Dann kam dieser Tag! Kampf

Dieser schicksalsvolle Tag war ein Sonntag und begann eigentlich ganz normal. Ich erwachte im Schmettern der Amsel vor meinem Fenster und in der kühlen Morgenluft, die zusammen mit einer reichlichen Portion Frühsonne in mein Zimmer strömte. Gleich darauf kratzte es auch an der Tür, ich rappelte mich gähnend auf: Weffi schoß herein. Darauf legte ich mich auf die Erde in der Hoffnung, mich durch das morgendliche Turnen ermannen zu können; er stellte sich, wie üblich, über mich und ließ seinen schwarzen Hartgummiball, ganz voll Spucke, mitten auf mein Gesicht fallen. Cocki und Peter sahen nur kurz mit ganz bösen Gesichtern zu mir ins Zimmer und kauerten sich dann in Sphinxhaltung beide nebeneinander vor Frauchens Tür. Ich turnte mit Weffi, ging ins Bad. Weffi sprang derweilen auf die >Zurechtmache-Kiste<, in der die Hunde-Toilettensachen liegen, und sah mir mit schiefem Kopf zu, wobei seine Vorderbeine wieder zitterten. Zwischen ihm und dem Paar vor der Tür wurde während der ganzen Zeit kein Wort gewechselt. Nur einmal, während ich mich rasierte, erschien Cocki und verlangte ziemlich mürrisch Wasser. Ich gab ihm, und er trank. Weffi mußte sich das natürlich aus der Nähe ansehen, sprang von der Kiste herunter, wurde aber durch ein lautloses Fletschen des kleinen Löwen wieder hinaufgescheucht. Frauchen schlief trotz mehrfachem Kratzen an der Tür noch weiter. Ich zog mich an und beschloß, zunächst in die Garage zu gehen. Dort tätschelte ich das Familienauto Muckelchen aufs Hinterteil. Muckelchen ist zwölf Jahre alt und muß schon viel in seinem Leben durchgemacht haben. Vor allen Dingen habe ich es im Verdacht, einmal einen Berg hinuntergefallen zu sein, denn wenn man genau hinsieht, sitzt das ganze Chassis etwas schief auf dem Fahrgestell. Als ich das alte Mädchen vor drei Jahren kaufte, war es scheußlich grün. Ich ließ es neu lackieren, aber zum billigsten Tarif, und das rächte sich, denn man nahm sich nicht die Mühe, das Grüne vorher abzulaugen, sondern spritzte die schwarze Farbe obendrauf. Seitdem hat Muckelchen sozusagen ein >Blasenleiden<, das heißt, wenn es mal in der Sonne steht, hebt sich der Lack und wirft Blasen. Manche sind klein, manche groß, manche bleiben weich, und man kann sie mit der Hand wieder eindrücken, manche aber springen mit einem Ruck und einem ganzen Stück weiteren Lacks ab, und dann grinst einen die grüne Vergangenheit an. Auf jeden Fall habe ich immer streichfertigen Lack bei mir, auch einen Pinsel, um die Defekte auszubessern und die Vergangenheit zu verdecken, in der mein Muckelchen in den Armen anderer Männer lag. Auf diese Weise entsteht zwar ein etwas pockennarbiges Gesamtbild, was jedoch meine Liebe zu ihm nicht mindert...

Im übrigen verleugnet Muckelchen keineswegs seine weibliche Natur, das heißt: die Zärtlichkeit und Sorge, mit der ich es umgebe, veranlaßt es, durch immer neue Leiden meine Aufmerksamkeit (und Finanzkraft) auf sich zu lenken. Jedenfalls ist seine Erfindungsgabe in dieser Beziehung geradezu atemberaubend. In der Stille der Nacht, wenn es in seiner Garage steht, denkt es sich was aus. Mal läßt es die Lichtmaschine streiken, mal wieder schließt es ein Scheinwerferauge, dann knabbert es den Ventilatorriemen durch oder es klappert mit den Türen. Ich habe schon mehrfach die Reparaturwerkstätten gewechselt, einfach, weil ich mich Muckelchens dauernder Leiden schäme und das verstohlene Grinsen auf den Gesichtern der Monteure nicht aushalte, wenn ich schon wieder mit der alten Dame und einem neuen Gebrechen bei ihnen auftauche.

An diesem Sonntagmorgen wanderte ich nun wie gewöhnlich rund um es herum, um zu sehen, ob es sich vielleicht zur Feier des Sonntags einen Plattfuß zugelegt habe, prüfte dann Öl, Wasser und Benzin und bemerkte, daß mir die gesamte Hundelei gefolgt war. Cocki hatte sich auf der Steuerradseite vor die Tür postiert. Peterchen lauerte im Garageneingang und machte Männchen, als ich ihn ansah. Weffi folgte mir, als ich zum Werkzeugtisch hinüberging, und biß mich in den Schuh. Es war ein vorsichtiger, sozusagen diplomatischer Biß, nur eine leichte Andeutung von Zwicken, um mich nicht zu verstimmen. »Wörrrr machte es gedämpft dazu.

