Kapitel 10

VERZWEIFLUNG

Als die Krankheitsschübe im Zuge der belastenden Spendenaffäre immer unerträglicher wurden, begab Hannelore sich erneut in ärztliche Behandlung. Unter falschem Namen wurde sie von einem renommierten Chefarzt untersucht, der sie mit seiner Diagnose überraschte. Er war zu dem Schluss gekommen, dass alles dafür sprechen würde, dass eine Lichtallergie gar nicht bestünde. Aus seiner Sicht leide sie an einer ganz anderen Krankheit, für deren Behandlung es eines Psychotherapeuten bedurfte. Die unverarbeiteten Traumata hätten zu psychosomatischen Beschwerden geführt, deren Symptome man zwar bekämpfen, deren Ursachen man aber dringend beheben müsse. Doch davon wollte Hannelore nichts wissen. Sie brach jede weitere Behandlung ab und wandte sich wieder ihren Hausärzten zu, die ihre Version der Krankheitsgeschichte stützten. Es war seit Jahren Hannelores Methode, immer wieder aufs Neue Ärzte zu konsultieren, sich aber – wenn deren Diagnose nicht mit ihrem persönlichen Empfinden, mit ihrem Glauben an die Lichtallergie übereinstimmte –, ohne Begründung von ihnen abzuwenden.

Allein im Umfeld des Kuratoriums ZNS gab es verschiedene Fachleute, die ihr medizinisch fundierte und therapeutisch untermauerte Ratschläge gaben. Aber alle Auffassungen über Art und Ursache ihrer beklagten Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen fruchteten nicht. Es zählte allein die Diagnose der behandelnden Hausärzte Gillmann und Möbius: Lichtallergie bzw. Lichtdermatose. Für diese Krankheit, unter der sie seit Jahren litt, gab es nach Auffassung der Patientin angeblich keine Heilung. Immer und immer wieder kam sie im Gespräch auf das Jahr 1993 zurück und verwies mit großem Nachdruck beinahe hasserfüllt auf die angebliche Fehlleistung ihres damaligen Hausarztes Dr. Lösel. Diesen Mann, der ihr einst das Pistolenschießen beigebracht und ihr Jahrzehnte hinweg bei kleineren Wehwehchen und ernsteren Erkrankungen zur Seite gestanden hatte, hielt sie für den Verantwortlichen der immer schlimmer werdenden Lichtallergie. Es sei sein Fehler bei der Medikamentierung gewesen, der auch zu starkem Haarausfall geführt hatte, was für die damals Sechzigjährige ein furchtbarer Schlag war. Über Nacht die wunderschönen Haare zu verlieren und auf eine Perücke angewiesen zu sein, bedeutete für Hannelore einen ungeheuren körperlichen und mentalen Einschnitt, unter dem sie bis zu ihrem Tode litt. Selbst als die alte Haarpracht nach einem Jahr wiederhergestellt schien, weigerte sie sich für alle Zeiten, auf eine Perücke zu verzichten. Die Perücke war ihr zu einem Schutzschild geworden, den man morgens aufzog und am Abend wieder absetzte. Nur noch selten, und nur innerhalb der eigenen vier Wände, zeigte sie sich mit ihrem Naturhaar, zusammengebunden zu einem Pferdeschwanz. In die Öffentlichkeit begab sie sich nur noch in »perfekter Rüstung«.

Unterdessen spürten Freundinnen und Bekannte massive Änderungen im Verhalten Hannelore Kohls. An abgedunkelte Räume und nächtliche Spaziergänge hatten sie sich längst gewöhnt. Und auch daran, dass sich die Freundin mit einem speziellen Schirm vor Lichteinstrahlung schützte, der aus einem speziellen Stoff extra angefertigt worden war. Auch dass zu stark riechende Blumen bei ihr Schmerzen verursachten, war Eingeweihten lange Zeit bekannt. In den letzten Jahren vor ihrem Tod gab es im privaten Teil des Kanzlerbungalows nur noch selten Blumen und wenn überhaupt nur solche, die geruchlos waren. Das Personal in Bonn und Ludwigshafen war darauf getrimmt. Im Bungalow standen in den abgedunkelten Räumen nur noch wenige Pflanzen, die kaum Licht benötigen, wie etwa ein Gummibaum. Ein sichtbares Zeichen und geradezu symbolisch, dass selbst das bisschen Natur in ihrem Haus langsam weichen musste.

