Wunder

Cocki ist gesund! Ich erwache aus meinen Erinnerungen, sehe auf die Uhr: Himmel, es ist ja schon acht durch! Immerhin, wie lange hat es gedauert, diese sechs Jahre noch einmal Revue passieren zu lassen? Kaum mehr als zwanzig Minuten! Wer war das noch schnell, der von dem menschlichen Gedanken als dem Größten und Schnellsten dieser Welt gesprochen hat...?

Cocki ist gesund! War es wirklich erst gestern, daß er die Torte stahl?

Aber, was wird jetzt? Das Problem, zwischen den dreien wählen zu müssen, besteht nach wie vor. Das Schicksal hat lediglich ein kleines Zwischenspiel eingelegt, hat uns einen kleinen Umweg geführt, und jetzt stehen wir wieder vor derselben Mauer wie zuvor. Es sei denn...

Es sei denn, es geschähe ein Wunder und eine Pforte öffnete sich plötzlich in der Mauer... Es sei denn, in dem Verhältnis der Drei zueinander hätte sich etwas geändert. Manche kleinen Symptome aus den Tagen der Krankheit lassen es fast hoffen. Wie Weffi Cocki sein Bällchen schenkte — wie er ihn extra aufforderte, mit aufs Gäßchen zu gehen —. Aber Tiere sind konservativ in ihrer Liebe und in ihrem Haß und im Grunde genausowenig zu formen, wie es die Menschen sind. Jeder läuft auf seinem Geleis, das aus dem dunklen Tunnel kommt und in den dunklen Tunnel führt... Cocki wird — völlig genesen — ein ebensolcher Tyrann sein wie zuvor, Peter wird seinen Groll gegen die neue Blechtrompete nicht vergessen und Weffi nicht aufhören, den beiden anderen ihr Spiel zu verderben und ihnen auf die Nerven zu fallen...

Ich seufze. Nun ist die Sonne gar nicht mehr so hell. Vorsichtig blicke ich zur Seite: unmittelbar an meiner linken Wange kitzelt Weffis weißes Bärtchen. Er liegt auf dem Rücken. Die Augen geschlossen. Zwischen den mit schwarzem Lack eingefaßten Lefzen schimmern die kleinen Vorderzähne. Wie kleine Herzen auf rosa Grund. Die dicken Fellbeine sind senkrecht in die Luft gereckt. Ich kraule ihm leise den weichen Kinderbauch, auf dem das dunkelviolette Pigment eine seltsame Landkarte bildet. Er verzieht die Schnauze und beginnt mit dem linken Hinterbein rhythmisch mitzujucken.

»Wollen wir nicht endlich auf stehen flüstere ich in sein Ohr.

Er holt tief Atem und setzt mein Gesicht mit einem schmetternden Nieser unter Sprühregen. Unwillkürlich zucken meine Beine, was Peter in seiner warmen Höhle unter meiner Sitzfläche mit einem ärgerlichen Brummen quittiert.

Das wiederum erregt Weffis Aufmerksamkeit. Er rappelt sich auf, klettert über meinen Bauch auf die Stelle der Decke zu, unter der Peter liegt, beschnuppert sie, legt den Kopf schief und beginnt zu graben. Wütend schnappt Peter von unten, worauf Weffi von oben in die Decke beißt. Darauf stürmischer Aufbruch Peters. Er stemmt mein Bein hoch, nimmt die halbe Decke mit, tritt Cocki, der immer noch vor meiner Couch in einem Sonnenbad döst, auf das platt ausgebreitete Hinterteil, gibt ihm schnell einen Versöhnungskuß und reckt sich. Hierbei wird in der Vorderbeuge das Maul weit aufgerissen und die schmale Zunge darin heraldisch gekrümmt. Bei der Hinterbeuge: Maul geschlossen, linkes hinteres Fliegenbein steif weggestreckt. Und dann wird der Schlaf abgeschüttelt. Es ist dieses eigentümliche Schütteln, das zunächst den Kopf erfaßt und ihn so schnell hin und her wirbelt, daß es aussieht, als bestehe er aus sechs Ohren, sechs Augen und drei Nasen. Dann läuft es den Körper entlang bis zum Schwanz, eine wellenartige Bewegung, die aus dem Unsichtbaren kommt, im Hundeleib für ein paar Sekunden Gestalt gewinnt und ins Unsichtbare weiterwandert. Staub und kleine Haare stäuben hoch auf seiner Spur und schweben, in der Sonne durchleuchtet, langsam nieder.

