|225|Kapitel 7

Der Marktwert des erotischen Kapitals

Es liegt auf der Hand, warum die physische und soziale Anziehungskraft für Medienstars, im Unterhaltungs- und Gastgewerbe, ja, im Dienstleistungssektor insgesamt, ein hohes Gut ist. Für Berufe im Managementbereich oder im akademischen Sektor könnte man vermuten, dass erotisches Kapital von geringer Bedeutung ist. Menschen werden in diesen Bereichen aufgrund ihrer Fachkenntnis, ihres Wissens und ihrer Erfahrung eingestellt. Doch selbst in diesen dünn besetzten oberen Rängen der beruflichen Hierarchie können Erscheinung und soziale Umgangsformen großen Einfluss haben, genauso wie es quer durch die gesamte Arbeitswelt einen »Schönheitsbonus« gibt. Leider wird die sexuelle Diskriminierung hier besonders augenfällig. Ungeachtet dessen, dass Frauen im Allgemeinen als besser aussehend und attraktiver eingeschätzt werden als Männer, fällt der entsprechende Gehaltszuschlag für Frauen geringer aus als für ihre männlichen Kollegen. Wieder und wieder haben Untersuchungen über Einstellungs-, Auswahl- und Beförderungsentscheidungen im westlichen Berufsalltag gezeigt, dass die Haltung gegenüber weiblicher Attraktivität von weit mehr Zwiespältigkeit geprägt ist als die gegenüber männlicher Attraktivität, und dass der finanzielle Lohn für eine attraktive Erscheinung bei Männern beträchtlich höher ausfällt als bei Frauen – eine neue Form der sexuellen Diskriminierung.

Der wirtschaftliche Ertrag von erotischem Kapital lässt sich vergleichen mit dem nicht minder bemerkenswerten Plus, das eine stattliche |226|Körpergröße mit sich bringt. Der Karrierebonus für große Menschen (insbesondere für hoch gewachsene Männer) ist unumstritten, der Schönheitsbonus aber wird – zumindest in den angelsächsischen Ländern und in erster Linie bei Frauen – häufig als unfair oder diskriminierend angeprangert. Ich würde erwarten, dass der Schönheitsbonus in Ländern, die dem ökonomischen Wert von erotischem Kapital weniger ambivalent gegenüberstehen, größer ausfällt.

In der Unterhaltungsindustrie ergibt sich der Profit aus erotischem Kapital in erster Linie aus körperlichen Elementen wie Schönheit und Sex-Appeal, in manchen Fällen auch Sexualität. Auf dem normalen Arbeitsmarkt aber sind seine sozialen Aspekte besonders wertvoll: Fähigkeiten wie die zur adäquaten Präsentation der eigenen Persönlichkeit oder das Talent, sich ansprechend zu kleiden, soziale Kompetenzen und Überzeugungskraft, Fitness und ein temperamentvoll-dynamisches Wesen in Gesellschaft. Eine öffentliche Zurschaustellung von Sex-Appeal kann in diesem Kontext vor allem bei Frauen als unangebracht empfunden und massiv geahndet werden.

Gutes Aussehen im Management und in akademischen Berufen

Der geschlechtsspezifische Unterschied, was die Anerkennung von erotischem Kapital betrifft, scheint bei Managementberufen und in der akademischen Welt am höchsten. Experimente unter sorgfältig kontrollierten Bedingungen zeigen, dass hoch qualifizierte attraktive Bewerberinnen generell eher als weniger geeignet für eine Stelle im Management betrachtet werden als hoch qualifizierte attraktive männliche Bewerber. (In dem hier gewählten Beispiel ging es um eine Stelle in der Verkaufsleitung, ein Bereich, der Frauen und Männern gleichermaßen offen steht.) Hoch qualifizierte unattraktive Bewerberinnen hingegen wurden eher als geeignet betrachtet. Psychologen erklären diese Diskriminierung attraktiver weiblicher Kandidaten für Managementposten mit stereotypen Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit: Attraktive |227|Männer und wenig attraktive Frauen werden als maskuliner, motivierter, weniger emotional und entschlussfreudiger angesehen. Dahinter lauert womöglich die unausgesprochene Logik, dass attraktive und feminine Frauen leichter durch die Heirat mit einem erfolgreichen Mann vom eigenen Kurs abzubringen sind, so dass sie sich weniger auf ihre eigene Karriere konzentrieren. Sogar erfahrene Personaler stufen sowohl attraktive Männer als auch attraktive Frauen als gleich sympathisch und für die jeweilige Arbeit geeignet ein, gehen im letzten Moment aber auf Nummer Sicher und ziehen den männlichen Kandidaten vor.1 In der Praxis wird Attraktivität als Teil der Persönlichkeit wahrgenommen, doch für Frauen kann sich das auf den oberen Stufen der Karriereleiter und insbesondere im Zusammenhang mit Managementposten gelegentlich als Stolperstein erweisen.

Manche Qualifikationen können aber helfen, diese Stereotype zu überwinden. Wer einen Abschluss in Betriebswirtschaft hat, wird als motiviert und karriereorientiert angesehen und hat daher vermutlich wenig Schwierigkeiten, Zugang zu einem Managerposten zu bekommen. Bei einer Studie zum Karriereerfolg von Betriebswirtschaftsabsolventen einer großen Universität der Vereinigten Staaten hat man versucht, anhand von Fotos, die zu Beginn des Studiums von den Probanden gemacht worden waren, zu unabhängigen Einschätzungen der Attraktivität der Absolventen zu kommen. Ergebnis der Studie war, dass Attraktivität bei Männern die Eingangsgehälter erhöhte und die Zuerkennung von Gehaltserhöhungen beschleunigte. Bei Frauen hatte Attraktivität keinen Einfluss auf das Einstiegsgehalt (immerhin wurden sie nicht übergangen), aber später in ihrer Laufbahn verdienten attraktivere Frauen mehr. Für jede Einheit mehr auf der Attraktivitätsskala (vgl. Tabelle 1) gab es einen Gehaltsaufschlag von 2 500 Dollar (an den Verhältnissen von 1983 gemessen, heute also sehr viel mehr), aber der Schönheitsbonus lag bei Männern grundsätzlich höher als bei Frauen.2

Eine ähnliche Studie mit den Absolventen einer renommierten juristischen Hochschule in den Vereinigten Staaten kam ebenfalls zu dem Schluss, dass Attraktivität den Karriereerfolg in Bezug auf die Qualität der Jobs und die Höhe der Bezahlung beträchtlich in die Höhe zu |228|treiben vermag.3 Diese Juraabsolventen stellten trotz des langen Untersuchungszeitraums von 20 Jahren in Bezug auf ihre Fähigkeiten und ihre juristischen Erfahrungen, eine bemerkenswert homogene Gruppe dar. Mit einer Ausnahme: Die Anwältinnen wurden von unabhängigen Richtern durch die Bank als bemerkenswert besser aussehend eingestuft als die Männer, wobei die Größe der Abweichung zwischen den einzelnen Jahrgangskohorten schwankte.4 Bei den untersuchten Juristen bestand zwischen Attraktivität und beruflichen Fähigkeiten keinerlei Verknüpfung. Trotzdem verdienten, wenn man alle anderen Faktoren herausrechnete, Rechtsanwälte von überdurchschnittlich gutem Aussehen im Jahr 10 bis 12 Prozent mehr als ihre weniger attraktiven Kollegen.5 Auch hier war der Schönheitsbonus bei Gehaltsverhandlungen, wenn die Leute bereits eine Weile gearbeitet und sich hatten beweisen können, höher als bei den Einstiegsgehältern. Doch gutes Aussehen erhöht in der Regel das Einstiegsgehalt nur bei Männern und nicht bei Frauen. Auch hier erkennt man die Ambivalenz von Arbeitgebern Frauen gegenüber, die attraktiv und gleichzeitig intelligent und hoch gebildet sind, was auf diese Absolventen zweifellos zutraf.

Es besteht gewiss kein Zweifel daran, was bei diesen beiden Längsschnittstudien Ursache und was Wirkung ist. Die Fotos waren beim Eintritt ins jeweilige Studium – lange vor dem Abschluss, heißt das – gemacht worden. Die Absolventen hatten ihren Verdienst in regelmäßigen Umfragen der beiden Universitäten, mit denen der Karriereerfolg der Absolventen beobachtet werden sollte zu Protokoll gegeben. Es handelte sich um Verdienstinformationen ein bis 15 Jahre nach dem Abschluss. Erfolgreiche Menschen mögen es sich leisten können, Schönheit »zu kaufen«, aber in diesem Falle tangiert dies die Ergebnisse der Studien nicht. Auch gab es keine Hinweise darauf, dass elterlicher Wohlstand die Attraktivität der Studenten am Beginn ihres Studiums in nennenswerter Weise beeinflusst hatte.6 Solche Untersuchungen an relativ homogenen Jahrgangskohorten renommierter Einrichtungen belegen somit schlüssig, dass erotisches Kapital selbst die Ursache für bessere Einkünfte auf dem Arbeitsmarkt ist.

|229|Neben all den sozialen Mechanismen, die attraktive Menschen positiver, sozial kompetenter, klüger und geschickter im sozialen Umgang werden lassen, scheint es zusätzlich aber auch eine Art von Selbstselektion zu geben, die die Erfolgschancen attraktiver Menschen erhöht. Die attraktivsten Anwälte zog es in den Privatsektor und zu größeren Firmen, bei denen die Gehälter im Durchschnitt höher liegen. Attraktive niedergelassene Anwälte verdienten sogar noch mehr als attraktive Angestellte, so dass Voreingenommenheit seitens der Arbeitgeber eindeutig kein Faktor ist. Klienten bevorzugen gutaussehende Anwälte, und es gibt Studien die zeigen, dass attraktive Anwälte vor Gericht die besseren Ergebnisse erzielen, mithin ziehen attraktive Anwälte mehr Kunden an und können häufiger punkten.