Immer häufiger musste Hannelore nun auch die nächtlichen Spaziergänge abbrechen, weil sie plötzlich von Schmerzattacken heimgesucht wurde. Zuletzt verursachten ihr sogar angebliche Strahlungen vom Fernsehapparat derartige Schmerzen, dass sie das Gerät abschalten musste. Nicht mehr fernsehen zu können, bedeutete für sie einen weiteren großen Verlust an Lebensqualität. Hinzu kam, dass ihr Medikamentenkonsum neue Ausmaße erreichte. Allein wegen ihrer über Jahrzehnte andauernden Rückenschmerzen nahm sie Medikamente in großen Mengen ein. Einer fachlich kompetenten, lebenserfahrenen und ihr absolut zugeneigten Apothekerin gelang es nach Sichtung ihres Medikamenten-Depots nicht, Hannelore wenigstens von der Einnahme einiger mutmaßlich überflüssigen Pharmazeutika abzubringen. Alles deutete auf eine Abhängigkeit hin – aber eine entsprechende Entziehung kam für sie niemals infrage, zu groß war die Angst, ihre zunehmende Tablettensucht könnte an die Öffentlichkeit gelangen.

Auffallend in den letzten anderthalb Jahren vor ihrem Tod war für die Freundinnen auch Hannelores Verhalten am Telefon. Während sie sich zuvor immer mit »Frau Kohl« gemeldet hatte, verzichtete sie nun auf die Namensnennung und bat von einem auf den anderen Tag auch ihre Gesprächspartner, sie nicht mehr mit Namen anzusprechen. Noch nicht einmal mit ihrem Vornamen. Auf dem Höhepunkt der Spendenaffäre fühlte sie sich zutiefst verunsichert, geradezu verfolgt und glaubte, ständig abgehört zu werden. Ob sie damals tatsächlich temporär an Verfolgungswahn litt, vermag ich nicht zu beurteilen. Selbst in ihrer geliebten Privatklinik am Tegernsee wurde das gesamte Personal von der Putzfrau bis zu den leitenden Ärzten vergattert, niemandem von ihrer Anwesenheit zu erzählen. Und wenn sie wirklich einmal erkannt und als Hannelore Kohl angesprochen wurde, leugnete sie, die Frau des einstigen Kanzlers zu sein. Sie verwies scherzhaft auf mögliche Ähnlichkeiten mit der ehemaligen Kanzlergattin, verneinte aber ihre wahre Identität.

Irritierend war für die meisten ihrer Freundinnen auch, dass sie nicht nur am Ende eines jeden Telefonats fragte: »Hast Du mich noch lieb?« Immer und immer wieder. Hannelore muss unglaublich verletzt gewesen sein und brauchte dringend das Gefühl, geliebt zu werden.

* * *

Wer auch immer im Sommer 2000 gebeten wurde, Hannelore medizinisch zu begleiten und zu beraten, fand sehr schnell heraus, dass vor allem die Folgen der Spendenaffäre ihres Mannes die schweren Symptome und Beschwerden hervorriefen. Je gravierender die gegen Helmut Kohl erhobenen Vorwürfe waren, desto dramatischer wurde das Krankheitsbild. Dass Hannelore Kohl 1993 tatsächlich wegen eines Medikaments einen schweren anaphylaktischen Schock erlitten hatte, der tödlich hätte verlaufen können, wurde von niemandem bezweifelt. Das erkläre, so die Meinung mancher Mediziner, aber nicht die späteren Beschwerden, die keinesfalls als Reaktionen auf diesen Vorfall gewertet werden könnten. Diese Ärzte waren überzeugt, dass Hannelore keine Lichtallergie hatte. Lichtindizierte Erkrankungen, zumal, wenn sie so schwer verlaufen, wie von Hannelore dargestellt, können relativ gut nachgewiesen werden. Wenn man gegen Licht allergisch ist, treten bestimmte Stoffwechselstörungen auf. In Laboruntersuchungen konnten diese offenbar nicht nachgewiesen werden. Hinzu kommt, dass nach Meinung von Dermatologen solche Störungen in der Regel nicht erst zwischen dem 50. und dem 60. Lebensjahr auftreten, sondern sich schon früh manifestieren – während der Kindheit oder unmittelbar nach der Geburt. Bei Hannelore war das nicht der Fall. Auch die von ihr beschriebenen Symptome, wie starkes innerliches Brennen oder Schmerzen in den Schleimhäuten, verwiesen nicht zwingend auf eine lichtindizierte Erkrankung. Wenn eine so schwere Lichtreaktion bestanden hätte, wie Hannelore stets behauptete, hätte sie grundsätzlich Probleme mit Licht haben müssen – auch während der Dämmerung.

Nach Meinung von Ärzten, die es wissen mussten, sprach sehr viel dafür, dass Hannelore Kohl an einer schweren Depression litt, möglicherweise verbunden mit der Wahnvorstellung, sie könne Licht nicht mehr vertragen. Wenn eine Depression mit Wahnvorstellungen einhergeht, spreche das für einen sehr schweren Verlauf, der in der Regel kaum behandelbar sei und häufig in einen Selbstmord münde. Man könne zwar Antidepressiva geben, müsse aber begleitend und über einen längeren Zeitraum massiv therapieren. Die Psychopharmaka nähmen Einfluss auf bestimmte Funktionen des zentralen Nervensystems und würden helfen, depressive Phasen zu mildern. Beheben können sie die Probleme hingegen nicht. Ein erster Schritt dazu sei es, dass der Patient seine depressive Erkrankung akzeptiert und sich dem stellt, das diese Erkrankung hervorgerufen hat.

