Und dann kam: Peterchen

Ein silbergrauer hoher Haarpuschel, ein kohlschwarzes Naschen. Rechts und links davon zwei Augen, die man niemals vergißt. Es sind gar nicht die Augen eines Hundes, sondern eher die eines Menschenaffen, aber nicht die von dicken Wülsten verschatteten des Schimpansen, sondern hervorquellend und ein Licht aus der Welt der Elementargeister ausstrahlend. Etwas von der Klugheit eines Pudels ist auch darin und etwas von dem theatralisch-komisch verdrehten Auge eines See-Elefanten. Zu beiden Seiten dieser überaus merkwürdigen und bemerkenswerten Lichter stehen zwei dreieckige schwarze Ohrzipfel ab, die für sich allein ein ganzes Register von Gefühlen ausdrücken können. Man kann sie in jagendem Galopp weit nach hinten an den Kopf legen, kann sie neugierig hochrücken, lauschend aufstellen. Man kann sogar das eine Ohr in Normallage lassen und das andere verknuckelt in die Gegend strecken, um äußerste Ergebenheit oder bescheidenartige Erwartung auszudrücken. Über dem schneeweißen Haifischgebiß ein kleines Seehundsbärtchen und darunter ein ständig verklebter Spitzbart, aus grauen, schwarzen und rötlichen Haaren zusammengedreht, offen gesagt nicht sehr hübsch anzusehen, aber zum Nachdenken anregend, besonders, was die Herkunft des rötlichen Tones anlangt...

Ansonsten haben wir einen hochbeinigen, starken und schlanken Körper, bedeckt mit schwarzem, kurzhaarigem, sehr schön glänzendem Fell und an den Hinterkeulen zwei eisgrau gepuderte, hoch angesetzte Höschen.

Wie alle Wesen mit sehr charakteristischem Äußern kann Peterchen eine weite Skala zur Vorstellung bringen, die beim jammervollen Hinterhofbastard beginnt und bis zum putzigen Schoßhündchen der Dame geht.

Viele Namen führt dieses Peterchen: Affe, Fliegenbein, Orgelmännchen, Fünfzig-Pfennig-Hündchen, Teuf eichen. Kein Name und keine Beschreibung jedoch können dieses seltsam herbe Wesen erschöpfen, das sich nach Cockis Einzug zu uns gesellte.

Damals, im späten Herbst seines zweiten Jahres, hatte sich Cocki noch an mich angeschlossen und war noch nicht zum fanatischen Anbeter Frauchens geworden, der er jetzt ist. Daher kam es, daß sich in Frauchens Herz die furchtbare Wunde noch nicht schließen konnte, die Puckchens Tod gerissen hatte. So begann sie nach allen Regeln psychologischer Kriegführung die Vorbereitung auf einen zweiten Hund.

Zunächst wurde mir versichert, wie glücklich man sei, daß Cocki sich zu einem so treuen Gefährten entwickelt habe.

»Wieso«, fragte ich ahnungslos, »er ist doch meist allein unterwegs

Er sei eben, wurde mit dem logischen Salto der ewigen Eva erwidert, ein echter Männerhund. Dieses ließ man eine Weile in mich hineinsinken, und dann wurde bedeutungsvoll hinzugefügt, daß natürlich für eine Frau etwas Niedliches, Zärtliches, Anschmiegsames viel geeigneter sei.

In männlicher Instinktlosigkeit diese Unterhaltung rein abstrakt nehmend, legte ich die Feder hin, paffte ein paar tüchtige Züge aus der Pfeife und erklärte: »Ich persönlich hatte ja immer nur einen Schäferhund gewollt — weißt du, einen von der ganz großen Sorte, die wie Löwen sind, stark, wachsam, anhänglich —«

»Das wäre ja schon wieder ein Männerhund, wo du doch schon einen hast

»Hm...«

»Ich meine, du könntest dir ruhig mal überlegen, was ich für einen Hund haben müßte

»Du?«

»Ja, ich! Soll ich dir einen Cognac geben, ich habe noch etwas zurückgehalten von gestern abend

