Zweites Kapitel

Die Zelte waren aufgeschlagen, zwei Feuer brannten und lockten eine Wolke von Moskitos herbei, Rafael Palma spülte seinen Kochkessel und die Eßgeschirre im Fluß und scheuerte sie mit Sand aus, Ellen schrieb im Licht eines Batteriescheinwerfers die letzten Sätze in ihr Expeditionstagebuch, und José Cascal stand zwischen dem Gepäck und starrte mißmutig über den Fluß.

Sein Problem begann ihm jetzt langsam über den Kopf zu wachsen. Der General hatte gut reden: Verhindern Sie das Betreten des Quellgebietes des Rio Juma.

Cascal drehte sich um und überblickte das Treiben in dem kleinen Lager. Er sah, wie Alexander Jesus sich einen großen Baum aussuchte, wie ein Affe, sich an den Lianen festhaltend, den Stamm hochkletterte und sich, zehn Meter über dem Boden, in der Gabelung zweier armdicker Äste niederließ. Dort hockte er wie ein schwarzer Panther und grinste zu Palma hinunter, der mit seinen gescheuerten Töpfen unter dem Baum stand.

»Besser als jedes Zelt!« schrie Alexander Jesus aus seiner luftigen Höhe. »Komm herauf, Rafael.«

Der Koch tippte an seine Stirn und kroch in das Küchenzelt. Traurig hockte er zwischen allen seinen Schätzen, von denen er nur einen Bruchteil mitnehmen konnte. Da jeder seine eigene Ausrüstung tragen mußte – nur Gaio Moco übernahm einen Teil von Ellens Gepäck –, war sich Palma nicht einig, was er morgen früh auf seinen Rücken schnallen sollte. Ein großer Zwiespalt machte ihm zu schaffen: Er kochte und aß zwar gern, aber er haßte jede körperliche Belastung. Seufzend kroch er unter sein Moskitonetz und dachte vor dem Einschlafen mit Schaudern daran, daß es in Zukunft nur noch Fische aus dem Fluß und Fleisch von geschossenen Urwaldtieren geben würde. Vorwiegend Affen! Rafael Palma kannte 34 verschiedene Rezepte, wie man sie zubereiten konnte, aber das tröstete ihn wenig.

Obgleich man es eigentlich nicht für nötig hielt, beschloß man doch, Wachen aufzustellen. »Zur eigenen Beruhigung«, sagte Dr. Forster und blickte hinauf zu Alexander Jesus, der bequem in seiner Astgabel lag und Kaugummi kaute. Dann wandte er sich zu Ellen, die auf einer Kiste vor ihrem kleinen Zelt saß und stumm eine Zigarette rauchte. »Auch Sie schlafen ruhiger, Ellen.«

»Ich kenne keine Angst, das wissen Sie, Rudolf. Warum sollte, uns jemand angreifen? Wir kommen in friedlicher Absicht.«

»Es wäre schön, wenn man das auch den wilden Tieren erzählen könnte.« José Cascal kam von seinem Schmollwinkel am Fluß zurück. Er wußte noch immer nicht, wie er sich in den weiteren Tagen und Wochen verhalten sollte. Er wußte nur eins: Das Quellgebiet des Rio Juma erreichen wir nie! Dürfen wir nicht erreichen.

»Deshalb wird immer ein Feuer brennen.« Forster trank in kleinen Zügen den Rest seiner Bierdose leer und warf sie dann weit in das verfilzte Gebüsch. Zum Abendessen hatte Palma jedem zwei Dosen Bier spendiert; es waren die letzten, denn die zwei Kisten mit den amerikanischen Bierdosen mußten hier zurückbleiben. »Bei der geringsten Unklarheit soll die Wache Alarm schlagen.«

»Das wird eine heitere Nacht!« Cascal lachte sarkastisch. »Wenn Alexander Jesus einen Affen im Schlaf murmeln hört, schießt er um sich. Der Urwald ist voll von unbekannten Geräuschen.«

Ellen Donhoven lächelte müde und winkte ab. »José, Sie sind ein hartnäckiger Mensch. So viele Teufel, um mir Angst zu machen, können in diesem Wald gar nicht wohnen.«

»Die Unvernunft ist das größte Leiden dieser Welt.« Cascal hob resignierend die Schultern: »Boa noite!«

»Gute Nacht, José.«

Cascal schob gerade den Eingang seines Zeltes zur Seite, als er zusammenzuckte und mit eingezogenem Kopf stehenblieb. Über ihnen, irgendwo in dem schwarzen Nachthimmel jenseits des Flusses, klang Motorenlärm auf. Er näherte sich schnell wie ein rasendes Gewitter, das Dröhnen schwoll an und verschwand ebenso schnell in der Dunkelheit. Der Nachhall legte sich über die Stille des Waldes wie ein Zittern.

Gaio Moco, der vom Fluß trockenes Holz zum Feuer getragen hatte, starrte hinauf in die Schwärze der Nacht. Aus ihrem Zelt fuhren die Köpfe von Campofolio und Fernando Paz.

»Verdammt, das waren doch Flugzeuge!« rief Palma und zeigte in den Himmel.

»Das muß ein ganzes Geschwader gewesen sein.« Dr. Forster sah Ellen Donhoven verblüfft an. »Schwere Transportmaschinen, dem Klang nach. Und das mitten in der Nacht über dem Urwald?«

»Blödsinn!« Cascal hatte sich gefaßt. Mit beiden Armen winkte er ab und schüttelte den Kopf. »Das war eine Gewitterzone.«

»Mit der Geschwindigkeit? Da müßten sich hier die Bäume biegen … und wir haben fast Windstille.«

»Flugzeuge! Señores, das wäre doch ganz gegen jede Vernunft.« Cascal lachte rauh, ihm war nicht wohl dabei. »Wo sollen sie denn hinfliegen? Vor uns ist einige tausend Kilometer das Nichts.«

»Es waren Flugmotoren!« sagte Campofolio hartnäckig. »Ich bin in meinem Leben so viel geflogen, daß ich den Klang genau kenne. Was ist denn auch so wichtig daran? Militär vielleicht. Gute Nacht …«

Die erste Wache hatte Dr. Forster übernommen. Er wartete neben Ellens Zelt, bis innen das schwache Licht erlosch, dann stapfte er zum Feuer und setzte sich dort auf eine der leeren Benzintonnen. Gaio Moco, ein Mensch, der anscheinend nie müde war, lag auf der anderen Seite der niedrigen Flammen auf dem Boden. Forster warf ihm seine Packung Zigaretten über das Feuer. Dankbar nickte ihm Moco zu. Er steckte sich eine Zigarette an und rauchte sie wie ein ungeübtes Mädchen, zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt. Nach jedem Zug blies er den Rauch durch die gespitzten Lippen wieder von sich.

»Gaio, sei einmal ganz ehrlich«, sagte Dr. Forster.

»Moco kennt keine Lüge.« Der Indio starrte auf seine Zigarette.

»Hat es einen Sinn, was Señorita Ellen macht? Kommen wir jemals durch diesen riesigen Wald bis zu den Jumas?«

»Solange ich bei Ihnen bin, ja. Allein nie.«

»Du kennst das Land genau?«

»Ich weiß, wo mein Stamm lebt. Es ist neben den Jumas.«

»Angenommen, dir passiert etwas. Ein Schlangenbiß, Fieber, irgendein Unglück … wie stehen dann unsere Chancen?«

»Sehr schlecht, Señor.« Moco warf den Zigarettenrest ins Feuer. »Der Wald wird euch verschlingen wie eine Schlange die Maus.«

»Danke, Gaio.« Dr. Forster stützte den Kopf in beide Hände.

Zwei Stunden später löste ihn Fernando Paz ab. Dann übernahm Campofolio die Wache, nach ihm setzte sich Palma ans Feuer. Abseits von allen lag Moco auf dem Boden und schlief. Zusammengerollt, kaum atmend, unbelästigt von den Moskitos. Er hatte sich vor dem Schlafen mit dem Saft einer Pflanze eingerieben … man roch nichts, aber für die Moskitos mußte er widerlich stinken. Sie schwirrten in einem Bogen um ihn herum.

Rafael Palma schlief ein. Man konnte ihm das nicht übelnehmen. Mit großer Wehmut im Herzen hatte er bis kurz vor Antritt der Wache inmitten seiner Vorräte gesessen und hatte ausgewählt, einen Sack gepackt, über die Schulter geworfen, ihn für zu schwer befunden und wieder umgepackt. Was schließlich übrigblieb, waren dreißig Pfund Konserven, dazu kamen noch die Töpfe und die große Pfanne, die er zu einem Bündel zusammenschnürte und sich als Gegengewicht zu dem Sack um den Hals hängte. Die Tränen standen ihm in den Augen, als er dieses Marschgepäck als endgültig bezeichnete. Es wird von Tag zu Tag leichter, tröstete er sich. Aber das Leben wird auch trostloser. Nur immer Bratfisch oder Affenlende mit Rosinensoße, das ist eine Quälerei für einen so begnadeten Koch wie Rafael Palma.

Nun schlief er, saß mit hängendem Kopf am Feuer und schnarchte laut. Seitlich von ihm, in der Höhe, grunzte Alexander Jesus auf seinem Baum. Und nichts geschah. Kein wildes Tier schlich sich ins Lager und holte sich Palma vom Feuer, keine Riesenschlange erwürgte Guapa auf seinem Baum, kein blutdürstiger Indio schnitt Moco den Kopf ab.

Die Nacht verging, und da Palma schlief und seine Nachfolger nicht weckte, schliefen sie alle bis in den hellen Morgen hinein. Dann aber fuhren sie hoch, stürzten aus ihren Zelten und hielten die Gewehre schußbereit. Ein gellender Schrei hatte sie aufgejagt. Er wiederholte sich jetzt, und es war Alexander Jesus, der ihn ausstieß. Er schwang sich an den Lianen von seinem Baum und zitterte am ganzen Körper. Wenn Neger wirklich bleich werden können – Guapa war es. Das Schwarz seiner Haut schimmerte graublau. Als er den festen Boden erreichte, begann er herumzutanzen, als hätten ihn tausend Ameisen gebissen. Sein Mund war weit aufgerissen, die weißen Zähne bleckten, und er gab Laute von sich, die wie das Quieken junger Schweine klangen. Um seinen Hals baumelte etwas, mit dem er am Abend bestimmt nicht auf den Baum geklettert war. Dr. Forster und José Cascal erkannten es sofort, und auch Mocos Augen glitzerten gefährlich.

»Ist er verrückt geworden?« fragte Ellen betroffen.

»Man könnte es ihm nicht übelnehmen.« Dr. Forster zeigte auf den Gegenstand, der um den Hals des schreienden Alexander Jesus hing: »Ein Schrumpfkopf …«

»Mein Gott!« Ellen preßte die Finger in Forsters Arm.

Palma und Moco überwältigten Guapa, der brüllend um sich schlug, als man ihm zu nahe kam. Schaum stand ihm vor dem Mund, vor Angst verdrehte er die Augen. Auf der flachen Hand, so wie man ein Geschenk auf einem silbernen Tablett überreicht, brachte Moco die schreckliche Warnung zu Ellen.

»Er war einmal ein Weißer«, sagte Moco ruhig. »Wir müssen vorsichtig sein.«

»Umkehren!« schrie Cascal. Ehrliche Angst stand in seinen Augen. Das hier war nicht geplant, war keine Inszenierung zur Abschreckung … das war echte Wildnis, eine Todesdrohung, die auch ihm galt. »Sofort umkehren! Wir lassen uns mit dem Boot flußabwärts treiben bis in den See. Zelte abbrechen! Alles zurück!«

»Moment, José!« Ellen sah Dr. Forster an. Auch in seinem Blick lag Entsetzen. »Ist das Ihre Expedition oder meine?«

»Das spielt jetzt keine Rolle mehr!« rief Cascal. »Als Beauftragter der Regierung befehle ich die Umkehr!«

»Sie wiederholen sich, José. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, daß hier im Urwald Ihre dumme Staatsgewalt aufhört.«

»Ist dieser Schrumpfkopf eines Weißen nicht genug? Sollen wir in ein paar Tagen alle so aussehen?« schrie Cascal. »Feuer brannte, eine Wache paßte auf und ein Indio« – er zeigte auf Moco, der noch immer den ekligen Schrumpfkopf auf seinem Handteller hatte – »war bei uns, ein Indio, der sonst die Würmer kriechen hört … und trotzdem ist es einem Wilden gelungen, zu Guapa auf den Baum zu klettern und ihm das fürchterliche Ding um den Hals zu hängen. Wenn das nicht genug ist, weiß ich nicht, was Sie noch abhalten kann, diesen Wahnsinn fortzusetzen! Sollen wir alle wirklich draufgehen?«

»Ich ziehe weiter!« sagte Ellen ruhig. »Moco? Was meinst du?«

»Lassen Sie mich allein gehen, Señorita …«

»Du auch?« Enttäuschung spiegelte sich in Ellens Gesicht. Sie beugte sich über den Kopf und dachte an die Erzählungen, die sich um diese Jagdtrophäen der Kopfjäger rankten. So groß wie eine Kinderfaust, aller Knochen entledigt, ausgetrocknet und gegerbt, aber deutlich als Kopf eines weißen Mannes erkennbar, grinste sie dieser Schädel an. Das Geheimnis und das fürchterliche Schicksal dieses Menschen wehte sie kalt an.

Wer mochte das gewesen sein? Ein Abenteurer? Ein Orchideensammler? Ein Forscher? Ein Missionar? Ein Jäger? Jedes Jahr verschluckt der Urwald eine Anzahl Weißer, und keiner sieht sie jemals wieder. Niemand sucht sie. Wozu auch? Man findet sie doch nie, und wo soll man mit dem Suchen beginnen? Durch Zufall finden Expeditionen dann Hinweise auf getötete Weiße, oder Indios bringen Erzählungen von den großen Flüssen mit, in denen vom Tode weißer Feinde die Rede ist.

»Was … was machst du jetzt mit ihm?« fragte Ellen und hatte Mühe, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. Gaio Moco schloß die Hand um den kleinen weißgelben Kopf.

»Ich hänge ihn mir an den Gürtel.«

»Wir sollten ihn begraben, wie es einem Christen zusteht«, sagte Campofolio, der sich seiner religiösen Erziehung in Sizilien erinnerte.

