8

 

Am nächsten Morgen, nach einem Frühstück, das dem Abendessen was die Menge betraf sehr ähnlich, aber völlig anders im Geschmack und der Zusammensetzung war, wurden die fünf Gefangenen von dem mechanischen Diener durch den großen Park oder das Reservat geführt, bis sie ein großes, fensterloses Gebäude erreichten. Es war aus denselben tonfarbenen Ziegeln gebaut wie alles andere in diesem Teil des Planeten.

»Dies ist die Waffenkammer«, erklärte ihnen Diener, indem er sie über die Türschwelle führte. »Hier könnt Ihr jeden Tag mit der Waffe Eurer persönlichen Wahl üben.«

Dieser Gedanke munterte Dane für kurze Zeit auf. Waffen, Waffenkammer. Ihm wurde bewußt, daß er, ungeachtet seiner mutigen Worte gestern Abend, mehr oder weniger in Begriffen einer Großwildjagd oder einer Safari auf der Erde gedacht hatte, wo dem Wild keine andere Verteidigungsmöglichkeit blieb, als wegzulaufen und sich zu verstecken oder mit den natürlichen Waffen anzugreifen, die Klauen, Zähne oder Stoßzähne oder auch nur Größe und Gewicht ihnen verliehen. Während die Jäger auf der anderen Seite mit den modernsten und gefährlichsten Waffen ausgestattet waren, die die Wissenschaft ihnen in die Hand gab Gewehre, Pfeile und Schießfahrzeuge mit Spezialfenstern. Wenn er von einem echten Risiko für die Jäger hier gesprochen hatte, so hatte er an die Wildgesetze der Erde gedacht, die mehr darauf abzielten, den Abschuß zu beschränken und die Fortpflanzung des Wildes zu gewährleisten, als den Tieren eine bessere Überlebenschance zu sichern. Solche Dinge wie die Gesetze gegen das Abschießen von Jungtieren oder säugenden weiblichen Tieren; Gesetze gegen Wilddieberei oder den Gebrauch von explosiven Kugeln zum Töten von Großwild.

Aber es war möglich, daß das, was er gesagt hatte, wortwörtlich stimmte; in diesem Fall würden die Jagdgesetze mehr dem formalisierten, quasi religiösen Sport des Stierkampfes entsprechen; eine Verherrlichung des Todes, die einen ernsthaften Kampf, ein Duell auf Leben und Tod voraussetzte

Er folgte Diener in das große Gebäude.

Innen war es gleichmäßig erleuchtet. Es hatte einen weichen Fußboden und war in sehr große Flächen eingeteilt. Es erinnerte Dane entfernt an eine große Turnhalle oder einen Übungsplatz auf der Erde. Vier oder fünf olympische Mannschaften hätten sich hier verausgaben können, ohne einander so nahe zu kommen, um den Stil des anderen studieren zu können.

Und entlang den Wänden waren überall, auf einer Fläche, die wie Hektar um Hektar von Raum wirkte, Waffen aufgereiht.

Waffen. Dane hatte nie so viele Waffen gesehen.

Da gab es Schwerter jeder Art, Form und Größe, darunter solche, von deren Existenz er sich nie etwas hätte träumen lassen von großen zweihändigen Kreuzfahrer- und Wikingerschwertern über kurze, dünne Rapiere bis zu gebogenen persischen Säbeln. Einige waren so winzig und schmal, daß sie ein vierjähriges Kind hätte führen könnten, und Dane stellte neugierig Vermutungen darüber an, was für eine Rasse das sein mochte, die ihre kleinen Griffe fassen und halten konnte. Andere dagegen waren so riesig, daß er bezweifelte, daß Aratak sie mit beiden Händen hochheben konnte.

Neben den Schwertern gab es Dolche und Messer, auch sie in jeder nur denkbaren Form und Machart. Da gab es riesige Speere sowie kleinere und schmalere. Da gab es Schilde, große, viereckige, runde und dreieckige, kleine, runde, leichte aus Leder und Weidenzweigen, merkwürdig geformte, die offensichtlich nicht für die menschliche Anatomie bestimmt waren, da sie mindestens drei Griffe hatten und mit weniger Händen nicht bequem hochgehoben werden konnten. Da gab es Keulen und Schläger. Da gab es Waffen, die Dane noch nie zuvor gesehen hatte, und von denen er nicht wußte, wie er sie beschreiben sollte.

Aratak fragte Diener: »Wie lauten die Regeln der Jagd, was diese Waffen betrifft?«

»Ihr könnt Euch die Waffen aussuchen, die Euch gefallen, und mit ihnen von nun an bis zum Tage der Jagd trainieren«, sagte Diener. »Dann könnt Ihr so viele Waffen mit Euch nehmen, wie Ihr tragen könnt.«

Dallith legte ihre Hand in Danes. Sie stellte die Frage, an die er dachte. »Welche Waffen tragen die Jäger?«

Dieners Stimme war ausdruckslos wie immer: »Einige haben die eine Waffe, andere haben die andere. Jeder Jäger hat seine Lieblingswaffe.«

Rianna sagte: »Haben sie irgendwelche anderen Waffen? Nervengewehre zum Beispiel oder Waffen mit Explosiv-Antrieb?«

»Nein«, sagte Diener. »Die Regeln der Jäger, die älter sein sollen als ihre Rasse selbst, verbieten es, Waffen zu tragen, die dem Heiligen Wild verwehrt sind.«

Das, dachte Dane, ist eine große Erleichterung. »Du willst damit sagen, daß keine anderen Waffen gegen uns verwendet werden als jene, die hier vorrätig sind?«

»Keine einzige. Die Waffenkammer enthält eine komplette Sammlung aller erlaubten Waffen.«

Er rollte auf eine andere Gruppe von Leuten in ziegelfarbenen Tuniken zu, die am anderen Ende der Waffenkammer trainierten. Dane glaubte, zwei Mekhar unter ihnen zu erkennen; er fragte sich, ob es dieselben waren, deren Gesellschaft Cliff am Tag zuvor arrogant abgelehnt hatte. Sie arbeiteten mit etwas, das aus dieser Entfernung wie Kendostäbe oder wie kurze, stumpfe Viertelstöcke aussah.