»Cognac wäre nicht schlecht

Nach seiner Einverleibung fühlte ich mich verpflichtet, ihre Hundesehnsüchte zu erörtern, natürlich immer noch in der Annahme, daß sie genauso akademisch seien wie meine Schäferhundträume. »Was würdest du dir denn für einen Hund wünschen

»Du hast doch selbst immer gesagt, daß die Pudel nicht nur die klügsten Hunde seien, sondern auch die treuesten und anschmiegsamsten

»Soso«, sagte ich, »war ich dieser Meinung

»Hast du deine Meinung etwa geändert

»Ach Gott, weiß du — erstens haben wir ja einen Hund und zweitens — so ein Pudel mit dieser Allongeperücke und dem albernen Quastenschwanz ist eigentlich nur etwas für alte Jungfern

»Willst du damit andeuten, daß ich eine alte Jungfer bin

»Willst du damit andeuten, daß du dir einen Pudel anschaffen willst, wo ich dir doch eben erst Cocki geschenkt habe

Diesem Frontalangriff wurde zunächst ausgewichen. »Ich würde mir natürlich niemals meinen Pudel (da war er schon!) so albern scheren lassen, sondern à la caniche

»Ha?«

»A la caniche ist — weißt du — so mit langen Pluderhöschen und das Fell im ganzen gelassen, nur flach abgeschoren wie ein Persianerlämmchen, süß, sage ich dir! Frau Mttata (Name vergessen) hat eine Pudelzucht und eine ganz besonders schöne Hündin, die sie jetzt belegen lassen will. Sie ist die bezauberndste Kleinpudelin, die man sich vorstellen kann, und so klug und so lieb! Ich habe mir einen Rüden bestellt und schon bezahlt. Du brauchst dich um nichts mehr zu kümmern, das ist meine Sache...«

Was hätten Sie, als langjähriger Ehemann, darauf erwidert?

Ich jedenfalls klappte den vor Erstaunen geöffneten Mund nach einer Weile wieder zu und sagte: »Na, da schau — schau (Und behaupten Sie jetzt nicht, daß Ihnen etwas Besseres eingefallen wäre —!)

An diesem Abend geruhte Cocki zu Hause zu bleiben und bestand sogar darauf, die Nacht mit mir zu verbringen, indem er sich in den Sessel neben meiner Schlafcouch kringelte und umgehend entschlummerte. Ich kniete mich im Pyjama vor ihm nieder, nahm ihm die Ohrfladen von den Augen, kitzelte ihn am Schnurrbart und erreichte damit, daß ein milchig verschleiertes Löwenauge geöffnet wurde und mich völlig abwesend ansah.

»Hör mal zu, alter Junge«, sagte ich, »Frauchen hat einen Pudel auf der Pfanne, so einen >Huch nein, das süße Hündchen!< weißt du! So mit Quastenschwanz und Schleifchen und Männchenmachen urid auf Hinterbeinen tanzen, wenn man ihm Zuckerchen hinhält. Hörst du, Dicker, so einen Leierkastenaffen, so’n kohlschwarzen — wollen wir denn so was, wie

Eine schlafheiße Riesentatze wurde mir hingereicht. Ich knudelte sie, er seufzte. »Nein, willst du auch nicht? Gut! Aber, Dicker, kommen tut er, da hilft uns kein Gott, und gegen die Weiber können wir nischt machen! Sage nicht gleich wieder, daß ich ein Schlappschwanz bin — bin nur klug, weißt du...«

Ein langer fragender Blick traf mich von unten her: »Ja, du hast es natürlich in dem Punkt viel leichter; aber wir, wir haben ja schon seit Generationen das Heft aus der Hand gegeben und uns einreden lassen, daß es unsere Lebensaufgabe ist, diese armen, gebrechlichen Wesen, die durchschnittlich zehn Jahre länger leben als wir, zu schützen und ihnen jeden Willen zu tun, weil sie sonst, ich weiß nicht was, bekommen... Aber daran, Cocki, daran bin ich nicht schuld! Daran sind ein paar Milliarden Pantoffelhelden schuld, die vor mir lebten. Also, mit einem Wort: Eher könnte ich mich gegen eine D-Zug-Lokomotive stemmen als gegen den Pudel. Im übrigen, sieh mich nicht dauernd so verachtend an: Du bist ja auch so einer! Ihr habt ja auch, dreißig Mann hoch, zehn geschlagene Nächte vor dem Gitter dieser blödsinnigen Pekinesin gehockt und getan, als ob ihr ohne sie alle krepieren müßtet...« Das Löwenauge hatte sich wieder geschlossen, und aus der Brust kamen tiefe, langsame Atemzüge.

