10

 

Ich wachte auf und verspürte als Erstes Überraschung, dass mir alles wehtat. Dann erinnerte ich mich an den riesigen Feenmann, der mich umgehauen hatte. Nach dem Brand in meinem Haus und Adams Verletzung war die Begegnung mit dem Feenwesen im Buchladen irgendwie nebensächlich geworden. Ich hatte eine gänseeigroße Beule am Hinterkopf, mein Körper protestierte gegen jede Bewegung und meine Knöchel - alle beide - taten weh.

Sam schnarchte, was er nicht besonders oft tut. Er hatte sich über meine Füße ausgestreckt und schien, obwohl das nicht besonders bequem sein konnte, recht glücklich zu sein. Er musste meinen Blick gespürt haben, weil er sich auf den Rücken rollte und sich streckte - ein Moment des Wachseins, der damit endete, dass er weiterschnarchte.

Adam schlief immer noch wie ein Toter, wie er es die gesamte Nacht getan hatte - außer, wenn er aufwachte, um Blut mit grauen Rauchpartikeln auszuhusten. Irgendwann in der Nacht hatte er sich von mir weggerollt, und jetzt schlief er auf der Seite. Ich strich über sein Schulterblatt, und er kam der Bewegung entgegen, ohne aufzuwachen. »Hey«, sagte ich zu ihm. »Ich liebe dich.«

Er antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig - ich wusste, was er fühlte. Erst nachdem ich mich mühsam über die Bettkante gerollt hatte, ging mir auf, dass Ben fehlte. Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass es noch Morgen war, nicht besonders früh, aber auch noch nicht spät genug, um mich als Langschläfer zu fühlen. Ich humpelte steif ins Bad. Eine heiße Dusche später konnte ich mich wieder bewegen.

Und auch wenn meine Kleider schon den zweiten Tag herhalten mussten - und nach Blut und Rauch und allem stanken -, fühlte ich mich bereit, mich dem Tag zu stellen. Nach kurzem Schwanken legte ich das Schulterholster wieder an.

Ich verspürte kein dringendes Bedürfnis, bewaffnet zu sein - aber ich hatte auch keinen Ort, wo ich die Sig sicher unterbringen konnte. Adam hatte wahrscheinlich irgendwo einen Waffensafe, aber ich wusste nicht, wo. Also trug ich das Schulterholster unter meinem T-Shirt, das locker genug fiel, um es zu verbergen. Es wäre schwierig, die Waffe wirklich zu ziehen, aber das spielte eigentlich keine Rolle: Sie war mit Bleikugeln geladen, und das Haus war voller Werwölfe. Wenn ich die Waffe ziehen musste, war ich wahrscheinlich sowieso schon so gut wie tot.

Mit diesem aufbauenden Gedanken verließ ich das Schlafzimmer und schloss leise die Tür hinter mir. Der wunderbare Geruch von Würstchen und Butter lockte mich in die Küche.

Darryl kochte.

Auriele grinste über meinen Gesichtsausdruck. »Sonntags«, sagte sie befriedigt, »kocht er, und ich spüle ab. Meistens landen wir in der Rudelzentrale, und wenn Darryl kocht, dann kommt jeder vorbei. Es ist eine ziemliche Aufgabe.«

Bei den Mengen, die Werwölfe aßen, war es das sicher. Ein Aufwand, der zu diesen kleinen Dingen gehörte, die ein Rudel miteinander verbanden: Sonntagsfrühstück in Adams Haus.

»Wenn du abspülst, wenn er kocht, spült er dann ab, wenn du kochst?«, fragte ich.

»Nö«, antwortete Darryl und servierte jedem von uns einen Teller mit Würstchen, Eiern, Kartoffelpuffern und Armen Rittern. Seine Bewegungen wirkten unglaublich professionell. Dann kehrte er an den Herd zurück. »So aufgeklärt bin ich nicht.«

Sie lächelte seinen Rücken an. »Allerdings staubsaugt er.« Darryl knurrte irritiert.

»Habt ihr Ben gesehen?«, fragte ich, dann sagte ich fast unfreiwillig: »Das ist wirklich lecker.« Die Armen Ritter waren mit echter Vanille, Zimt und noch einer Menge anderer Dinge gewürzt, zusätzlich zu echtem, leicht bitter schmeckendem Ahornsirup.

»Mmmmmm.« Auriele nickte und nahm einen Bissen von ihren Kartoffelpuffern. »Er hat sich durch die Universität gekocht.«

»Und ich habe damit gutes Geld verdient«, stimmte Darryl zu. »Ben war unten, hat gefrühstückt und ist verschwunden. Er wird bald zurück sein. Ich habe Zee letzte Nacht noch angerufen.«

Ich legte meine Gabel zur Seite. »Was hat er gesagt?«

»Nichts, wenn du deswegen mein gutes Essen kalt werden lässt.« Ich nahm einen hastigen Bissen, und er wandte sich wieder seinen Pfannen zu - während er weitersprach. »Ich habe ihm den gestrigen Erpresseranruf vorgespielt, und er hat mich über alles ausgequetscht, was du uns erzählt hast. Dann hat er gesagt, dass er schauen würde, was er tun kann. Er hat mich vor einer Stunde oder so angerufen und gesagt, dass er so schnell herkommen wird, wie er kann. Es kann allerdings ein paar Stunden dauern, also sollst du die Schurkin hinhalten, bis er da ist.«

»Wie klang er?«

»Mürrisch. Kaffee oder Orangensaft?«

»Wasser reicht.« Er zog die Augenbrauen hoch.

»Uh-oh«, sagte Auriele, aber lächelnd.