Er ging auf die Wände der Waffenkammer zu, um sich die stattliche Reihe von Waffen von Nahem anzusehen, die da ausgestellt waren. Ein Waffensammler würde hier drinnen verrückt werden, dachte er. Ganz zu schweigen vom Kurator eines Waffenmuseums!

»Ich frage mich, ob alle diese Waffen von den Jägern für ihre Beute hergestellt worden sind«, sagte Rianna an seiner Seite, »oder ob sie aus allen Ecken der Galaxis zusammengesucht wurden.«

»Die Frage ist mir auch durch den Kopf gegangen«, rasselte Aratak, »aber ich nehme nicht an, daß wir das jemals erfahren werden.«

Dane lächelte grimmig. »Wie es der Zufall will ich glaube, diese Frage kann ich beantworten«, sagte er, während er mit gebannter Aufmerksamkeit ein langes, gebogenes Schwert anstarrte, das in einer Scheide aus schwarzem, lackiertem Holz an der Wand hing. »Es ist anzunehmen, daß zumindest einige gesammelt oder hier behalten worden sind in Erinnerung an ungewöhnlich gefährliches oder wagemutiges Jagdwild.« Er griff hinauf und holte die Scheide herunter.

»Schaut her«, sagte er. »Dieses sonderbare Schwert zum Beispiel.«

»Es ist nicht einzigartig«, meinte Rianna. »Ich kann dir die Namen von vier Planeten nennen, wo diese Art Schwert verwendet wird derselbe Typ jedenfalls; ich bin kein Waffenspezialist.«

»Aber was dieses betrifft, bin ich es«, sagte Dane, während er die Klinge mit anscheinend übertriebener Vorsicht aus ihrer Umhüllung zog und auf Armeslänge von sich hielt. Er folgte der glänzenden, hochpolierten Klinge mit den Augen. »Beachtet, daß die Kurve über die ganze Länge des Schwertes verläuft es ist tatsächlich bogenförmig. Das mag in der ganzen Galaxis gebräuchlich sein es ist sogar wahrscheinlich. Die Konstruktion ist ziemlich wirksam. Gekrümmte Schwerter sind sogar auf meinem Planeten üblich. Aber diese besondere Klinge nun, schaut her. Sie ist aus zwei verschiedenen Metallen gefertigt; der Kern aus weichem Eisen, das sich biegen kann, ohne zu brechen, die Außenfläche aus gehärtetem Stahl. Seht ihr diese Wellenlinie?« Vorsichtig deutete er auf die Linie, an der das Metall die Farbe wechselte. »Hier wurde der Stahl besonders gehärtet, so daß man ihn schärfen konnte wie die Schneide eines Rasiermessers obwohl, um genau zu sein, ein gewöhnliches Rasiermesser stumpf dagegen ist. Ich habe einen Experten gesehen, der einen seidenen Kimono von einem menschlichen Körper geschnitten hat, ohne den Träger zu verletzen. Beachtet den spiegelglatten Schliff. Wie glänzend es poliert ist! Und selbstverständlich schmückt und vollendet jede Kultur ihre Schwerter in charakteristischer Weise, und diese eine ist unverwechselbar. Schaut euch das Heft an den Griff aus Haifischhaut mit Seidenband in diesem besonderen Muster umwickelt. Dieses Schwert wurde auf der Erde gemacht«, schloß er. »Das kann kein Zufall sein. Aber wenn ihr einen absolut sicheren Beweis haben wollt …« Vorsichtig ließ er einen kleinen hölzernen Zapfen aus dem Knauf gleiten, und mit wenigen geschickten Griffen löste er den ganzen Griff und untersuchte den freigelegten Dorn. Er drehte die Klinge um, so daß sie die Zeichen sehen konnten. »Dies ist ein japanisches Samuraischwert, 1572 von Mataguchi hergestellt und sicher eines der herrlichsten, die je gemacht wurden; ich habe schon andere Schwerter von Mataguchi gesehen, aber keines war so perfekt.«

Dalliths Atem stockte. »Auf deiner Welt gemacht?«

»Auf meiner Welt«, antwortete Dane grimmig, »vor vierhundert Jahren. Die Samurai waren der Stamm mit den wildesten Schwertkämpfern, die es je gab. Und irgend jemand oder irgend etwas muß auf der Erde gelandet sein und zumindest einen von ihnen –, hierher gebracht haben, um ihn mit den Jägern kämpfen zu lassen.«

Er ließ seinen Blick liebkosend über die ganze Länge der Klinge gleiten, bevor er den Griff wieder befestigte; Rianna streckte ihre Hand aus, als wolle sie die Klinge berühren, und er faßte nach ihr, um sie daran zu hindern.

»Tu das, und du kannst deinen Finger vom Boden aufheben«, sagte er. »Ich habe es euch gesagt: Ein Rasiermesser ist stumpf dagegen. Dieses hier hat sicher lange hier gehangen. Es ist ein bißchen angelaufen aber trotzdem Diese Roboter oder sonst jemand haben gut darauf aufgepaßt.«

Er ließ es vorsichtig in die lackierte Scheide gleiten.