Am Ufer begann ein neuer Lärm. Alexander Jesus schleppte Kisten zurück auf das Boot und fing dabei an, mit singender Stimme Gebete zur Madonna und den Heiligen zu schreien. Er war völlig aus der Fassung geraten, die Urangst seiner Rasse vor Dämonen raubte ihm den Verstand.

»Brechen wir die Zelte ab«, sagte Ellen und steckte die Hände in die Taschen ihres Tropenanzuges. Niemand sollte sehen, wie sie zitterten. »Die Herren können zurückfahren nach Tefé. Gute Reise! Moco – such unsere Sachen zusammen. In einer Stunde ziehen wir weiter …«

Sie drehte sich um und ging mit festen Schritten hinunter zum Fluß.

»Man sollte ihr den Schädel einschlagen«, zischte Cascal.

»Womit?« Dr. Forster lächelte verzerrt. »Der Gegenstand, der das schafft, muß noch erfunden werden.« Er blickte die anderen Männer an und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Mit der Morgensonne kam auch die bleierne Hitze. Der Wald dampfte. »Wie haben Sie sich entschieden?«

»Das frage ich Sie zuerst«, brummte Fernando Paz.

»Ich bleibe bei ihr«, sagte Dr. Forster.

»Noch ein Verrückter!« schrie Cascal.

»Ich liebe sie.« Dr. Forster atmete tief durch. »Damit habe ich das Recht, das Irrsinnigste als normal anzusehen.«

Eine Stunde später begann der Vormarsch durch den unbekannten Urwald.

Keiner fehlte – alle zogen sie mit. Sogar Alexander Jesus. Vier Stunden betete er laut vor sich hin, bis er heiser war, aber er blieb nicht zurück. Allein mit dem Boot zurückzukehren schien ihm unsicherer, als mit den anderen vorwärts in die Grüne Hölle zu marschieren.

An der Spitze gingen Moco und Rafael Palma. Mit scharfen Macheten schlugen sie den Pfad in das verfilzte Unterholz. Meter um Meter, Stunde um Stunde … vor sich die grüne, wogende Unendlichkeit. Es war, als ob eine Schnecke auf dem Wege war, Amerika zu erobern …

***

Vier Tage kämpften sie sich durch den Wald. Es war eine Quälerei, die sie auslaugte. Jeden Abend verfolgte Ellen auf der Karte, wie weit sie gekommen waren, doch die Strecken schienen im Verhältnis zu den Entfernungen, die noch vor ihnen lagen, lächerlich. José Cascal errechnete, daß die Expedition bei diesem Tempo ein halbes Jahr bis zu den Quellflüssen des Rio Juma und Rio Itanhaua brauchen würde, wenn man überhaupt bis dahin kam.

»Und wenn es ein Jahr dauert«, sagte Ellen starrköpfig. »Ich habe Zeit.«

Am vierten Abend fanden Paz und Campofolio etwas Seltsames: Am Ufer des Tefé lagen zwei Patronenhülsen angeschwemmt, im Netz der Wasserranken verfangen.

»Gewehrpatronen!« stellte Dr. Forster fest. »Das ist merkwürdig. Lange liegen sie noch nicht im Fluß. Eine Expedition muß vor uns durch den Wald ziehen.«

»Unmöglich. Jede Expedition ist gemeldet und wird in Manaus genehmigt.« Cascal betrachtete die Hülsen mit finsterer Miene.

»Ein Einzelgänger. Gibt es das noch?«

»Hier in diesem Land gibt es alles, Señor«, sagte Cascal und steckte die Patronenhülsen ein. Im Zelt betrachtete er sie unter einem Vergrößerungsglas … es waren Hülsen amerikanischer Herkunft. »Verdammt!« murmelte er und wickelte die Patronen ein, als seien sie aus Gold. »Die Kerle in Tefé haben geschlafen. Man sollte sie zu Tode prügeln …«

An diesem Abend hatte Alexander Jesus ein neues Erlebnis. Daß es immer ihn traf, den braven, schwarzen Mann, der jeden Abend gehorsam sein Gebet sprach, wie es ihn die Mama gelehrt hatte, betrachtete er als blindes Schicksal. Er war mit Palma zu einer seichten Bucht an den Fluß gegangen, wo man dicke Fische im Wasser stehen sah, von denen Palma allerdings noch nicht wußte, ob man sie essen konnte, als es plötzlich hinter ihm raschelte. Alexander Jesus machte einen Satz zur Seite, aber genau das war falsch. Er trat auf etwas Weiches, Rundes, stolperte, fiel auf die Knie und war in der nächsten Sekunde von einem glatten, gefleckten, gleitenden Leib umschlungen. Ungeheure Muskeln preßten sich um ihn, schnürten ihm die Hüften ab und ließen seine Gelenke knirschen.

Alexander Jesus brüllte wie am Spieß. Palma, der am Flußufer stand und überlegte, wie man den dicken Fisch fangen könnte – ob mit einer Angel oder nach Eingeborenenart mit einer Lanze –, fuhr herum. Er sah seinen Freund im Kampf mit einer riesigen Anakonda, einer ungiftigen, aber ungemein starken Schlange, von der man weiß, daß sie kleine Schweine und andere mittelgroße Tiere in einem Stück verschlingt und hinunterwürgt. Zischend riß sie jetzt ihr breites Maul auf und streckte den Kopf hocherhoben Palma entgegen, während sie mit ihrem Leib den armen Alexander Jesus zu erwürgen drohte.

»Hilfe!« brüllte Palma. »Hilfe!« Er rannte zum Lager, wo man die schrecklichen Schreie Guapas schon gehört hatte und mit Gewehren und scharfen Macheten zum Fluß lief. »Eine Anakonda! Ein Riesenbiest! Sie erdrückt ihn … schnell, schnell!«

José Cascal war der erste, der die Bucht erreichte. Vergeblich versuchte er, den Kopf der Schlange so ins Visier zu bekommen, daß sein Schuß nicht auch Alexander Jesus traf. Immer war der schreiende Neger im Weg … er hieb sinnlos auf den glatten Leib und versuchte, mit seinen Händen den Kopf der Schlange zu greifen.

Mit drei langen, pantherhaften Sätzen war Moco bei ihm. Die Machete blitzte durch die Luft, es gab einen knirschenden Laut, und der Kopf der Riesenschlange fiel zur Seite. Aber die Muskeln des Leibes erschlafften noch nicht, sie hielten ihr Opfer umklammert. Erst, als Moco und Cascal gemeinsam an dem zuckenden Leib zogen, konnte sich Guapa aus der tödlichen Umklammerung befreien, rollte ein paar Meter über den Boden und blieb dann auf dem Rücken liegen, wie ein an Land geworfener Fisch.

»Madonna«, wimmerte er. »Por amor de Deus! Bete ich nicht immer zu dir?« Dann weinte er wie ein kleines Kind, und Palma gab ihm von der vorletzten Büchse Bier zu trinken.

Dr. Forster maß später die Schlange nach – sie war sechs Meter vierzig lang und so dick wie ein männlicher Oberschenkel. Der einzige, der sich über die Anakonda freute, war Rafael Palma. Bereits am Abend gab es Schlangensteak, mit Paprika bestäubt. Aber wenn es auch noch so köstlich schmeckte: Dr. Forster, Ellen und Campofolio kostete es große Überwindung, die Bissen hinunterzuwürgen. Palma strahlte. Er kannte elf Rezepte für Schlangenfleisch. Wo in aller Welt gab es noch solch einen Koch wie ihn?

Nach diesem neuen Erlebnis Alexander Jesus' sah Ellen ein, daß der Fußmarsch durch den Urwald, und wenn er ein Jahr dauern würde, nicht von der Zeit abhängig war, sondern von den Nerven der Menschen. Bei allem männlichen Mut gab jetzt auch Fernando Paz dem verschlossenen Cascal recht: »Es wäre besser, umzukehren und sich in Tefé neu auszurüsten«, sagte er. »Noch ist das möglich. Mit dem Boot, zugegeben, das hatte einen Sinn … aber was wir jetzt unternehmen, ist mittelalterlich. Zurück, neues Benzin einladen und noch einmal vorwärts … dann klappt es. Was meinen Sie, Pietro?«

Campofolio, als Italiener immer Kavalier, schielte zu Ellen Donhoven. Er sah ihre abweisende Miene und befand sich in einem großen seelischen Konflikt. Innerlich gab er zu, Angst zu haben, aber welcher Mann zeigt das in Gegenwart einer schönen Frau?

»Wenn man allein die Klugheit walten ließe …«, wich er aus.

»Klugheit ist jetzt das einzige, was uns retten kann!« Dr. Forster legte den Arm um Ellens Schulter. Er spürte ihre Abwehr … sie machte sich steif. »Seit Tagen wissen wir, daß wir ins Unendliche laufen ohne einen Funken Hoffnung. Seit Tagen reden wir darüber, aber wie die Hammel ziehen wir weiter. Ellen – Sie Dickkopf, wollen Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen?«

»Ja.«

Das war eine klare, einfache Antwort. Gegen sie gab es keine weiteren Fragen mehr.

Dr. Forster stand auf und ging unruhig vor dem niedrigen Feuer hin und her. Gaio Moco beobachtete ihn von seinem Lager aus. Für ihn war die Welt einfacher. Er kehrte zu seinem Stamm zurück, würde Moco den Zauberer töten, weil er die Leute belog, und dann Ynama, das Mädchen mit den langen Haaren, heiraten.

Wie arm sind die Weißen, dachte er. Sie machen aus ihrem Leben eine Hölle …

Am Morgen machte Moco einen guten Vorschlag. Er erklärte Ellen Donhoven, daß man Einbäume bauen sollte.

»Es wird eine Zeit dauern«, sagte er. »Aber wir haben alle Instrumente zum Bau hier. Ich werde drei Stämme aushöhlen und breite Paddel schnitzen. Wenn wir mit diesen Booten am Flußufer, dort wo die Strömung nicht stark ist, rudern, kommen wir schneller voran als auf dem Land. Man kann sogar an den seichten Stellen mit langen Stangen stoßen.«

»Gondolieri im Urwald«, grinste Campofolio. »O mia bella Venezia! Aber der Vorschlag ist gut. Sehr gut.«

Auch Fernando Paz war begeistert. Palma und Alexander Jesus waren sich immer einig und nickten mit leuchtenden Gesichtern.

»Einbaum … gut!« sagte Guapa. »Nur weg von diesem gottverfluchten Land!«

Der einzige, der widersprach, war José Cascal. Der Vorschlag Mocos durchkreuzte erneut seine Pläne. Giftig sah er den Indio an.

»Und die Stromschnellen?« fragte er. »Wir wissen aus Luftaufnahmen, daß oben am Fluß eine Kette von Stromschnellen kommt mit bizarren Wasserfällen. Da hält sich kein Einbaum mehr. Wir werden weggetrieben wie trockenes Holz.«

»Die Stromschnellen umgehen wir«, sagte Dr. Forster. Er sah, daß Ellen den Vorschlag Mocos wie den rettenden Schluck Wasser vor dem Verdursten aufnahm. »Wir tragen die Boote über Land an den Fällen vorbei und setzen hinter ihnen die Fahrt fort. Unter Garantie geht das schneller als zu Fuß durch den Urwald.«

»Haben Sie schon einmal einen Baumstamm geschleppt?« schrie Cascal. »Dazu in dieser Wildnis? Auch ausgehöhlt würde er Sie glatt in die Erde stampfen.«

»Ich werde leichtes Holz nehmen«, entgegnete Moco ruhig. »Holz vom Muahua. Es schwimmt wie Kork …«

José Cascal ballte hinter dem Rücken die Fäuste. Es hat keinen Sinn, dachte er, weiterhin human zu sein. Es hat keinen Sinn, dem Notwendigsten auszuweichen.

Der Indio muß verschwinden. Er ist die Seele dieser Bande. Töte ich die Seele, ist der Körper hilflos. Ohne Moco ist selbst eine Ellen Donhoven keine Heldin mehr.

Er zuckte mit den Schultern, brummte: »Man wird mir später recht geben« und ging in sein Zelt.

Der Tod Mocos war an diesem Morgen beschlossen.

Zunächst aber gingen alle daran, die Einbäume zu bauen. Moco und Palma streiften durch den Wald und suchten die richtigen Stämme aus, fällten sie, schlugen die Äste ab und kamen dann mit den langen Stammstücken ins Lager. Ohne Anstrengung trugen sie allein die dicken, runden Stämme, die aussahen, als könnten sie von vier starken Pferden nicht über die Erde geschleift werden. Dr. Forster und Campofolio staunten. Sie hoben die Bäume ebenfalls hoch und hatten wenig Mühe, sie zu tragen. Ausgehöhlt mußten sie wirklich leicht wie Kork sein, ähnlich dem unsinkbaren Balsaholz. Für Cascal war das kein Naturwunder mehr, er kannte das Muahua-Holz, aus dem die Indios ihre pfeilschnellen Kanus schnitzten. Mit der Strömung, mitten auf dem Fluß, schwammen sie in ihren Einbäumen jedem Motorboot davon.

»Wie lange wird es dauern, bis wir weiter können?« fragte Ellen, als Moco die Stämme, aus denen einmal Boote werden sollten, auf niedrige Böcke gelegt hatte und mit einem Beil die Umrisse der Höhlung einritzte.

»Einen Monat, vielleicht auch zwei, Señorita.« Moco sah über den nahen Fluß. Die anderen hatten aus dem Gestrüpp einen freien Lagerplatz gehauen und begannen, sich für längere Zeit einzurichten. Palma und Alexander Jesus bauten einen Herd aus Flußsteinen. Wer gut ißt, hat auch immer Mut, war die Ansicht Palmas.