Darryl lächelte nicht. »Möchtest du damit insinuieren, dass mein Kaffee nicht der beste in vier Staaten ist? Oder dass mein frisch gepresster Orangensaft irgendetwas anderes ist als perfekt?«

Jesse rauschte in den Raum und quietschte. »Oh, mein Gott, Darryl kocht. Ich hätte fast vergessen, dass Sonntag ist. Orangensaft, bitte.« Sie warf mir einen Blick zu und lachte. »Mercy trinkt weder Orangensaft noch Kaffee«, sagte sie, griff sich ein Glas aus dem Schrank und füllte es aus der Karaffe, die Darryl auf den Tisch gestellt hatte. »Wie schade. Mehr Orangensaft für mich.«

Sie spielte die gut gelaunte niedliche Tochter des Hauses, aber unter ihren Augen waren dunkle Ränder. Sie nahm den Teller, den Darryl ihr gab, und setzte sich neben Auriele. »Also«, meinte sie. Ihre Haarfarbe unterstützte die vorgespielte Fröhlichkeit - es war wirklich schwierig, mit rosafarbenen Haare traurig zu wirken -, selbst wenn ihre Augen ein wenig gerötet waren. »Wie werden wir Gabriel retten?«

»Ist euch mal aufgefallen, dass jeder, der Mercy kennt, irgendwann gerettet werden muss?«, fragte Mary Jo, als sie in den Raum kam.

Wegen Mary Jo würde ich etwas unternehmen müssen. Ich nahm noch einen Bissen von meinem Armen Ritter, dann legte ich die Gabel auf den Teller. Früher war wahrscheinlich besser als später.

Ich stand auf. »Entschuldige mich«, meinte ich zu Darryl. Zu Jesse sagte ich: »Ich leihe mir dein Schlafzimmer aus. Irgendwelche Beschwerden?« Sie starrte mich einen Moment an. »Nein?« Ihre Stimme hob sich am Ende, als wäre ihre Antwort eine Frage. Was vielleicht auch stimmte.

»Deine Stereoanlage überdeckt ziemlich wirkungsvoll Stimmen, damit wir nicht von allen Werwölfen im Haus belauscht werden. Und nach den Geräuschen aus dem Keller zu schließen sind eine Menge Werwölfe hier.«

»Das liegt an Darryls Kochkünsten«, sagte Auriele entschuldigend.

»Ich sehe, warum«, sagte ich. »Ich wäre euch dankbar, wenn ihr meinen Teller bewacht, bis ich zurückkomme.« Dann schaute ich Mary Jo an. »Du. Komm mit.« Und ohne mich noch einmal umzuschauen, ging ich voraus in Jesses Zimmer. Ich ging hinein und drehte die Anlage auf, bis der Lautstärkepegel fast in den Ohren wehtat. Die CD entsprach nicht dem, was ich mir sonst freiwillig angehört hätte, aber es war laut, und das war das Einzige, was mich interessierte.

»Mach die Tür zu«, befahl ich Mary Jo. Ich war fast überrascht, dass sie mir einfach nach oben gefolgt war. Mit ausdruckslosem Gesicht kam sie meiner Aufforderung nach.

»Okay. Und wenn du jetzt noch hier zum Fenster kommst, ist es fast unmöglich, dass irgendwer uns belauscht.«

All diese Vorsichtsmaßnahmen waren nicht wirklich nötig. Mit so vielen Leute in Adams Haus würde niemand, egal, wie gut sein Gehör war, wirklich aus einem Raum in den anderen lauschen - es waren einfach zu viele Gespräche auf einmal. Aber die Anlage stellte praktisch sicher, dass wir ein Privatgespräch führten.

»Was willst du?«, fragte sie, ohne ihren Platz in der Mitte des Raums zu verlassen.

Ich lehnte mich gegen die Wand neben dem Fenster und verschränkte die Arme über dem Bauch. Es fühlte sich falsch an, in dieser Position zu sein. Ich war fast mein gesamtes Leben lang ein Einzelgänger gewesen. Selbst als ich mit dem Rudel des Marroks in Aspen Creek gelebt hatte, selbst damals war ich eigentlich allein gewesen, ein Kojote unter Wölfen. Aber Adam brauchte sein Rudel in seinem Rücken - und meinetwegen war es nicht so. Wenn ich schon Teil des Problems war, dann schuldete ich es ihm, auch Teil der Lösung zu sein. Also würde ich schauen, ob die vielen Male, die ich den Marrok dabei beobachtet hatte, wie er Knoten in Leute machte, mir dabei helfen würde, seine Techniken einzusetzen, um dieselben Resultate zu erzielen.

Ich lächelte sie an. »Ich will, dass du mir sagst, was für ein Problem du mit mir hast. Hier, jetzt, wenn niemand sonst da ist, der sich einmischen kann.«

»Du bist das Problem, Mercedes«, blaffte sie. »Ein aasfressender Kojote unter Wölfen. Du gehörst hier nicht hin.«

»Ach, komm schon. Das kannst du besser«, stachelte ich sie auf. »Du klingst, als wärst du in Jesses Alter - und selbst Jesse klingt nicht so.«

Sie schloss die Augen halb, während sie darüber nachdachte, was ich gesagt hatte. »In Ordnung«, meinte sie nach einer Minute. »Punkt für dich. Erstes Problem: Du hast Adam zwei Jahre hängenlassen, nachdem er Anspruch auf dich als seine Gefährtin erhoben hat. Und während dieser zwei Jahre ist unser Rudel in seine Einzelteile zerfallen, weil Adam sich selbst kaum ruhig halten konnte - und fast absolut nutzlos war, wenn es darum ging, irgendwem dabei zu helfen, seinen Wolf unter Kontrolle zu halten.«

»Einverstanden«, sagte ich. »Aber ich muss zu meiner Verteidigung anführen, dass Adam mich in dieser Zeit nie gefragt hat, ob ich seine Gefährtin sein will - oder bevor er vor dem Rudel Anspruch auf mich erhoben hat. Er hat mich niemals gefragt. Ich war kein Rudelmitglied - und seine Erklärung sollte dem Zweck dienen, den Rest der Wölfe auf Abstand zu halten -, also habe ich davon erst lange Zeit später erfahren, nachdem es schon passiert war. Und selbst dann hat mir bis vor ein paar Monaten niemand die Konsequenzen erläutert, und sobald ich mir zusammengereimt hatte, was wegen dieses Anspruchs mit Adam und dem Rudel geschah, habe ich eine Entscheidung getroffen.«

