|259|Fazit

Die Macht erotischen Kapitals

Manche Menschen scheinen vom Leben bevorzugt. Sie sehen gut aus und haben ein freundliches Wesen. Sie sind fröhlich und zugewandt, umgänglich, selbstbewusst, angenehme Gesellschaft, ja in manchen Fällen sogar charismatische Persönlichkeiten. Alle Türen öffnen sich ihnen, andere Menschen stehen ihnen zur Seite. Sie scheinen weniger Probleme zu haben als der Rest von uns, zumindest sind ihre Probleme rascher gelöst. Glück spielt in unserem Leben eine größere Rolle, als die meisten Angehörigen rational orientierter westlicher Gesellschaften sich je eingestehen würden.1 Erotisches Kapital ist ein bislang wenig gewürdigtes Gut, das bei jeder Form von sozialem Austausch eine Rolle spielt, ein Konglomerat aus physischer und sozialer Attraktivität. Beide kommen häufig zusammen vor und verstärken einander schließlich. Das fängt schon in der Wiege an. Niedliche Babys ziehen mehr wohlwollende Aufmerksamkeit auf sich, man lächelt sie an und hilft ihnen. Kinder spüren sehr früh, ob sie gemocht und geliebt werden, und reagieren entsprechend. Attraktive Kinder sind überall und jedermann willkommen. Die ganze Welt lächelt ihnen zu, und sie lernen zurückzulächeln, um Gefallen zu bitten, zu verhandeln, wenn sie etwas haben wollen. Dieser »Circulus virtuosus«, ein »Tugend-« oder »Engelskreis«, bleibt auf immer wirksam und schenkt ein Leben voller kleiner Vorteile – im Privatleben, am Arbeitsplatz, überall, wo der schöne Mensch sich in der Öffentlichkeit blicken lässt.

|260|Hübsche Kinder entwickeln früher und rascher soziale Kompetenzen. Man hält sie für klüger, intelligenter, ja sogar für braver, und oft sind sie das auch. Weil in einer modernen Gesellschaft die soziale und emotionale Intelligenz eine besonders wichtige Form von Begabung ist, schreitet ihre intellektuelle Entwicklung tatsächlich rascher voran, sie werden früher selbstständig, ein Vorteil, der vor allem in der Jugend, im geschlossenen Treibhaus der jeweiligen Bildungssysteme sichtbar wird. Andere holen später im Wettbewerb im Arbeits- und Erwachsenenleben auf, wenn andere Talente gefragt sind.

Das erotische Kapital ist ein wichtiges Attribut und steht als vierter persönlicher Aktivposten in einer Reihe mit dem wirtschaftlichen Kapital (Gut und Geld), dem Humankapital (was man weiß) und dem sozialen Kapital (wen man kennt). Im Unterschied zu den anderen Kapitalarten macht es sich von der Wiege an bemerkbar, so dass es in allen Lebensphasen einen tiefgreifenden, wenn auch weniger sichtbaren Einfluss hat.

Erotisches Kapital ist das komplexeste dieser vier Attribute und hat viele verschiedene Facetten: Schönheit, Sexappeal, soziale Kompetenz, Charme und Charisma, die Fähigkeit, die eigene Person in Bezug auf Kleidung und äußere Erscheinung ansprechend zu präsentieren, Fitness und Lebendigkeit sowie sexuelle Kompetenz (im Privatleben von Erwachsenen) und in manchen Umfeldern auch Fruchtbarkeit.

Attraktive Menschen ziehen andere an – als Freunde, Geliebte, Kollegen, Kunden, Klienten, Fans, Befürworter, Unterstützer und Sponsoren. Das gilt für Männer ebenso wie für Frauen. Ja, der »Schönheitsbonus« scheint bei Männern sogar höher auszufallen als bei Frauen, am meisten bemerkbar macht sich das im Arbeitsleben, wo er sich zu einem 10- bis 20-prozentigen Plus beim Einkommen auswachsen kann. Offenbar herrschen gewisse Vorbehalte und eine diskriminierende Haltung gegenüber schönen und charismatischen Frauen, die nach einer Erklärung verlangen.

Die Antwort darauf hat unter anderem mit einem zweiten Phänomen zu tun: dem männlichen Sexdefizit. Männer hätten im Allgemeinen zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens gern deutlich mehr Sex, als sie |261|bekommen. Frauen haben ab dem Alter von etwa 30 Jahren ein signifikant geringer ausgeprägtes sexuelles Verlangen, Männer verbringen demnach einen Großteil ihres Lebens bis zu einem gewissen Grad in sexueller Frustration – das ist auch nach der sexuellen Revolution noch so und gilt auch, wenn sie verheiratet sind. Die sexuelle Revolution der 60er Jahre hat die Dinge vermutlich eher zum Schlechteren verkehrt. Früher konnten sich Frauen mit dem Argument der Furcht vor einer ungewollten Schwangerschaft sexueller Nähe entziehen. Heute, da wirksame Verhütungsmittel dieses Problem aus der Welt geschafft haben, tritt das geringere weibliche Interesse an sexuellen Vergnügungen deutlicher zutage. Es heißt nicht länger: »Sie will kein Risiko eingehen«, sondern ganz einfach: »Sie hat keine Lust auf mich.«

Das männliche Sexdefizit kann für attraktive junge Frauen beängstigende Ausmaße annehmen. Tastende Hände in überfüllten Bussen, hungrige Blicke von Männern jeden Alters, ständige sexuelle Angebote – solche Erfahrungen formen das Verhältnis einer jungen Frau zu ihrem erotischen Kapital, belegen es mit positivem oder negativem Wert. Unter jungen Leuten ist das männliche Sexdefizit weniger augenfällig. In diesem Alter gären in allen Begegnungen sexuelles Verlangen und sexuelle Anziehungskraft fröhlich vor sich hin und wirken auf das gesamte soziale Miteinander in der Schule und zu Hause.

Das männliche sexuelle Begehren nimmt mit zunehmendem Alter nur sehr langsam ab. Bei Frauen gibt es jenseits der Dreißig oft einen schroffen Abfall, bedingt meist durch die Mutterschaft. Das männliche Sexdefizit nimmt im Laufe des Lebens demnach ständig zu. Für verheiratete Männer kann die mangelnde Bereitschaft einer Frau, sich ihnen gegenüber in Gestalt von Zuneigung und sexueller Nähe großzügig zu zeigen, Ursache für manche Ungehaltenheit sein.

Frauen sind attraktiver als Männer und verfügen über mehr erotisches Kapital, was auch damit zu tun hat, dass Männer für visuelle Stimuli empfänglicher sind. Die eigentliche Ursache für den männlichen Unmut Frauen gegenüber ist die fast durchgehend vorhandene Kollision von sexuellem Verlangen und sexueller Frustration. Männer mögen das erotische Kapital von Frauen und deren Attraktivität und |262|lehnen beides gleichzeitig ab, weil es ihr Verlangen anheizt, Frauen aber nicht mit ähnlichem Verlangen kontern. Männer stecken nicht gerne in der Rolle des Bittstellers. Je testosterongeladener der Mann, desto größer seine Konsterniertheit, und die kann in Gewalt und Vergewaltigung enden. Die Pornographie malt ein männliches Utopia, in dem Frauen dasselbe sexuelle Verlangen empfinden wie Männer und darüber hinaus grundsätzlich attraktiv und permanent verfügbar sind. Zu einem gewissen Grad sind alle Begegnungen zwischen Männern und Frauen von unterdrücktem und unerfülltem Verlangen durchdrungen.