Alle Bemühungen, Hannelore zu motivieren, einen Therapeuten aufzusuchen, waren sehr schwierig. Immerhin hatte sie vorübergehend Kontakt zu einem Heilpraktiker, der sich auf seinem Briefkopf mit einer Praxis für angewandte Psychologie, Energie und Therapie auswies. Dieser Mann im mittleren Alter tauchte öfters in Ludwigshafen auf, ohne Hannelore wirklich helfen zu können. Später war die Rede von einem Scharlatan, dem man aufgesessen sei.

Psychotherapeutische Gespräche zu führen, lehnte Hannelore lange Zeit mit dem Hinweis ab, als Frau des ehemaligen Bundeskanzlers könne sie keinem Menschen ihr Leben darlegen, ihre wahren Gefühle und Probleme offenbaren. Sie hatte eine nahezu panische Angst, zugeben zu müssen, psychisch krank zu sein. Sie wollte es vermutlich einfach nicht wahrhaben, dass sie an einer schweren Depression litt, die unabhängig von der Lichtallergie bestand und mit deren Auswirkungen nichts zu tun hatte. Alle Ärzte, die sie selbst in ganz vorsichtigen Erläuterungen und geradezu homöopathischen Dosierungen über alle denkbaren Aspekte ihrer Krankheit aufklären wollten, wurden nicht mehr gebraucht, nicht mehr konsultiert, aussortiert.

Unverdrossen hielt sie an ihrem Glauben fest, an einer schweren Lichtallergie zu leiden. Unterstützt von ihrem Hausarzt Professor Helmut Gillmann, seit 1963 Direktor der medizinischen Klinik Ludwigshafen, wurde sie mit Medikamenten behandelt, die ausschließlich die Symptome der Lichtallergie bekämpfen sollten. Das Hauptaugenmerk galt dabei ihrer Haut, doch für andere Fachleute war in dieser Situation klar, dass es nichts ausrichten, nicht helfen würde. Ein letzter Versuch, Hannelore von anderen Maßnahmen zu überzeugen, scheiterte ebenfalls. Ein weltweit bekannter Experte für Porphyrien, praktizierender Dermatologe in New York, sollte zur weiteren Behandlung hinzugezogen werden. Er war bereit, Hannelore umgehend zu untersuchen. Doch diesen weltweit anerkannten Experten ließ sie überhaupt nicht an sich heran. Offenbar fürchtete sie, dass auch der amerikanische Dermatologe die Untersuchungsergebnisse der deutschen Kollegen bestätigen würde. Und damit wäre das ganze Gebäude ihrer Krankengeschichte wie ein Kartenhaus endgültig zusammengebrochen.

In mehreren Telefonaten bis wenige Wochen vor ihrem Tod hatten ihr zwei zurate gezogene Ärzte immer wieder klargemacht, dass ohne eine psychiatrische Behandlung eine Verbesserung ihrer Lage nicht möglich sei. Am Ende war Hannelore wegen ihrer seelischen Erkrankung dem medizinischen Sachverstand und dem Denken von Ärzten nicht mehr zugänglich. Sie trennte sich von vielen Menschen, die nur das Beste für sie wollten, sie zog sich zurück in ihre eigene Welt. Diese Frau, die privat so witzig, lustig, fröhlich und selbstsicher, so schlagfertig und humorvoll sein konnte, hatte sich längst mit einer Mauer umgeben, hinter die niemand mehr schauen konnte. Im Laufe der Jahre war sie immer enger und höher geworden. So hoch, bis sie auch die engsten Freundinnen nicht mehr überwinden konnten.

* * *

Helmut Kohl war ratlos. Das Einzige, was ihm blieb, war, durch seine internationalen Kontakte alles Menschenmögliche zu tun, um auf der ganzen Welt Ärzte zu finden, die die angeblich unheilbare Krankheit seiner Frau doch noch heilen konnten. Auch er scheiterte. Hannelore weigerte sich, die Wahrheit anzuerkennen, sich therapieren zu lassen und verwehrte auch ihrem Mann letztendlich den Einblick in ihr Seelenleben. Die Diagnose der Dermatologen, dass es sich nicht um Hautprobleme handelte, war dem Altkanzler bekannt, und er musste erkennen, wie ohnmächtig die Medizinwelt und auch er waren. Hannelore hatte sich in die Lichtallergie verbissen.