Ich indessen blieb vor dem Werkzeugtisch stehen. Es ist eine alte Bücherkiste, auf der meine Schätze ausgebreitet liegen. Da gibt es Schraubenschlüssel, einen alten Tachometer, eine Spritzkanne, Flaschen mit Schleif- und Polierwasser, die Reste eines Scheibenwischers, Schwamm, Leder und eine Sammlung alter Zündkerzen. Sinnend betrachtete ich das Stilleben und seufzte beglückt von so viel Wohlhabenheit. Ein dünnes Piepsen weckte mich. Das Rotschwänzchen, das sein Nest ausgerechnet über dem Garagentor gebaut hatte, war mit vollem Kropf und Schnabel eingeflogen und fütterte seine Jungen. Draußen, rechts und links von der Garageneinfahrt, schwankte der blühende Rotdom im Morgenwind.

Dann erschien Mathilde und stellte den Picknickkoffer mit der Decke neben dem Wagen ab. Ich spürte fast körperlich, wie in den Herzen meiner drei Jungen die Alarmglocken läuteten. Jetzt ergab sich die interessante taktische Aufgabe, den Wagen zu öffnen und die Decke so schnell über die Hintersitze zu breiten, daß die Meute mit ihren Dreckpfoten nicht vorher hineinkam. Der Gefährlichste für dieses Manöver war der kleine Löwe. Wenn er nämlich mal drin war, bekam man ihn nicht wieder heraus, da er bedenkenlos und unterschiedslos um sich biß und das Wageninnere sofort zur Höhle ernannte. Deshalb beschloß ich, auf der anderen Seite einzusteigen. Als ich jedoch mit der Decke in der Hand die Tür öffnete, schoß Weffi wie ein Pfeil über meinen Kopf hinweg, saß auf dem Rückpolster und zitterte. Allerdings schoß er ebenso schnell wieder hinaus, indem ich ihn zu diesem Behufe am Kragen packte. Dazu aber mußte ich die Tür öffnen, und während oben Weffi ‘rausflog, versuchte Cocki, der schnell herumgerannt war, unten ‘reinzukriechen. Er drückte mit dem starken Kopf, und ich mußte ihm die Schuhsohle vor das Gesicht pressen, um ihn zurückzuhalten. Trotzdem half das nicht allein: ich mußte auch noch die beiden dicken Tatzen, die sich an der Schwelle festgekrallt hatten, eine nach der anderen lösen. Als ich dann die Tür zuschlagen wollte, steckte er wieder mit dem Kopf dazwischen.

»Du kommst ja mit«, sagte ich, während seine goldenen Augen mich anklagten, »sei doch vernünftig Er war es aber nicht, und so blieb mir nichts anderes übrig, als mit ihm auszusteigen. Vor dem Wagen richtete er sich an mir auf, ich knudelte seine dicken Pfoten und betrachtete mit geheimem Stolz die langen seidigen Federn seiner Vorderbeine. »Ihr kommt ja alle drei mit! Du kommst auch mit, du brauchst nicht traurig zu sein! Herrchen nimmt Cocki mit, aber du mußt warten, verstehst du

Irgendwann erschien dann auch mal Frauchen. Teils in Hunden, teils in Koffern wühlend, wurde schließlich alles verstaut, Mathilde und die Mama bekamen die letzten Ermahnungen, und dann ging es los. Die Häuser verschwanden, die Straße tat sich auf, die lange Straße, die an Wäldern und Dörfern vorbei einmal zu unserem Ziel, dem Traumsee, führen mußte.

Muckelchen zeigte sich heute von seiner besten Seite. Die Maschine surrte kaum hörbar, das Tachometer kletterte bergan bis auf siebzig, eine für Muckelchens Verhältnisse geradezu atemberaubende Geschwindigkeit. Es ging hügelauf und hügelab durch dunkle Waldschluchten, an Feldern vorbei, auf denen eine gelbe van-Gogh-Sonne lag, an wohlhabenden Höfen, baumumstanden auf Kuppen, an Kirchtürmen, aus fernen Mulden gegen den Himmel schießend.

