19.          HANDELN SIE NUR NACH DER REALITÄT!

 

Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn, sondern wir müssen uns nach ihr richten.

 

Matthäus Claudius, An seinen Sohn Johannes

 

Hoffnung verkauft sich besser als Wirklichkeit!
Leo Kirch

 

Wir leben in einer Welt der Möglichkeiten. Es ist möglich, Geld zu verdienen. Es ist möglich, sich gesund zu ernähren. Es ist möglich, sich zu bilden, es ist möglich, an die schönsten Strände der Welt zu reisen, es ist möglich, Topmodel oder Superstar zu werden. Was ist daran falsch? Dass es wahr ist, aber selten passiert. Wir bekommen den Konjunktiv verkauft. Du könntest reich werden, wenn du viel arbeitest, du könntest schön werden, wenn du dieses Produkt kaufst, du könntest diesen Mann oder diese Frau haben, wenn du nur lange genug wartest. Die Möglichkeit ist der Leitfaden für unsere Handlungen geworden. Die Möglichkeit ist zugleich die größte Falle unserer Zeit geworden. Wir handeln nicht mehr nach dem Jetzt, sondern nach dem, was sein könnte.

Die Anreize dazu sind allgegenwärtig und der Teufel auf unserer Schulter redet uns gewissenhaft ein, es läge nur an uns, und bald würde sich alles zum Besten wenden, wenn wir nur genügend hoffen.

Hoffnung ist ein trügerisches Gefühl. Hoffnung ist ein mächtiges Gefühl und kein Gefühl, kein Zustand wurde je so missbraucht wie die Hoffnung. Sklaven hofften auf Befreiung, Arbeiter hofften auf freie Wahlen, Männer hofften auf Beförderungen, Frauen auf gute Partien.

Wer die Hoffnung zum Geschäftsmodell macht, macht selten Verlust.

Vor dem Kapitalismus entdeckte die Religion die Hoffnung und baute darauf ein ganzes Welterklärungsmodell auf. Ihnen wird nie das Ersehnte verkauft, nur der Weg, die Möglichkeit, es zu bekommen. Hier nun die bittere Wahrheit: Hoffnung ist die schöne Maske der Lüge. Die Hoffnung erfüllt Ihnen keine Wünsche. Das tun nur Sie selbst.

Viel schlimmer: Die Hoffnung hilft Ihnen auch nicht, Ihre Wünsche zu erfüllen. Ganz im Gegenteil. Sie verkleidet sich als Wunscherfüllung und hofft, dass Sie das Spiel so lange mitmachen, bis sich Ihre Wünsche ändern.

Dann übernimmt ein anderer Kollege und die Hoffnung zieht weiter zum nächsten Kunden (Opfer). Aber wissen wir das alles nicht schon? Leben wir nicht in einer aufgeklärten Welt. Ja, sollten wir. Mal sehen, wer uns da einen Strich durch die Rechnung macht.

 

„Allerhand neues hab ich gemacht. Eine Geschichte darin ich einen jungen Menschen darstelle, der mit einer tiefen reinen Empfindung sich in schwärmende Träume verliert, sich durch Spekulationen untergräbt, bis er zuletzt durch dazu tretende unglückliche Leidenschaften, besonders eine endlose Liebe zerrüttet und sich dann erschießt.“

 

Der Autor spricht hier von der Schwärmerei, der höchsten Form der Hoffnung, der Idealisierung, der fast nicht sich trauenden Idee vom Erfüllen des Wunsches und macht deutlich, dass dies unglücklich endet. So weit so tot. Was ist daran so originell? Nun, wir haben die Schwärmerei rehabilitiert. Die Schwärmerei ist im Zuge der Kapitalisierung der Gefühle, also sagen wir es ruhig noch böser: der kommerziellen Überschwemmung der Ware Empfindung durch die Gefühlsindustrie (Songs, Filme, Stars) vergoldet worden und somit durchweg akzeptiert … Sie schwärmen für den und den, gut dann sind Sie wenigstens weg von der Straße … zumindest ist er ein Vorbild.

Ist Ihnen mal aufgefallen, wie viele Prominente sich um Vorbildstatus bemühen? Könnte dies eine Legitimation ihrer Existenz sein? Spielt vielleicht gar nicht mehr Kunst die entscheidende Rolle für Wahrnehmung, sondern die Vermittlung, die Präsentation? Verkauft die Ihnen nicht auch eine schöne Anteilnahme, einen Weg zum Glück?

Diese Schwärmerei ist tatsächlich harmlos und jeder weiß, dass er oder sie nicht mit Brad Pitt oder Angelina Jolie im Bett oder vor dem Altar landen wird, aber wir haben sie auf unseren Alltag übertragen. Wir haben gelernt, in Projektionen, in Möglichkeiten zu denken. Wir können Gefühle auf Wunschträume anwenden und somit rechnen wir auch mit einer möglichen Realisierung.

Die Medien haben hier einen großen Teil dazu beigetragen. Das Zeigen der Möglichkeit verführt zum Glauben an die Realisierung. „Ich glaube nur das, was ich sehe“, sagt der Volksmund.

