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Die tollste Familie, von der je erzählt wurde

Über Der Mann, der seine Kinder liebte

von Christina Stead

Es gibt jede Menge Gründe, warum Sie Der Mann, der seine Kinder liebte nicht lesen sollten. Zunächst einmal ist es ein Roman; und sind wir nicht in den vergangenen ein, zwei Jahren alle quasi zu der heimlichen Übereinkunft gelangt, dass Romane in die Ära der Zeitungen gehören und auch den Weg aller Zeitungen gehen, nur schneller? Wie ein alter Freund von mir, seines Zeichens Englischprofessor, gerne sagt, hat es mit Romanen eine eigenartige moralische Bewandtnis, plagt uns doch das schlechte Gewissen, wenn wir nicht mehr von ihnen lesen, aber auch, wenn wir so frivol sind, es überhaupt zu tun; und wären wir nicht alle froh um die eine Sache weniger, die uns ein schlechtes Gewissen bereitet?

Der Mann, der seine Kinder liebte zu lesen wäre nun ein besonders frivoler Zeitvertreib, weil es darin selbst nach Roman-Maßstäben um nichts weltgeschichtlich Bedeutendes geht. Vielmehr handelt das Buch von einer Familie, einer außergewöhnlichen und sehr seltsamen noch dazu, und die wenigen Passagen, die nicht von ihr handeln, sind die uninteressantesten. Der Roman ist außerdem ziemlich lang, bisweilen redundant und in der Mitte unbestreitbar zäh. Überdies kommt man nicht umhin, den Familienjargon lesen zu lernen, ein vom titelgebenden Vater erdachtes und verordnetes Idiom, und obwohl die Lernkurve nicht annähernd so steil ist wie bei Joyce oder Faulkner, wird man doch im Grunde aufgefordert, sich eine Sprache anzueignen, die ausschließlich dazu taugt, Vergnügen an diesem einen Buch zu finden.

Schon das Wort Vergnügen: Trifft es überhaupt zu? Auch wenn die Qualität der Prosa von gut bis fabelhaft reicht – im wahrsten Sinne lyrisch ist, denn jede Beobachtung und Beschreibung strotzt von Gefühl, Bedeutung, Subjektivität – und der Handlungsaufbau diskrete Meisterschaft beweist, operiert das Buch auf einer Stufe seelischer Gewalt, gegen die sich Zeiten des Aufruhrs wie Alle lieben Raymond ausnimmt. Schlimmer noch: Es macht sich permanent über diese Gewalt lustig! Wer hat es nötig, so etwas zu lesen? Ist nicht die Kernfamilie, zumindest ihre seelisch gewalttätige Seite, gerade das, wovor wir alle zu fliehen versuchen – der höllische Reaktor, in den wir als Schüler, wenn tatsächliche Flucht nicht in Frage kommt, die Graphitstäbe unserer (neuen) Spielereien und Zerstreuungen und Nachmittagsbeschäftigungen zu stecken gelernt haben, um die Reaktion zu kühlen? Der Mann, der seine Kinder liebte ist rückschrittlich genug, ein Verhalten, das wir «Misshandlung» nennen würden, als ein natürliches Merkmal der familiären Landschaft hinzustellen, noch dazu als ein potenziell komisches, und eine Kluft zwischen Erwachsenen und Kindern zu postulieren, die über deren unterschiedliche Konsumvorlieben weit hinausgeht. Das Buch drängt sich in unsere besser geordnete Welt wie ein böser Traum aus der großelterlichen Vergangenheit. Seine Auffassung von einem guten Ausgang ist in der Romanliteratur einzigartig und auch von der Ihren wahrscheinlich weit entfernt.

Und dann wären da ja auch noch Ihre E-Mails: Müssten Sie sich nicht erst mal damit befassen?