»Zwei Monate!« Cascal raufte sich theatralisch die Haare. »Bis dahin sind wir hier verschimmelt!«

»Wir haben Zeit, viel Zeit.« Ellen Donhoven lächelte Moco dankbar zu. »Bau uns schöne Boote, Gaio –«

Es war klar, daß diese langen Tage nicht ohne Zwischenfälle vorübergingen. Während Moco, Palma, Guapa und Paz an den Einbäumen arbeiteten, mit bloßen, schweißnassen Oberkörpern, die Moco mit seinem unbekannten Pflanzensaft einrieb, der alle Mücken fernhielt, saß José Cascal herum und hinderte, wo er nur konnte. In kürzester Zeit haßte ihn jeder, und Dr. Forster sagte einmal zu ihm:

»Señor Cascal, Sie mögen anderer Ansicht sein als wir, Sie mögen sogar als Beamter ausnahmsweise ein eigenes Denken besitzen, das alles respektieren wir. Aber es ist unmöglich, daß Sie immer wie ein Bremsklotz die Arbeit hemmen.«

»Sie werden sehen, wohin das alles führt«, sagte Cascal bitter. »Keiner von uns wird den Blödsinn überleben. Wir alle sind begeisterte Selbstmörder, Irre.«

***

Der Bau der Einbäume ging gut voran. Ein Stamm war schon so weit ausgehöhlt, daß Moco ihn zu Wasser lassen konnte, um eine Probefahrt durch die Bucht zu unternehmen. Er schwamm vorzüglich, war nur etwas kippempfindlich. Cascal grinste breit.

»Wenn Sie in den Rhein oder die Elbe kippen, ist das weiter nicht gefährlich«, sagte er hämisch. »Da schwimmt man einfach nebenher. Aber wenn Sie in den Rio Tefé kippen, dann könnten Sie Weltmeister im Schwimmen sein, die Piranhas hätten Sie in zehn Sekunden skelettiert! Ins Wasser fallen ist bei uns die Garantie für ein anständiges Begräbnis.«

»Er ist noch nicht fertig«, sagte Moco und sah Cascal aus seinen dunkelbraunen Augen brennend an. »Das Gleichgewicht ist die größte Kunst beim Einbaumbau. Ich habe es gelernt, ich habe die besten Kanus meines Stammes gebaut.«

Am neunzehnten Tag geschah wieder etwas. Dieses Mal war nicht Alexander Jesus das Opfer, sondern Rafael Palma, der Koch. Beim Suchen nach Brennholz trat er auf etwas Glattes und wurde gebissen. Er schrie nicht wie Guapa, sondern hüpfte auf dem gesunden Bein zurück ins Lager, warf sich auf den Rücken und zog die Schuhe aus. Oberhalb des Knöchels war deutlich die Wunde zu sehen, die der Schlangenzahn gerissen hatte. Wenig Blut tropfte heraus, aber der Knöchel schwoll bereits bläulich an.

»Ich friere, Señor«, sagte Palma, als Dr. Forster sofort mit der Operation begann. »Ich friere wie im Winter. Mir klappern die Zähne …«

»Muß ich sterben?« stammelte Rafael. »Doktor … ich friere … ich friere …«

»Sie werden überleben.« Dr. Forster schnitt nach einer Betäubung des ganzen Beines den Knöchel Palmas auf. Ellen assistierte ihm, und es war wie damals in Stuttgart, im Krankenhaus, als sie als junge Medizinerin dem Assistenzarzt Dr. Forster die Klammern hielt und die Gefäße abband, die er ihr zeigte. Weit im Gesunden schnitt er das vom Gift bereits durchzogene Muskelfleisch heraus, streute Penicillin in die Wunde, legte einen Drain an und verband dann das Bein.

Palma lag mit schreckgeweiteten Augen auf der Decke und starrte in den blauen Himmel. Er hatte sich bereits aufgegeben.

»Bevor Palma nicht ausgeheilt ist, können wir auf gar keinen Fall weiter«, sagte Ellen am Abend. »Richten wir uns also danach ein.«

Es dämmerte bereits, als Alexander Jesus, der am Fluß nach seinen Rattenfallen sah, in die Höhe sprang und beide Arme zum Himmel empor warf. Schon dachte man, daß ihm wieder etwas passiert sei, als man seinen Schrei hörte.

»Ein Boot! Ein Boot! Ein Boot mit einem weißen Mann!«

Cascal sprang wie angeschossen hoch. Er riß sein Gewehr vom Boden und rannte zum Ufer. Die anderen konnten ihm kaum folgen, nur Moco holte ihn ein, mit langen, geschmeidigen Sätzen, katzenhaft lautlos, wie ein Tier.

»Das ist doch unmöglich!« rief Paz im Laufen. »Wo soll hier ein Weißer herkommen?«

»Denken Sie an die Patronenhülsen!« rief Dr. Forster. »Da – hören Sie …«

Nun war es deutlich zu hören: das schwache, helle Tuckern eines kleinen Außenbordmotors. Welch ein Klang in dieser grünen Wildnis, welche Musik aus der fernen Zivilisation. Ein Motor! Ein Boot mit Motor!

»Es knattert!« brüllte Campofolio und tanzte herum wie Guapa. »Ein Motor! Wir haben wieder einen Motor!« Und dann sang er ›O sole mio‹ und rannte singend zum Fluß. Er war eben ein Italiener.

Am Ufer winkte Alexander Jesus mit seinem Hemd und brüllte: »Hierher! Hierher!« José Cascal schoß zweimal in die Luft, und Moco entzündete schnell ein Feuer und warf nasses Gras darüber. Der weiße, dichte Qualm zog fett über den Fluß.

»Er kommt!« schrie Campofolio, der durch ein Fernglas blickte. »Er winkt uns. Mein Gott, hat der Schwarze gute Augen. Es ist tatsächlich ein Weißer.«

Langsam näherte sich das kleine Boot der Bucht. Der Mann, der hinten an dem Außenbordmotor saß und nun das Gas wegnahm, trug einen grünen Anzug, gleich einem Tarnanzug der Armee, und einen geflochtenen Hut. Er war groß und breit, sauber rasiert und strahlte eine Kraft aus, die anscheinend kein fieberverseuchter Urwald brechen konnte.

Als er den Hut abnahm, weil er am Ufer eine Frau stehen sah, leuchtete sein dichtes Haar golden in der Abendsonne.

Ein unsympathischer Mensch, dachte Dr. Forster. Vom ersten Augenblick an spürte er die Gefahr, die von diesem Manne ausging.

***

Das Boot knirschte auf dem Ufersand, der Motor verstummte. Mit einem großen Satz sprang der Mann an Land und verbeugte sich leicht vor Ellen Donhoven, als habe man sich eben auf einem Tanzparkett miteinander bekannt gemacht und nicht durch einen vielleicht lebensrettenden Zufall an einem Urwaldfluß.

Aber er kam nicht dazu, ein Wort zu sagen. José Cascal warf sich ihm in den Weg und zwang ihn mit dem Gewehr, stehenzubleiben. Auch Dr. Forster und die anderen Männer umringten ihn. Nur Alexander Jesus hüpfte am Ufer vor dem Bug des Bootes herum und schrie: »Madonna, ich danke dir! Du hast mich erhört. Du hast mich erhört.«

»Wer sind Sie?« fragte Cascal scharf. »Woher kommen Sie? Was tun Sie allein in dieser Gegend? Wie kommen Sie an das Boot? Seit wann leben Sie hier?«

Der Mann blickte sich verwundert um. Er überragte die anderen Männer um Haupteslänge und blinzelte über deren Köpfe hinweg hinüber zu Ellen. Sein Benehmen, seine Augen, sein breites Lachen hatten etwas entwaffnend Jungenhaftes an sich.

»Fragt der immer soviel?« lachte er. »Zunächst die einfachste Frage: Das Boot stammt von McHarper & Co. aus Miami und kostete ohne Motor 450 Dollar. Ein unsinkbares Kunststoffboot, gerade das richtige für diese Mistflüsse hier.«

Ellen Donhoven lachte laut. Cascal wurde violett vor Ärger … Dr. Forster empfand dieses Lächeln wie eine Fanfare, und der Ton schnitt in sein Herz. So hatte sie noch nie gelacht, durchfuhr es ihn. Seit ich sie kenne, hat es diesen Ton bei ihr noch nicht gegeben. Oder beeinflußt mich meine sofortige Abneigung gegen diesen Mann?

»Wer sind Sie?« schrie Cascal.

Der Mann winkte über die Köpfe Ellen zu. »Ist Ihre ganze Crew so unhöflich?« fragte er. Dann drückte er plötzlich das Gewehr Cascals hinunter und sah ihn aus grauen, stahlharten Augen an. »Wenn ich mich vorstelle, dann einer Dame zuerst. Señor, in Ihrem Lande habe ich bisher nur Gentlemen getroffen … zwingen Sie mich nicht, auch aus Ihnen einen zu machen.«

Ehe Cascal etwas erwidern konnte, hatte der Fremde ihn gepackt und wie ein Stück Holz zur Seite geworfen. Dr. Forster und Campofolio fingen den Wankenden auf, dadurch entstand eine Gasse, und der Mann war mit zwei großen Schritten bei Ellen.

»Cliff«, sagte der Mann. »Cliff Haller ist mein Name. Siebenunddreißig Jahre alt, mehrmals gegen alles Viehzeug geimpft, unverheiratet, Whiskytrinker, Vollwaise und ein Idiot, der den Urwald herrlich findet.«

»Dann bin ich auch ein Idiot«, sagte Ellen lachend. »Ich bin Ellen Donhoven, Deutsche, auch unverheiratet und habe den Tick, indianisches Pfeilgift für die deutsche Arzneimittelproduktion zu erforschen.«

»Wie herrlich!« Cliff Haller schlug sich klatschend auf den Schenkel. »Dann können wir jetzt eine schöne kleine Irrenanstalt gründen.« Er drehte sich um und sah sich einer Wand finster blickender Männer gegenüber. Sein Auftreten schien hier nicht der richtige Stil zu sein. Haller fuhr sich mit beiden Händen durch das weizenblonde Haar. »Gentlemen –«, sagte er. »Verzeihen Sie, daß ich lebe. Hätte Ihr Negerbaby nicht wie ein Skalpierter geschrien, wäre ich an Ihnen vorbeigefahren, und wir wären uns nie begegnet. Aber nun bin ich hier.«

»Und das ist gut so, Mr. Haller.« Dr. Forster sagte es gegen seine innere Überzeugung, aber in ihrer Lage waren persönliche Gefühle ein zu großer Luxus. »Wir haben einen Kranken hier. Schlangenbiß. Ich habe ihn operiert, aber er fiebert. Ihr Motorboot könnte uns unter Umständen sehr helfen. Wenn es schlimmer wird, kann man den Kranken nach Tefé zurückbringen.«

»Lauter Ärzte, was?« Cliff Haller blickte sich um. Er starrte Moco an und ließ seinen Blick dann über die fast fertigen Einbäume gleiten. »Und ein Indio! Ich nehme an, Sie werden mir gleich erzählen, warum Sie hier mitten in der Hölle Camping machen wie in Florida. Doch erst einmal Klarheit: Nach Tefé fahre ich nicht.«

»Aber der Kranke …«

»Entweder wir bekommen ihn wieder auf die Beine, oder er erhält ein schönes Kreuz aus Mahagoni.«

»Ihr Benehmen ist unerhört!« rief Fernando Paz. José Cascal hob sein Gewehr.

»Sie sind der Typ eines Mörders«, knirschte er. »Wir werden Sie zwingen, nach Tefé zu fahren.«

Cliff Haller drehte sich zu Ellen um. Seine grauen Augen hatten einen kindlich-erstaunten Ausdruck. Es war der Blick eines Bären, der sich das Fell kraulen läßt, um dann plötzlich zuzuschlagen.

»Ihre Männer haben einen Koller, was?« fragte er. »Wissen Sie, wann man Cliff zum letzten Mal gezwungen hat, etwas zu tun? Da war er zwei Jahre alt und wurde zwangsweise aufs Töpfchen gesetzt. Ellen, ich helfe Ihnen. Ich bringe Sie zu meiner Hütte, und dort sehen wir weiter. Das ist eine Einladung –«

»Ich nehme sie gern an, Mr. Haller.«

»Nennen Sie mich Cliff.« Haller grinste breit. »Wenn jemand ruft ›Mr. Haller‹, sehe ich mich immer nach anderen um, so ungewohnt ist das.«

»Sie haben hier am Fluß eine Hütte?« fragte Cascal schwer atmend.

»Ja.«

»Davon weiß aber keiner etwas.«

»Es gibt so viel Unbekanntes auf der Welt, da ist eine Hütte am Rio Tefé bestimmt äußerst unwichtig.«

»Seit wann leben Sie hier?«

»Ist der vom Einwohnermeldeamt?« Cliff faßte Ellen Donhoven um die Taille. Er tat es so selbstsicher, daß Dr. Forster voll Schadenfreude die Augen zusammenkniff. Jetzt wird er Ellen kennenlernen, dachte er. Jetzt wird sie ihm eine runterhauen.

Aber Ellen tat nichts dergleichen. Sie ließ den Arm um ihren Körper, nur ihr Kopf zuckte etwas zurück. Dr. Forster ballte die Fäuste. Die erschreckende Wahrheit, die er Cascal nicht glauben wollte, wurde jetzt demonstriert: Jede Frau unterwirft sich der vollkommenen Männlichkeit. Auch Ellen bildete darin keine Ausnahme.

»Sehen wir uns den Kranken einmal an«, sagte Cliff Haller.

»Sind Sie Arzt?« fragte Dr. Forster spitz.

»Nein. Muß man, um einen Kranken anzusehen, Arzt sein?«

Ohne sich um die anderen zu kümmern, zog er Ellen zu den Zelten, und sie folgte ihm willig. Campofolio trat wütend ein Stück Holz zur Seite.

»Da haben wir ja ein Prachtexemplar aufgegabelt!« sagte er. »Das kann noch lustig werden.«

»Aber er hat einen Motor.« Alexander Jesus verdrehte die Augen. »Wir brauchen nicht mehr zu laufen …«

»Auf jeden Fall ist er eine dunkle Existenz.« Cascal nahm sein Gewehr unter den Arm. »Den Behörden ist nicht bekannt, daß hier oben am Fluß eine Ansiedlung besteht. Ich werde ihn mir genau unter die Lupe nehmen, diesen Mr. Cliff. Wer sich im Urwald verkriecht, muß Grund dazu haben.«

Cliff Haller übernahm von dieser Stunde an das Kommando. Widerstandslos ließ es Ellen Donhoven zu. Ihr Wesen schien wie durch einen Schock verändert. Was Cliff befahl – sie war die erste, die es ausführte.

Rafael Palma wurde auf das Boot Hallers getragen. Sein Bein brannte, als läge es im Feuer, aber die Schwellung ging zurück. Dr. Forster gab ihm starke Schmerzmittel, aber sie wirkten nur kurz – das Gift schien alle Nerven zu entzünden, und Palma knirschte mit den Zähnen vor Schmerz, die Tränen liefen ihm über die Wangen. Alexander Jesus benutzte jede freie Minute, wieder für ihn zu beten.

