Verfolgung

Die nächste Woche brachte eine totale innerpolitische Umwälzung: waren es bisher Cocki und Peter, die unter Weffi litten und sich—durch ihn von uns abgedrängt—in dumpfe Hundehaftigkeit geflüchtet hatten, so wurde nunmehr Weffi in die Defensive gezwungen.

Am nächsten Morgen beim Frühstück brüllte Cocki den Kleinen aus seiner Höhle unter Frauchens Bett mit derartiger Wut an, daß er verdattert vor dem Teewagen stehenblieb. Dann kam Peter herein. Aber es war ein anderer Peter als bisher. Es war ein Peter, der Weffi besiegt und beinahe gemordet hatte, ein siegesgewisser, scharfer Hemd, der sein rotbraunes Schmutzbärtchen mit gefletschten Hauern an Weffis dumme Struppelschnute drängte und ihn dann mit einem dumpfen Röhren seinen Rücken herausfordernd unter dem Hals entlangzog. Weffi sah mich hilflos an: »Was ist schon wieder los? Was habe ich denn getan Er machte Miene, auf meinen Schoß zu springen; aber da ertönte wieder Peters merkwürdiges, siegessicheres und dumpfes Knurren, das wir nie .zuvor von ihm gehört hatten, und gleichzeitig quetschte sich der kleine Löwe unter dem Bett hervor und wogte gegen Weffi heran.

»Schnell, bring Weffi ‘raus rief Frauchen aus dem Bett.

»Zu spät, sie würden sich beide in ihn verbeißen, wenn ich ihn jetzt hochnähme, laß mal...«

Wir schwiegen mit angehaltenem Atem. Weffi sah sich einmal nach Peter und einmal nach Cocki um, dann begann er mit den Vorderbeinchen zu zittern, nicht vor Angst, sondern vor Erregung. Und dann drehte er seine Knurre an, machte ganz langsam kehrt und ging aus dem Zimmer. Draußen vor dem Badezimmer blieb er stehen, traurig, mit hängendem Kopf, sah noch eine Weile in das Zimmer hinein, wie Adam in das verlorene Paradies, und verschwand dann in mein Zimmer. Ich hörte, wie er drinnen auf meine Couch sprang. Die beiden anderen postierten sich rechts und links neben mich, Peter machte Männchen, Cocki ließ die Ohren nach hinten hängen und wurde schmelzende Sanftmut.

»Pfui«, sagte ich, »ihr habt euer Brüderchen verjagt

Der Dicke richtete sich an mir hoch, legte mir die Tatze auf den Arm und zwinkerte mir zu: »Laß doch, jetzt sind wir wieder unter uns, es ist ganz so wie früher...«

Ich seufzte, streichelte dann den Kopf des kleinen Löwen, fuhr Peterchen über die eisengraue Locke.

»Was machen wir bloß fragte mich meine Gefährtin: »Man kann diesen beiden Kerlen doch nicht böse sein. Von ihrem Standpunkt aus haben sie sogar recht. Es ist unsere Schuld

»Ja, vielleicht war es wirklich ein Fehler, Weffi zu nehmen, sie sind zu ungleich

»Andererseits«, sagte ich, »ist Klein Weffchen der einzige Menschenhund unter den dreien, und wenn man bedenkt...« Im Nebenraum klingelte das Telefon. Es war Wladimir, das Herrchen des Riesenpudels Titus. Titus war der größte und gleichzeitig der schönste Pudel, den ich je getroffen habe. Eigentlich hatte er zwei Herrchen, nämlich Wladimir und Alexej, zwei gut aussehende Männer über fünfzig. Russische Altemigranten. Der Sturz des Zaren schwemmte sie und ihre Familien, soviel davon noch am Leben war, aus der Heimat. Sie gehörten zu der ersten Welle der Emigranten, die damals, wie leider nicht verstandene Sturmzeichen für das Bürgertum, in allen westlichen Ländern auftauchten. Wladimir und Alexej sind Freunde aus Kindertagen. Sie blieben auch in den mm folgenden bitteren Jahren zusammen. Die Hauptlast des Erwerbslebens lag auf Wladimirs Schultern, denn seine Kenntnisse aus der Lederbranche und ein paar gerettete Juwelen Alexej s bildeten den Grundstock der großen Lederfirma, deren Chefs sie heute sind. Es gab viele hitzige Auseinandersetzungen zwischen ihnen in all den Jahren, aber das Band der alten Freundschaft war zäher als alle Belastungsproben: kein geschäftlicher Mißerfolg, keine schlechte Lärme und keine Frauengeschichte konnten es zerreißen. Seit mehr als zehn Jahren gehört das sonderbare Gespann zu unsern engsten Freunden. Wir waren gewohnt, alle ihre Freuden und Sorgen zu teilen und als Beichtväter in Zeiten der Zerwürfnisse ihre gegenseitigen Beschwerden entgegenzunehmen. Vor zwei Jahren etwa, nach einem Riesenkrach und einer ebenso riesigen Versöhnung, kamen die beiden nun auf eine seltsame Idee: sie kauften sich einen Hund, den schwarzen Pudel Titus, als Zeichen der ewigen Versöhnung!