»Wie nett von dir«, blaffte sie, und in ihren Augen funkelte die Wut. »Für das Wohlergehen des Rudels Adams Gefährtin zu werden.«

»Punkt für mich«, erklärte ich ihr ruhig. »Die Wahl, die ich getroffen habe, hatte nichts mit den Problemen im Rudel zu tun - Adam brauchte nur eine Antwort, und ein ›Nein‹ hätte genauso gut funktioniert, um wieder Ruhe ins Rudel zu bringen. Ich habe zugestimmt, weil er... na ja, weil er Adam ist.« Meins, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es meine eigene Stimme war.

»Zweites Problem«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Es war deine Einladung an den Streuner, die dazu geführt hat, dass Adam fast getötet und Jesse entführt wurde.«

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Das war von Anfang bis Ende eine Werwolfangelegenheit. Ich wurde nur darin verwickelt, weil ich zur falschen Zeit am falschen Ort war. Nicht mehr, nicht weniger. Punkt für mich.«

»Ich bin anderer Meinung«, sagte sie. Sie stand in der klassischen »Rührt euch«-Haltung, wie ein Soldat. Ich fragte mich, ob das etwas war, was Adam ihnen im Training beigebracht hatte, denn meines Wissens nach war Mary Jo nie beim Militär gewesen.

»Schön«, sagte ich mit einem Achselzucken. »Das ist ein freies Land. Du kannst denken, was du willst.«

»Du kannst nicht leugnen, dass du fast unseren Dritten getötet hättest, als der Dämon in die Stadt kam - du und deine Verbindung zu den Vampiren.« Ihre Stimme war kühl, ihr Herzschlag gleichmäßig. Warren war ihr nicht wichtig; Ben hatte Recht gehabt. Sie hatte ihn nicht mal beim Namen genannt, weil in ihren Augen seine Position wichtiger war als der Mann selbst.

»Sobald bekannt wurde, dass ein Dämon in der Stadt ist, war es unvermeidlich, dass die Wölfe ihn jagen würden«, erklärte ich ihr. »Und dir ist Warren völlig egal, also tu nicht so, als hättest du dir Sorgen um ihn gemacht.« Das sorgte dafür, dass sie den Kopf hob und mich direkt ansah. Sie wirkte tatsächlich ein wenig besorgt. Sie hatte versucht, so zu tun, als würde sie nicht zu den Wölfen gehören, die ein Problem mit Warren hatten.

»Warren ist mehr wert als zehn wie du«, fuhr ich fort. »Er ist da, wenn man ihn braucht, und er tut nicht sein Bestes, Adams Autorität zu untergraben, wann immer seine Befehle unbequem sind.« Ich winkte ihren drohenden Widerspruch ab, weil ich die Diskussion über ihre jüngsten Verfehlungen zurückstellen wollte, bis ich genug zu ihr durchgedrungen war, dass sie meine Fragen beantworten würde. »Zurück zur Tagesordnung. Was noch?«

»Es ist dein Fehler, dass ich gestorben bin«, sagte sie. »Armer Alec - er hatte keine Ahnung, was ihn getroffen hat, als er mir die Kehle herausgerissen hat. Keiner von uns hatte eine Ahnung. Die Vampire haben uns deinetwegen aufs Korn genommen.«

Die Vampire hatten eine Falle im Onkel Mikes gestellt, der örtlichen Kneipe, in der sich das Feenvolk und andere übernatürliche Wesen trafen, um sich zu entspannen. Sie hatten einen Zauber dort platziert, der jeden in eine Raserei trieb, der mit Wölfen in Verbindung stand. Unglücklicherweise waren Mary Jo und zwei andere Werwölfe - Paul und Alec - am falschen Abend dort gewesen. Als Adam und ich angekommen waren, war Mary Jo tot.

Aber anscheinend ist der Tod nicht so permanent, wie man meinen möchte, wenn man in der Gegenwart von Grauen Lords stirbt - oder vielmehr in Gegenwart eines bestimmten Grauen Lords.

»Punkt für dich«, sagte ich und entspannte mich absichtlich ein wenig, damit sie sah, dass mir das überhaupt nichts ausmachte. Ich kann nicht mit Worten lügen, aber manchmal kann ich es mit Körpersprache. »Ich würde dir ja sagen, dass die Schuld für die Bösen zu übernehmen ziemlich dämlich ist - die wahren Schuldigen sind die Vampire. Aber wäre ich nicht mit Adam ausgegangen, hätten sie nicht die Werwölfe ins Visier genommen, also nehme ich an, dass du mich berechtigterweise beschuldigst.«

Ich wartete darauf, dass sie wieder aufsah, damit ich ihre Mimik lesen konnte. Als sie mich tatsächlich ansah, hatte sie sich wieder völlig unter Kontrolle. Es gab zwei Dinge, die ihre plötzliche Abneigung gegen mich erklären konnten. Das Erste war der Vorfall im Onkel Mike's, aber dafür war sie nicht wütend genug. Was nur noch den zweiten Grund zuließ - und den würde ich ihr um die Ohren hauen, wenn es mir mehr Vorteile brachte.

»Aber«, sagte ich, »wenn ich diese Schuld auf mich nehme, dann möchte ich auch darauf hinweisen, dass ich der Grund bin, warum du noch hier stehst. Der Graue Lord hat dich geheilt, weil er mir einen Gefallen schuldete.«

Sie verzog spöttisch das Gesicht. »Ich hoffe bei Gott, dass jemand dir einmal einen solchen Gefallen tut. Es hat wehgetan... Es tut immer noch weh. An manchen Tagen kann ich verschiedene Körperteile nicht spüren.«

Ich hatte davon gewusst, und es machte mir Sorgen, obwohl die Feenfrau versprochen hatte, dass Mary Jo wieder normal sein würde. Ich nehme an, sie hatte einfach das Wort »irgendwann« unterschlagen, weil Mary Jos Leiden ihr eigentlich nichts bedeutete.

