Siebtes Kapitel
Oliver ging nicht an sein Handy, weder um elf Uhr vormittags, als Tessy gerade aufgestanden war und ihren ersten Kaffee trank, während sie nebenbei die wegen des späten Frühstücks sichtlich verstimmten Katzen versorgte, noch um halb zwölf und auch nicht um eins. Es war nicht auszuschließen, dass er ihre Anrufe ignorierte, um ihr aus dem Weg zu gehen, andererseits wusste Tessy zu viel über ihn und seine Geschichte. Aber um es auf den Punkt zu bringen: Sie war beunruhigt. Um halb zwei machte sie sich auf den Weg in Richtung Wedding, diesmal mit dem Wagen.
In Tempelhof fiel ihr zum zweiten Mal ein dunkelblauer BMW auf. Vielleicht fiel ihr auch nur auf, dass hinter ihr ein BMW fuhr – schon wieder. Ob es sich um ein und denselben handelte, vermochte sie nicht zu sagen. Schicker Wagen, dachte sie bewundernd, als sie den Platz der Luftbrücke hinter sich ließ und Kreuzberg anpeilte. Auch auf dem Mehringdamm blieb der Wagen hinter ihr. Sie blickte in den Rückspiegel: ein Typ mit Brille und Basecap.
Am Halleschen Tor bog sie in Richtung Möckernbrücke ab, das taten viele andere auch, unter anderem der blaue BMW. Tessy biss sich auf die Unterlippe. Sie fuhr etwas langsamer, doch der BMW überholte nicht. Das war ungewöhnlich. BMW-Fahrer lebten ja quasi auf der Überholspur, noch dazu mitten in Berlin und gelenkt von einem Typen mit Brille und Basecap. Das mochte ein Vorurteil sein, das sich aber oft bestätigte.
Am Schöneberger Ufer bog sie unvermutet in die Stauffenbergstraße ein und parkte bei der nächstbesten Gelegenheit vor einem Kiosk. Sie stieg aus, blickte sich nicht um, kaufte einen Coffee to go und stieg leise pfeifend wieder in den Wagen. Aus den Augenwinkeln sah sie den BMW auf der gegenüberliegenden Straßenseite hinter einem Möbelwagen stehen. Ihr Herzschlag hatte sich deutlich beschleunigt. Schöne Scheiße, dachte sie. Brandner traut mir nicht und streckt seine Fühler aus. Würde ich an seiner Stelle wahrscheinlich auch tun.
Sie überlegte einen Moment, startete dann den Motor, wendete und düste weiter Richtung Tiergarten, nahm aber an der Siegessäule nicht den Abzweig in den Wedding, sondern ordnete sich auf der Straße des 17. Juni ein und fuhr kurz entschlossen zur Technischen Universität.
Der BMW-Fahrer folgte ihr mehr oder weniger unauffällig, bis sie in der Nähe des Haupteingangs einen Parkplatz ergattert hatte. Dann gab er Gas und bretterte weiter zum Ernst-Reuter-Platz. Tessy stieg aus und ging zielstrebig auf das Gebäude zu, obwohl sie weiche Knie hatte. Sie suchte sich einen ruhigen Platz an einem defekten Kaffeeautomaten und versuchte ein weiteres Mal, Oliver zu erreichen. Diesmal hatte sie Glück.
„Ja?“
„Ich warte im Hauptgebäude der TU auf dich“, sagte sie, ohne Zeit für einleitende Worte oder eine großartige Begrüßung zu verschwenden. „Mach dich auf den Weg.“
„Wie jetzt?“
„Spreche ich Suaheli?“
„Nein, aber…“
„Na, siehst du – also beweg deinen Arsch hierher. Wir haben was zu besprechen!“, erklärte Tessy ruppig. Ihre Umgangsformen litten merklich unter dem Adrenalinanstieg, aber das war nichts Neues. Sie war bis unter die Haarspitzen nervös.
„Was ist los? Warum bist du so…“
„Erklär ich dir später. Also, mach dich auf den Weg.“
„Ja, schon gut.“
Oliver brauchte eine gute Dreiviertelstunde. In der Zwischenzeit konnte Tessy das Vorlesungsverzeichnis der Informatiker, Mathematiker und Betriebswirte auswendig hersagen. Darüber hinaus war sie abgefüllt mit schlechtem Kaffee und hatte die immer wieder hochschwappenden Befürchtungen bekämpfen müssen, Oliver könnte es sich anders überlegt haben oder wäre unterwegs von irgendwelchen fiesen Typen aufgegriffen worden.