Der Wert von allem und jedem wird durch die Gesetze von Angebot und Nachfrage bestimmt, für Sexualität gilt dasselbe. Männliche Sexualität ist praktisch wertlos, weil es jede Menge davon gibt und sie nichts kostet. Das erotische Kapital von Männern ist geringer als das von Frauen, denn selbst heute werden die meisten Frauen nicht übermäßig von sexuellem Verlangen beherrscht. Erotikmagazine für Frauen verkaufen sich nicht halb so gut wie solche für Männer, die tonnenweise gehandelt werden. Das Prinzip des geringsten Interesses verschafft Frauen bei Verhandlungen über sexuelle Zuwendungen und in privaten Beziehungen die Oberhand. Und das Feilschen hört mit der Eheschließung nicht auf, wenn auch die meisten Männer glauben, die Ehe böte ihnen eine dauerhafte und umfassende Lösung für ihr Sexdefizit.

Die einzige Lösung für das immerwährende Ungleichgewicht zwischen dem sexuellen Interesse von Frauen und Männern bietet die Sexindustrie. Frauen, die die Lücke füllen oder spezielle Nischendienstleistungen anbieten, können Männern den Marktpreis für ein rares Gut diktieren. Je höher das erotische Kapital einer Frau, desto höher der Preis. Frauen, die sexuelle Dienste anbieten, verdienen unter Umständen das Doppelte bis Tausendfache dessen, was sie mit herkömmlichen Jobs verdienen würden, das gilt vor allem für Berufe, die ein vergleichbares Maß an Ausbildung voraussetzen. Männer hätten es gerne, wenn Frauen das nicht wüssten, und sorgen infolgedessen dafür, dass das Anbieten von sexuellen Dienstleistungen vor allem bei Frauen stigmatisiert wird.

Männer haben schon immer für Sex bezahlen müssen – in Gestalt |263|von Geld, Ehe, Achtung, langfristiger Bindung oder der Bereitschaft, sich an der Betreuung von Kindern zu beteiligen. In der Vergangenheit pflegten Männer zu akzeptieren, dass sie einen Preis zu entrichten hatten. Heute verführen die Errungenschaften der sexuellen Revolution viele junge Männer zu der Annahme, dass volle sexuelle Befriedigung jederzeit gratis zu haben sein sollte und dass Frauen, die Nein sagen, schlicht und einfach pervers sind. Der feministische Mythos von einer Gleichverteilung des sexuellen Interesses bei Männern und Frauen hat den männlichen Unmut und Zorn gegenüber Frauen geschürt, die ihnen, wie sie meinen, unfairer oder boshafter Weise Sex vorenthalten. Der alltägliche Tauschhandel Geld gegen sexuelle Gefälligkeiten oder andere Zuwendungen dieser Art wird überschattet von einem radikalfeministischen Mythos der allumfassenden Gleichheit beider Geschlechter in jedem Bereich des Lebens.

Frauen verfügen über ein höheres erotisches Kapital als Männer, zum Teil liegt das daran, dass sie härter daran arbeiten. Künstlern ist das immer klar gewesen, und weibliche Akte sind weit häufiger im Handel als männliche. Das männliche Sexdefizit gibt Frauen alle Möglichkeiten, den Tauschwert von weiblichem erotischen Kapital in die Höhe zu treiben. Besonders erkennbar wird das in der Werbung sowie in der Unterhaltungs- und Erotikindustrie, wo attraktive junge Frauen weit mehr verdienen können als bei einem herkömmlichen Job in Büro, Laden oder Fabrik.

Patriarchalisch gesonnene Männer haben es immer als kollektives Interesse der Männerwelt betrachtet, Heirats- und Beziehungsmärkte zu kontrollieren und die Preise für Sex und erotische Unterhaltung zu drücken, indem sie den Wert des erotischen Kapitals von Frauen herabwürdigen (»Schönheit ist etwas Oberflächliches und damit wertlos«) und den Preis für sexuelle Unterhaltung möglichst niedrig zu halten versuchen (»nur lasterhafte Frauen können so tief sinken«). Männliche Kontrollsysteme funktionieren primär auf ideologischer Ebene. Leider sind radikale Feministinnen nicht in der Lage gewesen, sich von diesen althergebrachten patriarchalischen Werten, die das erotische Kapital von Frauen herabwürdigen und Frauen, die sich in der Sexindustrie |264|verdingen, verunglimpfen, freizumachen. Eine unheilige Allianz aus Patriarchat und radikalem Feminismus nimmt Frauen die Freiheit, ihr erotisches Kapital einzusetzen.

Im Kampf zwischen den Geschlechtern ging es immer zum Teil auch um Sex und Geld, den beiden Hauptreibungspunkten in einer langfristigen Beziehung.2 Auch heute denken viele Männer, sie hätten die Macht, die Spielregeln einseitig zu formulieren. Das muss sich ändern. In privaten Beziehungen müssen Frauen neben dem Wert, den sie finanziellem Kapital und Humankapital als potenziellem Instrument zur Einkommenssteigerung bereits zumessen, den Wert ihres erotischen Kapitals und den Wert sexueller Intimität erkennen lernen. Der radikale Feminismus westlicher Prägung muss aus seiner elitären Sackgasse herauskommen, in der jede Person ohne höhere Bildung (und das ist die Mehrheit der Bevölkerung) abschätzig betrachtet wird.

Das Patriarchat und die radikalfeministische Voreingenommenheit gegen das erotische Kapital stehen dessen voller Würdigung im öffentlichen Leben bisher im Wege. Im Arbeitsleben, in der Politik, in den Medien, im Sport und in den Künsten sollte die Produktivitätssteigerung durch Männer und Frauen mit hohem erotischem Kapital stärker wahrgenommen werden. In Berufen, in denen es auf den direkten Kontakt von Angesicht zu Angesicht mit Klienten und Kunden ankommt, in denen soziale Kompetenzen, Charisma, eine lebendige Persönlichkeit und die Fähigkeit, gut aufzutreten, wichtig sind, liefert erotisches Kapital einen echten Beitrag zum erfolgreichen Abschluss einer Arbeit oder zur Zufriedenheit des Kunden und sollte dementsprechend belohnt werden. Die westlich-patriarchalische Voreingenommenheit gegen Schönheit und Attraktivität als Bonus am Arbeitsplatz ist unangebracht. Moderne Feministinnen sollten sich gegen die Einstellung, ein »Schönheitsbonus« sei eine unfaire Sache, zur Wehr setzen, statt den Status quo zu zementieren.

Die Unterhaltungsindustrie (das Sex- und Erotikgewerbe eingeschlossen) würdigt und belohnt erotisches Kapital gegenwärtig stärker als jeder andere Erwerbszweig. Doch auch hier regiert eine unfaire |265|Voreingenommenheit Frauen gegenüber, die dazu führt, dass diese für ein hohes Maß an erotischem Kapital geringer belohnt werden als Männer. Männliche Hollywoodstars verdienen mehr als weibliche. Obwohl die Frauen dieselbe Arbeit verrichten, gehen sie unablässig »auf hohen Hacken rückwärts«3. Selbst hier stecken Frauen in der Zwickmühle: Man mäkelt an ihnen herum, wenn sie ihr erotisches Kapital nicht auf ein adäquates Niveau zu heben vermögen, belohnt sie aber nicht, wenn es ihnen gelingt. Das patriarchalische Wertesystem ist nicht davon abzubringen, dass weibliche Attraktivität von Natur aus zur Welt gehört und nichts ist, wofür Männer zu bezahlen hätten. Dieses System diktiert heterosexuelle Beziehungen und wird mit leichter Hand auf die kommerziellen Mechanismen der Marktwirtschaft übertragen.

