Import

Touristen

Ich versteh die Leute da auch nicht – die haben doch nix als tourismusgeeignete Natur und deshalb müssten sie sich über jeden Deppen scheckig freuen (Henny, Internetblog)

Wie bitte? Wo wir doch in der tourismusgeeigneten Natur auch überaus tourismusgeeignete Unterkünfte anzubieten haben. Das Kurhaus Binz wurde 2005 von einer halben Million TUI-Urlaubern von zehntausend Ferienhotels zum weltweit besten (in Zahlen: Platz 1) Urlaubshotels gewählt. Wir haben Heiligendamm. Wir haben die Jachthafenresidenz Hohe Düne in Warnemünde. Wir haben!

Aber es ist dennoch fatal für ein Land wie MVP, für das Tourismus so wichtig ist, wenn es trotz Weite der Landschaft so klaustrophobisch eng wirkt. (Kid37, gleiches Internetblog)

Klaustrophobisch eng? Wenn es pathologische Probleme im Bereich Raum gibt, dann haben wir es in Mecklenburg-Vorpommern anstatt mit Klaustrophobie wohl eher mit Agoraphobie zu tun. Zwei Beispiele:

Land Fleesensee (am Fleesensee):

Deutschlands größte Ferien- und Freizeitanlage, in der neben dem Radisson SAS Resort Schloss Fleesensee, dem Dorfhotel Fleesensee und dem einzigen Robinson Club auch Europas größtes Golfressort zu finden ist.

Weiße Wiek (in Boltenhagen):

150000 Quadratmeter gehören Ihnen. Das Ferienressort Weiße Wiek (Wiek ist das norddeutsche Wort für Bucht) ist laut TUI eines der ehrgeizigsten Tourismusprojekte Deutschlands. 100 Millionen Euro stecken in der Anlage, die aus zwei Hotels und einem Jachthafen besteht. Das familienfreundliche Dorfhotel und das luxuriöse Iberotel stehen dort, wo sich zu anderer Zeit ein Fliegerhorst der Wehrmacht und Stützpunkt der Nationalen Volksarmee befand. Kein Billigurlaub, aber auch keine abgehobene Luxusklasse – so umschreibt TUI die Preisgestaltung ihrer beiden neuen Häuser.

Segen und zugleich Fluch des Landes: der gemeine Tourist. Er hinterlässt Geld da, wo er die Preise so hochtreibt, dass für die Einheimischen der außerhäusliche Kaffee zu preisintensiv geworden ist, um ihn zu genießen, und der Tourist hinterlässt Fußspuren in Vogelschutzgebieten und überall sonst, wo er nichts zu suchen hat. Touristen in Mecklenburg-Vorpommern sind in etwa das, was in anderen Haushalten die Verwandtschaft ist. Wenn die Verwandten wieder weg sind, denkt man, so schlimm sind sie ja doch nicht, und die können gerne mal wiederkommen – mit ihrer Kohle. Man hat sie auch irgendwie lieb und fühlt sich ihnen verpflichtet, und man möchte auch, dass sie nicht bei den anderen übernachten, sondern bei einem selbst, sonst ist man beleidigt. Sobald sie da sind, gehen sie einem auf die Nerven, und man fragt sich, ob man eigentlich auch so ist wie sie.

Auffällig ist, dass der Tourist, hier als Urlauber bezeichnet, nahezu ausschließlich an Ostseeküste und Seenplatte zu finden ist. Ansonsten hält er sich zurück, was die Erschließung und Entdeckung der Zwischenzone betrifft. Laut einer Gästebefragung des Tourismusverbandes aus dem Jahr 2003 lässt sich der typische Mecklenburg-Vorpommern-Tourist wie folgt skizzieren: Ein im Auto mit Partner ohne Kinder anreisender, etwa 47,5 Jahre alter Stammkunde mit einem monatlichen Haushalts-Nettoeinkommen von 2550 Euro, der regelmäßig in den Urlaub fährt und zur Hälfte aus den alten und zur anderen aus den neuen Bundesländern kommt. Er war auch schon des Öfteren am Mittelmeer und übernachtet in Mecklenburg-Vorpommern am häufigsten im Hotel für durchschnittlich 47 Euro pro Person oder im Ferienhaus/FeWo für 23 Euro pro Person, wobei er die Ostseebäder bevorzugt und seine Reise zumeist selber plant und direkt über den Vermieter bucht. Durchschnittlich gibt er im Mecklenburg-Vorpommern-Urlaub 20,50 Euro pro Tag aus und bleibt sieben Tage, in denen er sich aktiv betätigen möchte und Natur, Ruhe und einen schönen Badestrand erwartet. Nach Schulnoten bewertet er die Unterkünfte mit 1,94, die Gastronomie mit 2,3 und die Freizeitmöglichkeiten mit 2,43.

In früheren Zeiten kam der Tourist in Form der Zarenfamilie, die glückselig die Promenaden beschritt, kam als Admiral Nelson, stürzte sich als Johannes Brahms in die Fluten, saß als Maxim Gorki unter den Kiefern, badete als Kurt Tucholsky im Meer, dichtete als Rilke, ließ sich als Theodor Fontane inspirieren, als Clara Schumann vom Wind durchpusten, als Edvard Munch bezaubern, als Albert Einstein etc. pp. Laut Tourismusverband traf sich ab dem Sommer 1871 an der Ostseeküste alles, was Rang und Namen oder Geld hatte: Majestäten und andere Hochwohlgeborene aus ganz Europa, Offiziere und Generäle, Bankiers, Fabrikanten, hohe Beamte, Hochstapler und Heiratsschwindler ebenso wie Ärzte, Anwälte, Dichter, Denker, Künstler und nicht zuletzt die glamourösen UFA-Stars.

Heute kommen Hinz und Kunz, die im Anschluss an ihren Urlaub feststellen werden, dass Urlaub im eigenen Land nicht billiger ist, als nach Ibiza zu fliegen, dass die Preise in einem ostdeutschen Touristenland den bayerischen Preisverhältnissen in nichts nachstehen und dass die Vogelwelt nicht nur aus Spatzen, Dohlen und Tauben besteht.