Den größten positiven Einfluss erreicht Attraktivität im Privatsektor und bei Gehaltserhöhungen, beides steht eindeutig im Zusammenhang mit Ergebnissen, Erfolgsquoten und damit, wie die Klienten die Qualität der gebotenen Dienstleistung wahrnehmen. Fünfzehn Jahre nach dem Abschluss verdiente ein attraktiver Anwalt im Privatsektor im Mittel jährlich 10 200 Dollar, im öffentlichen Dienst 3 200 Dollar mehr als seine weniger attraktiven Kollegen. Die attraktivsten Juristen arbeiteten als Prozessanwälte, hier bringt erotisches Kapital den höchsten Ertrag. Attraktive Juristen werden mit 20 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit bereits in jungen Jahren zum Partner einer Sozietät befördert als ihre unattraktiveren Kommilitonen, während Frauen ihre Schönheit dabei eher im Weg zu stehen scheint – genau wie bei der Einstellung auf einen Managerposten.7

Auch in der Wissensindustrie bringen gutes Aussehen und die zugehörigen sozialen Kompetenzen konkrete Vorteile, am leichtesten lässt sich das am Verdienst messen. Physische Attraktivität ist im Management und in akademischen Berufen positiv korreliert mit Produktivität, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass es sich mit attraktiven und umgänglichen Menschen besser arbeiten lässt, weil diese ihr Umfeld mehr überzeugen. Soziale Kompetenz als Element von erotischem Kapital wird hier zum Schlüsselfaktor, gepaart mit der Fertigkeit, sich selbst zu präsentieren.

|230|Der Schönheitsbonus und der Arbeitsmarkt

Die Ergebnisse von Fallstudien in bestimmten Berufsgruppen lassen sich nicht auf die gesamte Arbeitswelt, geschweige denn auf jeden Mitbürger übertragen. Dazu bedarf es echter nationaler Erhebungen, und die sind selten.

Es gibt nur drei Datensätze aus solchen landesweiten Umfragen – zwei aus den Vereinigten Staaten, einen aus Kanada –, in denen neben den Informationen über Beruf und Einkommen der Befragten auch das Urteil des Fragenden zur Erscheinung der Probanden enthalten ist. Mehr als die Hälfte aller Männer und Frauen wurden ihrem Aussehen nach als durchschnittlich, zwischen einem Viertel und einem Drittel als überdurchschnittlich und ungefähr jeder Zehnte als unterdurchschnittlich eingestuft (vgl. Tabelle 1). Diese drei Studien sind bisher die einzigen allgemeinen Bevölkerungserhebungen, in die Informationen zu Aussehen und Verdienst eingeflossen sind, und sie wurden daher recht genau unter die Lupe genommen. Alle Analysen erkennen ausnahmslos einen Schönheitsbonus, dessen Umfang bei Männern und Frauen und je nach der Art und Weise, wie er gemessen worden ist, variiert.8

Unscheinbare Menschen verdienen weniger als durchschnittlich aussehende, die wiederum weniger verdienen als gutaussehende Männer und Frauen.9 Fasst man den Schönheitsbonus und den Unscheinbarkeitsmalus zusammen, ist der Gesamteinfluss beachtlich. In Nordamerika verdienen attraktive Männer zwischen 14 und 27 Prozent mehr als unattraktive. Bei attraktiven und unattraktiven Frauen beträgt die Differenz 12 bis 20 Prozent. Personen, die kontinuierlich auf ihre attraktive Erscheinung und gute Umgangsformen achten, haben größeren wirtschaftlichen Erfolg als Menschen, die sich in Stil und Erscheinung mit der Zeit immer wieder verändern.

Der Einkommensbonus für außergewöhnlich gutes Aussehen ist – zumindest in Nordamerika – in der Regel geringer als der Malus für eine extrem unscheinbare Erscheinung. Das mag in Kulturen, in denen die Menschen wie in Brasilien und Italien erotische Ausstrahlungskraft |231|höher bewerten und lockerer sehen, anders sein. Hinzu kommt, dass der Einfluss von erotischem Kapital heute vermutlich eher größer ist als um 1980, als die drei Erhebungen durchgeführt wurden.

In allen drei Erhebungen waren Schönheitsbonus und Unscheinbarkeitsmalus in den jüngeren Altersgruppen zwischen 18 und 30 Jahren besonders extrem ausgeprägt, ein Indiz dafür, dass erotisches Kapital vor allem für jüngere Menschen, die noch nicht viel Arbeitserfahrung und weniger Qualifikationen (sprich Humankapital) haben anhäufen können, von großem Wert ist.

Schönheitsbonus und -malus lassen sich nicht durch Unterschiede bezüglich der Intelligenz, der sozialen Herkunft, des Selbstvertrauens oder einer Voreingenommenheit des Interviewers erklären.10 Auch ist der gemessene Einfluss von Attraktivität nicht auf die Körpergröße der Probanden oder ihr Gewicht zurückzuführen, beide sind für sich genommen ebenfalls von Einfluss auf das Einkommen.11

Die Ergebnisse aus den nordamerikanischen Studien werden durch eine britische Studie jüngeren Datums bestätigt, in der man Informationen über Erscheinung, Körpergröße, Body-Mass-Index und Verdienst im Alter von 33 Jahren zusammengetragen hat.12 Genau wie bei den nordamerikanischen Studien ist Attraktivität von größerem Einfluss auf den Verdienst von Männern als auf den von Frauen, und der Einkommensmalus für mangelnde Attraktivität ist stärker als der Bonus für gutes Aussehen.

Das Aussehen hat zunächst einmal Einfluss auf die Chance, überhaupt einen Job zu bekommen. Zwischen attraktiven und unattraktiven Männern und Frauen besteht genau wie bei großen und kleinen Menschen eine Differenz von 10 Prozent bezüglich der Einstellungsrate. Übergewicht hat erstaunlicherweise keinen Einfluss auf die Chancen, einen Job zu bekommen, verringert aber signifikant den Verdienst.

Einkommensvergleiche zwischen der kleinen Minderheit an wenig bis unattraktiven Menschen und der größeren Gruppe attraktiver Personen ergaben einen massiven Verdienstvorsprung für die attraktiveren Zeitgenossen: ein Plus von 20 Prozent für Männer und von 14 |232|Prozent für Frauen. Der Einkommensaufschlag bleibt auch dann noch beträchtlich, wenn man Dienstleistungsberufe und akademische Berufe getrennt betrachtet (vgl. Tabelle 4). Hoch gewachsene Menschen haben zudem einen beträchtlich höheren Verdienst als kleine Leute: ein Plus von 23 Prozent für Männer und von 2 Prozent für Frauen. Übergewichtige Männer und Frauen hingegen verdienen 13 bis 16 Prozent weniger als der Durchschnitt.13

In Großbritannien und den Vereinigten Staaten ist der Schönheitsbonus zum Teil auf einen eigendynamischen Selektionsprozess zurückzuführen: Gutaussehende Menschen tendieren zum Kontakt mit anderen Menschen und in Verkaufsberufe, in denen ein anziehendes Äußeres von klarem Vorteil ist, das zahlt sich im Regelfalle durch einen Einkommensvorsprung von 9 Prozent aus. In akademischen und kirchlichen Berufen werden attraktive Frauen eher, übergewichtige und »zu kurz geratene« Männer und Frauen hingegen weniger leicht eingestellt. Alles in allem zeigt die Studie, dass der Einfluss der äußeren Erscheinung ähnlich, ja manchmal sogar höher sein kann, als der Bonus der beruflichen Qualifikation.14

Die jüngste Studie stammt von Sozialpsychologen. Sie liefert die schärfsten Schlussfolgerungen zur relativen Bedeutung von Intelligenz und Attraktivität im Vergleich zu Bildung und Attraktivität. Für die Harvard Study of Health and Life Quality wurden im Rahmen einer nationalen Untersuchung Porträtfotos – frontal und seitlich aufgenommen – gesammelt. Darin enthalten war auch eine Regionalstudie über die Karriereverläufe erwachsener Probanden im Einzugsgebiet von Boston, bei der im Laufe eines Zeitraums von zwei Jahren drei Gespräche geführt wurden. Das ermöglichte es den Forschern, vermittels einer Serie von Tests zur Persönlichkeit und zur kognitiven Intelligenz, mehr und detailliertere Informationen zu Intelligenz und Selbstvertrauen zu sammeln.15 Die Tatsache, dass hierbei erotisches Kapital allein vermittels der Attraktivität der Gesichtszüge eingeschätzt wurde, erwies sich, wie ich im Folgenden erläutern will, im Nachhinein in sehr viel geringerem Maße als Schwäche, als man vielleicht annehmen würde.

Tabelle 4: Einfluss der körperlichen und sozialen Attraktivität auf das Einkommen in Großbritannien, 1991

Quelle: Werte errechnet aus den Tabellen 1, 2 und 4 in Harper (2000). Der in dieser Tabelle genannte Gesamteinfluss auf den Verdienst berücksichtigt wie in Tabelle 7.2 keine anderen einkommensrelevanten Faktoren (wie Intelligenz und berufliche Qualifikationen).

Tabelle 5: Relativer Einfluss der Attraktivität auf das Einkommen in den Vereinigten Staaten 1997

Quelle: Werte aus Tabelle 3 in Judge, Hurst und Simon 2009, S. 750

|234|Alles in allem schlagen sich gutes Aussehen, Intelligenz, berufliche Qualifikationen, Persönlichkeit und Selbstvertrauen allesamt sowohl bei Männern als auch bei Frauen im Einkommen nieder (Tabelle 5). Attraktivere Menschen verfügen über ein höheres Einkommen, haben mehr Selbstvertrauen und bessere berufliche Qualifikationen, Intelligenz aber ist ein noch machtvolleres Gut zur Hebung von Selbstvertrauen, Bildung und Einkommen.16 Doch selbst wenn man die Intelligenz berücksichtigt, trägt gutes Aussehen immer noch zur Erhöhung des Einkommens bei, zum Teil weil es das Erreichen von Bildungszielen erleichtert und weil es Persönlichkeit und Selbstvertrauen stärkt. Der Gesamteinfluss eines attraktiven Wesens auf das Einkommen ist in etwa gleich dem von Bildungsqualifikationen oder Selbstvertrauen, aber weit geringer als der von Intelligenz alleine.17 Attraktive Menschen sind lockerer im sozialen Umgang mit anderen, wirken überzeugender und sind dadurch im Privatleben ebenso wie in der Öffentlichkeit erfolgreicher.