Wenn Frauen diese Tradition durchbrechen wollen, müssen sie lernen, im privaten wie im öffentlichen Leben fairere Spielregeln einzufordern. Am Anfang aber muss eine bewusste Anerkennung und Wertschätzung des erotischen Kapitals von Frauen stehen und die Bereitschaft, sich das soziale Faktum eines männlichen Sexdefizits im selben Maße zunutze zu machen, indem Männer ihre eigenen Vorteile auskosten. Der Machtpoker um Anziehungskraft und Verlangen muss von patriarchalischen Vorstellungen über das Wirken von sozialen Beziehungen und dem, was als anständig und fair zu gelten hat und was nicht, befreit werden – befreit von der patriarchalischen Kontrolle über das Leben und die Entfaltung von Frauen.

Erotisches Kapital wird in modernen Wohlstandsgesellschaften immer bedeutsamer. Männer und Frauen messen ihm bei der Wahl des Lebens- oder Ehepartners mehr und mehr Gewicht bei. Erwerbszweige mit einem großen Dienstleistungssektor müssen feststellen, dass es sich zu einem unverzichtbaren Produktionsfaktor entwickelt hat. Die Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu erregen, zu überzeugen, eine Atmosphäre von Kollegialität und Solidarität zu schaffen – das sind in vielen Berufen wertvolle Fertigkeiten. Dass Menschen mit einem hohen Maß an erotischem Kapital mehr Geld verdienen, ist nicht weniger berechtigt als die Tatsache, dass hoch gewachsene Menschen besser |266|verdienen. Dieser Einkommensvorteil kann an den guter beruflicher Qualifikationen heranreichen.

Erotisches Kapital muss heute als vierter wichtiger Aktivposten einer Persönlichkeit gesehen werden. Es ist für Männer und Frauen – auf unterschiedliche Weise – gleich bedeutsam. Erotisches Kapital wirft neues Licht auf den Kräftefluss innerhalb privater Beziehungen und in Verhandlungen zwischen zwei Partnern – das gilt für heterosexuelle Beziehungen genauso wie für homosexuelle. Mehr als alles andere erklärt es, warum manche junge Menschen ungeachtet ihres Mangels an jenen formalen Qualifikationen, denen in einer modernen Meritokratie so hohe Bedeutung beigemessen wird, zu Millionären werden.

Sexonomie

Ökonomen zufolge ist ein profitabler Austausch immer dort möglich, wo einem Objekt oder einer Handlung von verschiedenen Parteien ein unterschiedlicher Wert beigemessen wird. Sexuelle Aktivität und erotische Unterhaltung aller Art sind für Männer von größerem Interesse und Wert als für die meisten Frauen. Manche Frauen haben für Männer und Sex so viel übrig, dass sie sexuelle Dienstleistungen gegen Geld, Geschenke und andere Zuwendungen anbieten. Um es mit den Barmädchen in Jarkarta zu sagen: »No money, no honey.« In manchen Kulturen ist das Konsens. Die christliche Welt hat zwei Jahrhunderte damit zugebracht, Weltbilder, Theorien und kulturelle Normen aufzustellen, um diesen Austausch zu stigmatisieren, ja, das Geschäft mit Sex zu kriminalisieren. Die Folge davon war, dass Männer glauben, ihnen stünde das, was sie von Frauen haben wollen, unentgeltlich zu. Die radikalfeministische Rhetorik zur »Gleichberechtigung« hat patriarchalische Vorstellungen und Werte eher bestärkt als erschüttert. Beiden gemeinsam ist eine tief verwurzelte Abneigung gegen die sexuelle Unabhängigkeit von Frauen, deren erotische Macht, ja, gegen Sexualität als solche.4

|267|Sexualität und Geld lassen sich genauso wenig auseinanderdividieren wie Geld und Liebe.5 Zu einem normalen Leben gehört eine Kombination aus all diesen Dingen. Angelsächsisch-puritanisch geprägte Kulturen haben die Nähe von Geld und Sexualität nie ganz akzeptieren können und beides zusammen in einen undurchdringlichen Nebel aus Selbstlüge und Doppelmoral gehüllt.6 Zum Beispiel betrachten viele Menschen voreheliche Absprachen als unangemessen und nicht als praktische Notwendigkeit. Die Franzosen sind mindestens so romantisch wie alle anderen, das französische Gesetz aber verlangt von allen Paaren, dass sie vor der Eheschließung entscheiden, ob sie ihre vorhandenen Besitztümer in einen Topf werfen und eine diesbezügliche ökonomische Vereinbarung treffen wollen.7

Die sexuelle Ökonomie – oder Sexonomie, wie ich sie genannt habe – trägt dem Umstand Rechnung, dass Sexualität aufgrund des männlichen Sexdefizits im Prinzip eine primär weibliche Ressource ist.8 Der Umstand, dass Frauen im Allgemeinen über mehr erotisches Kapital verfügen als Männer, treibt den Marktwert weiblicher Sexualität zusätzlich in die Höhe. Sexuelle Begegnungen werden in der Regel von Frauen entschieden und bestehen immer in einem Austausch: Männer zeigen sich Frauen für deren sexuelle Bereitschaft durch materielle Geschenke, Rücksicht und Respekt, die Einwilligung in eine Beziehung, Unterhaltung oder anderes erkenntlich. Das Prinzip des geringsten Interesses9 lässt Frauen im sexuellen Tauschhandel in der Regel die Oberhand behalten.10 Selbst wenn Frauen – vor allem in jungen Jahren – gerne Sex haben, wollen Männer ihn in der Regel noch mehr. Dort, wo in einer Gruppe von Männern und Frauen ein in etwa ausgeglichenes Niveau in Bezug auf das erotische Kapital herrscht, sorgt das männliche Sexdefizit dafür, dass das erotische Kapital der Frauen den größeren Marktwert hat. Erotisches Kapital ist sowohl ein »superiores Gut« als auch ein »Giffen-Gut« – je wohlhabender eine Gesellschaft wird, desto mehr möchte sie davon haben, und desto mehr sind die Menschen bereit, dafür zu zahlen.