Im Oktober 2010 ist es siebzig Jahre her, dass Christina Stead ihr Meisterwerk veröffentlichte, dem glanzlose Besprechungen und dürftige Absatzzahlen beschieden waren. Mary McCarthy schrieb für The New Republic eine besonders ätzende Kritik, in der sie die Anachronismen des Romans und seine mangelhafte Durchdringung amerikanischer Lebenswirklichkeit anprangerte. Stead war in der Tat erst knapp vier Jahre zuvor in die Vereinigten Staaten gekommen, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten William Blake, einem amerikanischen Marxisten, Schriftsteller und Geschäftsmann, der sich um die Scheidung von seiner Frau bemühte. Stead war in Australien aufgewachsen und 1928, im Alter von fünfundzwanzig Jahren, entschlossen aus dem Land geflüchtet. Sie und Blake hatten in London, Paris, Spanien und Belgien gelebt, während sie ihre ersten vier Bücher schrieb; das vierte, House of All Nations, war ein monumentaler, unzugänglicher Roman über das internationale Bankwesen. Bald nach ihrer Ankunft in New York machte Stead sich daran, ihre unglaubliche australische Kindheit literarisch zu verarbeiten. In der East 22nd Street, unweit vom Gramercy Park, schrieb sie in weniger als achtzehn Monaten Der Mann, der seine Kinder liebte. Ihrer Biographin Hazel Rowley zufolge siedelte Stead die Handlung des Romans auf Drängen des Verlags in Washington D. C. an; man sei bei Simon & Schuster nicht der Meinung gewesen, dass amerikanische Leser sich für Australier interessieren würden.

Wer zu diesem späten Zeitpunkt noch einmal die Aufmerksamkeit auf den Roman lenken möchte, der müht sich im Schatten der ausführlichen, brillanten Einleitung, die der Dichter Randall Jarrell für die Neuauflage von 1965 geschrieben hat. Erstens könnte niemand das Buch umfassender und präziser würdigen, als Jarrell es bereits getan hat; und zweitens: Wenn es einem so kraftvollen Appell wie dem seinen nicht gelungen ist, die Welt für diesen Roman zu begeistern, und das in einer Zeit, als Literatur in unserem Land noch einigermaßen ernst genommen wurde, dann spricht wenig dafür, dass es heute gelingen könnte. Allerdings wäre Jarrells Einleitung selbst ein sehr guter Grund, den Roman zu lesen, zumal man auf diese Weise daran erinnert würde, wie hervorragende Literaturkritik einmal ausgesehen hat: leidenschaftlich, persönlich, unparteiisch, fundiert und an gewöhnliche Leser gerichtet. Jeder, dem die Literatur noch etwas bedeutet, könnte dabei wehmütig werden.

Jarrell, der im Zusammenhang mit Stead wiederholt auf Tolstoi verwiesen hat, tat zweifellos alles, was in seiner Kraft stand, um ihr einen Platz im westlichen Kanon zu verschaffen, und ist damit zweifellos gescheitert. Eine 1980 veröffentlichte Studie der hundert meistzitierten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, die sich auf wissenschaftliche Erwähnungen in den späten siebziger Jahren gründet, führt Margaret Atwood, Gertrude Stein und Anaïs Nin auf, nicht aber Christina Stead. Das wäre weniger erstaunlich, würden Stead und ihr bester Roman nach akademischer Kritik jeder Couleur nicht förmlich schreien. Besonders verwunderlich scheint, dass Der Mann, der seine Kinder liebte nicht zu einem Grundlagentext in jedem Frauenforschungsstudiengang des Landes geworden ist.

