Sechstes Kapitel

Cascal hockte im zweiten Hubschrauber, in der schußsicheren Glaskanzel, hinter einem Maschinengewehr und beobachtete die Flußufer. Es waren Spezialflugzeuge, umgebaut und umgerüstet für den Urwald- und Indianerkampf. Sie trugen einen Tarnanstrich, grüne und gelbe Flecken, und wirkten wie Rieseninsekten. Neben und vor Cascal saßen noch fünf brasilianische Soldaten, ein junger Feldwebel der Luftflotte flog den Hubschrauber.

Cascal hatte das Funksprechgerät umgeschnallt und war in Verbindung mit allen Truppen. In seinen Kopfhörern überschlugen sich die Meldungen der verschiedenen Gruppen … Fallschirmjäger, die langsam gegen das Lager der Indianer vorrückten, die beiden anderen Hubschrauber, die mit ihren schweren Maschinengewehren den bis an die Ufer reichenden Urwald abkämmten, eine Gruppe Spezialisten, die man abgesetzt hatte, um den Rückweg abzuschneiden. Es waren erfahrene Guerillakämpfer, die im Dschungel zu Hause waren. Von allen Seiten zirpten die Berichte in Cascals Ohr.

»Wir sehen eine Menge Boote mit Frauen und Kindern. Sie wollen in einen Nebenarm flüchten. Wir setzen nach.«

»Vor uns brennt das Dorf. Sie haben es angezündet.«

»Feindberührung dreihundert Meter vor dem Lager. Bisher neun Tote durch Giftpfeile. Die Kerle hocken in den Bäumen, man sieht sie kaum.«

»Hier Leutnant Correires. Wir kommen nicht weiter. Vor uns ein Sumpf. Beim Versuch, ihn zu durchqueren, ertranken zwei Mann, sieben wurden von Pfeilen getötet. Uns gegenüber liegt eine starke Gruppe Indios! Wir versuchen, sie mit Gewehrgranaten auszuräuchern.«

»Hier Gruppe III. Haben zwei Gefangene gemacht. Sie sagen aus, daß ihr Häuptling Moco heißt.«

Cascals Augen wurden weit, dann stieß er einen Fluch aus. »Das ist doch nicht möglich«, murmelte er und wischte sich über die schweißnasse Stirn. »Moco? Ihn haben die Piranhas gefressen. Ich hab's doch selbst gesehen.« Er drückte auf die Sprechtaste und stellte somit die Verbindung zu allen Funkern her. »Ich höre soeben«, rief er ins Mikrofon, »daß dies der Stamm eines gewissen Moco ist. Ich kenne Moco. Er ist der gefährlichste Mann überhaupt am Fluß. Von General Aguria bevollmächtigt, befehle ich, daß dieser Stamm ausgerottet wird. Es werden keine Gefangenen gemacht.«

Ein Befehl zum Mord. Ein Aufruf zur Vernichtung. Und niemand in der Welt würde sich darum kümmern. Keiner würde es erfahren. Und wenn man es erfuhr, schwieg man und schloß verschämt die Augen. Keine UNO würde sich damit beschäftigen, kein Sicherheitsrat, keine Menschenrechts-Kommission – es waren ja bloß Indios! Nur eine Stimme gab Cascal Antwort … woher sie kam, war nicht festzustellen. Cascal tippte auf die Gruppe am Nebenfluß.

»Befehl verstanden. Auch Frauen und Kinder?«

Cascal starrte über den Fluß. Über dem gerodeten Ufer standen die Rauchwolken des brennenden Dorfes, die Flammen schossen meterhoch in den blauen Himmel. Wenn schon Vernichtung, dann ganz, dachte er.

»Ja!« sagte er klar und nüchtern ins Mikrofon. »Auch Frauen und Kinder. Sie sind auch Indios!«

Und die Stimme aus dem Dschungel: »Haben Berührung mit den Booten. Wir beginnen mit der Vernichtung.«

Cascal schaltete ab. Mit brennenden Augen sah er hinüber zu dem Landesteg, der ebenfalls in Flammen stand. Sie entkommen mir nicht, dachte er. Jetzt nicht mehr. Ein Ring aus Waffen ist um sie. Und Cliff Haller werde ich Rita vor die Füße legen, wie ich es ihr versprochen habe. Sie kann dann mit ihm machen, was sie will. So, wie sie ihn haßt, wird sie ihn bei lebendigem Leib erst entmannen, ehe sie ihn tötet. Er hob die Schultern und visierte über sein Maschinengewehr das Ufer an. Langsam donnerte der Hubschrauber auf den brennenden Steg zu. Dann schoß er, schoß völlig sinnlos in die brennenden Hütten hinein, aber es war ihm eine große Genugtuung, jetzt das Knattern des MGs zu hören. Es berauschte ihn, teilzuhaben an dieser Vernichtung …

***

Cliff Haller und Dr. Forster hatten ihre Stellung im Gestrüpp am Flußufer bezogen. Moco und Ynama waren verschwunden … sie waren in den Wald gerannt zu den Kriegern, als die Hubschrauber den Fluß heraufkamen. Ellen Donhoven hockte in einem Loch hinter den brennenden Hütten. Es war eine Grube, in der die Indianerfrauen früher große Krüge mit Palmwein vergraben hatten, damit er dort in aller Ruhe gärte. Nun diente sie als Einmannbunker, und Cliff hatte Ellen befohlen, dort auszuharren, ganz gleich, was auch um sie herum geschah. »Zum letztenmal!« schrie er sie an, als sie in stummem Widerstand den Kopf schüttelte. »Du verkriechst dich in das Loch … oder, verdammt noch mal, ich schlage dich k.o. und lege dich hinein! Was willst du? Gehorchen – oder ein dickes Kinn?!«

Ellen starrte Cliff an, als gehe die Welt unter. Anders sah es um sie herum auch nicht aus. Dann fiel sie Cliff um den Hals, küßte ihn verzweifelt, warf sich herum, umarmte Dr. Forster und küßte ihn ebenfalls. Haller grinste breit.

»Wenn's ans Sterben geht, sind alle liebe Menschen!« Er gab Forster einen Stoß in die Seite. »Überleben wir den Dreck hier, sollte man endlich klären, wer von uns beiden denn nun Ellen besitzen soll.« Er sah sich nach Ellen um, aber sie war davongelaufen und hockte bereits in der Grube hinter den flammenden Hütten. »Los, Doc … an die Arbeit. Vor den Fallschirmjägern habe ich keine Angst – sie werden sich im Wald festlaufen … aber die verdammten Hubschrauber. Sie reißen die weiche Flanke auf. Können Sie überhaupt richtig schießen?«

»Ich habe zwei Jahre gedient, bei den Panzergrenadieren.«

»Na denn …«

Sie liefen zum Ufer, immer am Waldrand entlang, gegen dessen grüne Wand sie unsichtbar waren. Am Fluß warfen sie sich unmittelbar am Wasser unter einen überhängenden Busch und hinter einen dicken, gefällten Stamm. Urstoff eines neuen Kanus, das nie mehr fertig werden würde.

»Aha!« sagte Cliff ruhig, als das erste Flugzeug auf seinen Schwimmern um die Krümmung des Flusses auftauchte. »Es sind Na 14. Alte umgebaute Kähne. Für den Indioeinsatz sind sie Gold wert … wurden vor sieben Jahren aus der aktiven Luftwaffe herausgezogen. Sie haben den Tank hinten, wo die Kanzel aufhört und der Libellenschwanz beginnt. Sehen Sie die Stelle, Doc? Einen Meter nach vorn, von der Abknickung aus gerechnet.«

»Ich sehe es, Cliff.«

»Zielen Sie dahin. Das ist die verwundbare Stelle der Biester. Explodieren werden sie kaum, das wäre ein Zufall, aber wir lassen ihnen den Saft auslaufen. Achtung!«

Sie warteten mit angelegten Gewehren, bis die beiden ersten Hubschrauber gut in der Ziellinie waren. Dann schossen sie gleichzeitig … viermal hintereinander, immer auf den gleichen Punkt.