Ein paar Wochen lang ereignete sich gar nichts, außer daß der Winter anbrach. Es war ein gründlicher Winter mit klirrendem Frost und tiefem Schnee. Die Baumskelette im Garten bogen sich unter der weißen Wucht. Fiel die schräge Sonne auf sie nieder, flammten Tausende von Diamanten auf, und Cocki pflügte hohe Bugwellen blauweißen Neuschnees vor sich her, wenn er den Garten durchwanderte.

Eines Mittags, während ich an einem Artikel über die Philosophie des atomischen Zeitalters schwitzte und so ganz nebenbei von draußen her den Wagenschlag der heimkehrenden Hausfrau zufallen hörte, war unten ein großes Getuschel. Dann öffnete sich die Tür: Frauchen, ganz beschneit mit schmelzenden Flocken im Pelz, der vom eine merkwürdige Ausbuchtung aufwies. Ihre Hand fuhr in diese Ausbuchtung und kam wieder daraus hervor, etwas Schwarzes in der Größe einer fetten Ratte im Genick haltend, und setzte es vor mich hin auf den Teppich. Cocki plumpste von der Couch auf die Erde und besah sich dieses rabenschwarze Etwas, das dort mit wackelnden Beinchen stand und sich sofort auf ihn zubewegte.

»Das ist er«, sagte meine Gefährtin. »Er heißt Peter Peter unterdessen war unter dem Bauch des völlig verdatterten Cocki angelangt und suchte dort vergeblich nach den mütterlichen Knöpfen. Der kleine Löwe warf mir einen ratlosen Blick zu, dann wich er mit weit auseinandergebogenen Beinen vorsichtig zurück und tippte das schwarze Knäuel mit der Vorderpfote an. Es fiel sofort auf den Rücken und präsentierte einen prallen, kahlen Bauch mit einer winzigen Quaste dran. Cocki beschnüffelte alles ausgiebig mit der Riesennase und sprang dann angewidert auf die Couch zurück. Das verlassene Etwas in der Tiefe versuchte sich kläglich winselnd an der Couch aufzurichten und wurde von Frauchen unterstützt und heraufgehoben.

»Hier, Cocki, das ist dein Brüderchen! Du wirst schon darauf aufpassen und recht lieb zu ihm sein, nicht wahr

Peterchen indessen, da er die Knöpfe wiederum nicht finden konnte, entschädigte sich dadurch, daß er Cocki in die Pfoten zwickte. Cocki entwich diesen Albernheiten durch einen Sprung auf den Sessel. Das schwarze kleine Wesen setzte sich daraufhin auf den Popo und stieß ein markerschütterndes Weinen aus. Als es schließlich die Hinterkeulen wieder hob, um auf die Lehne zu klettern, war ein unverkennbarer dunkler Tümpel auf meiner Couch zu sehen.

»Er ist natürlich noch nicht stubenrein«, sagte Frauchen, »das müssen wir ihm schleunigst angewöhnen

Wie Peter jedoch alles in seiner Jugend besonders schwerfiel, so auch die Stubenreinheit. Es mag sein, daß der strenge Winter dazu beitrug, jedenfalls zeigte er eine geradezu panische Angst davor, seine Geschäfte im Freien zu erledigen. Warum sollte man es auch, wo es doch so viel gemütlicher war, im schönen warmen Zimmer in die Kniebeuge zu gehen? Eines Abends, als wir ihn wieder einmal bei seiner Lieblingstätigkeit überraschten, erklärte ein Freund, der unsere Teppiche immer besonders geschätzt hatte, melancholisch: »Nunmehr ist auch die letzte Teppichdecke zur Berieselung freigegeben...«

Nach jedem Klaps und jedem Anschnauzer schlich er sich mit empörten Blicken aus seinen damals noch veilchenblauen Augen von dannen und flüchtete zu seinem großen Bruder.