Auf der einfachsten Ebene erzählt der Roman die Geschichte eines Patriarchen, Sam Pollit – Samuel Clemens Pollit –, der sich seine Frau Henny unterwirft, indem er sie sechsmal schwängert, und der seine Nachkommenschaft mit endlosen Fluten von erfundenen Wörtern, spinnerten Haushaltsprojekten und Ritualen verführt und betört, allesamt dazu gedacht, ihn die Sonne sein zu lassen (er ist strahlend weiß und hat hellblondes Haar), um die sich die Pollit-Welt dreht. Tagsüber ist Sam ein ehrgeiziger, idealistischer Beamter in Roosevelts Washington. Abends und an den Wochenenden ist er der hyperkinetische Herr des heruntergekommenen Einfamilienhauses in Georgetown; er ist «Mr. Großmaul Allmächtig» (Hennys Ausdruck), «Mr. Überall-und-Nirgends» (ebenfalls Henny); er ist «Sam der Kühne» (so nennt er sich selbst), der sich durch alle Poren seiner Kinder in ihr Innerstes hineindrängt. Er lässt sie nackt herumlaufen, spuckt ihnen zerkautes Brot in den Mund (um ihr Immunsystem zu stärken), bleibt ungerührt, als er erfährt, dass sein Jüngster seine eigenen Exkremente verzehrt (das sei nur «natürlich»). Seiner Schwester, einer Lehrerin, erklärt er: «Selbst die Schulpflicht ist nicht einzusehen, solange ihnen ein Vater wie ich zur Seite steht.» Zu den Kindern selbst sagt er Dinge wie «Du bist ich» oder: «Wenn ich der Sonne sage, ‹Du kannst scheinen›, dann scheint sie auch, oder etwa nicht?»

In einem aberwitzigen Ausmaß macht Sam seine Kinder zu Accessoires und Instrumenten seines Narzissmus. Es gibt in der gesamten Literatur keinen lächerlicheren Narzissten als ihn, und in guter narzisstischer Manier bleibt Sam, der sich selbst als Propheten von «Weltfrieden, Weltliebe, Weltverständnis» betrachtet, glücklich blind für das Elend und die Ärmlichkeit seiner Lebensverhältnisse. Er ist ein perfektes Beispiel für den westlich-rationalen Butzemann, den eine bestimmte Art der Literaturkritik auf dem Kieker hat. Dank des schönen, eher zufälligen Umstands, dass Stead gezwungen war, den Roman in Amerika spielen zu lassen, konnte sie Sams Imperialismus und seinen unschuldigen Glauben an die eigenen guten Absichten direkt auf die der Stadt abpausen, in der er arbeitet. Er ist buchstäblich der «große weiße Vater», ist buchstäblich Onkel Sam. Er stellt jene Art von Menschenfeind dar, der die Weiblichkeit als Abstraktion zwar liebt, sich von einer Frau aus Fleisch und Blut aber «hinuntergezogen» fühlt, «hinabgezerrt auf den Boden», und der findet, Frauen seien zu verrückt, um wählen gehen zu dürfen. Und doch ist er, obschon monströs, kein Monster. Steads Kunst besteht darin, dass sie Seite um Seite die kindliche Bedürftigkeit und Schwäche im Kern seiner übermächtigen Männlichkeit spürbar macht und den Leser dazu bewegt, Mitleid mit ihm zu empfinden, ihn zu mögen und, folglich, auch komisch zu finden. Die Sprache, die er zu Hause spricht – ähnlich wie Babysprache, nur seltsamer –, ist ein endloser erfindungsreicher Schwall von Alliterationen, Nonsens-Reimen, Wortspielen, Running Gags, aufeinanderprallenden Stilebenen und privaten Anspielungen, dem man mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten nicht gerecht werden kann. Wie sein bester Freund bewundernd zu ihm sagt: «Sam, wenn du sprichst, erschaffst du eine neue Welt.» Seine Kinder sind von seinen Worten verzaubert und zugleich auf eine vernünftigere Art als er erwachsen. Wenn er ekstatisch eine zukünftige Form des Reisens beschreibt – er nennt sie Projektion durch Dematerialisierung –, bei der die Passagiere «in Röhren geschossen und dann zerlegt» werden, bemerkt sein ältester Sohn trocken: «Aber dann würde niemand mehr reisen.»