»Ich beneide keinen Jäger und es ist mir ganz gleichgültig, was für Wesen es sind –, der gegen einen Samurai mit diesem besonderen Schwert in der Hand anrennt. Mag sein, daß er getötet worden ist wahrscheinlich wurde er getötet –, aber er verkaufte sein Leben sicher nicht billig.«

»Vielleicht war er einer von denen, die entkamen«, vermutete Rianna, »und sie haben das Schwert zu seiner Ehre in der Waffenkammer aufgehängt.«

»Nicht, wenn das, was ich über die Samurai weiß, richtig ist«, entgegnete Dane ruhig. »Wenn er am Leben geblieben wäre, hätte er sein Schwert mit sich genommen, wo immer er auch anschließend hinging. Das Schwert des Samurai ist die Seele des Samurai. Sie müssen ihn getötet haben, um es zu bekommen.«

Er stand einen Moment lang mit der Scheide in der Hand da. Das Mataguchi-Schwert es wäre auf der Erde ein unbezahlbares Museumsstück oder das gehütete Erbstück einer alten japanischen Familie gewesen war etwas länger und schwerer als alle Schwerter, mit denen er je geübt hatte. Und es war Jahre her, daß er den japanischen Fechtstil studiert hatte. Er müßte vermutlich ein halbes Dutzend Schwerter desselben Typs ausprobieren, bis er das eine fand, welches das perfekte Gewicht für seinen Arm hatte.

Aber er fühlte sich auf seltsame Weise zu dem namenlosen, unbekannten japanischen Schwertkämpfer aus dem sechzehnten Jahrhundert hingezogen, der in einem unvorstellbaren Augenblick in der Geschichte gekidnappt worden war, wie er selbst und wie er quer durch das bekannte Universum geschleppt wurde, um unglaubliche Gegner zu bekämpfen. »Ich glaube, ich habe meine Waffe gefunden«, sagte er. »Vielleicht ist es ein gutes Omen.«

Er drehte sich zu Cliff um und sagte: »Gibt es hier Waffen, die deinem Volk zusagen?«

Er gewöhnte sich langsam an das arrogante Kräuseln der Oberlippe des Mekhar. »Waffen? Ich benötige nur diese«, sagte der Löwenmann, indem er seine großen Pranken bog und die langen, gebogenen, messerscharfen Krallen herausschnellen ließ, die glitzerten, als ob nein sie trugen künstliche Spitzen aus glänzendem Metall!

Wie eine Zahnkrone, dachte Dane, nur viel gefährlicher.

»Ich kann jeder lebenden Kreatur damit entgegentreten. Es wäre unter meiner Würde, geringere Waffen zu benutzen.«

Dane hob eine Augenbraue. »Euer Motto scheint zu sein: Allzeit bereit. Aber an Bord des Raumschiffes trugst du ein Nervengewehr, wenn ich mich richtig erinnere.«

»Zum Tierehüten«, sagte der Mekhar voller Verachtung. »Aber ich bin ein Mitglied der kämpfenden Kaste, und ich habe das Blut meiner Feinde in hundert Duellen vergossen. Diese hier …« Mit einem einzigen spöttischen Nicken umfaßte er die gewaltige Sammlung von Waffen, die an den Wänden aufgereiht waren, »… sind für die Rassen, die keine eigenen Waffen von der Natur bekommen haben. Eure schwachen Klauen und Zähne entwickelten sich zurück, als ihr auf die Waffen der Natur verzichtet habt, und du siehst, eure Rasse muß dafür bezahlen.«

Dane zuckte die Schulter.

»Jedem seine eigenen Waffen.«

»Da wir gerade von Geschichte sprechen«, sagte Rianna beißend, »Protosimianer waren nie, wie du es ausdrückst, mit den Waffen der Natur ausgestattet. Wir haben Gehirne bekommen, um unsere Verteidigung zu organisieren.«

»Das ist natürlich eure eigene Version«, entgegnete Cliff einigermaßen ungerührt.

»Nun, es geht mich ja nichts an«, meinte Dane ernsthaft zu ihm, »aber angenommen, sie treten dir mit einem langen Speer oder etwas Ähnlichem entgegen?«

Cliff dachte einen Augenblick darüber nach. Er sagte: »Ich werde ihrem Ehrgefühl vertrauen und ihrem Wunsch nach Sportlichkeit.«

»Ich wollte, ich hätte dein Vertrauen«, murmelte Dane.

Aratak studierte die lange Reihe der Waffen und sah unzufrieden aus. »Wir sind ein friedliebendes Volk«, sagte er. »Ich weiß nicht viel über Waffen. Ein Messer ist dazu da, Obst zu schälen oder Stachelfische zu schuppen. Ich muß darüber nachdenken.« Er schaute den langen Raum hinunter zu der Stelle, wo die Fremden, die dem Mekhar entfernt ähnelten, ihre Stöcke aufgehängt hatten, bevor sie gegangen waren. »Vielleicht sollte ich mich auf die schwerste Keule beschränken, die ich noch bequem heben kann. Mit meinem Gewicht dahinter müßte sie fast jeden greifbaren Angreifer zerschmettern. Wenn nicht, weiß ich, daß ich vom Kosmischen Ei dazu ausersehen worden bin, dieses Leben aufzugeben und mich mit seiner eigenen, unendlichen Weisheit zu vereinigen, und es wird sinnlos sein, mich damit abzumühen, fremde Waffen zu beherrschen.«

Dane vermutete, daß er recht hatte. Der Gedanke an Aratak, wie er die schwerste Keule, die er heben konnte, schwang, war wirklich Furcht erregend. Er vermutete, daß der große, kraftvolle Echsenmann ein Rhinozeros mit einem einzigen Schlag niederschmettern könnte, wenn es ihm gelänge, es genau auf der Stirn zwischen den Augenbrauen zu treffen. Und alles, was Aratak auf diese Weise nicht töten konnte, konnte wahrscheinlich nicht getötet werden.

Während er das Samuraischwert in den Armen wiegte, drehte sich Dane zu den Mädchen um. Er sagte: »Es erscheint mir unwirklich. Schwertkampf ist ein Sport, ein Spiel in unserer Welt. Niemand erwartet, daß er mit einem Schwert um sein Leben kämpfen muß in diesen Tagen.«

»Ich dachte, deine Welt sei voller Kriege«, gab Rianna zurück.