Auf der Hundebank hinten war es zunächst eine Weile lang ruhig. Ich drehte zwischendurch mal den Rückspiegel: alle drei standen nebeneinander unbeweglich wie die Spielzeugtiere, nur die Köpfe wanderten mit der Gegend mit, folgten den weidenden Pferden, fliegenden Krähen. Cocki in der Mitte, Peter links neben mir, Weffi auf der anderen Seite, hinter Frauchen. Dann fing Peter an. Ich fühlte seine Pfoten plötzlich auf meiner Schulter und sein Köpfchen an meiner Schläfe. Wenn ich das Auge etwas zur Seite drehte, ohne die Straße aus dem Blickfeld zu lassen, konnte ich gerade noch einen Schimmer seines eisengrauen Stirngelocks wahrnehmen. Er hatte erst eine Weile an seiner Scheibe nach einem Luftspalt gesucht, hatte keinen gefunden und preßte nun seine Nase an den Rand meiner Vorderscheibe. Einmal leckte er mich animierend hinterm Ohr. Weffi mußte das auf seiner Seite natürlich sofort nachmachen und noch weitertreiben. Er begnügte sich nicht damit, seinen Kopf frei nach Peter an Frauchens Wange zu legen, sondern er kletterte gleich nach und hatte es nach einigen Minuten erbitterten Handgemenges geschafft, das heißt, er saß auf Frauchens Schoß, mit den Fellhosen schlotternd, den Hals ganz lang, die Nase gegen die Vorderscheibe pressend und sich mit einem tiefen Schniefer voll Sauerstoff pumpend. Alle paar Minuten wurde die Stellung gewechselt, es wurde auch aufgestanden, und dann sah Frauchen überhaupt nichts mehr, außer einem Fellpopo und einem Schwänzchen, das sich ihr teils in die Augen, teils gegen die Stirn bohrte und ihr den Hut aus dem Gesicht schob.

Das ließ Cocki nicht ruhen. Plötzlich legte sich eine schwere Last auf meinen rechten Arm, zwei dicke Löwentatzen mit langen seidigen Haaren darüber griffen ins Steuerrad, und während Muckelchen begann, gefährliche Schlangenlinien zu ziehen, wälzte sich mir der Löwe auf den Schoß. Zu gleicher Zeit begann Peterchen den Angriff und turnte auf der anderen Seite über meine Schulter nach vom. Ich konnte gerade noch bremsen und den Motor abstellen. Und dann besahen wir uns die Bescherung! Alle drei saßen quietschvergnügt und Kopf an Kopf mit uns vom und fanden das selbstverständlich und über alle Maßen komisch. Wir blickten uns an und — lachten!

»Ja, Kinder«, sagte ich dann, »wie stellt ihr euch das eigentlich vor, hm? Dicker, du sitzt auf dem Steuerrad, als ob du selbst fahren wolltest Alles Weitere ging in einem ohrenbetäubenden Gebrüll unter. Ein Radfahrer — sowieso einer von Cockis Urfeinden — kam vorbei und hatte nun gar noch hinten auf dem Rad ein Körbchen und in diesem Körbchen eine Hundemischung sitzen, die einen außerordentlich besorgten und unglücklichen Eindruck über diese Art des Transportes machte. Die Ohren gellten mir, auf der linken Seite schrie Peter, auf der rechten Cocki. Außerdem wurde wild herumgefuhrwerkt und gegen die Scheiben gesprungen. Peter fiel dabei vom Stengel, verhedderte sich unten teils in meine Beine, teils in die Handbremse und stieß sicherheitshalber ein markerschütterndes Wehgeschrei aus.

»Ein entzückender Ausflug«, schrie ich zu Frauchen hinüber. Damit packte ich den Vierzigpfünder auf meinem Schoß und wälzte ihn zunächst kopfüber nach hinten. Er plumpste auf den Hintersitz und brummelte wütend. Eine Sekunde später flog Weffi hinterher, und es gab zwischen den beiden ein kurzes, heftiges Gekeife. Dann zerrte ich das jammernde Fliegenbein aus der Tiefe und feuerte es ebenfalls nach hinten.

Die Maschine sprang an, und wir fuhren weiter.

Langsam stieg das Land nun weiter an. Ab und zu brach aus Feldern und Wiesen ein nackter Fels; und dann, auf der nächsten Welle, hielten wir an, denn vor uns breitete sich plötzlich das ungeheure Panorama der Alpen: aus zottigen Waldmänteln aufschießend grauer Stein, gefaltete Wände, schroffe Zacken, Türme, Pyramiden, die Spitzen von Wolken umbrodelt, manchmal auch frei und eine schimmernde Fläche ewigen Eises zeigend.

»Es ist immer wieder wie ein Traum...«, sagte meine Gefährtin.

Das letzte Dorf glitt vorbei, ärmlich, in karger Höhe. Die Serpentinen zum Paß hinauf wurden von Muckelchen mit Schwung genommen.