Dann setzt sich Peter hin und beginnt sich zu jucken. Weffi, der ihm nachgesprungen ist, wird davon angesteckt, und auch der kleine Löwe setzt sich auf und macht mit. Alle drei ziehen dabei die Gesichter schief und sehen höchst angestrengt aus. Ihre Beine schlagen auf dem Teppich einen dreifachen Trommelwirbel.

Die Ursache dieses Vorganges wird offiziell als >nervöser Hautreiz< bezeichnet. In meines Herzens tiefster Falte bin ich jedoch davon überzeugt, daß gewisse kleine Mitbewohner durch das Schütteln von ihren Schlafbäumen — sprich Haaren — gefallen sind und den Juckreiz erzeugten, weil sie sich erneut zu verankern suchten...

Ich sehe diesen kleinen Verein und muß lachen. Die Furcht ist für einen Augenblick gewichen: Cocki ist wieder gesund! Ich lasse mich mit den Händen und Füßen auf dem Teppich nieder, krieche auf ihn zu und werfe dieses sich unentwegt juckende Fellpaket um. Da liegt er nun auf dem Rücken, die vier dicken Tatzen und die Beine mit den langen, seidigen Federn über sich. Jetzt dreht er den Kopf neckisch zur Seite und läßt die Zunge heraushängen.

»O — o — o — o«, macht er, während er sich hin und her wälzt und mir dann eine der weichen Gummitatzen gegen den Mund drückt. Ich packe ihn am Hals, drücke ihn auf eine Stelle, wo der Teppich aufhört und der glatte Linoleumbelag freiliegt, und schiebe ihn auf dem Boden hin und her. »Alter Bohnerlappen«, sage ich dazu. Er findet das großartig und beißt mir spielerisch in die Hand.

Weffi kommt: na, wird es wieder Radau geben? Steif und zurückhaltend beriecht er die Gegend zwischen Cockis ausgebreiteten Hinterbeinen, und dann richtet er sich an mir hoch und kratzt mich auf dem Rücken. Cocki hat ihn nur flüchtig und gleichgültig angesehen. Jetzt klirrt nebenan der Teewagen. Sofort ist er auf und drängelt gegen die Tür von Frauchens Schlafzimmer. Die Tür öffnet sich, er schießt hindurch, ist im nächsten Augenblick unter dem niedrigen Wagen und — brüllt mich an.

»Na, Gott sei Dank«, sage ich, während ich Platz nehme, »er ist schon wieder unverschämt

»Macht nichts«, sagt Frauchen und streichelt seinen hohen Kopf. Er verdreht die Augen gegen sie wie ein sterbender See-Elefant und läßt die Ohren ganz nach hinten hängen.

»Im übrigen«, sage ich (warum tue ich es nur?), »müssen wir uns darüber klar sein, daß sich an der Situation im Grunde nichts geändert hat. Wir waren dabei, uns zu überlegen, wen von den dreien wir weggeben...«

»Du kannst doch nicht erwarten, daß ich Cocki jetzt weggebe...«

»Und du kannst doch nicht erwarten, daß ich mein kleines Holzpferdchen hergebe, das sich so rührend benommen hat

»Rührend? Wieso?«

»Na, hast du vergessen, daß er Cocki sein Bällchen zum Spielen unters Bett geworfen hat und wie er sich an der Couch hochrichtete und dem Dicken den Kopf streichelte