»Das nächste Mal werde ich mir nicht die Mühe machen, dich zurückzuholen«, versprach ich. Ich klopfte mit dem Fuß auf den Boden und überlegte, wie weit ich das Ganze treiben wollte. Ein Teil hing davon ab, welche Rolle ich im Rudel übernehmen wollte. Im Moment kanalisierte ich meinen inneren Bran, benutzte Techniken, die ich in meiner Jugend beim Marrok beobachtet hatte, Techniken, die einzusetzen mir so leichtfiel, dass es mir leichtes Unwohlsein verursachte - ich sehe mich selbst nicht als manipulativen Charakter. Für den Moment schob ich die Bedenken allerdings zur Seite und konzentrierte mich auf die akute Situation.

»Überleg dir die Resultate, die du willst, und dann unternimm, was du kannst, um sie zu erzielen« war einer von Brans Lieblingssprüchen. Also, was waren die Resultate, die ich erzielen wollte? Ein Teil hing davon ab, wie viele ihrer jüngsten Handlungen gegen mich gerichtet waren und wie viele gegen Adam. Ich hatte festgestellt, dass ich ihre Angriffe auf mich verzeihen konnte, aber bei Adam bin ich weniger großherzig.

Ich erinnerte mich an den Blick, den sie mir im Krankenhaus zugeworfen hatte, als Adam sich auf meinem Schoß verwandelt hatte - Adam, der fast an Verbrennungen gestorben wäre, die er sich bei dem Versuch geholt hatte, mich zu retten, während sie ihm nicht gesagt hatte, dass ich in Sicherheit war. Der Blick, aus dem ich ablesen konnte, dass es ihr lieber wäre, ihn tot zu sehen als auf meinem Schoß.

War das nur eine momentane Anwandlung gewesen, oder hatte ihre Wut darüber, dass Adam mir gehörte, sie über den Punkt hinausgetrieben, an dem es kein Zurück mehr gab?

»Mary Jo«, sagte ich freundlich, »du und ich wissen, dass das alles nur Dreck ist. Es ist alles wahr, oder zumindest überwiegend, aber das ist nicht der Grund, warum du so wütend auf mich bist.«

Sie riss den Kopf hoch. »Adam gehört mir«, erklärte ich. »Und du kannst damit nicht umgehen. Stört es dich, dass ich ein Kojote bin? Dass wir hier einen Fall von extremer, die Rassen überschreitender - in unserem Fall sogar eigentlich speziesübergreifender - Verbindung haben? Darryl ist afrikanisch- und chinesischstämmig, und Auriele ist eine Hispaniola, und sie scheinen dich nicht zu stören.«

Es störte sie nicht nur, dass ich ein Kojoten-Gestaltwandler war. Ich wusste es. Ich fragte mich nur, ob sie es wusste. Teile des Rudels hatten Probleme damit; vielleicht hatten auch manche Probleme mit Darryl und Auriele. Falls es so war, waren diese Rudelmitglieder klug genug, den Mund zu halten.

Mary Jo presste die Lippen zusammen und schwieg.

»Wie lange willst du ihn schon?«, fragte ich, »Du hattest all diese Jahre Zeit, nachdem Jesses Mutter ihn verlassen hatte.«

Brans Methoden stanken zum Himmel. Ich beobachtete, wie ihre Augen sich vor Schmerz verdunkelten, und wollte mich selbst treten. Aber sie war zumindest teilweise für Adams Wunden verantwortlich. Und ich stimmte in Bezug auf Feuer mit Warren überein, nachdem ich Samuel dabei beobachtet hatte, wie er totes Fleisch von lebendem gebürstet hatte. Mary Jo war dumm gewesen. Ich hätte darauf gewettet, dass sie Adam nicht absichtlich verletzt hatte, aber ich musste es wissen.

Ich beobachtete die Wut, die in ihrem Gesicht auf den Schmerz folgte, und musterte sie stumm.

»Du bist nichts«, spuckte sie mir entgegen. »Ich bin auch nichts. Daher weiß ich es. Adam hat das Beste verdient. Einen Wolf, der stark und schön ist, eine Frau, die...«

»Mehr ist?«, schlug ich vor. »Klug, aus gutem Hause?«

»Auf keinen Fall einen Kojoten-Mischling«, blaffte sie. Ihr Wolf stand in ihren Augen, und ihre Stimme war roh. »Keine dumme Mechanikerin oder eine verdammte Feuerwehrfrau. Es gibt nicht mal ein richtiges Wort für das, was ich bin. Eigentlich heißt es Feuerwehrmann. Er braucht jemand Weichen, Femininen.«

»Er verdient so viel«, sagte ich langsam. Ich hatte sie, auch wenn mir dabei fast schlecht wurde. Kojoten sind keine Katzen; wir spielen nicht mit unserer Beute. »Ich glaube, er verdient ein Rudel, das ihm den Rücken deckt.«

»Ich decke ihm den Rücken«, sagte sie. Ich konnte ihre Hände nicht sehen. Während dieses gesamten Gesprächs hatte sie ihre »Rührt euch«-Stellung gehalten, und ihre Hände waren hinter ihrem Rücken verborgen. Aufgrund der Anspannung ihrer Oberarme hätte ich darauf gewettet, dass sie zu Fäusten geballt waren, und ihre Stimme war nicht mehr so hart und bestimmt, wie sie es sich gewünscht hätte. Aber ihre Worte verrieten mir, wonach ich gesucht hatte, sagten mir, dass sie ihn nicht tot sehen wollte. Das machte den Rest gleichzeitig schwerer und leichter. Schwerer, weil sie noch mehr leiden würde, bevor es vorbei war - einfacher, weil sie es überleben würde.