»Wir haben geschworen, daß wir ihn weggeben, wenn wir uns je zerstreiten — das soll uns beiden Hitzköpfe zurückhalten

Und dieses lebendige Symbol des freundschaftlichen Friedens, dieser Titus, war der schönste Pudel, den ich je gesehen, und gab auf Frauchens Seite Anlaß zu langen und melancholischen Betrachtungen über das, was aus Peterchen hätte werden können, wenn nicht der blinde Foxl vor der Hochzeitsnacht...

Das Leben aber zeigte sich wieder einmal stärker als alle guten Vorsätze: vor wenigen Wochen gab es zwischen den beiden Männern, die gemeinsam einen großzügigen Junggesellenhaushalt führten, wieder einen Riesenkrach, einen besonders schlimmen sogar. Böse Worte fielen, die weit in die Vergangenheit zurückreichten. Man riß sich aus der intimen Kenntnis der empfindlichsten Stellen gegenseitig Wunden, wie das eben nur ein Paar tun kann, in der Ehe oder in der Freundschaft. Alexej erklärte das Zusammenleben für aufgelöst und ließ seine Möbel verladen. Mit der unheilvoll-kalten Höflichkeit, die nun zwischen den beiden herrschte, hatten sie sich darüber geeinigt, daß natürlich auch Titus — ihrem Eide gemäß — abgeschafft werden müsse.

Sie boten ihn uns an, aber wir winkten ab, so schwer es uns auch fiel. Dafür gaben wir ihnen die Adresse eines adligen Fräuleins, das zweihundert Kilometer entfernt in einem Häuschen auf dem Lande lebte und eine erprobte Tierfreundin war. Die beiden schrieben ihr liebenswürdige Briefe und schickten ihr das Reisegeld. Als sie ankam und die Abschiedsstunde für Titus schlug, brachen Alexej und Wladimir zusammen, sanken sich in die Arme und beschlossen, sich wieder zu vertragen. Sie kauften dem verdutzten Fräulein zusammen eine kostbare Handtasche, einen großen Kasten Konfekt und einen noch größeren Rosenstrauß, setzten sie auf die Bahn und schickten sie — allein — wieder nach Hause. Dann rückten sie — zu dritt — wieder bei uns an. »Ich habbe ihm verrrziehen, dem Strrrrolch sagte Wladimir auf Alexej zeigend, »aber nurrr wegen Hund!« Wladimir wandte sich an den aufmerksamen Titus: »Du hast mich gekostet grraue Haare und Verrrsöhnung mit diese Parrrasit, komm, gib Kuß

Das war erst vor einigen Tagen. Weffi war schon bei uns. Cocki und Peter tobten so über den Besuch von Titus, daß wir sie wegsperren mußten. Weffi dagegen begann auf das niedlichste mit dem Gast zu spielen, während wir zu viert im Garten Kaffee tranken.