Studien in großem Maßstab mit weitgesteckten und repräsentativen Stichproben geben Aufschluss über die Gesamteffekte von Attraktivität und bemessen den Schönheitsbonus im Arbeitsleben insgesamt. Sorgsam kontrollierte Laborexperimente aber sind geeigneter, um den ursächlich zugrundeliegenden Mechanismen auf die Spur zu kommen. Zwei Forscher haben in den Jahren 2002 und 2003 eine geniale Versuchsreihe mit argentinischen Studenten unternommen, um herauszufinden, welchen Einfluss Attraktivität auf die Beziehungen am Arbeitsplatz hat.18

Die Studenten wurden nach dem Zufallsprinzip in »Arbeitgebergruppen« und »Arbeitergruppen« eingeteilt und hatten eine Aufgabe zu planen und zu erfüllen, bei der es um reines Können ging und für die die äußerliche Attraktivität des Betreffenden in keiner Weise eine Rolle spielte.19 Die Arbeiter verdienten ihr Geld damit, dass sie ihre eigene Leistung zutreffend einschätzten, Arbeitgeber verdienten ihr Geld, indem sie die Leistung ihrer Arbeitnehmer richtig beurteilten. Wie viel Interaktion zwischen Arbeitgebern und Arbeitern stattfand, variierte von Fall zu Fall. Die Arbeitgeber bekamen stets eine Zusammenfassung |235|der schulischen Qualifikationen und der Arbeitserfahrung der einzelnen Arbeitnehmer. Zusätzlich wurde manchen Arbeitgebern ein Passfoto des Arbeitnehmers vorgelegt, andere sprachen mit dem Arbeitnehmer am Telefon, und wieder andere sprachen mit ihm von Angesicht zu Angesicht. Die Ergebnisse dieses Laborversuchs zeigten ähnlich wie bei den nationalen Erhebungen in den Vereinigten Staaten und Großbritannien einen deutlichen Schönheitsbonus beim Einkommen von um die 15 Prozent.

Attraktivität trieb die Beurteilungen der Arbeitnehmer, was Fähigkeit, Erfolg und Verdienst anbelangte, ebenso in die Höhe wie die der Arbeitnehmer. Der Schönheitsbonus war etwas höher (+17 Prozent), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer persönlich kennengelernt hatte, und etwas geringer (+13 Prozent), wenn ihm nur ein Foto vorgelegt worden war oder er mit dem Arbeitnehmer am Telefon gesprochen hatte. Ein kleiner Teil des Schönheitsbonus – ungefähr ein Fünftel – war darauf zurückzuführen, dass attraktive Menschen anderen mit mehr Selbstbewusstsein gegenübertreten. Nahm man das Element Selbstvertrauen aus den Berechnungen heraus, blieb immer noch ein Schönheitsbonus von 10 Prozent.

Das bemerkenswerteste Ergebnis dieser Untersuchungen ist der Umstand, dass der Gehaltsaufschlag für die anziehenderen Arbeitnehmer genauso hoch war, wenn die Arbeitgeber nie ein Foto zu Gesicht bekommen hatten und den Arbeitnehmer nur am Telefon interviewt hatten. Daraus geht klar hervor, dass sich attraktive Menschen – ähnlich wie sehr wohlhabende – vom Durchschnitt abheben. Sie haben soziale Kompetenzen und Kommunikationsfertigkeiten sowie ein gehöriges Selbstvertrauen erworben, wovon Arbeitgeber auch dann noch beeindruckt sind, wenn sie unsichtbar bleiben.20 Diese Experimentalstudie zeigt, dass sich der Schönheitsbonus teilweise oder ganz durch Charme und ein größeres Gespür für gesellschaftliche Umgangsformen und die zwischenmenschlichen Beziehungen des Arbeitslebens erklären lässt. Das steht im Einklang mit den in Kapitel 4 diskutierten Forschungsergebnissen zu den Mechanismen, die Attraktivität zu einem festen Teil von Persönlichkeit |236|und Charakter machen, der sich in sozialen Kompetenzen und zwischenmenschlichen Fähigkeiten niederschlägt.

Das bedeutet, dass selbst wenn Studien das Ziel haben, allein den Einfluss äußerlicher Attraktivität (beispielsweise anhand eines Passfotos) zu messen, sie in der Praxis trotzdem immer auch die Auswirkungen der positiven Ausstrahlung einer Persönlichkeit, ihrer sozialen Kompetenzen und Umgangsformen mit erfassen, weil all das so eng miteinander zusammenhängt. Nimmt man all diese Studien zusammen, so scheint es, dass erotisches Kapital einen durchschnittlichen Gehaltsaufschlag von 15 bis 20 Prozent – für Männer mehr, für Frauen etwas weniger – einspielt. In Einzelfällen und bei bestimmten Berufen kann die Einkommenssteigerung beträchtlich höher ausfallen, das gilt vor allem in der Privatwirtschaft. Ein hohes erotisches Kapital hat zudem Einfluss auf die Einstellungs- und Beförderungsquote.

Manche Studien versuchen, den Einfluss von sozialer Kompetenz und der Fähigkeit, die eigene Person zu repräsentieren, von der äußeren Schönheit getrennt zu betrachten.

Soziale Kompetenz und Gefühlsarbeit

Der Wandel moderner Ökonomien von Landwirtschaft und herstellenden Industrien zu Dienstleistungsindustrien führte dazu, dass zu immer mehr Arbeitsplätzen der direkte Umgang mit anderen Menschen gehört. Soziale Kompetenzen sind nicht länger nur für kurze gesellige Zwischenspiele mit den Kollegen am Anfang und Ende des Arbeitstages gefragt, sondern werden zu einem essenziellen Bestandteil der täglichen Arbeit. Selbst Menschen, die den größten Teil des Tages damit zubringen, am PC-Bildschirm zu arbeiten, kommunizieren häufig direkt oder indirekt mit anderen. Im Büro ist die Eigenschaft, ein umgänglicher Kollege zu sein, charmant und freundlich, gut gelaunt und kooperativ, ein hohes Gut. Besonders wichtig sind diese Fertigkeiten für Manager, Vorgesetzte sowie für Menschen, die mit Kunden zu tun haben und verhandeln müssen. Diese Talente fließen |237|in die sozialen Kompetenzen ein, die jemanden zu einem anziehenden Mitmenschen machen; dazu kann auch die Fähigkeit gehören, entspannt-harmlos zu flirten, ohne je die Grenze zur sexuellen Belästigung zu überschreiten.

Ein Lächeln, das man einem Menschen schenkt, ist ein Beispiel für gewinnendes Verhalten. Kunden freundlich anzulächeln ist eine der wichtigsten Lektionen in jedem Ratgeber für Dienstleistungsberufe, das häufigste Instrument der Werbung und eine universale Sprache gegenseitiger Achtung. Bei manchen professionellen Tänzern ist ein festgefrorenes Lächeln Teil der Performance. Fernsehmoderatoren präsentieren ihre Berichte – wenn angebracht – mit einem Lächeln. Und von Silvio Berlusconi sagt man, niemand vermöge bei öffentlichen Auftritten ein Lächeln besser einzusetzen als er.21 Die meisten Politiker demokratischer Staaten sehen Lächeln als einen essenziellen Bestandteil ihrer Funktion – bei öffentlichen Auftritten ebenso wie im Wahlkampf und bei Medienauftritten. Ein freundliches Lächeln kann eine große Hilfe sein.

Auf den ersten Blick scheint Arlie Hochschilds Theorie der Gefühlsarbeit zu erklären, warum Lächeln und andere soziale Kompetenzen im modernen Arbeitsleben so wichtig sind, und warum Frauen für diese Arbeit nicht entlohnt werden. Ihre Überlegungen sind – vor allem in den Vereinigten Staaten – überaus populär.22 Hochschild interpretiert Lächeln und ähnliche Signale als Gefühlsarbeit, mithin als anstrengende Tätigkeit. Sie behauptet, dass ein Drittel aller Arbeitnehmer in den Vereinigten Staaten emotionale Arbeit leistet und dass vor allem Frauen unablässig dazu gedrängt werden. Der größte Teil an emotionaler Arbeit, so Hochschild, werde von Frauen geleistet, was auf die Dauer zu einer sozialen Last wird und zu Entfremdung führt. Außerdem beuteten Arbeitgeber die sozialen Kompetenzen von Frauen aus und verabsäumten es, sie in adäquater Weise dafür zu entlohnen.23 Ihre Theorie bedient damit das klassische Argument, dass Frauenarbeit gering geschätzt wird, aber auch meine These, der zufolge erotisches Kapital zu wenig beachtet wird.24

Allerdings steht ihre These auf einem schwachen Fundament. Eine Fallstudie an Flugbegleitern von Delta Airlines – die meisten davon |238|weiblich – wurde auf die gesamte arbeitende Bevölkerung der Vereinigten Staaten übertragen. Etwas ausgeweitet wurde der Blickwinkel durch eine zweite Fallstudie über männliche Schuldeneintreiber, deren Arbeit im Gegensatz zu den auf freundliches Entgegenkommen geschulten Flugbegleitern verlangte, Klienten gegenüber, die ihre Schulden nicht bezahlten, unangenehm und drohend aufzutreten. Die Diskussion über die Gefühlsarbeit dieser zweiten Berufsgruppe nimmt allerdings in ihrem Buch nur zehn Seiten ein.25 Wichtiger noch: Hochschilds Studie an Flugbegleitern stützt sich vor allem auf die Ausbildungsleitfäden und das praktische Training, das dieses Personal erfährt, und garniert diese mit ein paar Interviews von betroffenen Frauen.