»Und Peterchen? Als unentwegte Schildwache bei seinem kranken Brüderchen? Und seine Traurigkeit, seine Verzweiflung? Kann man denn so was überhaupt auseinanderreißen

»Und wenn sie sich nun wieder prügeln? Und wenn nun das ganze Haus darüber in Unfrieden gerät und wir uns untereinander anschreien und man niemals mit ruhigem Gewissen wegfahren kann?«

»Ach, was willst du denn, du siehst doch, sie vertragen sich

»Ich trauendem Frieden nicht...«

Und damit schneide ich entschlossen das erste Brötchen auf. Der Kaffee duftet, das Brötchen schmeckt, die Butter ist frisch, die Sonne fällt durch die dichten Ranken des Geißblattes am Fenster ins Zimmer. Und — Cocki ist gesund!

»Weißt du«, sage ich nach einer Weile, »merkwürdig ist ja, daß sie sich im Augenblick wirklich vertragen! Sieh sie dir an: Peter und Weffi nebeneinander wie Max und Moritz, der Dicke hat ihnen nicht mal die Semmelkrume weggeschnappt, die du eben zu ihnen ‘rüberwarfst. Natürlich hat Peter sie gefangen, denn mein kleiner Dussel Weffi verpaßt so was ja...«

Wir lachen, und Frauchen sagt: »Nun siehst du! Es wird schon gehen —aber, was ich sage, gilt ja hier nicht...« Sie sieht auf die Uhr und springt aus dem Bett: »Um Himmels willen, sind wir heute spät dran! Marsch, marsch, schnell zurechtmachen

Die übliche Morgenprozession setzt sich in Bewegung, angeführt durch Frauchen im Nachthemd. Sie entnimmt der Holzkiste im Bad die Utensilien: bestehend aus einem Metallkamm, der Flasche mit Augenwasser, Bürste, Watte und Pinzette (für die Holzböcke). Ich setze mich auf die Kiste, um von dort die Zeremonie zu beobachten.

Als erster kommt Peterchen, ganz krummgezogen, mit verdrehten Negeraugen. Den Schwanz hat er so eingeklemmt, daß es aussieht, als habe er überhaupt keinen. Er wirkt ungeheuer jammervoll und erbarmungswürdig. Im Vorübergehen leckt er mir flüchtig die Hand und gibt Frauchen, die sich schon niedergehockt hat, abgewandten Gesichts die Pfote. Dann beginnt er — immer noch verkrümmt — eine Rundwanderung um sie, ab und zu ein kleines Katzenmiauen ausstoßend. Alle Augenblicke hält er inne, fährt mit dem Kopf herum, sieht sich aufgerissenen Auges den eigenen Popo an, bläst schnaufend dagegen und wirft dann heranholende Blicke auf Frauchen.

»Komm, Peterle«, sagt sie, »Frauchen wird mal sehen, was da hinten bei ihm ist Er wird umgedreht und nachgesehen. »Na, da ist er ja, der Floh Das Insekt endet mit einem Knacks auf den Fliesen des Badezimmers, Peter springt auf und besichtigt die Jagdbeute. Alles, was vom eigenen Körper kommt, muß ausgiebig beschnüffelt werden, und wenn möglich, wird es aufgefressen.

»So, jetzt die Augen«, sagt Frauchen und kippt Borwasser auf den Wattebausch. »Tjuch-tjuch«, niest er verbindlich. Augenwäsche wird als berechtigt angesehen. Er wischt sogar mit der Pfote noch einmal das rechte Auge nach. »Na, noch was drin? Zeig mal her

Das Auge wird noch mal gewischt und der Wattebausch mit dem Ergebnis genau berochen. Dann greift Frauchen nach dem Kamm, und das ist gar nicht mehr gemütlich. Er dreht und wendet sich, reicht ihr ein dünnes Fliegenbein flehend entgegen: bitte, laß es für heute genug sein! Aber das Bein wird gleich festgehalten und gekämmt. Es ist ihm scheußlich unangenehm, und einmal schreit er hysterisch auf, ein langes Weinen hinterher, gewissermaßen auf Vorrat...

