|187|Kapitel 6

Ohne Geld keine Liebe

Das männliche Sexdefizit verleiht allen Beziehungen und Begegnungen zwischen Männern und Frauen, allen Phantasien, Träumen und Erwartungen einen gewissen Touch. Es verwundert nicht, dass es in allen Gesellschaften immer auch eine Dienstleistungsindustrie für käuflichen Sex gegeben hat, sogar in Ländern, die dieses auf dem Papier untersagen. Prostitution zu verbieten oder in der einen oder anderen Form zu kriminalisieren, ist genauso wenig effizient, wie es die Prohibition der 20er Jahre in den Vereinigten Staaten gewesen ist. Diese hat letztlich zur Entstehung profitabler krimineller Vereinigungen geführt. Die Sexindustrie ist insofern besonders interessant, als sie den Marktwert von erotischem Kapital deutlich vor Augen führt.

Wie manche Ökonomen feststellen, ist es weniger ein Rätsel, warum manche Frauen als Prostituierte arbeiten, als vielmehr, warum in Anbetracht des potenziell hohen Verdienstes bei vergleichsweise kurzer Arbeitszeit nicht mehr Frauen diesen Beruf ergreifen.1 Sozialwissenschaftler rümpfen ob dieser Frage gerne die Nase und wenden sich in Missbilligung ab. Das gesellschaftliche Stigma, das der Prostitution anhaftet, ist so machtvoll, dass sogar Akademiker Sorge haben, sich durch jedwedes ernsthafte Interesse an der Erklärung von sexueller Ökonomie in welcher Form auch immer, die Hände schmutzig zu machen.2 Doch es ist nicht nur die Sexindustrie im eigentlichen Sinne, die mit erotischem Kapital (von Männern und Frauen) wuchert – die gesamte Unterhaltungsindustrie basiert darauf und bedient sich seiner |188|auf die eine oder andere Art und Weise. Die Ausbeutung von erotischem Kapital seitens der Werbeindustrie ist vielleicht noch das am besten angesehene Ende dieses vielschichtigen kommerziellen Unterfangens.

Das erotische Kapital in Werbung und Marketing

Die Schauspielschönheit Brooke Shields wurde im Jahre 1978 berühmt durch Louis Malles Film Pretty Baby, in dem sie ein Mädchen spielte, das in einem Bordell in New Orleans aufwächst und letztlich den Beruf seiner Mutter ergreift. Im August 1980 gelangte sie, inzwischen 15-jährig, als Star einer Fernsehserie und der Plakat- und Filmwerbung für Calvin-Klein-Jeans erneut zu Berühmtheit. In hautengen Jeans säuselt sie: »Wollen Sie wissen, was zwischen mir und meiner Calvin-Klein-Jeans ist? – Nichts.« Die Spotserie wurde zu einer der berühmtesten Jeans-Werbungen aller Zeiten. Sie machte Calvin Klein zum bekanntesten Namen der amerikanischen Modebranche und inspirierte jede Menge Nachahmer.

Die Kampagne war seinerzeit immens teuer. Brooke Shields erhielt für die Werbespots 500 000 Dollar. Das Drehbuch stammte von Doon Arbus, Richard Avedon, einer der Spitzenfotografen jener Zeit, filmte die Bilder. Sendeminuten im Wert von 5 Millionen Dollar wurden dafür eingekauft. Calvin-Klein-Jeans verkauften sich trotz ihres damals stattlichen Preises von 50 Dollar ohnehin bereits sehr gut. Nach der Werbekampagne schnellten die Absatzzahlen explosionsartig auf 2 Millionen Paar pro Monat hoch. Amerikanische Verbraucher bewerteten Calvin Kleins Printwerbung im Jahre 1991 als die originellste weit und breit. Auch wenn manche der Anzeigen erfolgreicher waren als andere, so besteht doch kein Zweifel über die Wirkungsmacht des darin präsentierten erotischen Anreizes. Im Jahre 1995 hatten die Nettoverkäufe an CK-Jeans trotz zunehmender Konkurrenz durch andere Designermarken, die ebenfalls in hoch erotische Werbekampagnen investierten, 462 Millionen erreicht.3

|189|Wie die Werbe- und Marketingspezialisten nicht müde werden, uns zu versichern: Sex sells. Mit der geballten erotischen Macht von Frauen lässt sich alles verkaufen. Um die 90 Prozent der Werbeanzeigen, die mit erotischen Motiven arbeiten, verwenden für ihre Kampagnen keine Bilder von Männern, sondern von schönen, glamourösen Frauen. Zwar hatte die sexuelle Revolution der 60er Jahre auch eine allmähliche Zunahme der erotisch angehauchten Werbung für Herrenpflegeartikel, -düfte und -kleidung, sprich der Inszenierung von gutaussehenden Männern mit sportlichem Körperbau bewirkt. Das Hauptaugenmerk blieb jedoch, wenn auch etwas weniger intensiv, auf Frauen gerichtet. Die feministische Bewegung in den 60er Jahren hatte unter anderem zur Folge, dass die befreite Frau für sich in Anspruch nahm, auf sexuellem Gebiet selbst die Initiative zu ergreifen, und verlangte daher, dass auch Männer mehr Anstrengungen in ein ansprechendes und sexuell attraktives Äußeres investierten. Offenbar wird zwei Drittel aller Herrenunterwäsche von Frauen gekauft, Werbeposter von attraktiven Männern in Unterhosen zielen somit vor allem auf Frauen.4

Am 12. Juni 2009 kam es vor dem Londoner Kaufhaus Selfridges zu einem tumultartigen Presseauflauf. Ein riesiges sechs Stockwerke hohes Poster des bis auf ein Paar Armani-Unterhosen unbekleideten englischen Fußballers David Beckham, das schließlich die gesamte Gebäudefront zur Oxford Street bedecken sollte, wurde langsam vom Dach herab entrollt. Es gab Berichte von jungen Mädchen, die vor Aufregung ohnmächtig geworden sein sollen, andere rangelten heftig um die Plätze mit der besten Sicht. Selfridges gab nach der Beckham-Plakataktion gut gelaunt eine Steigerung der Verkaufszahlen um 150 Prozent zu Protokoll.

Die Werbekampagnen mit Brooke Shields und David Beckham sind ein gutes Beispiel für den neuen Trend, statt anonymer professioneller Models, die nichts anderes tun, als vor der Kamera zu posieren, schöne Frauen und gutaussehende Männer mit hohem erotischem Kapital einzusetzen, die auf dem von ihnen gewählten Betätigungsfeld bereits Meriten erworben haben. Beckhams Zugkraft besteht unter anderem |190|darin, dass er glücklicher Familienvater ist und neben einer glamourösen Ehefrau mit eigenem Modelabel noch vier hübsche quirlige Kinder hat. Außerdem ist er ein lebendiges Beispiel für den Mythos vom Tellerwäscher zum Millionär, ein Mann, der durch Fußball zu Ruhm und Ehren gelangt ist. Das an der Fassade von Selfridges installierte überdimensionale Armani-Poster hatte den Nebeneffekt, auch homosexuellen Kunden und Passanten einen attraktiven Pin-up-Boy zu präsentieren, der so ganz anders wirkte als Beckham in seinem alltäglichen Look. Trotzdem hat man David Beckham in der Armani-Werbung für Jeans und Unterwäsche im Januar 2010 durch den nicht minder gutaussehenden und jüngeren portugiesischen Fußballer Cristiano Ronaldo ersetzt. In der Werbung kann der Konkurrenzdruck offenbar genauso gnadenlos sein wie im Sport.

Erotische Bilder von Frauen und sexuelle Anspielungen werden seit mindestens 1850 in der Verbraucherwerbung verwendet und haben sogar Eingang gefunden in die Werbung für Industrieprodukte, die nur von Männern benutzt werden. In der westlichen Welt sind sie seit Mitte der 70er Jahre vermehrt zu finden. Vielen Menschen gefallen diese neuen öffentlich präsentierten kommerziellen Erotika. Es muss so sein, denn solche Anzeigen helfen Produkte aller Art an den Kunden zu bringen: Autos, alkoholische Getränke, Kaffee, Parfüm, Mode, Jeans, Tabak und Autoreifen genauso wie Dessous, Kondome und Aphrodisiaka. Manche Frauen stören sich daran unter Berufung auf Moral, Familienwerte oder feministische Einwände.5 Ende des 20. Jahrhunderts war die neue Form von erotischer Werbung so gang und gäbe geworden, dass die Wissenschaft begann, ihre Bedeutung und ihre gesellschaftlichen Konsequenzen zu analysieren.6

Es wird geschätzt, dass in der westlichen Welt ein Fünftel aller Werbung von erotischen Aussagen lebt.7 Altehrwürdige, lang etablierte Traditionsmarken, die gegen den allmählichen Niedergang kämpfen, haben festgestellt, dass ein neues sexy Image das Blatt manchmal auf dramatische Weise wenden kann. In Europa ist dies Gucci, Burberry und Dior so ergangen. In den Vereinigten Staaten hatte sich im Jahre 1892 das Unternehmen Abercrombie & Fitch als Lieferant von Sportartikeln |191|und Oberbekleidung für ältere Herren gehobener Kreise etabliert und war damit höchst erfolgreich geworden. In den 60er Jahren war sein Angebot aus der Mode gekommen, und im Jahre 1977 meldete die Firma Insolvenz an. Noch 1993 machte es bei einem Umsatz von 85 Millionen Dollar jährlich 6 Millionen Verlust. Doch dann wandelten ein neuer Geschäftsführer und eine neue Marketingstrategie in weniger als einem Jahrzehnt das glücklose Unternehmen in eine trendige Marke um, die »Lifestyle«-Mode für Studenten und junge Leute bot. Entscheidend wichtig für diese Kehrtwende war der massive Einsatz von erotischen Motiven in der Firmenwerbung, zu der unter anderem ein periodisch erscheinendes Druckwerk namens A & F Quarterly gehört, in dem es von Fotografien unbekleideter oder halbnackter schöner junger Menschen wimmelt, die miteinander herumalbern und augenscheinlich ihren Spaß haben, und das nur für Personen über 18 Jahre verkauft werden durfte. Die Strategie ging auf. Im Jahre 2001 machte die Firma bei einem Umsatz von 1,35 Milliarden Dollar einen Gewinn von 68 Millionen, das alles bei einem Marktwert von 2,5 Milliarden Dollar – gekauft worden war sie 1988 für 47 Millionen.8

Dieses Beispiel demonstriert klar, dass vor allem die jungen Verbraucher auf erotische Anreize positiv reagieren – wenngleich Männer auf Sex in der Werbung grundsätzlich eher ansprechen als Frauen.9 In den Vereinigten Staaten hat eine Marktforschungsumfrage gezeigt, dass die Hälfte aller Menschen zwischen 18 und 24 Jahren mit besonderer Vorliebe Kleidung kaufen würde, die mit erotischen Bildern beworben wird.10 Die Konzentration der Werbeindustrie auf Sex-Appeal für die Altersgruppe der unter 30-Jährigen deckt sich exakt mit den Ergebnissen von Umfragen zum Sexualverhalten.

In jüngster Zeit hat die Werbung begonnen, sich des erotischen Kapitals von Männern in ähnlicher Weise zu bedienen wie des erotischen Kapitals von Frauen – siehe Parallelwerbungen für Sie und Ihn wie die zu Versaces Duft Light Blue im Jahre 2009. Der Stil solcher erotisch aufgemachten Werbeanzeigen unterscheidet sich häufig kaum von erotischer Kunst und Fotografie. Das gilt vor allem für die Parfümwerbung, deren Objekt sich im Unterschied zu Kleidung und Handtaschen |192|nicht bildlich erfassen lässt, so dass es darauf ankommt, mittels der Bilder eine Stimmung, ein Gefühl entstehen zu lassen.

