Cocki

Eigentlich begann alles mit dem Tode des alten Puck. Er war mein erster Hund, ein Drahthaarfox, groß für seine Rasse, schneeweiß, nur mit einem braunschwarzen Ohrchen, stark, heißblütig, ein ritterlicher Raufbold und kleiner Gentleman. Fast dreizehn Jahre lang trabten wir Seite an Seite durch eine von Revolutionen und Kriegen zerrissene Welt. Eine flammende Bombennacht raubte uns unser Heim, und Jahre hindurch mußten wir den dornenvollen Weg des Mitleids gehen, bei Freunden unterkriechend, bei Bauern ein paar Abfälle und ein wenig Magermilch erbettelnd. Von vielen Schwellen wurde ich gewiesen, deinetwegen, mein Puck. Nie nahmst du Nahrung von einem Fremden, so verhungert du auch warst, mein Puck —. Wir hielten zusammen, und wir ließen uns nicht los. Wir quetschten uns in überfüllten Zügen, wir schliefen unter einer Decke, wir hungerten zusammen — meist. Und feierten Feste zusammen — manchmal.

Auch das ging zu Ende. Der Friede kam, und ich hatte das Glück, dich noch einmal in Kalbsknochen und Bruchreis schwelgen und so richtig satt hinplumpsen zu sehen. Deine mageren Flanken füllten sich auf, du warst nicht mehr zu schwach zum Spielen, du schwammst wieder im See, du konntest wieder einen Alt-Herren-Galopp riskieren. Aber das Herz — dreizehn Jahre — einundneunzig Menschenjahre, und die bösen Jahre des Krieges dazu! Deine schönen, braunen Augen, die klugen, lustigen Fenster deiner Seele, trübten sich. Man stieß sich manchmal an Stuhl und Tisch, aber — was machte uns das aus? Wir hatten ja eine gute Nase und — wir waren zusammen! Aber es kam der Tag, wo du plötzlich von der Couch heruntersprangst und dich zu meinen Füßen niederkauertest. Und dann schriest du auf, mit einem fürchterlichen Schrei, fielst zur Seite, kämpftest, minutenlang, Minuten, die ebenso viele Ewigkeiten waren. In deiner Todesnot brachtest du es fertig, noch einmal meine Hand zu lecken — und dann warst du von dieser Welt gegangen. Ich blieb erstarrt neben dir auf den Knien, Stunde um Stunde. Der Himmel war über mir eingefallen.

Wenn du mir solche Todesqual gibst, so ist sie wohl verdient, sagte ich, denn ich habe vieles getan in meinem Leben — wider besseres Gewissen — aus Feigheit — aus Erbärmlichkeit — aus Schwäche und aus Unaufrichtigkeit. Ich nehme den Todesschmerz gern an — als Sühne. Aber dieses arme und ganz reine Wesen — was hat es zu büßen mit seiner Qual?

Wahrscheinlich gibt es eine Antwort darauf. Vielleicht ist der Tod das große Erwachen, das uns zeigt, wie lächerlich einfach alles zusammenhängt und wie sicher, wie richtig alles begründet ist, in dieser und — in jener Welt. Wir stehen vielleicht die ganze Zeit vor der gewaltigen Tafel, in die ein Gott die Lösungsformel grub, und wir können sie nur nicht lesen, weil wir zu nahe davor stehen und immer nur einen Teil eines einzigen Buchstabens sehen...? Es mag sein, daß diese Formel auch des Puckchens Todesqual in Weisheit klärt — aber bis heute kenne ich die Lösung nicht...

Meine Gefährtin war von Pucks Tod so hart getroffen wie ich selbst. Wir hüllten ihn in eines der beiden Bettücher, die uns der Krieg gelassen, und trugen ihn bergauf bis zu einer kleinen Wiese, die er besonders liebte. Der Felsen ragt dahinter auf, mehr als zweitausend Meter hoch. Manchmal fliegen Adler um seine vergletscherten Türme, die meist in Wolken brodeln. Dort, zu Füßen des ungeheuren Wächters, begruben wir ihn, unsern Puck...

Das Schicksal führte uns bald darauf in die Stadt, in ein Haus an ihrem Rande, Gott sei Dank, wo noch viel Grün und Blühen ist und eine Ecke weiter sogar noch ein weites, freies Feld, das in manchen Jahren Getreide trägt, in anderen wieder Kartoffeln oder auch das bunte Kleid einer Futterwiese. Aber es war die Stadt, in der wir jetzt leben mußten, eine fremde Stadt, voll fremder Menschen, die uns, die so lange Einsamen, beängstigten. Unser kleiner weißer Freund fehlte uns gerade jetzt zu jeder Stunde, und so begann ich die Frage zu erwägen, ob wir uns nicht wieder einen Gefährten anschaffen sollten. Ich unterhielt mich lange mit Puck darüber, und er meinte, er nähme es mir nicht übel, er wisse, daß ich niemals wieder ein Wesen mit der gleichen Liebe lieben werde wie ihn. Und es gäbe so viele arme Hunde, die in unserem Hause glücklich werden könnten, warum sollten wir nicht einem von ihnen dieses Glück geben?

Ich studierte die Inserate und fand eine Hundehandlung. Dorthin fuhr ich eines Nachmittags. Sie lag mitten in der Stadt an einem Bahndamm, und es war eine baufällige, verdächtig aussehende Bude, wie aus einem englischen Detektivroman. Es hatte zu regnen begonnen, als ich ankam. Draußen vor der Baracke, an einer Schnur angebunden und im strömenden Regen schlotternd, saß ein wunderschöner Cockerspaniel. Er sei erst an diesem Morgen gekommen, sagte mir der Händler, der in seinem dreckigen Pullover und seiner Schiebermütze genau in das Milieu paßte. Im übrigen sei es ein echter Springercocker. Stammbaum anbei. Und so nahm ich den Hund draußen im Regen, weil er nicht einmal Platz hatte in der armseligen Hütte, und außerdem, weil er so schön war und mich aus den goldenen Augen zwischen den langen Behängen ein so todestrauriger Blick getroffen hatte. Ein furchtbar menschlicher Blick.