Erst standen sich die beiden Tiere schwarz-weiß, steif wie zwei Holzpferde, gegenüber. Dann sprangen sie mit kurzen, ruckartigen Bewegungen, Schnauze gegen Schnauze, umeinander herum, und plötzlich schlossen sie den großen Freundschaftsbund und flogen Seite an Seite, sich mit den Schultern berührend, über den Rasen dahin. Weffi kläffte nicht, er richtete sich nur manchmal, während die kurzen Schwänzchen der beiden Hunde wie Uhrwerke hin und her pendelten, an dem Großen hoch und sagte ihm »Wa-wawawa«, ein neckisches Geständnis seiner Liebe, ins Ohr. Titus verdrehte die Augen, die so an Peter erinnerten, schlüpfte zur Seite und legte dann Weffi seine Arme um den Hals. Es war ein immerwährendes Spielen und Kosen um uns herum, und erst nach einer langen Weile fiel uns auf, daß unser Gespräch versiegt war und wir nur mehr die beiden beobachteten. Ich sah mir die Gesichter der alten Freunde an, die das Leben gezeichnet und hart gemacht hatte. Sie waren jetzt von einem inneren Feuer, von einer milden Glut erleuchtet, befreit, erlöst... Und nun rief Wladimir an, unerwartet früh für seine Verhältnisse. Ich fragte ins Telefon:

»Du, Wladimir? Ist was geschehen

»Eeentschuldige«, sagte die Stimme, »daß ich euch sozusagen in der Nacht störe (bei den Russen fängt der Tag erst spät an), aber könnt ihr mich heute gebrauchen

»Natürlich! Kummer?«

»Sehrrrr!«

»Habt ihr euch schon wieder verkracht

»Nein...«

»Gut, komm und bring Titus mit

Im Hörer war einen Moment Schweigen, dann Wladimirs Stimme, leise und heiser: »Titus tottt. Stuttgarter Seuche. Gestern nacht — darf ich kommen

»Titus — um Gottes willen! Also, komm schnell! Und was ist mit Alexej

»Unmöglich, ich werde errrzählen

Schweigend legte ich den Hörer auf, und mein Blick traf Weffi, der sich auf der Couch zusammengekringelt hatte, mich traurig ansah und ein paarmal schüchtern wedelte.

»Was ist denn los fragte Frauchens Stimme aus dem Nebenzimmer. Ich nahm Weffi, setzte mich zu ihr, das kleine weiße Pferd auf dem Schoß: »Titus ist tot

»Nein!«

»Doch, Wladimir kommt her

»Natürlich! Aber — wie ist denn das passiert

»Stuttgarter...«

Und dann schwiegen wir beide und sahen Weffi an, während der gleiche Gedanke in uns keimte.

»Vielleicht ist das ein Wink des Schicksals«, sagte Frauchen, »Alexej liebt doch Weffi so, und er ist ihm gleich auf den Schoß gehopst, als sie letzte Woche hier waren...«

Ich drückte das kleine weiße Bündel an mich und erwiderte leise: »Vielleicht — wollen sehen...«

Eine halbe Stunde später war Wladimir da, mit Alexej im Schlepptau. Der war total betrunken und wurde in einen Sessel gelehnt. Er sah plötzlich so alt aus... Wladimir begann zu erzählen, wie es gekommen war. Cocki und Peter erschienen, berochen die Hosenbeine der beiden, schnüffelten auf den Tisch, der aber nur Flaschen und Gläser trug. Dann gingen sie wieder weg. An der Tür gab es eine kurze und gefährliche Knurrerei gegen Weffi, der ins Zimmer wollte. Ich schimpfte, worauf sich der Knäuel auflöste. Weffi richtete sich zunächst an Alexej hoch, der kam halb wieder zu sich, streichelte ihm den Kopf und murmelte: »Titus...« Dann erschrak er, riß die Augen auf, machte sie aber, als er Weffi sah, schnell wieder zu. Dafür lief ihm je eine Träne aus jedem Auge.

Jetzt schluchzte auch Wladimir auf (Russen weinen leicht), worauf Weffi ihm auf den Schoß sprang und ihm ein Küßchen gab. Wladimir drückte ihn an sich:

»Ach, meine Hund, kleines liebes! Könnte ich dir doch mitnehmen, du würrde mir sein grrroße Trrrrost

Das war der Augenblick! Mein Herz begann plötzlich unsinnig zu schlagen, ich starrte Frauchen an, sie war blaß, machte den Mund auf und klappte ihn wieder zu, ohne etwas gesagt zu haben. Dafür starrte sie mich jammervoll an: sag du’s!