Party Girls

Audrey Hepburns Darstellung der Holly Golightly in der Filmversion von Frühstück bei Tiffany ist Kult geworden. Die Bilder von ihr in jenem eleganten figurbetonten Kleid mit Perlenkette und Zigarettenspitze haben schon manche Rückbesinnung auf die Mode der 50er Jahre inspiriert. Tatsächlich ist die Geschichte im Film gegenüber der Romanvorlage von Truman Capote in Vielem völlig umgekrempelt worden. Holly war eine 19-Jährige, die sich von Männern für ihre Begleitung bezahlen ließ, für Sex noch mehr verlangte, bereits elf Liebhaber (seinerzeit eine horrende Zahl) gehabt hatte und sich unverhohlen nach einem reichen Mann zum Heiraten umsah. Die Figur ist angelehnt an Capotes Mutter und eine Reihe aufstrebender junger Frauen, denen Capote im New York der 50er Jahre begegnet war, und von denen es einige in der Tat durch Heirat zu beträchtlichem Vermögen gebracht hatten.11 Holly ist hinreißend – extrovertiert, ausgelassen, elegant, kokett, sehr hübsch und sehr sexy, aber pfiffig genug, mittellose Männer zu ignorieren. Capote hatte Marilyn Monroe als Idealbesetzung im Auge und fand Audrey Hepburn mit ihrem keuschen Prinzessinnen-Image von Oberklasse und Unverdorbenheit völlig fehlbesetzt. Als jedoch die Story von 1958 im Jahre 1961 in Hollywood verfilmt wurde, war sie bis zur Unkenntlichkeit verändert worden, so dass Holly häufig als oberflächliche Salonlöwin oder Partymaus gesehen wird. Die Tatsache, dass sie ihren jeweiligen Begleiter jedes Mal um 50 Dollar Kleingeld »für die Toilette« bittet, ist im Film leicht zu übersehen. Sie wird wahrgenommen als moderne, freie und kultivierte Frau, die einfach tut, wonach ihr der Sinn steht, und Hepburns hoch modische Garderobe im Film unterstreicht diesen Eindruck. Im Zuge des Beschönigens von Hollys »unmoralischen Aktivitäten« für die Filmversion verwandelte Hollywood |193|ihren Schriftstellerfreund im Appartement über ihr von einem Homosexuellen (wie Capote selbst es war) in einen heterosexuellen, um Anerkennung ringenden Schreiber, der sich seinerseits verkauft, um Geld für seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er wird finanziell von einer verheirateten Frau unterstützt, die ihn hin und wieder für ein Schäferstündchen aufsucht. Das aber gilt wie üblich als weit weniger schockierend, als wenn eine Frau dasselbe tut. Der Film endet mit der Zementierung traditioneller Werte: Holly wird von dem reichen älteren brasilianischen Diplomaten, den sie gehofft hatte heiraten zu können, verlassen. Sie entscheidet sich stattdessen schließlich für ein achtbares Eheleben an der Seite ihres mittellosen Freundes. In der Originalstory ist das Ende weniger eindeutig.12

Doch selbst dann bleibt Frühstück bei Tiffany einer der wenigen Filme über die moderne Sexindustrie, in denen die Frau nicht als unfähige Verliererin, sondern als temperamentvoll, lebhaft, eigenständig und zielorientiert dasteht.

Erotische Unterhaltung

Die Unterhaltungsindustrie verkauft erotisches Kapital, das ist vor allem in der westlichen Welt so. Sie verkauft darüber hinaus auch Spannung, tiefe Gefühle, Intrigen, Klatsch, Wissen, Rätsel, Fiktion, Bilder und Musik, Glück und Freude – all das aber häufig mit einem ordentlichen Klacks Erotik als Sahnehäubchen garniert. Ist der Hauptdarsteller eines Films nicht allzu hübsch, gibt man ihm eine schöne Schauspielerin zur Dekoration der Handlung an die Seite. Filmstars, Popsänger und Sportler sind grundsätzlich erfolgreicher und beliebter, haben mehr Anhänger und verdienen mehr durch Sponsoren und Werbeverträge, wenn sie über ein hohes erotisches Potenzial verfügen. Manche Popstars verkaufen sich so sehr über diese Schiene, dass man bei ihnen leicht die Tatsache übersieht, dass sie obendrein auch noch Talent haben – ein gutes Beispiel hierfür ist Beyonce Knowles. Auch George Clooney sieht so gut aus, dass er von Filmkritikern regelmäßig |194|nur als hübsches Gesicht wahrgenommen wird, obwohl er ein erstklassiger Schauspieler und Filmproduzent ist.

Innerhalb der riesigen weltumspannenden Unterhaltungsindustrie gibt es den winzigen (ebenfalls zunehmend globaler werdenden) Zweig der kommerziellen Sexvermarktung, die erotisches Kapital mit allem was dazu gehört anbietet, unter anderem auch sexuelle Dienstleistungen. In Ländern wie den Vereinigten Staaten und Schweden, in denen dieses Gewerbe unter Strafe steht, kann der Preis für solche Leistungen des höheren Risikos wegen schon mal deutlich in die Höhe getrieben werden, und ein Großteil des Geschäfts wird ins benachbarte Ausland verlagert. Die große Mehrheit der schwedischen Männer, die Prostituierte aufsuchen, tun das außerhalb Schwedens auf Geschäftsreisen oder im Urlaub.13 In Ländern wie Spanien und Brasilien, in denen käuflicher Sex akzeptiert ist, finden sich die entsprechenden Etablissements leichter, und Männer wie Frauen haben, weil es keine festen Schranken gibt und kein Stigma damit verbunden ist, weniger Probleme, sich auf diese Arbeit einzulassen beziehungsweise nach einer gewissen Zeit wieder auszusteigen.14

Das Geschäft mit dem Sex kennt eine große Bandbreite an Dienstleistungen und Produkten. Erotische Phantasien sind dabei häufiger als Sex an sich. Die Verkaufspraxis unterscheidet dabei grundsätzlich zwischen der Befriedigung grundlegendster Bedürfnisse einerseits und Luxusleistungen andererseits. Der Straßenstrich ist die sichtbarste Form von Prostitution und prägt ihr Bild in der Öffentlichkeit. Den weit größeren Teil des Gewerbes aber bilden seine unsichtbaren Zweige, und was Ausrichtung und Honorare betrifft, so hat man es hier mit einem wahren Universum zu tun. Man schätzt, dass in Europa die Prostituierten auf der Straße nur etwa 10 Prozent des Gewerbes ausmachen und somit eine kaum repräsentative winzige Sparte bilden, die nichtsdestotrotz die sichtbarste ist. Die meisten Beschäftigten arbeiten in den verschiedensten Etablissements hinter verschlossenen Türen.

Wie groß der Unterschied zwischen dem oberen Ende der Top-Callgirls und Begleitdamen und dem unteren der Prostituierten auf den Straßen ist, lässt sich ablesen an einer Studie über das Prostitutionsgewerbe |195|in Los Angeles, das in einem Bundesstaat liegt, in dem sexuelle Dienstleistungen von Rechts wegen illegal sind.15 Die meisten Frauen auf den Straßen sind zwischen 20 und 30, dunkelhäutig, verheiratet und ohne Abschluss von der Highschool gegangen. Die Hälfte der Frauen nimmt Drogen, die andere ist alkoholabhängig. Die meisten ihrer Freier sind Fremde, die sie nie zuvor gesehen haben, und nur eine Minderheit kommt regelmäßig wöchentlich zu ihnen. Die Begegnung findet genauso oft in einer abgelegenen Seitenstraße oder einem Auto statt wie in einem Hotel- oder Motelzimmer, ist im Regelfalle kurz und bündig – Oralsex oder »Handarbeit« dauern in der Regel unter 15 Minuten. Gespräche sind bei diesen Aktionen nicht gerade an der Tagesordnung, ebenso wenig Küsse und Liebkosungen. Die Frauen bieten sexuelle Befriedigung mit wenigen bis keinen Schnörkeln, aber sie haben die Anziehungskraft und den Sex-Appeal der Jugend.

Callgirls (oder Partygirls, wie ich sie lieber nenne) bieten erotisches Kapital mit allem, was dazu gehört. Sex bildet dabei nur ein Element eines Gesamtpakets, das in vielen Fällen von einer Verabredung mit jemand außerhalb dieses Berufsstands nicht zu unterscheiden ist. Callgirls sind in den Vereinigten Staaten so gut wie nie schwarz, sondern fast immer weiß, ebenfalls zwischen 20 und 30, jedoch nicht verheiratet, und haben einen College-Abschluss. So gut wie keines von ihnen nimmt Drogen, trinkt jedoch durchaus mit seinen Klienten. Die Mehrzahl der Klienten sind immer wiederkehrende Besucher, man bekommt sich im Verlauf eines Jahres entweder in der Wohnung des Klienten oder in der des Callgirls regelmäßig zu sehen. Die Verabredung dauert im Regelfall eine Stunde, aber die Frauen bringen häufig sehr viel mehr Zeit mit dem Betreffenden zu, essen vor oder nach der Verabredung mit ihm und bleiben unter Umständen auch über Nacht. Auch in jeder anderen Hinsicht sind dies normale Verabredungen, man verbringt Zeit im Gespräch, es gibt Küsse, Umarmungen und Liebkosungen, der sexuelle Austausch beruht auf beiderseitigem Einverständnis, und es gibt eine Vielfalt an sexuellen Ausdrucksmöglichkeiten. Callgirls sind attraktiv und elegant gekleidet, unterscheiden sich in nichts von anderen jungen Frauen. Sie erhalten von ihren Klienten häufig Geschenke, |196|und diese sind – wie Schmuck oder Parfüm – in der Regel wertvoller als das, was Prostituierten auf der Straße angeboten wird, denen man vielleicht Zigaretten oder etwas zu essen kauft.16

Frauen auf dem Straßenstrich verkaufen ihre speziellen sexuellen Dienste auf möglichst effiziente Art und Weise. Callgirls bieten eher so etwas wie eine abgerundete Partnerschaft, geben den Klienten das Gefühl, mit einer Freundin zusammen zu sein, und bringen dabei neben ihrem Geist und ihrem Humankapital sämtliche Facetten ihres erotischen Kapitals ins Spiel. Callgirls in Los Angeles verlangen etwa das Zehnfache von dem, was eine Frau dort auf der Straße verdient, und dieses Preisverhältnis ist in London und anderen Städten ähnlich.17 Prostituierte auf den Straßen sind spontan verfügbar, während Callgirls in der Regel Termine ausmachen.