Die ersten Nächte zwischen den beiden müssen übrigens ziemlich stürmisch gewesen sein. Jedenfalls hörten wir noch bis tief in die Nacht hinein Bewegung aus der Küche. Ab und zu quiekste Peterchen.

»Hoffentlich beißt er ihn nicht tot meinte Frauchen angstvoll, als wir uns zu dritt (Mathilde, ihre freundliche Fülle im Schlafrock bändigend, voran) gegen zwei Uhr morgens vor der Küchentür zusammenfanden. Wir horchten — Totenstille. »Wahrscheinlich ist er längst tot —«, neckte ich die beiden Frauen. »Um Gottes willen«, flüsterte Mathilde und öffnete die Küchentür. Ich knipste schnell das Licht an. Der Löwe lag ausgestreckt auf der Seite und zwischen seinen Beinen, das Köpfchen auf seinen Bauch gelegt, Peterchen. Und rund herum unzählige kleine Seen...

»Luftaufnahme von Finnland«, sagte ich und schloß grinsend die Tür.

Und dann kamen für Peterchen täglich neue Erlebnisse, wunderbare und schreckliche. Da kam der Onkel Doktor mit der Spritze, um ihm eine Ladung Anti-Staupe-Serum zu verpassen. Vor Peters Geschrei flüchtete der ganze Haushalt, hielt sich die Ohren zu und kam erst wieder zu sich, als er längst damit beschäftigt war, einen Schlüpfer von Mathilde aus dem Wäschekorb zu zerren...

Wenige Wochen später, als draußen schon der Schnee verschwand und sich die Bäume im Frühlingssturm bogen, kam die schlimmste Krise seines Lebens: aus der Küche hörten wir ein eigentümliches Geschrei. Es war nicht vollhalsbrüllend wie sonst, sondern seltsam unterdrückt, undeutlich. Wir hörten Mathilde lachen, und dann kam die kleine schwarze Kugel aus der Küche gerollt und warf sich mit den gleichen, entsetzlichen und undeutlichen Jammerlauten vor Frauchens Füße. Aus seinem Maul quollen immer neue Schaumblasen, die bald sein ganzes Köpfchen einhüllten; er fiel auf die Seite und wimmerte pausenlos. Alles war um ihn bemüht.

»Mathilde«, rief Frauchen, »kommen Sie her, was ist denn nur passiert

Mathilde grinste verlegen und trocknete sich die Hände an der Schürze ab: »Passiert? Och, nichts, er hat sich, glaube ich, verbrannt, weil er das heiße Fett leckte, das aus dem Grill tropft...«

Ich kauerte mich auf den Boden, wir sperrten ihm vorsichtig den Schnabel auf und sahen eine grausam verbrannte kleine Zunge und Gaumen. Nun bekam es auch Mathilde mit der Angst zu tun, schlug die Hand vor den Mund und stotterte: »Achgottachgottachgottachgott, das ist doch nicht etwa schlimm

»Er kann dran sterben«, sagte Frauchen und hielt die Tränen zurück, »Sie müssen besser aufpassen, Mathilde Und zu mir: »Bitte ruf doch rasch den Arzt an Und dann, das kleine wimmernde Bündel an ihr Herz drückend: »Mein Kleines, mein armes Kleines, solche Schmerzen, und nichts sagen können Nun liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Ich fluchte am Telefon, weil die Verbindung nicht zustande kam.

Die nächsten Tage waren ausgefüllt durch den gemeinsamen Kampf um Peterchens Leben. Er fraß nichts, er trank nichts, er wurde immer matter, der ganze Körper war fiebergeschüttelt, und er kroch nur unter den warmen Heizkörpern herum. Der Onkel Doktor kam wieder und wieder und machte ein besorgtes Gesicht. Auf der Zunge und in der Rachenhöhle hatten sich große Brandblasen gebildet, die aufplatzten und furchtbare Wundflächen hinterließen. Alle Stunde mußte ihm das Mäulchen ausgewaschen werden, mußte man ihm kühle Milch und Honig einflößen, und nur ganz allmählich überwand er die Verletzungen und begann wieder, in der Wohnung herumzutaumeln.

