4. BEGRÜNDEN SIE VERHALTEN NICHT!
Große Dinge sprechen sich am besten durch Schweigen aus.
Polnisches Sprichwort
Darüber reden bringt gar nichts.
Deutsches Machtwort
Einer der größten Irrtümer der Moderne ist, dass Reden Verhalten verändert. Historisch ist dies leicht zu erklären: Nach den Verbrechen der Nazis und dem Todschweigen dieser in den Fünfziger und Sechziger Jahren in Deutschland bildete sich eine nachvollziehbare Abneigung gegen das Schweigen aus. Dieses Schweigen war auch grundfalsch und mit nichts zu entschuldigen. Daraus folgerten die nachfolgenden Generationen, dass man mit Schweigen nichts verändere. Ja, das Schweigen sogar alles nur noch schlimmer mache. Und irgendwo haben sie ja auch recht. In Fällen von Missbrauch ist Schweigen auch ein Verbrechen. Und so entwickelte sich in den Siebziger und Achtziger Jahren eine lebhafte Streitkultur in Deutschland, die dem Land gut tat. „Verkrustete Strukturen aufbrechen!“, nannte man das. Die Dinge ausdiskutieren. Plötzlich wurde das Gespräch en Vogue. Die Diskussion wurde zum Maßstab jeder Beurteilung und damit wurde sie auch auf das Private übertragen. Die nachfolgenden Generationen lernten, dass man sich Problemen stellen muss und dies am besten mit dem Darüberreden. Und hier fing der Irrtum an.
Die Natur des Menschen lässt sich nicht durch Reden und Ratschläge verändern, sondern nur durch eins: Konsequenzen. Eine schlichte Erkenntnis, für die die Menschheit allerdings fast 2000 Jahre gebraucht hat, um sie auszusprechen. Nicht dass man vorher nicht schon danach gehandelt hätte. Das ist klar. Crime and Punishment ist die älteste Form der Erziehung. Aber die konkrete Formulierung dessen geschah erst vor knapp fünfzig Jahren. „Operante Konditionierung“ nannte der Verhaltensforscher B. F. Skinner seine bahnbrechende Erkenntnis, dass Lebewesen Konsequenzen am besten verarbeiten. Schlicht ausgedrückt bedeutet es Folgendes:
Konsequenzen haben Einfluss auf das Verändern von Verhalten.
Ironischerweise hat die Psychologie dies etwa zur gleichen Zeit entdeckt, in der wir das Gespräch als Problemlösung entdeckt haben. Und so wir reden also, anstatt Konsequenzen anzubieten. Sicher, was für Konsequenzen hätte man im Nachkriegsdeutschland schon anbieten können? Diese Generationen waren auf das Gespräch angewiesen. Aber wir übertrugen es auf unsere Gegenwart.
Wir denken heute sogar, wir handeln psychologisch geschult, wenn wir auf das Gespräch als Lösungsversuch setzen. Dies ist ein Missverständnis:
Gespräche klären auf, verändern aber nichts.
Der Begriff Konsequenz hat eine negative Konnotation erhalten: Er impliziert Strafe, Missmut und Fehlverhalten. Und oft wird er als Bedrohung benutzt. Dies hat nichts mit dem Ursprung des Begriffes zu tun: Er bedeutet schlicht „Beharrlichkeit und Folgerung“. Aus einem Verhalten folgt eine Folgerung, die durch dieses Verhalten hervorgerufen wurde. Das ist der natürliche Kreislauf. So sollte es sein.
Und was haben wir gemacht? Wir haben die Folgerung durch die Diskussion ersetzt. Damit wird das Verhalten zunächst einmal akzeptiert. Wir prägen damit falsch, um mit den Worten des Verhaltensforschers Konrad Lorenz zu sprechen. Wir signalisieren, dass auf ein Fehlverhalten ein Gespräch folgt, anstatt einer Konsequenz. Was hier konservativ und verklemmt klingt, ist einfach die Beschreibung von der Psychologie des Lernens, wie sie eigentlich verstanden werden sollte.
Und tatsächlich ist man in der Schule längst dazu übergegangen Lehrern zu raten, Verhalten mit Löschung zu ändern. Ein faszinierender Begriff, der allerdings etwas Erklärung benötigt: Verhalten wird also nicht gerügt und zur Auseinandersetzung gestellt, sondern schlicht ignoriert.