»Gut!« sagte Cliff. »Gut, Doc! Sie sitzen!«

In diesem Augenblick schoß eine helle Stichflamme aus dem Heck des ersten Hubschraubers. Cliff Haller und Dr. Forster duckten sich unwillkürlich … dann zerriß die Explosion mit einem unbeschreiblichen Donnerschlag das erste Flugzeug und wirbelte Glas, Stahlteile und Fetzen von Menschenleibern durch die heiße Luft. Die beiden anderen Hubschrauber stoppten sofort die Fahrt … der letzte drehte ab und glitt weiter zum anderen Ufer, der zweite blieb liegen und trieb hilflos inmitten der Trümmer und zerrissenen Leichen. Das Wasser begann zu kochen … Tausende Piranhas stürzten sich über die Menschenteile und verschlangen sie.

Im Hubschrauber Nr. II starrte Cascal entsetzt auf die Vernichtung des Vordermannes. »Das war Haller!« schrie er dem Piloten zu. »Vor uns ist er! Los, ans Ufer … so schnell wie möglich!« Er schwenkte sein MG herum und schoß ein mörderisches Streufeuer … er mähte das Ufer ab und hieb dann mit beiden Fäusten auf das MG, als sich der Hubschrauber nicht rührte. Über ihm verlosch das Propellergedröhn. Das Zittern des Flugzeugrumpfes erstarb. Eine fast unheimliche Stille umgab ihn.

»Was ist denn?« schrie Cascal. »Zum Ufer, befehle ich!«

»Wir stehen still.« Der Feldwebel hinter dem Steuerknüppel drehte sich um. »Sie haben den Tank getroffen, er ist ausgelaufen …«

»Heißt das, daß wir hilflos auf dem Fluß treiben?« brüllte Cascal.

»Ja.«

»Keine Nottanks?«

»Nein.«

»Wir müssen ans Ufer! Und wenn wir schwimmen!«

Die Soldaten antworteten nicht. Auch Cascal tobte nicht weiter. Er sah ein, daß schwimmen unmöglich war. Wo der Hubschrauber Nr. I geschwommen war, brodelte das Wasser und schossen die silberglänzenden Leiber der Mörderfische aus den öligen Wellen. Selbst die schwimmenden Blechteile fielen sie an, weil sie mit Blut bespritzt waren und nach Fraß rochen.

»Dann rudern wir!« schrie Cascal nach Überwindung des ersten Entsetzens.

»Man wird uns von den Schwimmern schießen wie auf dem Schießstand.«

»Seid ihr alle Feiglinge?« tobte Cascal.

»Nein. Aber wir tun auch nichts Sinnloses«, sagte der Feldwebel laut.

Mit knirschenden Zähnen saß Cascal hinter dem schußsicheren Glas und starrte hinüber zum Ufer. Dort zerfiel das Dorf Mocos in prasselnden Flammen, dort lag irgendwo Cliff Haller und wartete auf neue Ziele, und er, Cascal, saß hier in einer gläsernen Kanzel, zur Unbeweglichkeit verurteilt, und mußte zusehen, wie Cliff vielleicht wiederum eine Möglichkeit erhielt, sich dem Zugriff zu entziehen. Gelang ihm der Durchbruch durch den Ring, konnte er erst wieder untertauchen in den Wäldern, dann begann die Jagd von neuem, das wochenlange Suchen, die quälende Ungewißheit. Und der Spott Ritas! »Er ist klüger als ihr alle –«, würde sie sagen. »Er ist eben ein Mann, der euch alle einsteckt! Eigentlich kann man nur solch einen Mann lieben!« Und ihre schwarzen Augen würden funkeln, und sie würde ihm auf die Hände schlagen, wenn er sie streicheln wollte.

Cascal knirschte mit den Zähnen und schaltete das Funkgerät wieder ein. Die Meldungen von allen Seiten überschlugen sich in seinen Kopfhörern.

»Gruppe I liegt fest. Große Verluste. Diese verdammten Giftpfeile. Sie kommen aus dem Nichts, und ein leiser Ritz genügt. Nach fünf Minuten ist man hin!«

»Hier Gruppe III. Haben neunundzwanzig Indios getötet. Kommen auch nicht weiter. Ich bleibe liegen, um Leute zu schonen.«

»Hier Bombeiros!« Cascal horchte auf. Die ›Bombeiros‹, die ›Feuerwehr‹, wie sie sich nannte, war die Spezialtruppe, die erfahrene Gruppe der Guerillakämpfer. »Haben von der anderen Seite den Nebenfluß erreicht. Die Jungs gegenüber leisten ganze Arbeit. Vierunddreißig Boote mit Frauen und Kindern sind schon versenkt. Aber es wimmelt hier von Indios wie an einem Termitenhügel. Wir greifen ein. Wir sammeln sie auf –«

»Nicht aufsammeln!« Cascals Stimme überschlug sich vor Haß und Wut. »Töten! Töten! Tötet sie alle! Keiner soll überleben! Das ist ein Befehl von General Aguria!«

»Verstanden. Aber die Kinder –«

»Verdammt. Auch die Kinder!« Cascal hatte Schaum vor dem Mund. »Kinder sind die Feinde von morgen! Vernichten!«

Was sich am Nebenfluß abspielte, wird keiner je erfahren. Und die Soldaten, die hier auf die Frauen und Kinder der Indios schossen, schwiegen auch und vergruben den Anblick tief in ihren Herzen.

Als die ersten Boote vernichtet waren und die Frauen und Kinder sich umzingelt sahen, als auch am anderen Ufer die Guerillakämpfer auftauchten und Granatwerfer aufbauten, als seien sie auf dem Schießplatz bei einer Übung, geschah etwas Unheimliches auf dem Fluß.

Die Boote fuhren zusammen zu einer geballten Masse. Ein alter Mann mit einem Kopfschmuck aus Paradiesfedern stand aufrecht in seinem Kanu und breitete die Arme aus. Er schrie etwas über die Köpfe der Frauen hin … und dann beugten sich die Indioweiber über ihre Kinder, rissen sie an sich und töteten sie. Das alles geschah lautlos … die Soldaten an den Ufern standen wie gelähmt und sahen dem grausigen Schauspiel zu. Die Mütter ritzten ihren Kindern mit vergifteten Dolchen den Rücken auf, dann stießen sie sich selbst das Messer in die Brust. Kein Aufschrei flog von den Booten über den Fluß, kein Stöhnen, nicht der geringste Laut … als die Kinder, von dem Gift nach Sekunden getötet, in den Booten lagen, starben über ihnen ihre Mütter mit der stummen Tapferkeit, die dem Weißen bis heute unverständlich bleibt. Lautlos entstand mitten auf dem Fluß ein Leichenberg … von den trägen Wellen getragen, schob sich die geballte Masse der Boote flußabwärts.

