13. KLÄREN SIE NICHT AUF!
Das Einzige, was niemand glauben will, ist die Wahrheit.
George Bernard Shaw
Vorstellungen sind auch ein Leben und eine Welt.
Georg Christoph Lichtenberg
Die Aufklärung war ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit. Und sie ist erst knapp zweihundert Jahre her. Vergessen Sie das nicht.
Die Aufklärung ist aber nicht der Weisheit letzter Schluss. Die Aufklärung ist wie der Lehrer, der dir sagt: „Lerne die Vokabel, du brauchst sie", während du an das hübsche Mädchen oder den tollen Sportler denkst. Das heißt, die Aufklärung tut das Richtige, erreicht dich aber nie wirklich …
Es gibt einen kleinen Bruder der Aufklärung, den Idealismus, geschaffen von Schiller, dem größten Dramatiker der Deutschen. Der Idealismus ist zutiefst verpönt, Idealisten gelten als Fantasten, als Träumer, als unrealistische Spinner. Tatsächlich ist das ein falsches Label, das da dem Idealismus übergestülpt wird, denn der Idealismus sagt eigentlich nur aus:
Du musst erkennen, was es dir bringt, das zu tun, was du tust.
Nicht jemand anderes muss es dir sagen, sondern du sagst es dir selbst, weil dein Nutzen aus der Tat dir völlig einsichtig ist.
Idealisten gelten deshalb als Träumer, weil sie oft Künstler sind, die eben aus Begeisterung sich einer Sache verschrieben haben, ohne die Realität zu beachten.
Tatsächlich können Sie den Idealismus aber auf jede Beziehung, jede Hierarchie und jede Kommunikation unter Menschen übertragen:
Jemanden aufzuklären, ihm zu sagen, tu dies nicht, tu das, ist, wenn es in guter Absicht geschieht, zwar ein Fortschritt und lobenswert, es ist aber bei Weitem nicht so effektiv, wie die eigene Einsicht, die ideale Position zur einer Tat.
Setzen Sie auf den Idealismus bei den Menschen! Aufklären ist dem Idealismus gegenüber nur eine Krücke. Natürlich erreichen nur die wenigsten Menschen den Zustand, in dem sie idealerweise einsehen, was sie tun müssen, um glücklich zu werden, aber dies ist eben eine Lebensaufgabe. Wollen Sie das für andere übernehmen?
Aufklären ist nur eine kleine Hilfe, ein frommer Versuch, zu helfen; verändern tun sich die Menschen nur durch Einsicht.
Was hier wie eine Binsenweisheit klingt, wird aber tagtäglich praktiziert:
Wir sehen Menschen trinken, rauchen, Zeit vergeuden, sich das Hirn mit Billig-Entertainment verkleben; aber wir bleiben still, zum einen, weil wir denken, Aufklären sei wie predigen, es bringe eigentlich nichts – andererseits haben wir auch instinktiv verstanden, dass nur Einsicht Veränderung bewirkt.
Deshalb tun wir es unbewusst und sagen nichts. Eigentlich haben wir damit schon längst der Aufklärung eine Absage erteilt und sind alle zu Idealisten geworden. Bringen Sie Menschen deshalb nicht ungefragt zum Denken!
Denken ist anstrengend und die Belohnung ist nur der Gedanke selbst: Die Erkenntnis. Die Erkenntnis ist wertvoll, lässt sich aber nicht materialistisch ausdrücken. Wenn Sie sich körperlich anstrengen, wenn Sie fit sind, werden Sie sofort anerkannt. Man wirft Ihnen bewundernde Blicke zu. Die Belohnung hat eine direkte Auswirkung auf Sie und Ihr Umfeld.
Das Denken aber hat nur eine Auswirkung auf Sie. Und dann noch eine ziemlich folgenlose. Was ändert sich denn, wenn Sie Kants Vorstellung von der Welt wirklich verstanden haben?
Ihre Umwelt wird darauf überhaupt nicht reagieren. Trotzdem hat es Sie vielleicht mehr Kraft und Konzentration gekostet als drei Monate Fitnesstraining. Und diese Erfahrung haben viele Menschen gemacht. Deshalb ist das Denken so verpönt. Einsichten und Erkenntnisse werden nicht honoriert, im Gegenteil: Sie isolieren uns.
Damit müssen wir uns abfinden, aber der Gedanke ist nicht schön und deshalb ist das Denken auf der Beliebtheitsskala eher im roten Bereich zu finden. Schließen wir mit Goethe: „Handeln ist leicht, Denken schwer; nach dem Gedanken handeln unbequem.“
Böser Ratschlag Nr. 13: Akzeptieren Sie es, wenn Menschen Dummes tun. Klären Sie nicht auf! Sie erreichen nur das Gegenteil. Statt Ihrer Predigt müssen Menschen fühlen, was sie Falsches tun. Erst dann wird auch ihr Innerstes erreicht. Geben Sie dem Idealismus eine Chance und setzen Sie auf die eigene Lernfähigkeit der Menschen. Sie werden es Ihnen danken!