»Es gibt genug Kriege. Aber die meisten werden heute mit Bomben oder zumindest mit Gewehren ausgetragen. Sogar Bajonette sind aus der Mode gekommen. Und Polizisten tragen Gewehre, wenn ihre Polizeiknüppel nicht ausreichen, um den Frieden zu erhalten.« Er runzelte unwillig die Stirn. »Darin bin ich sicher besser qualifiziert als der durchschnittliche Erdenmann, der nie mit etwas Tödlicherem umgegangen ist als mit dem Wall Street Journal.«

Rianna schüttelte mißbilligend den Kopf und sagte: »In meiner Welt haben die Frauen nie viel gekämpft, auch nicht, bevor die Kriege abgeschafft wurden. Ich pflegte ein Messer bei mir zu haben für den Fall, daß ich bei einer archäologischen Ausgrabung angegriffen würde in den wilderen Gebieten tauchen noch ab und zu Diebe und Vergewaltiger auf –, und ein- oder zweimal mußte ich Gebrauch davon machen. Aber für gewöhnlich genügte es zu zeigen, daß ich es hatte; der durchschnittliche Vergewaltiger ist ein Feigling. Ich frage mich, ob ich eines finden kann, das leicht genug für mich ist.«

Dane grinste ein bißchen. »Wenn nicht, dann existiert es sicher nicht. Sie haben Messer von sechs bis sechsunddreißig Zoll Länge und von jedem Gewicht zwischen fünfzig Gramm und zehn Pfund.«

Rianna wählte schließlich einen langen, dünnen, blattförmigen Dolch und eine kleine zweite Klinge, die sie in ihrer Rocktasche verstecken konnte. Sie blinzelte, als sie den längeren Dolch an ihrer Taille befestigte und sagte: »Es braucht einige Zeit, sich daran zu gewöhnen. Der Gedanke, es gegen ein ein intelligentes Wesen anwenden zu müssen oder es gegen mich angewendet zu sehen …« Sie rieb sich heftig die Augen, aber Dane bemerkte, daß sie hinter ihrer stolzen Tapferkeit vor Angst zitterte.

»Wir wollen hoffen, daß es nicht dazu kommt, Rianna«, sagte er. »Ich habe es so verstanden, daß wir einfach überleben müssen, und wenn wir das tun können, indem wir rennen, werde ich rennen und mich verstecken, so gut ich kann. Ich bin auch nicht versessen darauf, mit diesen Jägern zu kämpfen.«

Er dachte, daß es gut war, wenn man ihnen einige Zeit ließ, um sich mit dem Gedanken an einen Kampf auf Leben und Tod vertraut zu machen. Das war keine Sache, die eine zivilisierte Person leicht verdauen konnte. Und obwohl manche Leute sagten, daß Zivilisation eine bloße Äußerlichkeit sei, war diese Äußerlichkeit bei manchen Leuten stabiler als bei anderen. Er hatte es während seines kurzen Armeedienstes gesehen in Vietnam. Einige Rekruten gewöhnten sich leicht an den Gedanken zu töten. Die Zivilisation fiel augenblicklich von ihnen ab, wenn der Ausbilder ihnen ein Gewehr in die Hand gab und ihnen befahl anzugreifen. Zu viele von dieser Art in einer Division, und man hatte ein My-Lai-Massaker, bei dem das Töten sich verselbstständigte und nicht aufgehalten werden konnte, bevor Männer, Frauen, alte Menschen und kleine Kinder alle tot am Boden lagen. Anderen Rekruten konnte das Töten nicht beigebracht werden. Sie gingen in den Kampf und feuerten in die Luft oder drückten den Auslöser blindlings, weil sie zwar nicht sterben wollten, aber den Gedanken an ein tatsächliches menschliches Ziel nicht ertragen konnten.

Einer seiner Freunde, der bei der Polizei gewesen war, hatte ihm erzählt, daß es dort genauso war. Einige Männer töteten bereitwillig vielleicht zu bereitwillig. Andere entdeckten ihre Fähigkeit zu töten erst, wenn ihr eigenes Leben davon abhing. Und manche konnten sich niemals überwinden, überhaupt zu schießen, und wenn sie nicht das Glück hatten, einen Schreibtischjob zugeteilt zu bekommen oder als Verkehrspolizist an einem Spielplatz eingesetzt zu werden, war es wahrscheinlich, daß sie während des Dienstes erschossen wurden, bevor sie sich überwinden konnten, ihre eigene Waffe zu ziehen.

Er hatte nie bewußt jemanden getötet. Er hatte die kriegerischen Künste Kendo, Karate, Aikido aus derselben geistigen Haltung heraus studiert, aus der heraus er Berge bestiegen und an Einhand-Segelregatten teilgenommen hatte: Um des Sports und der geforderten Geschicklichkeit willen. Konnte er töten? Er war nicht sicher. Aber ich werde einen verdammt ernsten Vorstoß in diese Richtung machen müssen es wird kein Spaß werden!