Die nicht beweglichen Objekte, die Sams unwiderstehlicher Kraft entgegenwirken, sind Henny und ihre Stieftochter Louisa, das Kind seiner verstorbenen ersten Frau. Henny ist die verwöhnte, amoralische und jetzt opernhaft leidende Tochter einer wohlhabenden Familie aus Baltimore. Der Hass zwischen den Eheleuten wird noch dadurch geschürt, dass beide wild entschlossen sind, den anderen nicht gehen und die Kinder mitnehmen zu lassen. Ihr totaler Krieg, von wachsenden Geldnöten weiter verschlimmert, ist der narrative Motor des Romans, und auch hier bewahrt gerade die extreme Ausprägung ihres Hasses diesen vor der Monstrosität – verleiht ihm vielmehr Komik. Die nervenschwache, ausgelaugte, doppelzüngige Henny, zu «schwarzen Blicken» und noch schwärzeren Stimmungen neigend, ist die «hässliche alte Schachtel» (ihr Ausdruck), die ihren Kindern wirklichkeitsgesättigtes Gift in die eifrig gespitzten Ohren gießt. Ihre Sprache ist von neurotischem Schmerz und Trübsinn genauso voll wie Sams, die von unrealistischer Liebe und Zuversicht strotzt. Der Erzähler stellt fest: «Ein Spaten war für ihn ein Vorläufer der modernen Landwirtschaft, während sie von einer Dreckschaufel sprach: Sie besaßen keinen gemeinsamen Wortschatz, mit dessen Hilfe sie sich hätten verständigen können.» Und Henny sagt zu Sam: «Wie verträgt sich deine Wahrheitsliebe eigentlich damit, andere Leute mundtot zu machen?» Und: «Er schwafelt ständig von der Gleichheit der Menschen und ihren natürlichen Rechten, von morgens bis abends bekomme ich nichts anderes zu hören. Und wie steht es mit den Rechten der Frauen, würde ich ihm am liebsten entgegenschreien.» Aber sie schreit es ihm nicht direkt entgegen, denn die beiden sprechen seit Jahren nicht mehr miteinander. Stattdessen hinterlässt sie knappe Nachrichten an «Samuel Pollit», und sie wie er benutzen die Kinder als Boten.

Während der Krieg zwischen Sam und Henny im Vordergrund des Romans steht, bildet das sich verschlechternde Verhältnis von Sam zu seiner ältesten Tochter Louie den immer weniger geheimen Spannungsbogen. Viele gute Romanciers schreiben ein komplettes gutes Œuvre, ohne uns eine einzige unauslöschliche, archetypische Figur zu hinterlassen. Christina Stead schenkt uns mit einem einzigen Buch gleich drei, von denen Louisa, genannt Louie, die liebenswerteste und rätselhafteste ist. Sie ist ein großes, dickes, trampeliges Mädchen, das sich selbst für ein Genie hält; «Ich bin das hässliche Entlein, du wirst schon sehn», schreit sie ihren Vater an, als der sie quält. Wie Randall Jarrell bemerkt, sind zwar viele, wenn nicht gar alle Schriftsteller als Kinder hässliche Entlein gewesen, aber nur wenige bis gar keine haben diese leidvolle Erfahrung so ehrlich und umfassend behandelt wie Stead. Louie ist infolge ihrer Tollpatschigkeit andauernd mit Kratzern und blauen Flecken übersät, ihre Kleidung infolge ihrer Unfälle andauernd fleckig und zerrissen. Nur die zweifelhaftesten Nachbarn freunden sich mit ihr an (für eine von ihnen, die alte Mrs. Kydd etwa, ist sie in einer der hundert spektakulären kleinen Szenen des Romans bereit, eine unerwünschte Katze in der Badewanne zu ertränken). Louie wird wegen ihrer Schlampigkeit von beiden Elternteilen permanent gescholten: Dass sie nicht hübsch aussieht, ist ein furchtbarer Schlag für Sams Narzissmus, während ihre weltferne Selbsteinschätzung sie für Henny wie eine unerträgliche Zweitausfertigung von Sam erscheinen lässt («Sie kriecht, ich kann sie kaum berühren, sie stinkt nach Schmutz und Schleim – sie merkt es nicht einmal!»). Louie versucht unentwegt, sich nicht in die krank machenden Spiele ihres Vaters hineinziehen zu lassen, aber weil sie noch ein Kind ist und weil sie ihn liebt und weil er eben wirklich unwiderstehlich ist, demütigt sie sich immer wieder selbst, indem sie kapituliert.