Aber nach drei Wochen war auch diese Krise überwunden, und da warf ich zum erstenmal eine Frage auf, die zur zweiten Krise seines Lebens führen sollte: »Sag mal«, fragte ich meine Gefährtin, »er ist doch ein Pudel

»Na und?« Es klang unsicher, herausfordernd.

»Ich meine nur so —. Wann pflegen sich eigentlich bei jungen Pudeln die Haare zu kräuseln

»Na siehst du nicht, dort fangen sie doch schon an«, und sie zeigte dabei auf eine einsame Locke, die sich auf Peterchens Kopf wölbte.

»Hat uns die Züchterin eigentlich schon den Stammbaum geschickt bohrte ich weiter.

»Nein, sie hat es sicher vergessen. Ich werde gleich mal anrufen

Ein weiterer Monat verging. Die Aprilregen waren vorbei, und der Garten verschwendete sich in tausend Blüten. Maikäfer schwirrten durch die Gegend, vor denen sich Peterchen, dem Beispiel seines großen Bruders folgend, unter die Büsche verkroch. Die Züchterin, wegen des Stammbaums erinnert, machte seltsame Ausflüchte am Telefon, und so bestiegen wir eines Tages Muckelchen, das Familienauto, und fuhren zu ihr hinaus. Da legte sie ein Geständnis ab: am Tage vor der offiziellen Hochzeit hatte ein uralter, blinder Foxl-Opa seinen Weg zur Pudelhündin gefunden und war dem auserwählten Pudelrüden zuvorgekommen. »... und deshalb«, sagte die Züchterin, »habe ich schon alle anderen Welpen zurückbekommen. Es ist mir furchtbar peinlich, aber der Kaufpreis steht Ihnen selbstverständlich zur Verfügung. Lassen Sie den Hund gleich hier

»Und, was machen Sie mit ihm

»Ich lasse ihn natürlich töten! Er merkt gar nichts«, fügte sie hinzu, als sie unsere entsetzten Gesichter sah.

Wir sprangen zu gleicher Zeit auf: »Was, unser Peterchen töten? Kommt ja gar nicht in Frage! Der Teufel soll alle Stammbäume der Welt holen Und wir packten ihn und verließen fluchtartig die Stätte der Gefahr.

Von da ab gaben wir es auf, das Kräuseln der Haare zu erwarten. Peterchen derweilen wuchs und gedieh ungeachtet aller rassischen Probleme. Sein Leben entwickelte sich völlig im Schatten des Löwen, der ihn zu seinem bedingungslosen Sklaven und Anbeter gemacht hatte und ihn mit brummiger Freundlichkeit um sich duldete. Wenn er eine Maulwurfsfamilie ausgrub, durfte Peter jetzt schon assistieren, indem er hinter ihm die Erde wegschaffte. Er durfte auch manchmal, wenn der Trichter ausgeräumt war, hineinriechen. Er war jetzt stubenrein und konnte auch schon das Beinchenheben, was er pünktlich überall dort tat, wo Cocki diese kultische Handlung vollzog.

Seine äußere Erscheinung ließ allerdings noch zu wünschen übrig. Der Bauch blieb bejammernswert kahl, worauf ich ihn das >Fünfzig-Pfennig-Hündchen< taufte und erklärte, für diesen Preis könne man eben nicht mehr verlangen, und es sei wie beim Volkswagen, wo zugunsten der beweglichen Teile an der äußeren Ausstattung gespart werde. Die Beinchen, die sich jetzt mächtig streckten, blieben dünn und ohne jeden Behang, was ihm auch den nicht gern gehörten Beinamen >Fliegenbein< eintrug. Dafür begann sich die hohe Pudelstirn mit einem Gelock zu bedecken. Auch an den Hinterschenkeln, wo er eine bescheidene Andeutung von Höschen entwickelte, zeigten sich diese eisengrauen Töne.