Es blieben ihm jedenfalls ein paar Tage, sich selbst davon zu überzeugen. Er erinnerte sich an das eine Mal, als er als Reserveteilnehmer, ohne Chance, in der Arena zu erscheinen mit der olympischen Fechtmannschaft gereist war. Er hatte einen Langstreckenmeister kennen gelernt, einen Goldmedaillengewinner aus England, der ihm gesagt hatte, daß alles gewinnen, verlieren, teilnehmen im Kopf stattfand. »Deine Psyche bestimmt das Gewinnen oder Verlieren«, hatte er gesagt, »du kannst dich selbst in das Gefühl versetzen, gleich tot umfallen zu müssen, oder du kannst tatsächlich tot umfallen. Einige Menschen haben das getan.«

Also konnte man seine Psyche sicherlich auch aufs Töten einstellen. Cliff brauchte das wahrscheinlich nicht, dachte er. Seine Rasse schien aus Killern zu bestehen. Er hatte davon gesprochen, daß sie Duelle ausfochten. Aratak? Ein friedfertiges Volk, aber wenn er gereizt wurde, konnte er fürchterlich werden. Er hatte Aratak gegen die Mekhar kämpfen sehen. Was Rianna betraf ihr Volk war ziemlich zivilisiert, aber wenn sie das Messer gegen einen Dieb oder einen möglichen Vergewaltiger benutzen konnte, war sie sicher auch in der Lage, einen Angreifer zu töten, wenn es darauf ankam.

Aber Dallith?

Ihr Volk war friedliebend. Sie war sogar Vegetarierin. Sie würde vor Angst umkommen

Aber sie war wilder als irgendeiner von uns gegen die Mekhar. Aratak hatte Dallith mit seiner ganzen Körperkraft von einem Mekhar wegziehen müssen, um sie daran zu hindern, ihn an Ort und Stelle umzubringen

Er sah sich nach ihr um, aber sie untersuchte eine Reihe seltsam aussehender, offensichtlich nichtmenschlicher Waffen weit hinten im Raum, und etwas an der entschlossenen Art, wie sie ihm den Rücken zukehrte, hielt ihn davon ab, sich zu ihr zu gesellen.

Ich möchte sie beschützen, dachte er. Und ich kann es nicht. Ich werde alle Hände voll zu tun haben, mich selbst am Leben zu erhalten.

Er bot alle Selbstdisziplin auf, die er hatte, und strich diesen Gedanken streng aus seinem Kopf. Seine Ängste konnten bei Dallith nur eines bewirken, nämlich ihre eigenen zu verstärken. Cliff hatte die Hälfte des langen Raumes durchquert und führte eine vollendete Form des Schattenboxens gegen die Wand vor.

Er verschmäht Waffen. Aber diese anderen Mekhar haben etwas ähnliches wie Kendostäbe benutzt.

Dane fragte sich, ob die Jäger wie die Mekhar waren. Cliff schien sie ziemlich gut zu verstehen.

Es schien, daß es verschiedene Gruppen gab, die mit unterschiedlichen Waffen übten. Er fragte sich, ob es erlaubt war, andere zu beobachten, und als er Diener oder einen anderen mechanischen Roboter, der ihm aufs Haar glich auf ihre Gruppe zurollen sah, stellte er ihm diese Frage. Er erfuhr, daß das verehrte Heilige Wild innerhalb der Grenzen des Jagdreservats überall hingehen konnte. Er fragte sich, was passieren würde, wenn er hinausginge, aber er war nicht gerade versessen darauf, das herauszufinden. Sobald er seine Waffe endgültig ausgewählt hatte, erfuhr er weiter, würde sie für die Dauer der Jagd für ihn reserviert werden und durfte dann von keinem anderen mehr benutzt werden.

Dane zögerte nur einen Augenblick, bevor er sagte, daß er sich entschieden habe. Vielleicht war es Torheit, vielleicht gab es eine Waffe, die besser für seine Hand geeignet war, aber die Verlockung eines Schwertes von seiner eigenen Welt war etwas, dem er nicht widerstehen konnte. Wenn es aus reiner Sentimentalität geschah, mußte er damit rechnen, daß er sein Leben dafür riskierte.

Er verbrachte den Rest des kurzen Tages damit, sich an das Gefühl des Heftes und des Schwertes in seiner Hand zu gewöhnen, an die Art, wie es in der Hand lag und wie es sich anfühlte. Als die Sonne unterging, kam Diener, um sie vor dem Abendessen wieder zu den Bädern zu führen.

Immer noch beschäftigt mit der Entdeckung des Samuraischwertes, trennte er sich von den anderen, ohne mit ihnen ein Wort zu wechseln, und streckte sich ungefähr eine halbe Stunde lang in einem der vulkanischen Becken aus, um nachzudenken. Seit undenkbaren Zeiten hatten Geschichten die Runde gemacht Charles Fort hatte Tausende gesammelt –, die von mysteriösem Verschwinden berichteten. Leute, die mit fliegenden Untertassen in Berührung gekommen waren, erzählten alle möglichen Geschichten über Schiffe aus dem fernen Raum. Da war die alte Geschichte der Mary Celeste. Das Schiff wurde im Atlantik treibend gefunden, alle Rettungsboote in Ordnung, das Schiff in perfekter seetüchtiger Verfassung, das Frühstück der Mannschaft fertig in der Kombüse und der Kaffee noch warm aber keine Seele an Bord, weder lebend noch tot. Nun hatte Dane Marsh den Beweis in seiner Hand gehalten, wo einige dieser auf geheimnisvolle Weise verschwundenen Menschen gelandet waren.

War das von Bedeutung? Niemand auf der Erde würde es je erfahren. Selbst wenn er die Jagd überlebte und die Jäger ihr Versprechen hielten, die Überlebenden freizulassen, war es jenseits aller Wahrscheinlichkeit, daß man ihn zur Erde zurückbringen würde oder könnte. Und wenn er tatsächlich irgendwie zurückkehren würde und versuchte, diese Geschichte zu erzählen nun, kein Mensch würde ihm glauben. Vielleicht war der Knabe, der behauptet hatte, an Bord eines Raumschiffes zur Venus gebracht worden zu sein, doch nicht so verrückt aber vielleicht war es nicht die Venus gewesen.