Zunehmend deutlich jedoch erweist sich Louie als Sams wahre Nemesis. Sie beginnt, ihn auf dem Feld der gesprochenen Sprache herauszufordern, etwa in der Szene, in der er über die harmonische Einheit der künftigen Menschheit referiert:

«Mein System», fuhr Sam fort, «das ich selbst erfunden habe, könnte Monomann oder Allmenschheit heißen!»

Evie [Sams jüngere Lieblingstochter] lachte verlegen, unsicher, ob es richtig war. Louisa sagte: «Du meinst wohl Monomanie.»

Evie kicherte und wurde dann plötzlich blass, entsetzt über sich selbst.

Sam sagte kühl: «Wenn du so guckst, Lulu, siehst du wie eine Ratte aus der letzten Gosse aus. Monomann ist der Zustand, den die Welt erlangt, nachdem alle degenerierten Sonderlinge ausgemerzt sind.» Seine Stimme bekam etwas Bedrohliches.

Als sie später in die Pubertät kommt, führt Louie Tagebuch, notiert aber keine wissenschaftlichen Beobachtungen (wie Sam es vorgeschlagen hat), sondern verdeckte, kunstvoll verschlüsselte Anschuldigungen an ihren Vater. Als sie sich in eine ihrer Lehrerinnen, Miss Aiden, verliebt, macht sie sich daran, den sogenannten Aiden-Zyklus zu verfassen, eine Reihe von Gedichten an Miss Aiden in «jeder denkbaren Form und jedem denkbaren Metrum» der englischen Sprache. Als Geschenk für ihren Vater zu dessen vierzigstem Geburtstag schreibt sie eine einaktige Tragödie, Herpes Rom, in der eine junge Frau von ihrem Vater, der teilweise eine Schlange zu sein scheint, gewürgt wird; da Louie noch keine Fremdsprache spricht, verwendet sie eine Sprache, die sie sich selbst ausgedacht hat.

Während der Roman auf der Handlungsebene diversen Katastrophen zustrebt (Henny wird ihren langen Krieg schließlich verlieren), besteht seine innere Geschichte aus Sams Bemühungen, Louie festzuhalten und ihre Privatsprache zu zerstören. Immer wieder schwört er, ihren Geist zu brechen, behauptet, direkten telepathischen Zugang zu ihren Gedanken zu haben, beharrt darauf, dass sie Naturwissenschaftlerin werden und ihn bei seiner altruistischen Mission unterstützen solle, und nennt sie «mein dummes, kleines Lululein». Vor den versammelten anderen Kindern zwingt er sie, ihr Tagebuch zu entschlüsseln, damit alle sie auslachen. Er rezitiert Gedichte aus dem Aiden-Zyklus, über die er ebenfalls lacht, und als Miss Aiden einmal zum Essen zu den Pollits kommt, macht er sie Louie streitig, indem er ununterbrochen auf die Lehrerin einredet. Nachdem Herpes Rom aufgeführt worden ist, urkomisch und unverständlich, und Louie ihrem Vater die englische Übersetzung vorgelegt hat, verkündet Sam sein Urteil: «Etwas so Dämliches hab ich ja noch nie gesehen.»