Jeder, der schon einmal mit der missgelaunten Unbeteiligtheit der Flugbegleiter mancher Luftfahrtgesellschaften zu tun gehabt hat, weiß, dass die Ausbildungsleitfäden Freundlichkeit, Charme und gute Umgangsformen genau deshalb so betonen, weil es so schwierig ist, das Personal dazu zu bringen, eine ganze Schicht hindurch freundlich zu bleiben. Hochschild zeigt an keiner Stelle, dass die Ausbildungsregeln sich tatsächlich während der Arbeit und im Service niederschlagen, nicht, dass Frauen mehr Gefühlsarbeit leisten als Männer, und auch nicht, dass ihr Konzept von Gefühlsarbeit quer durch alle Berufe Gültigkeit besitzt.

Das dem erotischen Kapital innewohnende Element der sozialen Kompetenz lässt sich allerdings eher mit dem von Norbert Elias beschriebenen Prozess der Zivilisation erklären denn mit Arlie Hochschilds These, das heißt aus einer europäischen Haltung zu Höflichkeit und zivilisierten Umgangsformen, für die die Empfindung, Charme und gute Manieren seien »harte Arbeit«, nicht das Nächstliegende ist. Elias vertritt die Ansicht, dass in einer fortgeschrittenen Gesellschaft Selbstbeherrschung, Affektkontrolle und die Regeln des sozialen Miteinanders so tief verankert und zur Gewohnheit geworden sind, dass sie zur »zweiten Natur« werden, unbewusst befolgte Konventionen, die selten bis nie gebrochen werden. Am vollkommensten werden die Regeln der Beherrschung von Gefühlen und Höflichkeit in den oberen |239|Schichten verinnerlicht, genau daraus definieren sich Rangordnungen. Diese Regeln werden zum integralen Bestandteil von Persönlichkeit und Stil und in geschäftlicher Umgebung genauso gelebt wie im Privaten.26 Das ist der Grund dafür, dass Gefühlsarbeit in der Regel nicht als entfremdend empfunden wird. Vor allem in den rangniederen Gruppen, die im Begriff sind, eigene soziale Kompetenzen zu entwickeln, formiert sich unter diesen Umständen ein durchaus selbstkritisches Bewusstsein für das gesellschaftliche Regelwerk und den Wert von Höflichkeit, Charme und guten Manieren.27

Positionen im Management und in vielen akademischen Berufen erfordern ein besonders hohes Maß an sozialer Kompetenz. Allerdings sind sich Frauen und Männer in solchen Positionen wahrscheinlich nicht dieser Fertigkeiten bewusst, weil ihre Persönlichkeiten und Umgangsformen bereits davon durchdrungen, sie faktisch zur zweiten Natur geworden sind.28 Ein Kollege, der auf einen Posten im höheren Management berufen wurde, klagte einmal, dass er die Hälfte seiner Zeit damit verbringe, sich mit den persönlichen Problemen und Ängsten seiner Angestellten statt mit beruflichen Themen herumzuschlagen, trotzdem empfand er dies nie als Hauptaspekt seiner Tätigkeit.

Studien, die außerhalb der Vereinigten Staaten unternommen wurden, widersprechen Hochschilds These unumwunden und bestätigen Elias’ Überlegungen. Eine Umfrage unter europäischen Flugbegleitern aus dem Jahre 1998 kam zu dem Schluss, dass die meisten Leute, die für diese Jobs gewonnen werden, bereits von sich aus gut gerüstet sind, die meisten sozialen Begegnungen ohne Stress zu handhaben. Diese Flugbegleiter hatten Übung darin, die Forderungen des Managements umzusetzen, verstanden es, ohne unbotmäßigen Stress mit aufsässigen Passagieren umzugehen, und wuchsen zu einem Team zusammen, das über komplexe Arbeitsbeziehungen und Teamkompetenzen verfügte, die eine förderliche Arbeitsumgebung schufen.29 Eine weitere, kleinere Studie ergab, dass europäisches Flugpersonal phantasievoll und kreativ war und auf hohem intellektuellem Niveau gut gelaunt zu agieren vermochte.30

Ein Vergleich der Mitarbeiter von Disneyland in den Vereinigten Staaten und in Japan kam zu dem Schluss, dass die japanischen Angestellten |240|sehr viel weniger Schwierigkeiten hatten, ihre Service-Arbeit zu tun als die Amerikaner, die gezieltes Training benötigten, um den Gästen gegenüber ununterbrochen höflich zu bleiben.31 Japan ist eine der zivilisiertesten Kulturen der Welt, und allen Japanern werden von klein auf Höflichkeitsregeln, gute Umgangsformen und Selbstbeherrschung anerzogen. In Japan hat so gut wie jeder einen höheren Schulabschluss, so dass jeder sein Schulleben hindurch dieselben moralischen Lektionen, dieselben Werte, Einstellungen und Verhaltensnormen eingeimpft bekommt. Dazu gehört die Zusammenarbeit in Gruppen, die Respektierung des schmalen Grats zwischen öffentlichem Auftreten und privaten Gefühlen, die emotionale Selbstkontrolle und die Fähigkeit, Fehler in kleinen Gruppen auf konstruktive Weise diskutieren und analysieren zu können. Lächeln wird in Japan von klein auf trainiert, und das Lächeln in der Öffentlichkeit ist Maske für alle Gefühle und ein Zeichen von Höflichkeit.32 Recht ähnliche Konventionen und Verhaltensnormen findet man in vielen Kulturen des Fernen Ostens, was sich zum Beispiel in der nie versiegenden Höflichkeit ihres Flugpersonals niederschlägt. Das nordamerikanische Wertesystem hingegen betont Individualität, Authentizität und Selbstverwirklichung, weshalb das Verhalten in der Öffentlichkeit und die entsprechenden sozialen Kompetenzen weniger verlässlich und vorhersagbar sind. Diesbezügliche Forschungsergebnisse aus Amerika sind daher unter Umständen landestypisch und für andere moderne Gesellschaften wenig repräsentativ.

Schließlich und endlich gibt es keine hieb- und stichfesten Belege dafür, dass Frauen wirklich schwerer als ihre männlichen Kollegen daran arbeiten, charmant herüberzukommen. Die stereotype Ansicht, dass dem so sei, ist bislang nicht zufriedenstellend belegt worden.33 Es gibt somit bisher keinen schlüssigen Beweis dafür, dass Frauen im Arbeitsleben mehr Gefühlsarbeit leisten als Männer.

Bisher steht uns keine verlässliche und solide Methode zur quantitativen Bestimmung vorhandener sozialer Kompetenzen und von Gefühlsarbeit zu Gebote, auch wenn uns natürlich Personen, denen soziale Kompetenz abgeht oder die sich rüde benehmen, sofort ins |241|Auge fallen.34 Ob der Beitrag dieses unsichtbaren sozialen Elements in Untersuchungen zum Schönheitsbonus einfließt, ist bisher nicht geklärt. Da soziale und physische Attraktivität in der Praxis in so enger Weise miteinander verknüpft sind, können wir uns dessen nicht sicher sein. Aber es scheint die Tendenz zu bestehen, soziale Kompetenzen zu unterschätzen, vielleicht weil sie unsichtbar sind und scheinbar so natürlich und anstrengungslos daherkommen.

Informeller gewordene moderne Umgangsformen und gesellschaftliche Regeln sind ein weiterer Grund dafür, dass soziale Kompetenzen heutzutage häufig unterbewertet werden. Doch so, wie Improvisation in Musik und Theater eine größere Kunstfertigkeit und mehr Erfahrung voraussetzt als das schlichte Befolgen einer Partitur oder einer Szenenfolge, erfordert der flexible Umgang mit einer größeren gesellschaftlichen Bandbreite an Personengruppen beziehungsweise mit multikulturellen und anderweitig sehr gemischten Kunden- oder Kollegengruppen ein höheres Maß an versiertem Gefühlsmanagement, Höflichkeit und sozialen Kenntnissen. Manche Menschen missverstehen die Lockerung gesellschaftlicher Anstandsregeln als ein anything goes. In Wirklichkeit aber erfordert dies flexiblere und höher entwickelte soziale Fertigkeiten und ein größeres Maß an Selbstbeherrschung.35

Kleiderordnungen, Uniformen und Dresscodes

Im Dezember 2010 gab die Schweizer Bank UBS für ihre Angestellten eine 43-seitige Kleiderordnung heraus und trat damit eine große Debatte über die Notwendigkeit solcher Richtlinien und die Angemessenheit der erteilten Ratschläge los. Frauen wurden zum Beispiel aufgefordert, vorzugsweise hautfarbene Unterwäsche zu tragen, um ein Durchscheinen zu vermeiden, und am Hals nicht mehr als zwei Blusenknöpfe offen stehen zu lassen. Männer wurden angewiesen, Kniestrümpfe – ohne Comicmuster, versteht sich – zu tragen, damit beim Sitzen auf keinen Fall ein Stück Haut sichtbar werde, und sich für Anzüge in Schwarz, Dunkelblau und Anthrazit zu entscheiden.

|242|Diese Vorschriften mögen übertrieben detailliert erscheinen, aber für eine weltweit operierende Bank mag das durchaus notwendig sein. Dresscodes, die in New York und London auf der Hand liegen, bedürfen in Mumbai, Shanghai, Sao Paolo oder Lagos womöglich einer Erklärung. Manche Menschen nehmen unausgesprochene Kleiderregeln, die für andere selbstverständlich sind, überhaupt nicht wahr. Nachdem ich oft genug gesagt hatte, Frauen sollten sich ihr erotisches Kapital zunutze machen, wurde ich wiederholt gefragt, ob das bedeute, bei der Arbeit mehr Dekolleté zu zeigen. Natürlich nicht! Zwischen der passenden Garderobe für eine Verabredung am Abend und der Kleidung fürs Büro, zwischen anziehender und peinlicher Kleidung liegen Welten. Erotisches Kapital schließt die Fähigkeit ein, die eigene Person in angemessener Weise zu präsentieren und sich für jede Gelegenheit und jedes Ereignis – fürs Büro ebenso wie fürs Schlafzimmer – angemessen zu kleiden.