»Du sollst sehen«, sagte ich stolz, »es schafft’s im dritten Gang Im gleichen Augenblick aus Weffis Schnute: »Weffrrrrrr!« Hinten Tumult. Das gellende Gekläff Weffis, das hohe Pfeifen Peters und nun, alles übertönend an meinem linken Ohr: Cockis Gebrüll! Am Ende der Kurve war eine Kuh aufgetaucht. Sie stand dort quer über dem Weg und blinzelte uns geruhsam mimmelnd entgegen. Meine Drei taten, als ob sie sie zerreißen wollten. Aus Cockis dicken Lefzen quoll der Geifer, Peterchens schmutzigbrauner Bart war voller Spucke, die Augen starr und wild. Weffi stieß zwar aus Leibeskräften weiter in seine Blechtrompete, aber während die beiden anderen die Kuh funkelnd im Auge behielten, wanderten seine braunen Äugelchen in tiefer Ruhe rundherum, und er stieß seine Fanfarentöne nach allen Richtungen: mal in mein rechtes Ohr, daß ich den heißen Atem aus seinem albernen Schnabel mitbekam, mal in Cockis und Peters Ohren, die dann immer einen Moment betäubt stillschwiegen. Ich bremste dicht vor der Kuh. »Bist du jetzt ruhig schrie ich verzweifelt und packte Weffis Fellbärtchen. Er kugelte über die Vorderlehne auf Frauchens Schoß, ich bekam einen Tritt in den Mund. Frauchen fiel die Sonnenbrille herunter, aber ganz plötzlich trat Stille ein. Die Kuh hatte sich mit nonchalant schlenkerndem Euter gedreht und war auf unsere von Geschrei erfüllte Blechkiste zugewandert. Jetzt erschien ihr gehörnter Kopf riesengroß im Fenster, und ihr Maul schob sich in den Wagen. Ein intensiver Duft nach Milch und Heu fuhr über mein Gesicht, ich kraulte sie unter dem Maul, während mich riesige dunkle Augen unter langen Wimpern ruhig betrachteten und zwei lange Spuckefäden gemächlich auf mein Hosenbein tropften. Schließlich holte sie eine dicke rauhe Sandpapierzunge hervor und fuhr mir damit über die Nase.

Währenddessen waren meine drei kühnen Ritter mäuschenstill. Ich drehte mich nach ihnen um. Peter war ganz nach hinten gerückt; am liebsten wäre er in das Polster hineingekrochen, die Augen riesengroß, die spitzen Haifischzähne in stummer Abwehr entblößt. Der Dicke hatte sich zwischen die beiden Sitze nach unten plumpsen lassen und stellte sich tot. Weffi saß, am ganzen Körper schlotternd, unmittelbar vor dem Kuhkopf, hatte den Kastenbart gegen das andere Fenster zu gedreht und sah geflissentlich hinaus: ich seh dich nicht, du siehst mich auch nicht!

Auf den mageren Rücken der Kuh knallte ein Stock. Ein Hütebub, der ihr knapp bis zum Bauch reichte, war aufgetaucht: »He«, schrie er, »wirst du wohl Und siehe da, der Riesenkopf verschwand aus dem Fenster, die Kuh drehte sich um und trabte den steilen Waldweg hinunter. Von hinten, mit den X-Beinen und dem bekleckerten Hinterteil, sah sie weit weniger imponierend aus...

Ich fuhr wieder an. Noch drei Kurven, und dann lag der See zu unseren Füßen, von Wäldern und Bergen umkränzt, ein schimmernder Schild wie aus geschmolzenem Silber.

Hier wollten wir bleiben.

Türen auf! Wie ein Sturmwind waren die drei draußen und sausten auf das Wasser zu. Peterchen war sofort drin. Er hatte einen weitab im See treibenden Knüppel entdeckt und schwamm schnell darauf zu. In dem klaren Wasser schienen seine strampelnden Läufe ganz kurz und geknickt. Cocki war ihm bis an die Brust nachgegangen, blieb aber dann stehen, sah sich nach allen Seiten um und begann schlappend zu trinken.

Weffi hatte sich nur die Füße naß gemacht, trank auch ein paar Schlückchen von dem klaren Seewasser, aber offensichtlich nur, weil der andere das auch getan hatte, und fing dann an, am Ufer entlangzuschnuppem.

