Sport und Freizeit
Angeln
Da, wo in den bayrischen und sächsischen Garagen, Dachböden oder Kellern Ski- oder Wanderstöcke lagern, hat der Meck-Pommer eine Angel stehen beziehungsweise mehrere. Als Kind saß er zusammen mit seinem Vater oder dem Großvater in einem Boot, stundenlang, und wartete auf den Biss, wartete auf einen Moment, der später eine rührende Erinnerung oder auch eine handfeste Story hergeben würde. Es ist nämlich gar nicht so, dass sich der Angler und also auch der Meck-Pommer nach Ruhe und Erholung sehnt. Im Grunde wartet er nur auf den Augenblick, in dem ein Biss die Stille zerreißt, er mit all seinen Aggressionen gegen diesen verdammten Hecht kämpfen kann, bis er dem Tier am Ende mit einer Eisenzange auf den Kopf hauen und ihm das Messer ins Herz rammen darf. Zum Abendessen gibt es dann gebratenen Barsch oder den Hecht mit handfester Story. Vielleicht mal einen Zander und im Frühjahr Hornfisch, der die meck-pommerschen Kinder mit seinen grünen Gräten stets in Entzückung versetzt. Manch einen Morgen kommt der Vater vom Aalangeln zurück, weshalb vielen Meck-Pommern die Blechtrommel-Szene, in der die Aale durch den Pferdekopf flutschen, eindringlich im Gedächtnis geblieben ist. In der DDR galt der schlangenartige Fisch beinahe als Ersatzwährung. Mit Aal wurde getauscht und geschmiert.
Mit Einsetzen der Pubertät verweigert man sich dann dem Vater und dem Boot. Viele werden jetzt dem Angeln vorerst den Rücken kehren. Uncool der, der noch angelt, cool, der die Uncoolness darin entdeckt hat, das zu tun, was seine Eltern oder Großeltern auch tun. Dabei attestierten die Tagesthemen der Angelei Trendcharakter: Inzwischen gibt es mehr Angel- als Golfzeitschriften. Vier Millionen Deutsche über vierzehn Jahren, vom Hartz-IV-Empfänger bis zum Topmanager angeln. Ein Viertel der Engländer wirft lieber die Rute aus, als Sex zu haben.
Seit jeher dem Trendcharakter verfallen, vor allem aber auch der Notwendigkeit des Fischens, lebt Mecklenburg-Vorpommern von der Küsten-, Kutter- und Hochseefischerei. Prallvolle Netze sind jedoch selten geworden. Die Fischerei eine mühsame Arbeit, der weitaus weniger Menschen nachgehen als noch zu DDR-Zeiten. Der überfischte Fischbestand hat enorm an Wert verloren. Der Unglücksvogel Kormoran fischt ordentlich mit in Mecklenburg-Vorpommern.
Es gibt zwei TV-Ereignisse, die mir regelmäßig Tränen der Rührung in die Augen treiben. Erstens die Maueröffnung, wie die da alle jubeln und klettern und laufen. Zweitens Mecklenburg-Vorpommerns Fischer, die immer mit leicht gekrümmten Schultern dastehen, als würden sie von einem Steg in ein Boot schauen, und immer müssen sie Dinge sagen wie: Ich kenn so viele Ecken auf der Welt, aber hier würd’ ich nicht wegziehen wollen. Oder: Wenn ick dann een Tied ünnerwegens bün, ward ock wedder Tied, dat ick aufs Land kümm. Oder: Eigentlich ist es hier ja immer so, bis auf ein paar Tage, wo es nicht so ist. Und das is schön so.
Fischerei und Fischwirtschaft sind Teil unserer Identität im Norden, ist auf dem Regierungsportal des Landes zu lesen. Während andere Menschen ihre Identität oder auch den Einfluss ihrer Kindheit per Therapie unter Kontrolle zu bekommen versuchen, beförderte es mich mit Mitte zwanzig in ein Angelseminar, wo ich lernte, dass Angelschnüre ein Gewissen haben und wo beim Barsch der After zu finden ist. Als ich danach das erste Mal wieder eine Angel auswarf, fühlte ich das, was mal jemand in einer Reportage über Reinkarnation zum Ausdruck brachte: Es ist wie nach Hause kommen.