Besser nicht, wusste schon Immanuel Kant, der entdeckte, dass wir die Welt nach unseren Vorstellungen konstruieren und nicht nach ihrer Beschaffenheit. Die biedere Moral, der sauertöpfische Gegenentwurf dabei ist: Akzeptiere, was du bist, und verhalte dich so. Auch das ist falsch, denn dies verneint völlig unsere Entwicklungsmöglichkeiten. Wir müssen also einen Mittelweg suchen. Lebe hoffnungsvoll, aber nicht in Hoffnungen. Wenn das mal so leicht wäre, denn wo ist da der Unterschied? Den Unterschied zeigt Ihnen die Realität.

Das, was du glaubst, was passieren könnte, ist völlig irrelevant, es hat mit der Gegenwart und der Realität nichts zu tun.

„Noch nichts“, sagt der Hoffnungsvolle. Noch ist leider noch nirgendwo eine akzeptierte Währung. Das kleine schöne Wort kommt oft in Verbindung mit nichts vor. Alles, was Sie weglassen können und nichts an der Situation verändert, ist überflüssig.

Deshalb: Bewerte Situationen und Beziehungen nur nach Fakten, mache dir selbst keine falschen Versprechen und Hoffnungen. Dies betrifft insbesondere die Beziehungen zu dem anderen Geschlecht. Wo Liebe auf beiden Seiten ist, gibt es selten falsche Hoffnungen. Sie passiert einfach.

 

Wer ist denn nun der Tote aus dem obigen Beispiel? Eine prominente Figur aus der Literaturgeschichte wurde hier von ihrem Schöpfer in wenigen Strichen gut skizziert. Es ist der Werther über den Goethe hier, durchaus mit Stolz, schreibt.

Werther ist ein Musterbeispiel für falsche Hoffnungen, Spekulationen, Schwärmereien und Fantasien, die kräftig nach hinten losgehen. Aber immerhin war Goethe groß genug, dem Werther ein konsequentes Ende zu bereiten. Hier log nicht der Autor und ließ die Hoffnung triumphieren.

So wahr lässt sich der Misserfolg aber in der heuten Zeit nicht mehr mit der Schwärmerei verbinden. Wenn heute öffentlich geschwärmt wird, erfahren Sie nie, wie das Topmodel oder der Superstar arbeitslos wird. Das Kleingedruckte kann man im Fernsehen sowieso nicht sehen, also wozu erwähnen?

 

Also: Bewerte nur das, was passiert, nicht das, was möglich sein könnte. So leicht gibt die Hoffnung aber nicht auf.

Das erkannte auch Friedrich Schiller:

 

Hoffnung

 

Es reden und träumen die Menschen viel

Von bessern künftigen Tagen,

Nach einem glücklichen goldenen Ziel

Sieht man sie rennen und jagen.

Die Welt wird alt und wird wieder jung.

Doch der Mensch hofft immer Verbesserung

Die Hoffnung führt uns ins Leben ein,

Sie umflattert den fröhlichen Knaben,

Den Jüngling locket ihr Zauberschein

Sie wird mit dem Greis nicht begraben,

Denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,

Noch am Grabe pflanzt er – die Hoffnung auf.

Es ist kein leerer schmeichelnder Wahn,

Erzeugt im Gehirne des Toren,

Im Herzen kündet es laut sich an:

Zu was Besserm sind wir geboren!

Und was die innere Stimme spricht,

Das täuscht die hoffende Seele nicht.

 

Jep, da ist sie wieder. Sie schleicht sich immer wieder ein in unsere Pläne, durchkreuzt diese und macht uns ein verlockendes und günstiges Angebot. Es klappt doch auch sonst so schön mit der Schwärmerei … wer will denn schon verbittern?

Hier lügt die Hoffnung … Sie verbittern nicht, wenn etwas nicht passiert, womit Sie sowieso nicht gerechnet haben. Erst wenn Sie den Köder geschnappt haben, hängen Sie wirklich an der Angel und haben Grund zur Sorge. Stattdessen müssen Sie auf den delikaten Bissen verzichten und sich die Realität schmackhaft machen … Nur wie geht denn das? Der Fisch, wenn er denn klug ist, schwimmt weiter, er bleibt in Bewegung, sieht, wenn er erfahren ist, durch die Oberfläche den Angler oder hört ihn sogar.

Dies ist die Achillesferse der Hoffnung, der Schwärmerei … sie ist an der Oberfläche … ein Wortspiel, das mehr ausdrückt, als man auf den ersten Blick denkt … Merkmal der Oberfläche ist ihre Undurchdringbarkeit: Sie kommen nur durch, wenn Sie in die Falle gehen. Dies ist Ihr Lackmustest, das Echtheitszertifikat: wenn immer Sie an eine Oberfläche kommen, die Oberfläche bleibt, die Behauptung bleibt, die Sie nur mit Schaden durchdringen können, dann ist es Zeit weiterzuschwimmen, denn der See ist groß …

Und jetzt raten Sie mal: Der Angler läuft den Fischen hinterher, nicht umgekehrt. (Und manchmal schmeißt er den Brocken auch nur so rein. Den nehmen wir dann auch.)

 

Böser Ratschlag Nr. 19: Die Realität ist Ihr bester Ratgeber. Punkt!

Richten Sie Ihr Leben nach Taten aus, nicht nach Hoffnungen. Suchen Sie nach Konsequenzen. Nur, was Konsequenzen hat, ist real. Im Guten wie im Bösen. Oder Sie müssen sich mit dem Motto des großen Schriftstellers Roald Dahl abfinden: „Wenn du dir ganz fest etwas wünscht, kannst du sicher sein, dass du es nie bekommst.“