Die Augen waren inzwischen braun geworden und nahmen jenen seltsamen, rührenden Ausdruck an, der ihm bis auf den heutigen Tag aller Herzen gewonnen hat. Meist liegt unendliche Trauer in ihnen, manchmal aber können sie geradezu visionär strahlen. Das ist oft abends der Fall, wenn wir mit den Hunden beim Radio sitzen, in der kleinen Lichtinsel, die die Stehlampe wirft. Dann kann er sich plötzlich aufrichten und über unsere Köpfe hinweg in irgendeine dunkle Ecke starren, als sähe er dort einen Elementargeist sich bewegen oder den Schatten eines Verstorbenen. Es läuft mir regelmäßig kalt über den Rücken, wenn ich diesen Blick sehe, und unwillkürlich drehe ich mich in seine Blickrichtung...

»Siehst du ihn frage ich Peter flüsternd; »was erzählt er dir über uns Menschen?«

Irgendwie scheint dauernd eine Schicksalsangst über ihm zu liegen, und wir können uns nicht erklären, woher sie kommt, denn er war doch immer nur in unserer Hand und ist stets aufs liebevollste behandelt worden. Aber er sieht sich ständig bedroht und weicht Menschen und Tieren aus. Wenn Cocki und andere Hunde, >furchtbar böse< spielend, den Zaun auf und ab rasen, bleibt er stehen und sieht mich an, als wolle er sagen: »Na, was sagst du zu diesen blöden Kerlen... Vor dem Angriff so großer Hunde flüchtet er windschnell und zitternd, nur mit einer Ausnahme:

Ich habe es viele Male erlebt, daß er sich, wenn Cocki von einem größeren Hunde angefallen wurde, vor Angst schlotternd, aber nichtsdestoweniger ohne Zögern, auf den großen Hund stürzte und ihn in Schwanz und Hinterkeulen biß, so daß der kleine Löwe Luft bekam und entfliehen konnte. Dieses, das Überwinden der eigenen Todesangst aus Liebe zu einem anderen Wesen, ist für mich das wahre Heldentum. Die robusten Kerle, mit Nerven wie Schiffstaue, die sich gar nichts dabei denken, wenn sie sich raufen, sind keine Helden. »Ein Held ist — wer es trotzdem tut Und deshalb ist Peter in meinen Augen ein wahrer Held!

Peters Spiel ist voller Einfälle und meisterhaft, und der Ball ist ebenso beliebt wie das Stöckchen. Mit katzenhaften Bewegungen schlägt er den Ball mit den schlanken, sehnigen Pfoten so geschickt vor sich her, daß man tatsächlich manchmal die Vision einer huschenden Maus hat. Diese hinreißende Begeisterung für das Spiel bringt sogar manchmal den Löwen in Wallung, der sonst für alles nicht freßbare Spielzeug tiefste Verachtung zeigt. Dann furcht er die Stirn, reißt Peter den Ball weg und schleppt ihn ins Haus unter die Kommode.

Die Kommode in der Diele ist aber auch Peterchens Zuflucht. Wenn Herrchen und Frauchen schimpfen oder wenn es gar einmal für Cocki Hiebe setzt, schießt er wie ein Blitz — obwohl keineswegs betroffen, denn er wird fast niemals bestraft — in diese Höhle. Wenn Cocki seine Senge hinter sich hat, kriecht auch er unter die Kommode, und in diesem Fall macht ihm Peter nicht Platz, offenbar, weil ihm der große Bruder, frisch verbimst, in diesem Augenblick nicht gerade als Inbegriff der Überlegenheit erscheint.

Dann sieht man auf der einen Seite Peterchens dünne schwarze Pfoten, auf der anderen Cockis dicke Tatzen hervorragen. Dazwischen liegen die üblichen alten Kochen, die man sich als Andenken von der letzten Müllkastentour mitgebracht hat.

Peters ganzes Glück ist der Garten. Wenn er seinen großen Bruder nicht gerade auf der Brautschau begleitet, kehrt er von den gemeinsamen Ausflügen immer schon früher zurück, nur um bald wieder in seinem geliebten Gefilde zu sein. Mit unzweifelhaftem Genuß bettet er sich in die Blumenwildnis, liegt dort, das Köpfchen erhoben, aus den braunen Affenaugen um sich blickend, in den Himmel starrend, ab und zu nach einer Fliege schnappend. Oder er streicht geruhsam durch sein kleines Reich, sieht sich, wie ein Gärtner, jede Pflanze an, schnuppert lange an der Stelle, wo eben noch das Eichhörnchen die Haselnuß in den Pfoten drehte, scheucht eine dicke Krähe weg, die sich schimpfend auf den nächsten Baum flüchtet; und dann läßt er sich als Wächter auf der sonnenwarmen Treppe nieder, die Pfoten malerisch über die Stufen gehängt, und >besitzt< das alles im wahrsten Sinne des Wortes.