So kam Cocki zu uns. Zu Hause nahmen wir ihn uns erst einmal vor, badeten ihn, wischten Augen und Ohren aus, gingen auf die Ungezieferjagd. Anschließend verdrückte er eine randvolle Schüssel. Dann sah ich ihn mir zum ersten Male richtig an: ein starkes Tier von anderthalb Jahren. Etwas ganz Besonderes sind die Augen: Sie sind nicht braun, sie sind wirklich golden, von der Farbe des roten Nibelungengoldes, wie es in der Sage beschrieben ist. Die Augenlider darunter, die etwas abhängen, zeigen ihr dunkelrotes Innere. Manchmal ergibt das den vorwurfsvollen Blick eines alten Säufers, dem man seinen geliebten Schnaps gerade weggenommen hat. Meist überwiegt im Blick dieser Augen das großartig Trauernde. Nur manchmal kann es kühn und löwenähnlich blicken, wie Cocki überhaupt in seinen Bewegungen an einen kleinen Löwen gemahnt. Der Gang ist erstaunlich leicht und katzenhaft, die starken Muskeln spielen dabei unter dem Fell. Er springt trotz seiner Schwere wie eine Katze. Kein Zaun ist dem kurzen, stämmigen Tier zu hoch. Im übrigen ist jede Sentimentalität ihm gegenüber unangebracht. Er ist ein schlauer Tyrann, ein starker Fresser und Säufer — und ein berüchtigter Don Juan. Ein Bursche, der großartig von Leben strotzt. Als er in unser Haus einzog, war es Herbst. Die Bäume flammten, der Himmel war hoch und blaßblau, und das Sonnenlicht von jener klaren Durchsichtigkeit, die schon das große Sterben ahnen läßt...

Cocki nahm zunächst von dem herbstlichen Garten Besitz. Er raschelte in den Blättern, grub nach Mäusen und verjagte einen alten Kater, der ihm auf dem Gebiet des Mäusefangens Konkurrenz machen wollte. Ich hatte vor, ihn eine Weile im Garten zu halten, damit er sich erst an die Umgebung gewöhne. Dieser Plan wurde aber bereits am ersten Tage durchkreuzt, denn Cocki setzte mit einem einzigen Sprung seiner federnden Muskeln über den anderthalb Meter hohen Zaun und watschelte O-beinig auf seinen dicken Sohlen auf der Straße weiter, als sei das nichts Besonderes.

Ich schnauzte ihn an, aber es traf mich nur ein verächtlicher Altmännerblick. Bald darauf entdeckte ich auch einen der Gründe seines Verhaltens: Er weigerte sich nämlich hartnäckig, gewisse unvermeidliche Geschäfte im Garten zu erledigen, und damit stieß ich auf einen seiner unverrückbar scharf ausgeprägten Charakterzüge, nämlich: das Gefühl des Besitzes und der Reinhaltung dieses Besitzes. Das Haus war sein Reich, der Garten gehörte zum Haus und durfte infolgedessen für das Beinheben und andere Übungen nicht benutzt werden, die er sonst mit hündischer Gründlichkeit vollzog.

Bei unsern ersten Spaziergängen setzte Cocki dann die Erziehungsarbeit an mir fort. Er brachte mir sehr schnell bei, daß es albern ist, einem kleinen Löwen zu pfeifen und ihn aus dem wonnevoll-versunkenen Einhertraben zurückzurufen, bloß, um ihm zu erzählen, daß er ein so liebes Hündchen sei oder daß er jetzt mal >bei Fuß< gehen solle. Tat ich es, so blickte er sich die ersten Male nur verächtlich traurig um, bei den nächsten Malen wackelte er nur mit der Stelle, wo bei anderen Hunden der Schwanz sitzt und wo er lediglich einen halbdaumenlangen, haarüberwellten Stummel aufzuweisen hat.

Das nächste, was er mir beibrachte, war, daß gemeinsame Spaziergänge innerhalb des Ortes überhaupt albern seien, da es für ihn als >Geschäftsmann< so viel zu tun gebe, daß er sich unmöglich um mich und meine Marschroute kümmern könne. So bog er dann um die nächste Ecke! Wenn ich dort ankam, sah ich ihn gerade in seinem merkwürdigen Schaukelgalopp um die übernächste Ecke verschwinden, und dann war er überhaupt weg!

Soweit fügte ich mich mit gutem Humor in die Erkenntnis, daß ich mir einen hundertprozentigen Hundehund angeschafft hatte, im Gegensatz zu Pucki, dem Unvergessenen, der ein ebenso hundertprozentiger Menschenhund gewesen war. Puck pflegte sich zu entschuldigen, wenn er sich einmal hündisch benahm. Cocki ist stets ärgerlich, wenn er dem Zusammenleben mit einem Menschen irgendwelche Konzessionen machen soll, und beschränkt sie auf das mindeste. Er würde mich am liebsten als Hund oder sogar, im wahrsten Sinne des Wortes, >unter dem Hund< behandeln: als reines Mittel zum Zweck, dem man die Nahrung aus der Hand reißt und den man gleich darauf anbrüllt, zu dem man sich aufs Bett schmeißt, wenn einem mal so danach ist, das man aber, wenn man es nicht braucht, ebenso danklos verläßt. All dieses schluckte ich, wie gesagt, halb enttäuscht und halb amüsiert und ohne daß es meiner Zuneigung zu dem kleinen Brutaliker Abbruch tat.

Dann aber kam ein Tag, an dem er wieder einmal einen Spaziergang mit mir abbrach und um die nächste Ecke sauste. Und von dem Moment an blieb er verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Ohne Hund mußte ich heimkehren und wurde dementsprechend empfangen. Es begann jenes angstvolle Warten, das jeder Besitzer eines Hundes nur allzu gut kennt. Man setzt mechanisch seine Tagesarbeit fort, aber die Gedanken sind bei >ihm<. Man unterhält sich krampfhaft und mit ausgesuchter Höflichkeit, aber am liebsten möchte man straßauf, straßab rasen, um diesen verdammten, aber geliebten Lümmel zu finden...

Man dreht das Radio an und stellt es sofort wieder leise, weil irgendwo in der Ferne >was< gebellt hat. Der Abend sinkt — immer noch nichts! Man erklärt, daß man sich die Beine vertreten müsse, und irrt durch alle Straßen, hin und her und kreuz und quer, überall dorthin, wo irgendeine ähnliche Hundestimme erklingt. Man pfeift und ruft und verstummt schamhaft, wenn sieb Passanten nähern. Man kommt in Gegenden, in denen man noch nie war; man malt sich aus, was ihm inzwischen alles passiert sein könnte.