»Nun sei nicht albern«, beruhigt ihn Frauchen, »das eine Haar, das da geziept hat, und so ein großer, erwachsener Hund! Komm, zeig mal, stell dich mal auf...«

Er steht. Ein Jammerbild krummrückiger Ergebenheit. Aber jetzt kommt eine angenehme Einlage, denn der Rücken wird gekämmt und gebürstet. Ahhhh, das ist ein herrliches Gefühl! Mit der Hinterpfote wird begeistert mitgejuckt, der Kopf wird ganz gerade vorgestreckt, und ein wohliges Grunzen dringt aus seiner Kehle.

Dann wird es noch einmal unangenehm, denn der Kopf kommt dran! Die graue Stirnlocke geht ja noch, sie wird aufgewickelt und steht dann schwungvoll in die Höhe wie eine Sahnenrolle, die ein Schornsteinfeger in der Hand gehalten hat... Aber dann — der Bart! Der kleine, ewig verklebte, rötliche Zauselbart! Und er traut sich nicht mal, nach hinten auszuweichen, weil es sonst einen Klaps aufs Hinterteil gibt. Endlich ist er fertig. Das gelbe Halsbändchen wird umgelegt, nachdem es ihm zuvor zum Beriechen hingehalten wurde, damit er weiß, es ist seins! Nun läßt er sich ganz entspannt neben Frauchen nieder und paßt auf, wie der nächste Kunde vorgenommen wird.

Das ist Weffi. Er ist heute völlig außer Rand und Band und hat nur das Ausgehen im Kopf. Er tritt vor, einen Tennisball im Maul, den er irgendwie mit ins Bad geschmuggelt hat. Er muß ihm erst aus den Zähnen gewunden werden. Dann, während ihm der Bart gemacht wird, drängt sich plötzlich der kleine Löwe dazwischen, wirft Frauchens Arm hoch und fährt sich mit der Tatze übers Auge. Ich packe ihn an den Hinterbeinen und zerre ihn zurück.

»Dicker, sei nicht albern, du weißt doch ganz genau, daß du noch nicht dran bist Weffis Ohren werden derweilen revidiert — halt! Frauchen greift nach der Pinzette und zieht aus dem einen Ohr einen Holzbock. Mit einem Ruck ist er ganz herausgerissen, und er muß dann natürlich genau angesehen werden. Auch Peter steht auf und guckt ihn sich an. Jetzt will ihn Weffi noch mal sehen. Er zieht die Nase kraus und schießt dann einen kolossalen Nieser ab. Nun kommt Weffis Rücken dran. Er krümmt den ganzen Körper vor Vergnügen, zieht die Haut von einer Stelle zur anderen, öffnet, verzerrt die Schnauze bis zu den Ohren: Ach-ach-ach, sagt er dazu. Dann kommen Beinchen und Höschen und zuletzt die Augen. Und nun ist er fertig, steht da mit Kastenbart und dicken Pluderhosen, schön wie ein Reklamebild. Er bekommt das rote Halsband um, schüttelt sich, springt dann zu Peter. Weff-weff! schreit er ihm ins Ohr und nimmt seinen Ball. Peter wendet den Kopf würdevoll ab: läppischer Kerl! Weffi läßt sich neben ihm nieder und treibt dann noch etwas Nachpediküre, indem er mit seinen scharfen Eckzähnen an den vorderen Krallen knackert. Jetzt endlich ist der kleine Löwe an der Reihe. Er wogt auf Frauchen zu, leckt ihr in einem unbewachten Augenblick einmal übers Gesicht und drängt dann den schweren, runden Kopf gegen ihre Brust. »Dickie, du wirfst mich ja um! Hier, hier komm her...