In gewissem Sinne ist das, was Männer da für ihr Geld erstehen, die Illusion einer perfekten Partnerin, die einen mag und nimmt, wie man ist, die dasselbe will wie man selbst, fügsam und entgegenkommend und noch dazu in jeder Hinsicht außerordentlich attraktiv ist. Nur Telefonsex vermittelt diese Illusion noch ungetrübter, weil die Partner nie zusammenkommen.18 Telefonsex ist nur ein Beispiel von vielen aus der Reihe moderner Phantasiebeziehungen, die durch Telefon und Internet möglich geworden sind. Vor noch nicht allzu langer Zeit existierten wir Menschen gefangen in Raum und Zeit – als körperliche Wesen, die anderen Auge in Auge begegneten. Heutzutage kann jeder sich unter einer beliebigen E-Mail-Adresse oder Handy-Nummer eine neue Persönlichkeit erfinden. Phantasiebeziehungen über große Entfernungen sind möglich geworden. Die Expertinnen unter den Telefonsexanbieterinnen sind imstande, für jedes Phantasieszenario, auf das der Kunde steht, die richtige Stimmlage und das richtige Vokabular zu liefern. Weniger augenfällig ist, dass auch die Klienten sich für diese Dialoge eine imaginäre Identität zulegen. Sie geben vor, gutaussehend, gebildet, wohlhabend, erfolgreich und einflussreich zu sein. Genauso behaupten die Telefonpartnerinnen, jung, schlank und schön zu sein, langes Haar in genau der Farbe zu tragen, die dem Klienten ideal erscheint, ebenso in Kleidung und Dessous seinen Geschmack, seine Träume zu erfüllen.

|197|Auch wenn die meisten Kunden in der Regel nur einmal anrufen, es gibt auch solche, die sich bei einer Nummer regelmäßig melden und immer ein und dieselbe Frau verlangen, weil sie mit ihr am liebsten reden. Mit der Zeit entstehen auch am Telefon Beziehungen, zum Teil auch deshalb, weil die Frauen angehalten sind, die Anrufenden so lange wie möglich im Gespräch festzuhalten, um die Rechnung für den Anruf in die Höhe zu treiben. Die Anrufer senden den Frauen über Postfächer, die das Telefonsexunternehmen unterhält, nicht selten Geschenke, sogar ein Verlobungsring soll schon dabei gewesen sein, nachdem die Verlobte des Kunden diesen verlassen hatte. Hin und wieder treffen sich Anrufer und Anbieterin auch in Wirklichkeit. Solche Begegnungen von Angesicht zu Angesicht sind nahezu unvermeidlich eine Katastrophe. Die Anrufer sind entsetzt, dass ihre Flamme betreffs ihrer Erscheinung gelogen hat, und die Frau ist nicht minder außer sich, weil ihr Anrufer über seinen sozialen und ökonomischen Status von vorne bis hinten die Unwahrheit gesagt hat.19

Telefonsexkunden sind fast durch die Bank männlich, die meisten Bediensteten sind weiblich, ob es Dienste für Homosexuelle gibt, ist von Land zu Land verschieden. Die Frauen werden nach ihrer Stimme und ihrer Art zu sprechen ausgewählt – Alter und Aussehen sind unerheblich. Allein mit ihrer Stimme erschaffen die Frauen ein Szenario, das dem Anrufer zum ersehnten »Happy End« verhilft oder auch zu einer keuschen Begegnung voller sexueller Andeutungen, Koketterien und Verheißungen. Für manche Anrufer ist die Vorstellung, dass die Beziehung in ein Treffen mündet, der große Kick. Die Frauen am Telefon vermögen ein fast endloses Spektrum an sexuellen Phantasien zu liefern.20 Dabei erfahren sie viel über alle möglichen Sexualpraktiken, dennoch sind physische sexuelle Handlungen kein Teil des Ganzen. Was in manchen Studien zu solchen Praktiken übersehen wird, ist die Tatsache, dass der Anrufer die Chance bekommt, sich als attraktiv und begehrenswert zu präsentieren, unabhängig davon, wie es wirklich um ihn steht. Telefonsex beschert Männern in ihrer Phantasie eine nie gekannte erotische Macht.

|198|Das Gefühl, von jungen und wirklich schönen Frauen begehrt zu werden, bieten auch Tokyoter Hostessenclubs. Männer suchen diese Clubs normalerweise in Gruppen auf und lassen sich von mehreren Damen unterhalten und bewirten. Sexuelle und emotionale Koketterien sind das A und O dieser Form von Service, Sex hingegen nicht, und das macht womöglich einen Teil der Attraktion aus. In dieser Hinsicht gleichen Hostessenclubs amerikanischen Striplokalen, in denen Tabledance angeboten wird, auch wenn die beiden Unterhaltungsformen sich im Übrigen sehr unterscheiden.21

Japanische Clubkunden gehen gelegentlich Affären mit einer der Hostessen des Clubs oder mit jungen Bürokolleginnen ein und sind bereit, sich dieses Privileg eine Menge kosten zu lassen. Der Großteil der japanischen Angestellten ist seiner langen und anstrengenden Arbeitszeiten wegen jedoch in der Praxis impotent, und viele japanische Ehen sind zölibatär.22 Andere sind in den Ritualen von Liebeswerben und Verführung nicht übermäßig bewandert, weil sie in rein männlichen Arbeitsgruppen beschäftigt sind. Der Flirt mit attraktiven und charmanten jungen Frauen in einem Hostessenclub wird genauso zu einem in sich befriedigenden erotischen Vergnügen wie der Tabledance einer unbekleideten Stripperin für den britischen und amerikanischen Striplokalbesucher. Dem Mann wird jeglicher sexueller Leistungsdruck erspart, und doch erntet er die erregende und sein Ego streichelnde Aufmerksamkeit schöner junger Frauen mit jeder Menge sexuellen Reizen, die ihm das Gefühl geben, akzeptiert und begehrt, auf keinen Fall aber beurteilt zu werden. Für einen älteren müden Herrn, kann das so reizvoll sein wie Sex selbst, und es verlangt ihm weit weniger ab. Sex findet allein im Kopf statt, heißt es, und Sexphantasien mit einer unerreichbaren jungen Schönheit können unter Umständen besser sein als die Realität.23

Mit Cabaret-Shows, Stripclubs und anderen erotischen Darbietungen ist attraktive Unterhaltung garantiert, auch wenn Sex nicht auf der Speisekarte steht. Die Mädchen sind jung und überdurchschnittlich hübsch, schlank und sexy. Sie sind sportlich genug für mitreißende Vorführungen und tragen in der Regel prächtige Kostüme, |199|jeder Service wird von einem Lächeln begleitet, vor allem bei Klienten, die genügend Geld zum Ausgeben haben. Bei dem unablässigen Tänzerinnenwechsel auf der Bühne und den erschwinglichen Preisen pro Tanz können die männlichen Besucher sich in den meisten Tanzbars an temperamentvollen Schönheiten sattsehen, ohne dafür allzu tief ins Portemonnaie greifen zu müssen. Wenn sie Geld genug haben und sich vor anderen Männern brüsten wollen, können sie ein paar Mädchen dafür bezahlen, sich zu ihnen zu setzen, nett zu ihnen zu sein und so intensiv flirten, dass sie sich ihrerseits begehrt vorkommen. Wird das Ganze überdies in einem Extrazimmer veranstaltet, wird das Gefühl von individueller Zuwendung geradezu unwiderstehlich.24

Im Nahen Osten sind es die Bauchtänzerinnen, die eine ganz ähnliche Form von erotischem Tanz bieten, hier jedoch ohne die Anrüchigkeit, die Striptänzerinnen häufig anhängt, vielleicht weil hier die Regel »Finger weg« unumstößlich gilt, ist sie doch Teil der Kultur und keine bloße rechtliche Forderung. Professionelle Bauchtänzerinnen sind eher in Nachtclubs und Hotelrestaurants anzutreffen, treten aber auch auf Hochzeiten und anderen Familienfesten auf.25 Viele junge Frauen und Mädchen erlernen diese Kunst und pflegen sie auf Familienzusammenkünften. Hier wird das erotische Kapital von Frauen gewürdigt und ostentativ gefeiert, nicht in dunklen Ecken versteckt und für Männer aufgespart.

Heterosexuelle Männer auf der ganzen Welt sind bereit, beträchtliche Summen auszugeben, um die Gesellschaft von Frauen mit hohem erotischen Kapital genießen zu können, auch wenn es nicht zu körperlichem Sex kommt. Unter Homosexuellen liegt das Gewicht mehr auf dem sexuellen Akt selbst. Bei Frauen ist der Bedarf an erotischer Unterhaltung so gering, dass man ihn als nahezu nicht vorhanden bezeichnen könnte. In Japan hat man beispielsweise Bars eingerichtet, die den oben erwähnten Service für Frauen anbieten, aber diese sind bislang kein echter Renner.26 Diese Verteilung der erotischen Bedürfnisse beziehungsweise des Mangels daran scheint eine universale Erscheinung zu sein.

|200|Ein- und Aussteigen

Es gibt kein gültiges Stereotyp, das diejenigen beschreibt, die sich im sexuellen Dienstleistungsgewerbe verdingen, weil so viele Leute diese Arbeit nur phasenweise betreiben. Eine hohe Ein- und Aussteigerquote ist die Norm, der unablässige Einfluss von neuen globalen und lokalen Gruppen unterschiedlichster Provenienz ebenfalls. Im Jahr 2010 hatte jede vierte Striptänzerin in Großbritannien einen Universitätsabschluss, jede dritte verdiente sich so ihr Studium.27 In den Vereinigten Staaten haben Callgirls meist das College besucht.

Memoiren sexuellen Inhalts von Frauen sind selten. Noch seltener sind Memoiren von Escort-Mädchen, Stripperinnen und Prostituierten. Eines der aufschlussreichsten Bücher in diesem Zusammenhang ist Dolores Frenchs Kurtisane. Mein Leben als Prostituierte. French hat erst spät mit dieser Arbeit angefangen. Sie hatte Spaß daran und hat sich in allen Sparten professioneller Sexdienstleistungen umgetan, ja sogar im Amsterdamer Rotlichtbezirk auf der Straße und in einem Bordell in Puerto Rico als Prostituierte gearbeitet.28 Und sie ist eine Ausnahme, weil sie relativ lange in dieser Branche geblieben ist. Die überwiegende Mehrzahl der Frauen kommt und geht, bleibt oft nur ein paar Monate oder Jahre und fährt dann mit ihrem bisherigen Leben fort. Drei Jahre scheint eine allgemeine Obergrenze, ab dann wird es langweilig. Manche arbeiten eine gewisse Zeit in Vollzeit, sehr viel mehr aber in Teilzeit; sie verdienen sich ein Zubrot zu einem Büro- oder Ladenjob. In Europa ist dieses Muster seit langen Jahren unverändert gewesen, in jüngster Zeit kommen Studentinnen und in manchen Ländern sogar Schulmädchen dazu, die sich mit sexuellen Gefälligkeiten nebenbei beträchtliche Summen verdienen.

Das kommerzielle Sexgewerbe hat immer schon über eine gewisse Schichtung verfügt, wobei die Grenzen häufig fließend waren. In Frankreich lag das goldene Zeitalter der Kurtisanen zwischen 1852 und 1870, einer Zeit des demonstrativ zur Schau getragenen Wohlstands, in der Kurtisanen nur eines der Luxusgüter darstellten, die ein reicher Mann sich leisten konnte.29 Viele Mädchen und Frauen strebten |201|den Wohlstand und gesellschaftlichen Rang von Frauen wie La Paiva, Apollonie Sabatier und Marie Duplessis an, unsterblich geworden durch Die Kameliendame von Alexandre Dumas und Giuseppe Verdis La Traviata. Die berühmtesten und erfolgreichsten Kurtisanen, auch bezeichnet als les grand cocottes, waren attraktive Frauen, manche von außerordentlicher Schönheit. Sie alle waren wahre Königinnen des Schlafgemachs. Trotzdem war Sex nie die Hauptsache. Die Kurtisanen verkauften ihr erotisches Kapital ähnlich wie die Konkubinen der französischen Könige – Madame Pompadour, um nur ein Beispiel zu nennen – als Komplettpaket. Sie waren wunderschön, trugen teure Kleider, lebten auf großem Fuß und stellten ihren Charme öffentlich in der Oper oder auf Kutschfahrten zur Schau. Sie hatten die soziale Kompetenz und die Intelligenz, Salons zu unterhalten, in denen sich regelmäßig Künstler und Schriftsteller versammelten. Kurtisanen und Konkubinen sind ein Beispiel für das, was die Ökonomen als Giffen-Güter bezeichnen, etwas, das umso begehrter wird, je teurer es ist, da ihr Besitz den eigenen Erfolg und Wohlstand widerspiegelt.

