Achtes Kapitel

Thomas Callao kannte jeder in Manaus. Früher oder später kam man mit ihm in Berührung, denn Callao war Sarghändler und Leichenbestatter. Sein Geschäft, in dessen Schaufenster ein Luxussarg aus Mahagoni mit weißen Seidenkissen stand, machte einen soliden Eindruck und wurde garantiert nur von denjenigen betreten, die jemanden zu begraben hatten. Wer geht schon in ein Sarggeschäft, ohne einen zwingenden Grund zu haben?

So lebte Thomas Callao zufrieden und geachtet in der Urwaldstadt, verrichtete seinen Beruf mit Würde, sargte ein und schmückte die Friedhofskapelle, sprach den Hinterbliebenen sein tiefes Mitleid aus und tröstete sie mit Bibelsprüchen, was stets dankbar angenommen wurde. Mit allen Polizisten stand er auf du und du, kannte die Offiziere der Garnison Amazonas, den Bürgermeister, die reichen Leute der Stadt, die Richter und Staatsanwälte, war Mitglied des Golfklubs, Förderer des Fußball-Vereins und einer der Befürworter zur Wiedereröffnnung der großen Oper von Manaus.

Thomas Callao gehörte zur Stadt Manaus wie der Amazonas-Fluß, und wenn man jemanden gefragt hätte, wie lange er schon hier wohne, hätte man die Antwort bekommen: »Wer weiß es? Er war schon immer da.«

Das stimmte nicht. Thomas Callao wohnte erst seit sieben Jahren am Rande des Urwaldes und er hieß auch eigentlich gar nicht Callao, sondern Robert Carpenter, war nicht in Belém geboren, sondern in einem kleinen Nest in Utah, hatte in Massachusetts studiert und war später zum CIA gekommen, wie eine Nonne zum Kind. So drückte er es wenigstens selber aus. Durch Zufall hatte er geholfen, einen japanischen Agenten zu entlarven, und das hatte ihm so gut gefallen, daß er bei dem Verein geblieben war. Er erlernte alles, was man braucht, um ein anderer Mensch zu werden, und er wurde Thomas Callao, zog nach Manaus und leitete von hier aus den Spionageeinsatz in ganz Südamerika. Die Tarnung als Sarghändler war die beste Idee gewesen …, wer Leichen begräbt, ist für normale Denker völlig harmlos, und daß ständig fremde Menschen in seinem Laden aus- und eingehen, ist ebenfalls selbstverständlich, denn wo geboren wird, wird auch gestorben, und Hinterbliebene gibt es immer eine ganze Menge.

Bob Carpenter staunte nicht schlecht, als an diesem Tag ein Mann und eine zierliche Frau mit langen blonden Haaren sein Geschäft betraten und sich nicht sofort um die in Reih und Glied nach Preisgruppen aufgestellten Särge kümmerten, sondern sich unauffällig umsahen, die Ladentür von innen schlossen und das seitlich der Tür baumelnde Schild: ›Vorübergehend geschlossen‹ an die Scheibe hängten. Auch das kam öfter bei Callao vor, wenn er einige Beerdigungen hintereinander hatte und seinen Laden schließen mußte. Die Leute in Manaus spotteten dann immer: ›Unsere Doctores haben mal wieder fleißig gearbeitet.‹

»Nanu!« sagte Carpenter an der Tür seines rückwärts liegenden Büros. »Ist es schon zwölf Uhr mittags?«

»Fünf nach zwölf!« Cliff Haller nahm den großen Strohhut vom Kopf. »Mach den Mund zu … du siehst in dieser Haltung nicht gerade sexy aus!«

»Cliff!« stammelte Carpenter. »Mein Gott, Cliff, du bist es!« Er rannte auf Haller zu, umarmte ihn und drückte ihn an sich. Er war genauso groß wie Cliff, nur etwas schlanker und seiner Stellung gemäß eleganter mit seinem weißen Hemd und seinem mittelblauen Anzug. »Cliff, ich begrabe Tote, aber ich bin nicht zuständig für Wiederauferstehungen! Die nächste Kirche mit Pfarrer, die Wunder annehmen, ist drei Straßen weiter. Sankt Josephus!«

Cliff lachte dröhnend, schob Carpenter weg und drehte sich zu Ellen um. »Das sind meine Freunde«, rief er. »Verdammt, ich fühle mich wieder wie zu Hause.« Er zog Ellen an der Hand zu Carpenter und nickte ihm zu. »Bob, zieh kein schiefes Gesicht, sondern sei lieb und brav, wenn du ohne blaues Auge den Sonntag erleben willst: Das hier ist die zukünftige Mrs. Haller.«