Trotz der Dunkelheit, die inzwischen hereingebrochen war, fuhr Cliff Haller ab. Er nahm die zwei am weitesten vollendeten Einbäume ins Schlepp – in ihnen hockten Moco, Cascal, Paz, Guapa, Campofolio und Dr. Forster, während Ellen zu Cliff ins Boot stieg und sich neben den weinenden Palma setzte. Ganz langsam fuhren sie den nachtschwarzen Fluß hinauf.

»Er ist verrückt!« keuchte Cascal. Er war bleich vor Angst. Mit beiden Händen klammerte er sich an dem Rand seines Einbaumes fest. »Nachts auf dem Fluß! Hier wimmelt es von Sandbänken, ganz knapp unter der Oberfläche. Die kann er gar nicht alle kennen. Wenn wir mit unseren Booten da anstoßen und umkippen …«

Er schluckte. Auch die anderen starrten in das schwarze Wasser. Zehn Sekunden dauert der Tod, dachten sie. Dann sind wir nur noch Skelette in einer vor Mordgier kochenden Masse von Piranhas.

Nach drei langen Stunden blinkte Licht über das Wasser. Ein schwacher Schimmer nur – ein schmaler, tastender Leuchtfinger.

Cascal und Dr. Forster sahen es zuerst. »Licht!« Cascal stieß Dr. Forster an. »Das muß die Hütte sein. Licht. Wissen Sie, was das bedeutet?«

»Daß die Fahrt endlich zu Ende ist.«

»Daß er nicht allein ist!« Cascal zog das Gewehr an sich. »In der Hütte wartet jemand auf ihn …«

Das Haus lag in einer schönen, flachen Bucht des Rio Tefé. Im Umkreis von dreißig Metern war der Urwald gerodet, und das Holz hatte anscheinend das Material für den Bau geliefert. So romantisch der erste Eindruck war, bei näherem Hinsehen erwies sich die Behausung als eine elende Hütte, mit geflochtenem Reisig bedeckt, das man durch abgeschälte Rinden regenfest gemacht hatte. Um so erstaunlicher war das Material, das unter Schutzdächern neben dem Haus lagerte: Benzinfässer, Motorersatzteile, Werkzeuge aller Art, gute, neue Fischnetze, Reusen. Drei große Petroleumlampen brannten am Eingang und neben den Schuppen und warfen einen schwachen Schein bis zu dem Anlegesteg am Ufer. Cliff Haller zeigte mit ausgestrecktem Arm auf dieses winzige Fleckchen Zivilisation in einer unbekannten Wildnis.

»Es ist keine große Hazienda, die ich bieten kann«, rief er Ellen durch das Motorgeknatter zu. »Aber ich habe etwas, was Sie seit Wochen nicht mehr kennen: ein richtiges Bett.«

Als die Boote anlegten, ging die Tür der Hütte auf. Ein Mädchen trat in den Lichtschein und sprang sofort seitlich in den Schatten, als sie die beiden Einbäume bemerkte. So kurz ihr Auftauchen war, alle hatten gesehen, daß sie ein Schnellfeuergewehr in den Händen hielt. Cliff Haller stellte den Motor ab.

»Keine Sorge, favorita!« rief er zur Hütte hin. »Ich habe eine ganze Expedition aufgesammelt!« Dann beugte er sich zu Ellen vor, und sein jungenhaftes Lachen verzauberte sie völlig. »Das ist Rita. Ein nettes Mädchen.«

»Ihre Braut?«

»Ich möchte sagen, das wäre etwas zu familiär. Wir sahen uns in Rio auf der Straße, gefielen uns und blieben zusammen. So einfach ist das.«

Er half Ellen aus dem Boot, während die anderen vorsichtig aus den schwankenden Einbäumen auf den Steg kletterten. Alexander Jesus und Fernando Paz hoben den stöhnenden Palma hoch und trugen ihn zur Hütte. Dort stand Rita, das Gewehr schußbereit, und sah ihnen mit finsterer Miene entgegen.

Dr. Forster war der erste, der sie genau betrachten konnte. Sie war eine jener südamerikanischen Frauen, in deren Blut verschiedene Rassen vermischt waren. Spanier, Portugiesen, Indios – eine Mischung von atemberaubender Schönheit. Was dieses Land an Wildheit und Exotik, an Größe und Grausamkeit, an Verzauberung und Haß besaß, war in diesem Typ von Frauen konzentriert zu einem Wesen, das Himmel und Hölle gleichzeitig verschenken konnte.

»Boa tarde!« sagte Dr. Forster. Das Mädchen beachtete ihn gar nicht. Es starrte auf Ellen Donhoven, die neben Cliff Haller stand. Er schien ihr etwas zu erklären. Dann legte er den Arm um ihre Schulter und kam zur Hütte. In die Augen Ritas sprang ein Funken.

O Gott, dachte Dr. Forster, der neben ihr stand. Lieber ein halbes Jahr durch ein schlangenverseuchtes Gebiet wandern als neben zwei eifersüchtigen Frauen leben. Das ist die Hölle in Konzentration.

»Darf ich bekannt machen –«, sagte Cliff in seiner unbekümmerten Art. »Das ist Miß Ellen Donhoven, eine Ärztin aus Germany. Sie will zu den Jumas, um deren Pfeilgifte zu klauen. Haben Pech auf der ganzen Linie gehabt. Benzin weg, eine Reihe Unfälle, wir werden sie aufpäppeln für den großen Treck.«

Rita blickte Ellen wortlos an. Dann drehte sie sich um und ging in die Hütte.

»Sie mag mich nicht«, sagte Ellen zögernd. »Es wäre gut, wenn Sie ihr sagten, daß ich mir aus Ihnen, Cliff, nichts mache und nur Palmas wegen mitgekommen bin.«

»Ich bin keine Erklärungen schuldig.« Cliff Haller ging dem kleinen Trupp voran und hielt die Tür auf, als man Palma in die Hütte trug.

Das Innere des nach Blockhausmanier gebauten Hauses war größer, als man es von außen vermutete. Es gab einen Wohnraum und drei andere Zimmer. Am verblüffendsten war, daß die Möbel aus stabilen amerikanischen Gartenstühlen und Tischen bestanden und zwei Eisenbetten mit richtigen Matratzen in dem Raum standen, der als Schlafzimmer diente. Ein großer Propangasherd stand in der Küchenecke. José Cascal übersah das alles mit einem schnellen Blick und wischte sich erschrocken über das Gesicht.

Komfort im Urwald! Wo kamen alle diese Gegenstände her? Mit dem kleinen Boot konnten sie unmöglich antransportiert worden sein. Und was suchte Cliff Haller hier am Oberlauf des Rio Tefé? Warum bauten sich ein weißer Mann und ein schönes Mädchen eine Hütte mitten zwischen Indios und einem immer feindlichen Urwald?

»Sie leben hier wie ein König«, sagte Cascal lauernd.

Cliff Haller lachte. »Vielleicht bin ich einer?«

»Wie haben Sie denn das ganze Material hierher bekommen?«

»Das wäre eine Frage für ein Kreuzworträtsel. Begnügen Sie sich mit der Feststellung, daß es vorhanden ist. Rita, mein Süßes, unsere Gäste haben Hunger. Koch eine Suppe!« Er schob Ellen einen Stuhl zurecht und machte zu den anderen eine einladende Handbewegung. »Für vier ist Platz. Die anderen müssen mit einer leeren Kiste vorliebnehmen. Gentlemen, ich bin gleich wieder da.«

Er rannte aus dem Haus, und Rita folgte ihm sofort. Dr. Forster blickte auf Ellen, die ihre müden Beine ausstreckte. »Unser Erscheinen löst eine Familientragödie aus«, meinte er sarkastisch. »Wir werden hier kaum Ruhe finden.«

»Erst muß Palma gesund sein. Wie lange schätzen Sie, Rudolf, daß er noch liegen muß?«

»Bei diesen Giften kann man keine Prognosen stellen. Es kann schnell gehen, aber es kann auch zwei, drei Wochen dauern.«

»So lange müssen wir bleiben.« Ellen schien erleichtert. Dr. Forster bemerkte es mit Schrecken. Er spürte, wie ihm Ellen entglitt, und er konnte nichts dagegen tun.

Draußen am Schuppen gab es eine kurze, heftige Auseinandersetzung. Cliff, der eine breite, leere Kiste aussuchte und sie auf die Schulter wuchtete, blieb verblüfft stehen, als ihm Rita in den Weg trat.

»Wie lange bleiben sie?« fragte sie hart. Ihre schwarzen Augen glühten.

»Das weiß ich nicht.«

»Dich interessiert die Ärztin aus Alemanha.«

»Geh aus dem Weg, Schätzchen.« Cliff drückte das Kinn an. »Rede keinen Unsinn, du weißt, wie ich dich liebe.«

»Aber sie ist schön, klug und reizt dich. Ich habe gesehen, wie du den Arm um sie gelegt hast.«

»Sie ist eine verdammt mutige Frau.«

»Bin ich nicht auch mutig? Bin ich nicht mit dir in diese Hölle gezogen? Verrate ich nicht mein Land?«

»Verdammt! Halt den Mund!« Cliff Hallers graue Augen wurden hart. »Mach keine Dummheiten, Schätzchen!«

»Wenn nur du sie nicht machst … du weißt, daß ich nur dich allein liebe …«

Sie wandte sich ab und lief zum Haus zurück. Cliff folgte ihr mit der leeren Kiste auf der Schulter. Das war eine Drohung, und er verstand sie. »Weiber …«, murmelte er. »Man sollte einen großen Bogen um sie machen … aber, verflucht, man braucht sie!«

Rita Sabaneta, so hieß sie mit ihrem vollen Namen, wie Cascal schnell erfragte, kochte eine Bohnensuppe, und sie schmeckte köstlich. Hinterher besah sich Cliff Haller die Wunde Palmas, und verblüfft sah Dr. Forster zu, wie er einen grünen, schmierigen Brei auf den Fuß pappte, den er in einem indianischen Tongefäß verwahrte. Moco, der neben Palma saß, nickte mehrmals, als Dr. Forster ihn stumm fragend ansah.

»Es ist eine Salbe aus Wurzeln und Blättern, wie sie unsere Medizinmänner verwenden«, sagte er, als Cliff zurück ins Wohnzimmer gegangen war. »Sie heilt besser als die Mittel der Weißen.«

»Hoffen wir es.« Dr. Forster beugte sich über den eingeschmierten Fuß. Die Salbe roch faulig, nach verwesten Blättern, aber sie schien angenehm zu kühlen, denn Palmas Stöhnen hörte auf, und er lag ruhig und schlief schnell ein. Man sollte diesen Brei analysieren, dachte Dr. Forster. Warum sollen wir von indianischen Medizinmännern nichts Neues lernen können? Auch das Kurare kam aus dem Amazonas-Urwald.

Eine Stunde später richtete man sich zum Schlafen ein. Ellen bekam das eine Bett – in das andere legten sich Rita und Cliff gemeinsam. Sie taten es mit einer entwaffnenden Selbstverständlichkeit. José Cascal, der seit seinem Eintritt in die Hütte um Rita Sabaneta herumschlich wie ein Kater um die Milch und sie aushorchen wollte, wer Cliff Haller war und warum er hier hauste, rollte sich auf die Seite zu Dr. Forster.

»Was haben Sie für einen Eindruck, Señor?« flüsterte er.

»Keinen guten. Dieser Cliff ist ein Abenteurer.«

»Dagegen ist seine Geliebte ein Wunder der Natur.«

»Mag sein. Ich sehe Komplikationen.«

»Haben Sie die Benzinfässer gesehen? Und diese Einrichtung hier? Wie hat der Kerl das den Fluß heraufgekriegt?«

»Warten wir ab. Hoffentlich erholt sich Palma schnell – dann geht es weiter.«

Cascal schwieg und rollte sich auf den Rücken. Das eine wie das andere ist unerwünscht, dachte er. Noch dreihundert Kilometer, und wir kommen genau in die Zone, die niemand betreten darf.

In den nächsten Tagen muß es geschehen. Die Expedition muß zusammenbrechen.

***

Zwei Tage lebten Ellen und ihre Begleiter in der Hütte Cliff Hallers und waren vollauf beschäftigt. Die Männer bauten weiter an den Einbäumen, und Haller konnte die Aushöhlung beschleunigen, indem er mit einem kleinen Schweißbrenner das Holz herausbrannte. Die Indios machen es mit offenem Feuer, lassen das Holz verkohlen und schaben es hinterher heraus.

Cascal lief herum wie ein schnüffelnder Hund. Er hat alles, dachte er. Schweißbrenner, Sauerstoffflaschen, Benzin, eine vollkommene Werkstatt, Kisten mit amerikanischen Fleisch- und Gemüsekonserven, sogar Büchsen mit Coca-Cola hat er herumstehen … zwei Wagenladungen sind das, schätzte Cascal. Er kann ' sie unmöglich mit dem kleinen Außenbordmotor und dem flachen Kunststoffboot herangeschafft haben. Wie aber kommen alle diese Schätze der Zivilisation in den unerforschten Urwald?

Rita Sabaneta lachte in diesen Tagen viel, aber es war ein lautes, hartes, fast hysterisches Lachen. Fernando Paz und vor allem Campofolio, den sein italienisches Blut in Wallung brachte, umschwirrten Rita, erzählten Witze, halfen ihr, wo es ging, lobten ihr Essen und wurden aufeinander eifersüchtig.

Am Abend des dritten Tages saß Ellen allein am Bootssteg und blickte über den dunklen Fluß. Dr. Forster hatte sie gerade verlassen, wütend, enttäuscht und betroffen. Er hatte sie beobachtet, wie sie zum Fluß hinunterging, und war ihr gefolgt. Dort hatte er noch einmal versucht, Ellen aus ihrer Reserve zu locken.

»Wir wollten nicht mehr darüber sprechen«, hatte er gesagt, »aber es geht nicht, Ellen. Ich liebe Sie.«

»Ich weiß es, Rudolf. Es ist Ihre große Tragik.« Sie hatte dabei über den Fluß geblickt und das Kinn auf die angezogenen Knie gestützt. »Sie kennen meine Pläne.«

»Das eine schließt doch das andere nicht aus. Oder wollen Sie erobert werden?« Er dachte an die selbstsichere Art Cliffs und an das Leuchten in Ellens Augen, wenn sie ihn ansah. »Es ist einfach, den starken Mann zu spielen.«

Er hatte sie plötzlich umfaßt und an sich gezogen. Als er sie küssen wollte, stieß sie ihn mit beiden Fäusten gegen die Brust und duckte unter seinen Armen weg.