Wir rollten die Decken auf, stellten den Picknickkoffer heraus, ich baute das Transistor-Radio auf, aber nicht etwa, um die Natur mit Operettenmusik zu verschandeln, sondern nur, um gegen Mittag die Nachrichten zu hören. Dann machte ich umständlich und voller Liebe die Kamera zurecht. Ich spannte den Verschluß, setzte Filter und Sonnenblende auf, maß die Lichtstärken, es wurde still. Von den Felstürmen her erschien mit Katzenmiauen ein riesiger Bussard und begann über uns seine Kreise zu ziehen. Im Fernglas sah ich, wie er den Kopf wendete und uns aufmerksam studierte. Wenn er in die Kurve ging, leuchtete sein Gefieder goldbraun auf. Ich ließ das Glas sinken und döste, bis mir plötzlich etwas mit ziemlicher Wucht auf die Nase fiel. Es war der Riesenzweig, den Peterchen aus dem See gefischt hatte. Naß wie ein Sumpfbiber kauerte er sich einen Meter entfernt hin und bellte mich an: »Los, keine Müdigkeit vorschützen! Spielen

»Nein, setz dich hin und laß mich in Ruhe; Herrchen will nicht

Er studierte mich einen Augenblick, holte den Stock zu rück und trabte damit zu Frauchen, die neben mir lag, um sie zu animieren.

»Nein«, sagte sie, »Peterchen, sei jetzt artig, komm, leg dich hierher zu mir Er mauzte unglücklich, und dann schüttelte er sich die Tropfen aus dem Fell. Ein Sprühregen durchnäßte uns vom Kopf bis zu den Füßen. Der Dicke kam auch angewalzt und schüttelte sich ebenfalls.

»Du, hör mal«, sagte Frauchen, »das ist ja unmöglich, ich will einen Moment mal Ruhe haben. Geh mal mit den dreien ein bißchen spazieren

Ich stand seufzend auf, hängte mir die Kamera um — los! Langsam stieg ich, mit den Augen all die Schönheit trinkend, bergan, gegen die Felswand zu. Die drei schossen vor mir her.

Da war wieder der Schatten des Raubvogels über mir/ ein riesiger Bursche, ganz niedrig, seine Spiralen jetzt ganz eng. Irgend etwas, dicht vor mir, mußte er gesehen haben. Ich griff die Kamera und rannte gebückt der Stelle zu, über der er kreiste. Die Schonung hörte plötzlich auf. Eine kleine Wiese öffnete sich, mit trockenem gelblichem Gras bedeckt und von zahllosen dunkelbraunen Maulwurfshügeln durchstoßen. Ich kroch einer Tanne unter den Rock, schob mich vorsichtig bis an den äußersten Rand der Wiese vor und stellte den Apparat neu ein: zweihundertstel Sekunde, Blende fünf, zehn Meter Entfernung — das müßte ungefähr stimmen —, und da, gerade als ich fertig war, ein Schatten, und der riesige Bussard fuhr wie ein Blitz herunter. Die Schwingen schlugen den Boden, die Schwanzfedern breiteten sich aus, um als Bremse zu wirken, die Federhöschen mit den mörderischen Griffen am Ende wühlten sich in die Erde, und schon war er wieder auf und davon, etwas Schwärzliches, Zappelndes in seinen Fängen. In einer einzigen langen Kurve flog er das Skelett einer Eiche an, ließ sich wippend auf einem Astrest nieder, schaute sich ein paarmal nach allen Seiten um und begann dann, die Beute zu kröpfen.

Da, Weffis Blechtrompete! Aber dieses Mal gar nicht albern, sondern scharf, pointiert, von Knurren unterbrochen. Er hatte irgend etwas. Ich setzte mich in Trab, bergauf, über der Lichtung, durch den Hochwald, der Schonung zu. Mein Herz klopfte, der Schweiß floß — mein Gott, wie man doch in der Stadt verschlammte!

Und dann stand ich vor den Resten eines Baumriesen, den vor Jahrzehnten vielleicht ein Wirbelsturm im untersten Viertel abgedreht hatte. Der splittrige Stumpf ragte noch gute drei Meter hoch, und zu seinen Füßen hatte sich, genährt von zerfallendem Holz, eine Wildnis kleiner Tannen, Farne, Glockenblumen und Schlingpflanzen angesiedelt. Und mitten in diesem Gewirr ein junger Fuchs! Die Lauscher voller Angst seitwärts gereckt, als horche er auf die Schritte der rettenden Mutter, das Maul jappend aufgerissen, die Zähne gefletscht. Ich griff nach der Kamera: heute hatte ich wirklich Glück!

Weffi tanzte vor dem Fuchs hin und her. Um den Hals hing ihm, wie eine Girlande, Schlangenmoos. Abgebrochene Reiser waren in seinen Höschen hängengeblieben, sein Bart wild zerzaust, das Maul mit den schimmernden Zähnen offen, zwischen denen die knallrote Zunge triefend japperte. Die sonst so stillen braunen Augen funkelten. Auf alle mögliche Weise versuchte er, dem Rotrock in den Rücken zu kommen. Der aber hatte eine gute Deckung in dem Farndschungel. Wenn jetzt bloß nicht Cocki kam! Ich stürzte mich in einem Hechtsprung auf Weffi, bekam ihn zu packen und legte das zappelnde Etwas an die Leine. In diesem Augenblick war ein schwarzer Schatten neben mir: Er stieß ein tiefes Röhren aus und war sofort dem Fuchs an der Schnauze. Zwei schnelle fauchende Bisse gingen wie Blitze hin und her, dann hatte ich auch Peter erwischt, zog ihm das freie Ende der Leine durchs Halsband und — da w7ar auch schon Cocki!