Man sieht ihn überfahren, hilflos irgendwo am Wegrand liegen — sieht ihn, ob seiner Schönheit gestohlen, in ein Auto gerissen und entführt!

Man sieht ihn als Mahlzeit für vier Personen, mit Zwiebeln garniert, auf dem Tisch stehen —

Man kommt heim. Im Zimmer der Gefährtin brennt noch Licht, man rennt im Mantel die Treppe hinauf: Ist er da?

»Nein! Noch immer nicht—«

Sie hat’s leicht, sie kann weinen und außerdem Vorwürfe machen: »Du hättest ihn an die Leine nehmen sollen, das arme Tier kennt sich ja noch gar nicht genug aus, er wird nicht mehr nach Hause finden...«

Man bekommt allmählich die Wut: »Wenn er nach Hause kommt, werde ich ihn verdreschen, daß er in keinen Sarg mehr paßt! Einmal und nie wieder...! Strenge ist nötig, schließlich auch in seinem eigenen Interesse

Man geht zu Bett, man liest und versteht kein Wort. Draußen beginnt der Regen zu rauschen. Mein Gott, das arme Tier, jetzt, in der Nässe! Die Minuten schleichen, die Chancen sinken. Vielleicht hätte man die Polizei anrufen sollen — man muß es gleich morgen früh tun! Man wird eine Belohnung aussetzen und den Rundfunk bitten, es durchzugeben.

Und dann, um zwei Uhr nachts, ertönt ein unverkennbar herrisches Bellen vor dem Haus. In Pyjama und Nachthemd rast alles zur Tür: er steht davor, watschelt herein, dreckig wie eine Wildsau, ein paar abgerissene Zweige fesch durch das Ohrgelock gesteckt, setzt sich hin und reicht herablassend und tief aufseufzend die dicke Pfote zur Versöhnung. Alle erzieherischen Vorsätze sind vergessen! Man kniet nieder und zieht den dicken Löwenkopf an die Brust, der durchdringend nach Erde riecht (man hat in diesem Falle Glück!). Cocki macht sich mit männlicher Kargheit der Gefühle los und wogt in die Küche, wo er ungeheure Mengen Wasser zu sich nimmt. Dann schmeißt er sich auf die Seite, deckt die Augen mit den eigenen Ohren zu und ist im nächsten Moment entschlummert. Die Familie geht erlöst zu Bett und dankt dem Schicksal.

Seine Exkursionen haben verschiedene Zwecke. Das Hauptmotiv ist die Liebe! In den entsprechenden Wochen, in denen die Hündinnen in den Häusern ringsum interessant werden, ist er von früh bis spät unterwegs. Ein Abenteuer schließt sich an das andere, und ist der nähere Bereich abgegrast, machen die vier Gummitatzen kilometerweite Eilmärsche in die Stadt hinein, um nur ja nichts >auszulassen<. Liebe ist Pflicht! Ein geheimnisvoller Befehl scheint diesen Teil seines Lebens zu bestimmen. Er fehlt bei keiner Hundeversammlung vor irgendeinem Haus, ob es nun Sommer ist oder Winter mit klirrendem Frost. Man hat Cocki schon bei sechsundzwanzig Grad Kälte vor dem Hause einer Geliebten angefroren gefunden und mußte ihn vorsichtig mit der Axt abhacken! Wir staunen nur über die eisenharte Gesundheit, die all diese Strapazen überdauert.

In solchen Wochen verliert sich dann die Rundlichkeit seiner Hüften. Er magert ab, und nur noch die Fülle seines Felles und die starken Muskeln täuschen Stämmigkeit vor. Innerlich ist er brennender Trieb, und dieses Feuer wird mit ungeheuren Quantitäten von Wasser gelöscht.

Nach Hause kommt er nur zur Mittagszeit oder auch in den frühen Morgenstunden. Sobald aber der Haushalt erwacht, ist er, wenn man ihm nicht die Tür öffnet, mit einem Satz zum ersten offenen Fenster hinaus und wieder unterwegs. Ein sonderbar scharfer Raubtiergeruch bleibt dort zurück, wo er sich aufhielt.

Manchmal entdecke ich durch Zufall, wo die diesbezügliche Veranstaltung gerade stattfindet. Cocki kommt mir dann um irgendeine Ecke entgegengewogt, wirft mir einen aufmunternden und schelmischen Blick zu, streicht krumm gebogen um meine Füße und will mir seine Rechte reichen; doch bevor ich’s tun kann, dreht er ab und verschwindet: Du wirst verstehen — ich habe zu tun!

Ich gehe ihm nach: eine kleine Villa inmitten eines großen, finsteren und verwilderten Gartens. Die Villa sieht aus wie ein Lustschloß, das der Sonnenkönig Ludwig XIV. einer Geliebten geschenkt hat, einer Geliebten zweiter Güte sozusagen, nicht einer der großen Kurtisanen, sondern so einem kleinen, gelegentlichen Seitensprung... In Wirklichkeit verdankt das Häuschen seinen Ursprung wahrscheinlich der entzügelten Phantasie eines Architekten der neunziger Jahre. Der Stuck ist abgeblättert, eine Jalousie hängt schief herunter, alles macht einen halb verwunschenen, halb verkommenen Eindruck.

Vor dem Zaun gewaltiger Aufmarsch aller Hundegrößen, die mir von meinen vielen Spaziergängen bekannt sind. Da sitzt die große Tigerdogge des Schlächters neben dem schwarzen Dackel des Oberregierungsrates aus dem Finanzministerium. Diebeiden gelben Schäferhundbastarde des Bauunternehmers, auf ihrem Grundstück zähnefletschende Bestien, hocken hier ganz artig und zahm nebeneinander. Das schwarze Pudelchen der Zahnärztin beriecht, Kopf an Kopf mit Cocki und dem Scotchterrier des Regisseurs, die herrlich duftende Fährte. Der einheimische >Ge-sangverein< hat sich aber noch durch Gäste aus den umliegenden Vororten verstärkt. Ich sehe einen mir völlig unbekannten ungarischen Hirtenhund, ein groteskes Möbel, das nur aus lockigem Fell besteht, unter dem seine Hundekonturen vollkommen verschwinden. Ferner zwei lebende Bettvorleger: Skyeterrier, und ein undefinierbares Exemplar: eine Brake mit langhaarigen Riesenohren, die ich stark im Verdacht habe, aus Cockis Fabrik zu stammen...