Diesmal trug er eine abgewetzte Lederjacke und Jeans, aber sie erkannte ihn sofort, als er durch den breiten Flur mit suchenden Blicken auf sie zueilte: Er war genauso bleich wie am Vortag, hatte die gleichen großen braunen Augen, in denen immer noch Kummer und Schreck standen. Was denn auch sonst? Tessy winkte, und er trat auf sie zu und stand plötzlich dicht vor ihr. Seine Locken standen wirr vom Kopf ab. Er musterte sie und lächelte unvermutet.
„Warum bist du eigentlich so wütend? Ist es der Kinnhaken, den du mir noch übel nimmst?“, fragte er leise.
Den hatte Tessy längst vergessen, und das war bemerkenswert. Sie rieb sich das Kinn. Ich werd dich vernaschen, wenn der ganze Mist vorbei ist, dachte sie, und einen Moment lang sah es so aus, als spiegelte sich der frech-frivole Gedanke, der angesichts der Ereignisse denkbar fehl am Platz war, auf ihrem Gesicht wieder, denn Oliver musterte es aufmerksam und mit einer gewissen, ja: Vorfreude.
Sie schüttelte den Kopf. Dann nahm sie einfach seine Hand. „Hör zu, Oliver, ich habe eine Idee, wie du aus der ganzen Sache herauskommen kannst, ohne dass sie dich am Arsch kriegen, obwohl du deine Beweise der Polizei zuspielst.“
Er sah verwundert auf ihre Hand herunter, bevor er wieder hochblickte. „Ich bin ganz Ohr.“ Er lächelte immer noch und griff nach ihrer anderen Hand. Nun standen sie voreinander wie ein Paar, das sich gleich miteinander im Kreis drehen würde. Ein merkwürdiger Gedanke, fand Tessy.
Sie sagte zu Oliver: „Du bist ab morgen tot.“
Seine Augen weiteten sich: „Was?“
Einige der umstehenden Studenten warfen den beiden neugierige Blicke zu. Tessy hakte Oliver unter, und sie gingen ein paar Schritte, während sie ihm ihren Plan erläuterte. Dass sie den Artikel bereits in der Nacht abgegeben und die ganze Story längst eingefädelt hatte, ließ sie elegant unter den Tisch fallen. Sie kannte keinen Mann, der sich widerspruchslos mit bereits vollendeten Tatsachen abfand, die noch dazu von einer Frau geschaffen worden waren.
„Die Idee ist nicht verkehrt“, meinte er schließlich zögernd, und sie blieben wieder stehen. Oliver lehnte sich an eine Säule. „Aber verrat mir doch mal, wie die Geschichte weitergeht – der Typ, den du beschrieben hast, also ich, gerate in einen Streit, den ich nicht überlebe, und ich werde ausgeraubt. Okay, nur: Wie kommt der Film in die Hände der Leute, die mich erschlagen haben? Ich werde ihn ja kaum mit mir herumgeschleppt haben – das wäre nicht sonderlich überzeugend, zumindest für Brandner und Co. nicht.“ Sein Blick war skeptisch.
„Ganz einfach: Die Typen haben dir während der Schlägerei alles abgenommen: das schöne erpresste Geld, Papiere, Schlüssel“, erörterte Tessy eifrig. „Außerdem musstest du deine Adresse nennen, damit sie sich auch noch in deiner Wohnung umsehen konnten. Dabei sind ihnen Laptop und Film in die Hände gefallen. Das war ihnen zu heiß, und sie haben das Zeug an die Polizei weitergeleitet, anonym, versteht sich. Mit Mord und Vergewaltigung wollten sie nichts zu tun haben. Wer will das schon?“
„Hm, eine durchaus geile Geschichte“, gab Oliver zu. „Doch im kriminellen Milieu handeln die wenigsten so, wie du es beschreibst beziehungsweise dir vorstellst, egal, worum es geht. Dort heißt es eher – Finger weg von der Polizei, auch wenn die Sachen noch so heiß sind.“
„Mag sein, aber Ausnahmen bestätigen die Regel, oder?“, erwiderte Tessy betont selbstsicher. Sie wusste selbst nur allzu gut, dass die Story an der Stelle ein bisschen hinkte, allerdings war sie davon überzeugt, dass sich diese Lücke zu gegebener Zeit auch schließen lassen würde.