In manchen nichtwestlichen Gesellschaften genießen Frauen völlige sexuelle Freiheit, und alle Kinder werden als Gemeingut angesehen. In |268|patriarchalischen Gesellschaften wird Frauen die Nutzung ihres erotischen Kapitals, ihrer Sexualität und Fruchtbarkeit durch gesellschaftliche Normen, Werte und Gesetze drastisch eingeschränkt. Die Monogamie wirkt als Element der sexuellen Demokratie, indem sie dafür sorgt, dass alle Männer akzeptable Chancen haben, wenigstens eine Partnerin abzubekommen. Das aber hängt vom Geschlechterverhältnis am jeweiligen Ort ab, davon, welche Möglichkeiten Frauen haben, Arbeit und Einkommen zu finden, und natürlich von der jeweiligen regionalen Kultur.11 In China ist im Gefolge einer Ein-Kind-Politik ein krasses Missverhältnis bei der Anzahl an Frauen und Männern zu verzeichnen: Auf ungefähr 120 Jungen kommen 100 Mädchen. Dieser Umstand hatte zahllose Brautentführungen zur Folge, ließ die Sexindustrie massiv expandieren, die Zahl der Scheidungen zunehmen und steigerte das Ansehen von Mädchen und Frauen deutlich. Zum ersten Mal in der chinesischen Geschichte fingen Paare an zu hoffen, ihr Kind möge kein Junge, sondern ein Mädchen sein.12 Auf amerikanischen Colleges hingegen sehen sich in Bezug auf das Geschlechterverhältnis gegenwärtig die Männer im Vorteil: Auf 100 Studentinnen kommen 80 Studenten. Dieser Seltenheitswert scheint als treibender Faktor dafür verantwortlich zu sein, dass das konventionelle Werben und Knüpfen von Beziehungen mehr und mehr Gelegenheitssex und spontanen sexuellen Begegnungen weicht.13 Tatsächlich mussten junge Frauen, die sich nach einem Ehepartner umtaten, feststellen, dass ihr Wert auf dem Heiratsmarkt im Sinken begriffen ist. Derlei frühe Erfahrungen werden langfristige Strategien und das Selbstbewusstsein der Betreffenden möglicherweise beeinflussen.14

Selbst in monogamen Gesellschaften gibt es nicht nur einen, sondern mehrere sexuelle Beziehungsmärkte mit recht verschiedenen Merkmalen.15 In der Hauptsache verläuft die Trennlinie zwischen dem Markt für langfristige Beziehungen, den wir der Einfachheit halber als »Heiratsmarkt« bezeichnen können, und einer Art »Effektivmarkt« für flüchtige Beziehungen.16 Zum »Effektivmarkt« gehören Gelegenheitsbegegnungen und lose sexuelle Beziehungen vor der eigentlichen »Brautschau«, kürzere und längere Affären während der Ehe, die Inanspruchnahme |269|von käuflichem Sex und erotischer Unterhaltung, Telefonsex, Striptease, Pornos und ähnliche Dinge rund um den Sex.

Für Menschen, denen es bei dem Gedanken, den Begriff »Markt« mit Beziehungen in Zusammenhang zu bringen, graust, verläuft die Trennlinie zwischen langfristigen und flüchtigen Beziehungen von erotischem oder sexuellem Charakter.17

Zu einer Dauerbeziehung gehört im Regelfall Sex, aber das ist nicht immer so. Ein Fehler, den viele Beobachter begehen, besteht in der Annahme, dass ein Ehepartner oder ein langfristiger Lebenspartner auf Dauer so viel Sex garantiert, wie der Mensch braucht.18 Das ist wohl der Hauptgrund dafür, dass Sexualität in Studien über Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse unter Paaren als Parameter bislang kaum beachtet worden ist. Meine Übersicht über Studien aus der ganzen Welt in Kapitel 2 hat mit diesem Mythos hoffentlich ein für allemal aufgeräumt. Zölibatäre Ehen und solche mit wenig Sex sind in modernen westlichen Gesellschaften weit häufiger, als manch einer wahrhaben will. Selbst in Ehen mit regelmäßigem Geschlechtsverkehr gibt es Hinweise auf ein männliches Sexdefizit, das mit dem Alter zunimmt, weil Frauen ab dem Alter von 30 Jahren immer mehr das Interesse an Sex verlieren. Infolgedessen verläuft zwischen Menschen in langfristigen und flüchtigen Beziehungen, zwischen Heiratsmarkt und Effektivmarkt eine nur sehr dünne Trennlinie. Männer mit langfristigen Partnern suchen parallel zu ihrer festen Beziehung unter Umständen noch immer sehr aktiv auf dem Effektivmarkt nach Partnern.19 Unter homosexuellen Männern wird in vielen Fällen das Bedürfnis akzeptiert, ein wenig leidenschaftliches oder schal gewordenes Sexualleben in einer lange währenden Beziehung durch flüchtige Affären zu würzen. Verschiedene sexuelle Kulturen unterscheiden sich sehr darin, ob Ähnliches auch für heterosexuelle Beziehungen möglich ist oder nicht. Polygame Kulturen erlauben Männern oder Frauen, manchmal beiden, ein gewisses Maß an Abwechslung. In Frankreich und Italien gelten diskrete Affären beispielsweise als akzeptabel, wohingegen sie in Amerika und Großbritannien in Scheidung (oder serieller Monogamie) enden können.20 Die Trennlinie |270|zwischen den beiden Märkten ist jedoch wichtig, damit die Konkurrenz nicht allzu groß wird.21

Effektivmärkte und flüchtige Beziehungen sind die einzigen Szenarien, in denen der Marktwert von weiblicher Sexualität und erotischem Kapital voll und ganz zur Geltung kommt. Langfristige Beziehungen sind komplexere Vereinbarungen. Zu ihnen gehört häufig ein erst spät geernteter Lohn, langfristige Investitionen in Kinder und Eigentum, gemeinsame Interessen in Bezug auf Politik und Religion, Reisen, Sport und Künste, gemeinsame Freunde, ein geteiltes Sozialleben, Familienbande und gemeinsame Unternehmungen, die eine Beziehung festigen. Diese Art von Sozialkitt fehlt flüchtigen Beziehungen zumeist, erotische Ausstrahlung und sexuelle Kunstfertigkeit stehen damit als stolze Hauptattribute da – oder eben auch nicht. Effektivmärkte sind Märkte, auf denen Güter direkt gegen Geld gehandelt werden und sofort den Besitzer wechseln. Jedes Ungleichgewicht in Bezug auf das erotische Kapital muss auf der Stelle durch kompensierende Zuwendungen aufgewogen werden. Der Marktwert von erotischem Kapital ist, wie sich herausgestellt hat, ausgesprochen hoch. Wie in Kapitel 6 gezeigt, liegt der Verdienst von Frauen bei käuflichem Sex im Regelfalle zwei- bis 40-mal über dem Lohn, den sie auf dem herkömmlichen Arbeitsmarkt verdienen könnten. Auch das Einkommen in Randbereichen wie Striptease und Telefonsex liegt um das Doppelte bis Dreifache über dem in anderen Berufen. Es gibt solide Hinweise darauf, dass die Preise in der Vergangenheit sogar noch höher lagen als heute.

Außerhalb des sexuellen Dienstleistungsgewerbes muss ein Partner von geringem erotischen Kapital – ein unsportlicher oder übergewichtiger, sozial unbeholfener, schlecht gekleideter oder ältlicher Mann – beträchtliche Zuwendungen als Ausgleich bieten. Das lässt sich überall dort beobachten, wo es einen halbwegs offenen Markt für kurzfristige Affären gibt. Innerhalb heterosexueller Effektivmärkte kann eine attraktive junge Frau von ansprechender äußerer Erscheinung und gewinnendem Betragen zuhauf Partner mit einem sehr viel höheren ökonomischen, kulturellen oder sozialen Kapital auswählen. Ein hinlänglich bekanntes Beispiel ist die Affäre zwischen einer schönen, |271|klugen und mittellosen Studentin und einem älteren, erfolgreichen, wohlhabenden und oftmals verheirateten Mann, der vorzeigbar, aber nicht eben attraktiv ist, oder sind die »Schmuckstück-Gattinnen« und »Sugar Daddys« Nordamerikas und Europas. Es gibt rund um die Welt jede Menge andere Beispiele und Parallelen – die velho que ajuda (»helfenden Graubärte«) Brasiliens22, der »Jineterismo« Kubas23, das »Keine Romanzen ohne Finanzen!« nigerianischer Studentinnen24, Jakartas striktes »No money, no honey« in allen sexuellen Beziehungen25 und die kostspieligen vietnamesischen Freundinnen ausländischer Touristen26. In homosexuellen Kreisen gibt es ähnliche Beziehungen, in lesbischen eher weniger.

