verletzt werde«, sagte er, immer noch in dieser seltsamen Tonlage.

»Ja.«

Er schüttelte langsam den Kopf - und mir fiel auf, dass er irgendwann im Laufe unserer Unterhaltung aufgehört hatte, wölfisch auszusehen, und sein Gesicht wieder völlig normal war. Warme braune Augen fingen das Licht von den Fenstern ein, während einer seiner Mundwinkel nach oben wanderte.

»Hast du irgendeine Vorstellung, wie sehr ich dich liebe?«, fragte er.

»Genug, um meine Entschuldigungen anzunehmen?«, schlug ich mit kleiner Stimme vor.

»Zur Hölle, nein«, sagte er, stieß sich von der Wand ab und stiefelte auf mich zu. Als er mich erreichte, hob er die Hände und berührte mit den Fingerspitzen meinen Hals - als wäre ich ein zerbrechlicher Gegenstand.

»Keine Entschuldigungen von dir«, sagte er so weich, dass er meine Knie und andere Teile zum Schmelzen brachte. »Erstens würdest du - wie ich bereits erwähnt habe - dieselben Entscheidungen wieder treffen, richtig? Also funktioniert eine Entschuldigung nicht. Zum Zweiten hättest du, da du bist, wer du bist, keine andere Entscheidung treffen können. Und nachdem ich dich liebe, wie du bist, wo immer du bist, macht es kaum Sinn, wenn ich mich aufrege, wenn du dich benimmst wie du selbst. Richtig?«

»Manche sehen es nicht unbedingt so«, sagte ich und trat näher an ihn heran, bis unsere Hüftknochen aneinanderstießen.

Er lachte, ein ruhiges Geräusch, das mich bis in die Zehenspitzen glücklich machte. »Na ja, also, ich werde nicht versprechen, immer logisch zu sein.« Er warf einen reumütigen Blick zu meinem zerbrochenen Tresen und der Kasse, die auf dem Boden auf der Seite lag. »Besonders im ersten Moment.« Sein Lächeln erstarb. »Ich dachte, du würdest versuchen, mich zu verlassen.«

»Ich mag ja dämlich sein«, sagte ich und vergrub meine Nase in seiner Seidenkrawatte, »aber so dämlich bin ich nicht. Ich habe dich jetzt, und du kommst mir auch nicht mehr aus.«

Er schlang die Arme um mich und drückte zu, bis es fast wehtat.

»Also, warum hast du Bran nichts von Samuel erzählt?«, fragte ich ihn. »Ich war mir sicher, dass du es ihm erzählen musst. Bist du nicht von in Blut geschworenen Eiden gebunden?«

»Wenn du mich gestern Abend angerufen und mir erzählt hättest, was los ist, hätte ich Bran angerufen - und Samuel eigenhändig erschossen. Aber... basierend auf dem, was heute Morgen passiert ist, scheint er sich ganz gut zu halten. Er hat sich etwas Zeit verdient.« Seine Umarmung, die sich ein wenig gelockert hatte, wurde wieder fester.

»Wenn so etwas mir passiert - ruf Bran an und halt dich so weit von mir weg, wie es dir nur möglich ist. Mein Wolf ist nicht wie der von Samuel.« Er warf noch einen Blick auf den zerbrochenen Tresen. »Wenn ich je die Kontrolle verliere... halt dich einfach fern, bis ich tot bin.«