Ich räusperte mich: »Nun — ahem — wenn es euch tröstet — hm — nehmt ihn doch mit, ich meine...« Wladimir stand auf, wobei sich Weffi gerade noch durch einen Sprung von seinem Schoß in Sicherheit bringen konnte, kam auf mich zu, umarmte mich in einer Wolke von Alkohol und küßte mich auf beide Wangen (Russen küssen gern andere Männer): »Ich werrrrde dir das nie vergessen! Aberrr — sieh, man gewöhnt sich so leicht an so eine liebe Herrr, und wenn man muß es dann wieder herrgebben, weil du dich doch niemals von eine von die drei kleine Bursche trrrennen würrrdest, dann tutt doppelt weh, glaub mirrr!«

Ich errötete, als hätte ich eine Backpfeife bekommen. Vielleicht hatte ich auch eine bekommen. Mit einem kurzen Seitenblick stellte ich mit Genugtuung fest, daß auch Frauchen errötet war. Eine Weile war es ganz still, und in dieser Stille hörte man Alexejs Schnarchen.

»Was machen wir mit ihm flüsterte ich. »Das beste ist, wir bringen ihn zu Bett und geben ihm noch ein Schlafpulver

Mit dem sechsten Sinn und der leicht verletzlichen Ehre aller wahrhaft Betrunkenen war Alexej sofort wieder hoch, stand steil auf, marschierte wie ein Ladestock, verächtliche Blicke um sich werfend, an uns vorbei, ins Treppenhaus hinunter, ließ sich von der vor seiner Männlichkeit dahinschmelzenden Mathilde den Hut reichen, drückte ihr zwanzig Mark in die Hand (»Kauffen Sie Wurst für Hündchen!«) und stieg in den Wagen. Wir waren ihm nachgerannt und sahen, daß es dort im Innern einiges Durcheinander gab. Cocki und Peter hatten nämlich schon den Wagen geentert, und der Dicke hatte ihn sofort zu seiner >Höhle< ernannt und kläffte wütend in alle Richtungen.

»Du kannst sie so unmöglich fahren lassen...«, flüsterte mir Frauchen zu.

»Komm«, sagte ich laut, »gib mir den Schlüssel, Wladimir, ich bringe euch natürlich nach Hause

»Aberrr, gutte Freund, ich kann sehrrr gut fahrren...«

»Natürlich, das weiß ich, daß du sehr gut fahren kannst; aber es gibt andere, dumme Fahrer, und wenn du mit ihnen zusammenstößt, und man mißt den Alkohol in deinem Blut...«

Wir fuhren jedoch nicht heim, sondern zunächst in die Lieblingsbar der beiden. Es war dort am frühen Mittag nicht viel los, ein griesgrämiger russischer Kellner nahm für uns ein paar Stühle vom Tisch, Alexej bestellte Schaschlik und verteilte es an die Hunde. Um elf Uhr nachts (ich hatte inzwischen viermal mit zu Hause telefoniert), als wir nach längerer Rundreise gerade wieder in die Lieblingsbar zurückkehrten, tauchte Muckelchen neben uns auf, mit Frauchen am Steuer. Sie nahm mir die Autoschlüssel weg und brachte uns dann alle drei mit Muckelchen nach Hause. Cocki und Peter soffen nochmals ihre Näpfe voll Wasser aus, Cocki kroch darauf beleidigt unter die Kommode, von dort hörten wir ein unverkennbares Geräusch, und als wir abrückten, stellten wir fest, daß ihm das Schaschlik keineswegs bekommen war...

Am nächsten Morgen erwachte ich spät mit Kopfschmerzen. »Was ist denn los? Is’ ja so einsam, wo ist denn Frauchen fragte ich die Mama, als ich aus dem Bad wankte.