Auch wenn das etwas theoretisch klingt, dann erklärt dies vielleicht ein Beispiel: Um unerwünschtes Verhalten zu ändern, müssen Sie zunächst einen Anspruch haben, den Sie durchsetzen wollen. Es ist Ihre Regel, Ihr Ansatz für ein gesundes Miteinander. Zum Beispiel: „Alle kommen pünktlich zum Treffen.“ Sie sind der Leiter und Sie bestimmen die Regeln. Kommt jemand nun nicht pünktlich, dann machen Sie ihm klar, dass er beim nächsten Mal nicht am Treffen teilnehmen darf, wenn er die Regel erneut verletzt. Nun passiert dies tatsächlich wieder, dann müssen Sie diese Ankündigung umsetzen. Sie müssen jemanden ausschließen, der sich nicht an die Regeln gehalten hat. Man akzeptiert keine Rechtfertigungen (Rechtfertigungen sind das Langweiligste, was es gibt), sondern man löscht Verhalten.
In der Schule wird dies mit dem Entfernen aus dem Unterricht, mit dem Nachsitzen und mit schlechten Noten umgesetzt. Wir kennen negative Konsequenzen aber auch aus dem Leben: Strafzettel, verpasste Deadlines, lange Schlangen etc. Aber wir kennen sie kaum im Privaten. Im Privaten sind wir bereit, auf Konsequenzen zu verzichten und das Gespräch anzubieten. Eine Errungenschaft der Moderne. Wir prügeln nicht mehr. Und das ist auch gut so. Wir reden also. Und wie oft hilft es Ihnen? So gut wie nie. Julia wird erst ihre Hausarbeiten machen, wenn sie kurz vor der Versetzungsgefährdung steht. Und nicht, weil Sie nächtelang mit ihr in der Küche über ihre Probleme diskutiert haben.
Menschen diskutieren über Probleme, um Lösungen hinauszuschieben. Wir leben in einer ziemlich klar strukturierten Welt ohne große Gefahren und man könnte sogar sagen, die größte Gefahr sind wir vielleicht für uns selbst.
Aber das bedeutet auch, dass wir wissen, wie wir uns aus dem Schlamassel befreien können. Wir wollen es nur nicht machen. Es ist mühsam und unangenehm, und wenn man die Konsequenzen durch das Gespräch herauszögern kann, dann nimmt man dankbar diesen Strohhalm an.
Ein weiteres Beispiel: Eine Freundin sagt immer wieder eine Verabredung kurz zuvor ab, mit allen möglichen Ausreden, die auch immer irgendwie glaubhaft klingen. Sie geben ihr immer wieder eine Chance, aber ihr Verhalten ändert sich nicht. Sie handeln falsch, weil Sie nicht löschen, sondern ihr Verhalten bestätigen. Sie müssen in diesem Fall Ihr eigenes Verhalten ändern. Zum Beispiel, dass Sie sich nicht mehr melden. Auch wenn dies hart klingt, es ist der einzige Weg herauszufinden, wie tief ihre Freundschaft denn nun ist.
Löschen bedeutet auch oft Schweigen.
Schweigen wird sehr deutlich verstanden und die meisten Dinge kann man mit Schweigen am besten ausdrücken. Ein Paradoxon, das zunächst verwirrt, aber völlig einleuchtend ist: Sie müssen nur die Perspektive verschieben: Nicht auf sich selbst gucken, sondern auf den anderen. Steht ein Problem im Raum, wissen eigentlich alle, worum es geht. Wenn Sie jetzt anfangen zu reden, verwässern Sie nur das Problem. Probleme sind Probleme, weil sie von allen als Probleme verstanden werden. Und sie werden durch Schweigen erklärt, weil Schweigen die größtmögliche Konsequenz ist, die das Reden hervorbringen kann. Wenn Sie schweigen, zwingen Sie andere zum Denken. Und das ist der erste Schritt, um Probleme wirklich zu lösen.
Kennen Sie Das Lächeln der Mona Lisa?
Ich kann den Blick nicht von dir wenden.
Denn über deinem Mann vom Dienst.
Hängst du mit sanft verschränkten Händen
und grienst.
Du bist berühmt wie jener Turm von Pisa,
dein Lächeln gilt für Ironie.
Ja … warum lacht die Mona Lisa?
Lacht sie über uns, wegen uns, trotz uns, mit uns, gegen uns –
Oder wie?
Du lehrst uns still, was zu geschehen hat.
Weil uns dein Bildnis, Lieschen, zeigt:
Wer viel von dieser Welt gesehen hat –
der lächelt, legt die Hände auf den Bauch und schweigt.
Vom großen Kurt Tucholsky.
Böser Ratschlag Nr. 4: Ändern Sie Verhalten nur mit Löschung! Begründen Sie nicht, warum Sie sich zurückziehen. Schweigen ist immer klarer als Worte. Schweigen verändert.