Peter ist bei weitem der klügste und eigenartigste der Hundesöhne. Bei aller Folgsamkeit gegenüber Cocki und Höflichkeit gegenüber dem Menschen hält er sich im Grunde völlig zurück. Er lebt sein eigenes, verschlossenes, tragisch umwittertes Leben, dessen wirkliche Tiefen man niemals ganz ausloten wird.

Einmal versuchte ich dieses Leben zu ergründen. Es war an einem Winterabend, als er im zweiten Jahr in unserm Haus lebte. Ich saß am Schreibtisch, der Rauch meiner Zigarre wölkte blau über die Tischplatte und zog sich in langen, zähen Fäden durch die Lichtbahn der Lampe. Aus dem Sessel neben dem Bücherschrank hörte ich Cockis wohliges Pusten und Schlapfen. Der Wind ging in einem gleichmäßigen Brausen um das Haus. Auf der Couch hatte sich Peterchen angesiedelt. Ich hatte lange über ihn nachgedacht. Jetzt dreht ich die Lampe nach ihm. Er richtete sich auf, während seine Augen in höllengrünen Reflexen spiegelten. Er hob die eine Pfote in Abwehr. Ich stand auf und trat zu ihm:

»Schon wieder Angst, Peterchen? Es tut dir doch niemand was Und dann setzte ich mich zu ihm nieder, nahm das kleine Affenköpfchen mit dem ewig nassen Bart in meine Hände und starrte in seine offenen Augen, die mich nun wie zwei Bernsteinkugeln anblickten. Erst suchte er mir den Kopf zu entziehen, aber ich ließ nicht nach. So wurde er ruhig, während mein Blick immer tiefer in seine Augen drang. Und ich ließ mich mit diesem Blick in seine Seele sinken.

Und nun bin ich — Peter! Ich habe lange, schwarzbehaarte Beine, mein Blut wird wärmer, mit einem Ruck springen meine ganzen Sinne auf eine höhere Stufe der Empfindlichkeit, mein Leben wird schneller und intensiver, siebenmal schneller, siebenmal intensiver. Ich spüre den rauhen Stoff der Couch, auf dem ich liege. Ich fühle die große Mulde, in der es teils nach Herrchen, teils nach Cocki, teils nach mir selbst riecht. Der Mächtige hält meinen Kopf, ich bin ganz in seinen Händen, die mich weich und kühl umschließen. Ich spüre die ungeheure Kraft in diesen Händen und in den Armen dahinter, die über mir aufsteigen und sich dann über die Schultern hinaufschwingen zu seinem Gesicht, aus dem seine hellen Augen hinter den dicken Brillengläsern in mich dringen. Der Mächtige — man darf ihn nicht erzürnen, aber man soll sich ihm möglichst fernhalten, ihm und den anderen Mächtigen. Ich wenigstens muß es tun, denn mein Leben ist bedroht. Das sagt mir die Stimme, die bei mir war seit dem ersten Tage und die von der Mutter kam...

Draußen geht der Wind durch die Bäume. Unter dem Himmel lauert der Frost und will mich beißen. Ich friere so leicht, und ich kann auch nicht lange draußen bleiben. Der Winterdämon ist gekommen und hat meinen Garten verzaubert, meine Blumen getötet, meine Zweige kahl gemacht. Wie gut, daß ich diese warme Höhle hier habe und daß die Mächtigen ihr Fressen mit mir teilen. Ich würde nie mein Fressen mit jemandem teilen, ich darf es ja nicht, sonst sterbe ich... Sie sind seltsam, die Mächtigen. Sie schlucken Rauch, sie ziehen sich ihr Fell herunter, wenn sie schlafen gehen. Wenn sie durch die Zimmer wandern, zittert der Boden. Sie haben vor nichts Furcht. Manchmal kommt etwas von ihnen zu mir, eine warme Welle, ich spüre, daß sie mich lieben, und dann ist es mir, als läge ich zwischen den Pfoten meiner Mutter, und ihre heiße Zunge fühle ich auf meinem Fell. Dann überlasse ich mich ihnen ganz, aber ich darf es nicht lange tim, sonst wird man verschlungen und findet nie mehr zurück... Man muß sich losreißen und wieder achtgeben, immer muß man achtgeben! Man darf nicht vergessen, daß sie in einer ganz anderen Welt leben.