»Ich platze vor Begeisterung.« Carpenter gab Ellen die Hand. »Willkommen, Lady, in unserem Kreise. Wachsen noch mehr solch herrliche Orchideen im Urwald wie Sie?«

»Stop!« Cliff legte Carpenter die Hand flach auf den Mund. »Ellen ist Ärztin. Dr. Ellen Donhoven. Ich habe ihre Expedition aufgelesen, als sie drauf und dran war, den Intrigen eines Mistviehs vom brasilianischen Geheimdienst geopfert zu werden.«

»Cascal!?«

»Du kennst ihn?«

»Seit deinem Verschwinden habe ich von der Zentrale alle Unterlagen bekommen.« Carpenter grinste breit. »Weißt du, daß du offiziell seit vier Wochen tot bist? Man hat dir post mortem sogar einen Verdienstorden verliehen. Wie ich den Alten in Washington kenne, wirst du ihn wieder zurückgeben müssen. Nur wenn unsereiner ins Gras gebissen hat, weiß man da oben, was für Kerle wir waren.«

»Kommt ins Büro«, sagte Carpenter. Er ging voraus, zapfte aus einem eisgekühlten Trinkbehälter Orangensaft ab und schob die Gläser Cliff und Ellen über den Tisch. Es war für sie ein ungewohntes, herrliches Gefühl, wieder in einem Sessel zu sitzen. »Ich werde gleich der Zentrale durchgeben, daß Cliff Haller bei mir ist und gefragt hat, ob seine Beförderung zum Oberstleutnant eingetroffen ist. Wenn nicht, will er wieder in den Urwald.«

»Stop!« Cliff hob die Hand. Er nestelte seinen Lederbeutel aus dem Hemd und öffnete ihn. Zwei tropenverpackte, kleine Filmrollen legte er auf den Tisch. Carpenter sah sie mit hochgezogenen Brauen an. »Das muß sofort an die Zentrale, Bob.«

»Fotos von Ameisenbären?«

»Fotos, alter Junge, die unsere Politiker für ein Jahr kreiseln lassen. Das sind die heißesten Bilder der letzten Jahre.«

»Darum also die Jagd auf dich! General Aguria hat die ganze Garnison auf Trab gebracht, bis es hieß, du seist im Wald umgekommen. Die Leute in Rio und die Zentrale fragten dauernd an, was denn um Gottes willen los sei. Wie kann ich das wissen, fragte ich zurück. Aber wir alle ahnten, daß du einen dicken Hund in der Pfanne hast. Was ist's?«

»Raketenbasen mitten im Urwald. Richtung: USA!«

Carpenter riß die Augen auf. »Du bist verrückt, Cliff.«

»Auf den Filmen ist die Wahrheit, Bob! Ich habe zwei Raketenrampen gesprengt … als Visitenkarte, daß ich dort war.«

»Ist das nicht typisch?« Carpenter sah Ellen tadelnd an. »Ellen steigen Sie aus, noch heute, heiraten Sie ihn nie, diesen Irren! Sie haben keine Minute Ruhe in Ihrem Leben! Jeder schleicht sich in einem solchen Fall beim Gegner ein und verduftet wieder wie ein Windhauch … aber was macht er?! Er gibt seine Visitenkarte ab. Macht ein Feuerchen! Und dann spielt er tote Fliege und verschwindet monatelang.« Carpenter nahm die kleinen Filme, holte aus dem Schrank eine Blechbüchse, auf der ›Die gute Marmelade von Gonzales‹ stand und warf die wertvollen Rollen hinein. Cliff Haller grinste.

»Ellen, sieh dir ihn an. Bilder, die die Sicherheit für 200 Millionen Amerikaner bedeuten, steckt er in eine Marmeladenbüchse! Und er behauptet, ich sei verrückt.«

»Mir scheint, alle von eurer Sorte sind so«, sagte Ellen. »Aber, Mr. Carpenter, zu Ihrer Beruhigung: Ich habe mich daran gewöhnt. Ich würde gähnen und vor Langeweile umfallen, wenn Cliff plötzlich anders würde. Ich liebe ihn.«

»Darauf trinken wir einen.« Bob Carpenter klatschte in die Hände. »Ich habe Zeit bis drei Uhr. Dann muß ich einen Großvater begraben. Kinder, ihr wißt nicht, wie ich mich freue, daß Cliff aus diesem Mistwald wieder herausgekommen ist.«

Um drei Uhr nachmittags begleiteten sie Carpenter bis zu seinem schwarzen, mit silbernen Palmenblättern geschmückten Leichenwagen. Cliff hatte zuviel Whisky getrunken, er schwankte leicht und stützte sich auf Ellen. Er war so glücklich, wieder in der normalen Welt zu sein, daß er wie ein kleiner Junge lauter dummes Zeug anstellte. Carpenter blinzelte Ellen zu.