Die berühmtesten Kurtisanen waren Vorbilder für Hunderte junger Frauen, die als Schneiderinnen, Putzmacherinnen oder Floristinnen arbeiteten und ihr mageres Salär (das in der Regel nur halb so hoch war wie der Lohn für Männer) aufbesserten, indem sie sexuelle Gefälligkeiten und ihre Gesellschaft verkauften. Solche grisettes oder lorettes betätigten sich bis zur Heirat stundenweise oder vorübergehend, wann immer sich Gelegenheit bot, als Prostituierte. Auch in London boten Hunderte von jungen Frauen sexuelle Gefälligkeiten gegen Bezahlung an, ohne sich zwangsläufig in Vollzeit der Prostitution zu widmen.30

Einem weitläufigen Vorurteil zufolge sollen Frauen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, wenig andere Fähigkeiten und Möglichkeiten haben. Das ist schlicht nicht wahr. Alle möglichen Frauen betreiben an bestimmten Punkten ihres Lebens nebenher oder vorübergehend diese Arbeit, darunter auch Studentinnen und hoch gebildete Frauen. Das Tagebuch eines Londoner Callgirls, das nur unter dem Namen Belle de Jour bekannt war, wurde, nachdem es erst als Blog im Internet erschienen war, zu einem zweibändigen Bestseller. In |202|ihren Aufzeichnungen schildert sie ihre professionellen und privaten sexuellen Abenteuer und ihren allmählichen Rückzug aus dem Gewerbe nach zwei oder drei erfolgreichen Jahren. Im November 2009, fünf Jahre, nachdem sie aufgehört hatte, als Callgirl zu arbeiten, gab sich Belle de Jour in einer Reihe von Zeitungsinterviews zu erkennen als Dr. Brooke Magnanti, Expertin für Entwicklungsneurotoxikologie und die Epidemiologie von Krebserkrankungen und Mitarbeiterin in einem Forschungsteam an einem Universitätskrankenhaus in Bristol. Während ihrer Doktorandenzeit hatte sie als Callgirl gearbeitet, nachdem ihr aufgegangen war, dass sie mit ein paar Stunden Extraarbeit pro Woche, die ihr Spaß machte und die sie perfekt beherrschte, ihre Berufskollegen gehaltsmäßig weit in den Schatten stellen konnte. Ihr Teilzeitjob ließ ihr hinreichend Zeit, ihre Doktorarbeit zu schreiben und ihre berufliche Karriere voranzutreiben.

Dr. Katherine Frank arbeitete während ihrer Doktorarbeit über den erotischen Tanz und sein Publikum sechs Jahre lang als Nackttänzerin in Stripbars. Die Szene von innen zu beobachten und unterschiedliche Bartypen kennenzulernen verhalf ihr zu einer kenntnisreichen und sehr viel verständnisvolleren Darstellung der Erotik-Tanzszene als man sie von Journalisten und Feministinnen geboten bekommt.31

Dr. Amy Flowers hat während ihrer Doktorarbeit vier Monate in einer Telefonsexagentur am Telefon gearbeitet. Wie viele andere Studenten fand sie, dass sich die flexiblen Arbeitszeiten in wunderbarer Weise mit ihrem Studentenleben vereinbaren ließen, an ruhigen Abenden konnte sie zwischen den Anrufen sogar Arbeiten für die Universität erledigen. Sie analysierte ihre einträgliche Nebenarbeit scharfsinnig und erkannte, dass Dinge wie Telefonsex dadurch, dass Internet und Telefon mehr und mehr die Begegnung von Angesicht zu Angesicht ersetzen, im 21. Jahrhundert immer stärker zunehmen werden; sie sind ein Beispiel für sogenannte Tertiärbeziehungen.32

Die Dienstleistungen in Tokyoter Clubs kann man als klassisches Beispiel für Giffen-Güter sehen, je teurer der Club und seine Hostessen, desto höher werden beide geschätzt. Firmen arrangieren Besuche in diesen Clubs als besondere Aufmerksamkeit, wenn Manager ihre Angestelltenteams |203|ausführen wollen. In den 80er Jahren kam es vor, dass eine Firma je nach Stil und Lage des Clubs zwischen 80 und 500 Dollar pro Person und Stunde zu zahlen hatte. Häufig werden solche Nachtclubs von ausgebildeten Geishas geführt, sie sind die Hauptattraktion des Hauses und prägen dessen Stil. Die Häuser beschäftigen Dutzende Hostessen, die sich zu den Gästen gesellen, ihnen Zigaretten anzünden, Drinks einschenken und mit ihnen Neckereien austauschen und kokette Unterhaltungen führen, um den Männern zu helfen, sich nach einem langen Arbeitstag zu entspannen. Manche Hostessen arbeiten langfristig in diesem Beruf, viele hundert jedoch nur für eine gewisse Zeit. Zu Letzteren gehören »exotische« Mädchen aus dem Ausland, die auf einer Reise um die Welt oder in den Fernen Osten in Tokyo Station machen und sich Geld für die nächste Etappe verdienen wollen. Solche Club-Hostessen sind grundsätzlich sehr schön, jung (meist unter 23 Jahre), haben häufig studiert, verfügen über erstklassige Manieren, sind elegant und gut gekleidet. Spitzenclubs beschäftigen die schönsten Mädchen und verlangen für deren Gesellschaft die höchsten Preise. In manchen Clubs wird erwartet, dass sie hinreichend gut informiert sind, um mit den Männern, wenn gewünscht, über Politik und Zeitgeschehen zu plaudern. Hostessen flirten, streicheln das Ego ihrer Gäste und bieten den perfekten Kontrast zur Strenge der japanischen Umgangsformen im Arbeitsleben.33

In Ländern wie Brasilien, in denen Prostitution nicht unter Strafe steht, verschwimmen auf dem Markt für sexuelle Gefälligkeiten die Grenzen zwischen Beziehungen auf Geschenkbasis und dem ausdrücklichen Handel mit sexuellen Diensten sogar noch mehr. Die brasilianische Tradition des velho que ajuda (des »helfenden Graubarts«) beschreibt eine Beziehung, in der ein älterer Herr als »Sugardaddy« eine Beziehung zu einer wesentlich jüngeren Partnerin unterhält, ohne den Begriff Prostitution zu verwenden und diese Situation gesellschaftlich zu ächten. Die brasilianische Kultur wertschätzt weibliche Sexualität und erwartet, dass Männer auf die eine oder andere Weise für Sex und Intimität bezahlen. Uniabsolventinnen aus der Mittelschicht haben genauso wie Frauen aus schlechter verdienenden Kreisen immer |204|wieder Beziehungen, in denen ausgesprochen oder unausgesprochen Sexualität gegen Geld gehandelt wird. Besonders häufig sind Männer aus dem Ausland begehrtes Ziel, weil diese nach örtlichen Maßstäben meist vergleichsweise wohlhabend sind. Männliche Touristen aus dem Ausland sind von dieser Leichtigkeit einer zutiefst sexualisierten brasilianischen Kultur meist recht angetan und staunen über den Reichtum an Finessen.34

In Südafrika ist bei jungen Frauen in ländlichen und städtischen Regionen Spontanprostitution gang und gäbe. Wenn am Ende des Monats die Löhne ausgezahlt werden, verkaufen sie sich an Männer mit entsprechend viel Geld. Viele Männer betrachten es als unangemessen, mit ihrer Frau Sex zu haben, solange diese schwanger ist oder stillt, und sehen sich daher andernorts nach einer Alternative um.35

Solche Strukturen der erotischen Unterhaltung ermöglichen es Frauen, jederzeit ein und auszusteigen, nur gelegentlich oder in Teilzeit in dieser Branche zu arbeiten und diese Arbeit mit ganz anderen langfristigen Zielen zu kombinieren. Das macht sie sowohl für mittellose Studentinnen als auch für andere junge Frauen mit entsprechenden Interessen und Talenten zu einer attraktiven Option. Die Häufigkeit, mit der sich Studentinnen in diesem Gewerbe finden, ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass Schönheit und Hirn eben doch häufig zusammen vorkommen und sich durchaus vertragen.

Der Handel mit erotischem Kapital

So gut wie jede Frau, die attraktiv genug ist – und jeder hinreichend gutaussehende Mann –, hat die Möglichkeit, mit Hilfe ihres erotischen Kapitals eine Menge Geld zu verdienen. Jeder Mann, der ein Faible für schöne Frauen oder gutaussehende Männer hat, ist unter Umständen bereit, einiges Geld für sein erotisches Pläsir und für sexuelle Dienstleistungen auszugeben.

Das Stigma, das der Prostitution anhängt, wird in vielen Fällen auch auf deren Kunden ausgedehnt. Paul nimmt beispielsweise für |205|sich in Anspruch, dass er nie und nimmer für Sex zahlen würde – er »steht darüber«, sagt er. Dennoch hat er in Hongkong und anderen Städten in Fernost, in denen er geschäftlich unterwegs ist, so manche Nacht mit schönen Partygirls verbracht. Das Honorar der Mädchen wurde von seinen Geschäftspartnern bezahlt, und er hatte damit nicht die geringsten Probleme. Das negative Image, das Kunden anhaftet, ist nach der sexuellen Revolution der 60er Jahre vermutlich nicht gerade kleiner geworden.36 Doch es gibt nicht wenige Männer, die so wenig Gelegenheit zu sexuellen Begegnungen haben, dass käuflicher Sex für sie zur einzigen Option wird. Menschen mit schweren Behinderungen oder körperlich sehr unattraktive Menschen sind nur zwei Beispiele von vielen.37 Viele andere wollen nichts weiter als Abwechslung.

In Schweden plädiert Sven-Axel Mansson, Professor für Soziale Arbeit, seit mehr als 20 Jahren für Gesetze, die Kunden von Prostituierten zu Straftätern machen. Zu diesem Zweck stellte er die gesamte Klientel als Verlierer dar, als Antifeministen, die Gewalt gegen Frauen ausüben, als sexuell inkompetente, herrschsüchtige Grobiane, Betrüger und chauvinistische Unholde, die Frauen entmenschlichen und ausbeuten – kurz, die nicht gut genug sind, um auf dem normalen Sexmarkt Glück zu haben.38 Im Zuge dessen deutet Mansson Umfragen zum Sexualverhalten aus Schweden und anderen Ländern unter einem feministischen Blickwinkel phantasiereich neu, unter anderem im Prinzip unbestreitbare Tatsachen über den schwedischen Handel mit sexuellen Dienstleistungen. Über 80 Prozent aller schwedischen Männer, die käuflichen Sex haben wollen, suchen ihr Glück auf Geschäfts- oder Urlaubsreisen im Ausland. Die Kriminalisierung des Sexgewerbes und seiner Kunden in Schweden hat dazu geführt, dass das Geschäft in Nachbarländer oder in den Fernen Osten – Beispiel Thailand – ausgelagert wird. Mansson präsentiert dies als Verführung des braven schwedischen Mannes durch fremde Kulturen im Ausland, die ihm dekadente Praktiken und eine unmoralische Haltung beibringen.39

Andernorts ist es legal und nicht so verpönt wie in Nordeuropa, sexuelle Dienstleistungen gegen Geld anzubieten. Trotzdem fühlte sich |206|der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi 2009 bemüßigt, seinen Umgang mit Callgirls und Partygirls zu dementieren. Eines davon, die schöne Blondine Patrizia D’Addario äußerte sich in der Presse über Partys in einem von Berlusconis Häusern, zu denen sie zusammen mit anderen Frauen als elegante und dekorative Begleiterinnen von Geschäftsleuten und Politikern eingeladen gewesen war – Sex inklusive, wenn gewünscht. Die Honorare für die Frauen wurden von dem Geschäftsmann bezahlt, der sie für den Anlass angeheuert hatte, meist war er darauf aus, sich mit Berlusconi und seiner Regierung gut zu stellen. Während die Zeitungen sich an dem Skandal labten, wurde rasch klar, dass es für italienische Geschäftsleute und Politiker gang und gäbe ist, zu gesellschaftlich hochrangigen Ereignissen Partygirls einzuladen.