Das alles sitzt und wartet, weint, heult, schnüffelt und bespringt sich gegenseitig, um sich die Zeit zu vertreiben.

Manche richten sich auf und kratzen an dem Gitter. Nur Cocki, nachdem er genügend geschnüffelt hat, wandert die Stäbe des Gitters entlang und betrachtet es mit sachverständigen Blicken. Es hat einen Steinsockel, ungefähr dreiviertel Meter hoch, und auf diesem steht ein geschwungenes Eisengitter von durchschnittlich einem Meter Höhe. Cocki watschelt ein paarmal hin und her, und dann bleibt er dort stehen, wo die Schwingung des Zaunes am tiefsten herunterhängt. Seine Augen zeigen den Löwenausdruck mit einem Schuß pfiffiger Schläue darin. Dann ist er mit einem Satz auf der Steinbrüstung und kriecht, wie ein kleiner Panther, die Maschen des Gitters hoch. Jetzt ist er am oberen Rand, einen Moment schwebt er in der Balance, und dann, mit einem Plumps, läßt er sich in den fremden Garten fallen. Dort folgt er, die Nase wie einen Staubsauger fest auf die Erde gedrückt, einer unsichtbaren Spur, die ihn in immer schnellerem Galopp kreuz und quer durch den Garten rasen läßt. Er ist völlig besessen. Die Kurven der Spur nimmt er so scharf, daß die Ohren hin und her fliegen, und die ganze Unternehmung endet vor der Haustür, die einen bronzenen Engelskopf mit einem Ring im Munde trägt.

Cocki richtet sich auf und kratzt. Als nichts erfolgt, setzt er sich auf die Hinterkeulen und stößt ein kleines, jämmerliches Weinen aus, das bei ihm wie eine schlaue Verstellung klingt. Sie dauert jedoch nicht lange, denn als sich abermals nichts ereignet, bricht aus seinem mächtigen, bulldoggenbreiten Brustkasten ein herrisch-scharfes, befehlerisches Bellen: Ihr da drinnen, ‘raus mit der Braut!

Und wie seinem Befehl gehorchend, öffnet sich die Tür. In ihrem Rahmen erscheint eine alte, zierliche Dame, schwarzgekleidet mit schneeweißem Haar, und hat auf dem Arm die Braut. Eine winzige Pekinesin! Vor dem Zaun gewaltiger Aufruhr, vielstimmiges Gebell, ärgerlicher Austausch von Bissen untereinander. Am albernsten gebärdet sich ein Bernhardiner, der die Gemeinschaftsbraut bestenfalls als Zahnfüllung verwenden könnte.

Cocki, der siegreiche Eindringling, hat sich derweilen aufgerichtet und saugt gierig den beseligenden Duft ein. Zwischendurch placiert er Handküsse auf die schmalen weißen Altfrauenhände. Er wird dafür freundlich gestreichelt, der Gauner. Draußen ziehe ich den Hut. »Das ist mein Hund, gnädige Frau, vielleicht darf ich ‘reinkommen und Sie von seiner Zudringlichkeit befreien

Worauf mir mit maßvoller Entrüstung geantwortet wird: »Ach, das ist doch Cocki, sei’n Sie doch nicht so streng mit ihm! Ich sperre ihn ins Haus, während Elisabethchen draußen ist, und nachher kann er dann im Garten ruhig herumstromern. Sie können ihn ja abends abholen, wenn Sie wollen

Sind die interessanten Tage einer Hündin vorüber und tritt mal eine kurze Pause ein, so kehrt Cocki mit unverkennbarer Beglückung in den Ablauf des Haushaltes zurück. Er scheint es als eine Art Ferien inmitten anstrengender Dienstverpflichtungen aufzufassen. Pünktlich wie eine Uhr ist er bei den Mahlzeiten, er springt sogar morgens, obwohl karg an Liebesbezeigungen Männern gegenüber, zu mir ins Bett oder richtet sich wenigstens am Bett auf und leckt mir schnell über das Gesicht. Er schnarcht nach dem Mittagessen in meinem Lieblingssessel, bleibt bei den Spaziergängen in hundert Meter Umkreis und läßt sich abends mit wahrem Genuß auf seine Schlafdecke in der Küche plumpsen.

Bis er dann bei einem Spaziergang irgendwo wieder stehenbleibt, schnüffelt, die Erde mit der breiten Tatze fieberhaft aufgräbt, um noch besser riechen zu können, dann den Kopf witternd in den Wind hebt und sich im Zuckeltrott in Bewegung setzt, der bald in Galopp übergeht, bis die wehenden Ohren und fliegenden Hinterpfoten um eine Ecke entschwinden. Ein neues Abenteuer hat begonnen...

Seufzend dreht Herrchen auf der Straße um und denkt, den Spaziergang abkürzend und vereinsamt heimwärts strebend, darüber nach, wie es wäre, wenn er selbst mal mit wehenden Ohren um ein paar Ecken sausen würde...

Einmal in seinem Leben bisher durfte Cocki sich legal betätigen. Seine Fotografien, die ich als glücklicher Hundevater und Fotoamateur in meiner Bekanntschaft zu verstreuen pflege, trafen auch die Besitzerin einer Springercocker-Hündin. Es folgte darauf, nach mehreren Telefonaten, bei uns ein Staatsbesuch der Schwiegermutter mit Tochter. Hundetochter Jenny beroch, freundlich mit dem Stummel wedelnd und rührend ahnungslos, den auserwählten Vater ihrer künftigen Kinder. Cocki zog verbindlich die Augenbrauen hoch und wedelte seinerseits ein paarmal höflich mit dem Hinterteil. Dann machte sich die Auserwählte ungeniert über seinen Futternapf her. Cockis Stirn schlug Falten, und in seine Augen trat jener gefährliche Ausdruck von Neugier, der ungefähr besagt: Ich bin doch gespannt, wie sich der andere benehmen wird, wenn ich ihn jetzt am Genick packe und auf die Erde haue! Aber, die Weiblichkeit des Räubers irritierte ihn doch. Er sah mich flüchtig fragend an: »Scheußliche Situation, was und kroch dann verbittert unter die Kommode, von wo er die ganze Zeit über nicht mehr zum Vorschein kam.