Eine Kollegin von mir hatte eines Nachmittags ein Beförderungsgespräch vor sich und erschien entsprechend aufgemacht: Sie trug ein schwarzes Kleid, das sie für sachlich und bescheiden hielt. Es handelte sich jedoch um ein schwarzes Spitzenkleid, durch das ihre Haut hindurchschimmerte und das komplett unprofessionell wirkte. Sie bekam die Beförderung nicht, verstand aber nicht warum. Bei einer Umfrage unter 3 000 Managern gaben 43 Prozent an, jemanden bei einer anstehenden Beförderung oder Gehaltserhöhung zu übergehen, wenn man mit dessen Kleidungsstil nicht einverstanden war, und 20 Prozent hatten sogar schon jemanden deshalb entlassen.36

Natürlich gibt es zwischen verschiedenen Berufs- und Industriezweigen große Unterschiede. Während im Banken- und Rechtswesen monochrome Uniformität vorherrscht, werden im Modegeschäft, auf dem Kunst- und Mediensektor Kreativität und Stil erwartet, und niemand würde darüber die Stirn runzeln. In jedem gesellschaftlichen Kontext ist die Achtung der Kleiderordnung – egal ob sie schriftlich fixiert ist oder durch die Aufmachung des Chefs vorgegeben wird – ein Muss. All das erfordert soziales Gespür, Intelligenz und guten Geschmack und das Wissen darum, wie man sich für die nächste Stufe auf der Karriereleiter zu kleiden hat.

|243|Einige Wissenschaftler vertreten die Ansicht, zu gewissen Jobs gehöre heute neben der Gefühlsarbeit auch »ästhetische Arbeit«, und dies sei eine neue Entwicklung, der man Rechnung tragen müsse.37 Dieses Konzept wurde von der Glasgow School of Hotel Management formuliert und zwar im Zusammenhang mit einem Projekt, das zum Ziel hatte, dem unbeschäftigten »Lumpenproletariat« den Stil und die Umgangsformen beizubringen, die nötig sind, um Arbeitsstellen im permanent expandierenden Gastgewerbe, hier insbesondere in Hotels der gehobenen Klasse, zu ergattern. Man entwarf ein Trainingsprogramm, um diesen jungen ungelernten Kräften beizubringen, wie man »gut aussieht und richtig klingt«.38

An der Erkenntnis, dass es auf den Stil ankommt, ist nichts übermäßig Neues. Es hat schon immer für fast alle Berufe und gesellschaftliche Ränge und insbesondere für die Menschen im Dienstleistungsgewerbe Dresscodes gegeben. Bedienstete in Privathaushalten trugen häufig eine Livree oder eine eigene Uniform, die Wohlstand und Stil ihrer Arbeitgeber Ausdruck verlieh und zur Schau stellte. Uniformen werden verwendet, um die Arbeitnehmer sichtbar auf die Vorgaben ihres Arbeitgebers zu verpflichten und der Öffentlichkeit ein homogenes Gesicht zu zeigen. Außerdem tragen sie dazu bei, dass die Träger leicht in ihrer Funktion, vielleicht sogar in Rang oder Status zu identifizieren sind. Moderne Konventionen ersetzen das rigide Uniformwesen ausgesprochen oder unausgesprochen längst durch flexiblere Kleiderordnungen, doch ganz ohne Dresscode kommen nur wenige Jobs aus.

Von Anwälten bei Gericht wird erwartet, dass sie schwarz gekleidet erscheinen, auch wenn es kein Gesetz gibt, das sie dazu zwingt. In England hat eine Anwältin versucht, für die düstere Amtskleidung, die sie verabscheute, aber vor Gericht trotzdem zu tragen gezwungen war, einen Steuernachlass zu erwirken. Ihre Klage wurde zurückgewiesen mit der Begründung, jeder Mensch habe bei der Arbeit bekleidet zu erscheinen, und es gebe keine Entschädigung für die berufliche Verpflichtung, Kleidung zu tragen, die einem in Art und Farbe widerstrebe. Nachlass werde nur für verpflichtende Arbeitskleidung wie |244|Sicherheits- und Schutzanzüge gewährt, die im Alltag sonst nicht getragen werden.

Seit Anbeginn der Zivilisation hat es Kleidervorschriften und Konventionen gegeben, die neben der Kleidung auch Frisuren, Accessoires, Schmuck und Schuhwerk regelten. Die Präsentation der eigenen Person im Beruf und in der Öffentlichkeit war nie eine vom Zufall bestimmte Angelegenheit aufs Geratewohl, kein Wie-es-euch-gefällt. Der »Casual Friday« der Geschäfts- und Finanzwelt ersetzt lediglich eine Kleiderordnung durch eine andere, deren Vorgaben noch schwieriger zu befolgen sind als die formell vorgegebene.39

Wie wichtig Kleidungsstil und persönliche Präsentation im gesellschaftlichen Miteinander sind, lässt sich an den historischen Kleiderordnungen ablesen, die manchen Menschen untersagten, bestimmte Stoffe, Schmuckstücke oder Farben zu tragen, die eigentlich einem höheren gesellschaftlichen Rang oder Status vorbehalten waren, sowie an Vorschriften, die Mann und Frau zu unterschiedlicher Bekleidung zwangen.40 In gewisser Hinsicht erfüllt die Mode heute denselben Zweck. Sie markiert die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Stilrichtung oder Lebensweise und kennzeichnet die Wohlhabenden, die es sich leisten können, ihre Garderobe mit den neuesten Trends der Saison auszustaffieren. Psychologen haben herausgefunden, dass Menschen sich bei der ersten Begegnung innerhalb von 60 Sekunden eine Meinung von ihrem Gegenüber gebildet haben. Wie jemand sich präsentiert, was er trägt, wie er frisiert ist, welche Accessoires er verwendet und wie er sich gibt, all das trägt zu diesem ersten Eindruck bei. Bewerbungsratgeber mahnen gerne, man bekomme keine zweite Chance, einen guten ersten Eindruck zu machen.

Eine experimentelle Studie hat untersucht, welchen Einfluss Stil und ein gepflegtes Äußeres bei der Auswahl für eine Stelle als Analyst im Finanzsektor haben. Gut gepflegte und angemessen gekleidete Kandidaten wurden mit größerer Wahrscheinlichkeit eingestellt als ungepflegte, das galt selbst dann, wenn der Einstellende angab, wenig Wert auf das Äußere des Bewerbers zu legen.41 Wie vielleicht zu erwarten, hatte der wenig qualifizierte und ungepflegte Bewerber die geringsten, |245|der hoch qualifizierte und gepflegte Kandidat die größten Chancen. Der unqualifizierte und gepflegte Bewerber aber wurde eher eingestellt als der hoch qualifizierte ungepflegte Bewerber – und das, obwohl die Einstellenden überzeugt davon waren, dass sie die äußere Erscheinung als nebensächlich betrachteten.42 Wenn gleich gut qualifizierte Bewerber um einen Managerposten – wie üblich bei den Kandidaten, die in die engere Wahl kommen – zu einem Gespräch eingeladen werden, ist der attraktive gepflegte Kandidat grundsätzlich im Vorteil und wird sogar von professionellen Personalberatern mit größerer Wahrscheinlichkeit gewählt.43 Diese Studie bestätigt einmal mehr die Ergebnisse aus verschiedenen größere Untersuchungen: Attraktivität und ein gewinnendes Auftreten können im Arbeitsleben genauso viel gelten wie berufliche Qualifikation.44

Bereits 1527 stellte Niccolò Machiavelli in Der Fürst fest: »Jeder sieht, was du scheinest, Wenige fühlen, was du bist: und diese Wenigen wagen sich nicht der Meinung der Vielen, die die Majestät des Staates zum Schutze für sich haben, zu widersetzen.« Machiavelli ließ keinen Zweifel daran, dass es für einen Herrschenden unabdingbar war, fähig zu scheinen – und das auch durch gute Kleidung.45

Die frühen Jesuiten nahmen sich Machiavellis Forderung nach einer ansprechenden Erscheinung zu Herzen, beschlossen aber, dass ein guter Ruf für ihren Erfolg nicht minder wichtig sei. Ihr Motto Suaviter in modo, fortiter in re (»Milde in der Art, in der Sache hart«) wurde 1606 formuliert. Dem Streben der Jesuiten, die katholische Kirche zu »verkörpern«, verdanken wir einige der schönsten Kirchen der Welt, aber auch die Einstellung, der Pater habe ästhetischen Gesichtspunkten zu folgen, um zu garantieren, dass alle Jesuiten nicht nur überzeugend, sondern auch vorzeigbar waren. Eine angenehme Erscheinung war unerlässlich.46

Zeitsprung ins 21. Jahrhundert: Modegeschäfte wie Abercrombie & Fitch wählen ihr Ladenpersonal nach den Gesichtspunkten gutes Aussehen sowie Manieren und Erscheinungsbild, um ihr Produktimage verkörpern zu lassen. Diese Ladenkette wird gern zitiert, weil sie genau wie UBS ihr Erscheinungsbild und ihren Dresscode in einem |246|Look Book darlegt, statt darauf zu hoffen, dass die Angestellten ihn von selbst verkörpern.47 Kleidervorschriften sind heutzutage (ausgesprochen oder unausgesprochen) an allen Arbeitsplätzen Standard, auch wenn das nicht jedem gefällt.