In einem Werk von geringerem Rang läse sich all dies womöglich wie eine düstere, abstrakte feministische Parabel, doch Stead hat bereits den Großteil des Buches darauf verwendet, die Pollits einzigartig und realistisch und witzig sein zu lassen und sie zu Charakteren zu machen, die so gut wie alles sagen und tun können; insbesondere hat sie verdeutlicht, welches Problem die Liebe für Louie darstellt (wie sehr sie sich, trotz allem, nach der bedingungslosen Zuneigung ihres Vaters sehnt), und so wird die Abstraktion unweigerlich konkret, die einander bekriegenden Archetypen bekommen das Fleisch des Mitgefühls auf die Knochen: Wir können nicht umhin, uns durch Louisas blutigen Seelenkampf mitschleifen zu lassen, in dem es für sie darum geht, sie selbst zu werden, und wir können nicht umhin, ihren Triumph zu bejubeln. Wie der Erzähler nüchtern bemerkt: «Das war das Familienleben.» Und eben dazu, die Geschichte dieses inneren Lebens zu erzählen, sind Romane, und nur Romane, da.


Zumindest war das einmal so. Denn haben wir dieses ganze Zeug nicht hinter uns gelassen? Hochmütig-tyrannische Männer? Kinder als Accessoires des Narzissmus ihrer Eltern? Die Kernfamilie als rechtsfreie Zone seelischer Misshandlung? Wir sind doch den Krieg zwischen den Geschlechtern und zwischen den Generationen leid, weil diese Kriege so hässlich sind, und wer möchte schon in den Spiegel eines Romans blicken und solche Hässlichkeit sehen? Wie viel besser werden wir uns fühlen, wenn wir aufhören, unsere peinlichen privaten Familiensprachen zu sprechen! Die Abwesenheit literarischer Schwäne scheint ein kleiner Preis für eine Welt zu sein, in der hässliche Entlein zu großen hässlichen Enten heranwachsen, die wir dann übereinstimmend schön finden können.

Aber die Kultur ist ja nicht monolithisch. Obwohl Der Mann, der seine Kinder liebte wahrscheinlich für ein Massenpublikum zu schwierig ist (schwierig zu verdauen, schwierig zu mögen), ist er ganz sicher weniger schwierig als andere Romane, die auf den College-Lektürelisten stehen, und gehört zu jener Sorte Büchern, die man, wenn man sie mag, wirklich mag. Ich bin davon überzeugt, dass Zehntausende Menschen in diesem Land den Tag loben würden, an dem dieses Buch erschienen ist, wenn sie nur die Chance bekämen, es zu lesen. Ich wäre vielleicht selbst nie darauf gestoßen, wenn meine Frau es nicht 1983 in der öffentlichen Bücherei von Somerville, Massachusetts, entdeckt und als das wahrhaftigste Buch bezeichnet hätte, das sie je gelesen habe. Immer wenn ich ein paar Jahre lang nicht hineingeschaut habe und erwäge, es noch einmal zur Hand zu nehmen, fürchte ich, dass ich mich geirrt haben könnte, weil die Welt der Literatur, der Wissenschaft und der Buchclubs ihm so wenig Beachtung zuteilwerden lässt. (Beispielsweise gibt es gegenwärtig, da ich dies schreibe, 177 Amazon-Kundenrezensionen zu Virginia Woolfs Zum Leuchtturm, 312 zu Thomas Pynchons Die Enden der Parabel und 409 zu Joyces Ulysses; zu Der Mann, der seine Kinder liebte, einem wesentlich leichter zugänglichen Buch, haben sich nur 14 Kunden geäußert.) Ich schlage es mit einer gewissen Beklemmung auf, dann lese ich fünf Seiten, bin wieder mittendrin und merke, dass ich mich überhaupt nicht geirrt habe. Ich fühle mich, als wäre ich nach Hause gekommen.