»Die hat die beiden Besaufskis nach Hause gefahren, und du solltest mit den Hunden ‘rausgehen und deinen Kopf auslüften

Ich tat es, und bei dieser Gelegenheit erlebte ich etwas, was mich im tiefsten erschütterte. Weffi hatte auch außerhalb des Hauses einen Feind, und das war der große Airdale Ajax, der zwei Straßen weiter wohnte und früher, als junger Hund, oft zu uns auf Besuch gekommen war. Er war ein lieber Kerl und hatte bei uns im Garten, den Umstand wohl beachtend, daß er ein von Cocki und Peter eingeladener Gast war, nett und artig mit ihnen gespielt und die verschiedenen denkwürdigen Plätze berochen, als da sind: die Haselnußhecke, in der das Eichhörnchen wohnt, und das vor kurzem aufgegrabene Mauseloch. Weffi aber haßte er aus unerfindlichen Gründen, und mehrmals mußte ich den kleinen Fellhasen vor ihm retten. Jetzt, als ich meinen Ölkopf durch seine Straße schleppte, war er plötzlich wie ein Schatten da. Weffi wollte zu mir herüber, aber Cocki stellte sich ihm knurrend in den Weg. So mußte er abbiegen, wurde gegen den Zaun gedrängt, und Ajax war über ihm. Und dann geschah es: Cocki und Peter fielen ebenfalls über den Kleinen her und verstießen damit gegen den uralten Hundekomment, den Kumpanen zu beschützen. Ich weiß nur noch, daß ich plötzlich auf der Erde lag. Weffi unter mir, und die drei so wütend anbrüllte, daß sie stutzten und sich verlegen zurückzogen. Dann trug ich das zitternde Tier heim.

Den ganzen Nachmittag würgte ich an der Sache herum und erst am Abend erzählte ich sie Frauchen.

»Es muß wirklich etwas geschehen...«, sagte sie. »Es wird nichts helfen, wir werden uns von dem Kleinen trennen müssen...«

»Wieso dem Kleinen? Er ist mein Hund! Warum geben wir nicht die beiden anderen weg

»Du kannst sie doch nicht getrennt weggeben, dazu hängen sie doch viel zu sehr aneinander

»Dann werden wir sie zusammen weggeben, sie werden uns nicht vermissen. Wenn man ihnen gut zu fressen gibt, haben sie uns bald vergessen

»Das denkst du! Du weißt ja nicht, wie Cocki zu mir ist, wenn du nicht da bist! Und Peterchen, wie sie sich freuen, wenn du mal fort bist und zurückkommst...«

Darauf wußte ich nichts mehr zu sagen. Nach längerem Grübeln erklärte ich: »Weißt du, jetzt mach dich mal von allen Sentimentalitäten frei: wenn man’s genau überlegt, so sind ja alle drei nicht die Hunde, die wir wollten. Cocki habe ich gekauft, um uns über Puckens Tod hinwegzuhelfen und weil er mir leid tat dort in der Bude und dem Regen. Aber du wolltest eigentlich einen Pudel, und ich hätte mir auch nie einen Cocker gekauft. Und dann kam Peter, der ein Pudel sein sollte und — keiner war! Und dann kam Weffi. Er ist ein lieber Kerl, aber ein süßes Dummerle, und es geht doch nicht mit ihm und den beiden anderen

»Na und?«

»Na und — ich meine, wie wäre es, wenn wir alle drei weggäben und uns dafür einen einzigen Hund anschafften, der nicht eifersüchtig zu sein brauchte und mit dem man keine Scherereien haben würde...«

»Und was sollte das für einer sein

Ich kannte diese katzenhafte Sanftmut in der Stimme meiner Gefährtin, aber ich ließ mich nicht einschüchtern: »Ein Schäferhund sagte ich. »Weißt du, so einer von der großen Sorte, die aussehen wie Löwen! Der wäre dann auch ein richtiger Schutz für dich; denn so ein großes starkes Tier ist doch etwas anderes als diese kleinen Strolche, so lieb sie auch sind

»Und wie kommst du darauf? Du hast wohl schon einen im Hintergrund

»Nein — das heißt, ich meine, als ich im vorigen Herbst die paar Tage verreist war, um das Manuskript fertigzumachen — du entsinnst dich doch —, da war in dem Hotel in Waldhausen der Rolf...«