»Bringen Sie Cliff ins Bett«, sagte er leise zu ihr. »Seine Euphorie kann leicht gefährlich werden. Morgen ist alles anders. Cascal ist in Manaus …«

»Himmel noch mal!« Ellen zuckte hoch. »Und er hat, bevor wir zu Ihnen gingen, General Aguria angerufen.«

»Dieser Supermann!« schrie Carpenter. Er wandte sich an Cliff und riß den hin und her Taumelnden zu sich herum. »Mußte das sein, Cliff?! Willst du die Meute wieder auf dich hetzen?«

»Ja.« Haller nickte mehrmals. »Es lenkt sie von den Filmen ab. Bob … sorge dafür, daß sie sicher nach Washington kommen. Mit Cascal werde ich allein fertig.«

»Ist er nicht ein Held?« sagte Carpenter bitter. »Ellen, wenn Sie ihn wirklich heiraten wollen, sorgen Sie dafür, daß er bald aus dem Verkehr gezogen wird. Sie werden sonst wenig Freude an Ihrem Honigmond haben …«

***

General Aguria hatte bereits mit Rio, dem Generalkommando und der Abwehr telefoniert, als Cascal in der Kommandantur erschien.

Aguria begrüßte Cascal mit schiefem Lächeln.

»Cliff Haller ist also in Manaus«, sagte Aguria, als Cascal sich gesetzt hatte und eine Zigarette ansteckte. »Die Filme hat er los. Cascal, ich weiß, was Sie einwenden wollen, aber dieses Mal glaube ich Cliff! Er war am Telefon so sicher. Das ist kein Bluff! Wir haben das Rennen verloren.«

»Was bedeuten Filme, General?« Cascal lächelte seinem Zigarettenrauch nach. »In jedem Trickfilm-Atelier kann man eine Raketenbasis aufbauen. Dann sind die Raketen so lang wie ein kleiner Finger, auf dem Filmbild aber hochhausgroß. Wenn uns die Amerikaner die Bilder zeigen, werden wir lachen und ihnen unterstellen, daß die Firma Walt Disney gut gearbeitet hat. Gefährlich ist nur und immer noch Cliff Haller. Er weiß, wie es dort aussieht, er ist Augenzeuge! Cliff in Verbindung mit den Filmen ist tödlich für uns …, die Filme allein sind lächerlich.«

Aguria starrte Cascal nachdenklich an. Das Arbeiten seiner Gedanken las man in seinen Augen.

»Sie meinen also, Cascal …?«

»Ja, ich meine, daß wir Cliff liquidieren müssen.«

»Wissen Sie, was das nach sich zieht? Jetzt ist alles alarmiert …, von Washington bis zur Botschaft, vom Pentagon bis zu den Spezialeinheiten. Wenn wir Cliff jetzt angreifen, gibt es keine Ausrede mehr!«

»General, es wird immer und ewig, zu allen Zeiten und in allen Situationen Unfälle geben.«

»Auch einen Unfall glaubt uns keiner mehr. Cliff steht da im Glorienschein seines Erfolges. An so etwas macht sich kein Unfall heran.«

»Und wenn der Unfall zu Ellen kommt?«

»Die deutsche Ärztin? Was soll denn das?«

»Cliff ist ihr Geliebter. Wenn wir Ellen töten, treffen wir Cliff mitten ins Herz!«

»Sie sind ein Satan, Cascal!«

»Ich denke nur nüchtern, General.« Cascal lächelte versonnen. »Es ist der logischste Weg: Wir werden Ellen Donhoven durch einen Unfall ausschalten. Ein Unfall, bei dem Cliff merkt, daß er gestellt war. Was wird Cliff tun? Wie reagiert ein Verliebter? Er wird auf Rache sinnen und aus der Reserve kommen. Er wird sich genauso benehmen, daß wir in Notwehr gehandelt haben, wenn das Wild erlegt ist! Wir werden beweisen können: Freunde, angefangen hat er. Wir haben uns nur verteidigt.«