Die moderne Arbeitsgesetzgebung gesteht Arbeitgebern das Recht zu, eine Kleiderordnung zu erlassen.48 Über 90 Prozent der Arbeitgeber im Hotel- und Gastgewerbe haben für ihre Angestellten einen Dresscode.49 In manchen Berufen sind diese Vorschriften durchaus dazu angetan, das erotische Kapital der Beschäftigten zu steigern, am auffallendsten in der Unterhaltungsindustrie. Der große Vorteil von Uniformen und schriftlich fixierten Kleiderordnungen besteht darin, dass das Ergebnis nicht davon abhängt, wie talentiert die Betreffenden darin sind, unausgesprochene Regeln zu erspüren und umzusetzen. Auch gestatten Uniformen dem Arbeitgeber mehr Kontrolle. Manche Arbeitstracht sucht erotisches Potenzial zu verbergen – Mönchskutten zum Beispiel und Schuluniformen.50 Andere versuchen, das erotische Kapital all ihrer Trägerinnen zu nivellieren – die Kostüme von Showgirls zum Beispiel, aber auch die Kleidung für Beschäftigte an der Hotelrezeption oder für das Kabinenpersonal von Luftfahrtgesellschaften. Manche Uniformen verleihen Glanz und Ansehen und setzen das erotische Kapital ihrer Träger herauf – Beispiele dafür sind die Abendanzüge von Croupiers oder die Galagarderobe der Filmstars für den roten Teppich einer Filmpreis- oder Oscar-Verleihung.

Wenn sich die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen ändern, müssen Dresscodes angepasst werden. Zentralbeheizte Büros und Privatwohnungen lassen heute sehr viel leichtere Kleidung zu als früher. Ab wann sind Miniröcke, transparente Stoffe oder nackte Beine in einem Büro zulässig? Multikulturelle Gesellschaften können ein merkwürdiges Nebeneinander hervorbringen – da kann schon mal eine Büroangestellte im Minirock neben einer Kollegin mit Kopftuch oder einer gänzlich verhüllten Frau sitzen. Wie auch immer, es spielt eine große Rolle, wie man auftritt, es sagt etwas über einen selbst aus (zum Beispiel, ob man sich der visuellen Codes bewusst ist oder nicht), zeigt oder verbirgt das eigene erotische Kapital, kündet von Status |247|und Stil. Ein gewandter Umgang mit Stilfragen und Kenntnisse in der Sprache von Kleidung und Mode werden grundsätzlich honoriert.

In der westlichen Welt haben Frauen in punkto Garderobe mehr Auswahl als Männer. Dem modischen Stil und Auftreten einer Frau und den damit transportierten Botschaften wird daher mehr Aufmerksamkeit zuteil, und es wird häufiger versucht, den Kleidungsstil einer Frau (und die Zurschaustellung von erotischem Kapital insgesamt) durch abfällige Kommentare und gesetzliche Maßnahmen unter Kontrolle zu bringen. So gab es beispielsweise in Peru von männlicher Seite den Versuch, Miniröcke in Büros gesetzlich verbieten zu lassen. Die französische Nationalversammlung stimmte im Juli 2010 dafür, die Vollverschleierung für Frauen in der Öffentlichkeit zu verbieten, in Belgien und Spanien liegen ähnliche Anträge vor.51

Jeder Mensch trägt Kleidung – und sei sie auch noch so unscheinbar. In den tropischen Regenwäldern am Amazonas leben Volksstämme, deren Angehörige man auf den ersten Blick für unbekleidet halten würde, die aber in Wirklichkeit bekleidet sind. Bei den Yanomamö besteht die Kleidung aus einer Schnur, die um die Taille geknotet getragen und beim Bad im Fluss abgelegt wird. Jemand, der ohne seine Hüftschnur angetroffen wird, ist zutiefst peinlich berührt, weil er sich nackt fühlt. Alle Arten von Kleidung transportieren absichtlich oder unabsichtlich Botschaften, und Kleiderordnungen sind im gesellschaftlichen Leben wie am Arbeitsplatz allgegenwärtig. In allen sozialen Kontexten, auch im Arbeitsleben, wird der korrekte Umgang mit Kleiderordnungen genau wie jede andere Fach- und Sachkenntnis belohnt. Die Fertigkeit, sich selbst gut zu präsentieren, kann entscheidend sein, um eingestellt und befördert zu werden oder um einen Job behalten zu können. Aufgrund der größeren Flexibilität und Auswahl sind Kleiderordnungen für Frauen problematischer als für Männer, lassen mehr Raum für Fehler und missverständliche Botschaften. In New York hat eine Frau gegen die Citibank geklagt, man habe sie unfairerweise entlassen, denn ihre hautenge Kleidung habe lediglich ihre Figur zur Geltung bringen sollen.52 Die Zurschaustellung von erotischem Kapital am Arbeitsplatz erfordert viel Fingerspitzengefühl, |248|und die Sanktionen im Versagensfalle können heftig ausfallen.

Der Unterschied zwischen Privatsektor und Öffentlichem Dienst

Alle nationalen und groß angelegten Studien zu den Auswirkungen physischer und sozialer Attraktivität sind in angelsächsischen Ländern unternommen worden. Gemeinsames Merkmal der zugehörigen Forschungsberichte – seien sie nun von Ökonomen, Soziologen oder Psychologen verfasst – ist die große Sorge, die aus ihnen spricht. Es geht um Diskriminierung, Stereotypisierung und Voreingenommenheit. Wie ein Bericht abschließend bemerkt: »Wir leben in einer Welt, die ebenso besessen ist von Schönheit wie von dem Unbehagen gegenüber den Vorteilen, die Schönheit gewährt.«53 Dieser Blick auf erotisches Kapital ist nicht der einzig mögliche, und wieder einmal gehen amerikanische Wissenschaftler davon aus, dass ihre Art, die Dinge zu sehen, allgemeingültig ist.54 Ihre Sorge hat immerhin einen positiven Effekt: Sie treibt Forscher an, die Mechanismen verstehen zu wollen, die den Schönheitsbonus erklären könnten.

Attraktive Kinder wachsen, wie wir gesehen haben, in einer zugewandteren, freundlicheren Welt auf als andere, und das hilft ihnen, zu besonders liebenswürdigen, umgänglichen, selbstbewussten Menschen, zu attraktiveren Kollegen, Freunden und Partnern in allen Lebenslagen zu werden. Hinzukommen drei Auslese- und Selektionsprozesse, die auf dem Arbeitsmarkt in einen Bonus für Schönheit und in einen Malus für mangelnde Attraktivität münden. Zunächst einmal tendieren attraktive Menschen zu Berufen, die erotisches Kapital wertschätzen und belohnen. Sie sorgen selbst dafür, dass sie am rechten Ort sind. Unattraktive Menschen hingegen entscheiden sich mit größerer Wahrscheinlichkeit für Jobs, in denen es nicht auf das Aussehen ankommt. Zudem verdienen attraktive Menschen, wie ich am Beispiel von Rechtsanwälten gezeigt habe, häufig mehr, weil sie mehr Klienten und |249|Kunden anziehen, sie bekommen leichter Anschlussaufträge, können mehr Produkte verkaufen und höhere Honorare verlangen. Sie haben das, was Ökonomen als »Produktivitätsgewinn« bezeichnen. Des Weiteren zahlt sich Attraktivität – wie andere Talente auch – durch den großen Einfluss neuer Technologien, der Medien und des Internets in modernen Ökonomien zunehmend mehr aus. Die zahllosen Fotos von berühmten Leuten in Zeitschriften und Zeitungen, im Fernsehen und im Internet, haben dazu geführt, dass die physische Erscheinung eines Menschen, sein Stil und seine sozialen Umgangsformen sehr viel mehr zu beherrschenden Aspekten seiner öffentlichen Persönlichkeit geworden sind, als dies früher der Fall war. Das gilt für jeden: für Politiker und Sportler genauso wie für ganz normale Angestellte; für Tätigkeiten, in denen die Erscheinung keine Rolle zu spielen pflegte genauso wie für solche, in denen erotisches Kapital schon immer wichtig war.55

Öffentlicher und privater Sektor unterscheiden sich hinsichtlich der Anzahl an Arbeitsstellen, bei denen es auf die Erscheinung ankommt. Nahezu alle Jobs in Verkauf und Marketing finden sich im Privatsektor. Mit Ausnahme sozialistischer Länder, in denen die Kunst vom Staat subventioniert wird, gehört auch die gesamte Unterhaltungsindustrie in den Privatsektor und damit auch Sänger, Tänzer, Musiker, Schauspieler, Akrobaten und andere Künstler, die öffentlich auftreten. Auch der Profisport gehört per definitionem zum Privatgeschäft. Politiker sind die wohl einzige Berufsgruppe des öffentlichen Sektors, zu deren Berufsbild ein großes Maß an öffentlicher Inszenierung mit häufigen Auftritten bei öffentlichen Veranstaltungen, in Zeitungen und Fernsehen gehört. Insgesamt gibt es im Privatsektor wesentlich mehr Jobs, bei denen eine attraktive und gepflegte Erscheinung und soziale Kompetenzen wertvolle Attribute darstellen. Der Privatsektor bietet darüber hinaus auch höheren Lohn für gute Leistung. Es verwundert daher nicht, dass Menschen mit viel erotischem Kapital zum Privatsektor tendieren, auf dem sie mehr verdienen können.

Hinzu kommt, dass profitorientierte Organisationen mal mit, mal ohne Kleiderordnung einer smarten Erscheinung großen Wert beimessen. Beschäftigte in Privatunternehmen und Selbstständige investieren |250|im Allgemeinen mehr Zeit, Geld und Anstrengungen in ein gutes Aussehen als der typische Angestellte im öffentlichen Dienst. Leute, die am Hotelempfang arbeiten, tragen zum Beispiel meist mehr erotisches Kapital zur Schau als die Bibliothekare der örtlichen Bücherei. Sie sind gut gepflegt, elegant gekleidet, zeigen Haltung und lächeln viel. Leute in Regierungsdiensten investieren selten so viel in ihr Äußeres wie Menschen, die im Privatsektor im Verkaufs- oder Dienstleistungssektor im Rampenlicht stehen. Nachlässig gekleidete Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die überdies ein ungehobeltes Betragen an den Tag legen, geben ihren Klienten das Gefühl, aus unerfindlichen Gründen schlecht behandelt zu werden.