Bei Cocki müssen besonders die riesigen Ohrbehänge kontrolliert werden. Er fegt mit ihnen allen Unrat auf, und die Ohrwascheln mit den vielen tiefen Taschen und Falten sind ein beliebter Parkplatz für Zecken und alles mögliche. Nach der inneren Reinigung werden die Ohren außen gekämmt. Cocki findet, daß das ungeheuer lustig ist, wird neckisch, geht vorn in die Kniebeuge, lacht aus vollem Halse, legt den Kopf auf die Seite, während sein Körper hinten hoch steht und sein Schwanzrest vergnügt hin und her wedelt. Jetzt knurrt er, spielt böse, tatzt nach Frauchens Hand. Weffi hört mit der Fußpflege auf, kommt steifhaxig näher und riecht ihm ins offene Maul. Dieses Mal wird er von mir an den Hinterbeinen gepackt und zurückgezogen.

Cockis Toilette nimmt ihren Fortgang. Die Fellfahnen an den Vorderbeinen sind mit einer nicht näher zu bezeichnenden Masse verklebt. Es ziept ziemlich heftig, aber er stößt keinen Laut aus. Es ist ganz still, man hört nur das Kratzen des Kammes und die Wassertropfen, die aus dem undichten Hahn ins Becken fallen.

Die beiden anderen liegen wie Standbilder und sehen zu. Kein Laut dringt von außen herein, es ist, als ob die Zeit einen Augenblick stehengeblieben sei. Dann endlich richtet sich Frauchen auf und sagt: »So, fertig, Schluß

Bei >Schluß< sind sie alle Drei auf den Beinen und tanzen um uns herum. Wuff-wuff-rrrrrr macht Weffi, der Dicke springt mit allen vier Pfoten gleichzeitig in die Höhe und Peter richtet sich an der Tür hoch und versucht die Klinke zu erreichen. Wir öffnen, und der ganze Verein stolpert und fällt übereinander, schießt in das Schlafzimmer zum eingebauten Schrank und postiert sich dort, denn dort steht die Keksbüchse. Jeder bekommt ein Stück, und damit ist der erste Akt des Hundeschauspiels beendet, Herrchen und Frauchen widmen sich ihrer eigenen Toilette, der Dicke kriecht erneut unter Frauchens Bett, Peter schlenkert unentschlossen zur Treppe und trabt dann schließlich hinunter in die Küche. Weffi legt sich in ein kleines besonntes Eckchen in meinem Zimmer und seine Augen beobachten mich. Pause.

Nun erscheint Mathilde und rollt den Wagen weg, Cocki marschiert hinter ihr her, Weffi bellt und beißt mir in die Schuhe. Schließlich bekomme ich ihn am Schlips, klemme ihn mir unter den Arm und steige mit ihm die Treppe hinunter. Cocki kommt aus der Küche angesaust, Peterchen schießt unter der Kommode hervor, Cocki bellt und vollführt seinen Indianertanz mit fliegenden Ohren, Peter pfeift wieder wie einst vor Entzücken, das weiße Fellbündel in meinem Arm strampelt wie besessen und stößt ganze Sätze hervor: Bawawawawa bowawowawowa. Schließlich habe ich mich mit dem ganzen Gesangverein in den Garten durchgearbeitet, wo sie wie irrsinnig herumtoben. Glücklicherweise kommt gerade der Briefträger, der sofort mit vereintem Gebrüll überfallen wird, als er vom Rad steigt. Cocki fletscht ihn an, als wolle er ihn zerreißen. Peter hat sich hinter den Mann manövriert und pfeift von dorther in den höchsten Tönen. Weffi trompetet aus Leibeskräften mit — nur nach der falschen Richtung, dem Mann, dem alles gilt, den Popo zukehrend und sichtlich keineswegs begreifend, um was es sich eigentlich handelt. Für ihn gilt es nur, Solidarität zu beweisen. Noch vor kurzem hätte ich ihn auf Grund einer solchen Szene für dumm erklärt; jetzt aber beginne ich die Logik in seinem Verhalten zu entdecken : er will mit seinen Kameraden mitmachen, doch gegen Menschen hat er eigentlich nichts... Merkwürdig, wie sich seit der Krankheit des Cockers meine Stellung zu allen dreien verschoben hat. Sie sind mir alle Drei viel mehr — und jeder in seiner Art ganz besonders — ans Herz gewachsen.