»Und wo wollen Sie das Theaterstück spielen, Sie Teufel?«

»In Manaus oder Rio, weiß ich es im voraus?« Cascal schlug die Beine übereinander. Wie ein eleganter Großindustrieller sah er aus, gepflegt, intelligent, reserviert. »Ich muß ihn erst finden.«

»Das wird in kurzer Zeit keine Frage mehr sein.« Aguria warf sich ächzend in seinen Sessel. Er dachte noch immer an das Ministerium in Rio. Sie werden mich in die Wüste schicken, dachte er und war zutiefst beleidigt über die Pläne seiner Generalkameraden. Erst die Raketenbasis, dann die Verfolgung … und nichts als Mißerfolge. Es gibt Menschen, die eine Pechsträhne mit sich herumschleppen wie einen Dauerschnupfen. »Alle Hotels, Gasthöfe und Pensionen werden überwacht und haben Anweisung, sofort die neuen Gäste zu melden. Die Ausfallstraße zur Küste wird kontrolliert. Der Flugplatz ist abgeriegelt. Hier kann keine Wanze ungesehen abfliegen, alle Pässe werden durchleuchtet, um Fälschungen zu erkennen. Mehr kann man nicht tun.« Aguria zog das fette Kinn an und betrachtete den stillen Cascal. »Angenommen, wir erfahren in der nächsten Minute, wo Cliff sich aufhält – was werden Sie dann tun?«

»Nichts.«

»Das ist wohl ein Witz, was?« Aguria verzog sein Gesicht. »Ein schlechter, ich kann nicht lachen.«

»Nein. Ich werde nichts tun.« Cascal faltete die Hände über seinen angezogenen Knien. »Ich werde Rita die Meldung weitergeben. Das ist alles. Wissen Sie, was einen Teufel übertrifft?«

»Eine hassende Frau …«

»Sehr gut, General. Rita ist ein hassender Vulkan! Das meinte ich, als ich vorhin von einem ›Unfall‹ sprach. Cliff Haller wird an einer brennenden Eifersucht zugrunde gehen und mit ihm diese deutsche Ärztin. Eine rein menschliche, völlig unpolitische Tragödie. Es wird keinen Politiker geben, der interveniert, wenn eine Frau der Anlaß zu ungewöhnlichen Entscheidungen wird. Haller wird nicht das Opfer seines Berufes, sondern seines Unterleibes werden!«

Aguria atmete heftig, stoßweise und schwitzte wie in einer Sauna. Mit einem Ruck riß er den Uniformkragen auf.

»Cascal, Sie Höllenhund, Sie haben das Mädchen darauf dressiert, was?«

»Nein. Das hat Cliff selber getan. Dafür hasse ich ihn auch. Denn – lachen Sie nicht, General – ich liebe Rita. Und ich werde sie erst ganz für mich haben können, wenn es keinen Cliff Haller mehr gibt.«

Das Klingeln des Telefons unterbrach ihn. Aguria erhob sich ächzend und ging zum Schreibtisch.

»Ja?« bellte er ins Telefon. Dann schwieg er, seine Augen begannen zu glänzen, und mit einem tiefen Seufzer legte er den Hörer zurück. »Cascal … Ihr Theaterstück hat bereits begonnen. Auf das Stichwort hin ist er da, der große Gegenspieler!«

Cascal beugte sich vor. Seine Hände zuckten, als sie sich um das Kognakglas legten. »Cliff?«

»Ja. Nicht persönlich, aber immerhin … Das Flugbüro meldet: Cliff Haller und Dr. Ellen Donhoven haben für morgen zwei Plätze nach Rio gebucht. Flug 4 um 10 Uhr 25, 1. Klasse. Immer nobel.« Aguria lenkte den Kopf. »Wo hat er das Geld her? Wachsen im Urwald die Escudos auf den Bäumen? Und, verdammt, wo befindet er sich jetzt?!«

»Bei seinem V-Mann«, antwortete Cascal gemütlich. »Ich möchte nicht die Agenten zählen, die in Manaus leben. Aber sie zu entdecken, ist Zufall. Morgen also, um 10 Uhr 25.« Cascal sprang plötzlich auf. Es war, als liefe jetzt in ihm ein Uhrwerk ab wie in einer Zeitbombe. »Ich werde im gleichen Flugzeug sein.«

»Und Rita?« fügte General Aguria hinzu.