Einer der behandelnden deutschen Dermatologen berief sich zwar in einem Gespräch mit mir auf seine ärztliche Schweigepflicht, schickte mir aber später einen Leserbrief zu, der im Oktober 2001 in der medizinischen Fachzeitschrift Derma Forum sowie der Süddeutschen Zeitung erschienen war. Darin heißt es unter anderem: »Bei Frau Kohl wurde eine Lichtallergie vermutet. Gerade Lichtdermatosen sind jedoch gut definiert, gut diagnostizierbar und, in der Regel, auch gut therapierbar. Relativ einfache Untersuchungsmethoden wie Licht- und Hauttestungen sowie verschiedene Blutuntersuchungen erlauben es, eine eindeutige Diagnose zu stellen. Diese Untersuchungen gehören zum dermatologischen Standardrepertoire. Die in den Medien wiederholt zitierte Lichtallergie, die den fachspezifischen Ausdruck Lichturtikaria trägt, geht mit Quaddeln einher und juckt, aber brennt normalerweise nicht. Deshalb hat noch kein Patient einen Selbstmord begangen. Auch die Lichturtikaria ist heute einer Behandlung zugänglich, die es dem Patienten erlaubt, am Alltagsgeschehen teilzunehmen. Warum also der Suizid von Frau Kohl? Wir nehmen an, dass die für den Laien ins Feld geführte, nicht diagnostizierte Hauterkrankung nur eine Alibi-Diagnose darstellt. Jedoch wird auf diese Weise gleichzeitig ein ganzer Berufstand als unfähig diskriminiert. Dagegen wehren wir uns entschieden.« Unterzeichnet war der Leserbrief von den Dermatologen Professor Dr. med. Wolf-Ingo Worret und Univ. Professor Dr. med. Dietrich Abeck von der Klinik Dermatologie und Allergologie der Technischen Universität München.

Es ist davon auszugehen, dass der Dermatologe, der Hannelore behandelte und mir diesen Brief zuschickte, der Meinung der beiden Kollegen uneingeschränkt zustimmt.

Hatte sich Hannelore Kohl ein großes Selbsttäuschungsszenario erdacht? Konnte sie mit ihrem hohen Maß an Intelligenz und Abstraktionsvermögen die Technik der Selbsttäuschung so souverän beherrschen, dass außer einer Hand voll Mediziner jedermann ihre Krankheits- und Leidensgeschichte glaubte? Bediente sich Hannelore einer Illusion?

Diesen Eindruck muss jeder gewinnen, der sich eingehender mit der Krankheitsgeschichte Hannelore Kohls befasst. Eine Lesart, der die von mir zurate gezogenen Psychotherapeuten Reddemann und von der Stein jedoch heftig widersprechen. Übereinstimmend vertreten sie die Auffassung, dass Hannelore Kohl tatsächlich davon überzeugt war, an einer Lichtallergie zu leiden – und zwar ohne Wahnvorstellungen. Eine Wahnvorstellung träfe nur dann zu, wenn Hannelore unkorrigierbar von etwas überzeugt gewesen wäre, was nicht wirklich vorhanden gewesen sei. Mit Wahnvorstellungen verbunden sei das Bild der schizophrenen Psychose. Bei Hannelore handle es sich aber um eine psychosomatische Entwicklung. Ein Trauma. Hannelore habe nicht absichtlich vorgegeben, an einer Lichtallergie zu leiden, diese aber dankbar als Erklärung für ihre Symptome akzeptiert. Eigentlich hätten ihr die Ärzte sagen müssen, dass sie diese Krankheit nicht erklären können, aber gemeinsam mit der Patientin eine Erklärung finden wollen. Wenn Hannelore ihren Ärzten berichtet habe, dass sie von innen verbrenne, dann sei das etwas, das sie subjektiv tatsächlich so empfunden habe, meinen beide Experten. Wenn der behandelnde Arzt auf dem einen diagnostischen Weg nicht weiterkomme, sei er in der Pflicht, andere Wege zu beschreiten. Wenn eine Patientin eine Erfahrung macht, die sich nicht belegen lässt, heißt dies ja nur, dass die Medizin sich gewisse Symptome nicht erklären kann. Die subjektive Erfahrung der Patientin bleibt davon unberührt. Luise Reddemann wörtlich: »Ich bin weiterhin für die subjektive Sichtweise und die heißt bei Hannelore Kohl, ich habe eine Lichtallergie. Ich kann nicht ans Licht. Ich denke da als Psychoanalytikerin. Ihr Unbewusstsein sagt, ich will nicht mehr ins Licht. Ich will nicht ins Licht der Öffentlichkeit. Ich schäme mich so furchtbar. Ich kann da nicht mehr hin…. Es handelt sich um eine Selbstwertproblematik eines zutiefst verzweifelten Menschen. Es ist keine Depression im engeren klinischen Sinn. Es ist eher wie eine somatoforme Störung. Sie sagt, ich kann nicht ins Licht. Das bereitet mir Schmerzen. Ich brenne, wenn ich ins Licht gehe. Die Medizin findet nichts, aber ihre Seele weiß, dass es so ist. Das hat eine Bedeutung.«

Beide Psychologen machen den behandelnden Ärzten den Vorwurf, den »bequemen« Weg beschritten und die einfachste Diagnose gewählt zu haben, ohne den Menschen als Ganzes betrachtet zu haben.