»Lassen Sie das, Rudolf!« sagte sie mit einer Kälte, die ihn körperlich wie ein Eishauch ansprang. »Verwischen Sie nicht das gute Bild, das ich von Ihnen habe.«

Empört, sich wie ein abgekanzelter Schüler fühlend, lief Dr. Forster zum Haus zurück. Er sah nicht, wie sich eine hohe Gestalt aus dem Dunkel des Lagerschuppens löste und am Waldrand hinunter zum Fluß ging. Ihr folgte katzengleich ein schmaler Schatten, lautlos und mit der schwarzen Wand des Waldes verschmelzend.

»Sie, Cliff?« Ellen wandte den Kopf zurück, als Haller seine starken Hände um ihre Schläfen legte. »Warum schlafen Sie nicht?«

»Das frage ich Sie, Ellen.« Er blieb hinter ihr stehen und ließ seine Hände über ihre Schultern gleiten. Ellen spürte, wie sie innerlich zu beben begann. Ich bin verrückt, dachte sie. Rudolf, diesen prächtigen Kameraden, schicke ich weg, und unter dem Griff dieses unbekannten Abenteurers erzittere ich. Reiß dich zusammen, Ellen.

Aber ihr innerer Widerstand war schwächer als ihr heimliches Drängen nach Zärtlichkeit. Wie Rauschgift saugte sie seine Stimme ein, als Cliff sagte:

»Es ist nicht ungefährlich, allein an einem Urwaldfluß zu sitzen. Ich weiß, daß wir Tag und Nacht von Indios beobachtet werden. Wir sehen sie nicht, aber sie uns um so besser.«

»Ich habe Moco. Er paßt auf mich auf.«

Cliff sah sich um. »Wo steckt er?«

»Irgendwo.« Sie schloß die Augen bis zu einem kleinen Schlitz. »Rita wird Sie vermissen.«

»Sie schläft. Und wenn sie nicht schläft – ich bin ein freier Mann. So, wie Sie eine freie Frau sind, Ellen. Wir gleichen uns ungemein. Wir pfeifen beide auf die Umwelt, wir tun, was uns gefällt, wir setzen unseren Kopf durch, wir haben Mut und jene Stärke, die Welten verändern kann. Ellen …« Seine Hände glitten von ihren Schultern hinunter und tasteten sich zu ihren Brüsten. Durch das dünne Tropenhemd waren sie deutlich fühlbar: zwei spitze, feste Kegel, um die sich seine Finger schlossen. In Ellens Schläfen pochte das Blut. Aufspringen, befahl sie sich. Ausholen und ihm eine herunterhauen. Ihn gegen das Schienbein treten, damit er für alle Zeiten eine Warnung hat. Aber sie tat gar nichts – mit geschlossenen Augen ließ sie seine Finger um ihre Brüste kreisen. »Ich habe das Gefühl, wir gehören zusammen«, sagte Cliff leise.«

»Dann müßten wir Wahnsinnige sein«, flüsterte Ellen.

»Wäre das ein Fehler? Es lebt sich leichter, wenn alles erlaubt ist …«

Er drehte sie mit einem Ruck herum, preßte sie an sich und küßte sie. Ihre Lippen waren kalt und feucht, aber sie blühten auf, öffneten sich leicht und glühten unter seinem Kuß. Dann erst riß sie sich los und schüttelte den Kopf.

»Wir sind wirklich verrückt!« keuchte sie. »Wir sollten den Kopf unter kaltes Wasser stecken! In wenigen Tagen trennen sich unsere Wege … und wir sehen uns im Leben nie wieder!«

»Wer sagt das?« Cliff Haller zog sie wieder an sich. Seine grauen Augen flimmerten. »Wir bleiben zusammen.«

»Was heißt das?«

»Wir dringen gemeinsam zu den Jumas vor. Die Quellgebiete von Juma und Itanhaua waren schon immer mein Ziel. Diese Hütte hier ist nur eine Zwischenstation.«

»Wir … wir werden gemeinsam …« Ellen stockte das Herz. Dann warf sie die Arme um Hallers Hals und war wie ein kleines, glückliches Mädchen. »Cliff … oh, Cliff … du begleitest mich …«

»Auch wenn mich das Gebiet nicht interessierte – jetzt wäre es eine Schuftigkeit, dich allein ziehen zu lassen. Ellen, Mädchen – ich bin ein Saukerl, ich weiß es – aber ich bin auch manchmal ehrlich bis aufs Knochenmark. Ich liebe dich, verdammt noch mal!«

»Cliff!«

Sie fielen sich in die Arme und küßten sich mit all der Leidenschaft, die in ihnen tobte. Dann hob Haller Ellen mit einem Schwung auf seine Arme und trug sie fort durch die Dunkelheit, hinüber zu dem Lagerschuppen.

Der kleine, schmale Schatten unter den Bäumen wartete. Als er sich bewegte und Cliff Haller nachschleichen wollte, hielt ihn jemand fest. Mit einem leisen Schrei fuhr Rita herum. Sie hatte nichts gehört, noch weniger gesehen.

»Bleib!« sagte Moco leise. Er umklammerte Ritas rechten Arm, tastete an ihm herunter und ergriff den Dolch, den sie festhielt.

»Ich töte ihn!« knirschte Rita. »Ich töte sie beide!«

»Warum? Ist er es wert?«

»Ich liebe ihn! Was weißt du davon?«

»Laß sie zusammen.« Moco entwand ihr den Dolch und steckte ihn in seinen Gürtel. Schluchzend lehnte sich Rita gegen einen Baum und zerwühlte ihre langen, schwarzen Haare. Es sah aus, als wollte sie sich jede Strähne ausreißen. »Die beiden brauchen sich.«

»Und ich? Ich brauche Cliff auch! Ich habe alles verlassen, um mit ihm zu gehen! Jetzt wirft er mich weg wie einen alten Schuh! Oh, ich muß ihn töten! Ich muß!« Sie wollte an Moco vorbeispringen, aber der Indio war schneller als sie. Er drückte sie an den Baumstamm zurück.

»Du mußt warten können«, sagte er dunkel. »Ich habe auf Ynama drei Jahre gewartet, habe viel gelernt und die andere Welt gesehen. Ohne Warten wäre das Leben so billig. Cliff wird sie nie mitnehmen, nachdem sie bei den Jumas waren. Ihre Wege werden wieder auseinandergehen. Aber dann wirst du dasein. Lerne warten …«

Er ließ sie los, und sie nickte, gab ihm die Hand und ging langsam zur Hütte zurück. Nur als sie an dem Schuppen vorbeikam, zögerte sie und zog dann den Kopf ein. Leise, stammelnde Laute schwebten undeutlich durch die Nacht. Sie zerrissen ihr das Herz wie mit eisernen Haken.

Neben der kleinen Veranda der Hütte saß José Cascal und rauchte eine Zigarette. Damit man die Glut nicht sehen konnte, hielt er sie in der hohlen Hand verborgen. Rita Sabaneta blieb ruckartig stehen. Hatte er alles mit angesehen oder war er gerade erst aus dem Haus gekommen? Sie wartete. Der erste Satz mußte Aufschluß geben.

Cascal hatte nichts gesehen. Er hatte sich vor zwei Minuten aus der Hütte gestohlen, um die Umgebung, vor allem aber den Lagerschuppen, genau zu inspizieren. Eine Entdeckung hatte ihn in größte Erregung versetzt: Unter dem Bett, in dem Palma schlief, lag zusammengefaltet ein Fallschirm. Das Rätsel, woher Cliff Haller seine perfekte Ausrüstung hatte, schien gelöst. Er wurde aus der Luft versorgt. An Fallschirmen war die ganze Herrlichkeit heruntergeschwebt.

Wer aber warf diese Dinge ab? Woher kamen die Flugzeuge? In Manaus wußte niemand etwas davon.

Die Rätsel wurden immer größer … aber immer größer wurde auch der Verdacht Cascals.

»Eine schöne Nacht«, sagte José zu Rita, als sitze er hier draußen, um die Urwaldnacht zu bewundern. »Sie können auch nicht schlafen?«

»Es schleicht zuviel wildes Getier herum«, antwortete Rita dumpf. »Katzen …«

Cascal hob den Kopf. »Ich höre nichts. Sie meinen Panther?«

»Auch.« Rita lehnte sich an die Holzbrüstung und blickte Cascal forschend an. »Sie kommen aus Manaus?«

»Ja.«

»Sind Sie ein Patriot?«

Cascal wußte nicht, was diese Frage sollte. Natürlich war er ein Patriot – er war Beamter und wurde dafür bezahlt, sein Vaterland zu lieben. »Natürlich«, sagte er. »Welcher Brasilianer liebt nicht sein Vaterland? Gibt es ein schöneres Land?«

»Wären Sie bereit, dafür zu sterben?«

Cascal wurde vorsichtig. Er war kein Held, aber er spürte, daß man jetzt so etwas wie Heldentum verlangte. Er war sich nur nicht klar darüber, wie das stattfinden sollte.

»Jeder Brasilianer würde sein Leben für die Heimat opfern«, sagte er pathetisch. »Tausende haben es bewiesen.«

»Dann kommen Sie mit, Señor …«

Sie ging voran, und Cascal stolperte ihr nach. Hinter der Hütte war ein kleiner Anbau, Cascal hatte ihn bisher immer als Werkstatt angesehen. Der Schuppen war auch gefüllt mit Kisten und Geräten. Rita schloß die Tür und leuchtete mit einem Feuerzeug. Im Schein der kleinen, flackernden Flamme bahnte sie sich einen Weg bis zu einem Tisch, auf dem ein großer eiserner Kasten stand. Sie leuchtete ihn an, und Cascal zuckte mit den Schultern.

»Versteckt Cliff hier sein Geld?« fragte er sarkastisch. »Rita, ich bin kein Geldschrankknacker.«

»Das hier ist mehr als Geld.« Sie öffnete den Kasten und schlug den Deckel zurück. Gleichzeitig zog sie zwei lange Antennen heraus. Cascal schluckte und wurde bleich. Eine komplette Sendeanlage stand vor ihm.

»Das … ist ja unerhört …«, stotterte er. Er beugte sich vor, betastete die Knöpfe und Stecker und drehte an dem Schalter STROM. Leise summte die Batterie auf, Zeiger pendelten über Frequenzzahlen und Skalen. »Wohin sendet er?«

»Das weiß ich nicht.« Mit verzerrtem Gesicht stand Rita neben dem Sender. Das schwache Licht zuckte über sie und entstellte sie noch mehr. »Er sendet englisch und empfängt englisch.«

»Und warum verraten Sie mir das, Rita?«

»Nehmen Sie an, ich sei eine Patriotin.«

»Oder nehmen wir an, Sie glühen vor Haß gegen Ellen Donhoven und Cliff, der Ihnen untreu wird.«

»Spielt es eine Rolle?« Rita schob die Antennen zurück und warf den Deckel zur Sendeanlage zu. »Glauben Sie jetzt, daß es lebensgefährlich ist, was Sie gesehen haben?«

»Wenn Cliff es erfährt – auf jeden Fall.« Cascal spürte das Prickeln der Gefahr unter seiner Haut. »Was wissen Sie von seinen Plänen, Rita?«

»Er will zum Quellgebiet wie die deutsche Ärztin.«

»Und warum?«

»Das sagt er nicht. Wenn ich ihn frage, lacht er. ›Dort ist der Nabel der Welt‹, sagt er immer. ›Und dieser Nabel eitert.‹ Ich werde nicht klug daraus.«

Cascal nickte. Er verstand, was Haller mit dem Nabel der Welt meinte. Ein paar hundert Kilometer nur noch … und die Welt würde weniger ruhig schlafen als bisher.

»Wie bekommt er seine Ausrüstung?«

»Dreimal wurden die Kisten an Fallschirmen abgeworfen. Kleine Sportmaschinen. Ich weiß nicht, woher sie kamen.«

Sie verließen den kleinen Schuppen und schlichen sich um das Haus herum wieder zur Veranda. Cascal steckte sich mit bebenden Fingern eine neue Zigarette an. Wortlos nahm Rita sie ihm aus dem Mund und rauchte ein paar hastige Züge.

»Was werden Sie tun?« fragte sie dann. Cascal starrte in die Nacht. Ihm war durch die Entdeckung des Geheimsenders ein Auftrag erwachsen, der wirklich Mut von ihm forderte.

»Ich werde Cliff nicht von den Fersen gehen.«

»Das ist alles?«

»Was erwarten Sie, Rita?«

»Ein Patriot tötet den Feind.«

»Später.« Cascal warf die Zigarette weg … sie schmeckte ihm plötzlich nicht mehr. »Noch brauche ich Cliff. Ich will wissen, wie weit er in dieses Spiel eingespannt ist.«

»Sie sind ein Feigling!« Rita sagte es mit aller Verachtung und rannte in die Hütte. Cascal folgte ihr, die Hände auf dem Rücken.

Ihn schauderte vor seiner neuen Aufgabe.

Im Schuppen verstummten die Seufzer und geflüsterten Worte. Auch hier glommen die winzigen Lichter zweier Zigaretten in der Dunkelheit auf.

»In drei Tagen können wir fahren«, sagte Cliff und legte seinen Kopf zwischen die Brüste Ellens. Es war ein warmer, duftender Platz. »Palma wird dann reisefähig sein. Wer ist eigentlich dieser Cascal?«

»Ein Beamter irgendeiner Behörde aus Manaus.«

»Ach …«

»Er hat sich mir angeschlossen, weil er den Befehl hat, mich zu beschützen. Ein idiotischer Befehl.«

»Vielleicht …« Cliff rauchte nachdenklich seine Zigarette. Die Aufgabe José Cascals war für ihn durchaus kein verrückter Befehl. Seine Anwesenheit war ein Beweis mehr für das Geheimnis, dem er auf den Fersen war. »Wir müssen ihn so schnell wie möglich loswerden.«

»Gut gesagt. Aber wie?« Sie streichelte Cliffs blonde, verschwitzten Haare und kam sich so glücklich vor wie noch nie in ihrem Leben. Selbst damals nicht, als sie ihre erste Liebe genoß – ein junger Student der Medizin. Sie liebten sich beide zum ersten Mal, eigentlich nur aus Neugier. Eine tiefe Empfindung hatte sie nie … bis heute, wo in Cliffs Armen der Himmel zu glitzernden Kristallen zerbarst.