Wenn ich zum Beispiel draußen einen wundervollen Duft finde und mich hinwerfe und meinen ganzen Körper darin bade und fröhlich nach Hause komme und glaube, auch sie, die Mächtigen, werden entzückt sein, dann gibt es gleich oben über mir, zwischen ihren Köpfen hin und her, ein Geschrei, und ihre Hände kommen aus der Höhe zu mir und greifen mich. Es sind unfreundliche, harte Hände dieses Mal! Sie heben mich in das Weiße, Glatte, und dann ergießt sich heißes Wasser über meinen Körper, und zwischen ihren Händen quillt weißer Schaum auf, der furchtbar stinkt. Und sie umhüllen mich damit. Wissen sie denn nicht, daß meine Nase mein halbes Leben ist und daß ich an dem Leiden dieser Nase fast eingehe, daß ich mein ganzes Leben verliere und nur noch schlotternde Nässe und Grauen vor dem Gestank bin? Hinterher gibt es dann ein süßes Plätzchen, einen von diesen mageren Happen, die ohne Fleisch sind, aber gut schmecken. Ich nehme es — aus Prinzip —, aber mit Vorbehalt, denn der scheußliche Geruch wandert mit mir.

Ich laufe zu meinem Bruder Cocki, um mich bei ihm zu beklagen. Aber selbst er, der Starke, hat sich schnell verkrochen, als sie dies mit mir taten. Und jetzt weicht er vor mir zurück, zieht die Nase kraus, weil mein Geruch ihn peinigt.

Mein Bruder Cocki ist das Beste in dieser ganzen Welt, die so beängstigend voll unerklärlicher Gerüche, Strahlen, Laute und Schatten ist. Cocki ist stark, und seine Welt ist geordnet. Mai) muß auch ihn fürchten, aber man kommt gut mit ihm aus, wenn man ihm nachgibt und schmeichelt. Wenn ihn zum Beispiel das Weiblich-Mächtige in dem großen schwarzen Kasten mit den Rädern mit in die Stadt genommen hat, und er kommt zu mir zurück, dann falle ich ihm um den Hals und küsse ihn. Er wehrt mich brummig ab, aber ich weiß, daß er es im Grunde doch gern hat. Wenn ich draußen mit ihm in der Freiheit herumlaufe, habe ich selten Angst. Er nimmt es fast mit jedem Feind auf und beschützt mich. Er ist nicht so schnell wie ich, aber er riecht besser, und er weiß viel mehr von den Tieren über und unter der Erde. Nachts, wenn wir zusammen schlafen, stecke ich manchmal den Kopf aus der Decke, in die man mich gewickelt hat, und horche auf sein Atmen. Er wacht niemals lange Nachtstunden wie ich und horcht nicht, wie es im Hause knackt und wie draußen der Wind geht und wie ganz von fern ein anderer Hund seine Sehnsucht in die Finsternis schreit. Die Aura seiner schlafenden Seele steht ganz ruhig über ihm. Jetzt geht ein Traumbild hindurch: Irgendein Tier rennt vor ihm her, ich kann es nicht deutlich erkennen, es ist auch nicht nötig, er ist bei mir, und er hält die Furcht des Lebens in den Winkeln gebannt durch seine Gegenwart.

Da werde ich wieder müde, so schön müde. Und ich träume, daß ich stark bin wie er und nichts zu fürchten brauche. Ich träume...

Und ich, der Mensch, erwache aus dem Traum.

In meinen Händen halte ich den kleinen schwarzgrauen Hundekopf, die Augen darin sind geschlossen. Er atmet ruhig weiter... Leise bette ich ihn auf die schlanken Läufe, stehe auf, setze mich wieder an den Schreibtisch. Mir ist kalt. Wo war ich, Peterchen...?