In China hat der Übergang zu einem Kapitalismus chinesischer Prägung zu allen möglichen Arten von sozialen Austauschen geführt, manche davon völlig unerwartet. Ehefrauen begannen statt in Vollzeit in Teilzeit zu arbeiten, und manche hörten sogar ganz damit auf und wurden in westlich dekadenter Weise von ihren Ehemännern abhängig. Zur selben Zeit, da sich in China in Gestalt ehrgeiziger Frauen, die im Rahmen der aufstrebenden jungen Wirtschaftsmacht im Gefolge ihrer Gatten oder auf eigene Faust riesige Vermögen anhäuften, die Geschäftsmagnatin etablierte, erlebte das junge und schöne »Schmuckstück« seine Renaissance. Die unter dem sozialistischen Regime einstmals komplett verbotene Prostitution erstand wieder auf, und es gab wieder Geliebte, ausgehaltene Frauen, Callgirls und »Nebenfrauen« für Reisende. Geschäftsleute in Hongkong, die regelmäßig zu Geschäftsreisen aufs Festland fahren, finden es häufig praktisch, dort eine »Zweitfrau« zu haben, die ihnen allen gewohnten häuslichen Komfort bietet. Bei der großen Einkommens- und Preisungleichheit zwischen Hongkong und dem chinesischen Festland sind Zweitfrauen ein erschwinglicher Luxus.40

In der Bürokratie entstanden neue Formen der Korruption. Attraktive Frauen, die Genehmigungen oder Papiere von Regierungsbeamten haben wollen, offerieren als Gegenleistung für die zügige Bearbeitung |207|ihrer Anträge (und einen positiven Bescheid) durchaus Sex. Geschäftsleute besinnen sich auf den alten Brauch, Beamten, deren Beschlüsse für den Erfolg ihres Unternehmens von entscheidender Bedeutung sind, Partygirls und andere Luxusgüter anzubieten.41

Schöne Partygirls mit Sex-Appeal waren in High Society, Politik und den oberen Rängen der Geschäftswelt immer schon ein Thema. Ihr erotisches Kapital verleiht jeder Zusammenkunft Glanz und Eleganz, unabhängig davon, ob sie mit einem der anwesenden Herren Sex haben oder nicht. In diesen Kreisen trägt man durchaus dem Umstand Rechnung, dass sie einem gesellschaftlichen Ereignis mit ihrer Schönheit und ihrem Charme, eleganter Kleidung und Schmuck Glanz verleihen. Holly Golightly lebt auch im 21. Jahrhundert weiter.

Nur sehr wenige Männer wollen für ihr Geld schlicht und einfach nichts weiter als einen Orgasmus. Normalerweise sind sexuelle Begegnungen nur Teil eines Gesamtpakets, zu dem neben gekonntem Geschlechtsverkehr auch ein schöner Körper mit viel Sex-Appeal, Schönheit, soziale Kompetenz, jugendliche Dynamik, attraktive Garderobe und elegante Umgangsformen gehören. Sogar für Oralsex wollen die Männer jemanden, der sich anschauen lässt. Aussehen, Stil und Fitness sind ungemein wichtig, wenn es gilt, männliches Verlangen zu schüren. Bei Frauen ist Verlangen eine diffusere Angelegenheit, es ist sozialer und emotionaler besetzt. Das erklärt vermutlich den winzigen, nahezu nicht vorhandenen Markt für Toyboys, heterosexuelle männliche Prostitution und erotische Unterhaltung durch Männer. Die einzige wirklich populäre Ausnahme machen wohl die Strip- und Nacktshows der Chippendales.42

Männer, die für sexuelle Dienste bezahlen

Die Sexindustrie existiert einzig und allein aufgrund des männlichen Bedarfs an erotischem Zeitvertreib. Trotzdem sind Studien über ihre Kundschaft sehr viel seltener als Studien über die Frauen, die diese Dienste anbieten. Viele Kunden sind wohlhabend und verfügen über |208|einen hohen sozialen Status, das heißt, sie sind sogar noch mehr bestrebt, ihre Privatsphäre und Anonymität zu wahren als die Frauen. Wie immer erzählen auch hier Berichte genauso viel über die Vorurteile und Stereotypen der Autoren wie über die Kunden selbst. Viele Studien zum Geschäft mit käuflichem Sex können es nicht lassen, diesen als Beispiel für soziale Perversion abzutun, und unterstreichen dabei unausgesprochen die moralische Sauberkeit und Integrität der Autoren.43 Untersuchungen aus Ländern wie den Vereinigten Staaten, in denen Prostitution illegal, oder Großbritannien, wo sie semilegal ist, oder von Verfechtern einer Kriminalisierung (wie die schwedischen Berichte von Sven-Axel Mannson) liefern besonders häufig reine Lobbyforschung statt einer unparteiischen und objektiven Analyse.44 Aber es gibt inzwischen genügend Studien, aus denen sich ein klares Bild gewinnen lässt.45 Männer, die für Sex bezahlen, sind nicht pervers, sondern ganz normale Leute.

Das männliche Sexdefizit ist der bei weitem wichtigste Grund dafür, dass Männer sexuelle Dienste und erotische Unterhaltung aller Art in Anspruch nehmen. Dieses unbefriedigte Bedürfnis kann unterschiedliche Formen annehmen. Für Männer, die momentan keine Partnerin haben (nie verheiratet waren, geschieden oder verwitwet sind), ist der Besuch bei einer Prostituierten schlicht die Lösung für ein Leben ohne Sex und kann gegenüber dem Werben und Verführen einer Freundin, von der der Betreffende nicht wissen kann, ob sie allem Zeit- und Geldaufwand zum Trotz vielleicht gar kein Interesse daran hat, mit ihm zu schlafen, durchaus die effizientere Variante sein.46 Nicht minder wichtig sind die Ehemänner in sexarmen Ehen – jene, in denen es seltener als einmal im Monat oder weniger als zwölfmal im Jahr zum Beischlaf kommt.47 Vertreter beider Gruppen werden unter Umständen zu regelmäßigen Kunden der Anbieter von sexuellen Diensten. Die dritte Gruppe besteht aus Ehemännern, die aus Gründen wie Schwangerschaft, Krankheit, der räumlichen Trennung von der Partnerin oder anderen Gründen – zeitweilig oder auf Dauer – mehr Sex wollen oder brauchen, als sie zu Hause bekommen. Die Vertreter dieser letzten Gruppe haben mehr von Gelegenheitskäufern als von Stammkunden. |209|All diese Leute suchen in der Regel nach herkömmlichem »Blümchensex«.

Der zweite Grund dafür, dass Männer sich an professionelle Sexanbieter wenden, ist die Vorliebe für bestimmte ausgefallene Praktiken, die sie von ihrer Partnerin nicht erwarten können. Hierbei reicht die Palette von etwas so Harmlosem wie Oralsex über das, was manche Männer als »harten Sex« bezeichnen und dem jede emotionale Komponente und alle Rituale des Werbens und Verführens abgehen, bis hin zu spezielleren Varianten wie Analsex, BDSM und verschiedenen selteneren Vorlieben oder dem Ausleben von persönlichen Phantasien und Fetischismen. Mindestens die Hälfte aller Kunden und über die Hälfte all derjenigen, die zum wiederholten Male käuflichen Sex in Anspruch nehmen, erwähnt diesen Grund.48 Ich würde diese Männer (und Frauen) in die Reihen derer einreihen, die schlicht mehr Abwechslung in ihrem Geschlechtsleben und vielleicht den Reiz einer exotisch fremd wirkenden Person wollen. In der westlichen Welt gehören dazu dunkelhäutige und orientalische Frauen sowie Frauen vom indischen Subkontinent. Im Fernen Osten verhält sich das Ganze natürlich umgekehrt, so dass die »exotischsten« Frauen in Japan und Indien weiße Europäerinnen sein werden. Verschiedene Geliebte zu haben bedeutet Neuheit und Abwechslung im Sexualleben und facht das Verlangen an. Die Hälfte aller Teilnehmer der amerikanischen Studie gab das als Grund an.49 Eine Umfrage zum Geschlechtsleben von Italienern kam zu dem Schluss, dass der Wunsch nach Abwechslung das Hauptmotiv für Affären ist.50 Affären und der Besuch von Prostituierten und Striplokalen scheinen in der Praxis austauschbar.

Der dritte Grund, der Männer dazu veranlasst, professionelle sexuelle Dienste in Anspruch zu nehmen und dafür bereitwillig zu zahlen, ist die Vorliebe für Instantsex, bei dem ein Mann ohne Überredungskünste und Verhandlungen und ohne jeden Zwang zu einer gleichgearteten Gegenleistung bekommt, was er will. Er zahlt für Sex, wie er ihn will und wann er ihn will, ohne das Gefühl zu haben, seiner Partnerin etwas schuldig zu sein. Die Betreffenden schätzen die reine Ichbezogenheit des Ganzen. Wie jemand sagte: »Ich zahle nicht für das |210|Kommen, ich zahle für das Gehen.« Ein Japaner mit einer attraktiven, sexuell anziehenden Frau, der gerne ein aktiveres Geschlechtsleben gehabt hätte, wird sich aus diesem Grund auch weiterhin dafür entscheiden, nach den abendlichen Drinks mit Kollegen in ein »Soapland«-Etablissement zu gehen.51 Ich vermute, dass zunehmender Wohlstand diese Art von Nachfrage gehörig anheizt. Der Feminismus mag seinen Teil dazu beitragen, weil er Frauen zu der Einstellung bringt, dass Männer bei ihrer Haltung zum Sex weniger eigennützig sein sollten. Ein weiterer Faktor sind Jobs mit extremem Druck, die lange Arbeitszeiten und viele Geschäftsreisen verlangen. Callgirls (oder männliche Prostituierte) zu engagieren, wird zu einer Lifestyle-Entscheidung für männliche Singles, die mit ihrem Job oder mit ihrer Firma »verheiratet« sind.52 Eine amerikanische Studie ergab, dass ein Drittel der männlichen Kunden erklärte, man habe nicht die Zeit für eine herkömmliche Beziehung und/oder wolle nicht die Verantwortung für eine solche übernehmen. Ein Fünftel erklärte darüber hinaus, man gäbe dem Besuch bei einer Prostituierten den Vorzug vor einer herkömmlichen Beziehung, und die Hälfte genoss das Gefühl, beim Sex das Heft in der Hand zu haben.53 Für viele Männer ist Sex ohne den Zwang, gleichzeitig eine Beziehung pflegen zu müssen, der blanke Luxus. Für manche sind Gelegenheitssex, kurze Techtelmechtel und der Besuch bei einer Prostituierten beliebig gegeneinander austauschbar.