Mein Verdacht ist, dass Der Mann, der seine Kinder liebte auch deshalb aus dem Kanon verbannt bleibt, weil Christina Stead den Ehrgeiz hatte, nicht «wie eine Frau», sondern «wie ein Mann» zu schreiben: Den Feministinnen sind ihre Vorbilder zu fragwürdig, und allen anderen ist sie nicht männlich genug. Der Vorläufer dieses Romans, House of All Nations, hat größere Ähnlichkeit mit einem Gaddis, ja sogar mit einem Pynchon, als jeder andere von einer Frau geschriebene Roman aus dem 20. Jahrhundert. Stead war nicht damit zufrieden, ihren separaten Frieden zu finden, indem sie in ihrem Zimmer blieb. Sie wollte mit anderen konkurrieren wie ein Sohn, nicht wie eine Tochter, und in ihrem besten Roman musste sie zu den Ursprungsszenen ihres Lebens zurückkehren und ihren eloquenten Vater in seinem eigenen Spiel besiegen. Und auch das ist eine Peinlichkeit, denn so zentral das Konkurrenzdenken im System der freien Marktwirtschaft, in dem wir leben, auch sein mag, es sich persönlich zu eigen zu machen und unverhüllt davon zu sprechen ist äußerst wenig schmeichelhaft (der sportliche Wettbewerb bildet nur die Ausnahme, die die Regel bestätigt).

In den Interviews, die Stead gegeben hat, sprach sie manchmal offen darüber, wie unmittelbar und gänzlich autobiographisch ihr Roman sei. Letzten Endes ist Sam Pollit ihr Vater, David Stead. Sams Ideen, seine Stimme und seine häuslichen Arrangements sind allesamt die von David, wurden von Australien nach Amerika verlegt. Und wo Sam sich in eine unschuldige Kind-Frau verliebt, nämlich Gillian, die Tochter eines Kollegen, verfiel der David des wirklichen Lebens einem hübschen Mädchen in Christinas Alter, Thistle Harris, mit der er eine kurze Affäre hatte, später zusammenlebte und die er schließlich, nach vielen Jahren, heiratete. Thistle war der schmeichelnde Spiegel und die schöne Gefolgsfrau, die Christina ihm nie sein konnte, und sei es nur, weil sie zwar nicht dick wie Louie, aber auch nicht im entferntesten hübsch war. (Rowleys Biographie enthält Bilder, die das bezeugen.)

Im Roman ist Louies Aussehen ein Schlag für ihren Narzissmus. Dass sie dick und reizlos ist, schützt sie wohl davor, sich wie ihr Vater selbst etwas vorzumachen, treibt sie zur Ehrlichkeit an und rettet sie. Doch der Schmerz, den sie erlebt, weil niemand sie gerne anschaut, am wenigsten ihr Vater, speist sich gewiss aus Christina Steads eigenem Schmerz. Ihr bester Roman erscheint letztlich als ein Geschenk der Tochter an ihren Vater, die diesem damit ihre Liebe und Solidarität beweist: Siehst du, ich bin wie du, ich habe eine Sprache gefunden, die deiner ebenbürtig, ja überlegen ist – worin freilich auch der glühende Hass der Rivalin zum Ausdruck kommt. Als Louie ihrem Vater sagt, sie habe noch nie jemandem erzählt, wie es bei ihnen zu Hause zugehe, erklärt sie das mit den Worten: «Keiner würde mir glauben!» Doch die erwachsene Christina Stead hat einen Weg gefunden, es so zu beschreiben, dass ihre Leser ihr durchaus glauben. Die mündige Schriftstellerin spiegelt all das, was ihr Vater und Sam Pollit am wenigsten gern gespiegelt sehen wollten; und als der Roman herauskam, schickte sie zwar ein Exemplar nach Australien, aber nicht an die Adresse von David Stead, sondern von Thistle Harris. Die Widmung lautete: «Für die liebe Thistle. Ein Strindberg’scher Robinson. In mancher Hinsicht ein persönlicher Brief an Thistle von Christina Stead.» Ob David selbst das Buch je gelesen hat, ist nicht bekannt.


(Übersetzt von Bettina Abarbanell)