»Und Rita! Sie wird der schönste Racheengel sein, den es je gab.«

***

Flug Nr. 4 war aufgerufen. Eine DC-6 der Air Brasilia, Endziel Rio de Janeiro.

Rita Sabaneta lehnte an der Wand der Flughalle und starrte auf die Türen zum Parkplatz. Cascal stand neben ihr und rauchte ruhig einen langen, gebogenen Zigarillo. Ein hübsches Paar, elegant und anscheinend auf einer Vergnügungsreise in die Stadt, die wie ein Märchen sein sollte.

Rio de Janeiro.

»Wo bleibt er?« zischte Rita, als aus dem Lautsprecher zum zweiten Mal die Stimme erklang: »Alle Reisenden für Flug 4 bitte zur Maschine.«

»Er hat etwas gemerkt. Er kneift!«

»Es liegen keine Abmeldungen vor.«

»In zehn Minuten steigt die Maschine auf, José.«

»Das sind noch zehn Ewigkeiten. Du weißt, was Cliff in zehn Minuten alles unternehmen kann.«

»Ich platze. José, ich zerplatze!« Rita Sabaneta ballte die Fäuste und versteckte sie hinter ihrem Rücken. Sie schabte damit gegen die Wand, als wolle sie ein Loch hineinbohren. Cascal sah sie schnell an und kaute auf dem Mundstück seines Zigarillos.

»Reiß dich zusammen!« sagte er grob. »Du weißt, wie du dich zu benehmen hast. Keinen Skandal auf dem Flughafen! Du bist die große Dame, die Cliff Haller nicht kennt!«

»Ich halte das nicht durch, José.« Rita schnaubte durch die Nase wie ein wütender Puma. »Wenn ich ihn sehe, kratze ich ihm das Gesicht blutig. Zum Auftakt.«

»Das wirst du nicht tun. Du wirst ihn liquidieren, wie wir es besprochen haben. Er entkommt dir nicht mehr!«

Die Fluggäste betraten durch Ausgang VI das Flugfeld. In der Sonne stand silberblitzend die Maschine. Zwei Stewardessen begrüßten die Gäste am Ende der Treppe. Die kleinen Elektrowagen mit dem Gepäck flitzten hin und her.

»Da ist er!« sagte Cascal. Er spürte selbst, wie seine Stimme in diesem Augenblick rauh und zittrig klang.

Durch die Eingangstür kam mit schnellen Schritten Cliff Haller. An seiner Seite Ellen Donhoven in einem modischen, eng anliegenden, hellroten Kostüm. Die blonden langen Haare, die über ihre Schultern wehten, bildeten dazu einen herrlichen Kontrast. Cliff trug einen neuen weißen Anzug, wie ihn die reichen Pflanzer bevorzugen. Er sah so männlich aus, wie ein Mann nur aussehen konnte.

Als Cascal kurz zu Rita blickte, setzte sein Herz einige Schläge aus. Das war mehr als der Blick einer hassenden Frau …, das waren die Augen einer Hypnotisierten, der man befohlen hat: Du siehst einen Engel! Du stehst im Paradies! Freue dich!

Cliff Haller lief hinter Ellen durch das Tor VI, nachdem er sein Ticket gezeigt hatte, warf sein Gepäck auf eines der an ihm vorbeirollenden Wägelchen und legte beim Laufen den Arm um Ellens Schulter.

»Ich bringe ihn noch auf der Gangway um«, knirschte Rita und stieß sich von der Wand ab.

»Du wirst tun, was ich dir gesagt habe.« Cascal hielt sie am Ärmel fest. »Ich habe dir Cliff geliefert – nun halte du dein Versprechen.«

Sie nickte stumm, riß sich los und lief Haller nach. Cascal vermochte ihr kaum zu folgen, und sie mußten sich auch beeilen, denn sie waren die letzten Fluggäste. Hinter ihnen dröhnte aus den Lautsprechern noch einmal die Stimme der Flugleitung.

»Flug 4 nach Rio de Janeiro startet in fünf Minuten. Zu spät kommende Reisende können nicht mehr zur Maschine gelassen werden. Achtung! Achtung! Flug 4!«

Cliff und Ellen waren schon in der Maschine, als Rita und Cascal die Treppe erreichten und hinaufhetzten. Als sie das Flugzeug betraten, sahen sie, daß Cliff in der zweiten Reihe von vorn saß. Sie suchten sich ihre Plätze in der hintersten Reihe, auf der anderen Seite des Mittelganges, wo sie Cliff gut beobachten konnten. Er saß zurückgelehnt in seinem Polstersitz und unterhielt sich mit Ellen.