Männer, die zu Prostituierten gehen, sind nicht weniger normal und unspektakulär als solche, die das nicht tun, in der Regel verfügen sie jedoch über eine gesteigerte Libido.54 In Umfragen zum Sexualverhalten fällt durchweg eine kleine Minderheit von Männern und Frauen mit einem außergewöhnlich aktiven Geschlechtsleben auf, diese Männer nutzen im Regelfalle unter anderem auch professionelle sexuelle Dienste. Wie gering der Unterschied zu einer nichtprofessionellen Beziehung ist, zeigt der Umstand, dass professionelle Prostituierte ungemein häufig gebeten werden, sich »wie meine Freundin« zu gebärden. Viele Männer stellen mit einer Frau gerne zuerst sozialen Kontakt her, reden mit ihr beim Essen oder einem Drink und lernen sie zuerst ein wenig kennen, bevor sie mit ihr intim werden.55

|211|Der größte Teil an Forschung, der versucht, die Nachfrage nach Prostitution zu erklären, übersieht einen absolut entscheidenden Faktor: Alle professionellen Prostituierten sind attraktiv, die meisten verfügen zudem über gute soziale Kompetenzen und gehören zu den jungen Altersgruppen, die Sex noch genießen (siehe Abbildung 2 in Kapitel 2). Die meisten Kunden hingegen verfügen über ein geringes erotisches Kapital und sind sich dessen auch bewusst. In der amerikanischen Umfrage bekannte sich die Hälfte der Befragten zu mangelhafter sozialer Kompetenz, vor allem im Umgang mit Frauen. Ein Viertel erklärte, körperlich wenig anziehend zu sein, was vermutlich bedeutet, dass mindestens ein Drittel oder mehr normalerweise als unattraktiv gewertet werden würde.56 Ähnliche Gegebenheiten und Motive befeuern die Nachfrage nach den Diensten von Striplokalen. Sie werden in der Regel von Männern besucht, die von sich sagen, sie würden keine Prostituierten aufsuchen.57 In der Praxis ist es so, dass Männer bezahlen, um mit Frauen zusammen zu sein, deren erotisches Kapital (im Vergleich zu ihrem eigenen) so hoch ist, dass diese Frauen für sie völlig unerreichbar wären, wenn sie sich in herkömmlicher Weise – in einer Bar zum Beispiel – um sie bemühten.

Mehr und mehr verlagert sich die Werbung für erotisches Entertainment (unter anderem für sexuelle Dienstleistungen) auf das Internet. Internetseiten und Handys ersetzen Verhandlungen von Angesicht zu Angesicht. Manche Seiten lassen ihre Kunden die Begegnungen mit bestimmten Prostituierten oder Callgirls »benoten« oder über ihre Erfahrungen an bestimmten Zielorten des Sextourismus berichten. Solche Bewertungen zeigen, dass Männer vor allem, wenn sie sich für die Variante »Freundin« entscheiden, erotisches Kapital als Gesamtpaket erwerben, manchmal eben mit besonderem Augenmerk auf dem Sex-Appeal und der Schönheit der Betreffenden.58 Sie bezahlen dafür, einen schönen Köper anschauen und anfassen zu dürfen, in ein schönes Gesicht zu sehen und von einer jungen Frau, die im Regelfalle 20 oder 30 Jahre jünger ist als sie selbst, mit einem Lächeln begrüßt zu werden.59 In den Bewertungen wird sexuelle Kompetenz meist als selbstverständlich vorausgesetzt, und sehr häufig widmen sich die Urteile vor |212|allem der Persönlichkeit der Frau, ihren Manieren, ihrer Intelligenz und ihrer Fähigkeit, jeden Kunden als Lieblingsgast zu behandeln. Ein Mann, der für sein Vergnügen bezahlt, kann der Idealfrau seiner Phantasie begegnen und ein erträumtes Tête-à-Tête mit einer willigen jungen Schönheit Wirklichkeit werden lassen. Hilfreich ist in diesem Falle, dass Agenturen und Internetseiten Fotos und gewisse Fakten veröffentlichen, die es dem Mann ermöglichen, einen bestimmten Typ Frau auszuwählen. Diese Personenbeschreibungen unterscheiden sich in ihrer Detailliertheit nicht wesentlich von denen professioneller Models auf den Internetseiten von Modelagenturen, das Gleiche gilt für die glamourösen Fotoinszenierungen.

Wenn Männer davon reden, »etwas anderes« erleben oder bei einer sexuellen Begegnung »das Sagen« haben zu wollen, dann geht es ihnen in der Regel um die Freiheit, das zu bekommen, was sie an Aussehen, Figur und sexueller Ausstrahlung begehrenswert finden, und nicht um das Bedürfnis, physisch dominant zu sein, Unterwerfung oder abseitige Aktivitäten einzufordern.60 Das sexuelle Ego des Mannes ist ein zartes Pflänzchen. Männer, die im Bett versagen, geben unweigerlich der Frau die Schuld. Und so werden von manchen Männern Internetseiten unweigerlich auch dazu genutzt, sich über professionelle Prostituierte auszulassen, die in Alter und Aussehen nicht ihren Erwartungen entsprechen oder sie nicht haben erregen können. Die meisten Männer hängen schließlich dem Irrglauben an, sie seien erfahren und männlich genug und noch dazu mit hinreichend erotischem Kapital gesegnet, um jede Frau zum Orgasmus zu bringen.61

Den Kommentaren auf den Internetseiten zufolge sind die meisten Männer mit ihren Erfahrungen im professionellen Sexgewerbe sehr zufrieden, und etwa die Hälfte davon wird sie wiederholen.62 Hin und wieder verlieben sich Männer in Prostituierte und Partygirls und heiraten diese in manchen Fällen sogar. In weit mehr Fällen entwickelt sich zwischen dem Mann und der Frau, mit der er regelmäßig zusammen ist, echte Freundschaft. Manchmal verschmelzen Phantasie und Wirklichkeit eben.

|213|Menschenhandel, Drogen, Zuhälter

Nach einer Tagung in Amsterdam hängte ich ein Wochenende dran, um mir die Stadt anzuschauen. Es war Ende November und bereits sehr kalt. Vom Atlantik her blies ein eisiger Nordwind, und alle Leute waren in dicke Winterjacken gehüllt. In den Fenstern des Rotlichtviertels saßen spärlich bekleidete Frauen im Warmen, und das rote Licht gab der Szene etwas Anheimelndes. Dann sah ich sie.

Sie war von erlesener Schönheit, zierlich, und jedes Detail an ihr war perfekt. Sie sah aus, als sei sie 19 oder 20, hatte dicke schwarzglänzende Haare und große Augen und war allem Anschein nach thailändischer Abstammung. Sie verharrte in einem wunderschönen weißen Spitzenmieder reglos in einem der größeren Fenster und sah aus wie ein Model, das für einen Fotografen posiert. Sie wirkte tatsächlich wie eines dieser Mädchen in verführerischen Dessous, die Zeitschriften und Plakatwände zieren. Nur war sie atemberaubend schön und lebendig. Ich schloss sie auf der Stelle ins Herz und dachte, wenn ich ein Mann wäre, würde ich augenblicklich ihre Schulden zahlen und sie auf immer zu mir nehmen wollen, so sie es zuließe. Als ich am nächsten Tag durch ihre Straße lief, saß sie nicht in ihrem Fenster, und ich habe sie nie wieder gesehen.

Bei einem Thai-Mädchen in Amsterdam stellt sich natürlich sofort die Frage, wie es dorthin gekommen ist, wer den teuren Flug bezahlt und es ausgestattet hat. Die Vorstellung jedoch, dass sämtliche »exotisch« wirkenden fremdländischen Schönheiten unweigerlich Opfer von Menschenhändlern sein müssten, wird durch Laura María Agustíns Buch über die Arbeit im Prostitutionsgewerbe gründlich erschüttert. Sie beschreibt dieses als lukrativen Beschäftigungssektor für legale und illegale Migranten, die etwas von der Welt sehen und möglicherweise auch ihren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Status aufbessern wollen, indem sie einen Mann aus dem westlichen Kulturkreis heiraten. Agustíns fundierte Darstellung steht in krassem Widerspruch zu der gegenwärtig dominierenden Botschaft radikaler Feministinnen und anderer Aktivisten, denen zufolge Menschenhandel, Drogen und |214|die Ausbeutung durch Zuhälter im kommerziellen Sexbetrieb gang und gäbe sind. Sie kommen in der Regel zu dem Schluss, dass das gesamte Gewerbe abgeschafft und unter Strafe gestellt gehört. Agustín stellt klar, dass solch eine Kriminalisierung keinem sinnvollen Ziel dient.

Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Prostitution und Drogen besteht in der Regel nur beim Straßenstrich, und auch hier ist er weit weniger ausgeprägt, als allgemein angenommen wird, und meist nicht der Prostitution geschuldet. Wer von Drogen abhängig ist, muss in kurzer Zeit eine Menge Geld verdienen, um seine Sucht zu bedienen, und gibt in vielen Fällen nicht gerade das Idealbild eines Angestellten für den Alltagsjob ab. Viele Frauen kommen rasch dahinter, dass Prostitution höchsten Lohn für kürzeste Arbeitszeit bedeuten kann und somit eine attraktive Möglichkeit zum Geldverdienen darstellt. Regale im Supermarkt einzuräumen reicht nicht, um Drogen zu finanzieren. Zudem ist es in den meisten Berufen und Angestelltenverhältnissen nicht wahrscheinlich, dass man eingestellt wird, wenn man spürbar drogenabhängig ist. Untersuchungen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass ein großer Teil der Frauen auf dem Straßenstrich bereits Drogen genommen hat oder alkoholabhängig war, bevor er zur Prostitution gekommen ist, und dass dies einer der Hauptgründe für diese Arbeit gewesen ist.63

Bei Sexarbeiterinnen, die in Bordellen oder Clubs arbeiten, ist genau wie bei Callgirls Drogenkonsum und Alkoholismus so gut wie unbekannt.64 Die Intelligentesten sparen ihr Geld und geben das Geschäft auf, sobald sie ihr finanzielles Ziel erreicht haben.

Menschenhandel ist der jüngste Vorwand für moralische Entrüstung und Kreuzzüge wider die Sexindustrie.65 Nur ein Beispiel von vielen ist ein Bericht der britischen Regierung, in dem mit allen Mitteln versucht wurde, neue gesetzliche Auflagen für das Prostitutionsgewerbe mit dem Verweis auf Menschenhandel zu rechtfertigen. Mit heroischem Mut zur Spekulation schätzte man, dass »bis zu 4000 Frauen« in Großbritannien zum Zwecke der Prostitution erzwungenermaßen ins Land gebracht worden seien. Das sind aber immer noch nur 5 Prozent der schätzungsweise 80 000 Beschäftigten im Prostitutionsgewerbe.|215|66 Der wahre Anteil liegt in Anbetracht der grundsätzlich ohnehin meist zu hoch gegriffenen Schätzungen beim Thema Menschenhandel vermutlich eher bei 2 bis 3 Prozent. Die Regierung versucht, einen ganzen Industriezweig unter Acht und Bann zu stellen, obwohl nur ein winziger Bruchteil davon gegen das Gesetz verstößt. Menschenhandel fällt ohnedies unter Gesetze, die Entführungen, Freiheitsberaubung und Erpressung unter Strafe stellen, dazu unter die Einwanderungsgesetze und die neueren Regularien der Vereinten Nationen, die Menschenhandel zum Verbrechen erklären. Das existierende Recht ist dem Problem also gewachsen, so die Polizei gewillt ist, es umzusetzen. Gesetze gegen die Sexindustrie zu erlassen, um den Menschenhandel in den Griff zu bekommen, ist genauso, als wolle man sämtliche Restaurants und Cafés im Land schließen, weil ein paar davon es mit der Küchenhygiene nicht so genau nehmen oder illegale Einwanderer beschäftigen.