„Wir dürfen jedoch die andere Frau bei der ganzen Sache nicht unter den Tisch fallen lassen“, fuhr sie nachdenklich fort. „Vielleicht lebt sie doch noch und gerät durch die Story in Gefahr. Ich an Brandners Stelle würde jedenfalls, wenn das Ganze ins Rollen kommt und die Polizei aufkreuzt, um unangenehme Fragen zu stellen, intensiv darüber nachdenken, ob sie was damit zu tun haben könnte. Hast du wirklich keine Ahnung, wer sie ist?“
Oliver schüttelte den Kopf. „Nein. Ich befürchte aber im Gegensatz zu dir, dass sie nicht mehr lebt. Auf dem Film ist sie nur ausschnittsweise zu sehen und war irgendwann verschwunden – sicherlich ist es ihr nicht besser ergangen als Lilly. Warum sollte Brandner das Risiko eingehen und eine Zeugin zurücklassen?“
Das war ein gutes Argument, überlegte Tessy.
„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte er.
„Wir fahren zu dir. Du speicherst den Film auf einem USB-Stick und ich leite ihn weiter.“
„Kann ich dir vertrauen?“
Tessy lächelte. „Einmal darfst du raten.“
Diesmal verlief die Fahrt ohne besondere Vorkommnisse. Kein BMW und auch kein anderer auffälliger Wagen folgte ihnen in den Wedding. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Oliver den Film überspielt hatte und Tessy den Stick überreichte. Sie steckte ihn ein und sah ihn an. Er legte eine Hand auf ihren Oberschenkel. Sein Blick war offen und fragend. Der Kummer hielt sich im Hintergrund versteckt. Sie lächelte. Er lächelte zurück. „Darf ich dich küssen?“
Seine Lippen waren sanft und warm. Sie seufzte leise. Seine Zunge begann ihren Mund zu erforschen. Zugleich spürte sie eine Hand an ihrem Busen. Ihre Knospen wurden hart.
„Lust auf mehr?“, flüsterte er.
Sie tastete nach seinem Schritt. Die Ausbuchtung war imponierend.
„Gerne“, flüsterte sie.
Er zog sie behutsam und mit glänzenden Augen aus und erkundete ihren Körper auf fast unschuldige Weise mit behutsam zärtlichen Händen, kleinen, wie hingehauchten Küssen und einer vorwitzigen Zunge. Erst als Tessy ihm aus der Jeans geholfen hatte und seinen steil aufgerichteten Schwanz in den Mund nahm, wurde er heftiger. Sie saugte an seiner Eichel und massierte gleichzeitig seine Hoden, die stramm und hart wurden. Ihre Möse war feucht und begann, sich zu öffnen, als er sie wenig später aufs Sofa legte und ihre Beine spreizte. Er drang stöhnend in sie ein, und sie schlang die Beine um seine mageren Hüften.
„Los, mein Kleiner, nun zeig mal, was du kannst“, raunte sie ihm zu und fuhr mit der Zunge tief in sein Ohr.
Er begann sich zu bewegen und stieß allmählich kraftvoller zu. Sie schauderte und nahm seinen Schwanz gierig in sich auf.
„Schneller“, flüsterte sie eindringlich, und er ließ sich nicht lange bitten. „Härter!“, forderte sie und passte sich seinem Rhythmus an. „Ich bin ein großes Mädchen, also fick mich gefälligst anständig!“
Sie kamen beide schnell und heftig. Er klammerte sich an sie und hielt sie umfasst wie ein Ertrinkender. Plötzlich hörte Tessy, dass sein Keuchen in leises Weinen überging und wiegte ihn sanft in ihren Armen.