In großen, langen Sätzen federte er über das Moos heran. Er war vollkommen stumm, und ich wußte, wenn ich ihn nicht abfing, war es Füchsleins Tod. Er würde sich nicht um Bisse kümmern, sondern den kleinen Reineke wie eine Lokomotive überwalzen, ihn auf den Boden schlagen und ihm die Knochen brechen. Schnell hängte ich die Schlinge der Leine über eine Wurzel und warf mich mit einem Satz auf den Dicken. Er war einen Augenblick so verdattert, daß er keinen Widerstand leistete. Dann aber schnappte er wütend um sich, während ein tiefes Grollen aus seiner Brust drang. Gott sei Dank hatte ich ihn fest an den beiden Vorderbeinen, hob ihn hoch und schleppte ihn zu den beiden anderen, die sich fast an der Leine erwürgten. Dort machte ich auch noch Cocki fest. So waren nun alle drei zusammen. Sie röchelten und bellten. Das Füchslein aber ging auf und davon!

Unten am See stieg Frauchen gerade aus dem Wasser.

Ich aber ließ mich in langen Stößen am Ufer entlanggleiten, ab und zu tauchend, mich auf den Rücken wälzend, mit den Beinen schlagend, und immer war ein weißer, kleiner Schatten am Ufer entlang auf meiner Höhe. Weffi, der sein Herrchen angstvoll begleitete.

»Aber so komm doch her, mein kleiner Wicht rief ich. Er ging bis zur Brust hinein, dann fand er nicht den Mut und kehrte aufs Trockene zurück.

»Findest du das nicht merkwürdig«, sagte ich zu meiner Gefährtin, wieder ans Ufer steigend, »daß Weffi nicht schwimmt? Foxl schwimmen doch sonst so gern — denk an unseren alten Pucki. Und auch an Peter, der überhaupt nicht aus dem Wasser herauszukriegen ist.«

»Es wird sicher seinen Grund haben«, sagte sie, während sie auf der Decke kniete und aus einer Thermosflasche Fleisch, Gemüse und Kartoffeln in die drei Hundenäpfe schüttete. »Bitte, nimm doch Weffis Napf und stelle ihn möglichst weit weg. Ich füttere derweilen Cocki und Peter

Während Weffi erst das Essen ausführlich beschnupperte und dann anfing, um die Fleischstücke herum das übrige zu fressen, das Beste bis zuletzt lassend, blinzelte ich in all die Schönheit: aus den obersten Waldrändern faserten jetzt dünne Wolkenschleier. Dort, wo im Frühling die Lawinen niederstürzten, waren breite graugelbe Rinnen in das dunkelgrüne Fell der Wälder gerissen. Von Minute zu Minute wechselten Felsen und Gletscher ihr Gesicht unter den Schatten der Wolkengeschwader, die lautlos den Himmel durchwanderten. Es war, als ob hinter diesen Riesen, den Unberührbaren, eine andere Welt anfinge, voller Geheimnisse und göttlicher Schrecken, eine Welt, in der während des Tages unsere Träume gefangensitzen und ihr eigenes Leben führen. Ich stand auf, wanderte etwas vom See weg dem Wald zu, blieb stehen und reckte die Arme den Felsen entgegen.

Plötzlich, in meine tiefe Entspannung hinein, fuhr das Fauchen und Röcheln eines Kampfes in meinem Rücken, und gleich darauf ein angstvoller Schrei meiner Gefährtin: »Um Gottes willen, schnell, so komm doch bloß

Nachher erzählte sie mir, wie es anfing. Während Weffi noch dabei war, seine ersten Fleischstückchen langsam und genießerisch zu mimmeln, hatte Cocki den Inhalt seines Napfes bereits eingeatmet. Er sah auf und watschelte zunächst zu Peter hinüber. Da es aber Peters Methode war, sich zunächst das Fleisch mit gierigem Happ-happ in den Rachen zu werfen, enthielt sein Napf nichts Wesentliches mehr außer ein paar Kartoffelresten, die der Dicke gründlich aufschlabberte, während Peter ihm mit scheelen Augen zusah. Und dann hatte Cocki Kurs auf den Napf des Foxl genommen. Vor dem Napf stehend, hatte er sein bekanntes, dumpfes, kaum hörbares Knurren ausgestoßen, das Peter in die Flucht jagte. Weffi aber, die Schnauze tief im Napf, hatte ihn nur mit einem starren Aufwärtsblick gemustert und lediglich das Tempo des Schlingens gesteigert. Dann hatte auch Cocki seine dicke Nase mit in den Napf gesteckt. Ein Knurrduett hatte begonnen, Nase an Nase, und im nächsten Augenblick schon bildeten die beiden ein wüstes Knäuel.

