Schmeckt nicht, gibt’s nicht

Mecklenburg-Vorpommern kulinarisch

Wenn der Mensch ist, was er isst, dann wäre der Meck-Pommer ein geräucherter Aal oder ein Sanddornstrauch, ein Schwarzbrot oder eine Tüffel (Kartoffel). Ein bisschen gestampft und zermatscht sähe er aus, aber er käme ohne alle künstlichen Feinheiten zurecht, und man würde seine Zutaten wenigstens noch benennen können (Zitat einer Mecklenburgerin). Ihr Mann fügt hinzu: Schmalzig, fettig, soßig, üppig – der Teller muss halt voll sein.

Ähnliche Beobachtungen mache ich auch. Wie war das Essen, frage ich. Euphorisch freudige Antwort: So’n Klopper dat Fleisch. Dazu werden mit Daumen und Zeigefinger acht Zentimeter abgemessen. Und hat’s geschmeckt? Ein Augenblick des Zögerns, dann ein wohlwollendes: Doch. – Doch. Niemand rümpfte die Nase, als ein Drei-Gänge-Menü bestehend aus Soljanka, dreierlei Fleisch vom Huhn, Schwein und Rind und Apfelmus serviert wurde. Es war reichlich, und das allein zählte.

Auch wenn der Meck-Pommer nicht besonders anspruchsvoll und raffiniert is(s)t, seine Küche einfach und bodenständig ausfällt, so mag er in keinem Fall aber auf die gute Qualität seines Fischladens verzichten. Keine Ausrede zählt. Seit er Bush die Hand geschüttelt hat, ist sein Fisch auch nicht mehr dat, wat er mal war, beschwert sich eine Stralsunderin. Gemeint war ein Fischhändler, der sich vor einiger Zeit den Bismarckhering patentieren ließ. Er überreichte George W. Bush ein Fässchen seiner Spezialität. Zuvor durfte schon Gerhard Schröder den süßsauer eingelegten Heringslappen probieren. (Ich bin mir allerdings sicher, dass besagte Stralsunderin nur einen schlechten Tag erwischt hat und der Fisch beim Fischhändler Rasmus weiterhin tipptopp ist).

In Mecklenburg-Vorpommern regiert das Reizklima. Sie werden ständig Hunger verspüren und obendrein den leisen Zwang, frischen Fisch essen zu müssen. Sehr viel, sehr guten frischen Fisch für wenig Geld finden Sie zum Beispiel im Ostseebad Wustrow. Am Ende der Strandstraße gibt es einen Imbiss, dessen Preis-Leistungs-Verhältnis eine Wucht ist. Natürlich gehört Fisch auf den Speiseplan der Meck-Pommer. Schon Dienstmädchen haben sich Ende des 19. Jahrhunderts vertraglich von ihren Herrschaften verpflichten lassen, einmal die Woche Stör zu essen. Zander, Flundern, Dorsch, Hecht, Hering und Aal werden heute ganz ohne Vertrag verzehrt. Dabei gibt es eine Variationsvielfalt sondergleichen: So wird aus Aal Aalsuppe, Spiekaal, Saueraal, Brataal, Schmoraal oder Räucheraal. Letzterer musste mir sogar ins Krankenhaus geschmuggelt werden, damit ich zur vollständigen Genesung bereit war. Fisch wurde in meiner Familie, wie in vielen anderen, immer selbst gefangen, selbst geräuchert, selbst eingelegt, selbst eingetauscht gegen anderen Fisch. Ich kontrollierte mein Wachstum anhand der Salzfässer meines Großvaters, in denen Heringe auf ihre Rollmopswerdung warteten. Mein Bruder, der eine irreparable Abneigung gegen das Grätenpulen hat, profitierte weniger vom Hobby meines Großvaters, war aber keinesfalls benachteiligt, denn auch Wild hat ganzjährig Saison. Ein Fünftel Mecklenburg-Vorpommerns ist bewaldet. Außerdem kann man zu Wild so schön deftige Dinge wie Klöße, Bratensauce und süße Preiselbeeren reichen. Bäter is bäter, secht de Jung und streut sich Zucker up’n Sirup – Die Liebe zum Süßen haben die Meck-Pommer von den Schweden.

Apropos Schweden. Köttbular im Ikea in Rostock laufen phantastisch, sogenannte Bürgerkings und Meckdoofs ebenfalls. Auch griechische Restaurants, die die Teller bekanntlich schön voll knallen. Und zu guter Letzt gibt es in jedem Kaff das obligatorische Chinarestaurant, wohl weil man sich hier darauf verlassen kann, dass alles immer gleich aussieht und gleich schmeckt. Currywurst- und Dönerbuden haben in Mecklenburg-Vorpommern gegen die mobilen Fischstände weniger Chancen. Hier und da findet sich ein Italiener. Ich kenne entlang der Ostseeküste allerdings mindestens vier Italiener, bei denen man Backfisch, Schnitzel, Klops und Pommes bekommt. Wundern Sie sich nicht, wenn der Asiaimbiss mit Pommes und Bockwurst wirbt. Und wundern Sie sich auch nicht, wenn ein Schild am Eingang eines Bauernhofs mit Hier Döner lockt – auch das habe ich in Mecklenburg-Vorpommern sehen müssen. Entscheiden Sie sich im Zweifel lieber für Zum Skipper anstatt fürs Da Vinci oder Mekong. Und ein Tipp obendrauf: Entscheiden Sie sich für Eis anstatt für Kuchen. Das Talent zum Kuchenbacken und Tortenmachen scheint dem Meck-Pommer nicht in die Wiege gelegt worden zu sein. Damit an dieser Stelle nun kein falscher Eindruck entsteht, soll unbedingt erwähnt werden, dass in Mecklenburg-Vorpommern die meisten Sterneköche der neuen Bundesländer kochen. Der erste Stern in Mecklenburg wurde im Ich weiß ein Haus am See verliehen. Sie finden das Restaurant in Krakow am See. Sollten Sie sich zwar an der Mecklenburger Seenplatte, aber nicht am Krakower See befinden, sondern etwas südlicher am Plauer See, wählen Sie das Fischerhaus in Plau. Sollten Sie sich nicht am Plauer See, sondern an der Müritz befinden, lassen Sie sich im vielfach ausgezeichneten Kleinen Meer in Waren verköstigen. Spitzenrestaurants sind in Mecklenburg-Vorpommern leichter zu finden als Starbucks (den haben wir nämlich gar nicht), und das soll uns ein anderes Bundesland erst mal nachmachen.

Eeten, freeten, drinken, suupen, langsam goan und feste pupen – dat set an (Essen, fressen, trinken, saufen, langsam geh’n und kräftig furzen – das setzt an), lautet die hiesige Warnung. Trotz Warnung liegen die meck-pommerschen Männer mit einem durchschnittlichen Bauchumfang von 98,10 Zentimetern auf Platz 2 der dicksten Deutschen (ermittelt von Menth’s Health). Auch die Meck-Pommerinnen landen unter den Top 3. Schuld daran sind Speisen mit aussagekräftigen Namen wie: Himmel und Erde, Milchsuppe, rote Grütze, Schwarz Sauer, Blutklöße mit Leberwurst, Grünkohleintopf, Klopfschinken, Schwarzbrot mit geräuchertem Speck, gekochter Dorsch mit Meerrettich und zerlassener Butter. Sollte man Ihnen in Mecklenburg-Vorpommern Hartewurst anbieten, greifen Sie unbesorgt zu. Dabei handelt es sich nur um die überall sonst mit Salami betitelte – Salami.

Wer sich über das mit Abstand liebste Nahrungsmittel der Meck-Pommer informieren möchte, besuche das Kartoffelmuseum in Tribsees. Ohne seine Tüffel läuft beim Meck-Pommer schon mal gar nichts. Reis und Nudeln habe ich in Mecklenburg-Vorpommern so selten gegessen wie ein Franzose Wurstbrötchen zum Frühstück.

 

Klassiker: Omas eingelegte Bratheringe für 1 Kilo Fisch (etwa 6 Stück)

1 ½ Liter Wasser mit Essigessenz (nach Geschmack), Piment (20), Senfkörner (½ Teelöffel), Wacholder (6), Lorbeerblätter (3), Nelke (1), Pfefferkörner (½ Teelöffel) und etwas Zucker kurz aufkochen lassen. Währenddessen Heringe leicht salzen (alle zusammen, nicht einzeln), in Mehl wenden und in Öl braten. Die gebratenen Fische in eine Schüssel geben, eine große, in Scheiben geschnittene Zwiebel darüber verteilen und den kochend heißen Sud drüberschütten. Ein paar Tage stehen lassen.

Dienstleistung und ihre Motivation

Schwarze Milch der Frühe, zitierte mein Literaturprofessor, um uns den Begriff Oxymoron zu erklären. Ebenso hätte er Gastgeberland Mecklenburg-Vorpommern als Beispiel für etwas sich Ausschließendes anführen können. Gastgeberland Mecklenburg-Vorpommern ist meinem Empfinden nach zumindest ein scheinbares Oxymoron. Ich bin der Überzeugung, dass Mecklenburg-Vorpommern seine Gäste landschaftlich ganz besonders liebevoll, aufmerksam, reizend und rührend empfängt, menschlich jedoch nicht ohne einige Erklärungen auskommt. Mehrfach angedeutet, muss ich es hier noch einmal ausdrücklich erwähnen: Der Meck-Pommer ist von Natur aus kein geselliges Tierchen. Im Umgang mit Fremden zeigt er sich scheu. Im Umgang mit Fremden, die ihn für seinen Umgang bezahlen, wandelt sich diese Scheu nicht selten in etwas gnatzig, nahezu unwirsch Wirkendes. Diese Wirkung lässt sich anhand dreier Unterkategorien genauer erläutern und soll Ihnen helfen, Ihre Gastgeber besser zu verstehen:

Kategorie A – Vorfahre Seeräuber

Kategorie B – Aktion Rose

Kategorie C – Falscher Beruf

 

Die Motivation von Kategorie A:

Typ A finden Sie entlang der gesamten Ostseeküste. Er bemüht sich redlich, ist dabei aber etwas ruppig und maulfaul, was an seinen Genen liegt und nicht an einer akuten Misslaunigkeit. Seine Vorfahren schipperten über die stürmische See, Regen peitschte ihnen Tag für Tag ins Gesicht, die Handflächen von hindurchrutschenden Tauen blutig, hatten sie am Abend wieder nur einen öden Fisch auf dem Teller. Dazu eine Buddel voll Rum. Gesprochen wurde nicht viel, bezahlt ebenso wenig. Man nahm sich, was man brauchte, und hatte, was man hatte. An Bord Papageien, die einem mit ihrem Geplapper schon bald den letzten Nerv zu rauben drohten. Typ A im meck-pommerschen Dienstleistungsgewerbe erkennen Sie an einem misstrauisch zusammengekniffenen Auge und an seiner knapp bemessenen Wortwahl.

 

Die Motivation von Kategorie B:

Die Motivation der unwirschen Wirkung des Typus B erklärt sich zu einem Großteil aus der 1953 entlang der meck-pommerschen Küste durchgeführten Aktion Rose. Mit der Aktion Rose wurden innerhalb nur eines Monats vierhundertvierzig Hotels und Pensionen und rund hundertachtzig Gaststätten, Wohnhäuser und Wirtschaftsbetriebe beschlagnahmt, ihre Eigentümer unter fadenscheinigen Gründen der Wirtschaftskriminalität bezichtigt und eingesperrt. Sinn und Zweck der Aktion war die Enteignung der privaten Hoteliers und Pensionsbesitzer, Gastwirte und anderer Dienstleistungsunternehmer. Dann übernahm der Staat den Ferienbetrieb. Er organisierte und kontrollierte ihn. Niemand konnte mir nichts dir nichts eine Unterkunft buchen, solange er nicht privat unterkam. Wer einen Ferienplatz hatte, freute sich und beschwerte sich nicht. Ebenso freute man sich über Ware, die unter oder über dem Ladentisch gereicht wurde – ganz gleich, ob dem ein freundliches Lächeln beigefügt wurde oder nicht. Gnädig war, wer etwas zu geben hatte, glücklich der, der etwas bekam. Niemand musste sich sonderlich bemühen, seine Waren loszuwerden, sein Bett, sein Schweineschnitzel mit Ketchup. Diese Attitüde steckt dem ein oder anderen an der ostdeutschen Ostseeküste noch tief in den Knochen. Gänzlich begriffen hat Typ B das Unternehmen Dienstleistung und Marktwirtschaft noch immer nicht. Sie erkennen ihn an einem gewissen Unverständnis im Blick und dem unbedingten Versuch, es Ihnen recht zu machen. Manchmal greift er verbal etwas daneben, und so wird er auf Fragen wie: Wo bleibt mein Essen? mit: Weiß ich nicht antworten. Soll ich diese oder diese Kette kaufen? – Das müssen Sie nun wirklich selber wissen! Können Sie mir mein Auto reparieren? – Kann ich schon, wenn ich will.

 

Die Motivation von Kategorie C:

Es ist nun mal so, dass nicht jeder mecklenburgische Bulle das Zeug zu einem Rennpferd hat, oder anders: Manch einer ist für eine Pilotenausbildung zu blind, hat für den Beruf des Elektrikers zu zittrige Finger oder ist für eine Modelkarriere zu klein. Und dennoch gibt es Bullen, die auf ihren Wiesen und Weiden immer und immer wieder durchgehen, wild herumgaloppieren, als wären sie ein Rennpferd. Seien Sie jeglichen Bullen und Kühen gegenüber nachsichtig, die Sie bedienen, als ginge etwas mit ihnen durch. Typ C kommt allerorts vor, auch in Mecklenburg-Vorpommern. Sie erkennen ihn an den Fragezeichen, die in seinen Augen regelmäßig aufblinken, wenn Sie mit ihm sprechen.

Doch sind inzwischen einigen die Defizite im Servicebereich Gott sei Dank bewusst, und an der Behebung des meck-pommerschen Mankos wird mit Hochdruck gearbeitet. So plädierte der tourismuspolitische Sprecher der CDU für eine unbürokratischere Regelung für die Errichtung von Verkaufsständen. Er hat erkannt: Wer den Urlaubern Eis und Bratwurst am Strand verweigere, könne es mit Service und Qualität im Tourismus nicht ernst meinen.

 

Meine persönlichen Highlights:

 

Auf dem Postamt

Es liegt im Auge des Betrachters, ob nachfolgende Geschichte beweist, dass der Meck-Pommer stur und prinzipientreu oder mitdenkend und fürsorglich ist:

 

Ich hatte von meiner Freundin den Auftrag erhalten, fünfzig Plakate nach Budapest zu schicken. So trug ich ein mittelmäßig schweres Paket in das Stralsunder Postamt am Neuen Markt. Vor mir stand ein älterer Herr am Schalter, von mir als Einheimischer identifiziert, der sich nach Briefmarken erkundigte.

Aber wenn jetzt jeder kommt und sagt, dass er gerne dieses Mäppchen hätte, die Postfrau wedelte mit einer Reihe Marken, auf denen Leuchttürme abgebildet waren, dann habe ich ja bald keine mehr, verstehen Sie das nicht?

Doch, antwortete der Mann, aber wenn Sie die da verkaufen, er zeigte auf das Objekt seiner Begierde, dann müssen Sie die doch auch verkaufen.

Die Postfrau schnaufte verächtlich und auch ein kleines bisschen arrogant, nur weil sie ihre Logik etwas besser begriff als der Kunde. Nehmen sie doch einfach die hier mit den Blumen drauf, und dann sind wir beide glücklich, schlug sie vor.