»Du hast mal davon geschrieben, du scheinst dich in ihn verliebt zu haben

»Ja, er war — ein wunderbares Tier! Ich meine... ihn selbst können wir nicht kriegen, sie würden ihn nie hergeben, die Wirtsleute...«

»Ich mag keine Schäferhunde

»Aber du kannst ihn dir doch mal ansehen, ganz unverbindlich

»Aber ich...«

»Nun sei nicht komisch! Paß mal auf, ich habe eine Idee: Am nächsten Sonntag können wir sowieso nicht mit den dreien ausfahren, und hier lassen können wir sie auch nicht zusammen, denn was soll die Mama machen, wenn sie übereinander herfallen?! Ich schlage dir folgendes vor: Wir nehmen Weffchen mit und fahren nach Waldhausen. Rolf wird Weffi nichts tun

»Gut.«

Am Abend nach dieser Unterhaltung lag ich noch lange wach. Draußen, in der Sommernacht verebbten die letzten Regenschauer nach einem Gewitter, und der Schoß der Erde öffnete sich mit süßen, schweren Düften. Wie wäre das ohne die Drei? Ich versuchte mir vorzustellen, wie das jetzt in diesem Hause ohne sie sein würde...

Ich sah meinen Radioapparat neben mir, seine Metallschiene matt beleuchtet vom Schein einer fernen Laterne. Knick machte der Schreibtisch, knack antwortete der Bücherschrank. Meine alten Freunde, sie würden dann vielleicht wieder mehr zur Geltung kommen. Ich würde mehr Radio hören, mehr und intensiver lesen. Ruhe, Versenkung, wunderbar! Und die Spaziergänge, ohne darauf achten zu müssen, wer gerade wo ist, und wer sich mit wem beißt, oder wer von den Halunken gerade mitten auf der Straße auf einer fremden Flohbürste herumklettert, während ein 300-PS-Buick in voller Fahrt auf ihn zurollt. Ich würde die Natur wieder sehen und die kleinen Gärten und Häuser und Schicksale um mich herum ganz anders erleben.

Also, wozu überhaupt Hunde?

Bestenfalls ein Schäferhund, der draußen klug und still und stark an meiner Seite blieb und drinnen das Haus bewachte. Ich starrte in die halbe Finsternis: ja, so würde es dann sein, ein ruhiges, stilles, innerliches Leben. Ein Zurückfinden zu mir selbst...

»Du Narr«, sagte die Stimme in mir, »wenn das deine Ansicht ist, so ändere es doch! Du bist doch dein freier Herr, und deine Hunde werden weiterleben ohne dich. Das braucht dein Gewissen gar nicht zu belasten

»Aber vielleicht finden sie nicht wieder so gute Herrchen

»Na, so ein besonders gutes Herrchen bist du ja nun auch nicht, wie sich jetzt herausstellt...«, antwortete die Stimme.

»Nun?«

Ich begann unruhig auf meiner Couch zu rumoren: Sie waren alle längst weg, bei anderen Herrchen und Frauchen, und höchstens im Traum noch wanderten ihre Seelen durch dieses Haus, und ihre Schatten trabten und tollten über Treppen und durch die Wände hindurch; und dann trafen sie mein schlafendes Ich jenseits des dunklen Stromes und erzählten ihm, daß es für Bequemlichkeit das leuchtende, das wilde Leben weggab, das mir die Höheren in Gestalt dieser drei geschenkt und anvertraut hatten...

Leben? Anvertraut? So schlechte Luft plötzlich im Zimmer! Dumpfig, hm? Aber das Fenster ist doch auf — was ist eigentlich los mit mir? Ich stehe im dunklen Raum, sehe mich fremd um, feindselig an mir herunter: die Faulheit dieses Kadavers will mich um mein Bestes bringen!

Ich öffne die Tür, schleiche die Treppen hinunter, gehe in die Küche, gehe an Mathildes Zimmer vorüber, höre sie durch die Tür atmen und im Schlaf murmeln. Ein Tag schwerer Arbeit liegt hinter ihr. Was wissen wir von den anderen Menschen? Der Schalter knackt laut, Licht flutet in die Küche: da liegen sie, die beiden Unzertrennlichen! Der kleine Löwe auf der Seite, das Auge mit dem dicken braunen Ohrchen zugedeckt. Ich nehme das Ohr zur Seite, langsam öffnet sich ein mattes, trauriges Auge. Kann er Gedanken lesen? Weiß er, daß ich ihn verraten wollte? Und es noch immer halb und halb will...? Ich reibe meine Nase an seinem Schnurrbart. Er fühlt sich heiß an, sein Atem geht so schwer...