* * *

Was Hannelore in dieser schwierigen Zeit auch noch außerordentlich zu schaffen machte, waren Diskussionen, Spekulationen und Mutmaßungen über den Inhalt von Helmut Kohls Stasi-Akten. Niemand wusste, was tatsächlich in den Unterlagen des Archivs des DDR-Geheimdienstes nachzulesen war. Gab es etwa noch neue Erkenntnisse über den CDU-Spendenskandal, in den ihr Ehemann wie kaum ein anderer Politiker verstrickt war? Was stand in den unzähligen Protokollen der illegal mitgeschnittenen Telefongespräche zwischen ihrem Mann und anderen Personen? Schon einmal waren Mitschnitte von Telefonaten veröffentlicht worden – damals zwischen Kohl und Biedenkopf –, die zu Irritationen geführt hatten. Könnte es zum Abdruck von Telefongesprächen kommen, in denen es um ganz intime Dinge ging, auch um solche, die die eheliche Treue infrage stellten? Hannelore konnte sich das nicht vorstellen, aber beunruhigt war sie schon.

* * *

Dass die Spendenaffäre die Reputation ihres Mannes zu zerstören drohte, dass sie mit hineingezogen wurde in den Sumpf und sich kaum noch an die Öffentlichkeit traute, war für Hannelore schlimm genug. Es ärgerte sie ungemein, dass ihr Mann für bestechlich gehalten wurde. Ihre große Angst bestand außerdem darin, dass der Altkanzler die ständigen Attacken und neuen schweren Vorwürfe gesundheitlich nicht überstehen könne. Allerdings zeigte sie wenig Verständnis für die Verfehlungen ihres Mannes. Sie war der Ansicht, er habe eine Riesendummheit begangen, die gar nicht notwendig gewesen wäre. Hinzu kam, dass Hannelore Kohl selbst Millionen von Spendengeldern sammelte und deshalb für Parteispenden überhaupt keinen Sinn und kein Verständnis hatte. Sie fand dieses Parteispendensystem absolut idiotisch, das ihren Mann Mitte der Achtzigerjahre schon einmal an den Rand einer Katastrophe gebracht hatte. Verbittert musste sie zur Kenntnis nehmen, dass sich ihr Mann nicht beugen und die Namen der Spender eher mit ins Grab nehmen würde als sie zu seiner eigenen Entlastung zu nennen. Gab es überhaupt die Spender, verfügte ihr Mann überhaupt über Namen? Gab es vielleicht nur einen einzigen Großspender? Handelte es sich möglicherweise um Zahlungen von Dienstleistungen für Parteiveranstaltungen, die gar nicht erbracht worden waren und auf einem Umweg in schwarze Kassen des Parteivorsitzenden flossen? Alles war möglich, mit all diesen Fragen zermarterte sich Hannelore den Kopf. Das eiserne Schweigen des schwer angeschlagenen Altkanzlers war natürlich nicht hilfreich. Gleichzeitig ärgerte sie sich maßlos über ehemalige Parteifreunde wie Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler, Richard von Weizsäcker und viele andere, die zu den bekannten Gegnern ihres Mannes zählten und jetzt einmal mehr auf Helmut Kohl eindroschen. Dass in der Spendenaffäre dann auch noch langjährige Kohlianer wie Norbert Blüm und andere dem Gescholtenen in den Rücken fielen, machte sie tief betroffen, und sie sprach von elendem Verrat.

Dass ihre Kinder mit ihren Familien ebenfalls in die Spendenaffäre hineingezogen wurden, kränkte sie sehr. Als am 7. Mai 2001 das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel ausführlich über das Geschäftsgebaren des Investmentbankers Peter Kohl und seiner Firma im Steuerparadies Jersey berichtete, drehte Hannelore fast durch. Es war der Versuch des Nachrichtenmagazins, eine nicht-existente Verbindung zwischen den Geschäften von Vater und Sohn herzustellen und das Lebenswerk des ehemaligen Kanzlers in ein schlechtes Licht zu rücken. Die Aufregung im Hause Kohl und im Berliner Büro war riesengroß. Die Söhne konnten nun wirklich nichts für die Spenden an ihren Vater, und dafür, dass er diese nicht ordnungsgemäß verbucht hatte. Nun mussten sie sich auch noch sagen lassen, wegen ihres Namens könne man nicht mehr ohne Vorbehalte geschäftlich mit ihnen verkehren. Für Hannelore ein Stich mitten ins Herz.