Fortan fuhr ich wieder angeln, stehe manchmal im frühmorgendlichen Nebel in Barhöft und erfreue mich an dem Anblick, wenn das erste Boot die spiegelglatte See in Wallung bringt. Der aus dem Schilf aufsteigende Nebel, Fischerboote am Strand, trocknende Netze an schwarzen Holzschuppen, windzerfetzte kleine Flaggen an den Markierungsbojen, die See, die Schwäne, kurz: Der natürliche Rundumblick scheint mir beim Angeln der größte Spaß zu sein. Eine zusätzliche Freude bereitete mir einmal ein Polizist. Während man in Berlin mit Polizisten über Parkverbote und Fahrradreflektoren diskutieren muss, kann man mit der meck-pommerschen Polizei viel gehaltvollere Unterhaltungen führen:
Ich (mit Angel und flüsternd zu meinem Angelnachbarn): Mist, mein Angelschein liegt zu Hause.
Polizist: Tachchen!
Ich: Tach! Sie werden’s nicht glauben, aber ich habe meinen …
Polizist: Und beißt er??
Ich: Ähm, nö, noch nicht so richtig.
Polizist: Zeigen Sie mal ihren Wurm.
Ich hole die Angel ein.
Polizist: Besorgen Sie sich mal ordentliche Würmer. Die müssen dick sein und sich noch bewegen. Wer soll denn so’n schlaffen Faden da schlucken wollen?
Ich: Okay, mach ich.
Polizist hat seine Schuldigkeit getan und geht.
Wer seit Brokeback Mountain oder Der alte Mann und das Meer Lust hat zu angeln, wer einmal etwas in Deutschland tun möchte, ohne eine Prüfung abzulegen, darf das in Mecklenburg-Vorpommern tun. Man darf angeln ohne Fischereierlaubnisschein. Dafür benötigt man neben der Gewässererlaubnis nur den Touristenfischereischein, der von den örtlichen Behörden für 20 Euro ausgestellt wird und 28 Tage Gültigkeit besitzt. Viele Touristen machen besonders von März bis Mai von dieser Möglichkeit Gebrauch. Dicht an dicht stehen dann all diese Menschen, diese Fremden, diese Angler, auf dem Rügendamm und werfen die Angel mit fünf Haken aus. Sie werfen die Angel mitten in einen Millionenschwarm Heringe, der im Frühjahr zum Laichen zieht – das Silber der Ostsee. Und wahrscheinlich haben Angelschnüre tatsächlich ein Gewissen, denn es grenzt schon an ein Wunder, dass sich diese tausend Schnüre der mitunter weit angereisten Touristen nicht ständig miteinander verheddern oder beim Auswerfen auf den Windschutzscheiben der vorbeifahrenden Autos landen. Von März bis Mai hat der Meck-Pommer den Teller voller Heringe – ob er will oder nicht. Selbst wer nicht angelt, kommt um Heringe nicht herum. Ebay?, fragte mich jemand in Mecklenburg-Vorpommern. Nee, hier wird geräuchert! Geräucherte Heringe nennt man übrigens Bücklinge.
Tipp: Geführte Angeltouren. Da fängt man was, auch wenn man das Fischen bisher nur aus Filmen kannte. Wer sich nicht gern führen lässt, hat im Gebiet der Seenplatte auch als Anfänger gute Chancen, denn hier befinden sich Europas fischreichste Gewässer.