Vor ihm lag, wie ein großes Tor, das jeden Blick in die Zukunft verbaute, die Jagd. In das kochendheiße Becken getaucht, zu dem großen, roten Mond aufblickend, der heute mehr als ein Viertel des Himmels bedeckte, wurde ihm klar, daß er nicht anfangen konnte, sich vorzustellen, wie das Leben sein würde, bevor dies nicht vorbei und bewältigt war. Und wenn ich getötet werde, wird es egal sein, dachte er grimmig. Warum für eine Zukunft planen, die wahrscheinlich gar nicht kommen wird?

Nein. Dieser Weg führte in die Verzweiflung und den sicheren Tod. Der einzige Weg, sich zu vergewissern, daß es eine Zukunft geben würde, für die er planen konnte, lag hinter der Barriere der Jagd, und er hatte die Absicht, sie zu überleben, wenn er konnte. Der unbekannte Samurai, dessen Schwert er trug, hatte sicher geglaubt, er sei hinter das Ende der Welt gebracht worden, um gegen Dämonen zu kämpfen. Aber was auch immer sie waren, die Jäger waren keine Dämonen, und sie würden ihm nicht mit irgendwelchen monströsen, unbekannten Waffen entgegentreten. Sie mußten schlagbar sein. Alle Ungleichheiten mochten zu ihrem Vorteil ausgerichtet sein aber in einem Stierkampf lag der Vorteil auch auf der Seite des Torero, und trotzdem tötete der Stier manchmal den Mann.

Das heiße Wasser war in jede Pore seines Körpers gedrungen, und Dane fühlte sich geschmeidig, behaglich und entspannt. Er schnitt eine Grimasse zum Roten Mond hinauf und verließ das heiße Becken. Dann tauchte er schnell in das kältere Schwimmbecken, bevor die kalte Luft ihn abkühlen konnte.

Er schwamm eine Zeit lang umher, bis sein ganzer Körper sich lebendig anfühlte und prickelte. Dann zog er sich hinauf, trocknete sich flüchtig mit der ziegelfarbenen Tunika ab und begann, nackt auf dem Beckenrand, die Kata-Übungen durchzugehen.

»Du machst das schon den ganzen Tag«, sagte Rianna an seiner Seite. »Es sieht aus wie ein heiliger Tanz. Ich wußte nicht, daß du einer Religion mit Ritualen anhängst.«

Dane lachte, ohne seinen Rhythmus zu unterbrechen, und fuhr in seinen schnellen, tanzähnlichen Bewegungen fort, die Angriffs- und Verteidigungspositionen nachahmten; rhythmisch ging er von einer zur anderen über. »Ich lockere mich nur ein bißchen auf«, sagte er. »Nach dem heutigen Training und einem langen heißen Bad könnte ich leicht steif werden.«

Er beendete die Übung, bückte sich und zog seine Tunika an, bewußt, daß Rianna ihn beobachtete, als er sie festband. »Du scheinst ein paar unerwartete Fähigkeiten zu besitzen, die du nie erwähnt hast«, sagte sie.

»Ich haben nie gedacht, daß es mir das geringste nützen würde. Ich habe die kriegerischen Künste in derselben Art studiert, wie ein Mädchen den Tanz studieren könnte, auch wenn sie nicht die Absicht hat, zur Bühne zu gehen.«

»Es ist sehr schön anzusehen«, sagte Rianna mit einem Lächeln. »Ist es eine Kunst an sich?«

Dane schüttelte den Kopf. »Nein. Die Übungen stammen vom Karatesport einer Form des waffenlosen Zweikampfs; ich habe sie auf dem Mekhar-Schiff angewendet.« Er trat näher an sie heran, erheitert und erregt. Er war sich der Art sehr bewußt, wie sie ihn anschaute, gerötet, die Augen geweitet, das Haar eine schäumende Kupferwolke um ihr Gesicht, die eine Schulter von der Tunika entblößt. Ohne irgendeine Vorwarnung griff er nach ihr und zog sie fest in seine Arme, und er spürte, wie sie seine Umarmung erwiderte und sich dicht an ihn schmiegte.

Er dachte, der bloße Hauch eines Gedanken in der hintersten Ecke seines Gehirns: Dies ist keine Liebe, es ist keine Zärtlichkeit, es ist nur Triebverhalten. Es ist Instinkt, sich angesichts des drohenden Todes zu vermehren, um etwas von sich selbst zu hinterlassen Aber in diesem Augenblick hätte Dane die Stimme seiner Vernunft nicht gleichgültiger sein können. Er schaute schnell am Becken entlang (Habe ich das im Unterbewußtsein schon vorher bemerkt? Habe ich es geplant?), wo kleine, eingezäunte Gehölze und Baumdickichte fast bis zum Erdboden herunterhingen und den Einblick verwehrten.

»Hier entlang«, sagte er zu Rianna. Seine Stimme klang rau und drängend, und er zog sie in ein Gehölz. Er ergriff sie und drückte sie mit seinem Gewicht ins Gras.

Es war reiner Instinkt, und ebenso war ihre Erwiderung. Irgendwann, irgendwo, hörte er sich selbst zu ihr stammeln: »Ich sollte nicht nicht so …«

Sie zog ihn näher zu sich heran und flüsterte an seinem Mund: »Was macht es schon aus? Was haben wir zu verlieren?«

Es schien geraume Zeit vergangen zu sein. Das Licht des Roten Mondes war beträchtlich stärker geworden, so daß Rianna wie in einem karmesinroten Leuchten gebadet dalag, als sie sich mit einem sanften Lachen tief in ihrer Kehle bewegte.

»Wie unser lieber Aratak sagen würde ohne Zweifel sein geliebtes Kosmisches Ei zitierend: Was kann man von einem protosimianischen Paar schon erwarten? Sie hängen so fest in den Klauen ihrer Geschlechtstriebe.« Sie beugte sich über ihn und küßte ihn flüchtig. »Dane, Dane, schau nicht so jämmerlich verteidigend drein! Es ist eine normale Reaktion selbstverständlich ist es das. Warum sollten wir, du und ich, davon ausgenommen sein?«

Er setzte sich auf, drapierte seine Tunika und lächelte die Frau an.