»Wir bleiben drei Tage in Rio«, sagte er gerade. »Dann fliegen wir in die Staaten. In vier Wochen bist du Mrs. Haller. Kannst du es noch so lange aushalten, Baby?«

»Schwer. Nur mit größter Willensanstrengung.« Ellen lächelte ihn an. Wie eine Madonna sah sie aus, und es war völlig unglaublich, daß sie monatelang zu Fuß, in einem Einbaum und mit einem Floß durch den Urwald gezogen war und den Tod hundertfach erlebt hatte.

»Du bist verdammt hübsch«, sagte Cliff und küßte die Innenfläche von Ellens Hand. »Ich habe große Lust, mit dir nach hinten in den Packraum zu gehen!«

»Cliff!«

»Wenn ich der Chefstewardeß fünfhundert Escudos gebe, hört und sieht sie nichts!«

»Cliff, hör auf!« Sie lachte ihn an und gab ihm eine leichte Ohrfeige. »In ein paar Stunden sind wir in Rio und haben ein Zimmer …«

Er nickte, küßte sie ungeniert auf den Mund und bestellte bei der verständig lächelnden Stewardeß einen Whisky und einen Kognak.

Wenig später stand Cliff auf und ging nach hinten zur Toilette. Zwangsläufig mußte er dabei an Cascal und Rita vorbei. Erst drei Reihen vorher sah er sie, und sofort wußte er, daß Rio de Janeiro nicht Abschluß des großen Abenteuers, sondern nur ein neuer Akt des Dramas werden würde. Er sah sich schnell um; Ellen las in einer amerikanischen Illustrierten. Dann ging er die drei Schritte weiter und blieb vor Rita und Cascal stehen.

»Sieh an«, sagte er leise, »auch auf Hochzeitsreise nach Copacabana?«

»Nein.« Rita Sabanetas Nasenflügel bebten. Die Fetzen ihres Taschentuches fielen vor ihr auf den Boden. »Zu einem Totenfest.«

»Hören Sie nicht auf sie, Cliff«, fiel Cascal ein. »Sie haben ihren Haß auf sich gezogen. Es ist auch schwer, das zu vergessen, was Sie ihr angetan haben.«

»Und Sie sind dabei, Cascal, und halten ihr das Händchen. Welch ein trauliches Paar!« Cliff lehnte sich an Ritas Sitz. Er bewunderte in diesem Augenblick Cascal. Wie leicht wäre es gewesen, aus dem Hinterhalt zu schießen. Statt dessen flog er in der gleichen Maschine mit nach Rio, zeigte sich seinem Feind und gab ihm Gelegenheit, sich auf die kommende Auseinandersetzung, bei der es nur einen Ausgang geben konnte, vorzubereiten. Das war kein Beweis von Mut oder Kaltblütigkeit, sondern mußte einen anderen Grund haben.

»Ich werde in der amerikanischen Botschaft wohnen. Cascal, wollen Sie das Gebäude der USA stürmen?«

»Warten Sie es ab, Cliff.« Cascals Augen waren trübe vor Wut. »Sie wissen anscheinend nicht, was bei uns möglich ist.«

Nachdenklich ging Cliff davon, blieb ungewöhnlich lange auf der Toilette und überdachte seine Situation. Als er wieder durch die Sitzreihen nach vorn ging, beachtete er Rita und Cascal nicht mehr und schritt an ihnen vorbei, als seien es Fremde.

Cliff setzte sich langsam neben Ellen und nahm ihr die Illustrierte weg. Erstaunt blickte sie ihn an. Seine Augen erinnerten sie wieder an die gefahrvollen Situationen im Urwald – sie hatten den Ausdruck eines zu allem entschlossenen Tieres. Erschrocken faßte sie nach seinen Händen.

»Cliff, was ist los?«

»Cascal und Rita sind im Flugzeug. Neun Reihen hinter uns. Nein, dreh dich nicht um. Tu so, als hätte ich dir nichts gesagt. Sie begleiten uns nach Rio.«

»Ich schlage Alarm. Cliff, ich lasse den Flugkapitän rufen! Die Polizei soll am Flugzeug stehen, wenn wir in Rio landen.« Ellen wollte aufspringen, aber Cliff drückte sie in den Sitz zurück.