»Er kann über Bord stürzen …«

»Das wäre Mord, Cliff!« Sie drückte seinen Kopf zur Seite. »Daß du so etwas denken kannst …«

»Verzeih, Mädchen.« Cliff Haller kehrte an seinen Platz zwischen den Brüsten Ellens zurück. Verzichten wir auf Erklärungen, dachte er. Sie wird es nie verstehen. Für sie gibt es bei den Jumas nur das Pfeilgift … was ich suche, ist tödlicher als tausend Tonnen Gift. Und da gibt es auch keine Moral mehr, kein Gewissen, keine Gesetze. Da ist Töten nur ein kleiner Teil der Notwendigkeit. Ellen, mein Liebling, die Welt hat mehr Geheimnisse als die Tropfen an den Pfeilen der Indios …

Er drehte sich um und schob die Hände wieder unter ihren nackten Körper. Sie bäumte sich ihm entgegen und seufzte laut.

In den Ästen rings um den Schuppen schwirrten und zirpten die Paradiesvögel …

***

Rafael Palma erholte sich schnell. Der Kräuterbrei wirkte Wunder. Nach fünf Tagen humpelte er herum und kochte, zum Lobe seiner Errettung vom Tode, einen Eintopf mit viel Affenfleisch und einer Baumfrucht, die Moco Chiquaquoa nannte. Sie schmeckte wie Tomaten, hatte aber ein weißes Fleisch und war mehlig.

Zweimal beobachtete Cascal, daß Cliff in der Nacht im Anbau verschwand und funkte. Anscheinend gab er durch, daß die Expedition in Kürze aufbrechen würde. Cascal nutzte diese Sendezeiten aus … er wartete, bis Cliff den Schuppen verlassen hatte, setzte sich dann an das noch warme Gerät und stellte es auf die Frequenz des Militärsenders Manaus ein.

»Sie sind ein Glückskind«, funkte der General zurück, als Cascal kurz seine Entdeckung meldete. »Lassen Sie Haller ziehen. Er zeigt uns das Loch, durch das man einsickern kann. Ist er durch, machen wir es zu. José, ich bin mit Ihnen sehr zufrieden.«

Der Aufbruch war ein reiner Zirkus. Drei Einbäume wurden von Cliff ins Schlepp genommen – zurück ließ er alles, was er angesammelt hatte – mit Ausnahme des Funkgerätes, wie Cascal schnell feststellte, als er noch einmal an Land rannte, um seine angeblich vergessene Pistole zu suchen.

»Die Indios werden nichts stehlen«, sagte Cliff, als Ellen meinte, es sei eine Schande, alles zurückzulassen. »Sie haben eine höllische Angst vor den unbekannten Dingen. Stellen Sie sich vor, sie geraten an die Sauerstoffflasche, drehen an dem Rädchen und es zischt plötzlich. Das wäre für sie der Teufel, und sie würden nie wieder dieses Stück Land betreten.«

Unendlich langsam glitten die Boote hintereinander über den Fluß. Der Außenbordmotor gab sein Äußerstes her, ein Kanu war mit Benzinkanistern beladen, und Cascal sah ohnmächtig auf diese für ihn unerreichbare Kraft, die sie den Strom aufwärts trug zu den Quellen.

Rita Sabaneta hatte ihren Widerstand Ellen gegenüber aufgegeben. Cascal hatte es ihr geraten. Sie tat so, als wüßte sie nichts von dem nächtlichen Liebeszauber, den Cliff und Ellen zwischen sich entfachten. Sie hoffte auf Cascal. Cliff war für sie verloren, das ahnte sie … aber sie blieb bei ihm, jetzt nicht mehr aus Liebe, sondern aus tödlichem Haß. Sie wollte seine Vernichtung miterleben. Sie wollte sich an seinem Untergang weiden. Das Mischblut kochte in ihr.

Drei Tage und drei Nächte lang ging alles gut … sie fuhren am Rande des Ufers gegen den Strom und legten mehr zurück an Meilen, als es sich Cliff ausgerechnet hatte.

In der Nacht blieben sie auf dem Fluß, ließen sich eine Strecke zurücktreiben, um in die Mitte zu kommen. Dort ankerten sie, schliefen und stellten Wachen aus. Moco, der alles hörte und sah, hatte Alarm gegeben, schon am ersten Tag ihrer Weiterfahrt.

»Sie verfolgen uns«, rief er von seinem Kanu hinüber zu Cliffs Boot. »Indios … sie ziehen neben uns her … Sie beobachten uns …«

Man suchte die Flußufer ab, Campofolio sogar mit seinem Fernglas – man sah nichts. Nur die dichte, turmhohe, grüne Wand. Aber dann hörte man es bei Einbruch der Dämmerung. Dumpfes, rhythmisches Grollen. Cliff Haller nickte und preßte die Lippen zusammen.

»Das sind sie. Sie verständigen sich mit ausgehöhlten Bäumen. Der ganze Urwald ist in Aufruhr. Wir müssen jetzt nachts in der Mitte des Flußes bleiben.«

In der vierten Nacht verschwand Moco.

Am Morgen fehlte er in seinem Kanu, und keiner wußte, wo er geblieben war. Er hatte die letzte Wache gehabt, und dabei mußte etwas geschehen sein. Cliff Haller wußte keine Erklärung.

»Er kann nicht durch den Fluß geschwommen sein«, sagte er. »Das tut nicht einmal ein Irrer!«

»Aber er ist weg!« rief Cascal. »Verschwunden mitten auf dem Fluß.«

»Dafür gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder jemand hat ihn in den Fluß geworfen … dann werden wir uns alle einmal auf den Zahn fühlen – oder er ist von den Indios mit einem Boot abgeholt worden.«

»Das wird es sein!« rief Cascal. »Er ist zurück zu seinen Wilden.«

Cliff blickte Cascal nachdenklich an. Die schnelle Zustimmung des Brasilianers gefiel ihm nicht.

»Das könnte sein«, sagte er gedehnt. »Aber es ist nicht möglich. Moco war ein Juma – hier leben die Ataxas. Schon seit einigen hundert Jahren jagen sich die beiden Stämme gegenseitig ihre Köpfe ab. Ich glaube nicht, daß Moco freiwillig mitgegangen ist. Viel eher glaube ich an die erste Möglichkeit: Jemand hat ihn über Bord gestoßen! Gentlemen … wir haben unter uns ein Schwein!« Er machte eine weite Handbewegung. »Jetzt kann sich keiner verstecken … und ein Alibi haben wir alle nicht. Wir waren alle auf dem Fluß. Also, fangen wir an, uns gegenseitig zu zerfleischen …«

***

Cliff Haller stand jetzt, plötzlich die Pistole schußbereit in den Händen, vor den verbissen schweigenden Männern. Hinter ihm kauerte Ellen Donhoven und starrte auf die Mauer von Feindschaft, die sich vor ihr gebildet hatte.

»Stellen wir fest«, sagte Cliff, »daß eigentlich nur einer nicht als Mörder in Frage kommt: Rafael Palma. Er hat noch genug zu tun mit seinem Fuß.«

»Aber er hat die Hände frei«, sagte José Cascal giftig. »Cliff, machen Sie sich doch nicht lächerlich! Mörder! Als ob von uns einer ein Interesse daran gehabt hätte, den Indio umzubringen. Er war der einzige, der den Weg durch diese Hölle kennt.«

»Eben das war Grund genug. Die Expedition war von Anfang an von Rätseln umgeben. Erst klaut man in Tefé die ganze Küche, dann sind die Benzinfässer leer, jetzt geht der Führer über Bord zu den Piranhas … ich bin gespannt, was noch passiert.« Cliff richtete seine Pistole auf Dr. Forster. »Was haben Sie gegen Morgen getan, Doktor?«

»Geschlafen. Wie Sie. Cascal hat ausnahmsweise einmal recht: Sie benehmen sich wie in einem schlechten Film. Ebensogut könnten wir behaupten, Sie hätten Moco in den Fluß geworfen, um uns von Ihnen abhängig zu machen. Haben Sie ein Alibi?«

Cliff Haller steckte die Pistole ein. Er warf einen schnellen Blick zu Ellen und wandte sich dann ab. Er hatte ein Alibi, aber er war Gentleman genug, es nicht zu verwerten. »Fahren wir an Land«, sagte er. »Vielleicht entdecken wir dann mehr. Erst an das linke, dann an das rechte Ufer …«

»Vergessen Sie die Indios?« rief Campofolio.

»Sie beobachten uns bloß. Wenn sie uns angreifen wollten, sähe das anders aus.«

Langsam fuhren sie zum linken Ufer des Rio Tefé und landeten an dem versumpften, faulig riechenden Ufer. Alexander Jesus stocherte mit der Stange so lange herum, bis er festen Boden fand – dann sprang er an Land und zog das Motorboot an einem Seil heran.

Cliff Haller, Fernando Paz und auch Cascal suchten einen langen Teil des Uferstreifens ab, während die anderen in den Booten blieben. Dr. Forster benutzte die Gelegenheit, zu Ellen hinüberzuklettern. Sie saß zurückgelehnt in der Sonne, als befände sie sich auf Westerland und nicht mitten im brasilianischen Urwald.

»Was halten Sie von Cliff«, fragte er.

»Er ist ein typischer Draufgänger.«

»Solche Leute brechen sich leicht den Hals.«

»Oder sie holen den Teufel aus der Hölle.«

»Das reizt Sie, Ellen?«

»Sie nicht, Rudolf? Wenn wir zu den Jumas kommen, dann nur noch durch Cliffs Hilfe.«

»Wer ist er eigentlich? Was macht er hier? Er sieht nicht aus, als ob er Schmetterlinge sammelt.«

»Er hat mir erklärt, daß er hier am Fluß lebt, weil ihn das Außergewöhnliche reizt. Er haßt allen bürgerlichen Mief.«

»Und das glauben Sie?«

»Warum nicht? Ich liebe ja auch das Abenteuer.«

Nach einer Stunde kamen die Männer zurück. »Nichts!« rief Cascal schon von weitem. »Ich weiß überhaupt nicht, was wir suchen.«

»Zum anderen Ufer …« Cliff ließ den Motor an. »Ich weigere mich, zu glauben, daß Moco der erste Mensch war, der mit den Armen fliegen konnte.«

Am rechten Ufer des Rio Tefé fand Campofolio dann, was Cliff anscheinend suchte. Ein Stück eines angenagten Knochens lag im sumpfigen Wasser. Teil eines Oberarms. Cliff Haller hielt ihn hoch, und Alexander Jesus brach sofort in ein Wimmern aus, fiel auf die Knie und betete.

»Moco ist in den Fluß gefallen. Das ist der sicherste Tod. Wollen Sie noch mehr Beweise? Ich weiß nicht, wer von Ihnen der verfluchte Mörder ist …, aber einer ist es. Und diesem Saukerl sage ich: Wir fahren weiter. Und jetzt zeige ich den Weg. Der nächste Mord wäre also an mir zu begehen. Bitte, bedienen Sie sich … Sie werden es schwer haben, mich zu überraschen!«

Cliff Haller handelte sofort. Er schickte alle Männer in die Kanus, auch den kranken Palma. In seinem Motorboot blieben nur Ellen und Rita Sabaneta. »Es wird immer nur in der Nacht geschehen«, sagte er zu ihnen. »Am Tage ist er zu feig.«

Die Fahrt ging weiter. Glühende Sonne, dampfender Wald, süßlich-fauliger Duft aus der turmhohen grünen Wand. Am Nachmittag der Regen wie aus Eimern, eine Sturzflut von Wasser, die Alexander Jesus in Zeltplanen auffing und in die Wasserkanister umfüllte. Und dann wieder die Sonne, eine glühende Scheibe und die von Feuchtigkeit gesättigte Luft, die sich auf die Lunge legte, das Herz zusammenpreßte, den Schweiß aus den Poren trieb und die Kraft aus dem Körper sog. Stunde um Stunde, immer mitten auf dem Fluß, gegen die Strömung anschleichend, Meter um Meter erkämpfend, drangen sie vor.

Bis zur nächsten Nacht.

Cliff Haller legte zwischen sich und die Kanus einen Abstand von fünf Metern. Er befahl Alexander Jesus, den dicken Stein, den man an ein Seil gebunden hatte und der als Anker diente, auszuwerfen. »Sie bleiben dort, Gentlemen«, rief er und lachte breit. »Wer etwas von mir will, kann herüberschwimmen. Wer hier ankommt, ohne ein Gerippe zu sein, bekommt eine Goldmedaille.«

In dieser Nacht entschied sich das Schicksal mehrerer Menschen. Am Heck des Bootes, neben dem Motor, lag Ellen auf einer Luftmatratze und schlief. Vorne, wo das Ankerseil in den Flußboden fiel, lag Rita Sabaneta. Cliff hatte sich in der Mitte ausgestreckt … er rauchte eine Zigarette nach der anderen, hob ab und zu den Kopf und blickte zu Rita hinüber. Als er glaubte, sie schlafe fest, richtete er sich auf und kroch hinüber zu Ellen.

Aber er kam nicht weit … eine Hand hielt ihn am Knöchel des linken Fußes fest und zog ihn zurück. Cliff warf sich herum und sah in die glühenden Augen Ritas.

»Du willst zu ihr?« zischte sie. Ihr Gesicht zuckte und verlor alle madonnenhafte Schönheit. Mit einem Satz warf sie sich vor und klammerte sich an Haller fest. Von dem Anprall fiel er nach hinten und schlug mit dem Kopf auf eine Kistenkante. Benommen sah er, wie Rita an ihm zerrte und versuchte, ihn an die Bordwand zu bringen. Nur Sekunden dauerte diese Schwäche, dann war sein Kopf wieder klar, und er schleuderte das Mädchen mit einem Hieb von sich weg.

»Du verdammte Katze!« knurrte er. »In den Fluß soll ich, was? Das wäre ein Fressen gewesen, was? Oh, du verfluchtes Luder!« Er beugte sich vor und schlug ihr ein paarmal ins Gesicht. Ihr Kopf flog hin und her, und die langen schwarzen Haare wehten dabei um ihr mißhandeltes Gesicht.