* * *

Schon längst konnte sie nicht mehr fliegen, ihre neue Wohnung in Berlin, die sie so glücklich gemacht hatte, blieb leer. Die Planung, nach Beendigung des Bundestagsmandates jeweils die Hälfte der Zeit in Berlin und in Ludwigshafen zu verbringen, war längst obsolet. Ein Traum war zu Ende gegangen. Öffentliche Auftritte gab es schon lange nicht mehr. Hannelore lehnte alle Einladungen ab, und ein gemeinsames Leben mit ihrem Mann fand kaum noch statt.

Hannelore fühlte sich geächtet. Es gab Situationen, wenn sie sich doch einmal nach draußen wagte, dass Passanten demonstrativ vor ihr auf der Straße ausspuckten und sie sogar »Spendenhure« nannten. Die Spendenaffäre brachte einen riesigen Ansehensverlust für das Ehepaar mit sich und einen tiefen gesellschaftlichen Absturz. Es war der katastrophale Zusammenbruch einer ganzen Welt, eine Situation, wie sie sie schon einmal in ihrem Leben hatte hinnehmen müssen. Es war das zweite Mal, dass sie unverschuldet quasi in Sippenhaft genommen wurde: einmal als Kind, diesmal als Ehefrau.

In der Spendenaffäre war im Grunde nur noch Verlass auf Helmut Kohls Anwälte. Die wenigen noch verbliebenen treuesten Kohlianer taten, was in dieser schwierigen Situation zu tun war: Sie hielten Kontakt zum einst mächtigen Parteivorsitzenden und besprachen mit ihm, wie man den Anforderungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses genügen konnte. Ansonsten war es einsam geworden um Helmut Kohl. Wegen befürchteter Gegendemonstrationen und möglicher Ausschreitungen versiegte der sonst übliche Einladungsstrom zu repräsentativen Veranstaltungen und öffentlichen Auftritten.

Auf die beiden Söhne konnte Helmut Kohl nicht in dem Umfang bauen, wie er sich das vielleicht gewünscht hatte. Im Nachgang der Spendenaffäre zeigten sie Distanz, vielleicht auch aus Selbstschutz gegenüber der Mutter. Vor allem Walter Kohl hatte damals mit neuen beruflichen Herausforderungen zu kämpfen, und auch privat war vieles im Umbruch. Peter machte Karriere als Investmentbanker. Er war weit weg, ging in London seinem Beruf nach. Für die kranke Mutter hatten die Söhne deshalb nicht immer so viel Zeit, wie diese sich wünschte.

Mitte Dezember 2000 flog Helmut Kohl mit seinen beiden Söhnen nach Istanbul, um nach türkischer Tradition beim Vater von Peters Freundin Elif um deren Hand anzuhalten. Hannelore musste aus gesundheitlichen Gründen (für Istanbul hatte der Wetterbericht strahlenden Sonnenschein vorausgesagt) auf eine Mitreise verzichten, was ihr unendlich wehtat. Noch trauriger fühlte sie sich, als Sohn Peter am 26. Mai 2001 seine Freundin in Istanbul heiratete. Allen Beteiligten war klar, dass Hannelore daran nicht würde teilnehmen können. Sie hatte deshalb lange Zeit darum gebeten, den katholischen Teil der Trauung in der Bundesrepublik zu vollziehen, damit sie dabei sein konnte. Ihr schwebte eine abendliche katholische Eheschließung in einem pfälzischen Kirchlein vor mit anschließender Hochzeitsfeier im »Deidesheimer Hof«. Ihre Wünsche konnten nicht erfüllt werden, sie wären ein Affront gegenüber den Brauteltern gewesen. Nur über das Handy des Sohnes Walter wohnte sie deshalb der islamischen und katholischen Trauung bei. Wer sie an diesem Tag in ihrem Haus erlebte, war erschüttert über ihre Verfassung. Anneliese Wiß und Ursula Fischer standen ihr ganztägig zur Seite. Hannelore Kohl war körperlich derart fertig, dass beide zeitweise glaubten, den Notarzt rufen zu müssen. Peter Kohl bestätigt in seinem Buch, dass es für Hannelore »ganz, ganz schrecklich« gewesen war, »dass sie bei dieser Hochzeit nicht dabei sein konnte. Am Abend war sie still und in sich gekehrt.«

* * *

Vierzig Tage später war Hannelore Kohl tot. Sie starb an einer Überdosis Morphiumsulfat und Schlaftabletten. Am 5. Juli 2001 wurde sie von Hilde und Ecki Seeber gegen 11:15 Uhr in ihrem Bungalow tot aufgefunden. Sie hinterließ zwanzig Abschiedsbriefe.