Und da ist Peterchen in seiner Deckenrolle! Er verdreht sorgenvoll die Affenaugen gegen Cocki hin, als wolle er mir sagen: kümmre dich um den da, ich bin nicht so wichtig! Ich küsse ihn auf die graue Stirnlocke und die schwarze Rußnase, richte mich seufzend auf, knipse das Licht aus, gehe nach oben, in Frauchens Büro. Leise klinke ich die Tür auf, drücke den Lichtschalter: da liegt Weffi auf der Couch, die Beinchen steif in der Luft, das Struppelgesicht auf dem Kissen seitwärts liegend. Er schmatzt wohlig-leise, als ich mich jetzt über ihn beuge, und legt das eine Pfötchen ganz behutsam gegen mein Gesicht.

Hinter mir ein Geräusch: die Mama steht in der Tür: »Was treibst du denn, mitten in der Nacht

»Ich — hm — ach, nur so...«

Am Sonntagmorgen packen wir Weffi in den Wagen, Peter schlich mit scheelem Blick weg, als er bemerkte, daß er nicht mitgenommen wurde. Cocki kam überhaupt nicht zum Vorschein.

»Wo ist er denn fragte ich Mathilde.

»Er liegt in der Küche

»Nanu«, sagte ich zu meiner Gefährtin, »das ist doch aber merkwürdig

Wir gingen in die Küche. Dort lag er, sah uns mit unendlicher Trauer an. Als ich seinen Kopf streichelte, zitterte er. Frauchen traten die Tränen in die Augen: »Siehst du, er weiß genau, daß er nicht mitgenommen wird, und da fühlt er sich verstoßen —. Und da sagst du, sie kümmern sich nicht um uns, sie hängen nicht an uns. Wir sind ihre Götter, ihre Sonne und ihre Nacht, wenn sie auch daneben ihre eigenen kleinen Spielchen machen. Wie soll das nun jetzt weitergehen

Dann, auf der Fahrt, vergaßen wir unsern Hundekummer für eine Weile, weil wir uns so über Weffchen freuen mußten. Als wir den Wagen an einem Waldrand parkten und einen langen Spaziergang machten, war es plötzlich ein anderer Hund. Aus seinen Augen war die seltsam dumpfe Verschlossenheit verschwunden. Sie glänzten hell, und er verdrehte sie schelmisch, während er um uns herumsprang. Er fand ein Maulwurfsloch und begann zu buddeln, ganz allein, selig und ungestört. Kein Cocki, der ihn von dem Loch verdrängte gerade dann, wenn es interessant wurde, und kein Peter als ewig lauernde schwarze Drohung im Hintergrund.

Mit einemmal begann er auch zu spielen, schleppte Stöckchen herbei, rannte nach Tannenzapfen, durchstöberte in kleinen Kreisen den Wald, sah jeden Vogel, jedes Eichhörnchen, und zwischendurch kam er hundertmal zurück.

»Da siehst du es«, sagte ich, als wir wieder im Wagen saßen und weiter nach Waldhausen fuhren, »jeder von ihnen wäre glücklich als Alleinhund

Frauchen schwieg.

»Sagtest du was fragte ich nach einer Weile.

Ihre Hand streichelte mechanisch das Köpfchen Weffis, der auf ihrem Schoß saß: »Vielleicht hast du recht, man müßte sie alle drei weggeben, denn so geht es ja einfach nicht mehr weiter. Wir selbst sind nervös und böse geworden, das ist dir vielleicht gar nicht aufgefallen

Und dann: »Erzähl mir doch mal von deinem Rolf

Ich ließ Muckelchen langsam an den Mauern der Tannen vorbeirollen und wunderte mich, wie fern ich jetzt von dem war, was ich in der Nacht gefühlt hatte. Dann aber erzählte ich: