VORWORT

Ja, ich musste es tun, ich musste aufschreiben, was ich wusste, was ich neu entdeckte; was meine Recherchen erbrachten und was mir die Frau an seiner Seite anvertraut hatte und was ich jahrelang mit mir herumtrug.

Hannelore Kohl begegnete mir erstmals Mitte der Achtzigerjahre, als ich eine Biografie über ihren Mann schrieb und anschließend ein Fernsehporträt drehte. Ihr abgrundtiefes Misstrauen Journalisten gegenüber bekam auch ich zu spüren. Immerhin lud sie mich nach wochenlangem Warten zu ausgiebigen Interviews ein, in denen sie offen über ihre Doppelrolle als treusorgende Mutter und Kanzlergattin sprach. Über mein Angebot, ihr soziales Engagement als Präsidentin des Kuratoriums ZNS in einem Fernsehfilm zu dokumentieren, kamen wir erneut zusammen. Im Juli 1988 strahlte der WDR mein Hannelore-Kohl-Porträt aus, das auf breite positive Resonanz stieß. In den folgenden Jahren gab es eine Reihe von Begegnungen, bei denen ich spürte, dass sie meine journalistische Tätigkeit als Redakteur und Moderator im Deutschlandfunk ebenso schätzte wie meine zahlreichen Politikerbiografien und Fernsehdokumentationen.

Nach Helmut Kohls Abwahl 1998 gehörte ich zu einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern und Publizisten, die dem Kanzler der Einheit beim Schreiben seiner Memoiren half. Damit begann eine für jeden Historiker spannende Forschungstätigkeit, die mich an vielen Wochenenden und freien Tagen nach Ludwigshafen führte. Zweieinhalb Jahre erlebte ich Hannelore Kohl bis drei Tage vor ihrem Tod als engagierte Mitarbeiterin und verlässliche Ideengeberin bei den Erinnerungen ihres Mannes. In dieser Zeit der Zusammenarbeit ergab sich die Gelegenheit zu ausgiebigen Gesprächen auch mit ihr. Ich erlebte eine Hannelore Kohl, die mir in einer nie gekannten Offenheit Dinge anvertraute, von denen ich zuvor nicht die leiseste Ahnung hatte. Bei stundenlangen nächtlichen Spaziergängen im Maudacher Bruch bei Ludwigshafen oder bei unseren Vieraugengesprächen in ihrem abgedunkelten Bungalow schüttete sie mir ihr Herz aus. Ich erfuhr von menschlichen Tragödien und Geheimnissen, die sie offenbar nicht länger für sich behalten wollte, über die sie nicht länger schweigen konnte. Entgegen ihrer jahrzehntelang praktizierten Strategie, nichts Privates öffentlich zu machen und vor allem auf ihren Mann und noch viel mehr auf ihre Kinder nichts kommen zu lassen, befreite sie ihre Seele vom Druck des Verschweigens, des Vertuschens und Verdrängens. Vieles war für mich nicht gleich erklärbar, und manches erschloss sich erst nach ihrem Tod.

Hannelore Kohl wusste sehr genau, dass ich jener Berufsgruppe angehöre, die nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Die wichtigste Funktion meines Berufes als Journalist, Film- und Buchautor liegt im Publizieren. Deshalb durfte ich ihre ungewohnte Offenheit, ihr ungebrochenes Mitteilungsbedürfnis als ein Vermächtnis verstehen: Hannelore Kohl bedeutete mir, dass ich eines Tages das veröffentlichen soll, was sie mir in den vielen Monaten und Wochen vor ihrem Tod anvertraute.

Mit ihren beiden Söhnen hatte ich über Monate Gesprächskontakte, die in dem Moment abgebrochen wurden, als ich nicht zur Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Buchprojekt bereit war.

Mit Helmut Kohl verband mich nach seiner Kanzlerschaft die Mitarbeit an seinen Memoiren. Die Rolle seiner Gattin war dabei ein wichtiges Thema. Eine Woche nach Hannelore Kohls Beisetzung traf ich auf einen tief erschütterten und, so meine Deutung seines Verhaltens, auch vom schlechten Gewissen geplagten Altkanzler. In dieser Verfassung beschrieb er ausführlich die fundamentale Bedeutung der Frau an seiner Seite für sein bewegtes Leben und seine glänzende politische Karriere.

Im vorliegenden Buch versuche ich nach bestem Wissen und Gewissen, das schwere Leben der Hannelore Kohl nachzuzeichnen. Ein Leben, das geprägt war von Verlust, schweren Einschnitten und regelrechten menschlichen Tragödien. Dass die Spendenaffäre ihres Mannes und deren mediale Auswirkungen für Hannelore Kohl der Todesstoß waren, steht nach Meinung Vieler, auch ihrer engsten Freundinnen, außer Zweifel. Hinzu kommen weitere Gründe, die wohl in der Gesamtheit zu ihrem Selbstmord führten: Ihre große Einsamkeit, ihr fortwährendes Gefühl, verlassen zu sein, ihre niemals therapeutisch aufgearbeiteten traumatischen Erlebnisse im Krieg und auf der Flucht und schließlich das Drama ihrer schweren Krankheit. Mit den Werkzeugen des Historikers allein ist eine solche Biografie nicht zu schreiben. Ich habe deshalb zwei namhafte Mediziner um Mithilfe gebeten. Besonderer Dank gilt Professor Dr. med. Luise Reddemann, ausgebildete Nervenärztin und Psychoanalytikerin, langjährige Leiterin der Klinik für Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin des Evangelischen Johannes-Krankenhauses in Bielefeld und derzeit Honorarprofessorin für Psychotraumatologie und Psychologische Medizin an der Universität Klagenfurt. Danken möchte ich auch Dr. med. Bertram von der Stein, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytiker, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Rehabilitationswesen. Ohne ihre Unterstützung wäre die vorliegende Biografie unvollständig geblieben.

Mein Dank gilt auch dem Mitbegründer des Kuratoriums ZNS und der Hannelore-Kohl-Stiftung, Professor Dr. med. Dr. phil. Klaus Mayer. Der ehemalige Ärztliche Direktor an der Neurologischen Universitätsklinik in Tübingen war von 1983 an bis zu Hannelore Kohls Tod der wichtigste Sachverständige und einflussreichste Berater der Kanzlergattin. Ohne ihn wäre die Hannelore-Kohl-Stiftung nicht zu diesem großen Erfolg geworden. Zur Geschichte von Hannelore Kohls sozialem Engagement lieferten die ehemalige ZNS-Mitarbeiterin Amalie Barzen und der frühere ZNS-Geschäftsführer Rolf Wiechers unverzichtbare Hintergrundinformationen.

Zu den Freundinnen, die Hannelore Kohl über Jahre hinweg und bis zu ihren letzten Tagen begleitet haben, zählt insbesondere Rena Krebs. Seit den gemeinsam verbrachten frühen Kindertagen in Leipzig war sie für Hannelore Kohl eine der wichtigsten und vertrautesten Gesprächspartnerinnen, vor allem für die großen Familienthemen. Für mich gehörte sie als Vorkriegs- und Kriegskind zu den unverzichtbaren Zeitzeuginnen. Sie hat meine Arbeit konstruktiv und kritisch begleitet und durch ihre Gedanken und Fragen bereichert.

Kohls langjähriger Haushälterin Hilde Seeber und ihrem Mann Ecki, Vertrauter und Chauffeur des Kanzlers, verdanke ich vielfältige Unterstützung, bei der sie niemals die Gebote von Loyalität und Verschwiegenheit verletzten. Beide waren auch für Hannelore wichtige Stützen in allen Lebenslagen.

Danken möchte ich nicht zuletzt den vielen treuen Freundinnen, Nachbarn und Verwandten väterlicherseits, die mir manchen Hinweis gaben und damit das Bild des Menschen Hannelore Kohl abrundeten.

Verlässliche Informationen lieferten Damen und Herren aus kirchlichen, kommunalen und staatlichen Archiven von Berlin, Bremen, Döbeln, Dresden, Grimma, Leipzig, Ludwigshafen, Mutterstadt, Speyer und Taucha. Auch ihnen ein Dankeschön für professionelle Auskünfte und die Bereitstellung aussagekräftiger Dokumente.

Köln, im April 2011