Wer eine Geschichte vom Angeln – und auch von Mecklenburg-Vorpommern – lieber liest, dem sei empfohlen: Traumfang (Andreas Möller)
Fotografieren
Wer früher noch mit der Staffelei ins Kornfeld stieg, um das sagenhafte Licht einzufangen, drückt jetzt auf den Auslöser der Digicam. Mecklenburg-Vorpommern, das Land der Horizonte, ist ein Land für Fotografen. Fotoapparate so weit das Auge reicht, und das reicht in Mecklenburg-Vorpommern schon sehr weit. Dabei sind es nicht nur die Touristen, die alles abschießen, was ihnen im Urlaub vor die Linse kommt, auch bei vielen Einheimischen und besonders den Zugezogenen geht wenig über ein gelungenes Abbild ihrer Heimat, das man gerahmt an die Wand hängen kann.
Als ich siebzehn Jahre alt war, gab es für mich zwei eindrückliche Veranstaltungen in Stralsund: ein Ulla-Meinecke-Konzert (… und ich lehn an der Brüstung vom Balkon über’m Hafencafé, hör die ewige Brandung …) und eine Fotoausstellung des seit über zwanzig Jahren in Stralsund lebenden Fotografen Volkmar Herre. Seine Bildbände tragen Titel wie Alles ist Licht, Erinnerungen des Lichts, Licht im Dunkel, Magie des Lichts, Mit Licht gemalt, Bäume der Insel Vilm, Über Bäume und Steine, Die Kreidefelsen von Rügen (http://www.edition-herre.de). Seine Camera-obscura-Bilder zeigten mir damals ein Mecklenburg-Vorpommern, das mich tief berührte. Mystisch erschien mir meine Heimat durch seine Lochkamera, einsam und naturgewaltig, Licht und Schatten und kein Mensch. Genauso brauchte ich es in der Zeit, in der ich gerne Barbaras Aigle Noir und Depeche Modes Enjoy The Silence hörte. Wer einen Blick in Herres Fotobände wirft, schaut der Natur Mecklenburg-Vorpommerns tief in die Augen.
Die Touristen hingegen fotografieren sehr gerne Möwe über Boot, Himmel über Meer, Ich-selbst-im-Rapsfeld und am allerliebsten Leuchttürme, an denen der Blick in der flachen Landschaft stets hängen bleibt. Kein Leuchtturm kommt ungeknipst davon. Die Funktion der meck-pommerschen Leuchttürme wurde von einem Fischer im nüchternen Tonfall wie folgt erklärt: Die meisten sind für die kleineren Boote. Und eben fürs Herz. Was macht die Faszination Leuchtturm aus? Ach, die bieten schon so eine gewisse Sicherheit, hörte ich eine Dame am Kap Arkona sagen. Bei deinem Orientierungssinn, konterte ihr Mann, könnte der blinken, wie er wollte, und du würdest trotzdem in eine andere Richtung fahren. Und dann fotografierte er seine Frau, wie sie breit grinsend vor Mecklenburg-Vorpommerns merkwürdigem Leuchtturmpaar steht, das neben dem Kreidefelsen zugleich DAS Topfotomotiv des Landes ist. Entgegen Tucholskys Behauptung: Man möchte immer eine große Lange, und dann bekommt man eine kleine Dicke – C’est la vie, bekam beim meck-pommerschen Topfotomotiv der dicke Kleine einen großen Langen. Ganz nah stehen zwei Leuchttürme am Kap Arkona, so nah, dass sie Händchen halten könnten, wenn sie welche hätten. Aber Leuchttürme haben keine Händchen, und doch können sie einen berühren.