Alle Studien kommen zu dem Schluss, dass auf dem Privatsektor mehr attraktive Menschen (vor allem mehr attraktive Männer) arbeiten als im öffentlichen Dienst.56 Es handelt sich dabei um das Ergebnis von Selektionsprozessen für Berufe, die ein gutes Einkommen versprechen.57 An dieser Selektion ist nichts unfair oder diskriminierend, sie unterscheidet sich in nichts von den Selektionsprozessen, die in der Wissensindustrie und in höher dotierten Berufen bevorzugt gut gebildeten Menschen auf die entsprechenden Stellen verhelfen.

Fairness-Fragen: Körpergröße gegen Attraktivität

Attraktivität bringt finanziellen Lohn, Großsein aber auch. In vielen Studien ist der wirtschaftliche Gewinn für eine stattliche Statur höher als der für physische und soziale Anziehungskraft (siehe Tabelle 4). Im Zusammenhang mit dem finanziellen Bonus für eine gewisse Körpergröße könnte man sehr wohl die Fairness-Frage stellen. Dennoch wird der Vorteil von ein paar Zentimetern mehr oder minder bereitwillig akzeptiert, wohingegen Schönheit häufig mit einer gewissen Ambivalenz betrachtet wird. Vor allem weibliche Schönheit stößt häufig eher auf Argwohn. Das ist unlogisch und entlarvt die irrationale Voreingenommenheit der westlichen Welt gegenüber Schönheit.

Viele Menschen in Spitzenpositionen sind hoch gewachsen. Besonders |251|Männern hilft es, groß zu sein. Kleine Männer müssen außergewöhnlich fähig sein, um ihren Nachteil wettzumachen. Napoleon hat das geschafft, Hitler auch.58 Manche Geschäftsmagnaten sind klein, aber hoch gewachsene Männer gehen ihren Weg durchs Leben reibungsloser und leichter.

In allen Kulturen wird, vor allem bei Männern, ein stattliches Körpermaß allgemein als positives Merkmal erachtet. Nur extrem große Menschen erfahren Ablehnung, sie ragen so turmhoch aus der Masse der übrigen heraus, dass die Kommunikation mit ihnen als schwierig empfunden wird. Auf dem Arbeitsmarkt ist Größe von Vorteil – hoch gewachsene Menschen verdienen mehr und haben größere Chancen, eingestellt zu werden.

Eine hervorragende Studie darüber, wie anders es sich als sehr großer Mann und als sehr große Frau lebt, hat Arianne Cohen vorgelegt.59 Sie weist nach, dass für ihr Alter besonders große Kinder behandelt werden, als seien sie tatsächlich älter, weshalb sie rascher soziale Kompetenzen erwerben. Größere Menschen werden bemerkt und von ihren Altersgenossen häufig wie Anführer behandelt, so dass sie von selbst in diese Rolle hineinschlüpfen. Hoch gewachsene Menschen leben länger und scheinen gesünder zu sein als ihre kleineren Zeitgenossen. In den Vereinigten Staaten verdienen sie 20 Prozent mehr als kleinere Menschen. Große Männer werden in jeder beliebigen Organisation leichter Geschäftsführer und Topmanager als ihre kleineren Kollegen.60 Die meisten amerikanischen Präsidenten waren groß oder zumindest größer als ihre Rivalen. Und auch viele Spitzensportler sind groß.

Arianne Cohen ist mit gut 1,90 Meter selbst sehr groß und weiß daher aus eigener Erfahrung, dass Menschen auf hoch gewachsene Leute besonders reagieren. Große Menschen genießen sofort Anerkennung und beeinflussen das Verhalten der Menschen in ihrer Umgebung. So wie Menschen, die außergewöhnlich schön oder gutaussehend sind, werden sie immer wahrgenommen, genießen in der Öffentlichkeit keine Privatsphäre, bleiben den Menschen, die ihnen begegnen, in Erinnerung. Sie bilden eine kleine Minderheit (in Nordamerika machen sie 15 Prozent der Bevölkerung aus) und »passen« rein physisch nicht in eine Welt, die |252|für durchschnittlich große Menschen ausgelegt ist. Große Frauen haben mehr Schwierigkeiten, passende Partner zu finden, und bringen folglich weniger Kinder zur Welt, die Geburtsrate liegt bei ihnen im Mittel bei 0,7 Kindern pro Frau, während sie bei Frauen von durchschnittlicher Größe 1,7 beträgt.61 Auf der anderen Seite haben sie auf dem Arbeitsmarkt handfeste Vorteile. In Europa werden große Menschen bereitwilliger eingestellt als kleinere (Männer zu 11 Prozent, Frauen zu 6 Prozent). Sie verdienen im Mittel um die 25 Prozent mehr als kleinere Menschen (Tabelle 4). In höher qualifizierten Berufen verdienen hoch gewachsene Männer 17 Prozent mehr, hoch gewachsene Frauen 12 Prozent mehr.62 Bei Männern hat Körpergröße einen vergleichbaren Effekt wie Schönheit bei Frauen und vermag einen Mangel an beruflicher Qualifikation zu kompensieren. Große Männer ohne Highschool-Abschluss haben einen Einkommensbonus von 15 Prozent.63

Auf den ersten Blick mag das wie unbewusste oder unabsichtliche Diskriminierung wirken. Doch dieselben sozialen Mechanismen in der Kindheit, die hübschen Kindern einen Vorsprung verschaffen, greifen auch im Zusammenhang mit der Körpergröße. Große Kinder ragen buchstäblich heraus. Sie fallen auf, bekommen mehr Aufmerksamkeit und damit auch mehr Hilfe. Menschen halten sie für älter und reifer als sie wirklich sind und behandeln sie auch so. Man hält sie für verständiger und redet entsprechend mit ihnen, überträgt ihnen früher Verantwortung, betrachtet sie als Alphapersönlichkeiten und drängt sie in diese Rolle. Dieser besondere Umgang mit ihnen erfolgt meist unbewusst, nicht anders als bei attraktiven Kindern. Wenn sie Anfang 20 sind, haben hoch gewachsene Kinder eine andere Persönlichkeit entwickelt als normale und klein geratene Kinder, verfügen über mehr Selbstvertrauen und größere soziale Kompetenzen.

Als junge Erwachsene machen hoch gewachsene Menschen eine beträchtlich vorteilhaftere soziale und psychische Entwicklung durch – das betrifft ihre emotionale Stabilität, ihre Aufgeschlossenheit, ihre Motivation, ihren Optimismus, ihre Autorität, die Höflichkeit gegenüber anderen und ihre Umgänglichkeit. Sie verfügen überdies über größere intellektuelle Fertigkeiten, was möglicherweise damit zu tun |253|hat, dass sie sich besser ernähren. Höher entwickelte Fertigkeiten und ein höheres Maß an sozialer Kompetenz tragen zu dem beobachteten Einkommensbonus in etwa gleich viel bei wie die Körpergröße.64 Es ist ein ähnlicher Mechanismus wie der, den ich weiter oben im Zusammenhang mit der Attraktivität von jungen Menschen beschrieben habe.

Körpergröße lässt sich in Studien leichter und genauer bestimmen als Schönheit. Die Befunde über den ökonomischen Vorteil einer hoch gewachsenen Statur sind also noch sehr viel weniger anfechtbar als Befunde zu anderen Aspekten der äußeren Erscheinung. Niemand vermag etwas an seiner Körpergröße zu ändern, es handelt sich hierbei im Unterschied zu Schönheit, Stil und sozialer Kompetenz, die sich aktiv optimieren lassen, wirklich um ein angeborenes Merkmal. Trotzdem werden die ökonomischen Vorteile, die Körpergröße mit sich bringt, universell akzeptiert und nie als diskriminierend kritisiert. Aus genau demselben Grund sollte auch der wirtschaftliche Bonus für erotisches Kapital als fair und gerechtfertigt betrachtet werden, statt dass man ihn voreingenommen und diskriminierend ablehnt.65

Alte Götter und moderne Berühmtheiten

Schöne Menschen können Berühmtheit erlangen. Berühmtheiten verdienen mit allem, was sie tun, Geld, manchmal auch, wenn sie nichts tun.

Paris Hilton ist ein klassisches Musterbeispiel für eine moderne Berühmtheit: Sie ist berühmt dafür, berühmt zu sein – nicht für irgendeine Leistung.66 Sie beliefert die Klatschspalten und das »Infotainment« mit Material, das mit der Nachrichtenberichterstattung der seriösen Presse konkurriert. Sie gibt jedes Detail ihres Lebens und ihrer Beziehungen, auch ihrer kurzen Gefängnisstrafe in Kalifornien, der öffentlichen Neugier preis. Sie ist stets makellos gepflegt und elegant gekleidet, erscheint bei jedem öffentlichen Auftritt mit anderer Garderobe und neuer Frisur. Sie tut viel dafür, außerordentlich schön, |254|schlank, stylisch und fotogen zu bleiben. Paris Hilton finanziert ihr Jetset-Leben damit, dass sie sich für ihr Erscheinen auf Partys und bei gesellschaftlichen Ereignissen sowie für Auftritte in Fernsehshows auf der ganzen Welt bezahlen lässt.

Es hat den Anschein, als brauchten Gesellschaften ihre lebenden Legenden und öffentlichen Figuren, die Stoff für Diskussionen über Sitte, Anstand und Verhalten bieten. Im alten Griechenland lieferten der Lebenswandel und die Affären der zahllosen Gottheiten den Grundstock für unzählige Geschichten, die meist eine unausgesprochene moralische Botschaft im Gepäck hatten. In Indien und Indonesien vergnügen sich die Zuhörer in Tanztheatern und Schattenspielen an den Geschichten um den Prinzen Rama und anderen Legenden. In früheren Zeiten haben das Leben und Lieben der Könige und ihrer Familien dem Volk Anlass zu Diskussionen über die richtige Art sich zu verhalten und neue Ideen gegeben. Im 20. Jahrhundert übernahmen Filmstars diese Rolle oder wurden hineingedrängt, weil sie dem Auge der Öffentlichkeit nicht entrinnen konnten. Die Ehen von Elizabeth Taylor und Richard Burton und Marilyn Monroes Affären sind nur zwei der populärsten Beispiele hierfür.