Als ich mich umwandte, hatte Cocki wie gewöhnlich den schwächeren Hund überrannt. Weffi lag auf dem Rücken, und Cockis fauchend entblößtes Gebiß suchte seine Kehle. Ich weiß heute noch nicht warum, aber ich hatte von Anfang an ein unheimliches Gefühl bei diesem Anblick. Das war keine der üblichen Balgereien, hier entlud sich ein urtümlicher Haß, die nackte, brennendrote Feindschaft, in die man hineinsah wie durch ein Guckfenster in die lodernde Glut des Hochofens...

Statt Weffis Hals zu finden, stieß Cocki jedoch auf eine blitzende Doppelreihe scharfer Zähne, die länger und gefährlicher waren als seine eigenen. Jetzt fuhren ihm die beiden Eckdolche in die empfindliche Flappe. Er wich mit einem Wehlaut zurück, und für eine Sekunde las ich in seinen Augen, daß er den Kampf aufgeben wollte. Wenn Weffi sich jetzt erhoben hätte und einfach wieder an seinen Napf gegangen wäre, hätte der Dicke sicher verlegen kehrtgemacht.

Aber es war anders diesmal! Weffi war wie ein Blitz hoch, huschte seitwärts weg und saß dem kleinen Löwen von hinten schräg im Nacken. Das aber stellte sich als Fehler heraus, der nur aus mangelnder Kampferfahrung zu erklären ist, denn dort, im Nacken, traf sein Biß auf Cockis härteste Stelle, ein eisernes Geflecht aus Muskeln und Sehnen, fast so dick wie das einer Bulldogge. Selbst Weffis scharfe Dolche, noch dazu gebremst durch die langen Haare, konnten nichts ausrichten. Mit einem Ruck schleuderte der Große den Foxl ab. Er flog zur Seite, stolperte, und sofort war Cocki wieder über ihm, bekam ihn, gerade als er sich wieder auf seine kleinen Steifbeinchen stellen wollte, im Nacken zu fassen und schüttelte ihn in der Luft wie einen Lappen.

Ich war bisher hilflos und wie gelähmt um das kämpfende Knäuel herumgetanzt und hatte nur Peter wegscheuchen können. In diesem Moment stürzte sich Frauchen vor und bekam den kleinen Löwen am Halsband zu fassen. Das Halsband zerriß. »Die Hinterbeine schrie ich ihr zu. Sie wandte den alten Trick an, packte Cockis Hinterbeine und zerrte sie mit einem Ruck auseinander. Mit einem dumpfen Laut ließ er den Foxl aus seinen Zähnen rutschen, sie hob ihn hoch, aber mit dem Kopf nach unten verbiß sich das rasende Tier in ihr Bein.

Ich indessen hatte mich auf Weffi gestürzt. Er röchelte noch unter dem eisernen Griff, seine Augen waren verdreht, dann kam er halb zu sich und schlug mir, noch blind vor Wut und Entsetzen, wie eine Natter seine Zähne in den Arm. Ich schrie unwillkürlich auf und schüttelte ihn ab. Er überkugelte sich, und nun war Peter wie ein Schatten über ihm. Ich konnte ihn diesmal nicht abwehren, und es schien mir auch nicht so wichtig, denn sie waren sich ebenbürtig — mochten sie sich prügeln! Nach ein paar Bissen hin und her war es sowieso immer zwischen ihnen aus. Meine Gefährtin war es, die Hilfe brauchte, Cocki ließ noch immer nicht von ihr ab. An ihrer Wade lief das Blut dunkelrot hinab. Ich war mit einem Satz bei ihr, packte den Dicken am Nacken, und nun war er’s, der heftig gebeutelt wurde, daß ihm Hören und Sehen verging. »Was hast du gemacht, du Biest«, brüllte ich ihn an, »darfst du denn dein Frauchen beißen Sie war niedergesunken und hielt sich schluchzend das Bein. Ich drückte den Hund auf die Erde, wo ihr Blut einen Flecken gebildet hatte, und stieß ihn mit der Nase hinein. Es vermischte sich mit dem Blut, das aus seiner verletzten Schnauze lief. Seine Augen, die erst ganz irrsinnig waren, erloschen, er wimmerte, knickte hinten ein und — reichte mir die Pfote. Ich hob ihn auf, setzte ihn in den Wagen, kurbelte das Fenster hoch und schlug die Tür zu.