»Du deckst ihm also den Rücken, ja?« Ich hielt meine Stimme sanft, meinen Körper entspannt. »Witzig, ich hätte schwören können, dass du ihn gerade fast in den Tod geschickt hast.«

»Ich habe ihn rausgeholt«, sagte sie. »Ich bin ihm zusammen mit Darryl nachgerannt und habe ihn rausgezogen.«

»Nicht schnell genug, Mary Jo«, sagte ich. »Er hätte da drin einfach sterben können.« Ich musste tief durchatmen, um meine entspannte Haltung zu bewahren. Er hätte sterben können. Aber ich musste den Schwung des Moments ausnutzen, sie dazu bringen, mir zuzuhören, sich selbst zuzuhören.

»Wer war mit dir da draußen?«, fragte ich kühl. »Ben sagt, wer auch immer es ist, er muss dominanter sein als du. Es war weder Warren noch Darryl.« Ben hätte es bemerkt, wenn Darryl nicht beim Treffen gewesen wäre. Er hätte etwas gesagt, denn wenn es Darryl war, der den Laden schmiss, dann wäre es zu gefährlich, den Mund zu halten. Dasselbe galt für Auriele.

»Wer ist die Hierarchie im Rudel ab da?« Ich beobachtete, wie sie schwitzte. Ben hatte Recht damit, dass es jemand weiter oben war. Sie erwartete, dass ich seinen Namen schon bald nennen würde, also stand er in der Rudelordnung nicht allzu weit unten. »Auriele. Sie war es auch nicht, oder? Sie mag Adam. Sie würde ihn niemals in ein brennendes Gebäude schicken, um jemanden zu retten, der gar nicht drin ist.«

Sie versteifte sich bei dem Seitenhieb.

»Dann ist da noch Paul.« Das traf sie - war das nicht interessant? Aber ich wusste es besser. »Er war es allerdings nicht. Adam vertraut Paul nicht genug, um ihn aus den Augen zu lassen. Er hätte ihn das gesamte Rudeltreffen lang im Raum behalten.« Paul war derjenige gewesen, den ich als den Trottel verdächtigt hatte, der mich in der Bowlinganlage beeinflusst hatte, bis mir klargeworden war, wie wütend Mary Jo war. Adam hätte wahrscheinlich auch auf ihn getippt. Paul war immer noch wütend darüber, dass er einen Kampf gegen Warren verloren hatte, und er machte Adam dafür verantwortlich. Wie Ben war Paul eine verbitterte und schwierige Persönlichkeit, und er mochte nicht viele Leute.

Mary Jo gehörte zu den wenigen, die er mochte, sie und ihr Freund, Henry.

Ich beobachtete ihr Gesicht genau. Sie machte sich Sorgen, dass ich es erraten würde. Nicht Paul. Wer dann? Weiter unten in der Hierarchie wurde es schwierig für einen Außenseiter, wie ich immer noch einer war. Ich dachte die Wölfe durch, die ich kannte, dann hielt ich inne. Henry? Er war ein netter Mann. Intelligent und schnell. Ein Banker, glaubte ich, aber ich war mir nicht sicher. Irgendwas mit Finanzen. Er würde niemals - Hmmm. »Niemals« war ein sehr starkes Wort.

Ich fragte mich, wie Henry wohl in Hinsicht auf Mary Jos Schwärmerei für Adam empfand.

»Henry«, sagte ich probeweise und sah, wie ihr Gesicht weiß wurde. Vielleicht wusste sie nicht mal, wie viel sie mir verriet, ohne den Mund zu öffnen. »Henry war letzte Nacht mit dir da draußen. Henry hat dir gesagt, du sollst die Feenwesen in Ruhe lassen, als sie mein Haus in Brand gesteckt haben.«

Jesses Zimmertür öffnete sich, Adam trat ein und schloss die Tür sanft hinter sich. Er war offensichtlich steif, und nach der Härte in seinem Kinn und der Anspannung um seine Augen herum hatte er auch Schmerzen. Wenn ich es sehen konnte, dann hatte er um einiges schlimmere Schmerzen, als er sich anmerken ließ. Der Alpha zeigte keine Schwäche, außer es ging nicht anders.

Er trug nur Karatehosen, die an den Unterschenkeln endeten, so dass man die nässenden Wunden an seinen Füßen deutlich sehen konnte. Oh, auch andere Teile seines Körpers waren angeschlagen, aber im Vergleich zu seinen Füßen sah nichts davon besonders schlimm aus.

»Ich habe deine Stimme gehört«, sagte er zu mir, so dass ich den Blick von seinen Füßen löste und ihm ins Gesicht sah. »Also habe ich mein Ohr gegen die Tür gepresst und trotz des Lärms, den meine Tochter als Musik bezeichnet, konnte ich hören, was du gesagt hast, Mercy.« Er schaute Mary Jo an, die sich zu ihm umgedreht und ihre militärische Haltung verloren hatte. Sie stand einfach nur da und wirkte verletzlich.

Wäre es Samuel gewesen, der vor ihr gestanden hätte, hätte ich mir Sorgen gemacht, dass er zu nett sein würde. Aber Adam sah Frauen nicht wirklich als das schwächere Geschlecht, und er konnte organisieren und erkannte Organisation, wenn er sie sah.