»Das wäre sinnlos! Was wollen wir vorbringen? Cascal und Rita werden sich als harmlose Reisende ausgeben. Daß er vom brasilianischen Geheimdienst ist, wird er mit Recht leugnen. Und ich kann niemals zugeben, daß ich Angehöriger des CIA bin. Wir zerstechen also Luftblasen, Baby.«

»Aber irgend etwas müssen wir doch tun!«

»Stimmt! Wir verhalten uns ganz ruhig.«

Ellen nickte. Ihre Kehle war trocken vor Angst. »Sie wollen dich töten, nicht wahr?«

»Es scheint so.«

»Ich schreie, Cliff. Ich schreie um Hilfe …!« stammelte Ellen.

»Es nützt nichts. Cascal ist ein Brasilianer in einem brasilianischen Flugzeug. Man würde höchstens dich wegtragen als eine Frau mit einem hysterischen Anfall.«

Die Maschine flog ruhig und leise brummend nach Süden.

Alles war so normal wie auf tausend anderen Flügen, und doch war es anders. Nur ahnte es niemand.

Im Flugzeug saß der Tod.

Er aß Hähnchen und trank Wein, rauchte einen Zigarillo und las einen englischen Kriminalroman.

Cliff Haller und Ellen Donhoven würgten an ihren Bissen.

Auch die besten Nerven versagen, wenn der Tod im Nacken sitzt.

***

Die Maschine aus Manaus glitt in einer sanften Kurve auf den Flugplatz von Rio, setzte auf und rollte mit gedrosselten Motoren zu dem weißen, langgestreckten Flughafengebäude. Die Gangway stand schon bereit, und die Kofferwagen flitzten heran. Eine große schwarze Limousine parkte etwas abseits auf dem Betonfeld. Ein Regierungswagen. Anscheinend flog unerkannt ein hoher Beamter mit. Für Cascal würde man einen solchen Aufwand kaum treiben.

Cliff Haller löste seinen und Ellens Gurt, als die Maschine aufgesetzt hatte. Dann griff er in die Jackentasche, umklammerte die kleine Pistole und schob mit dem Daumen den Sicherungsflügel zurück.

Die erste Gelegenheit für Cascals Aktivität bot sich an: Wenn er jetzt schoß, gefährdete er niemanden mehr.

Aber Cascal dachte gar nicht daran, einen Skandal auszulösen. Als die Tür aufklappte, verließen er und Rita als erste das Flugzeug. Cliff Haller faßte Ellen an der Hand und drängte zur Tür. Als sie auf die Gangway traten, sahen sie unten drei Männer in weißen Anzügen stehen. Sie hatten ihre Strohhüte in den Nacken geschoben, und einer von ihnen, ein kleiner, dürrer Mann mit einem verhutzelten Gesicht, fächelte sich mit einem Taschentuch Kühlung zu. Es waren schließlich 45 Grad in der Sonne.

»Aha!« rief Cliff fröhlich. »Die ganze Bande steht da. Der gute Finley und sogar der Liliputaner Cook. Ellen!«, er legte den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. »Was du da unten siehst, sind die Kerle, die einmal zu mir gesagt haben: ›Cliff, alter Junge, geh mal in den Urwald südlich von Tefé und sieh dich dort um‹, und das hat so geklungen, als ob ich an der nächsten Ecke Zigaretten holen sollte! Hallo!« Er winkte, Finley und Cook winkten zurück. Der dritte Mann, ein Hauptmann Leeds, war neu in Rio. Er sollte Cliff Haller, der dringend Urlaub und Erholung nötig hatte, ablösen. Interessiert blickte er dem Mann entgegen, von dem man im CIA solche Wunderdinge erzählte.

»Willkommen in Rio!« sagte der kleine Cook, als Haller vor ihm stand. Finley aber strahlte übers ganze Gesicht, als hole er seinen Sohn ab.