* * *
Die Sekretärin stellte durch, nachdem Carola ihr zweimal in energischem Tonfall versichert hatte, dass sie ihr Anliegen unbedingt mit Hugo Brandner persönlich besprechen wolle. Sie gähnte, während es endlich in der Leitung klickte. Sie hatte bereits den halben Tag am Telefon und vor dem PC verbracht und zusätzlich einige Termine abgearbeitet. Und natürlich war es gestern spät geworden, weil Meike dann doch wieder mit der üblichen Litanei begonnen hatte, kaum dass ihre Erregung abgeklungen war. Immerhin – Carola hatte diesmal nicht lange gezögert und Meike relativ zügig hinaus komplimentiert.
„Hugo Brandner“, vernahm sie plötzlich eine angenehme Stimme. „Was kann ich für Sie tun?“
Carola wischte die Gedanken an ihre Ex beiseite. „Guten Tag, Herr Brandner, danke, dass Sie sich Zeit für ein Gespräch nehmen.“ Sie stellte sich kurz vor.
„Polizei?“, fragte er verblüfft. „Hab ich falsch geparkt?“
Kein sonderlich einfallsreicher Spruch, aber vergleichsweise fröhlich hervorgebracht. „Nein, soweit ich weiß jedenfalls. Es geht um Schwerwiegenderes, genauer gesagt um Ermittlungen in einem Verbrechen.“
„Oh. Aber was habe ich damit zu tun?“ Er klang überrascht.
„Sie sind Eigentümer einer Fabrikhalle in Lichtenberg, wenn ich richtig informiert bin?“
Kurze Pause. „Ja.“
„Wann waren Sie das letzte Mal dort?“
Pause. Räuspern. „Wie darf ich die Frage verstehen?“
„So, wie ich sie gestellt habe“, erwiderte Carola geduldig.
„Ich finde, Sie sollten etwas konkreter werden.“
Carola seufzte leise. Er hatte das Recht, eine Erklärung zu verlangen.
„Es gibt Hinweise darauf, dass in der Gegend kürzlich ein Gewaltverbrechen verübt wurde“, erklärte sie. „In dem Zusammenhang sehen wir uns zurzeit in den einzelnen Gebäuden nach verdächtigen Spuren um. Halten Sie es für möglich, dass kürzlich bei Ihnen eingebrochen wurde? Haben Sie Vandalismus feststellen können oder ist Ihnen etwas Merkwürdiges aufgefallen?“
„Ehrlich gesagt, nein“, antwortete Brandner nach kurzem Überlegen. „Ich war vor zwei, drei Tagen dort und habe alles so vorgefunden, wie ich es hinterlassen hatte – jedenfalls schien es mir so.“
Carola nickte vor sich hin. „Verstehe. Würden Sie mir dennoch erlauben, auf ihrem Grundstück einen kurzen Rundgang zu machen und das Gebäude zu inspizieren? Ich meine – ganz unbürokratisch und ohne Durchsuchungsbeschluss.“
„Muss das wirklich sein?“
„Ich arbeite nur meine Liste ab, Herr Brandner. Unter Umständen ist das alles ohnehin eine Luftnummer. Aber wir müssen dem Hinweis nachgehen.“
Brandner seufzte. „Na schön. Ich verstehe. Ich wollte ohnehin morgen früh mal rausfahren. Viel Zeit habe ich allerdings nicht, aber wir könnten uns dort treffen.“
„Damit helfen Sie mir sehr. Ich danke Ihnen.“
Carola beendete das Telefonat und verabredete mit den beiden anderen auf der Liste noch verbliebenen Eigentümern ebenfalls Ortsbesichtigungen. Sie glaubte nicht, dass dabei irgendwas herauskommen würde, aber bei ihrem Job ging es in der Regel nicht um Glauben.
Brandner schob das Telefon beiseite und starrte einen Augenblick zum Fenster hinaus. Dann griff er in die Innentasche seines Jacketts, holte sein Handy heraus und tippte eine Kurzwahlnummer ein.
„Wir treffen uns in Lichtenberg“, sagte er leise, als sein Gesprächspartner sich gemeldet hatte. „Alles Weitere vor Ort.“
„Jetzt gleich?“
„Ja. Wo bist du gerade?“
„Ich warte in der Nähe des Hauses der Schnüfflerin. Du hast gesagt, dass ich sie im Auge behalten soll.“
„Vergiss die Schnüfflerin, zumindest im Moment.“
„Alles klar.“