»So etwas habe ich noch nie gesehen«, stotterte der Anführer der Guerillas, Oberleutnant Lukaneiros. »Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen – ein ganzes Volk tötet sich.«

»Sonst hätten wir's getan«, sagte hinter ihm ein Sergeant. »Sie sind wie Skorpione. Auch Skorpione töten sich selbst, wenn sie keinen Ausweg mehr sehen.«

»Das ist ein Märchen, Sergeant.« Lukaneiros riß sich das Hemd über der Brust auf. »Könnten Sie sich töten?«

»Ich weiß es nicht.«

»Aber ich. Ich könnte es nicht. Ich hätte immer noch Hoffnung!«

»Hatten die Indios noch Hoffnung?«

Lukaneiros sah über den Fluß. Der riesige Klumpen der Toten trieb träge davon, immer noch geschlossen, als habe man die Boote zusammengebunden.

»Gehen wir«, sagte er rauh. »Hier ist unsere Aufgabe erledigt. Jetzt auf die Männer! Denkt daran, daß sie sich in den Bäumen wie Affen bewegen können.«

Die Soldaten tauchten wieder unter im Wald. Die Jagd auf die Krieger Mocos begann. Ein Kampf Mann gegen Mann – Schnellfeuergewehre gegen Giftpfeile.

Die Zivilisation entdeckte ein übriggebliebenes Paradies und brachte die Segnungen des 20. Jahrhunderts …

***

Das Dorf war niedergebrannt, nur die Aschenberge glühten noch. Rundherum im Wald peitschten die Schüsse, auf dem Fluß trieben die beiden Hubschrauber, der eine bewegungsunfähig, der andere in sicherer Entfernung vom Ufer, und wagten keine weiteren Aktionen mehr. Cascal war grün vor Wut …, aber außer durch den Sprechfunk zu den einzelnen Truppenteilen, denen er Befehle geben konnte, war er zur Untätigkeit verurteilt. Er hockte in seiner Glaskanzel und kam sich wie ein Gefangener in einem Luxusgefängnis vor.

Moco warf sich in diesen Minuten neben Cliff Haller und Dr. Forster hinter den dicken Baumstamm am Ufer und legte den Kopf gegen die Deckung. Sein ganzer Körper zitterte wie in einem Krampf. Er war plötzlich aufgetaucht, schweißglänzend, fast nackt, mit an vielen Stellen von Dornen aufgerissener Haut, aus denen das Blut rann.

»Sie müssen weg!« keuchte er und warf sich auf den Rücken. »Sofort! Sie müssen Ellen retten! Sie liegt noch in der Grube. Meine Krieger können die Soldaten noch so lange hinhalten, bis Sie im Dschungel sind. Aber Sie müssen jetzt los …«

Cliff Haller sah Moco forschend an. Ein schrecklicher Verdacht kam in ihm hoch und schnürte ihm die Kehle zu.

»Wo ist Ynama?« fragte er. Mocos Augen verschleierten sich.

»Tot.«

»Nein!« Dr. Forster ließ sein Gewehr fallen. »Wo denn?«

»Am Fluß …«

»Sie wollten sie doch zu den Frauen und Kindern bringen?«

»Dort war sie.«

Cliff Haller spürte, wie es ihm eiskalt über den Rücken rann. »Moco –«, sagte er heiser. »Mein Gott, Moco, was ist im Sumpf geschehen?«

»Mein ganzes Volk lebt nicht mehr.« Moco schloß die Augen. Sein Mund zuckte heftig. »Sie haben sich getötet … alle … alle Frauen und Kinder und Greise … es ist besser, als in die Hände der Weißen zu fallen …«

»Seid ihr wahnsinnig?« stammelte Dr. Forster. Das Entsetzen hielt ihn wie mit glühenden Zangen umklammert. Frauen und Kinder … alle vernichtet … vom Säugling angefangen … »Niemand hätte ihnen etwas getan!«

Mocos Gesicht verzerrte sich. »Was wissen Sie drüben in Europa, was hier in den Urwäldern geschieht?! Ich kenne Stämme, die man ausgerottet hat, weil sie guten Boden für Pflanzungen besaßen. Die Männer erschoß man, die Frauen wurden vergewaltigt und dann umgebracht. Man hat welche gefunden, mit den Beinen zwischen Bäume gebunden, den Kopf nach unten hängend, und ihre Leiber waren aufgeschlitzt wie bei Schweinen. Die Kinder hat man bei den Füßen gepackt und mit den Köpfen gegen die Bäume geschleudert. Ihr Gehirn klebte an den Rinden. Und keiner von diesen weißen Mördern ist bestraft worden – keiner! Man spricht nicht einmal darüber.« Moco öffnete die Lider. Seine schwarzen Augen waren glanzlos, wie gebrochen. »Sollte mein Volk auch so enden? Nein! Sie starben wie tapfere Indianer. Und wir alle werden untergehen wie Krieger, nicht wie Feiglinge.« Moco richtete sich auf, sein Gesicht war eine starre Maske. »Ihr müßt weiter. Eine Stunde Vorsprung ist schon viel!«

Cliff Haller blickte hinüber zu den beiden Hubschraubern auf dem Fluß.

»Moco, was machen Sie? Kommen Sie mit?«

»Nein, ich bleibe hier.« Mocos maskenhaftes Gesicht war wie aus rotem Stein.

»Sie wollen mit Ihren Kriegern untergehen?«

»Ja.«

Cliff nickte. »Wozu haben Sie nun drei Jahre auf der Missionsstation zugebracht? Hatte das einen Sinn?«

»Ja.« Moco nickte leicht. »Ich habe gelernt, mit einem Gebet zu sterben.«

»Und damit geht's leichter, meinen Sie?«

»Ich weiß es nicht. Aber ich werde es bald wissen …«

Rückwärts schoben sie sich aus der Deckung und liefen am Waldrand, geduckt und wie Böcke springend, hinüber zu dem niedergebrannten Dorf.

Ellen Donhoven fanden sie noch in der Grube, sie hockte in dem Loch, das Gewehr im Anschlag, und war bereit, sofort zu schießen. Nur Cliffs Ruf: »Ich bin's Ellen!« rettete ihm das Leben.

»Raus!« schrie Haller. Er war bis zur Grube gekrochen und streckte beide Arme aus, um Ellen heraufzuziehen. Dr. Forster und Moco knieten am Waldrand und suchten das Ufer ab. Nur von dort konnte jetzt Gefahr kommen … auf den anderen Seiten war es den Indios gelungen, die Soldaten aufzuhalten.

Um weitere Verluste durch Giftpfeile zu vermeiden, lagen die brasilianischen Truppen im dichten Unterholz und warteten auf die Nacht. Es war die einzige Möglichkeit, sich zu sammeln. Solange es hell war, schossen die unsichtbaren Indianer ihre Giftpfeile auf alles ab, was sich bewegte.

Ellen kroch aus der Grube und erreichte, ohne gesehen zu werden, den Waldrand. »Gott im Himmel, ihr lebt alle!« rief sie in Verkennung der tatsächlichen Lage. »Ist der Angriff abgeschlagen?«

»Nein.« Cliff starrte vor sich hin. »Wir müssen weiter. Moco will uns einen Weg zeigen.«

»Wieder durch den Wald?«

»Ja – es ist der einzige Weg! Wir müssen ins Hochland hinein und dann zum Rio Coari. Dort bauen wir uns ein Floß und fahren den Fluß hinunter bis zum Amazonas. Es geht nicht anders – wir müssen noch einmal kreuz und quer durch die Hölle!«

Ellen Donhoven sah Moco fragend an. Der Indio senkte den Kopf und nickte stumm. Auch Dr. Forster hob hilflos die Schultern.

»Und … und wie lange wird dieser Marsch dauern?« fragte Ellen leise.

»Ich schätze drei Monate.« Cliff sagte es ohne Betonung, so wie man eine einfache Uhrzeit nennt.