Für ihren Selbstmord gab es mehrere Gründe. An erster Stelle muss die Spendenaffäre ihres Mannes genannt werden. Die tief empfundene gesellschaftliche Ächtung, eine Wiederholung des Traumas ihrer Kindheit, waren das Allerschlimmste für sie. Der durch die Affäre ausgelöste Ansehensverlust ihrer Familie war für Hannelore Kohl kaum auszuhalten. Öffentlich gebrandmarkt zu werden für Verfehlungen, die sie nicht begangen hatte, mit deren Folgen sie aber dennoch leben musste, war eine tiefe Demütigung. Ihre Überzeugung, als redlich arbeitender Mensch, der sich auch um diesen Staat verdient gemacht hatte, müsse auch als solcher wertgeschätzt werden, bekam einen ungeheuerlichen Knacks. Die Gattin des Altkanzlers fühlte sich als Opfer, war getroffen bis ins Mark und am Ende ihrer Kraft. Das probate Mittel, Problemen mit Disziplin und preußischem Durchhaltevermögen die Stirn zu bieten, funktionierte nicht mehr. Für sie war der Moment gekommen, in dem nichts mehr ging – und in dem sie vor allem keine Hoffnung mehr hatte, dass ihr Leben besser werden könnte. Hinzu kamen ihre Einsamkeit, das Gefühl, von aller Welt – auch den geliebten Söhnen – verlassen zu sein. Es gab aus ihrer Sicht niemanden in ihrem Umfeld, der hätte helfen können. Auch wenn sie selbst vielleicht keine eindeutigen Signale aussendete.

Ihre Lichtallergie galt in ihren Augen als unheilbar, Hoffnungslosigkeit hatte sich schon lange breitgemacht. Außerdem fühlte sie sich zutiefst verletzt und entwertet, als sich Gerüchte häuften, wonach ihr Mann seit längerem eine Liebesbeziehung zu einer bedeutend jüngeren Frau unterhalte. Das alles zog ihr den brüchigen Boden unter den Füßen in dem Maße weg, dass sie nur noch einen einzigen Ausweg sah. Selbstmord.

Psychotherapeuten sehen in Hannelores Selbsttötung eine letzte Aggression gegen sich und ihr Umfeld. Das Tragische bei einem solchen Suizid sei es, dass sich die Selbstmörderin dessen gar nicht bewusst ist. Es ist ein unbewusster destruktiver Akt, der bei den Hinterbliebenen das tiefe Gefühl von Schuld hinterlassen kann.

In ihren fast gleichlautenden Briefen an ihre Freundinnen bat Hannelore um Verständnis für ihren Freitod und darum, sie in ihren Herzen zu behalten. Im Abschiedsbrief an ihren Mann heißt es: »Ich habe lange über diesen Schritt nachgedacht, glaube es mir. Es fällt mir sehr schwer, Dich nach über 41 Jahren zu verlassen. Aber ein langes Siechtum in Dunkelheit will ich mir und Dir ersparen, zumal die Unheilbarkeit nun leider mehrfach bestätigt wurde. Ich habe viele Jahre um das Natürlichste von der Welt, um Licht und Sonne, gekämpft, leider vergebens. Es wird immer schlechter, und meine Kraft ist nun zu Ende. Viele Symptome des Abbaus und des Kräfteverlustes habe ich bereits. Man kann es auch Stoffwechselbeschädigung nennen. Wie könnte es auch anders sein nach jahrelangem Sonnen- und auch Lichtentzug. Meine Hoffnung auf Heilung ist nach diesen acht Jahren verschwunden und nach Konsultationen so vieler Fachleute, sie haben mir – je nach Temperament – durchaus auch brutal die Meinung gesagt. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass noch ein Wunder geschieht. Ich bin jetzt 68 Jahre alt, ein Alter, das dem Leben seinen Platz eingeräumt hat. Ich danke Dir für viel Hilfe, Zuspruch und Deine Versuche, mein Leben zu erleichtern. Zusammen mit Dir habe ich viele gute Jahre gehabt, und auch schlechte Zeiten haben wir durchgestanden. Ich danke Dir für ein Leben mit Dir an Deiner Seite – voller Ereignisse, Liebe, Glück und Zufriedenheit. Ich liebe Dich und bewundere Deine Kraft. Möge sie Dir erhalten bleiben. Du hast noch viel zu tun. Dein Schlänglein.« Dieser Kosename war nicht ausgeschrieben, sondern wie immer gemalt.