Eines Tages klingelte dann das Telefon — es war soweit! Der Ort der Hochzeit lag hundert Kilometer entfernt. Während ich den Wagen fertigmachte, wurde Cocki, der gerade vom Ausräumen einer benachbarten Mülltonne zurückkehrte und in das Innere der Tonne offenbar auf dem Weg über einen Schlackenhaufen gelangt war, eingefangen und gebadet. Für ihn ein wahrhaft entsetzliches Erlebnis. Anschließend wurde er gründlich entfloht und entlaust.

Es vergingen fünf Monate, und dann fanden wir, von einer Reise heimkehrend, eine Karte der Schwiegermutter vor, daß wir ihr doch einen Besuch abstatten möchten. Der >glückliche Vater<, so hieß es auf der Karte bedeutungsvoll, sei mitzubringen, da es ihn vielleicht interessiere, seine Kinder kennenzulernen. Wieder wurde telefoniert, wieder wurde Cocki — zwar nicht gebadet, doch entfloht, gekämmt und dann unter besonderen Vorsichtsmaßregeln verladen.

Das Haus der Schwiegermutter — ich vergaß das zu erwähnen — liegt mitten im Zentrum eines großen Gebirgskurortes. Es hat drei Stockwerke und einen kleinen Garten. Im obersten Stockwerk wohnt die Schwiegermutter, die anderen sind an allerhand lustiges, junges Volk, hauptsächlich zigarettenrauchende und grammophonspielende Sekretärinnen, vermietet. Als wir vor dem Haus hielten, hingen zwei dieser jungen Damen aus ihren Fenstern und flatterten, als wir uns aus unserem kleinen Wagen schälten, an die Eingangstür.

»Dürfen wir mitkommen fragte die eine mit dem großen lustigen Mund und den braunen Augen. »Wir möchten so gern sehen, was er zu dem Schwung sagt

»Was für ein Schwung?«

Sie bekam darauf einen Stoß in die Rippen von ihrer nicht minder hübschen Hausgenossin: »Du sollst doch vorher nichts verraten

Und dann erschien Schwiegermutter an der Tür (übrigens eine nette, resolute Offizierswitwe anfangs der Dreißigerjahre), und an ihr vorbei schoß Jenny auf Cocki zu.

Er leckte Jenny einmal unverbindlich hinterm Ohr, visierte sie mit der Kürze und Sachlichkeit eines Frauenarztes und wuchtete dann an ihr vorbei die Treppe hinauf, offensichtlich völlig auf Fressen eingestellt. Wie üblich wurden seine Erwartungen nicht enttäuscht, denn bereits im ersten Stock wurde er nacheinander in sämtliche Zimmer gelockt und dort verwöhnt.

Wir indessen stiegen erwartungsvoll in den obersten Stock, wobei ich nicht umhin konnte zu konstatieren, daß die adrette Offizierswitwe einen bleichen und leicht vergrämten Eindruck machte und daß bei Annäherung an ihre Wohnung eine Geruchsmischung bemerkbar wurde, die Uneingeweihte dahin analysiert hätten, daß man ungereinigte Windeln in einer Zirkusmanege aufgehäuft habe.

Beim Betreten der Wohnung verstärkte sich diese Geruchsmischung orkanartig, und gleichzeitig wurden wir zur Vorsicht beim Niedersetzen der Füße gemahnt. Das war bei mir nicht nötig, denn ein quabbliges, weißes Etwas, anderthalb Hand in der Länge und mit so langen Ohren, daß es sich beim Anmarsch darauf trat, stürzte sich auf meinen linken Schuh und machte sich — offenbar im Akkord arbeitend — daran, meine Senkel aufzuziehen, respektive dort, wo es ihm nicht gelang, abzureißen. Ein weiteres Etwas saß, als uns die Tür zum Salon geöffnet wurde, mitten auf dem Teppich und machte einen See.

»Ein Weibchen offenbar«, sagte ich, da man doch irgend etwas sagen mußte.

»Nein, ein Rüde«, sagte die Offizierswitwe mit ihrer tiefen Stimme. »Das Beinheben lernen sie erst später, aber hoffentlich nicht mehr bei mir! Eigentlich sollten sie da drin bleiben — Ihr Finger wies in den angrenzenden Wintergarten, der mit einem Brett zur Hälfte abgeteilt war. Innerhalb dieses Brettes ging es ganz professionell und züchterisch zu, mit eingestreutem Sand, Wasser und Futternäpfen und einigen Lumpen. In diesem Gehege aber saß nur ein braunweißes Klümpchen und kaute mit tiefen Sorgenfalten an einem alten Pantoffel.

»Die übrige Bande«, sagte die sonore Stimme neben mir, »ist schon wieder unterwegs. Springercocker, ganz der Papa!«

»Um Gottes willen, der schöne Teppich rief meine Gefährtin.

»Na, na«, sagte die dunkle Stimme, »keine Höflichkeiten! — Den guten habe ich weggetan, dies ist ein alter, den ich eigentlich verkaufen wollte. Die Fransen sind schon abgefressen — werdet ihr wohl und damit stürzte sie sich auf einen Dreier-Klub, bestehend aus einem kohlschwarzen, dicken Pummel, einem schlankeren Weißen mit einem braunen und einem weißen Ohr und einem durchweg schwarzweiß gefleckten Exemplar. Alle drei versuchten einen Schuh der Hausherrin mit wütendem Geknurr nach drei verschiedenen Seiten zu bewegen, was keineswegs zum Vorteil der Fußbekleidung war. Sie wurde ihnen entrissen, der eine entkam mit einer abgerissenen Schnalle unter den Diwan, die beiden anderen wurden am Kragen genommen und in die Kiste befördert. Dort ging der dicke Schwarze in die Kniebeuge, während der Schwarzweiße sich an der Zerlegung des Pantoffels beteiligte.

»Sehen Sie«, sagte die Schwiegermutter beglückt, »der Schwarze ist der intelligenteste, er fängt schon an sauber zu werden...«

»Wie viele sind es denn fragte ich vorsichtig.