»Du willst zu ihr!« keuchte sie. »Wie gestern und vorgestern! Glaubst du, ich habe es nicht gesehen? Oh, ich bringe dich um … und sie auch … sie zuerst …«

»Du bist verrückt«, sagte Cliff. Er setzte sich auf die Kiste und suchte in seinen Taschen nach einer neuen Zigarette. »Hast du geglaubt, wir bleiben für immer zusammen?«

»Ich liebe dich!« Rita Sabaneta griff in ihre Hosentasche, holte eine Schachtel Zigaretten heraus und warf sie Cliff zu. »Aus Liebe bin ich mit dir fast durch die halbe Welt gezogen …«

»Von Rio nach Tefé!«

»Ist das nicht genug? Warum wirfst du mich jetzt weg? Ist sie schöner als ich? Sieh sie doch an: ihre Haare, das hochmütige Gesicht, den dünnen Körper, die Kinderbrüste … was ist denn an ihr?« Plötzlich sprang sie auf, riß sich die Bluse über den Kopf, die Hosen über die Hüften und stand nackt vor Cliff Haller. Schlangenhaft drehte sie den braunen, glänzenden Körper und drückte mit beiden Händen ihre vollen Brüste hoch. »Hat sie das … und das … und das …?« rief sie. Mit einem Satz war sie bei Cliff, warf sich auf ihn, küßte ihn und umklammerte ihn mit Armen und Beinen. »Kann sie so lieben wie ich?« zischte sie ihm ins Gesicht. »Kann sie dich betäuben mit ihrer Liebe?«

Cliff Hallers Widerstand wurde weggebrannt von der Glut Ritas. Wie immer, wenn sie sich umarmten, erkannte er, daß diese Frau die einzige war, die seine Stärke bezwang. In ihren Armen war er kein Held mehr. Sie macht mich zu einem Trottel, dachte er immer. Auf ihrem Körper bin ich ein hirnloses Nichts. Sie brennt die Vernunft aus mir heraus.

Hinterher lagen sie nebeneinander, rauchten und starrten in den sternenübersäten Himmel.

»Ich bringe sie um«, sagte Rita Sabaneta. »Cliff, nimm es nicht leicht hin. Auch wenn du mich dann erwürgst oder sonst was mit mir tust – mir ist es gleichgültig. Aber sie lebt nicht mehr … das ist die Hauptsache.« Sie richtete sich auf und starrte in sein müdes, von der stürmischen Liebe gezeichnetes Gesicht. »Ich warne dich, Cliff … rühr sie nicht wieder an!«

***

Am vierten Tag kamen sie an die erste Stromschnelle, wie es Cascal vorausgesagt hatte. Mit Verwunderung stellte Dr. Forster fest, daß Cascal den Rio Tefé anscheinend besser kannte als alle anderen. Aber er schwieg darüber, nahm sich jedoch vor, Cascal von jetzt an besser zu beobachten.

Die Stromschnellen und der Wasserfall waren das Ende der Bootsfahrt. Cliff steuerte das linke Ufer an, wo eine breite Sandbank angeschwemmt war, und ließ die Boote auflaufen. Er holte eine Karte hervor, und Cascal erkannte, daß es zusammengesetzte Luftaufnahmen waren.

»Woher haben Sie diese Fotos?« stieß er hervor.

»Das geht Sie nichts an, Señor.« Cliff machte mit einem Rotstift einen Kreis um die Flußstelle, die auf dem Luftbild deutlich als eine weiße Barriere zu erkennen war. »Hier sind wir. Es kommen noch vier Stromschnellen, kurz hintereinander. Es hat also keinen Sinn mehr, mit den Booten weiterzufahren, sie um die Wasserfälle herumzutragen und wieder in den Fluß zu lassen.«

»Das heißt also – weiter zu Fuß!« sagte Dr. Forster.

»Sind Sie fußkrank?« fragte Cliff etwas giftig. Dr. Forster ballte die Fäuste und wandte sich ab. Ein widerlicher Kerl, dachte er. Man sollte ihm in seine große Schnauze schlagen. Aber es wäre sinnlose Auflehnung – er hat die Kraft eines Bullen. Nur gemeinsam könnte man ihn unterkriegen, wenn wir uns alle einig wären … und auch dann wäre alles falsch, denn Ellen bewundert ihn.

So schluckte er die Grobheit und wurde aus Liebe zum Feigling.

Das Umladen war mühsam, die Verteilung der Lasten führte zu erregten Diskussionen. Cliff war es, der alles allein machte. Er packte die Tragsäcke, er wog sie ab und bestimmte, wer was zu schleppen hatte. Cascal gab seinem Gepäck einen Tritt und stemmte die Hände in die Hüften.

»Nein!« schrie er. »Ich bin kein Lastesel! Keine zehn Pferde bekommen mich dazu, das zu tragen!«

»Ich brauche keine zehn Pferde, Señor … es genügt das hier.« Cliff hob seine Faust und hielt sie Cascal unter die Nase. »Bis zum Quellgebiet des Juma sind es noch dreihundert Kilometer. Das sind dreißig Tagesmärsche, wenn wir gemütlich durch den Wald wandern. Wollen Sie als einziger kneifen?«

Cliff blickte sich um. Cascal schien nicht allein mit seiner Weigerung zu sein, auch die anderen Männer sahen Haller böse an.

»Ach so«, sagte er gedehnt. »Der Wind weht von allen Seiten? Eine kleine Revolution? Ellen …« er drehte den Kopf zu ihr und grinste breit. »Sie hatten wenig Glück mit Ihrer Mannschaft. Alles nur Kerle, die statt Knochen Pudding haben …«

Das war der Augenblick, in dem Cascal explodierte. Er sprang vor und schlug zu. Sein Hieb war gut gezielt, er traf Cliff genau unters Kinn, und jeder andere wäre davon umgefallen wie ein gefällter Baum. Nicht aber Haller. Er schüttelte sich nur wie ein ins Wasser gefallener Hund, starrte Cascal ungläubig an und duckte sich dann etwas.

»Cliff!« rief Ellen Donhoven hell. Und auch Rita Sabaneta, die am offenen Feuer hockte und einen Kessel Bohnensuppe kochte, denn sie hatte für die Zeit der Krankheit Palmas die Küche übernommen, stieß einen warnenden Schrei aus.

»Ihnen fehlt die Kraft, Señor!« sagte Cliff gefährlich leise. »Ich lasse mich nicht gern streicheln.«

Er schoß eine linke Gerade ab, aber Cascal, der darauf vorbereitet war, wich aus, tänzelte zur Seite und hatte plötzlich Angst in den Augen. Cliff setzte ihm nach, kam aber nicht mehr dazu, einen Schlag zu landen. Wie eine Welle stürzten sich die anderen über ihn. Fäuste wirbelten, die Schläge klatschten, Flüche und Stöhnen vermischten sich mit dem Keuchen der Kämpfenden – in einem Wirbel von Armen brach Cliff zusammen, Blut rann ihm aus der Nase, aber er gab nicht auf, schlug und trat um sich und traf Campofolio so schwer in den Unterleib, daß der Italiener heulend über den Boden rollte und brüllte, als ziehe man ihm die Haut ab.

Ebenso plötzlich, wie sich ein Gewitter entlädt und dann geisterhafte Stille herrscht, so wichen auch die Männer auf einmal zurück und ließen von Cliff ab. Er lag auf dem Rücken, das Gesicht war aufgequollen, ein Auge schloß sich und das andere stierte auf Ellen und Rita, die sich neben ihn knieten und mit nassen Lappen vorsichtig das Blut aus seinem zerschlagenen Gesicht wischten.

»Feige Bande!« sagte Ellen. Dr. Forster hatte eine solche Stimme von ihr noch nicht gehört. Sie hob Cliffs Kopf in ihren Schoß. Rita riß ihm gleichzeitig das Hemd von der Brust und begann sein Herz zu massieren. Dann rannte sie zu den Wasserkanistern, schüttete den Inhalt eines ganzen Behälters über das zerrissene Hemd und kühlte damit Cliffs Kopf und Oberkörper.

»Es war nötig!« keuchte Dr. Forster. »Ellen, es gibt eine Grenze der Duldsamkeit.«

»Sprechen Sie mich nicht an!« schrie sie zurück. »Es ist schlimm genug, Ihren Anblick ertragen zu müssen!«

»Ellen!« Er riß sie vom Boden hoch, sie schlug ihm ins Gesicht und gebärdete sich wie eine verrückte Katze. Dr. Forster umklammerte ihre Arme und preßte sie an ihren Körper. Sie versuchte, ihn mit den Knien zu stoßen, aber es gelang ihr nicht. »Wo ist Ihre Vernunft geblieben?« schrie er sie an. »Sehen Sie denn nicht, daß es diesem Kerl völlig gleichgültig ist, ob wir alle draufgehen? Weiß der Teufel, was ihn zu den Jumas treibt! Er würde keinen Schritt langsamer gehen, wenn hinter ihm einer nach dem anderen verreckt!«

»Ihr haßt ihn, weil er stärker ist als ihr! Weil er euch allen überlegen ist!« schrie Rita. Sie küßte Cliffs zerschlagenes Gesicht und wischte ihm immer wieder das aus der Nase rinnende Blut weg. Ellen beobachtete es mit zusammengezogenen Brauen. Ihr Atem wurde hastiger, fast hysterisch. Cliff lag noch immer regungslos, aber es war klar, daß er bei weitem nicht so zusammengeschlagen war, daß er sich nicht mehr rühren konnte. Er ruhte sich aus, er sammelte Kraft. Er hatte Zeit. Vor ihm lagen dreihundert Kilometer dichten, feindlichen Urwaldes, und neben sich würde er sechs Männer haben, die nur darauf lauerten, ihn loszuwerden.

Schöne Aussichten, dachte er. Man kann gemütlicher wandern. Das kann Mr. Hodkins in Washington gar nicht bezahlen. Sie machen es sich überhaupt einfach im Hauptquartier; legen Flugbilder auf den Tisch, zeigen auf ein Gebiet im Urwald, wo angeblich noch nie ein Mensch gewesen ist, und sagen: »Cliff, das ist eine Aufgabe für Sie. Gehen Sie da mal hin! Muß ein verdammt interessantes Projekt sein. Sieht zwar alles aus wie dichter Wald, aber auf Bild Nr. 19 blinkt etwas. Der Ohrring einer Indiofrau ist's nicht – sie müßte dann schon Ohren wie ein Scheunentor haben. Was hältst du davon, Cliff? Kleiner Trip durchs Orchideenland. Im übrigen sollen die Weiber dort Klasse sein. Mischlingsmädchen. Nimm ein paar Schachteln Hormone mit …«

Cliff Haller hob den Kopf und setzte sich dann auf. Er zeigte auf Dr. Forster und nickte.

»Er hat recht, der Junge. Mir ist es völlig gleichgültig, ob ihr auf der Strecke bleibt. Ellen, Rita und ich … wir jedenfalls kommen zu den Jumas. Ich gehe darauf jede Wette ein.«

Er stand auf, stützte sich auf Rita und Ellen und wippte etwas in den Knien, begann dann zu tänzeln wie ein Boxer, der sich warm läuft, und atmete ein paarmal tief durch. Dann war er wieder fit und gab Rita und Ellen einen Kuß auf die Wange.

»Danke, Girls! Der gute Cliff ist wieder okay. Und die tapferen Gentlemen können mir jetzt den Buckel herunterrutschen – es geht weiter. Ellen – können Sie zwanzig Pfund tragen?«

»Natürlich, Cliff.«

»Rita, du bist ein starkes Mädchen. Nimm dir den gelben Sack.« Er wuchtete sein Gepäck auf die Schulter, hängte sich ein Gewehr um den Hals, nahm eine Machete und winkte. »Ein paar Kilometer schaffen wir noch, Girls! Beißt die schönen Zähnchen aufeinander!«

Er ging voraus, suchte sich einen Weg durch das Lianengewirr, hieb mit der Machete einen Pfad in die grüne Wand und stampfte davon, ein Koloß aus Muskeln und Energie.

Ellen Donhoven warf ihr Gepäck auf die Schulter. Als Dr. Forster ihr dabei helfen wollte, gab sie ihm einen Stoß vor die Brust.

»Fassen Sie mich nicht an!« schrie sie. Ihr Gesicht verzerrte sich.

»Sie sind wie Verrückte!« sagte Fernando Paz, als Cliff mit den beiden Mädchen im Urwald verschwunden war. »Wenn der Kerl eine Frau ansieht, ist das wie Rauschgift. Verdammt noch mal, sollen wir wirklich zurückfahren und sie allein ziehen lassen? So idiotisch es ist, aber ich bringe das nicht fertig.«

»Los! Gehen wir!« Cascal belud sich ächzend mit seinem Gepäck. Für ihn gab es jetzt kein Zurück mehr. Nach hundert Kilometern kam die Gefahrenzone. Dann mußte etwas geschehen, dann mußte die Expedition auseinanderbrechen.

Nach zwanzig Minuten hatten sie Cliff und die Mädchen eingeholt.

»Die Lastkamele kommen doch!« sagte Cliff laut.

Dr. Forster hätte ihn für diese Bemerkung ermorden können.

In der Nacht hörten sie wieder das Brummen am Himmel. Flugzeuge, schwere Transportmaschinen, zogen durch die Finsternis. Es waren mindestens zehn Stück. Eine Viertelstunde lang war die nächtliche Stille erfüllt von dem zitternden Dröhnen.

Cliff hob den Kopf, auch Cascal war noch wach.

»Da bringen sie den Indios Unterhosen und Coca Cola …«, sagte Cliff gemütlich.

Cascal drehte sich auf die andere Seite und biß die Zähne zusammen. Er hielt den Plan des Generals in Manaus nicht für gut, Cliff Haller unbehelligt ziehen zu lassen, um durch ihn die weiche Stelle zu erfahren, durch die man in das Geheimnis eindringen konnte.

***

Zwei Tage später waren Fernando Paz und Alexander Jesus tot. Es war ein merkwürdiges Sterben. Sie brachen plötzlich in die Knie, Schaum trat ihnen vor den Mund, ihre Körper zuckten fürchterlich, die Augen weiteten sich vor Entsetzen … dann verloren sie die Besinnung, und nach zehn Minuten waren sie tot.