Der gegenwärtige Mangel an jungen Frauen in den Städten Chinas und die hohen Kosten eines Universitätsstudiums haben in Shanghai, Peking und anderen Städten gar zum Phänomen der »studierenden Konkubine« geführt. Junge Frauen auf Chinas größter Dating-Website Jianyuan erklären ausdrücklich, sie seien auf der Suche nach älteren reichen Männern, die sie in ihrem Studium unterstützen und ihnen einen erstrebenswerten Lebensstil finanzieren. Ganz allgemein erklären junge Frauen frank und frei, was sie suchten, seien Männer, die haben, was man in China si you nennt – »vier Besitztümer«: ein Haus, ein Auto, ein ordentliches Gehalt und einen angesehenen Job oder ein Geschäft –, jemanden, der imstande ist, einer Geliebten oder Ehefrau einen gewissen gehobenen Lebensstil zu bieten. Auch junge Männer signalisieren ihre Bereitschaft, Jugend und Schönheit gegen Wohlstand und berufliche Chancen einzutauschen, indem sie in eine reiche Familie einheiraten.27

Es hat den Anschein, als schätzten Männer in Kulturen außerhalb Europas das erotische Kapital und die Sexualität von Frauen hoch und seien sich über deren Tauschwert voll und ganz im Klaren. Ob es patriarchalische Werte oder angelsächsischer Puritanismus sind, die solches bewirken, auf jeden Fall gilt es in vielen Ländern Westeuropas und den Vereinigten Staaten als unzulässig, unfair oder illegal, wenn Frauen ihre Sexualität, ihr erotisches Kapital und ihre Fruchtbarkeit zu Markte tragen und gewinnbringend einsetzen. Das Stigma, |272|mit dem der offene Austausch von Geld oder Status gegen erotisches Kapital oder Sexualität behaftet ist, färbt ab auf die Wissenschaftler, die sich mit diesen Themen befassen.28 Schöne junge Frauen, die die gesellschaftliche Leiter hinauf heiraten, gelten als »Goldgräberinnen«, als hätten sie ihrerseits nichts von Wert in die Beziehung einzubringen. Und so mancher Forscher, der sich mit diesen Fragen befasst hat, steht selbst auf dem Standpunkt, dass Frauen sich die durch das männliche Sexdefizit bedingte Abhängigkeit der Männerwelt nicht zunutze machen dürften.29 In homosexuellen Kreisen hingegen nutzen Männer mit viel Sex-Appeal ihren Vorteil unverhohlen.30 Es hat den Anschein, als bestünde der eigentliche Einwand darin, dass es Frauen sind, die ihr erotisches Kapital oder welches Plus auch immer auf Kosten von Männern vermarkten.

Die schizophrene Haltung zu Geld und Liebe

Menschen in der westlichen Welt scheinen unfähig zu sein, klar und rational über Tauschhandel in Privatleben und Familie nachzudenken, in denen Liebe, Fürsorge, Zuneigung, Geld, Zeit und Mühe unauflöslich miteinander verflochten sind. Man hat es hier oft mit einem echten »Doppeldenk« zu tun.31

Auf der einen Seite wird argumentiert, dass eine Beziehung, die auf Geschenken basiert, finanziellen Tauschbeziehungen haushoch überlegen ist. Den klassischen Beleg dafür liefert das vielzitierte Buch The Gift Relationship: From Human Blood to Social Policy von Richard Titmuss. Der Autor zeigt darin, dass das britische System der (meist vom Arbeitgeber organisierten) freiwilligen Blutspende mehr Blut, das überdies weniger stark kontaminiert ist, für Transfusionen in den Krankenhäusern liefert als das gewerbliche Blutspenden in Amerika, bei dem die Spender entlohnt werden. Diese Studie wird häufig zum Beweis dafür zitiert, dass kommerzielle Märkte Güter und Dienstleistungen von geringerer Qualität hervorbringen als familiäre oder Wohlfahrtssysteme. Britische Blutspender bekommen nichts für ihre |273|Spende. Ihr Lohn besteht darin, dass sie das gute Gefühl haben können, anderen – wenn auch anonym – zu helfen.

Wenn es jedoch um die Versorgung und Erziehung von Kindern geht, neigen die Fachleute für Sozialpolitik zu einem abrupten Vorzeichenwechsel und stellen sich auf den Standpunkt, dass Säuglinge und Kleinkinder, die man einer privatwirtschaftlich oder staatlich betriebenen Tagesbetreuung überantwortet, mindestens genauso gut versorgt werden, wie das in einer Familie durch liebende Eltern und Großeltern geschieht. Ja, in den nördlichen Ländern ist man gar der Ansicht, Kinder würden in Horten und Kitas besser versorgt als zu Hause, wo Fürsorge und Zuwendung kostenlos und aus freien Stücken gespendet und nicht für Geld von Fremden erkauft werden.

Ganz ähnliche Argumente werden im Zusammenhang mit dem gewerblichen Anbieten sexueller Dienstleistungen im Vergleich zu einer intimen Privatbeziehung laut. Manche Leute behaupten, eine Beziehung, die auf dem Austausch von Geschenken beruht, müsse notwendigerweise von besserer Qualität sein, weil sie (zumindest meistens) auf Zuneigung beruht. Andere finden, dass käufliche sexuelle Dienstleistungen zwangsläufig überlegen sind, weil hier Professionalität und Spezialisierung geboten werden. Da nur wenige Menschen umfassende Erfahrungen aus erster Hand für beide Szenarien vorweisen können, sind echte Vergleiche kaum anzustellen. Ich würde behaupten, dass diese ohnehin bedeutungslos sind. Langfristige Beziehungen unterscheiden sich qualitativ von solchen, die auf dem Effektivmarkt für Beziehungen gehandelt werden, so dass wir es hier nicht mit vergleichbaren Dingen, sondern mit zwei höchst unterschiedlichen Phänomenen zu tun haben. Hinzu kommt, dass diese Debatten die Realitäten des Sexuallebens junger Menschen außer Acht lassen, bei denen halb anonymer Gelegenheitssex und One-Night-Stands längst nichts Ungewöhnliches mehr sind. Zuneigung spielt bei solchen flüchtigen Begegnungen keine große Rolle, es kommt auf sexuelle Kompetenz an, die manchmal an professionelle Standards heranreicht. Die Trennlinie zwischen Amateur- und Profisex verschwimmt.

|274|Die zwanghafte Verknüpfung von Sex und Liebe, die in der westlichen Welt regiert, ist keineswegs universell.32 Westliche Vorurteile und Voreingenommenheiten im Zusammenhang mit Liebe und Sexualität sind eher die Ausnahme denn die Regel. In jedem Falle lauert auch hier jenes zuvor erwähnte schizophrene Denken. Denn mit der Vorgabe, nur Liebe legitimiere sexuelle Handlungen, gehen Frauen und Männer höchst unterschiedlich um. Während die Frau sagt: »Ich liebe dich, ich werde tun, was ich kann, um dich glücklich zu machen, auch im Bett«, sagt der Mann: »Ich bin verrückt nach dir, du musst mir alles geben, was ich von dir will, auch im Bett.« Hier liegt ein Ungleichgewicht vor, das manche Menschen gerne ignorieren.