Und des Leuchtturms Strahlen segnen eine freundliche Gesundheit … (Ringelnatz)
Golfen
Was nicht Meer, nicht Feld und nicht Hotelanlage ist, ist in Mecklenburg-Vorpommern neuerdings Golfplatz. Neben dem Angeln hält damit eine weitere Trendsportart Einzug in das Bundesland. Wir Meck-Pommer spielen gerne Minigolf, aber der echte Golfsport, der Sport der Reichen, was hat der bitte in Mecklenburg-Vorpommern verloren? Die Einwohner selbst beäugen die neuen Golfplätze, die Greens, mit Argwohn, so wie sie in den Anfängen der Seebäder fassungslos dem Treiben der Badegäste gegenüberstanden. Pfff, heißt es heute. Zu modern, zu elitär, zu teuer, zu überflüssig, zu Kinkerlitzchen ist ihnen der Golfsport. Aber sie wissen auch, er lockt Touristen. Den Golfern gefällt’s hier nämlich ganz ausgesprochen gut. Auf hochmodernen Anlagen in atemberaubender Kulisse können die Reichen die kleinen weißen Bälle in den Wind schießen (Zitat). Der Golf und Country Club Fleesensee zählt zu den golfischen Topadressen des Landes. Als größtes Urlaubs- und Freizeitressort Nordeuropas bietet er Golfvergnügen mit zweiundsiebzig Löchern und seltsamen Dingen wie beheizten Abschlägen, über die der Meck-Pommer nur den Kopf schütteln kann. Auf Poel können Golfer dank Computersimulation und großer Leinwand auf berühmten Plätzen in den USA oder Dubai spielen. Und wer selbst keine Zeit hat, seine Träume zu verwirklichen, der schickt sein Kind nach Mecklenburg-Vorpommern, ins deutschlandweit erste Golfinternat (http://www.golfclub-fleesensee.de).
Nachtleben
Am besten ist man beraten, wenn man in Mecklenburg-Vorpommern nachts einfach schläft, vor allem wenn es sich um die Jahreszeiten Herbst, Winter und Frühling handelt. An lauen Sommerabenden findet sich bestimmt ein Plätzchen im Urlaubsort, an dem schwer was abgeht, wo man sich einen Pullover um die Schultern legen und noch ein Gläschen trinken kann. Die große Tradition der Sommerkonzerte ermöglicht, in einer nahen Kirche ein hübsches Konzert anzuhören, und sicher kann man in irgendeiner Hotelbar das Tanzbein schwingen. Vielleicht gibt es sogar eine Lichtershow, bei der, wie zur Stralsunder Ozeaneum-Eröffnung, ein paar verlassene Leuchtdioden auf dem Wasser herumschwimmen. Im Sommer kommt man jedenfalls ganz gut durch die Nacht. Als Tourist werden Sie nicht allzu viel missen, wenn Sie sich vorher schon mal mit dem Gedanken vertraut gemacht haben, nach Meck-Pomm zu fahren und nicht nach Malle oder Kölle.
Es gibt eine ganz einfache Rechnung:
Schminken Sie sich Sylter Promipartys auf Rügen ab, und schminken Sie sich Kinofilme jenseits der Blockbuster ab, und schminken Sie sich Alternativen ab, wenn Sie länger als sieben Tage bleiben, dann werden Sie nicht enttäuscht sein.
Sicher sind Sie skeptisch. Sie befürchten, vor Langeweile wie Virginia Woolf mit Steinen in der Tasche ins Wasser zu gehen. Aber vertrauen Sie ein bisschen der Natur. Die weiß, was sie tut, und hat alles unter Kontrolle. So lässt sie Sie essen, wenn Sie Hunger haben, und schlafen, wenn Sie müde sind. Das Reizklima wird auf natürliche Weise dafür sorgen, dass Sie des Nächtens nicht das Bedürfnis haben, durch die Straße zu tigern und die ultimative Party finden zu müssen. Sie werden todmüde in das weiche Doppelbett ihrer Ferienwohnung oder das nagelneue steinharte Hotelluxusbett sinken, um am nächsten Morgen festzustellen, dass Sie schon lange nicht mehr so tief und fest geschlafen haben. Die Nachfrage bestimmt schließlich das Angebot. Was zuerst da war beziehungsweise nicht da war, der Schlaf oder ein rauschendes Nachtleben, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten.
Die etwas fetzigere Variante des Nachtlebens in Mecklenburg-Vorpommern plant man in der Rügenumgebung mit der Ozelot, der wöchentlichen Beilage der Ostseezeitung. Sie ist der Szeneführer, der seine Veranstaltungstipps allerdings auch mit der 300 Kilometer Partyzone aufpeppt, also auch Berlin und Hamburg berücksichtigt.
Tipp: Nächtliche Spaziergänge in der Natur.