»Puh«, sagte ich, lehnte mich einen Moment an den Kotflügel und wischte mir die Stirn. Da schrie schon wieder Frauchen:

»Komm doch, komm! Peter bringt Weffi um...

Nahm denn das nie ein Ende? Ich fuhr auf. In der Wiese wälzte sich noch immer ein schwarzweißes Knäuel durcheinander. Jetzt aber wurden die Bewegungen der Kämpfenden langsamer, und ich hörte einen Laut, der mich erstarren ließ. Ich kannte diesen herzzerreißenden Laut einer Kreatur, die sich selbst aufgibt, und diese Kreatur war mein kleiner Weffi! Noch vom Kampf mit dem Großen erschöpft, hatte er sich wohl nicht richtig wehren können; jedenfalls hatte sich Peter mit seinen Haifischzähnen in Weffis Kehle so festgebissen, daß dieser den Rachen nicht herumbekam, um den Biß zu erwidern und sich zu befreien. Als ich hinzustürzte, verschleierten sich schon seine Augen, für eine Sekunde hatte ich die Vision des ersten Puck, als er in meinen Armen starb...

Weffis Fellbeinchen sanken zusammen wie kleine Blumen, die man an der Wurzel abgeschnitten hat, Kopf und Hals waren von Blut überströmt, und immer tiefer ließ Peter, blanken Mord in seinen gespenstischen Augen, seine Zähne in ihn sinken. Das war — plötzlich begriff ich und blieb einen Moment wie erstarrt stehen — für Peter der Augenblick der großen Abrechnung mit dem verhaßten Eindringling, der Aufstand des Dunklen gegen die hohe, zivilisierte Rasse.

»Ja, warum greifst du denn nicht zu schrie meine Gefährtin. Ich erwachte. Es war, als müßte ich Jakrhunderttausende zurückeilen, ehe ich wieder imstande war, meinen Muskeln zu befehlen. Dann hörte ich mich gellend schreien: »Peter — Peter und im nächsten Augenblick sah ich meine Finger — fremde Finger schienen es — sich um seinen Nacken schließen und ihn mit aller Kraft hochreißen.

Mit seinem unvergleichlichen Selbsterhaltungstrieb war Peter sofort wieder bei sich und begann vorsichtshalber zu kreischen. »Seid ihr denn alle drei wahnsinnig geworden schrie ich ihn an; und dann, als ich sein Zittern spürte: »Na ja, ist ja gut, du wolltest dein Brüderchen verteidigen, aber Weffi ist doch auch dein Brüderchen — pfui, so ein ungezogener Hund!«

Jetzt waren es wieder die altgewohnten, komisch verdrehten Orgelmannaugen, die mich anblickten. Ich trug auch ihn zum Wagen und sperrte ihn zu Cocki. Als ich zurückkam, hatte sich Weffi aufgerappelt und stand blutverschmiert mit wankenden Beinen da. Ich sprach leise mit ihm und band ihn dann an einer Baumwurzel fest. Et begann sich vorsichtig zu belecken.

Nun wandte ich mich Frauchen zu, die am See saß und mit schmerzverzerrtem Gesicht ihr Bein ins Wasser hielt. Es war eine tüchtige Schramme. Ich holte Wasserstoff aus dem Wagen, wusch sie ihr aus und band ihr mein Taschentuch um.

Als nächstes sah ich mir meinen Arm an. Der Biß hatte die Muskeln des Unterarmes getroffen und war nicht ganz durchgekommen. Der Arm aber begann mächtig anzuschwellen und tat niederträchtig weh. Und wie ging’s denn Weffi? Er saß neben der Wurzel und bebte —. Ich machte ihn los, nahm ihn auf meine Arme, ein leichtes Bündel, trug ihn zum See und wusch Kopf und Hals mit kaltem Wasser, dann stellte ich den Schaden fest: das rechte Ohr war eingerissen, an Hals und Kinnbacken ein paar flache Hiebe, im Nacken ein tiefer Biß. Er wurde mit Wasserstoff behandelt.

Dann setzte ich mich erst mal hin.

»Tut dir dein Bein noch weh fragte ich nach der anderen Seite.

»Nicht mehr so schlimm. Aber du, das war eine böse Sache

»Ja wirklich, böse! Das war nicht die übliche Hauerei, das war etwas anderes. Ich habe ein scheußliches Gefühl. Was machen wir jetzt

»Ich weiß nicht. Komm, laß uns erst mal heimfahren, es wird kühl, und ich möchte mich zu Hause hinlegen