Ein neues Manifest für Frauen

Das ursprüngliche gemeinsame Thema der feministischen Bewegung der 50er und 60er Jahre war die Kontrolle über den eigenen Körper und die eigene Fruchtbarkeit, insbesondere das Recht auf Abtreibung. Die Pille und andere verlässliche moderne Verhütungsmethoden verringerten die Notwendigkeit für ein Recht auf Abtreibung, weil die Zahl der Kinder hinfort kontrollierbar war, und läuteten eine neue Ära ein.33

Das zweite Kernthema war die geringe Entlohnung von Frauen und insbesondere die Kluft zwischen dem Durchschnittslohn für Frauen und dem für Männer. Bis ins 19. Jahrhundert hinein verdienten Männer normalerweise doppelt so viel wie Frauen, auch wenn diese genau dieselbe Arbeit verrichteten. In Großbritannien hielt sich dieser Zustand bis in die 70er Jahre.34 In den Vereinigten Staaten zahlten die Arbeitgeber Frauen weniger als die Hälfte, manchmal nur ein Drittel dessen, was sie Männern bezahlten.35 Die Arbeitgeber verbündeten sich mit den von Männern dominierten Gewerkschaften und brachten es fertig, das Lohnniveau bei Frauen konsequent unter dem von Männern zu halten.36

Gesetze zur Lohn- und Chancengleichheit hatten, wenn sie denn umgesetzt wurden, eine immense Wirkung. In Großbritannien verringerte |275|sich die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen in nur sechs Jahren um 10 Prozent, dieser Prozess hielt bis etwa 1993 an. Seither hat es in Großbritannien, quer durch ganz Europa und in allen anderen modernen Industriestaaten so gut wie keine weitere Veränderung dieser Spanne gegeben; sie liegt heute in der Europäischen Union und selbst in den Ländern Skandinaviens bei 17 Prozent, in den Vereinigten Staaten aber bei über 25 Prozent.37 Forscher und Analysten grübeln seit Jahren über diesem Problem und versuchen, den Stillstand zu erklären.

Manch einer ist zu dem Schluss gekommen, dass Gleichstellungsgesetze das Ihre vollbracht haben und die weiterbestehende Schere mit den anders gelagerten Karriereentscheidungen und Beschäftigungsmustern von Frauen zu tun hat.38 Andere suchen unverdrossen nach den Mechanismen und Weichenstellungen im Leben, die dazu führen, dass Frauen weniger verdienen als Männer, obwohl Frauen heute bessere Bildungs- und Berufschancen offen stehen.39

Einer dieser Schlüsselmechanismen ist beispielsweise ein völlig simpler Fakt: Frauen bitten nicht halb so oft um eine Gehaltserhöhung oder Beförderung wie Männer. Manchmal lehnen sie eine angebotene Beförderung sogar ab. Selbst wenn sie soeben ein Universitätsexamen im selben Fach abgelegt haben wie ihre männlichen Kollegen, erhalten junge Frauen bei ihrem ersten Job ein geringeres Einstiegsgehalt. Schon unmittelbar nach dem Abschluss handeln junge Männer ein höheres Gehalt aus, als man ihnen zuerst bietet. Im weiteren Berufsleben werden sie immer wieder um Gehaltserhöhungen, höhere Aufschläge oder Beförderung vorstellig und wechseln häufig die Arbeitsstelle, um besser entlohnt zu werden. Junge Frauen hingegen nehmen in den meisten Fällen dankbar, was man ihnen bietet, und machen genauso weiter; sie warten geduldig, dass man ihnen eine Beförderung und Gehaltserhöhung anträgt und wechseln nur sehr selten den Arbeitgeber, um anderorts mehr zu verdienen.40

All das mag an dieser Stelle komplett am Thema vorbei erscheinen, ist es aber nicht. Dass Frauen es am Arbeitsplatz versäumen, bessere Bezahlung einzufordern, ist eine unübersehbare, von zahllosen Studien |276|belegte Tatsache. Aber es ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass Frauen einfach nicht verhandeln, und das gilt auch für das Privatleben, obwohl sich dies allerdings weit schwieriger untersuchen und nachweisen lässt. Der Punkt ist, dass Frauen nichts fordern! Wer nicht fragt, bekommt nicht, was er will. Schon der Zufall will es, dass man in etwa 50 Prozent aller Fälle, in denen man fragt, Erfolg hat, das ist sehr viel mehr als nie. Manchmal zu gewinnen ist besser, als niemals etwas zu bekommen.

Frauen fordern deshalb keine besseren Bedingungen im Arbeitsleben und in der Öffentlichkeit ein, weil sie es auch im Privatleben kaum lernen, für eine bessere Behandlung einzutreten. Männer fordern weit mehr von ihren Arbeitgebern, weil sie es im Privatleben in den tagtäglichen Verhandlungen mit Müttern, Freundinnen, Geliebten, Ehefrauen und Töchtern gewöhnt sind, zu bekommen, was sie wollen.

Im Jahr 2010 ging der L’Oréal-Skandal durch die französische Presse. Die L’Oréal-Erbin Liliane Bettencourt, 87, hatte, wie sich herausstellte, irrsinnige Summen an Geld, Gemälde und andere Wertgegenstände an einen langjährigen Freund namens François-Marie Banier, 63, verschenkt, einen begabten und erfolgreichen Schriftsteller, Künstler und Fotografen, für den sie und ihr Ehemann sich über viele Jahre eingesetzt und den sie finanziell unterstützt hatten. Die der Mutter entfremdete Tochter, Françoise Bettencourt-Meyers, beschuldigte Banier, den fragilen Geisteszustand ihrer Mutter ausgenutzt zu haben, um ein Vermögen an Geschenken anzuhäufen. Sie erwirkte eine Anklage, weil er ihre altersschwache Mutter in unbotmäßiger Weise ausgenutzt habe. In einem ihrer seltenen Presse-Interviews gestand Liliane Bettencourt, sie habe Banier Gemälde, Versicherungspolicen und Bargeld im Wert von schätzungsweise einer Milliarde Euro oder mehr vermacht. Auf die Frage, warum sie das getan habe, gab die reichste Frau Frankreichs zur Antwort: »Weil er darum gebeten hat.«41

Ein zentrales Element männlich-chauvinistischen Betragens in alltäglichen Beziehungen fußt auf der Ansicht, dass Geld und Status »zählen«, wohingegen die Stärken und Talente von Frauen – ihr erotisches |277|Kapital eingerechnet – schlicht ein naturgegebener und damit selbstverständlicher Teil der Welt sind.42

Frauen müssen im Privaten lernen, um eine bessere Position und um eine stärkere Anerkennung zu verhandeln, bevor sie solches gegenüber Managern, Kollegen und Arbeitgebern erfolgreich durchsetzen können. Wie so vieles beginnen auch Selbstvertrauen und Verhandlungsgeschick zu Hause.