Im 21. Jahrhundert sind Berühmtheiten zu öffentlichen Institutionen geworden, die Stoff für öffentliche Diskussionen über soziale Fragen und Moral liefern. Und für viele junge Menschen sind sie ein Vehikel für Phantasien über die Möglichkeiten und Grenzen des Lebens. Berühmtheiten, das können Filmstars, Popsänger, Sportler und hin und wieder auch Models und Politiker sein – man denke an Scarlett Johansson, Madonna, Tiger Woods, Naomi Campbell, Kate Moss und Ex-Präsident Bill Clinton. Die meisten dieser Prominenten haben auf dem einen oder anderen Gebiet Höchstleistungen vorzuweisen, dazu sind sie äußerlich attraktiv, fotogen, energiegeladen und fit und verfügen über hinreichende Sozialkompetenz, mit Interviews und der Presse zurechtzukommen. Auch die Götter der alten Überlieferungen sind fast immer schön und bewundernswert. Das erotische Kapital von Königen und Staatsoberhäuptern ist eine weniger zuverlässige Angelegenheit, sie können dies aber mit Glanz, Pomp, öffentlicher Inszenierung und schmeichelhaften |255|Porträts ausgleichen. Ein hohes Maß an erotischem Kapital scheint für eine moderne Berühmtheit Standardvoraussetzung. Paris Hilton beweist, dass der Prominentenstatus sich ohne sonstige Extras allein auf der Basis von erotischem Kapital aufrechterhalten lässt. Die moderne Technik zwingt Prominente geradezu, bei all den endlosen öffentlichen Auftritten, Fototerminen und Paparazzi-Verfolgungsjagden, die den Boulevard-Journalismus ausmachen, immer gut aussehen zu müssen. Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, die Hauptrolle von Prominenten bestünde schlicht und einfach darin, sichtbar zu sein, gesehen zu werden und in Erscheinung zu treten, ja, dass ihre einzige Arbeit Präsenz sei.67 In meinen Augen aber besteht ihre Rolle darin, Stoff für »Klatsch« und die zugehörigen moralischen Debatten über akzeptables Verhalten zu liefern. Ein hohes Maß an erotischem Kapital stellt sicher, dass wir diesen Personen hinreichend Zuneigung entgegenbringen, um ihr Handeln und ihre Lebensgeschichte mit Interesse zu verfolgen. Das Leben moderner Prominenter wird in gewisser Weise zu einem ebensolchen Spektakel wie das der Götter in den Geschichten des Ramayana.

Der Prominentenstatus bedeutet eine massive Erhöhung des ökonomischen und sozialen Werts sowie der Konvertierbarkeit von erotischem Kapital, so dass es in vielen Bereichen nützlich wird – nicht nur zum Posieren für Fotografen.

George Clooney wurde zunächst als Schauspieler wohlhabend und weltweit berühmt, doch weit mehr Geld verdiente er dadurch, dass er Werbung für einen Kaffeehersteller machte. Berühmte Schauspielerinnen und Popsängerinnen machen ihr erotisches Kapital zu Geld, indem sie für Parfüms, Designerkleider, Accessoires, Kosmetik- und Haarpflegeprodukte werben.

Die interessantesten Transfers im Zusammenhang mit Prominentenstatus und erotischem Kapital finden zwischen der Welt der Unterhaltung, und der von Sport und Politik statt. Die ehemalige Miss Bolivien, Jessica Ann Jordan Burton, wurde zur rechten Hand von Präsident Morales. In Indien kandidieren viele Filmstars für öffentliche Ämter und das Parlament. Der gutaussehende Cricket-Star Imran Khan schlug aus seinem sportlichen Ruhm als Kapitän der pakistanischen |256|Nationalmannschaft politisches Kapital und unternahm in seiner zweiten Karriere als Politiker den Versuch, das Präsidentenamt zu gewinnen. Die schöne Italienerin Mara Carfagna, erstmals in Erscheinung getreten als velina in einem von Silvio Berlusconis Fernsehkanälen, hat einen Abschluss in Rechtswissenschaften und wurde in der Berlusconi-Regierung zur Gleichstellungsministerin.68 Ronald Reagan erntete seinen ersten Ruhm als gutaussehender Filmschauspieler, bevor er in die Politik wechselte und sich zum Gouverneur von Kalifornien, einem der größten und reichsten Staaten Amerikas, und schließlich zweimal zum Präsidenten der Vereinigten Staaten wählen ließ. Ein weiterer spektakulärer Transfer von Prominentenstatus und erotischem Kapital von einer Branche auf eine ganz andere illustriert die Laufbahn von Arnold Schwarzenegger. Der einstige Bodybuilder setzte seine Berühmtheit in eine erfolgreiche Filmkarriere in Hollywood und Letztere in eine politische Laufbahn um, auf deren Höhepunkt er sich zum Gouverneur von Kalifornien wählen ließ. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Frauen, die ihr erotisches Kapital und ihre Bekanntheit dazu verwenden, in die Politik einzusteigen, mit weit mehr Kritik und Häme bedacht werden als die sehr viel zahlreicheren Männer, die solches tun. Ein weiteres Beispiel für die unterschiedliche Behandlung der beiden Geschlechter in Bezug auf erotisches Kapital. Erotisches Kapital wird höchstwahrscheinlich nie ein so universell nützliches Gut sein wie Geld. Aber der Prominentenstatus erhöht die Zinsen auf erotisches Kapital in allen Lebensbereichen enorm. Es ist daher mehr als verständlich, dass Prominente mehr in die Steigerung und Erhaltung ihres erotischen Kapitals investieren als jede andere Berufsgruppe.

Winner-takes-it-all-Ökonomien

Sportstars und Politiker kennen jenes grausame Merkmal moderner Gesellschaften und der Weltwirtschaft, das einfachen Angestellten manchmal verborgen bleibt. In vielen Wettbewerben gibt es nur einen |257|einzigen Gewinner, und der bekommt ALLES – was immer es ist: Geld, Ruhm oder Macht.

Das, womit der Wettbewerb gewonnen wird, kann ein winziger, ja trivialer Vorteil sein – der Bruchteil einer Sekunde mehr an Schnelligkeit, die Handvoll Wählerstimmen aus Millionen abgegebener oder die makellose Erscheinung und das richtige Lächeln für jeden öffentlichen Anlass. In manchen Wettbewerben hat ein winziger Vorsprung eine Riesenwirkung. Alle Frauen, die bei einem Schönheitswettbewerb den Laufsteg betreten, sind genauso attraktiv wie diejenige, die letztlich gewinnt. Aber es gibt nur eine Siegerin, die den Titel davonträgt – und alles, was dazugehört.

Die Wissenschaftler Robert Frank und Philip Cook nennen das eine »Winner-takes-all-Gesellschaft« (im Deutschen auch: Alles-oder-nichts-Gesellschaft) und kritisieren diese Entwicklung, die ihrer Ansicht nach einer Lotterie gleichkommt, scharf, weil sie den Grundstein für eine krass-ungleiche Eigentumsverteilung legt.69 Sie glauben, diese extreme Form des Wettbewerbs sei auf dem Vormarsch und einer der Gründe für die zunehmende Ungleichheit in modernen Ökonomien.

Auf den ersten Blick mag es scheinen, als habe das wenig zu tun mit dem Leben normaler Menschen in alltäglichen Arbeitsverhältnissen. Doch es hat. Auch wenn unsere höchstpersönlichen kleinen Wettbewerbe nie so aufregend sein mögen wie ein Formel-1-Grand-Prix, die Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten oder eine Miss-World-Wahl, so ist ihr jeweiliger Ausgang doch für jeden Einzelnen von uns von immenser Bedeutung.

Im Laufe unseres Lebens lassen wir uns auf viele Wettbewerbe ein – wir konkurrieren um einen Studienplatz, um eine Stelle, um eine Beförderung, um eine vielversprechende Veränderung. In manchen Fällen kann es nur einen Gewinner geben, in anderen gibt es mehrere, aber immer noch sehr viel mehr Verlierer. Einige der Preise (eine Stelle oder eine Beförderung) sind sehr viel verlockender als andere. Der Gesamtvorsprung, zu dem sich zahllose kleine Vorteile in jedem Stadium einer Karriere addieren, ist auf lange Sicht kolossal. Kleine Unterschiede bei frühen Entscheidungen und Erfolgen können sich am |258|Ende zu Rieseneffekten auswachsen. Nur einer wird Präsident eines Landes, Chef einer weltweit operierenden Bank oder Weltmeister in irgendeiner Sportart.

Die hier vorgestellte Forschung zeigt, dass erotisches Kapital für jeden Jobsuchenden, bei jeder Beförderung oder Gehaltserhöhung ein kleines Plus bedeutet. Der Gesamteffekt all der kleinen Vorteile auf den einzelnen Stufen der Karriereleiter kann nach ein paar Jahrzehnten in der Arbeitswelt riesig groß geworden sein. Die meisten Studien kommen zu dem Schluss, dass Attraktivität auf lange Sicht weit mehr Gewinn verheißt als der kurzfristige Profit, der vielleicht nur darin besteht, dass man einen bestimmten Job mit allen Chancen, die dieser verheißt, bekommt.70

Kaum wahrnehmbare Spielräume am Anfang können am Ende den Unterschied zwischen Erfolg und Versagen bedingen. Erotisches Kapital kann hier im Privatleben wie in der Arbeitswelt jenen winzigen Anfangsvorteil bedeuten.