2. ACHTEN SIE NUR DARAUF, WER ETWAS SAGT!
Man glaubt die Wahrheit nicht, wenn sie ein Armer spricht,
Und selbst die Lüge glaubt man einem reichen Wicht!
Friedrich Rückert
Was Kindern und Schülern jahrelang vorenthalten wird, steht eigentlich in jedem großen Klassiker der Weltliteratur. Friedrich Schiller, Deutschlands größter Dramatiker, war ein Experte in dem Analysieren von Machtstrukturen und ihrer Übertragung auf den Alltag. Wir hätten viel von ihm lernen können, aber was haben wir gelernt? Personenkonstellationen bei den Räubern. Konfliktpotenziale bei Wilhelm Tell und Reimformen bei der Glocke. Glauben Sie, dass es Schiller darum ging?
Er schenkte uns großartige Zitate und wir verwenden Sie, ohne uns darüber im Klaren zu sein, was sie wirklich bedeuten.
Ein Beispiel: „Der Schein regiert die Welt, und die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne.“ Aus seiner Übersetzung des Parasiten von einer Vorlage des französischen Dramatikers und Schauspielers Louis-Benoît Picard.
Schiller erkannte hier, was uns im täglichen Leben immer wieder begegnet, was uns die Schule aber gnädig vorenthält: Nicht der Inhalt zählt, sondern nur der, der ihn verkündet. Es ist bitter, aber wahr:
Eine faszinierende Erkenntnis, ein origineller Gedanke, ein Geistesblitz: All dies ist Menschen vorbehalten, die eine entsprechende Stellung und Qualifikation haben: Sie selbst können den tollsten Gedanken haben, wenn Sie ihn nicht durch Ihre Position rechtfertigen, glaubt niemand, dass das, was Sie sagen, von Ihnen ist, oder dass es Sinn macht. Eine Entwicklung, die sich aus dem Mittelalter speist und besonders in Deutschland sorgfältig gepflegt wird:
Die Hierarchie entscheidet, was gut und was wahr ist und nicht der Inhalt. Wir haben dieses Prinzip bis heute erhalten, wenn es auch seine Flaute in den Sechzigern und Siebzigern erlebt hat, aber jetzt, im neuen Jahrtausend ist es mit einem großen Knall zurückgekommen. Die allgemeine Wirtschaftslage ist trostlos, lesen wir täglich und unsere Bank will uns deshalb beraten … Schön, nur haben wir nicht auch mitbekommen, wie das alles entstanden ist? Waren nicht die Banken auch ein kleines bisschen mit Schuld? Trotzdem hören wir wieder auf sie. Hoffentlich nicht wirklich, aber das Prinzip bleibt bestehen: Die Banken (oder setzen Sie jede andere höhere Behörde oder Firma ein) reklamieren für sich, einen Ausweg zu kennen. Schließlich ist es ihre Tradition.
„Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.“ Es wird Zeit, Marx zu zitieren. Wer das Geld hat, hat die Idee. Wir haben es so verinnerlicht, dass wir es nicht mehr infrage stellen, sondern uns dem Schicksal fügen, weil etwas systemrelevant ist. Wissen Sie, was das Einzige ist, das wirklich systemrelevant ist? Sie. Sie bestimmen das System, in dem Sie sich bewegen und deshalb sind Sie die relevante Instanz, die entscheidet, was richtig und falsch ist.
Vergessen wir nicht: Es waren nicht die Bürger, die die Krise verursachten, sondern Missmanagement in allen offiziellen Systemen: Von den Großfirmen über die Banken bis hin zur Politik. Was es verursachte, war eine Erschütterung unserer geliebten Sicherheit. Und plötzlich suchen wir wieder Halt. Und da greifen wir zu den Institutionen, die uns eigentlich getäuscht haben.
Und so ist es auch im Kleinen: Wir glauben der Position und der Institution mehr als dem unbedeutenden Niemand. Selbst Schuld. Es geht hier eigentlich auch nicht um die, die dies tun, sondern um die, die es wagen, wahre Dinge auszusprechen, obwohl sie nicht in der Position dazu sind. Zum Beispiel Sie!
Wie wird es Ihnen gehen, wenn Sie etwas Wahres aussprechen? Sie werden Schulterzucken ernten. Man wird Sie für einen Störenfried halten, einen Wichtigtuer. Im besten Fall freundlich, verständnisvoll belächeln, aber eines wird nicht passieren: Sie werden nichts ändern.