Im Privatleben sind oft nicht Geld und Einkommen, sondern das erotische Kapital der Frau die Trumpfkarte. Letzteres kann auch ein entscheidendes Plus für sehr gutaussehende Männer sein, so sie über die passenden sozialen Kompetenzen verfügen, um die Leiter hinauf zu heiraten. Nur eine kleine Minderheit an Frauen bringt es zu hoch dotierten Manager- und Akademikerberufen, und auch sie profitieren von ihrem erotischen Kapital. Frauen empfinden ihr erotisches Kapital in der Regel nicht als persönliches Plus, weil das patriarchale System und viele Feministinnen es herabwürdigen und schmähen. Natürlich ist Schönheit etwas Oberflächliches, sie muss nicht tief gehen. Auch Geld ist etwas Oberflächliches, aber es hat trotzdem seinen Wert. Erotisches Kapital ist fast so vielseitig verwendbar wie Geld. Es heißt, Schönheit sei genauso gut wie eine Kreditkarte.43 Schon Aristoteles hat gesagt: Schönheit ist das beste Empfehlungsschreiben und vermag Standesgrenzen zu überschreiten.

Männer glauben oftmals, sie hätten das alleinige Recht, Wirklichkeit zu definieren und das Drehbuch einer Beziehung zu diktieren: »Ich sage, welches Verhalten akzeptabel und angemessen ist, und was nicht.«44 Woher nehmen Männer diese Überheblichkeit? Von ihren ergebenen Müttern? Indem sie sich an ihrem Vater orientieren? Und warum lassen Frauen so etwas zu?

Selbst im 21. Jahrhundert spielen Frauen aktiv die Komplizenrolle, wenn es darum geht, Männer als Bürger erster Klasse zu behandeln, die eben »gleicher« sind als Frauen.45 Einer Übersichtsstudie der britischen Elternorganisation Netmums aus dem Jahre 2010 zufolge, an der sich 2500 Mütter beteiligt hatten, geben neun von zehn Müttern zu, ihre Söhne besser zu behandeln als ihre Töchter, obwohl sie wissen, |278|dass das falsch ist. Jungen werden von ihren Müttern häufiger gelobt als Mädchen, Töchter werden doppelt so häufig kritisiert. Söhnen wird mehr Freiheit eingeräumt zu tun, was ihnen beliebt. Ungezogenes Betragen bei Jungen geht als »verspielt«, »vorlaut« oder »lustig« durch, bei Mädchen heißt es »pampig« oder »streitsüchtig«. Weibliche Unterordnung und die arrogante Selbstherrlichkeit von Männern beginnen auf dem Schoß der Mütter. Das erklärt womöglich, warum viele Frauen sich als Erwachsene unablässig von Männern bevormunden lassen, obwohl sie es absolut nicht nötig hätten. Viel zu häufig gehen Frauen achtlos mit ihren Gaben und Talenten, mit sexueller Zuwendung und erotischem Kapital um, weil man ihnen von klein auf eingetrichtert hat, dass nur Geld und Qualifikationen zählen. Die Anerkennung des Werts von erotischem Kapital und weiblicher Fruchtbarkeit sind der Grundstein für ein wahrhaft feministisches Manifest!

Auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren Frauen mit Männern um Humankapital und soziales Kapital. Frauen werden zu »Ersatzmännern«. Dadurch, dass viele Frauen auf den Arbeitsmarkt drängen, kommt es zwangsläufig zu vermehrtem Konkurrenzdruck und einer generellen Absenkung des Lohnniveaus.46 Daraus erklärt sich teilweise die massive Zunahme an Bewerbern für gehobene Ausbildungsgänge in den vergangenen Jahren und die daraus resultierende »Qualifizierungsinflation«. Jobs, die früher nur einen mittleren Abschluss erfordert haben, setzen heute einen Universitätsabschluss voraus. Der Wettbewerb ist für jedermann, Männer wie Frauen, härter geworden. In dieser Situation kann es einen entscheidenden Vorteil bedeuten, zusätzliche Stärken und Begabungen, welcher Art auch immer – Sprachenkenntnisse, Wissen um fremde Kulturen, ehrenamtliche Tätigkeiten, Hobbys –, vorweisen zu können. Soziale Kompetenzen und erotisches Kapital können in manchen Berufen, vor allem in solchen, in denen es um sichtbares Auftreten in der Öffentlichkeit und gesellschaftliche Verpflichtungen geht, darüber hinaus das Quäntchen mehr bedeuten, das über Erfolg und Versagen entscheidet.

Für diejenigen, die im Bildungssystem keine Meriten vorweisen können oder aus Langeweile schlicht ausgestiegen sind, sind die Bildungsqualifikationen |279|ohnehin minimal, so dass erotisches Kapital im Privaten wie auf dem Arbeitsmarkt womöglich ihr größter persönlicher Aktivposten ist und bleibt.

Das Fashion-Model Kate Moss hat sich erfolgreich zur Millionärin hochgearbeitet, obwohl sie nicht sehr lange die Schule besucht hat, und führt außerdem ein schillerndes Privatleben. Auch das Erotik-Model Katie Price ist eine Selfmade-Millionärin, die die Schule ohne formellen Abschluss verlassen hat. Diese Frauen und ihr glamouröses Leben eignen sich sehr wohl als Rollenmodelle für junge Frauen, die nicht das akademische Interesse mitbringen, sich für einen höheren Bildungsweg oder einen langweiligen Bürojob zu qualifizieren.47

Manche Wissenschaftler betrachten intime und sexuelle Beziehungen durch die Brille der geltenden Konventionen und verschwenden keinen Gedanken daran, wer diese Vorgaben erdacht hat und steuert.48 Die meisten dieser Spielregeln sind von Vertretern des Patriarchats geschrieben worden. Frauen sind aufgerufen, sie neu zu schreiben und dabei zwei soziologische Tatsachen zu berücksichtigen, die in diesem Buch vorgestellt worden sind. Zum einen den Umstand, dass Frauen über ein höheres Maß an erotischem Kapital verfügen als Männer, weil sie mehr dafür tun (mit Ausnahme homosexueller Männer, versteht sich, die ebenfalls an ihrem Sex-Appeal arbeiten). Und zum anderen die Tatsache, dass selbst dann, wenn Männer und Frauen über ein gleiches Niveau an erotischem Kapital verfügten, das männliche Sexdefizit Frauen in privaten Beziehungen automatisch die Oberhand verleiht. Ähnlich verhält es sich in homosexuellen Beziehungen, bei denen in der Regel der jüngere und attraktivere Mann die größere Macht hat.

Ein fundamentaler intellektueller Fehler, den die meisten feministischen Autorinnen begehen, ist die Verwechslung von Makro- und Mikroebenen-Analysen.49 Gesamtgesellschaftlich gesehen verfügen Männer als Personengruppe generell über mehr Macht als Frauen – sie stellen Regierungen, führen internationale Organisationen, stehen den größten Unternehmen und Gewerkschaften vor. Das aber münzt sich nicht notwendigerweise in mehr Macht auf zwischenmenschlicher Ebene, in intimen Beziehungen und in der Familie um. Auf dieser |280|Ebene sind erotisches Kapital und Sexualität genauso wichtig wie Bildung, Einkommen und soziales Netz. Schließt man Fruchtbarkeit ein, erhöht sich die Macht der Frauen zusätzlich, vorausgesetzt das Paar möchte Kinder haben. Sogar in Gesellschaften, in denen Männer auf staatlicher Ebene die Macht in Händen halten, können Frauen große Macht besitzen und die Regeln für das Beziehungsleben vorgeben. Dass diese Umkehrung der Machtverhältnisse möglich ist, zeigt sich klar am Erotikgewerbe. Hier können Männer Drehbuch und Regie zwar vorgeben, aber sie müssen dafür großzügig zahlen.