»Acht Stück, sechs davon leben

Traditionsgemäß wurde uns ein Rüde des Wurfes als Deckhonorar angeboten, wir aber lehnten in schuldbewußter Großmut ab. Eine halbe Stunde noch tätschelten wir die dicken Kinderbäuche, ließen nadelscharfe Zähnchen an unsern Fingern knabbeln, zeigten uns entzückt über das dünne Welpenbellen und die Lustschreie unserer Enkel, dann holten wir Cocki. Er hatte sich inzwischen mit Kuchen und allem möglichen so vollgefressen, daß er nur noch wankte, bestand aber trotzdem darauf, einen Kotelettknochen mit in den Wagen zu nehmen. Wenn er rülpste, fiel er ihm aus dem Maul, wurde aber sofort wieder ergriffen und knurrend bewacht. Dann fuhren wir heim, voller Dankbarkeit, daß wir keine Hündin hatten...

Die zweite große Macht, die neben der Liebe Cocki beherrscht, ist der Hunger oder besser gesagt: die Sorge ums Fressen, woraus klar hervorgeht, daß sich die Grundlage seiner seelischen Konstruktion nicht allzusehr von der der menschlichen unterscheidet.

Cocki ist, wie ich schon erzählte, ein starker, ein praktisch unbegrenzter Fresser und in der Auswahl der Qualität von einer beispiellosen Unbekümmertheit, was ihm den Beinamen >Der Müllschlucker eingebracht hat. Damit will ich aber nicht etwa sagen, daß wir zu jener Sorte von Tierfreunden gehören, die verdorbene Speisen ihrem Hund geben und ihn als eine Art lebenden Abfalleimer benutzen. Das Fressen, das er bei uns vorgesetzt bekommt, ist einfach, nahrhaft und sauber. Es wird für ihn zubereitet. Cocki aber versteht es, dieses einmalige, ausgiebige mittägliche Fressen gewissermaßen nur zum Mittelpunkt einer sich durch den ganzen übrigen Tag erstreckenden Speisenfolge zu machen. Unter den Hunden gibt es genauso viele verschiedene Typen von Fressern wie unter den Menschen. Bei den Menschen gibt es den schmatzenden Lustfresser und — auf der anderen Seite der Skala — den gelangweilten Herumstocherer, dazwischen den neidischen Esser, dessen Augen angstvoll in die Runde gehen, ob nicht ein anderer vielleicht mehr oder das bessere Stück erwischt hat, den gedankenlosen Esser, der dabei die Zeitung liest, und dazwischen viele andere Typen.

Auch bei den Hunden gibt es den Mäkelfritzen, der zunächst angewidert vor dem Napf zurückweicht und sich nur zögernd überreden läßt, etwas zu nehmen; dann den Genießer, der den Kalbsknochen zunächst beleckt und zärtlich ansieht und in den Pfoten hält, bevor er das Zermalmungswerk beginnt. Cocki aber würde ich in die Klasse der Berufsfresser einrangieren.

Sorgenvoll und gründlich besorgt er dieses notwendige Geschäft. Während des Fressens wird nicht aufgeguckt, nicht rechts und links geschaut, nur, wenn sich ein anderer Hund nähert, sieht er ihn von unten her mit blutunterlaufenen Augen an, und zum Bild des gereizten Bullen fehlen nur noch die Hörner. Es wäre undenkbar, daß Cocki sein Fressen einem Stärkeren überließe. Ich glaube, er würde für einen alten, stinkigen Knochen oder eine Käserinde sterben, ganz zu schweigen von seinem Mittagsnapf. Der Mittagsnapf, da wir gerade davon sprechen, wird in Rekordgeschwindigkeit von der dicken Zunge eingelöffelt. Die Ohren dienen dazu, die Brühe umzurühren, und sind hinterher entsprechend garniert. Der harmlose Gast, der das liebe Hündchen, weil es so brav gefressen hat, auf seinen Schoß einlädt, merkt das dann später... Wenn möglich, stecken wir Cockis Riesenohren durchs Halsband, damit sie sauber bleiben.

Nach dem Mittagessen erwacht übrigens häufig die Vorstellung, daß man nun ein Dessert nachschieben müsse. In diesem Punkt hat Cocki seinen eigenen Geschmack. Ich entsinne mich noch deutlich der Entrüstung der Familie, als wir ihm im ersten Jahr zur Winterszeit ein besonders gutes und reichliches Fressen vorsetzten. Mit schwankendem Bauch watschelte er daraufhin, laut rülpsend, in den tief verschneiten Garten und verschlang als Nachtisch eine tote gefrorene Maus...

Die erste Unternehmung auf dem Gebiet des Fressens findet schon am frühen Morgen statt. Da werden zuerst die Mülltonnen der umliegenden Häuser revidiert. Es gibt da einige Käsereste und Schalen vom letzten Abendbrot, an einer anderen Stelle einen Knochen oder, wenn man besonderes Glück hat, sogar zähes Fleisch, das die Menschen verschmähten, und manchmal fängt man auch, auf einem flüchtigen Abstecher aufs Feld, eine Maus oder gräbt schnell eine Maulwurfsfamilie aus. Aber — wie erwähnt — man muß sich hierbei sehr beeilen, denn sonst versäumt man die Welle der Frühstückshäppchen.

Die ersten häuslichen Häppchen erbt Cocki bei Mathilde in der Küche. Es ist seltsam, aber bei sämtlichen Mädchen, die in unserem Hause wirkten, ob sie nun Rosa, Lene, Maria oder Mathilde hießen, war Cocki der Liebling. Diese auffällig übereinstimmende Bevorzugung hat meiner Ansicht nach erotische Gründe. Seine stämmige Männlichkeit und brutale Zudringlichkeit kommen offenbar den Wunschträumen unserer Küchenfeen am weitesten entgegen. Jedenfalls erbt er, trotz des von der Frau des Hauses erlassenen strengen Verbotes, ein paar Wurstpellen, vielleicht auch einige Schnitten Butterbrot oder ein paar Brotrinden.