Er musterte Mary Jo mit unlesbarer Miene. »Also war Henry dort, als das Feenvolk Mercys Haus angezündet hat. Und ich dachte, du wärst allein da draußen gewesen. Weil ich wusste, dass Henry im Haus war, obwohl ich ihm klare Anweisungen erteilt hatte, dich letzte Nacht zu unterstützen. Zweifellos würde er mir, wenn ich ihn frage, erzählen, dass er dachte, dass er nur dort sein sollte, während das Treffen noch abgehalten wurde... Oder irgendetwas in der Art.«

»Henry war derjenige, der dir gesagt hat, dass mein Haus in Flammen steht, oder?«, fragte ich ihn. Wie Adam beobachtete auch ich Mary Jo. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber ihre Schultern verspannten sich. Ein Freund von mir auf dem College, der Theaterwissenschaften studierte, hatte mir einmal gesagt, dass die Schultern der ausdrucksstärkste Teil des Körpers sind. Ich musste ihm zustimmen. Sie war fast an dem Punkt, wo sie das große Ganze sehen konnte, denn sie erwartete, dass Adam Ja sagte.

»Ich sehe, du hast das Ganze zum logischen Schluss durchdacht, Mercy«, sagte er zu mir, aber seine Augen blieben auf Mary Jo gerichtet. »Ich frage mich, ob sie es schon erkannt hat - oder ob sie sogar Teil davon ist.«

»Henry ist reingerannt und hat dich zum Trailer geschickt, bevor irgendjemand anders aus dem Haus kommen konnte?« Mary Jos Stimme war schmerzerfüllt, aber sie widersprach nicht.

»So ist es«, stimmte Adam zu. »Mehr oder weniger. Er wanderte in die Küche. Bevor ich ihn fragen konnte, warum er nicht draußen war, um auf Mercy aufzupassen, schaute er aus dem Fenster und sagte: ›Was ist das? Brennt da etwas? Mein Gott, der Trailer brennte.«

»Er wusste es«, sagte Mary Jo unsicher. »Er hat gesehen, wie es gelegt wurde. Er wollte nicht zulassen, dass ich sie konfrontiere, weil er sich Sorgen gemacht hat, dass ich verletzt werden könnte. Er hat gesagt, Mercy und Sam wären weg, also wäre es doch kein Problem, wenn das Haus des schnöseligen Kojoten in Flammen aufgeht. Sie verdiene ein wenig Schmerzen wegen all der Qualen, die sie uns schon bereitet hat.«

Mary Jo schaute Adam an. »Er meinte, mir bereitet hat. Er war wirklich wütend, als die Vampire uns angegriffen haben... Weil ich verletzt worden war, während sie es doch auf Mercy abgesehen hatten. Er wollte es Mercy heimzahlen.«

»Ich bin ihm völlig egal«, meinte ich. »Ich bin nicht diejenige, die seine Freundin lieber mag als ihn. Henry wollte Adam. Er hat die Möglichkeit gesehen, es Adam heimzuzahlen, und er hat sie ergriffen.« Ich schaute Adam an. »Das nächste Mal, wenn du meinetwegen in ein brennendes Gebäude springst, stell bitte absolut sicher, dass ich auch drin bin. Und trag Schuhe, verdammt nochmal.« Ich schaute wieder auf seine Füße. »Du hinterlässt scheußlichen Schleim auf dem Teppich.«

Er lächelte. »Ich liebe dich auch, Darling. Und seitdem du den gesamten Teppich voll geblutet hast, kenne ich eine Firma, die quasi alles wieder rauskriegt.«

»Er wollte Adam verletzen«, erklärte ich Mary Jo. »Denn wenn er verletzt ist, ist er auch verletzlich. Ein Alpha kann jederzeit herausgefordert werden. Da Adam verletzt ist, könnte er den Kampf normalerweise verschieben, ohne dass sich jemand beschwert, vor allem nachdem der Marrok keine Kämpfe um die Alpha-Position erlaubt, ohne dass er vorher zugestimmt hat. Aber das Rudel ist...« Ich schaute zu Adam. »Es tut mir leid, ich weiß, es ist mein Fehler. Das Rudel ist zerbrochen. Adam kann das nicht verschieben - nicht, wenn im Rudel solcher Aufruhr herrscht. Wenn er es tut, dann ist er vielleicht dafür verantwortlich, wenn etwas Schlimmeres passiert als ein formaler Kampf - nämlich eine Rebellion.«

Sehen Sie, ich bin in einem Werwolfrudel aufgewachsen. Ich kenne die Gefahren. Nicht einmal die Angst vor dem Marrok kann das Wesen des Rudels völlig kontrollieren. Deswegen tut ein Alpha alles in seiner Macht Stehende, um seine Schwäche vor dem Rudel zu verbergen.

»Henry hat dich herausgefordert?« In Mary Jos Stimme schwang Entsetzen mit. »Der Marrok wird ihn umbringen, wenn es dir nicht zuerst gelingt.«

»Fast richtig«, meinte Adam. »Paul ist derjenige, der mich herausgefordert hat. Ist vor ungefähr vier Minuten durch das Fenster meines Schlafzimmers geklettert und hat mich vor Ben, Alec und Henry herausgefordert. Nachdem Henry angeboten hatte, Ben kurz zu fahren, damit er ein paar Kleider für Mercy holen kann, weil Bens Hände immer noch zu offen sind, um mühelos fahren zu können. Er hatte Alec vorgeschlagen, sich ihnen anzuschließen.«

Er schwieg kurz, dann fügte er vielsagend hinzu: »Henry ist so ein hilfsbereiter Mann.«

Mary Jo nickte. »Und Alec ist als neutral bekannt. Nicht unbedingt einer deiner größten Fans, aber auch keiner der Hitzköpfe.«

Adam sprach mit sanfterer Stimme weiter: »Sie mussten irgendein Signal ausgemacht haben, damit er und Paul genau in dem Moment in meinem Schlafzimmer erscheinen konnten, als weder Warren noch Darryl da waren, um sich einzumischen. Ben und Henry haben die Herausforderung bezeugt. Henry war erschüttert, dass Paul mich herausfordert, obwohl ich doch verletzt bin.«

»Sie haben dir eine Falle gestellt«, sagte Mary Jo wie betäubt. »Sie haben mich dazu benutzt, dir eine Falle zu stellen.«