Wenn sie sich doch vertrügen!

Mit Weffi ist es heute eine schwierige Sache: er hat sich in den Kopf gesetzt, nicht mitzulaufen, sondern tanzt vor mir her und beißt mich in die Schuhe. Als ein Auto um die Ecke saust und direkt auf ihn zurollt, nimmt er keinerlei Notiz davon. Das Herz bleibt mir stehen, denn er hat, natürlich, wie gewöhnlich, überhaupt kein Gefühl für Verkehrsgefahren und dafür, daß das Ungeheuer ihn in Sekundenschnelle in eine Flunder verwandeln könnte. Gott sei Dank ist es der Rechtsanwalt aus der nächsten Straße, der meine Rowdies schon kennt, und so bremst er den Wagen scharf ab. Ich fasse den Ausbund endlich, wir beiden Männer lachen uns an, und der Wagen rollt weiter...

»Kommst du jetzt her«, schreie ich Weffi an. Er stutzt, verdreht die Augen wie ein junges Kalb und saust los, den anderen beiden nach. Ich atme auf, Gott sei Dank, einen Augenblick Ruhe. Aber was wird sich jetzt dort hinten wieder an der Ecke tun? Wird Weffi wieder über den Dicken herfallen und ihn in die Hinterkeulen zwicken, weil der den großen Schäferhundmann nicht bekommen kann? Wird der Dicke sich darauf wehren, und wird ihm dann Peter zu Hilfe kommen?

Da ist der Betrieb schon in vollem Gange: Denn Cocki ist so in Fahrt, daß er mit allen vieren gleichzeitig in die Luft springt. Es ist, als wolle er alle seine Siechheit mit einem Ruck abwerfen. Und nun ist Weffi bei ihm, mischt sein grelles Weff-weff-weff in das dumpfe Grollen des Feindes und das dunkle Wuff-wuff seines Kumpanen Cocki. Aber siehe da: Weffi zwickt ihn heute nicht. Seite an Seite rennt er mit ihm den Zaun auf und ab, um Alf noch mehr zu reizen, der sich immer wieder gegen den morschen Lattenzaun wirft. Dann kracht es, zwei Pfähle brechen um, schlagen nach außen, Cocki und Weffi können gerade noch ein wenig zurückspringen, und dann stehen sich meine Drei und der große, gelbe Feind ohne trennende Wand gegenüber. Was jetzt? Das Spiel wurde durch höhere Gewalt durchbrochen. Wird sich jetzt der Große auf die Kleinen stürzen? Werden sie ihn angehen? Aber nichts von alledem, es herrscht eine allseitige Verlegenheit, man geht umeinander herum.