Der nächste Weg führt ihn zu meiner Mama, die mit uns lebt. Die alte Dame, wieselhurtig und nie ermüdend trotz ihres biblischen Alters, hatte stets ein weit offenes Herz für alles Junge. Da ihre Kinder sich allmählich mauserten und aus dem Zustand des Trockenlegens und des ersten Schulbesuches herausgewachsen sind, haben die Tiere jenen Ehrenplatz in ihrem Herzen eingenommen, der in jedem Mutterherzen für das schöne Alter der tolpatschigen Jugend und naiven Lausbübereien reserviert bleibt. Wenn ich am Zimmer der Mutter vorbei ins Bad gehe, höre ich immer die gleichen Ansprachen: »Ach Gott — nein, dieser Hunger schon wieder! Und diese Augen! Cocki, geh weg mit deinen Schmutzpfoten — mein armer Junge, hier nimm — da hast du noch was, aber sag’s nicht Frauchen — Frauchen schimpft

Derweilen ist es schon Zeit zum dritten Frühstück, das traditionsgemäß auf dem Teewagen an Frauchens Bett serviert wird. Unweigerlich erscheint Cocki im Gefolge des Teewagens und nimmt seinen Platz unter ihm ein. Hier zeigen sich die zarten Übergänge in seiner Seele am deutlichsten. Während er mich eben noch liebevoll betatzt und sich vor mir lachend auf dem Rücken gewälzt hat, verwandelt er sich dreißig Sekunden später in ein zähnefletschendes, giftiges Ungeheuer, das seinen Fraß verteidigt. Wenn ich mir meinen Stuhl heranrücke, brüllt er mich in der gröbsten Weise an; und mitunter, wenn er ganz schlechte Laune hat, schnappt er sogar, falls man es wagt, unter den Teewagen zu greifen und ihm die Schnauze zuzuhalten, weil er nicht aufhört zu bellen und man sich auch mal in Ruhe unterhalten möchte. Dann löst sich die Frühstücksgesellschaft auf, und jeder geht an sein Tagewerk. Der Wagen der Verheißung wird weggerollt. Geschieht das nicht sofort, und er bleibt unbeaufsichtigt stehen, so muß man darauf gefaßt sein, daß Cocki mit der Geschwindigkeit eines Taschenspielers die übrigen Brötchen verschwinden läßt. Auch ist er imstande, innerhalb weniger Sekunden den Inhalt einer Aufschnittschüssel einzuatmen. Schafft er nicht alles mit einem einzigen Ruck, so zieht er sich mit dem Rest unter die Kommode in der Halle zurück, die eine seiner Zufluchten ist. Wenn sie mal von Zeit zu Zeit abgerückt wird, weil ihr ein verdächtiger Geruch entquillt, so finden wir dort eine reichhaltige Sammlung von Speiseresten und halbzernagten alten Knochen, die er von Gott weiß woher zusammengetragen hat.

Am späteren Vormittag erfolgt dann der mittägliche Visitationsgang in die Umgebung. Dieser bringt unter Umständen hervorragende Ergebnisse: Nahe dem Bahnhof liegt ein Gartenlokal, das ein Hirschgeweih über der Pforte zeigt und demzufolge auch den Titel >Zum Hirschen< führt. Eines Abends ging ich dorthin, um mir eine Kanne Bier zu holen. Cocki war mitgewatschelt und kam in der Gaststube sofort zur Sache, indem er sich der Reihe nach neben die verschiedenen Gäste setzte und durch den schwärmerisch-leidenden Ausdruck seiner Augen andeutete, daß er in den letzten drei Monaten nichts mehr zu fressen bekommen habe und nunmehr am Rande der Verzweiflung stehe.

»Ach, da ist ja der Cocki rief die dicke Wirtin aus.

»Woher kennen Sie ihn denn fragte ich.

»Aber den Cocki werden wir doch kennen — wurde mir mit Entrüstung geantwortet. »Er kommt doch jeden Tag vorbei und schaut, ob’s was gibt. Sehen Sie doch mal nach, Zenzi...«, rief sie über die Achsel der drallen Schenkkellnerin zu, »wir müssen da noch so ein paar Kalbsknöchelchen haben

Ich fühlte mich daraufhin veranlaßt, eine Runde Schnaps für die Wirtin und mich zu bestellen, was ihrerseits eine erhöhte Vertraulichkeit auslöste.

»Wissen Sie«, sagte sie, »er ist ein so liebes Hunderl und so schlau! Neulich hatten wir Kalbsfilet auf der Speisekarte, wir hatten’s im Eisschrank, und die Zenzi hat einen Moment die Tür aufgelassen — und was soll ich Ihnen sagen? Wie wir uns umschauen, geht der Cocki mit dem Kalbsfilet um die Ecke

»Um Gottes willen sagte ich und rechnete mir schnell aus, was so ein komplettes Kalbsfilet für zehn bis zwölf Personen in Schadenersatz umgerechnet kosten könne. »Ich werde ihm eine Tracht Prügel geben«, erklärte ich, fest entschlossen, es nie zu tun, weil es sowieso zu spät war.

Eine umfangreiche Wirtinnenhand legte sich protestierend auf meinen Ärmel: »Aber geh’ns, Herr Doktor, das werd’n Sie uns doch net antun! Um Gottes willen, nein, wir haben doch so gelacht über das Hunderl und haben’s von der Speisekarte abgesetzt...« Worauf ich noch eine Runde Schnaps bestellte und mit Hund und Bierkanne möglichst rasch das Weite suchte...

Aber außer Liebe und Fressen gibt es noch andere Mächte in Cocki! Das ist zum Beispiel seine Stellung zum Menschen.

Cocki ist — wie gesagt — das, was man einen Hundehund nennt! Er geht nicht bei Fuß, er kriecht in den seltensten Fällen ins Bett, und dann nur ganz kurz, wenn ihm mal besonders kalt ist. Er kommt und geht, wann er will. Aber alles, was an Zuneigung und Liebe zum Menschen in ihm ist, hat er allmählich auf ein einziges Wesen konzentriert, und das ist — nach einem anfänglichen Seitensprung mit mir — sein Frauchen! Sie ist die einzige, die mit ihm machen kann, was sie will. Sie kann ihm den schönsten Knochen aus dem Maul nehmen, sie kann ihn am Fell hochheben und wie einen Ball wieder auf die Erde plumpsen lassen, er findet alles großartig und lacht aus voller Kehle, solange es von ihrer Hand kommt. Auch Ohrfeigen und Popohaue nimmt er ohne Knurren hin.