»Drei Monate – das überleben wir nicht.«

»Wir werden es überleben, Baby! Wir werden die Zähne zusammenbeißen, bis sie uns abbrechen. Was meinen Sie, Doc – wir schaffen es?«

Dr. Forster hob die Schultern. Er war noch nie ein Schwächling gewesen, aber jetzt mußte er sich selbst verzweifelt Mut zusprechen. »Ich weiß es nicht, Cliff. Ich weiß nur eins: Wir müssen es wagen!«

»Und Moco bleibt bei seinem Stamm?« fragte Ellen.

Das Gesicht Mocos versteinerte sich wieder. »Ja«, sagte er rauh. Cliff blickte Dr. Forster verzweifelt an. Behalten Sie die Nerven, Doc! Verraten Sie sich nicht! Ellen soll nicht wissen, was in den letzten Stunden drüben am Nebenfluß geschehen ist. Auch wenn sie die tapferste Frau ist, die ich je kennengelernt habe – so ist sie doch eine Frau!

»Ihr Stamm hat sich retten können? Das ist schön. Gratuliere, Moco.«

»Dank, Señora –«, antwortete Moco heiser.

»Wo werden Sie Ihr neues Dorf aufbauen?«

»An einem schöneren Fluß, Señora.«

Selbst Cliff Haller lief es kalt über den Rücken, als er das hörte. Er winkte Moco mit den Augen. »Wie sollen wir hier raus?« fragte er laut. Moco zeigte in den Dschungel.

»Dort liegt ein Boot. Es ist ein Nebenarm des Flusses. Links und rechts von ihm sind Sümpfe – die Soldaten können ihn also nicht erreicht haben. Mit dem Boot können Sie lautlos und unbemerkt den Einschließungsring durchbrechen, er ist hier nicht geschlossen. Aber Sie müssen schnell machen!«

Moco lief voraus. Nach ungefähr zweihundert Metern begann der Sumpf. Hier kannte Moco jede feste Stelle … im Zickzack führte er Ellen, Cliff und Dr. Forster mitten durch den stinkenden Morast, oft bis zu den Hüften im fauligen Wasser. Aber immer hatten sie festen Grund unter den Füßen … der Pfad konnte kaum einen Meter breit sein, denn als Cliff einmal mit dem Fuß zur Seite tastete, versank er sofort in einem saugenden Brei.

Dann war der kleine Nebenfluß da, grüngelb schlängelte er sich durch den dampfenden Dschungel. Ein schmales Boot lag am Ufer. Cliff blieb schwer atmend stehen.

»Das ist ein Wunder«, sagte er ehrlich. »Moco, wie finden Sie nur in diesem Satanssumpf einen Weg? Und nun noch das Boot.«

»Es ist gewissermaßen das Rettungsboot«, sagte Moco dumpf. »Ich brauche es nicht mehr. Ich schenke es Ihnen.«

»Moco – es ist Ihr Boot?« rief Ellen.

»Ja, Señora.«

»Das können wir nicht annehmen.«

»Verdammt, wir können es!« rief Cliff hart. »Wir sind hier nicht auf einem Kaffeeklatsch, wo man ein Sahnetörtchen ausschlägt. Wir nehmen es, und – Moco – Sie wissen, wie dankbar wir sind!«

»Das weiß ich.« Moco trug Ellen ins Boot und setzte sie auf eine Kiste. Cliff und Dr. Forster folgten. Bis zum Bauch trocknete der Morast an ihnen und begann widerlich zu stinken. »Sie finden alles, was Sie brauchen.« Moco zeigte auf das Gepäck im Boot. »Waffen, Munition, Frischwasser, Gift, Fallen, Blasrohre, Feuersteine und Lunten aus Moos … es fehlt nichts für einen Indio.«

Der Abschied von Moco war kurz. Er küßte Ellen noch einmal die Hand und lief dann mit großen Sätzen zurück in den Sumpf, ehe Cliff und Dr. Forster noch etwas sagen konnten. Der Dschungel schlug über Moco zusammen, als verschlänge er ihn. In der Ferne bellten wieder Schüsse auf. Sie erinnerten daran, daß der Friede um sie herum nur ein Trugbild war. Überall lauerte der Tod.

Ellen hatte Moco nachgesehen, bis er im Sumpf untergetaucht war. Dann wandte sie sich zu Cliff Haller. »Er war so merkwürdig, Cliff! Das war ein ganz anderer Moco.«

»Wundert dich das? Er hat die Hälfte seiner Männer verloren …«

Ellen starrte Cliff aus weiten Augen an. »Ist – ist das wahr?«

»Ja«, antwortete Dr. Forster an Hallers Stelle.

»Und wir – wir sind an ihrem Tod schuld. Cliff –, wären wir hier nicht aufgetaucht –, Cliff –, sie lebten noch –, das Dorf wäre nicht verbrannt –, die Frauen und Kinder brauchten keinen neuen Platz zu suchen. Nur wir, wir –«

»Halt den Mund, Baby!« schrie Haller grob. »Verdammt! Halt den Mund! Wenn! Wenn! Das ganze Leben wird von diesen ›wenns‹ verseucht! Es ist nun mal geschehen, verflucht noch mal!«

»Und wir sind schuld daran. Ich – ich werde das nie überwinden!«

»Von mir aus!« Cliffs Nerven streikten. »Überwinde es nicht, aber halte endlich den Mund! Doc! Stoßen Sie den Kahn vom Ufer ab. So ist's gut! Kinder, wir schwimmen wieder! Das allein gilt, das ist wichtig! Doc, nehmen Sie das Paddel. Immer mit mir im gleichen Rhythmus, dann kommen wir schnell vorwärts. Ich gebe den Takt an. Los denn. Eins – und, zwei – und, eins – und, zwei – und, eins – und, zwei – und … Das geht ja fabelhaft!«

Das Boot trieb auf der Mitte des kleinen Nebenflusses und schob sich gegen die magere Strömung nach Westen.

Meter um Meter. Hinein in die neue Grüne Hölle.

Der Wald dampfte und knisterte. Papageien und andere Vögel kreischten. Aus den Sümpfen stürzten sich die Moskitos über die drei Menschen. Eine Stunde lang schwammen Alligatoren neben ihnen her. Ihre kleinen, kalten Augen musterten sie voll Interesse. Wann kippt das Boot endlich um, wann fallen sie ins Wasser?

Weiter! Weiter!

Den Fluß hinauf ins Unbekannte. In eine Welt, die auf keiner Karte steht.

Die Ufer rückten zusammen. Verwesende Bäume lagen im Wasser, die Lianen warfen ihre Schlingarme weit über den Fluß. Das Wasser wurde grünlich und fett wie eine Brühe. Dann wuchs der Urwald von beiden Seiten über dem Flüßchen zusammen und bildete ein festes Dach. Im Halbdunkel ruderten sie unter ihm durch.

»Hier kommen wir nie wieder raus!« sagte Forster einmal.

Haller fuhr herum, wie von der Tarantel gestochen.

»Halten Sie die Schnauze, Doc!« brüllte er. »Rudern Sie! Wir haben den Ring hinter uns, wir sind freie Menschen …, das ist die Hauptsache.« Er wandte sich um zu Ellen. Sie saß hinten im Boot und starrte in das grüne Gewirr des Urwaldes. »Alles klar, Baby?«

»Ich denke an Moco«, sagte Ellen. »Welches Unglück haben wir ihm gebracht.«

Haller paddelte weiter. Ein Glück, daß sie nicht alles weiß, dachte er. Ich glaube, man sollte es ihr auch später nicht sagen. Sie würde es wirklich ein ganzes Leben lang mit sich herumschleppen.

***

Moco watete zurück durch den Sumpf zu seinem verbrannten Dorf. Einsam ging er durch die Trümmer und blieb kurz vor dem Aschenhaufen stehen, der einmal seine große Hütte gewesen war und in dem nur ein paar Tage lang mit Ynama das Glück gewohnt hatte. Plötzlich überfiel ihn die Erinnerung an Pater Josephus, den Missionar auf der Amazonas-Insel Pananim, der ihn drei Jahre lang gelehrt hatte, daß die Liebe das größte auf Erden sei. Die Liebe, für die sich sogar ein Mensch namens Jesus ans Kreuz hat schlagen lassen, um seine Mitmenschen damit zu erlösen.

Gaio Moco kniete neben dem Aschenhaufen seiner Hütte nieder und betete, was er bei Pater Josephus gelernt hatte. Eine halbe Stunde betete er inbrünstig, dann fühlte er sich so leicht wie nie und verstand den Mann Jesus, der für sein Volk gestorben war.

Hocherhobenen Hauptes, die Hände ruhig an die Hüften gepreßt, ging er aufrecht durch das verbrannte Dorf zum Flußufer. Er sah die beiden Hubschrauber auf dem Wasser, und er sah auch, wie aus dem ersten Flugzeug der Lauf eines Maschinengewehres zu ihm herumschwenkte.

Moco lächelte verträumt. Für ihn war der Tod jetzt etwas Selbstverständliches. Er blieb am Ufer stehen und reckte sich auf. Schießt doch, dachte er. Schießt!

In seiner gläsernen Kanzel stieß José Cascal einen hellen Schrei aus, als der einsame Mann aus dem Dorf ans Ufer trat. »Moco!« rief Cascal. »Das ist Moco! Was will er? Will er verhandeln? Es gibt keine Verhandlungen, nur noch Vernichtung.« Er schwenkte das MG herum und zielte auf Mocos Gestalt. Haß und Wut berauschten Cascal wie Schnaps. Wie betrunken begann er unverständliche Worte vor sich hinzulallen und drückte dann den Zeigefinger durch. Die Maschinengewehr-Garbe ratterte los, der Körper Mocos wurde von den Einschlägen herumgerissen und zwei Meter weit nach hinten geschleudert. Für eine Sekunde schwebte er über dem Boden, dann fiel er zusammen, als sei er knochenlos – ein kleines Häufchen, ein Flecken auf dem sandigen Uferstreifen.

Cascal seufzte tief und ließ sich nach hinten fallen. Er ahnte, daß Mocos Tod das Zeichen dafür war, daß er auch jetzt wieder das Spiel verloren hatte.

»An Land!« befahl er. »Rudert an Land. Niemand stört uns mehr. Der Tod ist satt …, er hat sich überfressen.«

***

Acht Tage lang suchten sie nach Cliff Haller, Ellen Donhoven und Dr. Forster. Sie waren wie von den Sümpfen verschlungen.

Zehn Hubschrauber überflogen vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung das ganze Urwaldgebiet. Sie sahen nichts.

Vierzehn Gefangene wurden verhört. Es war der Rest der Indios. Man folterte sie, brannte ihre Fußsohlen, stach ihnen angespitzte Hölzer in die Muskeln, quetschte ihnen die Hoden … sie schwiegen. Vielleicht wußten sie wirklich nichts, aber Cascal bezweifelte das.

»Wir werden sie zwischen den Bäumen aufspannen wie gegerbte Häute!« brüllte Cascal. »Ich kenne ihre Methoden! Sie werden reden!«

Am nächsten Morgen waren die 14 Indios tot …, sie hatten sich mit vergifteten Dornen, die sie zwischen den Zehen versteckt trugen, umgebracht.

Cascal brach die Suche nach acht Tagen ab. Beschämt, deprimiert, in seinem Ehrgeiz so verwundet, daß er innerlich verblutete, kehrte er an den Rio Juruá, nach Carababa zurück. Zuerst machte er seine Meldung in Carauari, wo General Aguria ihn erwartete. Der Rest der Soldaten war schon eingetroffen, sie hatten auch die Toten mitgebracht. Siebenundsechzig Leichen. Sie sahen schrecklich aus … das Gift zersetzte ihre Körper.

»Ich weiß alles«, sagte General Aguria, als Cascal zu seinem Bericht ansetzen wollte. »Wir haben einen Stamm vernichtet …, das ist immerhin etwas! Und Sie hatten recht mit Ihrer Annahme, daß Haller an dieser Stelle aus dem Wald kommen wird. Das ist schon eine Leistung, lieber Cascal. Ihr Pech: Haller ist cleverer als Sie! Er ist wieder entkommen. Machen wir uns daraus keinen Vorwurf – unsere Jungen haben getan, was sie konnten. Siebenundsechzig Tote – das ist ja wie eine richtige Schlacht!« Aguria drehte sich zu der großen Karte des Amazonasgebietes um, die an der Wand hing. »Cascal, wäre Haller nicht tausend Tote wert, gäbe das einen Skandal. Aber so ist jedes Opfer gerechtfertigt. Was, meinen Sie, nimmt er jetzt für einen Weg?«

»Ich weiß es nicht, General.« Cascal starrte auf die Karte. Land, verfluchtes, dachte er. Satansland! »Es bleibt ihm nur der Weg nach Westen oder Süden. Aber das ist Wahnsinn, General. Dort wird er nie ankommen. Man kann nicht zu Fuß einen ganzen Kontinent aus Urwald durchqueren! Das übersteigt das menschliche Leistungsvermögen, auch wenn man Cliff Haller heißt!«

»Also wird er es hier erneut versuchen?«

»Ich weiß es nicht.« Cascal erhob sich müde. »General, ich bin bereit, vor diesem Problem zu kapitulieren.«

***

Vor der Hütte am Rio Juruá erwartete Rita Sabaneta die Rückkehr Cascals. Er sah sie schon von weitem am Fluß stehen. Sie hat ihr Sonntagskleid angezogen, dachte er. Sie hat sich geschmückt wie eine Braut. Sie weiß noch nichts von unserer Niederlage, sie hat nur gehört, daß wir zurück aus dem Urwald sind. Und zurück – das heißt für sie: Cliff ist bei mir.

Er hielt den Jeep oben auf der Straße an und kam zu Fuß zur Hütte hinunter. Rita lief ihm entgegen, mit ausgebreiteten Armen, fiel ihm um den Hals, küßte ihn mit glühenden Lippen und fast irrsinnig flackernden Augen und sah dann über seine Schulter hinauf zur Straße.

»Wo ist Cliff?« fragte sie. Ihre Stimme klang brüchig. »Liegt er im Wagen? Lebt er noch? Nein. Bleib hier stehen, José! Ich will allein zu ihm gehen. Ganz allein! Aber du wirst mich lachen hören, wenn ich ihn anspucke!«

Sie löste sich von ihm und wollte zur Straße laufen. Cascal gelang es gerade noch, sie am Rock festzuhalten. Was jetzt kommt, ist schlimmer als meine Niederlage gegen die Indios, dachte er. Sie wird sich benehmen wie eine Furie.

»Cliff ist nicht im Wagen«, sagte er mit belegter Stimme.

»Nicht?« Rita wirbelte herum. »Du hast ihn dem General abgeliefert?!«

»Auch das nicht.«

»Was soll das heißen?« Ritas Augen begannen gefährlich zu funkeln. »Überall sprechen die Leute davon, daß die Soldaten einen großen Sieg errungen haben!«

»Das haben sie. Ein Stamm ist ausgerottet.«

»Und Cliff? Was ist aus Cliff geworden?!« Ihre funkelnden Augen weiteten sich unnatürlich. »Ihr habt ihn getötet, nicht wahr?! Ihr habt ihn einfach getötet! Ihr habt ihn umgebracht wie die Indios! Ihr Mörder! Mörder! Mörder!!« Sie stürzte auf Cascal, trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust, und er hatte Mühe, dabei seinen Kopf aus der Reichweite ihrer Schläge zu halten.

»Cliff lebt!« schrie er Rita an, als ihr Geschrei verstummte. »Verdammt, er läuft frei herum!«

»Frei?« Ihr voller Mund verzog sich wie im Ekel. »Ihr habt ihn nicht gefangen?«

»Nein! Er ist uns entwischt.«

»Und die Ärztin und der deutsche Doktor auch?«

»Ja.«

»Ihr armseligen Würmer.« Sie riß sich von Cascal los. Wut und doch ein stiller Triumph verzerrten ihr Gesicht. »Zwei Kompanien schickt man aus, um einen Mann abzuholen – und er entkommt! Und ihr tragt noch den Kopf hoch, ihr seht noch in die Sonne, statt euch zu verkriechen in Löcher, wo man euch mit Mist zuwerfen kann?!« Plötzlich lachte sie, laut, hysterisch, grell, ein Lachen, das Cascals Herz durchschnitt, denn er begriff, daß sie ihn mit Hohn überschüttete und dieses Lachen ihn mehr erniedrigte, als Schläge ins Gesicht. Er griff nach ihr, riß sie zu sich, aber da trat sie nach ihm, befreite sich mit einem Ruck und lief zurück zur Hütte.

Sie war schneller als Cascal. Als er hinter ihr den Eingang erreichte, schlüpfte sie gerade ins Haus und verriegelte die Tür. Cascal hieb mit beiden Fäusten gegen das Holz.

»Aufmachen!« schrie er. »Du verfluchtes Luder – mach die Tür auf. Ich zähle bis drei, dann trete ich sie ein.«

»Versuch es!« rief Rita von innen. »Ich habe dein Gewehr in der Hand. Wie einen tollen Hund knalle ich dich ab!«

Cascal trat einen Schritt zurück. Was tun, fragte er sich. Wirklich die Tür einschlagen? Es darauf ankommen lassen, ob sie tatsächlich schießt?

»Mach auf«, sagte er sanft, als die Nacht über den Rio Juruá kroch. »Rita, favorita … mach auf! Ich gebe es zu, versagt zu haben. Es ist mir ein Rätsel, wie sie entkommen konnten. Aber einmal gibt der Wald sie frei, einmal müssen sie ja herauskommen … und wo das auch ist, überall im ganzen Land stehen wir bereit. Jede Urwaldstation wird Cliffs Steckbrief erhalten, auf seinen Kopf werden hunderttausend Escudos ausgesetzt.«

Cascal sprach wie mit Engelszungen und bebte dabei vor Wut. Endlich schloß Rita die Tür auf, und Cascal stürmte in die Hütte. »Ich könnte dich umbringen!« zischte er. »Oh, wenn ich nur den Mut aufbrächte, dir den Hals umzudrehen! Aber ich kann es nicht …, wenn ich dich ansehe …, verflucht soll ich sein – aber ich liebe dich!«

In der Nacht lag er lange neben ihr und konnte nicht einschlafen. Zwischen ihnen lag als schmale, aber wirksame Grenze das Gewehr. Man konnte es überwinden, mit einem Handstreich gewissermaßen, aber Cascal versuchte es erst gar nicht.

Jetzt ticken überall die Funkgeräte, dachte er. In Rio, Manaus, Para, Sao Luis, Cuiabá, Brasilia, Sao Paulo. In allen Funkbuden an den Urwaldflüssen. In allen Kurzwellensendern der Vermessungs- und Ingenieur-Trupps, die durch den Urwald ziehen. Auf allen Pflanzungen.

Es war ein raffinierter Funkspruch. Er lautete:

»Gesucht wird die deutsche Ärztin Dr. Ellen Donhoven, 28 Jahre alt, kurze blonde Haare, schlank, 1,68 groß, blaue Augen. Spricht englisch und gebrochen portugiesisch. In ihrer Begleitung befindet sich Cliff Haller, amerikanischer Staatsbürger, 1,85 groß, kräftig, blondes Haar, etwa 35 Jahre alt. Haller hat an der linken Halsseite eine schmale Narbe bis zur Schulter. Dr. Donhoven und Haller befinden sich auf einer Expedition durch den Urwald im Gebiete der Selvas. Sie sind seit einigen Wochen verschwunden. Für ihre Entdeckung hat die Regierung 100.000 Escudos ausgesetzt, die Hälfte bei Auffindung ihrer Leichen.«

Dieser elegante Steckbrief erschien auch in der Morgenausgabe aller Zeitungen von Rio de Janeiro. Auch in Brasilia, der neuen Hauptstadt, setzten die Redakteure ihn auf die erste Seite.

Zwei Stunden nach Erscheinen der Zeitungen fand in der amerikanischen Botschaft eine Besprechung im Zimmer des Militärattaches statt. Oberstleutnant Finley machte ein sehr besorgtes Gesicht.

»Gentlemen«, sagte er ohne Umschweife, »unser Freund Cliff scheint Erfolg gehabt zu haben. Sie jagen ihn mit allen Mitteln. Nicht diese Ellen ist das Goldtäubchen, sondern er! Bemerkenswert aber ist, daß Cliff schon wieder ein Weib im Schlepp hat! Er kann's nicht lassen! Ich garantiere, daß wir schon längst im Besitz von Cliffs Informationen wären, wenn er nicht wieder an einem Rock hängengeblieben wäre! Er wird's schwer haben, der Zentrale dafür eine Erklärung zu geben. Cook –?« Oberstleutnant Finley blickte auf einen kleinen, dürren Mann, der offiziell an der Botschaft als Sekretär für Wirtschaftsfragen angestellt war. »Was können wir zu Cliffs Unterstützung tun?«

»Warten und Whisky trinken«, antwortete Cook mißmutig.

»Das ist ungeheuer viel, Cook. Dahinter steht wirklich die ganze Macht der USA! Ein Milliardenpotential!«

»Alle V-Männer sind unterrichtet«, sagte der kleine, dürre Cook, dem der sagenhafte Ruf vorausging, der beste Organisator für den Aufbau eines Agentenringes zu sein. »Wenn Cliff sich beim Auftauchen an seine Instruktionen hält und einen von ihnen aufsucht, ist er zu fünfzig Prozent sicher. Immer vorausgesetzt, daß er sie erreicht und daß ihm diese Ellen einen klaren Kopf zum logischen Denken läßt.« Cook machte ein saures Gesicht und zerrte an seinem Schlips. »Ich habe schon vor zwei Jahren den Vorschlag gemacht, Cliff zwangsweise kastrieren zu lassen. Solange ich den Namen Cliff Haller kenne, lese ich in den Berichten nichts als Weibergeschichten. Wenn der Kerl tief einatmet, platzt ihm sofort vorn die Hose!«

Die Männer lachten. Oberstleutnant Finley blickte den kleinen Cook fast traurig an. »Ihren Humor in Ehren, Cook …, aber 100.000 Escudos machen alle Leute am Amazonas wild. Hat Cliff überhaupt noch eine Chance?«

»Allein – jederzeit!«

»Und mit dem Weib nicht?«

»Wenig, Finley!« Cook trommelte mit seinen dürren Fingern auf den Tisch. »Einen einzelnen Mann kann man übersehen – aber nicht eine solche Frau! In ihrem Schlepptau ist Cliff immer zu erkennen. Das ist ja der Blödsinn!«

»Das sind ja schöne Aussichten.« Oberstleutnant Finley riß eine Packung Camel auf und reichte sie herum. »Wir können also gar nichts tun?«

»Nichts.« Cook paffte den Qualm gegen die Rotorflügel des Ventilators an der Decke. »Wir können nur beten, daß Cliff diese Ellen irgendwo im Urwald verliert.«

***

Als Gott die Erde schuf – so erzählen sich die Leute am Amazonas – und alles überblickte, sagte er zu sich: »Das ist mir gut gelungen. Aber die Menschen werden zu übermütig werden, ich muß ihnen eine besondere Hölle auf der Erde schaffen.«

Und so geschah es am achten Schöpfungstag.

Gott schuf den Urwald.

Cliff, Ellen und Dr. Forster kannten dieses Märchen nicht, aber sie hätten es ohne Widerrede als Wahrheit hingenommen.

Der grüne Dschungel fraß sie auf.

Vier Tage ruderten sie auf dem schmalen, überwachsenen Urwaldfluß. Vier Tage laugte die stehende, zum Auswringen feuchte Hitze sie aus. Das Atmen wurde zur Qual, die Luft war dick und gesättigt von Fäulnisgeruch. Wie aufs Land geworfene Fische japsten sie bei jedem Atemzug. Ein Stück Luft abbeißen, nannte Cliff das … Galgenhumor, von Verzweiflung gesättigte Fröhlichkeit.

Ab und zu tauchten sie auf aus diesem Höhlengang aus zusammengewachsenen Luftwurzeln und Lianenwänden, kamen ins freie Wasser, sahen den blauen Himmel und die verfluchte glühende Sonne. Dann gönnten sie sich eine Pause und atmeten wie Blasebälge. Zweimal gelang es ihnen, auf freiem Wasser den Regen abzuwarten … sie rissen sich die Kleider vom Leib und tanzten in den prasselnden Tropfen herum wie Irre. Auch Ellen machte keine Ausnahme … nackt ließ sie sich vom Regen begießen, die Arme hochgereckt, und es kam ihr vor, als dampfe ihre Haut bei den ersten Tropfen und zischte wie eine heiße Herdplatte. Dann lagen sie nebeneinander nackt in den rauschenden Wassermassen und schienen die Feuchtigkeit mit allen Poren aufzusaugen. Sie fühlten sich aufgehen wie trockene Schwämme.

Die Sonne kommt wieder, wußten sie. Es kommen die Stunden der heißen Dämmerung unter den Blätterdächern. Und der Körper wird alles wieder hergeben, was er jetzt aufgesaugt hat. Wie lange halten wir das aus?

Wann ist unsere Kraft zu Ende?

Wann werden wir froh sein, zu sterben?

Drei Monate durch diese Hölle? Vier Monate?

In ein paar Tagen vielleicht zu Fuß? Meter um Meter?

Wie lange braucht eine Schnecke von Hamburg bis Moskau?

Das war keine Scherzfrage … das war bitterer Ernst. Denn sie waren Schnecken geworden, die hineinkrochen in die Unendlichkeit …

Nachts schliefen sie im Boot, alle unter einem Moskitonetz, das bei Mocos Ausrüstung gelegen hatte. Einmal am Tag fingen Cliff oder Dr. Forster Fische mit dem Handnetz und brieten sie an einem Holzspieß. Forster hatte dazu eine geniale Erfindung gemacht: den Bordherd. Aus einer Steinplatte und Flußsteinen konstruierte er am Heck des Bootes eine Feuerstelle, die funkensicher war. Wenn nicht gekocht wurde, trocknete er Holz für das nächste Feuer. Meistens übernahm Ellen diese Arbeit, nur das Funkenschlagen aus dem Feuerstein war Cliffs Sache …, Forster und Ellen hatten dazu kein Geschick. Ihre Funken trafen nie das trockene Moos.

Am fünften Tag versuchte Cliff mit Blasrohr und Pfeil zu schießen. Am Ufer liefen seit Stunden kleine, schwarze Schweine neben ihnen her, schlammverkrustet, laut grunzend und von einer direkt ergreifenden Häßlichkeit.

»Eine völlig neue Rasse«, sagte Cliff und lud zum ersten Mal ein Blasrohr mit dem Giftpfeil. »Aber es sind Schweine. Das ist die Hauptsache. Im Wald muß es ja von den Biestern wimmeln. Ersetzen hier anscheinend die Kaninchen. Ellen, Baby … der Gedanke an ein Schweinesteak treibt mir einen Ozean durch den Mund!«

Sie ruderten nahe ans Ufer, und die Schweine starrten sie aus kleinen, bösen Augen an, liefen aber nicht weg. Ein Mensch? Was war das, ein Mensch? Sie hatten noch keinen gesehen. Sie kannten im Fluß nur die Alligatoren und die Mörderfische.

Cliff Haller blies mit vollen Backen. Lautlos zischte der Pfeil aus dem Rohr und blieb im Rücken des vorderen Schweines stecken. Das Tier blickte sich verwundert um, stieß einen dumpfen Laut aus und wollte weglaufen …, aber da wirkte schon das Gift, lähmte die Beine, das Schwein knickte ein, wühlte in ohnmächtiger Angst die Schnauze in den sumpfigen Boden und fiel dann zur Seite.

»Blattschuß!« sagte Cliff fröhlich.

»Ein fürchterliches Gift!« Dr. Forster ruderte näher ans Ufer. Die anderen Schweine trabten ohne Eile davon, nachdem sie ihren toten Kameraden beschnüffelt hatten. »Ich kann mir nicht denken, daß es im gebratenen Fleisch keine Rückstände hinterläßt.«

»Die Indios jagen nur mit Gift und überleben jede Mahlzeit.«

»Sie sind's gewöhnt, Cliff.«

»Dann müssen wir uns auch daran gewöhnen. Los, näher ran …, ich springe rüber und reiche euch das Schwein zu.«

Bei diesem Manöver geschah das Unglück.

Cliff hatte den toten, etwa vierzig Pfund schweren Körper hinübergereicht. Ellen und Dr. Forster standen in dem schwankenden Boot und nahmen ihn an. Die Haut des Schweines war glitschig von Dreck und Schlamm, und während Forster den Kopf gepackt hatte, wollte Ellen die Hinterbeine fassen. Sie griff mit beiden Händen zu, aber die Beine rutschten ihr durch die Finger, der Körper, dessen Kopf Dr. Forster festhielt, schlug gegen sie, wirkte wie eine Keule und schleuderte sie aus dem Boot. Mit einem Schrei fiel sie ins sumpfige Wasser, schlug mit dem linken Bein an der Bordwand auf und versank dann, als sei sie ohnmächtig geworden.

Gleichzeitig sprangen Cliff und Dr. Forster ihr nach, ergriffen sie, stemmten sie hoch und warfen sie über die Bordkante ins Boot. Dann zogen sie sich selbst hoch und wälzten sich hinüber. Keine Sekunde zu früh … denn kaum drei Meter von ihnen begann sich ein bemooster Baumstamm zu bewegen und glitt geschmeidig auf das Boot zu. Dort klappte das vordere Ende auseinander. Ein Riesenrachen mit blitzenden, spitzen Zähnen. Kleine grüne, funkelnde Augen unter hornigen Wülsten. Cliff nahm eines der Paddel und schlug mit aller Wucht auf den Kopf des Alligators. Aber der dicke Panzer ließ die Schläge nicht durch. Träge drehte das Raubtier ab.

Ellen war besinnungslos, aber als Cliff sie aufrichten wollte, zuckte sie in der Ohnmacht zusammen, als reagierten ihre Nerven auf starke Schmerzen. Dr. Forster tastete schnell ihren Körper ab. Als er an das linke Bein kam, stieß er einen Schreckenslaut aus.

Das Bein lag merkwürdig verdreht vor ihm, den Fuß zur Seite geknickt. Als er über den Unterschenkel tastete, fühlte er deutlich den Bruch.

»Mein Gott!« stammelte er. »Auch das noch! Gebrochen.«

Cliff wischte sich den grünen stinkenden Schlamm aus dem Gesicht: »Sicher?«

»Sehen Sie sich die Verdrehung doch an! Als sie ins Wasser fiel, schlug sie mit dem Bein an die Bordkante. Der Knochen ist glatt durchgebrochen, wie ein Stück Holz.« Er räumte alles weg, was unter und neben Ellen im Boot lag und tastete das Bein noch einmal ab. Es begann bereits anzuschwellen.

Cliff Haller handelte sofort. Er sprang noch einmal an Land und verschwand im dichten Unterholz. Nach wenigen Minuten tauchte er wieder auf, begleitet vom Gekreisch aufgeschreckter Halbaffen und buntschillernder Vögel. Er schleppte auf beiden Armen dicke, trockene Äste, warf sie ins Boot und wischte sich mit beiden Unterarmen den Schweiß vom Gesicht.

»Reicht das, Doc?«

Dr. Forster hatte das Bein Ellens vorbereitet. Die Stiefel waren ausgezogen, er hatte das gebrochene Bein in seinen Schoß gelegt und tastete noch einmal den Bruch ab.

»Es ist genug Holz für eine Schiene. Aber das ist das wenigste. Die Ohnmacht verfliegt, gleich wird Ellen ganz klar sein, und das Schlimmste steht uns bevor: Ich muß den Bruch einrichten.«

»Zum Teufel, dann tun Sie's, Doc!«

»Hat man Ihnen schon einmal einen gebrochenen Knochen bei vollem Bewußtsein eingerichtet?«

»Nein.«

»Sie gehen die Wände hoch, Cliff. Sie brüllen, daß der Putz von der Decke fällt.«

»Hier gibt es keinen Putz, Doc! Richten Sie ein!«

»Unmöglich.« Dr. Forster umfaßte stützend das Bein. »Sie kommt wieder zu sich.«

Ellen schlug die Augen auf. Bis sie begriff, was vorgefallen war, sah sie erstaunt um sich, dann aber wollte sie sich aufrichten. Forster drückte sie zurück.

»Was ist denn los?« fragte sie und wunderte sich, daß ihre Zähne klapperten, als läge sie auf Eis. »Ich bin ins Wasser gefallen, weil mir das Schwein aus den Fingern glitt. Was ist denn?«

»Bleib ganz ruhig liegen, Baby.« Cliff grinste verlegen. »Der Doc und ich überlegen gerade, wie wir dich wieder betäuben können.«

»Betäuben? Warum?«

»Das linke Bein ist gebrochen, Ellen –«

»Das linke?«

»Ja.« Dr. Forster bewegte ganz leicht den Fuß. Ellen stöhnte laut auf und wurde weiß im Gesicht. Haller ballte die Fäuste und starrte Forster giftig an.

»Lassen Sie das, Sie Idiot!« brüllte er.

»Und Sie denken, man könnte den Bruch ohne Narkose einrichten!«

Ellen hob den Kopf und sah auf ihr Bein hinunter. Dann warf sie sich zurück und starrte in den blauen, glutheißen Himmel. Ihre Finger krallten sich in die Bordkanten des Bootes.

»Versucht es!«

»Unmöglich!« Forster schüttelte energisch den Kopf. Wenn sie aufschreit, verliere ich die Nerven, dachte er. Und sie wird schreien …, es ist ein unmenschlicher Schmerz.

»Aber Sie können doch nicht wochenlang das Bein in der Hand halten!« schrie Cliff ihn an. »Wie lange dauert denn so ein Einrichten?«

»Unterm Röntgenschirm ist das eine Kleinigkeit.«

»Na also!« Cliff Haller zog den Kopf in die Schultern. »Dann knipsen Sie doch Ihr Röntgengerät an, Doc! Man sollte Ihnen tatsächlich den Schädel einschlagen!« Er kniete sich neben Ellen auf den Bootsboden und umfaßte ihr bleiches Gesicht mit beiden Händen. »Schmerzen, Baby?«

»Ja, Cliff …, jetzt fängt es an. Das ganze Bein brennt.«

»Wir werden dir eine schöne Schiene machen. Die schönste am ganzen Amazonas. Aus Ebenholz und dunkelgrünen Riesenblättern. So wertvoll ist noch kein Bein geschient worden. Baby, du darfst nur keine Angst haben.«

»Ich habe keine Angst! Rudolf ist Spezialist für Knochenbrüche. Er war zwei Jahre in der Unfall-Chirurgie.«

»Na also.« Cliff schielte zu Forster. »Sei schön brav, Baby und nimm uns nichts übel.«

Er beugte sich über sie und küßte sie, bevor sie eine Antwort geben konnte. Dr. Forster tippte Haller auf den Rücken.

»Solche Betäubungen reichen für einen Bruch nicht aus! Haben Sie nichts anderes zu tun, als jetzt Süßholz zu raspeln?«

»Warten Sie's doch ab, Doc!« knurrte Cliff. Er streichelte Ellen noch einmal über die Augen, blickte sie zärtlich an, hob dann die Faust und schlug ihr gegen das Kinn. Es gab einen dumpfen Laut, und Ellen streckte sich.

»Sie Vieh!« stammelte Dr. Forster. »Sie verfluchtes Vieh!«

»Nun fangen Sie endlich an!« schrie Cliff und umfaßte wieder zärtlich Ellens Kopf. »Ein zweites Mal tu ich's nicht!«

Er schob den Arm unter ihre Schultern und hielt sie fest. Dr. Forster umklammerte den Fuß Ellens, drehte ihn und tastete mit der linken Hand die Bruchstelle ab. Cliff Haller zuckte zusammen.

»Sie Dreckskerl!« keuchte er. »Das ganze Bein knirscht ja.«

»Aber jetzt steht der Bruch.« Forster hielt das Bein fest. Schweiß lief ihm über die Augen und in den Mund. »Hören Sie endlich auf, den zärtlichen Traumengel zu spielen. Bringen Sie mir die Äste und die Blätter. Und die Lianen zum Verschnüren.«

Ohne Widerrede gehorchte Cliff. Er ließ Ellen los und brach die Äste auf die Länge, die Dr. Forster brauchte. Sie schienten das Bein, umwickelten es mit den kühlenden, fleischigen Blättern eines Strauches, den niemand kannte; aber Cliff dachte sich, daß die in den Blättern aufgesogene Feuchtigkeit lindernd wirken würde. Dann verschnürten sie alles mit Lianen.

Am anderen Ufer sahen ihnen aus den Büschen kleine, rotbraune Männer zu. Sie hockten nahe am Fluß, unbeweglich, als seien sie verfaulte Baumstümpfe. Um ihre nackten Körper hatten sie einen geflochtenen Leibriemen geschnallt. An den Gürteln schaukelten faustgroße Gebilde. Sie sahen aus wie kleine Kokosnüsse mit schwarzen Haaren. Aber es waren Menschenköpfe.

Schrumpfköpfe.