Schon lange zählt nicht mehr, was gesagt wird, sondern nur wer was sagt. Nur durch diese Kombination entstehen Interessen und die Dinge werden wahrgenommen. Wir haben ein System geschaffen, in dem Positionen und Status die Voraussetzung für die Wahrheit sind. Wenn Sie selbst eine Sache sagen, die man nicht von Ihnen erwartet, sollte man eigentlich darüber nachdenken, Ihnen gratulieren oder zumindest den Gedanken würdigen, aber wir haben eine merkwürdige Gedankenökonomie entwickelt:
Inhalte erhalten nur Relevanz durch den Verkünder, nicht mehr durch sich selbst.
Der Verkünder ist die Versicherung, dass die Inhalte Qualität haben. Dies ist zugleich eine enorme Kapitulation vor unseren eigenen Fähigkeiten, Dinge zu bewerten und neue Erkenntnisse wahrzunehmen. Ja sie sogar zu erkennen, wenn sie von Unbedeutenden ausgesprochen werden.
Viele Künstler und Wissenschaftler kennen dieses Problem seit Langem. Aber es hat sich auch in den Alltag übertragen und natürlich in den Job. Wir setzen hier gegen die alltägliche Überflutung von Informationen einen unbewussten Filter: Wer etwas sagt, ist die Voraussetzung für die Qualität des Gesagten.
Viel schlimmer wird es, wenn Sie etwas sagen, was Sie eigentlich nicht versprechen: Ihr Inhalt ist zunächst nur irritierend, nicht mehr genial, bestenfalls lustig und kurios. Schlimmstenfalls machen Sie sich wichtig oder haben es irgendwo gelesen. Der Filter setzt ein. Möglicherweise werden Sie ähnlich von diesem Buch denken. Es sei Ihnen gegönnt. Hauptsache, Sie urteilen selbst! Vermeiden Sie also gute Einfälle und Originalität, wenn man es nicht von Ihnen explizit erwartet.
Noch nicht überzeugt? Wie wäre es, wenn wir uns die Klage eines Mannes aus dem Jahre 1554 über Herrschaft und Hierarchien ansehen?
Kommt einer beim Hochadel unter, dann wird sein Schicksal nur noch schlimmer. Als ganz besonderer Diener wird man dem Herrn tausend Dienste leisten, ihm etwas vorlügen und ihm nach dem Munde reden, über seine Späße und Scherzchen lachen, auch wenn sie furchtbar sind. Dem Herrn nichts Unangenehmes sagen, auch wenn es notwendig wäre, in seiner Anwesenheit größte Eifer und Taten geloben, bei allem aber, was er nicht sieht, sich nicht weiter umbringen. Dort, wo er es aber mitbekommt, sich mit den Dienern anlegen, damit der Eindruck besteht, dass man sich für ihn krumm mache. Und zürnt der Herr einem Diener, gibt man dann ein paar spitze Töne hinzu, um den Zorn anzufachen, aber auch so, als würde man für den Täter reden; man würde stets loben, was der Herr gelobt haben möchte, aber ansonsten alles negieren, jeden im Palast und im Reiche anschwärzen, andere Leute ausspähen und dem Herrn alles beiläufig berichten, dazu noch kräftig die Fantasie anheizen mit vorsichtigen Spekulationen. Denn das wollen die Herren, sie verabscheuen jeden aufrechten Mann, nennen ihn einen Einfaltspinsel, der das Geschäft nicht versteht und auf den man sich nicht verlassen kann.
Aus dem spanischen Schelmenroman Lazarillo de Thormes, natürlich anonym erschienen. Man weiß bis heute nicht, wer der Verfasser ist. Wie wir sehen, ist es ein altes Problem. Das sollten wir bedenken.
Böser Ratschlag Nr. 2:
Nicht was gesagt wird interessiert, sondern nur wer etwas sagt.
Niemals, äußern Sie niemals einen eigenen genialen Einfall. Wenn Sie es tun, wird man Sie verblüfft fragen, wo das steht oder wer Wichtiges das gesagt hat.
Wenn Sie zugeben, dass es von Ihnen ist, wird man Sie für einen Scharlatan oder Fantasten halten. Der Einfall ist nicht mehr genial, sobald er von Ihnen stammt!