Unter Frauchens Bett ist seine Höhle. Sooft er zu Hause ist, kriecht er, wenn die Tür zum Zimmer geöffnet ist, ohne Säumen unter ihr niedriges Bett. Dort unten wird geschlafen, gedöst, gefressen, und vor allem wird von dort jeder vorübergehende Stiefel, jeder Besen, jedes Bein wütend angefaucht. An Tagen, an denen er schlechter Laune ist, vereitelt sein Gebrüll jede Unterhaltung in Frauchens Zimmer. Manchmal gelingt es, ihn zu überrumpeln, ihm die Schnauze festzuhalten und ihn schnell unter dem Bett hervorzuziehen. Das ist aber immer eine gefährliche Sache, und man muß dabei gefaßt sein, daß man einen seiner mörderischen Bisse abbekommt. Es gibt ein viel einfacheres Mittel, wenn es auch einige Kraftanstrengung erfordert: Man hebt nämlich das Bett an der einen Seite hoch. Sobald sich die Decke über ihm lüftet, verschwindet der Höhlenkomplex, und das zähnefletschende Ungeheuer verwandelt sich sofort in einen zahmen und unansehnlichen Hund, der verlegen hervorkommt und abmarschiert.

Vor allem aber wenn Frauchen krank ist, weicht er nicht von ihrer Seite. Hundertmal am Tage richtet er sich neben ihr auf, legt die Tatzen auf ihre Brust und küßt sie. Muß er aufs Gäßchen, stürmt er bald wieder ins Haus zurück, und man hört ihn im Eiltempo die Treppe herauf rasen, um sich wieder vor dem Bett hinzuwerfen und Frauchen anzuhimmeln. Manchmal springt er auch aufs Bett, obwohl ihm, dem harten Fighter, das weiche Daunenzeug unsympathisch ist, und verdöst dort Stunde um Stunde...

Mitunter ist diese Liebe unbequem. Einmal wurde Frauchen im Bad ohnmächtig. Man mußte sie ins Bett tragen. Wie ein Schatten sprang Cocki auf ihre Brust und lag dort, ein zähnefletschendes Ungeheuer, dem sich niemand nähern konnte. Weder Mutter noch Mann noch Arzt bekamen es fertig, sein Vierzig-Pfund-Gewicht von der schweratmenden Kranken fortzuschaffen. Schließlich mußte man ihm eine Decke über den Kopf werfen und den sich wie toll Gebärdenden aus dem Zimmer schleppen...

All sein Heldentum und sein kämpferischer Geist fallen jedoch in höchst komischer Weise wie eine angestochene Gummiblase in sich zusammen, sobald sich ein Insekt nähert. Ein harmloser dicker Brummer genügt, um ihn unter den Schreibtisch zu jagen; und gar ein surrender Maikäfer schlägt ihn in panische Flucht.

Sobald aber die ihm begegnenden Tiere größer werden und zum Beispiel die Form einer Eidechse annehmen, schwindet diese Furcht wieder. Unsere schönen grünen Eidechsen, an denen wir uns Jahre hindurch freuten, hat er aus dem Garten vertrieben, indem er nach ihnen jagte. Mäuse und Ratten jagt er erbarmungslos, ebenso Katzen. Er kümmert sich nicht um ihre Krallenhiebe und Bisse, und wehe derjenigen, die sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen kann.

Mit Hunden prügelt er sich selten, aber wenn es nicht anders geht, steht er seinen Mann. Einmal allerdings wäre es beinahe um ihn geschehen gewesen: Ein riesiger Boxer kam in unseren Garten, und da wir gewohnt sind, daß Cocki noch andere Spielgefährten mitbringt, achteten wir nicht auf ihn. Gewöhnlich benehmen sich außerdem Hunde auf fremden Grundstücken mit der Zurückhaltung des Gastes. Dieser Boxer aber war offenbar nicht als Gast, sondern mit einer bösen Absicht hereingekommen und stürzte sich sofort auf Cocki. Er packte ihn mit einem kundigen Biß oben ins Genick, hielt ihn in den Fängen und schlug das schwere, hilflose Tier wie einen Lappen auf die Steine des Weges. Das spielte sich völlig lautlos und in Sekundenschnelle ab. Ich schlief gerade und kam zu spät, denn inzwischen hatten sich schon meine Frau und das Mädchen vergeblich bemüht, den rasenden Boxer von seiner Beute loszubringen. Zwei Stöcke waren bereits auf seinem Rücken zerbrochen, und Cocki stieß plötzlich in greller Todesangst einen Schrei aus, den man nie vorher und seitdem niemals wieder von ihm gehört hat. Eine Telegrafenarbeiter, der zu Hilfe eilte, kam schließlich auf den Einfall, einen Eimer Wasser so gegen den Boxer zu schütten, daß ihm der ganze Schwapp in den offenen Schlund geriet und er anfing, zu ersticken. Da endlich ließ er los! Cocki kroch auf allen vieren unter einen Strauch und lag dort wimmernd bis zum Abend. Nichts konnte ihn aus seiner Deckung hervorzaubern. Es dauerte drei Tage, bis er wieder der alte war, denn anscheinend hatte er innere Verletzungen erlitten...

Seitdem geht er den Boxern aus dem Weg. Mit allen anderen Hunden ist er gut Freund, besonders mit den großen. Wir treffen ihn mitunter, wie er inmitten streunender Rudel von Schäferhunden und Doggen, krummbeinig und mit wehenden Behängen, schief dahintrabt, offenbar als gleichberechtigtes Mitglied in den Verein der Großen aufgenommen.

Im Straßenverkehr ist er sehr vorsichtig, seitdem er einmal überfahren wurde. Ein schwerer Personenwagen fuhr mit zwei Rädern über ihn hinweg, ohne daß er dabei bemerkenswerten Schaden erlitt. Sein muskelbepackter, geschmeidiger Körper federte offenbar den furchtbaren Drude ab, er wurde zur Seite geschleudert, und außer ein paar Prellungen geschah ihm nichts. Seitdem aber schaut er gewissenhaft nach rechts und nach links, bevor er eine Fahrstraße überquert, und weiß die Geschwindigkeit der Fahrzeuge genau abzuschätzen. Er riskiert nichts und ist auch hier genauso zielbewußt und businesslike wie sonst in seinem Leben.