»Ich glaube es ist besser, wir gehen zurück zum Abendessen. Sonst kommt noch dieser verdammte Roboter oder einer seiner computergelenkten Brüder und schaut nach uns, und ich würde es hassen, irgendeinem verfluchten Servomechanikus erklären zu müssen, was uns zurückgehalten hat!«

Sie entgegnete heiter: »Ich bin sicher, er ist es gewöhnt.«

Es war jetzt so dunkel, daß die Lichter aus dem Inneren des Hauses leuchteten, das ihr augenblickliches Heim war, und als Rianna und Dane eintraten, hatten die anderen schon mit dem Essen begonnen. Cliff schaute mit einem satirischen Kräuseln seiner bärtigen Lippen kurz auf und wandte sich dann wieder seinem Essen zu. Dallith, sehr klein und zerbrechlich, saß über ihren Teller gebeugt. Als sie hereinkamen, hob sie den Kopf und lächelte Dane an (Erleichterung über sein Zurückkommen hatte sie ihn vermißt?), und es traf Dane wie ein Fuder Backsteine.

Dallith! O Gott! Sie wird es wissen. Ich liebe sie, ich liebe sie und treibe mich mit Rianna in den Büschen herum Verflucht seien alle protosimianischen Instinkte

Das Lächeln gefror plötzlich auf Dalliths Gesicht; sie errötete tief und beugte sich wieder über ihren Teller, und Riannas Lächeln verzerrte sich, aber sie ergriff Danes Hand fast schmerzhaft, und Dane konnte vor Scham seine Hand nicht wegziehen. Statt dessen legte er seinen Arm um ihre Taille und zog sie beruhigend an sich.

Sie verdient nichts als Freundlichkeit! Aber, o Gott, Dallith Habe ich sie verletzt? Tief unglücklich sah er ihren gesenkten Kopf.

Aratak, der die Spannung im Raum spürte, schaute mit freundlich fragenden Augen auf, und Rianna sagte herb, verteidigend: »Nun, hat das Göttliche Ei keine Weisheit für diesen Augenblick?«

Aratak grummelte: »Es gibt Zeiten, in denen Weisheit fehl am Platz scheint, Kind. Die einzige Weisheit, der ich im Moment meine Zunge leihen kann, ist die, daß es gut ist, wenn alles andere versagt, den Magen zu beruhigen. Iß dein Abendessen, Rianna, bevor es kalt wird.«

»Das klingt wie eine verdammt gute Idee«, sagte Dane. Er wollte zu seinem gewohnten Platz neben Dallith gehen, aber Rianna hielt immer noch seine Hand, und er konnte es nicht über sich bringen, sich von ihr zu lösen. Er bückte sich, um sein Tablett aufzunehmen und ließ sich neben Rianna auf der Erde nieder.

Während sie aßen, hob er immer wieder die Augen und schaute hinüber durch den Kreis, den sie bildeten, um Dalliths Blick aufzufangen, aber jedes Mal, wenn er sie anschaute, saß sie über ihren Teller gebeugt und aß verbissen irgend etwas, was wie Reis mit Soße aussah. Oder sie schälte eine große hellgelbe Frucht, das Gesicht in den lockeren Wellen ihrer blonden Haare halb versteckt. Bevor Dane halb aufgegessen hatte, legte sie ihr Tablett beiseite und ging zu ihrem Bett, wo sie ihnen allen den Rücken zukehrte und bewegungslos dalag, schlafend oder es nur vortäuschend. Einmal während des Abends ging Rianna zu ihr hin und beugte sich über sie, wie um mit ihr zu sprechen, aber Dallith lag mit geschlossenen Augen da. Weder bewegte sie sich, noch nahm sie sonst irgendwie Notiz von ihr.

Sie hatten, halb unbewußt, die Schlafordnung beibehalten, in der sie sich befunden hatten, als sie das erste Mal hierher gebracht worden waren: Dane schlief an Riannas Seite auf einem breiten Bett, Dallith ihnen gegenüber. Aratak hatte es sich auf den Steinen bequem gemacht, der Mekhar hatte sich wie eine Katze auf dem weichsten Bett zusammengerollt. Dane hatte am Abend zuvor daran gedacht, die Frauen zu fragen, ob sie es vorziehen würden, sich das breite Bett zu teilen und ihm das andere zu lassen, aber die Ruhe, mit der sie die Anordnung akzeptiert hatten, hatte ihn davon zurückgehalten. Jetzt kam ihm der Gedanke, daß vielleicht der Geschlechtsunterschied zwischen männlichen Menschen und weiblichen Menschen für die Jäger völlig ohne Bedeutung war.

Als sie sich zum Schlafen niederlegten, legte Rianna ihren Kopf in seine Armbeuge. Sie sagte weich: »Dane, Dallith ist so unglücklich. Kann sie eifersüchtig sein?«

Dane hatte verbissen versucht, gerade diesen Schluß zu vermeiden. Welches Recht hatte er zu denken, daß es Dallith etwas ausmachte? »Ich weiß es nicht, Rianna. Vielleicht ist sie einfach verlegen, weil ich es war. Ich habe dir ein bißchen über die nun, die sexuellen Gebräuche meiner Welt erzählt. Sie fühlte meine Verlegenheit, als du und Roxon auf dem Mekhar-Schiff …«

»Aber damals wußte sie, daß Roxon und ich nur so taten«, sagte sie klug. »Dane, tut es dir leid?«

»Wie könnte es?« Er legte seine Arme um sie und hielt sie fest an sich gedrückt. Sie war großzügig seinen Bedürfnissen gegenüber gewesen hatte sie geteilt –, und wie auch immer er ihr gegenüber fühlte, es knüpfte ein Band. Und er hatte kein Recht, es ihr vorzuwerfen. Sie rückte näher zu ihm heran, und nach einigen Minuten fiel sie in tiefen Schlaf.

Aber Dane lag wach und wußte, ohne es zu sehen oder zu hören, von Dalliths unglücklicher Stille und Zurückgezogenheit. Es erinnerte ihn nur zu lebhaft daran, wie sie ausgesehen und gehandelt hatte, als sie auf dem Sklavenschiff der Mekhar sterben wollte.

Denkt sie, ich habe mich von ihr zurückgezogen? Fühlt sie sich zu allein?

Hör auf, dir selbst zu schmeicheln, Marsh. Es gibt kein einziges Mädchen, das hingeht und stirbt, weil du mit einer anderen Frau schläfst. Nicht einmal Dallith, so anders sie auch ist.

Aber sie hat sonst niemanden. Und das ist der Grund, warum sie schon einmal sterben wollte. O Himmel, ich wünschte, sie würde sich im Schlaf umdrehen oder irgend etwas

Schließlich konnte er die Stille nicht länger ertragen. Er erhob sich und ging leise durch den Raum. Aratak, blauglühend wie immer, wenn er schlief, bewegte sich, öffnete ein Auge und nickte, als würde er zustimmen, und Dane merkte, wie er wieder vor Verlegenheit errötete, aber er zögerte nicht.

Das rötliche Licht warf farbige Muster durch die geschlossenen Jalousien und fiel in Streifen über Dalliths ausgebreitetes blondes Haar. Dane ließ sich an ihrer Seite nieder und beugte sich über das Mädchen.

»Dallith«, sagte er sanft. »Schau mich an. Bitte, Liebling, schau mich an.«

Einen Augenblick lang war sie still, und Danes Herz wurde schwer hatte sie sich wieder jenseits seiner Reichweite zurückgezogen? aber dann, als hätte sie seine Angst gespürt und wollte sie beantworten, rollte sie sich herum, die Augen groß und unergründlich, und sah entschlossen zu ihm auf.

»Schmeichle dir nicht«, sagte sie ruhig. »Es ist nicht so wichtig, oder?«

Er fühlte eine Welle unvernünftigen Ärgers in sich aufsteigen, halb auf Rianna gerichtet, halb auf Dallith und auf Grund einer unbegreiflichen Arithmetik auch auf sich selbst, seine eigene Ungeschicklichkeit. Er sagte: »Vielleicht nicht. Ich dachte, du würdest es denken, und ich wollte sicher sein …« Seine Stimme stockte plötzlich. Er war das Produkt einer Gesellschaft, in der Männer nicht weinten; aber plötzlich stiegen ihm Tränen in die Augen und fluteten über, und er wußte, in hilfloser Wut, daß er anfangen würde zu schluchzen. Er beugte sich dicht zu dem Mädchen herab, zog sie an sich und preßte sein Gesicht in ihre weiche Tunika.

Für einen Augenblick wurde sie weich und hielt ihn umschlungen; dann löste sie die Hände und sagte mit freundlichem Spott: »Ich auch?«

Es war wie eine kalte Dusche. (Er hörte nicht auf zu glauben, daß sie schließlich doch auf schmerzhafte Weise lernen würde, ihre eigene Verletzbarkeit zu beschützen.) Er sagte ungeschickt: »Dallith, ich ich hatte Angst oh, was soll ich dir sagen? Du scheinst alles zu wissen. Du bist dir jetzt deiner selbst so verdammt sicher.«

»Ist es das, was du denkst?« Sie lehnte sich zurück, ihre großen Augen hoben sich wie die eines verwundeten Rehs dunkel ab gegen die Helligkeit ihrer Wangen und Haare.

Dane stammelte: »Ich liebe dich. Ich begehre dich. Du weißt, was ich fühle, du weißt, daß du es weißt. Und doch was kann ich dir sagen? Du darfst Rianna keinen Vorwurf machen, nicht wahr? Es ist nicht ihre Schuld, und du hast sie auch geängstigt.«

»Es tut mir leid wegen Rianna«, sagte Dallith sanft. »Sie war auch freundlich zu mir. Ich habe mich sehr schlecht benommen. Ich weiß das. Dane, es …« Zum ersten Mal klang sie ein bißchen unsicher, »… es macht mir nichts aus nicht das. Ich wußte es. Ich ich glaube, ich habe es sogar erwartet.«

Er legte seinen Arm um sie und sagte unglücklich, indem er das Gesicht an sie drückte: »Ich ich wollte, du wärest es gewesen …«

Sie hob sein Gesicht hoch, so daß ihre Augen sich trafen und sagte sehr ruhig: »Nein. Es war ein Reflex, Dane. Du weißt das, ich weiß das Rianna weiß es. Der Unterschied ist, daß ich es auch spürte und dagegen ankämpfte, weil ich meinem Volk ich hätte es nicht so gewollt, ein gedankenloses Umklammern im Angesicht des Todes, blind, instinktiv …«

Dann brach die Verzweiflung hervor, und Dallith begann leise zu weinen.

»Aber wenn du nicht dagegen ankamst wenn du nicht anders konntest kann ich es doch nicht ertragen, daß du nicht zu mir gekommen bist …«

Er hielt sie fest, hilflos gegenüber der Heftigkeit ihres Kummers, und wußte, daß jede Bewegung, die er jetzt machte, falsch sein mußte. Nach einer langen Zeit beruhigte sie sich. Sie lachte sogar und tröstete ihn, sagte ihm, daß es ihr nichts ausmache und schickte ihn zurück an Riannas Seite. »Ich will sie nicht wieder verletzen; ich will nicht, daß du sie verletzt.« Sie küßte ihn, bevor sie ihn gehen ließ, warm und liebevoll. Aber da war immer noch irgend etwas falsch, und sie wußten es beide.