Ein Standardeinwand der feministischen Theorie zum Thema Prostitution lautet, dass hier Frauen von Männern ausgebeutet werden – von Zuhältern, Managern oder eben auch von Menschenhändlern. Eine erfrischend schwungvolle Betrachtung zur Ökonomie des Zuhältergewerbes durch das Freakonomics-Team zeichnet ein völlig anderes Bild. Sexarbeiter verdienen mehr, haben kürzere Arbeitszeiten und sind sicherer, wenn sie einen Zuhälter haben. Die Frauen auf den Straßenstrichs der Vereinigten Staaten haben Zuhälter, um einer Festnahme zu entgehen, wobei das polizeiliche Bußgeld in der Regel in kostenlosem Service besteht, ein schönes Beispiel für klassischen Tauschhandel. Amerikanische Zuhälter bekommen eine Provision von 25 Prozent auf alle Geschäfte, die sie an Land ziehen, trotzdem verdienen die Frauen auf dem Straßenstrich mit einem Zuhälter, der als Agent für sie arbeitet, mehr, als wenn sie auf eigene Rechnung unterwegs sind. Zuhälter können ihre Dienste auf Wegen bewerben, die für Frauen nicht ohne weiteres zugänglich sind, und sie bringen bessere Kunden mit mehr Geld. Es handelt sich um ein Arrangement, von dem alle Seiten etwas haben.67 Ganz ähnlich schätzen Callgirls trotz der hohen Provision die Dienste eines Agenten, denn dieser erhöht ihre |216|Sicherheit, verringert die Risiken, treibt die Honorare hoch und hilft, eine gesunde Trennung zwischen Beruf und Privatleben aufrechtzuerhalten.68 Bei der jüngsten Alternative der Präsentation und Werbung im Internet sind die Frauen für alle Arrangements selbst verantwortlich, und das kann eine riskante Angelegenheit sein. Agenten bekommen ihre Provision in der Regel nicht zu unrecht.

Der Marktwert des erotischen Kapitals

Nicht jeder ist geeignet, erotische Unterhaltung zu bieten. Für diejenigen aber, die dazu in der Lage sind und über das nötige erotische Kapital verfügen, kann der Lohn beträchtlich sein.

Höhere Einkünfte als anderswo sind der offensichtlichste und wichtigste Gewinn, und doch wird dies in wissenschaftlichen Untersuchungen häufig ignoriert. Menschen, die in Büros, in technischen oder wissenschaftlichen Berufen, als Manager oder Angestellte arbeiten (Journalisten und Akademiker eingeschlossen), übersehen leicht die finanzielle Anziehungskraft der Prostitution für Menschen mit wenigen oder gar keinen Qualifikationen, deren Berufsaussichten selbst bei ungelernten und schlechtbezahlten Jobs beschränkt sind.69 Migranten, die kaum oder keine Freunde und Kontakte in ihrer neuen Heimat haben, wählen zwischen der schlecht bezahlten Plackerei in irgendwelchen Haushalten und den sehr viel höheren Einkünften aus einer Arbeit im erotischen Entertainment oder in der Sexindustrie häufig Letzterer, vor allem, wenn jemand Kredite für ein Flugticket oder andere Schulden so rasch wie möglich abbezahlen möchte. Laura Agustín zitiert Einwanderinnen aus Südamerika, die sämtliche Kredite binnen kürzester Zeit hatten abbezahlen können, indem sie eine Zeitlang in einem der vielen Clubs und Hotels entlang der großen Autobahnen in Spanien gearbeitet haben, die nebenbei als inoffizielle Bordelle fungieren.70

Es gibt eine Tendenz, alle Migranten als arm und ungebildet darzustellen. Auf manche trifft das zu. Aber sie alle haben den Ehrgeiz, es |217|im Ausland zu etwas zu bringen. Viele sind gebildet und nur deshalb relativ arm, weil ihr Einkommen gering und die Lebensstandards in Europa und Nordamerika so viel höher sind als in ihrer Heimat.

Sozialwissenschaftler beweisen eine erstaunliche Naivität ob der »Entdeckung«, dass die Hauptantriebsfeder für die Arbeit als Prostituierte wirtschaftliche Gründe sind.71 Das ist ungefähr genauso hellsichtig wie die Erkenntnis, dass die Hauptmotivation der vielen Männer und Frauen, die Tag für Tag zu ihrer Arbeit in Fabriken, Läden und Büros trotten, finanzielle Wurzeln hat. Per definitionem wird bezahlte Arbeit gegen Bezahlung geleistet, sie ist nicht freiwillig und kein Ehrenamt. Männer, die auf dem Finanzsektor arbeiten (und es sind meist Männer), sind darauf aus, in möglichst kurzer Zeit so viel Geld wie möglich zu verdienen. Sie tun ihre Arbeit nicht aus einer tiefen Liebe zum Devisenhandel, nicht, weil die Beratung bei Firmenübernahmen und Geschäftsabschlüssen intellektuell anregend ist oder weil der Verkauf von Versicherungen und Derivaten die Welt so viel besser macht, und auch nicht, weil die Umschuldung eines Unternehmens ein kreativer Prozess ist. Sie sind im Finanzgewerbe, um Geld zu verdienen, hohe Provisionen zu kassieren und Gewinn zu machen. Diese Männer und Frauen unterscheiden sich in nichts von den Männern und Frauen, die ihr Geld in der Sex- und Erotikindustrie verdienen, außer, dass sie vielleicht ein bisschen habsüchtiger und gewissenloser agieren. Zu viele Forscher konzentrieren sich auf die Persönlichkeit, die familiären Hintergründe und andere Merkmale von Sexarbeitern und Sexarbeiterinnen und vergessen zu erwähnen, dass die meist stattlichen Einkünfte Hauptgrund der Übung sind.72 Gewinnsucht mag gut oder schlecht sein, aber sie ist nun einmal Triebkraft aller Aktivitäten in einer kapitalistischen Gesellschaft. Was professionelle Sexarbeiter von vielen anderen Beschäftigten unterscheidet, ist der Umstand, dass sie beim Geldverdienen ihre Kunden meist glücklich machen und außerdem noch gut aussehen.

Frauen verdienen in dieser Branche das zwei- bis 40-fache dessen, was sie bei gleichem Bildungsstand in anderen Berufen verdienen würden. Mädchen in Thaimassage-Salons verdienen zehnmal so viel wie |218|Hausmädchen.73 Tänzerinnen in den Striplokalen von New York und San Francisco konnten es 2008 und 2009 auf 500 Dollar pro Nacht bringen, manchmal sogar noch mehr.74 Frauen in Amerika verdienen auf dem Straßenstrich viermal so viel wie in herkömmlichen Jobs.75 In manchen Fällen verdienen attraktive Mädchen ohne berufliche Qualifikationen das Tausendfache dessen, was sie mit ungelernter Arbeit verdienen würden. Wie bei allen Selbstständigen und Akkordarbeitern schwanken die Einkünfte je nach Talent des Einzelnen und danach, ob er zur rechten Zeit am rechten Ort ist. Eine Frau mit der »richtigen Einstellung«, die spielerisch und kokett agiert, kann an einem Abend doppelt so viel verdienen wie eine Striptänzerin, die zwar schön, aber abweisend ist. In Amerika verdienen Stripperinnen an einem Tag das Doppelte bis Vierfache dessen, was sie mit einer Tagesarbeit verdienen würden.76 Missfallen an der Arbeit und Geringschätzung für die Kunden lassen sich in der Regel schlecht kaschieren, und manche Frauen sind für den Beruf ungeeignet.77

Die Einkünfte hängen zum Teil davon ab, wie gut die Frauen den Markt einzuschätzen und sich dem Auf und Ab von Nachfrage und Interesse anzupassen vermögen. Gefragte Callgirls können ihre Preise problemlos nach und nach von 300 auf 500 Euro erhöhen, ohne Kundschaft zu verlieren.78 Die Preise in den großen Städten sind tendenziell sehr viel höher als in eher ländlichen Gebieten. In Ländern, in denen Prostitution unter Strafe steht, können die Preise aufgrund des knapperen Angebots und der höheren Risiken manchmal höher liegen als in Ländern, in denen sie legal ist.79 Die sexuelle Revolution der 60er Jahre hat jedoch zu einem deutlichen Einbruch in Nachfrage und Einkünften geführt, weil Männern mehr außerehelicher Sex ohne Bezahlung gewährt wurde.80 In Europa stagnieren die Preise aufgrund der Erweiterung der Europäischen Union und des Zuzugs von Frauen aus Osteuropa, die weniger Geld verlangen, seit Jahrzehnten.81

Auch wenn das Einkommen im Prostitutionsgewerbe selbst heute noch über dem liegt, was sich in traditionellen Jobs verdienen lässt, so war es in der Vergangenheit vor allem für junge Frauen doch deutlich höher. Eine Untersuchung über die Verhältnisse in London um |219|das Jahr 1750 gibt als Lohn für sexuelle Gefälligkeiten Summen an, die aufgrund des damals sehr viel höheren Einkommensgefälles nach heutigen Maßstäben astronomisch hoch anmuten. Die Jungfräulichkeit eines schönen jungen Mädchens konnte (mehrfach) 150 bis 400 Pfund einbringen, das entsprach dem Drei- bis Achtfachen des damals üblichen Jahreslohns eines Arbeiters in London von 50 Pfund und dem Hundertfachen der jährlichen vier Pfund, die eine weibliche Hausangestellte bekam. Nach der Entjungferung sanken die Preise beträchtlich, aber eine attraktive junge Frau konnte für einen einzigen Liebeshandel unter Umständen über zwei Pfund bekommen – das halbe Jahresgehalt eines Londoner Dienstmädchens.82 Das Prostitutionsgewerbe leistete einen beträchtlichen Beitrag zum Londoner Wirtschaftsleben. Diese hohen Honorare blieben bis weit ins 19. Jahrhundert bestehen, damals konnte eine Prostituierte an einem Tag so viel verdienen wie andere arbeitende Frauen in einer Woche.83

Im amerikanischen Bundesstaat Nevada werfen Bordelle extrem viel Gewinn ab – für die Besitzer genauso wie für die dort arbeitenden Frauen.84 Frauen, die Telefonsex anbieten, haben sich dafür entschieden, weil es ihnen zwei- bis dreimal mehr einbringt als andere Jobs in ihrem Metier. Hinzukommt, dass sie, weil sie unsichtbar bleiben, kein Geld für aufwändige Kleidung, Kosmetik und Frisur brauchen.85 In London haben Callgirls 2002 pro Stunde 300 Pfund und mehr verdient.86

Partygirls und Barmädchen in Jakarta leben zwar häufig in Slums, aber selbst mit Gelegenheitsverhältnissen können sie viermal so viel verdienen wie bei einer Büroarbeit, sich einen gewissen Lebensstandard leisten, eine Haushaltshilfe in Vollzeit beschäftigen, die für sie die Wäsche und die Hausarbeit erledigt, und ihnen bleibt immer noch Geld, um es an ihre Familien zu schicken.87 Der Handel mit weiblicher Gesellschaft und Sex ist in Jakarta weniger strukturiert als in anderen Städten, denn hier arbeiten verheiratete Frauen aus der Mittelschicht neben jungen alleinstehenden Frauen, aber die eherne Regel lautet auch hier: »Ohne Geld keine Liebe.« Männliche Touristen, die glauben, bei einem Mädchen landen zu können, indem sie ihm ein paar |220|Drinks spendieren, staunen oft nicht schlecht, wie schnell diese Frauen Männer in punkto Wohlstand und Freigebigkeit einschätzen – und ihr Gegenüber übel abblitzen lassen können.88