»Das war es, was ich versucht habe, dir beizubringen«, sagte ich, dann fragte ich beiläufig: »Waren es nur du und Henry beim Bowling, oder hat Paul auch geholfen?«

Sie nickte, ohne dass ihr auch nur auffiel, wie viel ich bereits vermutet hatte. Sie war zu sehr damit beschäftigt, darüber nachzudenken, wie viele Dinge nicht so waren, wie sie geglaubt hatte. »Paul, Henry und ich. Paul hat es vorgeschlagen. ›Können keinen Kojoten als Zweiten in einem respektablen Rudel haben.‹« Mary Jo schaute Adam an. »Er hat gesagt, dass sie nicht gut genug für dich ist - und ich habe zugestimmt. Henry war ziemlich zurückhaltend. Ich musste ihn regelrecht überreden. Er hat auch mich getäuscht, oder? Die beiden haben mich nur benutzt.«

Ich hatte Mitleid mit ihr. Aber ich hatte mehr Mitleid empfunden, bevor ich erfahren hatte, dass der Wolf, der Adam herausgefordert hatte, Paul war. Henry war ein guter Kämpfer - ich hatte ihn ein- oder zweimal bei Trainingskämpfen gesehen -, aber lange nicht so gut wie Paul. Paul… Normalerweise hätte ich mir auch keine Sorgen darum gemacht, dass Paul Adam besiegen würde, aber normalerweise nässten Adams Füße auch nicht so, dass Flecken auf dem Boden zurückblieben, und seine Hände waren nicht wund und geschwollen.

Deswegen hatte ich nicht genug Mitleid mit Mary Jo, um zuzulassen, dass sie ihrer Schuld entkam, indem sie mit dem Finger auf die anderen beiden zeigte.

»Das in der Bowlinganlage warst du«, sagte ich. »Oh, Paul würde nicht weinen, wenn Adam und ich uns trennten - aber er will dringender Adam loswerden als mich. Henry... Vielleicht war es der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat - das weißt du besser als ich. War es das erste Mal, dass ihm aufgegangen ist, wie sehr du Adam willst?«

Adam riss den Kopf zu mir herum. Ich nehme an, er hatte keine Ahnung gehabt, wie Mary Jo empfand.

»Paul«, setzte Mary Jo an. Dann hielt sie inne. Schloss ihre Augen und schüttelte den Kopf. »Nicht Paul.« Sie schenkte Adam ein trockenes Lächeln. »Paul ist taff, und er ist nicht dumm - aber er ist kein Planer. Ihm wäre nie eingefallen, wie er dich dazu zwingen kann, eine Herausforderung anzunehmen, bevor du bereit bist. Sie hat Recht. Es ist Henry. Was kann ich tun?«

»Überhaupt nichts«, antwortete er. »Sei einfach das nächste Mal klüger.«

»Wann ist der Kampf?«, fragte ich und bemühte mich, ruhig zu bleiben - der gute Kojote, der seinen Gefährten losziehen und ein Duell bis zum Tod kämpfen lässt, während er kaum laufen kann. Ich musste es tun, denn heulen und Wirbel machen würde überhaupt nichts ändern, außer, dass es ihm seinen Job schwerer machte. Wenn er die Herausforderung ablehnte, wäre Paul der Alpha - und so wie ich Paul kannte, würde er als erste Amtshandlung Adam töten. Das hoffte Henry auf jeden Fall.

Und der Grund dafür, dass Paul die Herausforderung ausgesprochen hatte und nicht Henry, war, dass, sobald der Marrok davon hörte... Paul ein toter Mann war. Und dann würde Darryl das Rudel führen, mit Warren als Zweitem. Das Rudel würde keinen Schwulen in der Position des Zweiten akzeptieren, denn wenn Darryl etwas passierte, würde Warren das Rudel führen. Also würde Warren umgebracht oder von Bran versetzt werden - so dass Henry zum Zweiten aufstieg.

Natürlich musste Adam gegen Paul verlieren, damit all das geschah. Mir war schlecht. Adam schaute auf Jesses Wecker, der 9 Uhr 15 anzeigte. »In einer Viertelstunde im Dojo«, sagte er. »Würdest du runtergehen und Darryl und Warren sagen, dass sie als Zeugen anwesend sein müssen? Ich glaube, ich lege mich noch zehn Minuten hin.« Er war schon im Flur, als er hinzufügte: »Wenn ich überlebe, Mary Jo, werden wir über eine passende Wiedergutmachung für den Bowlingabend reden. Du hast einen vielversprechenden Abend ruiniert, und ich werde das nicht vergessen.«

 

 

»Dein Essen ist kalt«, knurrte Darryl, als ich in die Küche kam. »Ich hoffe, es war wichtig.«

Jesse war noch da und trocknete ab, während Auriele abspülte. Ich konnte es nicht aufschieben, nicht, wenn Paul den Kampf hier angesetzt hatte - keine Chance, dass ich Jesse dazu überreden könnte, irgendwo zu warten, wo es sicher war; dafür war sie zu sehr die Tochter ihres Vaters.

»Paul hat Adam herausgefordert«, erklärte ich ihnen. »In einer Viertelstunde im Dojo in der Garage.«

Darryl wirbelte mit einem Knurren herum, und Auriele trat sofort zwischen ihn und Jesse. Allerdings glaube ich nicht, dass Jesse es bemerkte, weil sie mich mit großen Augen anstarrte.

»Wie ist er an Adam herangekommen?«, fragte Auriele. »Wer sollte auf ihn aufpassen?«

»Ich«, sagte ich nach einem kurzen, sprachlosen Moment. »Ich nehme an, das wäre wohl ich.«

»Nein«, meinte Auriele. »Das wäre wohl Samuel. Ben hat gesagt, dass er Adam mit dir und Samuel allein gelassen hat.«

»Samuel gehört nicht zum Rudel«, knurrte Darryl, und aus seinem dunklen Gesicht leuchteten goldene Augen. Sam ist nicht Samuel, dachte ich. Normalerweise hätte Samuel dafür gesorgt, dass diese Herausforderung nicht stattfand. Ich fragte mich, ob Paul oder Henry das verstanden hatten. Wahrscheinlich nicht.