Ich möchte aber gern die mit den Leuchttürmen.

Alle wollen die mit den Leuchttürmen, und deshalb muss ich das ein bisschen regulieren. Verstehen Sie das nicht? Sonst habe ich ja bald keine mehr, und dann kauft hier gar keiner mehr Briefmarken, weil die mit den Blumen ja keiner will.

Der Mann versuchte noch eine Weile, die Leuchttürme zu kaufen, und verließ dann resigniert das Amt. Spätestens da bestätigte sich meine Vermutung, dass es sich um einen Stralsunder und nicht um einen Touristen gehandelt hatte, der der Dame womöglich ordentlich die Leviten gelesen hätte.

Als Nächstes trat ich an den Schalter. Ich legte das Paket vor mich hin.

Was passiert damit?, fragte die Dame.

Wir schicken es nach Budapest, antwortete ich mit dem Hauch eines Fragezeichens.

Sie nahm es und legte es auf die Waage.

Oh, das ist aber schwer, was haben Sie denn da drin?

Muss ich Ihnen das verraten?

Ja, wegen Zoll.

Plakate.

Was für Plakate?

Plakate eben. Für eine Band.

Dann lassen wir das lieber, sagte sie mit einem Augenzwinkern und schob mir das Paket entgegen. Sie schielte über meine Schulter, bereit für das nächste Opfer.

Wie, wir lassen das?

Wir verschicken das lieber nicht.

Doch, sagte ich, wir verschicken das lieber doch.

Wissen Sie, was der Versand kostet?

Nee, aber der kostet, was er kostet, Hauptsache das Paket kommt in Budapest an.

Der Versand ist teurer als der Inhalt. Das wäre doch hirnrissig. Ich verschicke doch nichts, wo der Versand teurer ist als der Inhalt. Sie tippte sich an die Stirn.

Noch vor wenigen Augenblicken hatte ich mich über die Briefmarkengeschichte amüsiert und jetzt überkam mich plötzlich der absurde Gedanke, dass ich dem Mann womöglich gleich folgen würde, und zwar ohne mein Paket abgeschickt zu haben. Doch mir kam glücklicherweise eine Kollegin mit unnachahmlicher Überzeugungskunst zu Hilfe. Ist doch nicht dein Problem, sagte sie. Mach doch einfach.

Schließlich wurde gemacht, mürrisch und nicht ohne reichlich Verachtung in Blick und Atmung zu legen.

 

Im Café

Ich würgte mir bis vor einigen Jahren das Essen notfalls versalzen herunter, bevor ich im Restaurant etwas reklamiert hätte. Aber einmal fasste ich Mut. Das war, als in meiner roten Grütze eine tote Wespe steckte, die ich bereits zur Hälfte runtergeschluckt hatte.

Entschuldigen Sie. Ähm, hier ist eine tote Wespe in meiner roten Grütze.

Und was kann ich da tun?

Nichts, Verzeihung, hätte ich gesagt, wäre nicht meine Berliner Begleitung für mich in die Bresche gesprungen.

Ihr eine neue bringen und die Rechnung stornieren, antwortete sie geistesgegenwärtig.

Aber ich habe die Wespe da doch nicht reingetan. Das passiert nun mal. Natur! Sie hob beide Hände in die Luft.

Fassungslos schaute meine Begleitung eine Weile, was die Bedienung wohl unter Einverständnis verbuchte, denn sie ging.

Ist die jetzt gegangen?

Vielleicht holt sie mir ja eine neue!?, sagte ich, wohl wissend, dass mir hier nie und nimmer jemand eine neue rote Grütze bringen würde.

Wir warteten eine Weile, dann schnippste meine Begleitung mit den Fingern.

In der Ruhe liegt die Kraft, sagte die Bedienung, als sie wieder vor uns stand.

Wir würden gerne Ihren Chef sprechen, sagte meine Begleitung. (Ich sagte nichts mehr, solange wir in diesem Café waren.)