Dr. Forster untersuchte sie, so gut es ihm die primitiven Mittel erlaubten. Er injizierte ihnen wahllos Gegengifte, weil er nicht wußte, was in den Körpern wütete … aber dann kapitulierte er und drückte Paz und Alexander Jesus die schreckgeweiteten Augen zu.

»Sie sind ohne Zweifel vergiftet worden«, sagte er. »Aber wodurch?«

»Indios?« fragte Cascal gedehnt.

»Blödsinn!« Cliff kniete neben den Toten. »Dann wären wir alle dran. Und wo sind die Pfeile?«

»Sie schießen mit Blasrohren kleine Bambusbolzen auf ihre Opfer. ›Den lautlosen Tod‹ nennen sie es.«

»Das werden wir gleich haben.« Cliff und Dr. Forster zogen die Toten aus und untersuchten ihre Körper. Kein Einschuß, kein Schlangenbiß, nichts. Haller blickte nachdenklich auf die verkrümmten Glieder.

»Es ist wie bei Moco«, sagte er. »Jemand hat sie vergiftet. Mit dem Essen, mit Wasser … und der Kreis wird immer kleiner: Cascal, Dr. Forster, Palma und natürlich ich … einer von uns bringt nacheinander die anderen um.«

»Das ist doch absurd«, meinte Dr. Forster.

»Das haben Sie schon einmal gesagt, Doktor.«

»Ich habe gesehen, wie die beiden vorhin aus ihrer Wasserflasche getrunken haben«, stammelte Rafael Palma. Für ihn war der Marsch durch den Urwald eine wirkliche Qual … sein Fuß war zwar gerettet, nicht mehr geschwollen, und die Wunde verheilte gut … aber jeder Schritt stach bis ins Gehirn. Zurückbleiben konnte er nicht … allein in dieser Wildnis, das war der sichere Tod. Er mußte vorwärts, den anderen nach … und die Angst vor dem Verlassenwerden trieb ihn mit. Oft knirschte er mit den Zähnen vor Schmerzen.

Cliff schraubte die Flasche von Alexander Jesus auf und roch an dem kalten Tee. Dann hielt er sie Cascal hin.

»Probieren Sie mal.«

»Sind Sie verrückt?«

»Wer hat den Tee gekocht?«

»Ich«, sagte Rita. »Ich habe jedem seine Flasche vollgefüllt. Ich habe selbst von dem Tee getrunken.«

»Dann hat jemand in der Nacht das Gift in die Flaschen der beiden geschüttet. Ich habe auch von dem Tee getrunken, und ich lebe. Am Wasser kann es nicht liegen.«

»Indios …«, sagte Cascal hartnäckig.

»Hören Sie mit Ihren Indios auf, Cascal! Glauben Sie, die schleichen sich an uns heran, träufeln Gift in zwei Flaschen und rauschen wieder ab? Entweder alle oder keiner. Wenn sie uns umbringen wollen, hätten sie es einfacher. Denken Sie an ihre Blasrohre.«

Das allgemeine Mißtrauen war einfach unerträglich geworden. Ellen Donhoven drückte es schließlich mit der ihr eigenen bissigen Klarheit aus: »Ab sofort verpflegt sich ein jeder selbst!«

»Und ich schieße jeden zusammen, der sich dem anderen nähert. Von jetzt ab bleibt zwischen jedem von uns ein Abstand von fünf Metern! Auch nachts! Ellen, Rita und ich werden uns in den Nachtwachen abwechseln. Wer die Fünf-Meter-Grenze überschreitet, wird erschossen, ist das klar, Gentlemen?« Cliff Haller zeigte auf die Toten. »Wollen wir sie begraben oder in den Fluß werfen?«

»Begraben …«, sagte Campofolio dumpf. »Cliff, was sind Sie nur für ein Mensch?«

»Ein Realist. Zwei Gräber ausheben kostet Kraft und Zeit. Beides brauchen wir noch genug. Im Fluß sind sie in Sekundenschnelle dahin, schneller als in einem Krematorium. Ob Asche oder Fischfutter, wo ist da ein Unterschied?«

»Und so etwas bewundern Sie, Ellen!« sagte Dr. Forster heiser. »Er ist ein Monstrum!«

Ellen Donhoven kniff die Lippen zusammen. Sie band den kleinen Handspaten vom Gepäck und begann, die Erde aufzustechen. Wortlos nahm Cliff ihr den Spaten ab.

Es dauerte fünf Stunden, bis man die beiden Gräber ausgehoben und Fernando Paz und Alexander Jesus beerdigt hatte. Dann trampelten sie die Erde fest und rollten Flußsteine darüber. Campofolio wollte noch ein Kreuz zimmern, aber Cliff drängte zum Aufbruch.

»Gott wird sich auch so um sie kümmern«, sagte er spöttisch. »Um uns aber kümmert sich keiner. Wir haben einen halben Tag verloren …«

Sie zogen weiter. Aber es hatte sich vieles verändert. Bisher waren sie durch die Grüne Hölle gezogen – jetzt schleppten sie eine zweite Hölle mit sich herum.

Die Hölle des Mißtrauens, ja des gegenseitigen Hasses.

***

Drei Tage lang ging es gut.

Sie schlugen sich durch den Urwald, jeder fünf Meter von dem anderen entfernt. Nachts schliefen sie hintereinander im gleichen Sicherheitsabstand wie eine langgliedrige Kette. Cliff, Ellen und Rita wechselten sich in der Wache ab … aber auch die anderen bewachten sich. Morgens waren sie alle müde und in der Stimmung, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.

In der vierten Nacht wanderte Cliff in seinem Lager hin und her. Das Feuer war niedergebrannt, und nur die Glut leuchtete schwachrot durch die Dunkelheit. Rita Sabaneta schlief fest … Cliff überzeugte sich davon, indem er sie ansprach und leicht schüttelte. Sie murmelte im Schlaf und schlief weiter wie betäubt.

Cliff steckte sich eine Zigarette an, setzte sich an einen Baum und lehnte den Kopf weit zurück. Die vergangenen Tage hatten mehr an seinen Kräften gezehrt, als man es ihm ansah. Noch rund zweihundert Kilometer, dachte er. Zwanzig Tage Fieberhölle und dampfender Urwald. Zwanzig Tage immer der mistige Fluß mit seinen Mörderfischen. Zwanzig Tage Angst vor neuen Anschlägen.

Er schrak auf. Ein Schatten glitt an den Bäumen entlang.

»Ellen …?« fragte er leise.

»Ja.« Sie setzte sich zu ihm und zog die Beine an. Ihre großen blauen Augen sahen ihn mit einer kindlichen Bitte an. Schick mich nicht weg … laß mich bei dir sein … »Ich kann nicht schlafen«, sagte sie.

»Angst?«

»Nein. Du bist ja da …«

»Was sonst, Baby?«

»Ich liebe dich!«

Er legte den Arm um sie und zog sie an sich. Sie hob den Kopf und küßte ihn, und sie war glücklich, als er seine Hand auf ihre Brust legte und sie streichelte.

»Komm!« sagte er. Seine Stimme konnte zärtlich sein, und sie klang dann fremd und dunkel. »Uns bleibt verdammt wenig Zeit, glücklich zu sein.«

Sie gingen ein paar Meter in den Wald, schlugen sich durch das Gestrüpp, fielen sich dann in die Arme und sanken umschlungen auf den weichen Boden.

Rita Sabaneta schrak hoch, als jemand sie an der Schulter rüttelte. Sie wollte einen Schrei ausstoßen, aber eine Hand legte sich auf ihren Mund und erstickte den Schrei.

»Ruhig!« flüsterte eine Männerstimme. »Verflucht, sei ruhig! Wach auf! Ich bin es, José!« Cascal ließ die Hand von Ritas Mund gleiten. Er lag flach neben ihr, schob sich jetzt an sie heran und flüsterte ihr ins Ohr: »Es ist eine interessante Nacht. Cliff und die Ärztin sind im Wald verschwunden …«

Rita zuckte hoch. Aber Cascal drückte sie sofort zurück.

»Ruhe!« flüsterte er. »Nur Ruhe!« Seine Hand glitt über Ritas Brüste. Er hörte, wie sie mit den Zähnen knirschte.

»Ich töte sie«, stöhnte sie. »Ich habe es ihm gesagt – ich töte sie!«

»Das wäre dumm, mein Mädchen.« Cascal streichelte Ritas Gesicht – dann fuhr seine Hand blitzschnell in ihren Blusenausschnitt und umschloß ihre rechte Brust. Sie wollte sich wehren, aber Cascals Griff war so fest, daß es ohne großen Lärm nicht abgegangen wäre.

»Nimm die Hand weg!« zischte sie.

»Er liegt dort drüben auf der Erde und betrügt dich – und du willst die Heilige spielen?« Cascals Stimme zitterte etwas. »Warum töten? Demütige ihn! Brich seinen Stolz! Schlag ihn mit seinen eigenen Waffen …«

Rita lag auf dem Rücken und zitterte vor Wut. Sie machte sich steif, als Cascal ihr die Bluse öffnete und den Rock hochschob. Dann plötzlich warf sie sich hoch, umklammerte Cascal und zog ihn über sich.

»Ja!« sagte sie laut. »Ja! Er soll es sehen! Er soll zerplatzen!«

Cascal versuchte, ihr den Mund zuzuhalten – sie biß ihn in die Handfläche, kratzte und schlug auf ihn ein, bis er ihren Kopf freigab. »Hah!« schrie sie auf. »Das ist wie Feuer! Wie Feuer!«

Stöhnend riß sie Cascal das Hemd auseinander und umklammerte ihn schlangengleich mit den Beinen, als er von ihr weg wollte. »Du bist verrückt!« zischte er sie an. »Verdammtes Luder! Laß mich los!«

Er versuchte, aus ihrer Umklammerung zu kommen, aber sie hatte ihn in sich eingesaugt wie ein Krake sein Opfer. Erst, als sie Cliff neben sich stehen sah, ließ sie Cascal los, streckte Arme und Beine von sich, bot ihren nackten Körper in der obszönsten Art dar und starrte Cliff aus glühenden Augen an. Cascal rollte sich unglücklich zur Seite.

»Welch ein Liebhaber«, sagte sie mit jagendem Atem. »Noch nie war es so schön! Die Mädchen haben recht: Ein Yankee ist ein fader Liebhaber. Alles mit der Stoppuhr … immer Schnelligkeitsrekorde …«

Cliff hob sie auf und gab ihr eine schallende Ohrfeige. Rita flog von dem Schlag einen Meter weit und stürzte dann zu Boden. Cascal rappelte sich auf. Mit einem Sprung war er beim Feuer und riß einen noch glühenden dicken Ast aus der Glut. Im Hintergrund, unsichtbar im Schatten des Waldes, schrie Ellen Donhoven auf. Die anderen Männer liefen heran. Cliff zog seine Pistole und schob den Sicherungsflügel zurück. »Fünf Meter, Boys – oder es kracht.« Palma, Campofolio und Dr. Forster blieben stehen. Cascal stand geduckt vor Cliff, den glühenden Ast in der Hand. »Laß den dämlichen Knüppel fallen«, sagte Haller.

»Hol ihn dir!« schrie Cascal zurück.

»Das wirst du sehen!« Haller schoß blitzschnell, und es machte sich bezahlt, daß er in der besten Pistolenschule gewesen war, die es in den USA gab. Der glühende Zweig spritzte aus Cascals Hand, ohne daß er verletzt wurde. Mit einem Fluch schleuderte Cascal den kläglichen Rest zur Seite.

Was dann folgte, ging sehr schnell. Mit drei Schlägen streckte Cliff den um sich tretenden Cascal zu Boden, hob ihn wieder auf und betäubte ihn endgültig durch einen krachenden Hieb gegen das Kinn. Er ließ ihn liegen, wandte sich zu der nackten Rita und riß sie vom Boden hoch.

Sie biß ihn in die Hand, sprang ihn an, aber er schüttelte sie ab wie ein Insekt. Wortlos schleifte er sie zu einem Baum, nahm auf dem Weg dorthin einige Stricke des Gepäckes mit und band sie an den glatten Stamm.

Sie schrie und warf den Kopf hin und her. »Hör mich an!« schrie sie. »Cliff – Erbarmen! Du kannst mich doch nicht anbinden! Laß dir doch alles erklären – José hatte den Gedanken – Cliff, ich liebe dich – ich bin ganz krank vor Liebe – du hast mich zuerst betrogen – du – mit diesem blonden Luder … Cliff, du kannst mich doch nicht umbringen – Hilfe! Hilfe!«

»Hören Sie sofort auf!« brüllte Campofolio und sprang vor. Haller wirbelte herum und hob die Pistole.

»Zurück!« befahl er hart. »Du solltest endlich einzusehen beginnen, daß wir hier nicht zur Erholung sind!« Er jagte zwei Schüsse vor Campofolios Stiefelspitzen in die Erde. Der Italiener sprang zurück.

»Sie Schwein!« schrie Dr. Forster. »Aber auch Sie kriegt man klein!«

Cliff Haller hatte Rita an den Baum gebunden und ging zum Feuer zurück. Sie schrie, bettelte, flehte und rief die anderen Männer um Hilfe an.

»Wir machen das jetzt umgekehrt!« sagte Haller. »Sie gehen voraus, Gentlemen – dann habe ich Sie besser im Blick. Und es geht sofort los! Eine Nachtwanderung wird uns alle abkühlen. Oder ist hier noch jemand müde?«

Schweigend packte man, schweigend gingen Dr. Forster, Campofolio und Palma voraus. Rita Sabaneta schrie, bis ihre Stimme brach und in einem Wimmern erstarb. Cliff Haller kam als letzter nach. Er holte Ellen ein und legte den Arm um ihre Hüfte. Sie machte einen Schritt zur Seite und befreite sich dadurch aus seinem Griff.

»Nanu!« sagte Cliff. »Lutschst du an einem moralischen Bonbon?«

»Ich habe Angst vor dir.« Ellen Donhoven beschleunigte ihren Schritt. »Komm mir nicht nahe!«

Plötzlich begann sie zu laufen, rannte wie um ihr Leben und holte Dr. Forster ein.

»Kann ich bei Ihnen bleiben, Rudolf?« fragte sie. »Bitte!«

Er nickte und ging weiter. Wie eine Blinde tastete Ellen nach ihm und hielt sich an seinem Gürtel fest.