Die Preise für Hostessen und Getränke in japanischen Clubs sind derart horrend, dass sich nur wenige Männer dieses Vergnügen auf eigene Kosten leisten. In den meisten Fällen werden solche Besuche von Managern als Gruppenvergnügen für Angestellte gebucht und von deren Firmen bezahlt. Die Gehälter der Hostessen erlauben diesen einen vernünftigen Lebensstil und können für besonders elegante und außerordentlich schöne Mädchen in Spitzenclubs sehr hoch sein. Clubhostessen und »Soapland«-Masseurinnen verdienen drei- bis viermal so viel wie eine weibliche Büroangestellte.89 Im Prinzip ist Prostitution in Japan inzwischen illegal, stößt jedoch auf eine relativ gelassene Resonanz. Schülerinnen kommen in jungen Jahren schon dahinter, dass sie 400 Dollar verdienen können, wenn sie ein paar Stunden mit einem älteren Herrn verbringen, und sich dafür Designerklamotten leisten können. Attraktive junge Frauen können das 40- bis 50-fache des Stundenlohns für Ladengehilfinnen verdienen.90

In Nigeria gibt es zwischen käuflichem Sex und dem Status einer Geliebten oder Freundin eines (wohlhabenden) Mannes keine scharfe Trennlinie. In allen Fällen wird erwartet, dass der Mann sich die Unterhaltung etwas kosten lässt und in Bezug auf Geld und Geschenke der Frau gegenüber großzügig ist. Der gängige Wahlspruch hier lautet: »Keine Romanzen ohne Finanzen!«91 Attraktive junge Frauen und Studentinnen nutzen ihre Chancen weidlich.

Persönlicher Gewinn

Abgesehen von den finanziellen Vorteilen, die nicht unbeträchtlich sind, gibt es für die Frauen häufig auch einen persönlichen und psychologischen Gewinn. Allerdings trifft das in erster Linie auf Frauen in den »unsichtbaren« Bereichen der Unterhaltungsindustrie zu und wird |221|bei dem großen Gewicht, das der Straßenprostitution in der öffentlichen Wahrnehmung beigemessen wird, meist übersehen.92

Frauen, die sich schon einmal eine Zeitlang bewusst ihres erotischen Kapitals bedient haben, werden, vor allem im Umgang mit Männern, selbstbewusster. Ihre sozialen Kompetenzen sind gut entwickelt, so dass sie mit den verschiedensten Situationen und den unterschiedlichsten Personen umgehen können. Sie werden sexuell freier und experimentierfreudiger. Selbst Frauen, die lediglich Telefonsex anbieten, haben im Geiste die ganze Bandbreite an sexuellen Aktivitäten erfahren und sind eigenen Aussagen zufolge in ihrem eigenen Leben toleranter und aufgeschlossener geworden. Alle Frauen, auch solche, die nur Telefonsex betreiben, in Striplokalen tanzen oder Gruppensex anbieten, werden sexuell weniger unterwürfig, treten sozial dominanter und selbstsicherer auf und haben sich beim Sex und innerhalb ihrer Beziehungen daran gewöhnt, »zu bestimmen, wo es lang geht«.93

Größeres Selbstvertrauen, ein Sinn für Gleichberechtigung, das Streben nach Autonomie statt passiver Unterwerfung – all das entsteht auch in den patriarchalischsten Kulturen. Say Masudas Memoiren über das Leben einer Geisha um die Mitte des 20. Jahrhunderts zeugen von einem frappanten Grad an geistiger Unabhängigkeit und einer erstaunlichen Fähigkeit, wohlhabende ältere Patrone um den Finger zu wickeln, die beide umso mehr erstaunen, wenn man über ihre Kindheit in tiefer Armut und die Demütigung als Kindermädchen in einer Landbesitzerfamilie liest. In einer Untersuchung aus den 80er Jahren über Prostitution im viktorianischen Zeitalter nehmen die Autoren die autonome Persönlichkeit der Frauen mit großem Erstaunen zur Kenntnis. In krassem Gegensatz zur untergeordneten Stellung der meisten Frauen im viktorianischen England waren die Frauen, die (im Regelfalle einen Teil ihrer Zeit oder zu bestimmten Zeiten) käuflichen Sex anboten, unabhängige, beherzte, kesse, ja, bisweilen aggressive Frauen, die ihre Freiheit mehr liebten als alles andere und sehr genau wussten, wie man mit Männern verhandelt.94 Der temperamentvollen und freiheitsliebenden Haltung der Prostituierten im »Wilden Westen« Amerikas wird in vielen Western ein Denkmal gesetzt – man |222|denke an MacCabe & Mrs. Miller mit Julie Christie und Spiel mir das Lied vom Tod mit Claudia Cardinale.95

Vier Dinge scheinen hier am Werk. Zum einen gibt es beim Einstieg in die Sex- und Erotikindustrie stets eine Form von eigendynamischem Selektionsprozess. Frauen, die feststellen müssen, dass sie hierfür keine geeigneten Begabungen besitzen, geben rasch wieder auf. Zum anderen ist eine unverhältnismäßig große Zahl derjenigen, die erfolgreich genug sind, um zwei oder drei Jahre im Geschäft zu bleiben, ohne den maßregelnden Einfluss und die Sozialisation durch eine Mutter (oder überhaupt eines Elternteils) aufgewachsen, die das Mädchen gelehrt hat, fügsam, brav und höflich zu sein. Drittens ist der Umgang mit Männern auf gleicher Augenhöhe (oder sogar von überlegener Warte aus) von bleibendem Einfluss auf die Persönlichkeit einer Frau. Viertens wächst Frauen, die entdeckt haben, wie viel mehr sie im Vergleich zu normalen Beschäftigungen für Frauen durch sexuelle Dienste verdienen, etwas von dem unverbrüchlichen Selbstvertrauen zu, das auch Männer in Spitzenverdiener-Positionen häufig an den Tag legen.96

Frauen, die ihr erotisches Kapital erfolgreich aktiv einsetzen, bekommen ein besseres Gefühl für den eigenen Wert als Person, den Wert ihrer Sexualität und den Wert ihres erotischen Kapitals im Allgemeinen. Sie sind weniger willens, Männern in einer Beziehung das Steuer zu überlassen, und weniger ehrerbietig Männern gegenüber, die glauben, in jeder Verhandlung mit und in jeder Beziehung zu einer Frau automatisch das letzte Wort haben zu können. Man hat diese Verhaltensweisen so ziemlich bei allen, die sich auf dem Gebiet der erotischen Unterhaltung getummelt haben, beobachtet – bei Frauen mit Erfahrungen als Callgirl und Stripperin, bei Hostessen, Telefonsexanbieterinnen, ja sogar bei Frauen, die sich (aus freien Stücken und ohne Lohn) an Gruppensex-Partys beteiligen.97

Es steht außer Zweifel, dass so gut wie jede Frau in dieser Branche auch unschöne Erfahrungen machen kann, wenn sie auf unangenehme Zeitgenossen stößt. Niemand ist vollkommen, manchmal laufen die Dinge in die verkehrte Richtung, manche Menschen sind rüde, arrogant, gar gewalttätig. Doch Frauen gewinnen an Selbstvertrauen und |223|Selbstachtung, wenn sie realisieren, dass sie mit den meisten Problemen allein klarkommen, dass Männer im schlimmsten Falle bemitleidenswert jämmerlich dastehen und dass Frauen ganz grundsätzlich etwas haben, das Männer haben wollen.

Paradoxerweise zielen viele Kurse in der Gender-Forschung darauf ab, genau diese innere Einstellung bei jungen Frauen durch die ideologische Rechtfertigung der Unzulänglichkeiten von Männern oder durch den Zorn auf die Ausbeutung und Misshandlung von Frauen durch Männer zu konterkarieren. Die Veränderung von Einstellungen und Werten ist häufig vorübergehender Natur und geht mit dem nächsten attraktiven Freund, der selbstsüchtig, fordernd, dominant oder schlicht unsensibel auftritt, verloren. Häufig fällt sie auch in sich zusammen, wenn die eigenen Erfahrungen den allgemein verbreiteten feministischen Mythen widersprechen. Viele Studentinnen staunen beispielsweise nicht schlecht, wenn sie entdecken, dass Schweden und die anderen skandinavischen Länder keineswegs wie immer beschworen das moderne Utopia für Frauen sind und die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen dort in Wirklichkeit nicht unter dem europäischen Mittel liegt, dass die Aufteilung des Arbeitsmarktes in Männerberufe und Frauenberufe dort ausgeprägter ist als in den meisten anderen OECD-Ländern und dass die »gläserne Decke« höher und undurchdringlicher ist als in den Vereinigten Staaten mit ihrer »Hireand-Fire«-Politik.98

Männer klagen häufig über die Anspruchshaltung von Frauen, die sich mit Gender-Fragen befasst haben. Doch sie haben sehr viel mehr Grund, auf der Hut vor Frauen zu sein, die wissen, was ihr erotisches Kapital wert ist. Hierin liegt einer der Hauptgründe für die eigennützige Stigmatisierung der professionellen Sexarbeit durch die Männerwelt und die allgemeine Tendenz, Frauen, die ihr erotisches Kapital selbstbewusst einsetzen, herabzuwürdigen.

Die Unterhaltungsindustrie, die Sexindustrie und die Werbeindustrie offenbaren in schöner Eintracht, welchen ungeheuren Marktwert erotisches Kapital erreichen kann. Topmodels wie Elle McPherson und Gisele Bündchen wurden bereits in jungen Jahren zu Millionärinnen. |224|Sie zeigen auch, dass erotisches Kapital seinen höchsten Wert erst in seiner ganzen Bandbreite erreicht. Der Lohn für sexuelle Dienste im engeren Sinne kann sehr gering ausfallen – wie man unschwer daran erkennt, dass die Preise auf dem Straßenstrich deutlich geringer sind als die für Club-Hostessen, Stripperinnen, Escort-Damen oder Callgirls. In Japan, wo die Wertschätzung des erotischen Kapitals einer Frau sehr viel mehr Tradition hat und es keine puritanischen Einwände gegen Sex gibt, können attraktive junge Frauen für ein paar Stunden in der Gesellschaft eines älteren Herren das 40-fache des Stundenlohns für eine Arbeit als Ladengehilfin verdienen.

Wie manche Forscher zurecht bemerken, ist es ein Rätsel, warum sich nicht mehr Frauen im Erotikgewerbe verdingen – vor allem wenn sie unter 35 sind, selbst Spaß am Sex haben und auf Männer attraktiv wirken.99 Die Antwort darauf gibt Kapitel 3: Das Patriarchat brandmarkt käuflichen Sex als unsittlich, indem es Frauen die alten Stereotypen Madonna oder Hure überstülpt und so daran hindert, mit Sex hin und wieder auch Geld zu verdienen.

Die meritokratische Werteordnung des kapitalistischen Westens lässt uns Menschen bewundern, die ihr Humankapital für ihren persönlichen Profit nutzen. Ich vermag absolut nicht einzusehen, warum Menschen, die ihr erotisches Kapital bis zur Neige auskosten, nicht genauso bewundert werden sollten.