Der größte Fehler der feministischen Bewegung war, dass sie Frauen suggeriert hat, sie seien unausweichlich und auf immer machtlose Opfer männlicher Herrschsucht. So brachten die feministischen Theoretikerinnen junge Frauen dazu zu glauben, das Spiel ließe sich gar nicht gewinnen. Der Feminismus ist einer der Gründe dafür, dass Frauen nichts mehr einfordern und daher vor allem in privaten Beziehungen nicht bekommen, was sie für fair und angebracht halten.

Politische Konsequenzen

Erotisches Kapital als vierten persönlichen Aktivposten neben Humankapital, sozialem Kapital und ökonomischem Kapital anzuerkennen, ist von eminenter Bedeutung für die Politik einer Gesellschaft. Es ist in keiner Weise ungehörig, wenn attraktive Frauen ihr erotisches Kapital in der Sexindustrie, im Erotikgewerbe, im Arbeitsleben und im sozialen Miteinander insgesamt einsetzen. So wie das Etikett »soziales Kapital« Nutzwert guter Kontakte, Vetternwirtschaft und Korruption legitimiert, wird ein neues Etikett für soziale und äußerliche Attraktivität diesem Attribut intellektuelle Legitimation und Ansehen verschaffen. Erotisches Kapital »steigert den Wert« einer Arbeitskraft sogar in Berufen, für die es wie in Bereichen Rechtsprechung und Management vielleicht unbedeutend erscheint. Auch das Humankapital ist irgendwann zu einem ideologischen Maßstab geworden, der höhere Gehälter für Menschen mit besseren Qualifikationen und mehr |281|Arbeitserfahrung rechtfertigt. Das Argument im Falle des Humankapitals lautet, dass Leute, die mehr davon haben, auch mehr leisten, was aber in vielen Berufen nur schwer nachzuweisen ist.50

Die in Kapitel 7 erläuterte Beweislage zeigt, dass attraktive Männer einen höheren »Schönheitsbonus« zugesprochen bekommen als attraktive Frauen. Wir haben es hier mit einem klaren Fall von sexueller Diskriminierung zu tun, zumal alle Studien zeigen, dass Frauen auf Bewertungsskalen zur Attraktivität besser abschneiden als Männer. Es steht außer Zweifel, dass Frauen denselben finanziellen Lohn für ihren zusätzlichen Beitrag zum Ertrag und zur Effizienz am Arbeitsplatz einfordern sollten. Wahrscheinlich ist ein Teil der unerklärlichen Schere zwischen Männern und Frauen darauf zurückzuführen, dass das erotische Kapital von Frauen nicht ebenso belohnt wird wie das von Männern.

Meine Schlussfolgerungen widersprechen all jenen »feministischen« Anwälten und Wissenschaftlern, die jede Würdigung und Belohnung von Attraktivität verunglimpfen.51 Da Männer für dieses Gut bereits belohnt werden, ist die mangelnde Gleichbehandlung von Frauen in diesem Zusammenhang hochgradig unfair.

Eine Entkriminalisierung und Entstigmatisierung käuflicher sexueller Dienstleistungen und aller anderen erotischen Unterhaltungsangebote wäre eine weitere logische Konsequenz.52 Die Legalisierung würde zwangsläufig all denen, Männern wie Frauen, die in diesem Gewerbe arbeiten, das Leben sehr erleichtern. Dennoch waren es stets die Frauen, die am unmittelbarsten unter der Kriminalisierung des Gewerbes, unter Festnahmen und Polizeiwillkür zu leiden gehabt haben. Besonders betroffen waren dabei immer die Frauen auf dem Straßenstrich, dem sichtbarsten Ort der Sexindustrie. Die Geschichte zeigt, dass die Entstigmatisierung und Entkriminalisierung es Frauen überdies erleichtern würde, aus dem Gewerbe wieder auszusteigen oder dieser Tätigkeit nur zeitweise oder gelegentlich nachzugehen.53 Die Niederlande und Neuseeland sind gegenwärtig die besten Beispiele für eine umfassende Normalisierung des Sexgewerbes, gleich dahinter folgen Deutschland und vielleicht Frankreich. Schweden und Großbritannien |282|pflegen eine kontraproduktive Form von politischer Korrektheit, die als »Politik der Gleichberechtigung« bemäntelt wird.

Derselben Logik folgend müssen Gesetze, die die Leihmutterschaft und ähnliche Verhältnisse zu reglementieren versuchen, samt und sonders neu geschrieben werden. Der amerikanische Richter und Rechtsgelehrte Richard Posner tritt für die Etablierung von Leihmutterschaftsverträgen ein, die auch den Fall regeln, dass die Frau, die unter solchen Umständen ein Kind zur Welt bringt, dieses am Ende nicht freigeben will.54 Frauen, die diese Aufgabe übernehmen, sollten die Freiheit haben, dafür zu verlangen, was immer der Markt an Honoraren für die entsprechenden Leistungen – Eizellspende, Leihmutterschaft und die gute alte Ammentätigkeit – hergibt. Gegenwärtig werden Leihmütter vom Gesetz daran gehindert, mehr als eine »angemessene Aufwandsentschädigung« einzufordern.55 Es handelt sich dabei um eine patriarchalische Gesetzgebung, die wieder einmal daran festhält, dass Frauen ihre Arbeit grundsätzlich für Gotteslohn, aus »Liebe«, anzubieten haben. Männer dürfen instrumentalisieren, was ihnen erfolgversprechend erscheint, gewinnsüchtig, ja sogar habgierig agieren, wie die beträchtlichen Boni für die einträglichen, aber zweifelhaften Praktiken im Bankengewerbe zeigen. Selbst in kapitalistischen Gesellschaften dürfen Frauen nicht gewinnsüchtig sein.

In Indien, wo das Geschäft mit der Leihmutterschaft nicht unter Strafe steht, können arme Frauen mit dem Austragen eines Kindes dasselbe verdienen wie in zehn Jahren anderer Lohnarbeit und werden damit zu den Hauptverdienern ihrer Familien.56 Für viele dieser Frauen besteht ein weiterer Lohn dieser Tätigkeit in den neun Monaten bezahlter Ruhe und Muße, denn sie leben in betreuten Unterkünften in Kliniknähe, in denen die Schwangerschaft leicht überwacht werden kann, haben die Möglichkeit fernzusehen und anderen Luxus zu genießen, der in ihren eigenen Häusern unerschwinglich ist. Solche Arbeit macht die Frauen zu Ernährerinnen ihrer Familien, hebt ihren Status und ermöglicht es ihnen, ein Haus zu kaufen oder ihren Töchtern eine gute Ausbildung angedeihen zu lassen.

|283|Alles in allem ist es an der Zeit, die puritanisch-patriarchalischen »Moralvorstellungen« über Bord zu werfen, die allem Tun von Frauen Steine in den Weg legen, während sie Männern gestatten, ihren Profit zu maximieren und ihre Interessen wahrzunehmen. Frauen müssen lernen, im Privatleben und in der Öffentlichkeit eine bessere Stellung einzufordern. Das Wissen darum, welchen sozialen und wirtschaftlichen Wert erotisches Kapital in der Realität hat, kann in solchen Verhandlungen überaus hilfreich sein.