Die Schäferhündin ist erschrocken durch den Knall mit eingezogenem Schwanz in Hausnähe geschlichen, während ihr Gefährte Kurs auf das kleine kläffende Holzpferdchen nimmt, das an allen vier Beinen schlottert, aber keinen Zentimeter zurückweicht und nur sein Gebiß entblößt. Auch Cocki geht auf ihn zu und riecht ihm ungeniert in die Schnauze. Ich hebe für alle Fälle einen größeren Stein auf, um mich im Notfall dazwischenwerfen zu können — aber alles bleibt ruhig, und nach einer kleinen Weile löst sich die Spannung. Vorsichtig, im Zeitlupentempo, steigt der riesige Schäferhund über Weffi hinweg, dreht sich zu dem Zaun zurück und hebt das Bein. Die beiden anderen schieben sich, noch während der Sprühregen fällt, unter ihm weg und tun das gleiche. Dann wird das Ergebnis ausführlich zu viert berochen, und nochmals wird die Geschichte wiederholt. Schließlich drückt sich auch die Schäferhündin durch die Zaunlücke und beteiligt sich an der großen Riecherei. Dann aber verschwindet sie auf ihrem Grundstück, ihr Bräutigam folgt ihr, und meine beiden trotten weiter. Aus! Peter geht über die Straße und hält Ausschau nach Hasso.

Nach einer Weile, während wir um die nächste Ecke biegen, gesellt auch er sich wieder zu uns. Hasso hat sich nicht gezeigt, worüber er sichtlich enttäuscht ist. Weffi sagt ihm weff-weff ins Ohr hinein: »Na, da bist du ja wieder Dann rennt er zu Cocki ‘rüber: »Weff-weff, Peter ist wieder da Beide Male erntet er nur einen ruhigen Blick: »Schön, ist ja in Ordnung, reg dich nicht auf

Da ist am Ende der Straße wieder etwas Schaferhündliches. Peter hat es bereits gesehen, verwandelt sich in die berühmte Messerbank und trabt es mit hohen, dünnen Schritten und vorgerecktem Spitzkopf an. Jetzt sieht es auch der Dicke und setzt sich mit fliegenden Ohren und Federn in Bewegung. Weffi in großen Sprüngen an seiner Seite. Einmal hat er einen solchen Geschwindigkeitsüberschuß, daß er über den kleinen Löwen hinwegfliegt, weil er ihn sonst umgerannt hätte. Wieder suche ich mir einen Stein und setze mich in Trab. (Mein Gott, muß ich auf Unbeteiligte einen komischen Eindruck machen! Aber, was kümmert es mich — Cocki ist gesund!)

Aber es ist kein Feind, keine Gefahr, es ist die gefällige Hündin aus dem Radiogeschäft. Ich weiß nicht, wie sie heißt, aber ich weiß, daß sie den Dicken fanatisch liebt. Doch wird sie von keinem meiner Drei ernst genommen. Peter und Weffi beriechen sie nur kurz von allen Seiten und schwenken dann in den Vorgarten des Geschäftes ein, wo sie einmal eine Katze gejagt haben. Auf diese Weise hat die Hündin ihren geliebten Cocki allein. Sie beleckt ihn, legt ihm die große, hellgelbe Pfote auf die Schulter, macht sich ganz klein vor ihm und wirft sich schließlich auf den Rücken. Er beschnüffelt das Gebotene, sieht mich dann mit gerunzelter Stirn aus ganz hellen Augen an: »Verstehst du das dumme Frauenzimmer? Sie ist doch noch gar nicht dran

Die beiden anderen schießen aus dem Gartentor wieder auf die Straße heraus, es war keine Katze da. In einer Schleife geht’s zurück zu unserem Haus.

Unterwegs toben ein Foxl und ein brauner Pudel gegen ihre Gitter, werden aber keines Blickes gewürdigt. Nur Weffi, der besonders guter Laune scheint, kehrt noch mal um, beschnüffelt die beiden und schickt ihnen wenigstens einen kurzen Strahl hinein, über den das Doppelgespann in tiefes Nachdenken verfällt. Im gleichen Augenblick höre ich ein Geräusch — tack-tack-tack — immer an den Zäunen. Und da kommt auch schon der Blinde, der im Krieg durch eine explodierende Kartusche das Augenlicht verlor und Gott sei Dank nicht weiß, wie furchtbar blauverbrannt sein Antlitz aussieht. Mit dem Stöckchen tastet er sich am Zaun entlang und findet so nach Hause.