»Mein Fehler«, sagte ich.

»Nein.« Ich hatte Mary Jo in Jesses Zimmer stehen lassen, aber sie musste mir nach unten gefolgt sein. »Nicht dein Fehler«, sagte sie. »Vielleicht hätten Warren oder Darryl Paul aufhalten können, aber Henry hat bewusst darauf geachtet, dass sie nicht da waren.« Sie warf mir einen undurchdringlichen Blick zu, der Darryl zur Ehre gereicht hätte - unergründlich, aber nicht besonders feindselig. »Sie hätten niemals geglaubt, dass Samuel sich einmischen würde. Sie sehen ihn als einsamen Wolf, nicht als Adams Freund.«

Der Blick, ging mir auf, sollte mich wissen lassen, dass sie ihnen nichts von Samuel erzählen würde, wenn ich es nicht tat.

»Henry?« Darryl war schockiert genug, um nicht mehr wütend zu sein. »Henry?«

Mary Jo hob das Kinn. »Er hat es geplant.« Sie schaute mich kurz an, dann wandte sie den Blick ab. »Er will Adam tot sehen und benutzt Paul... Hat auch mich benutzt, um das herbeizuführen.«

»Das haben sie dir also erzählt?« Henry trat in die Küche. Er war ein kompakt gebauter Mann, ein wenig größer als ich, mit einem sympathischen Lächeln und haselnussbraunen Augen, die mal grau, mal golden wirkten, statt wie normal mal braun, mal grün. Seine Frisur war konservativ, und er rasierte sich ziemlich sicher mit einem altmodischen Rasierer, denn elektrisch war diese wohlgepflegte Glätte nicht zu erreichen. »Mary Jo...«

»Lästig«, murmelte ich. »Dass man andere Werwölfe nicht anlügen kann.«

Wäre Mary Jo nicht vor mich getreten, hätte er mich geschlagen. Sie steckte den Schlag für mich ein und wurde gegen die Kücheninsel geworfen. Durch ihren Aufprall löste sich die steinerne Arbeitsplatte und rutschte zur Seite - Jesse fing die Granitplatte und schob sie zurück, bevor sie Übergewicht bekommen und auf den Boden fallen konnte. Hätte er mich so hart geschlagen, wäre ich nicht aufgestanden, wie Mary Jo es tat - aber sie hielt sich die Rippen.

Auriele trat Henry in den Weg, als er zu ihr gehen wollte. Sie schürzte die Lippen. »¡Hijo de perra!«, sagte sie wütend. Henry lief rot an, also hatte die Beleidigung ihn getroffen. Unter Werwölfen ist es eine sehr gute Beleidigung, jemanden als Sohn einer Hündin zu bezeichnen.

»Hijo de Chihuahua«, legte Mary Jo nach.

Auriele schüttelte den Kopf. »Darryl hat immer wieder gesagt, dass nicht Paul hinter der ganzen Unruhe stecken kann, die wir in den letzten paar Jahren im Rudel hatten. Weil niemand auf Paul hören würde. Wir wussten, dass er Recht hat, aber niemand anders schien zu passen. Ich hätte eher Peter verdächtigt als dich.«

Peter war der einzige unterwürfige Wolf im Rudel. Es war unvorstellbar, dass ein unterwürfiger Wolf Machtspielchen spielte. Wenn Auriele Recht hatte, dann hatte das alles schon lange vor dem fatalen Bowlinganlagen-Vorfall begonnen.

»Wie lange weißt du schon, dass Mary Jo dich für Adam fallengelassen hätte wie eine heiße Kartoffel?«, fragte ich.

Er knurrte etwas Beleidigendes.

»Du hast überhaupt keinen gesunden Menschenverstand«, sagte Auriele. Ich ging davon aus, dass sie mit mir sprach, also antwortete ich ihr.

»Er wird nichts unternehmen, wenn ihr alle da seid. Er ist klug genug, um Angst vor dir zu haben.«

»Bestimmt seit ich getötet wurde«, sagte Mary Jo und beantwortete damit die Frage, die ich Henry gestellt hatte. »Stimmt das nicht? Beim ersten Mal, als ich wieder zu Bewusstsein kam. Du hast meine Stirn geküsst, und ich habe dich Adam genannt. Aber es klingt, als hättest du schon vorher eine Ahnung gehabt.«

»Verschwinde hier«, sagte Darryl, mit tiefer, wütender Stimme. »Verschwinde aus diesem Haus, Henry. Wenn du zurückkommst, um dir den Kampf anzusehen, dann komm durch die Außentür. Und hoffe besser, dass Adam diesen Kampf gewinnt, sonst werde ich so gründlich den Boden mit dir wischen, dass sie nicht mal mehr eine Kiste brauchen, um dich zu beerdigen. Ein Wischmopp wird reichen.«

Henry wurde rot, dann bleich, dann wieder rot. Er verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Die Eingangstür öffnete sich und knallte ins Schloss.

Ben schlenderte mit grimmiger Miene in den Raum, Sam direkt hinter sich.

»Wo will denn Henry so eilig hin? Darryl, gut - ich habe dich gesucht. Ich habe gerade im Keller mit Warren gesprochen. Habt ihr gehört...?« Er verstummte, als er Jesse entdeckte. Dann musterte er uns einen nach dem anderen. »Ich sehe schon, ihr habt es gehört.«

Darryl versteifte sich. »Samuel?« Seine Stimme war sanft.

»Er ist schon ein paar Tage so«, erklärte Ben. »So weit, so gut. Es ist eine lange Geschichte, und wir können sie dir nachher erzählen. In fünf Minuten müssen wir in der Garage sein.«