»Alter Junge!« sagte er mit Rührung in der Stimme. »Als Bob Carpenter funkte, daß du lebst, habe ich mich vor Freude besoffen. In Washington haben sie schon begonnen, deinen Namen in die Ehrentafel zu meißeln – bis Cliff Ha sind sie gekommen, dann kam der Befehl: ›Stop, der Kerl lebt noch!‹ Immerhin weißt du jetzt, was der Alte von dir hält! Du bist der erste Lebende, der auf der Ehrentafel steht, wenn auch nur halb.«

Der kleine Cook hatte unterdessen Ellen Donhoven begrüßt. Formvollendet küßte er ihr die Hand und stellte sich vor. Von Carpenter in Manaus waren sie über alles informiert, auch davon, daß Cliff wegen dieser Frau seinen Job an den berühmten Nagel hängen wollte. »Darüber reden wir noch«, hatte Cook zu Oberstleutnant Finley gesagt. »Könnt ihr euch Cliff als Farmer vorstellen? Nach sechs Wochen frißt er vor Langeweile seinen Hut.«

Finley und Leeds behandelten Ellen wie eine alte Bekannte. »Ihnen geht ein Ruf wie Donnerhall voraus«, sagte Finley in seiner direkten Art. »Wer mit Cliff quer durch den Urwald zieht und das durchhält, kann als Wundertier ausgestellt werden. Wenn man Sie so ansieht … Miß Donhoven, woher nehmen Sie die Kraft?«

»Ich liebe Cliff«, sagte Ellen einfach.

Finley nickte mehrmals. »Man soll es nicht für möglich halten, was ein Mensch dann alles in sich aktivieren kann. Freunde, euch erwartet bei mir ein kaltes Büfett mit allem, was Ihr euch nur wünschen könnt.« Er faßte Ellen und wimmelte Cliff mit der anderen Hand ab. »Nein, alter Junge, Ellen gehört jetzt mir! Gönne einem versauerten Junggesellen ein paar angenehme Stunden!«

Er zog Ellen mit sich fort zum Flughafengebäude. Cook, Leeds und Cliff folgten ihnen.

»Er wickelt sie um den Finger«, sagte Cook fröhlich. »Wenigstens versucht er es.«

Cliff sah auf den kleinen Mann hinunter, der ihm bis zur Brust reichte.

»Carpenter hat Alarm gegeben. Du willst den Verein verlassen?«

»Ja.«

»Wegen Ellen?«

»Ja.«

»Und darum wickelt Finley jetzt. Er will zeigen, welch gute Kerle wir doch alle sind.« Cook grinste breit. »Du könntest doch niemals Tomaten anbauen.«

»Nein, aber Mais.«

»Verrückt! Ein Cliff Haller im Schaukelstuhl. Das fällt nicht einmal Walt Disney ein.«

Haller blieb stehen und zeigte auf Rita und Cascal, die langsam vor ihnen zum Eingang der Flughalle gingen. »Dort geht mein Liquidationskommando«, sagte er ohne Erregung. Der kleine Cook riß die Augen auf.

»Wer?«

»Das ist Cascal. Und neben ihm Rita.«

»Uff!« Cook schob sich den Strohhut weit in den Nacken. »Das Häschen vom Fluß?«

»Ja. Sie sind mit nach Rio geflogen, um mich umzubringen.«

Leeds starrte Cliff Haller an. Er erlebte es zum ersten Mal, daß ein Mensch über die Bedrohung seines Lebens sprach, als erzähle er eine Anekdote.

»Und … und was unternehmen Sie nun, Cliff?« fragte er.

»Nichts. Ich warte und lasse ihn kommen.«

»Auf jeden Fall werden wir Cascal Tag und Nacht beschatten.« Cook schien die Lage genauso real einzuschätzen wie Haller: »Du fliegst am nächsten Montag nach Florida«, sagte er. »Es ist alles organisiert.«

»Flugkarte auch für Ellen?«

»Natürlich. Wir sind ja gar nicht so …«

Cliff Haller beobachtete, wie Cascal und Rita am Eingang der Flughalle von einem Mann in einem dunklen Anzug abgeholt wurden. Die schwarze Limousine fuhr durch ein Sondertor vom Platz. Cliff ahnte, daß auch der hohe Beamte mit ihm in Verbindung stand. Der gegnerische Geheimdienst marschierte auf. Er tat es nicht mehr im Dunkeln, er versteckte sich nicht, man kannte sich ja bereits genau. Es war ein offener Krieg, von dem niemand in der Welt jemals etwas erfuhr. So blutig der Kampf auch war – die Spielregeln beherzigte jeder: Kein Aufsehen. Keine Öffentlichkeit. Agenten sterben im Nebel …

»Am Montag?« sagte Cliff. Er beschleunigte seine Schritte, um an die Seite Ellens zu kommen. Cook und Leeds folgten ihm. »Noch vier Tage Zeit für Cascal, mich zu töten. Er muß sich verdammt schnell etwas einfallen lassen.«