Weffi, der völlig außer Rand und Band heute ist, springt an ihm hoch, reißt ihm den Stock aus der Hand und saust damit los. Ich ziehe den Hut (der andere sieht es doch gar nicht...): »Entschuldigen Sie bitte vielmals, es war mein Jüngster, er kennt Sie wohl noch nicht, und hat nichts als Dummheiten im Kopf. Kommst du her, du Kröte

Weffi kommt mit steifen Beinen angesprungen, ich reiße ihm den Stock aus den Zähnen und gebe ihn dem Blinden zurück. Weffi richtet sich wedelnd an ihm hoch, und die Hand des Mannes tastet über sein Köpfchen.

»Es ist ein weißes Drahthaarfoxl«, sage ich, »mit einem sehr schönen Bärtchen

»Oh«, sagt der andere, während seine lange, schmale Hand über den Rücken Weffis fährt, »ich sehe — ich sehe! Sie haben doch noch zwei andere Hunde, nicht wahr? Einen Cocker und einen Terrier? Ich habe den Cocker so lange nicht mehr bellen hören...«

»Das kann ich begreifen, denn er war sehr schwer krank. Aber nun ist er wieder gesund

»Das freut mich Er setzt seinen Weg fort, tack-tack-tack — seinen einsamen, seinen dunklen Weg — am Zaun entlang.

Und dann sind wir wieder in unserem Garten. Peterchen inspiziert sein Paradies, liebevoll vorsichtig durch die Blumen stolzierend. Der Dicke hat sich vor die Haustür auf die kühlen Steine gelegt und knackert sein Fell. Weffi schlendert allein auf die Straße zurück und guckt, ob Frauchen bald kommt. Ich habe mein Manuskript wieder zur Hand genommen.

Kaum sitze ich, höre ich auf der Straße einen hellen Jammerschrei und fürchterliches Knurren. Ich stehe auf, sehe den Dicken, wie er den Kopf hochreißt. Seine Augen funkeln. Peterchen sitzt im Moment aufrecht, und dann fegen sie beide aus der Tür ums Haus herum. Ich laufe hinterher. Draußen neue Jammerschreie, Fauchen und Fetzen. Ich sehe, was ich vermutete: Ajax, Weffis Feind, hat das kleine Holzpferdchen vor dem Grundstück erwischt. Der Fox hängt schreiend in des großen Airedale Fängen. Aber wie Schatten sind Cocki und Peter an Ajax. Cocki unterrennt ihn mit solcher Wucht, daß er stolpert und Weffi losläßt. Peter indessen hat sich sein Lieblingsziel ausgesucht und sitzt festgebissen an seinem Hinter schenke!. Weffi, eben noch ein hilfloses, schreiendes Etwas, macht kehrt und schlägt Ajax die scharfen Fänge in die Oberlippe. In den Augen des Airedale ist Entsetzen. Was ist mit seinen beiden Freunden? Er erhebt sich, schüttelt die drei kleineren Hunde ab, trabt dann höchst kümmerlich davon, ab und zu sich scheel umblickend und das rechte Hinterbein nachziehend.

Cocki und Peter verfolgen ihn noch ein paar Meter, kehren dann um und sehen sich das Holzpferd an. Aus der Gegend des Schulterblattes rinnt ihm etwas Blut. Sie beschnüffeln es, weichen zurück und niesen pflichtschuldigst. Ich hocke mich zu ihnen, streichle sie abwechselnd und lobe sie. Und dann schwenken alle Drei, Schulter an Schulter, zurück in unsern Garten und beschnuppern die Stellen, wo sie gestern abend den großen Igel aufstöberten...

Ich aber sehe ihnen lächelnd zu, während sich über ihnen die Zweige der Weide im Sommerwinde wiegen, und weiß ganz sicher, und mir ist ganz feierlich zumute: seit Cockis Krankheit sind sie endlich das geworden, was ich mir schon immer wünschte:

DER BUND DER DREI