Der ist nicht da. Was wollen Sie denn?

Eine neue rote Grütze.

Bring ich Ihnen, sagte sie. Brachte sie auch, und ich aß sie. Mir war klar, dass der letzte Akt des Wespendramas erst mit der georderten Rechnung beginnen würde. Darauf tauchten selbstverständlich zwei rote Grützen auf.

Wir zahlen bestenfalls eine, eigentlich zahlen wir gar keine.

Wieso nicht?

Weil in der einen eine tote Wespe war.

Die hätten Sie ja rauspükern können. Deshalb ist die Grütze trotzdem noch genießbar.

Meine Begleitung schob mit den Kniekehlen den Stuhl nach hinten und zog mich am Pullover hoch.

Ich bezahle hier gar nichts mehr!

Wir gingen. Aus dem Augenwinkel sah ich die verdatterte Bedienung, wie sie verständnislos den Kopf schüttelte.

Meiner Begleitung erklärte ich, dass der Meck-Pommer einfach zu wenig etepetete sei, um sich von einer Wespe das Essen vermiesen zu lassen.

Aber du bist doch auch von hier?

Ja, mir ist die Wespe auch vollkommen wurscht. Ich hätte die Grütze trotzdem gegessen. Ich wohne nur schon zu lange in Berlin. Jeder um mich herum beschwert sich dauernd über irgendwas. In Mecklenburg-Vorpommern beschwert man sich nicht übers Essen. Das ist den meisten auch nicht wichtig genug.

Und was ist wichtig?

Vielleicht, dass der Nachbar grüßt.

 

Achtung! Wenn Sie nur eine Kleinigkeit essen mögen und Sie auf der Speisekarte ein Ragout fin anlacht, bestellen sie bitte kein Ragout fin, sondern ein Ragufengg, ansonsten werden Sie für den Rest ihres Restaurant-Aufenthalts unter den skeptischen und spöttischen Blicken der gesammelten Belegschaft zu leiden haben (eigene Erfahrung).

 

Beim Friseur

Neben Optikern und Schuhläden finden sich in Mecklenburg-Vorpommerns Einkaufstraßen vor allem Friseurläden. Ich stehe nicht auf Friseure. Wenn ich da vor den Spiegeln sitze, weiß ich nicht, wohin ich gucken soll. Ich muss Friseurbesuche von meiner Tagesform abhängig machen, und einmal überraschte mich ein gutes Friseurgefühl mitten in Greifswald.

Einfach so zehn Zentimeter ab. Und am Schnitt orientieren. Bisschen stufen und so.

Okay.

Haare werden gewaschen und gekämmt.

Schon mal über Strähnchen nachgedacht?

Nee.

Würde Ihnen gut stehen.

Nee, nur schneiden.

Meine Oma, die ist jetzt siebenundachtzig und hat sich so rote Strähnchen reinmachen lassen.

Ich wartete darauf, dass sie die Schere ansetzte, aber das tat sie vorerst nicht.

Muss ja nicht rot sein. Wir können auch blonde machen.

Nee, nee, wirklich nicht. Bitte einfach nur so’n Stück ab.

Aber warum? Die Länge steht Ihnen gut.

Ich hab’s lieber ein bisschen kürzer.

Meine Oma findet, dass man auch im Alter mit der Mode gehen muss. Also wie gesagt, es muss ja nicht gleich rot sein.

Vielleicht will Ihre Kollegin mir die Haare abschneiden, sagte ich und sah Hilfe suchend nach rechts, aber die Kollegin war vollauf damit beschäftigt, ihrer Kundin Farbe ins Haar zu pinseln.

Es dauerte eine geraume Zeit, aber letztendlich wurden mir die Haare von diesem sturen Bock geschnitten. Auch wenn es manches Mal etwas länger dauert, irgendwann wird den Wünschen nachgegeben.

Fazit: Persönliche Beratung inklusive Meinung geht in Mecklenburg-Vorpommern vor einfacher Dienstleistung.