LEBENSLEISTUNG

Einen liebevollen Abschiedsbrief erhielt auch der ehemalige Ärztliche Direktor an der Neurologischen Universitätsklinik in Tübingen, Professor Dr. med. Dr. phil. Klaus Mayer. Der entscheidende und einflussreichste Mitbegründer des Kuratoriums ZNS sieht in Hannelores Schreiben ein Vermächtnis. Denn in ihrem Brief sprach sie neben einem letzten Dankeschön den herzlichen Wunsch aus, Mayer möge »unserem gemeinsamen Werk treu bleiben und es fortsetzen«. Die Stiftung hat diesem Wunsch während der letzten zehn Jahre Rechnung getragen und fühlt sich dem auch weiterhin verpflichtet. Für Hannelores persönlichen Abschiedswunsch – »behalte mich in Deinem Herzen« – bedarf es für Hans Mayer keines Bemühens. Sie wird in seinem Herzen bleiben und in den Herzen all derer, für die sie sich eingesetzt hat. Mit ihrer Stiftung hatte die Kanzlergattin dafür gesorgt, dass Hirnverletzte und Hirngeschädigte überhaupt erst einen Platz in der bundesdeutschen Gesellschaft bekamen. Ihr war es wichtig, dass diese Menschen akzeptiert und vor allem respektiert wurden. Sie hatte sich dafür eingesetzt, den Betroffenen eine Rückkehr in Familie, Schule und Beruf zu ermöglichen und langfristige Therapie- und Nachsorgemaßnahmen auf den Weg gebracht. Zur positiven Bilanz ihrer Lebensleistung zählt auch, dass die Institutionen aus Praxis und Forschung zusammenfanden, um aktiv sinnvolle Rehabilitationsmaßnahmen zu erarbeiten. Dass dabei auch Psychologen mit einbezogen wurden, hat Hannelore – und das entbehrt nicht einer gewissen Ironie – mit großem Engagement vorangetrieben.

Hannelore Kohl hatte lange überlegt, aus dem Kuratorium ZNS eine Stiftung zu machen. Eine Stiftung erfüllt ihren Zweck mit den Erträgen aus ihrem Vermögen, wogegen ein gemeinnütziger Verein die einkommenden Gelder unmittelbar ausgeben und dem Verwendungszweck zuführen muss. Rücklagen können nicht gebildet werden. Es war schwierig, unter diesen Umständen die Geschäfte des Kuratoriums zu führen und Gelder für die langfristigen Aufgaben zu sichern. Nach intensiven Beratungen war 1993 entschieden worden, die nichtrechtsfähige Stiftung »Hannelore-Kohl-Stiftung für Unfallopfer zur Förderung der Rehabilitation von Hirnverletzten« zu gründen und in die Finanzverwaltung beim Essener Stifterverband zu übertragen. Zwei Jahre später wurde in der Bonner Rochusstraße 25 die Etage eines Mehrfamilienhauses für 800 000 D-Mark erworben. In dieser Stiftungszentrale arbeiten derzeit zehn Angestellte. Am 10. Mai 2005 wurde durch Umwandlung dieser Stiftung die rechtsfähige »ZNS-Hannelore-Kohl-Stiftung für Verletzte mit Schäden des Zentralen Nervensystems« errichtet.

Was Hannelore besonders auszeichnete, war das gemeinsame Bemühen um die gesetzten Ziele, die vertrauensvolle und verständnisvolle Zusammenarbeit. Ihre ständige Lernbereitschaft und Lernfähigkeit werden besonders gerühmt. Sie wurde immer bewundert, wie rasch und sicher sie auch komplizierte medizinische Sachverhalte erfasste und durchdachte und diese dann bildhaft-anschaulich, laienverständlich und überzeugend darzustellen wusste. Ihr Wissen war nicht aufgesetzt, sondern im langjährigen Bemühen um schädelhirnverletzte Menschen erworben und erfahren worden. Nach der Wende 1989 kümmerte sich das Kuratorium ZNS auf ihre besondere Initiative hin um die Ausweitung des Engagements in den neuen Bundesländern, wo die Unfallzahlen in nie gekannte Höhe schossen. Die Stiftung bemühte sich vor allem um die Erweiterung neurochirurgischer Kapazitäten und den Aufbau eines flächendeckenden Informationsnetzes, das Betroffene an entsprechende neurochirurgische Einrichtungen verweisen konnte. 1983, im Gründungsjahr des Kuratoriums, hatte es in Hessisch Oldendorf die einzige Therapieeinrichtung bundesweit für Schwersthirnverletzte gegeben. Als Hannelore starb, waren es über 200.

1995 wurde der Stiftungspräsidentin die Ehrendoktorwürde der Medizinischen Fakultät der Universität Greifswald angeboten. Prompt rief diese Auszeichnung Neider auf den Plan. Nach einigem Zögern entschied sie sich schließlich für die Annahme, weil sie in der Ehrendoktorwürde Vorteile für ihre Aufgabe als Präsidentin der Stiftung sah.

Für die engsten Stiftungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter war Hannelore Kohl eine bewundernswerte und liebenswerte Frau, die ihr soziales Engagement mit jeder Faser ihres Herzens lebte. Nach außen schien sie meist sachlich distanziert und immer diszipliniert. Dabei war sie sehr empfindsam und somit leichter verletzbar, als mancher meinte. Meist ließ sie sich das nicht anmerken, reagierte aber gelegentlich äußerst heftig und deutlich und keineswegs ladylike. Sie suchte Rat bei den Menschen ihres Vertrauens, nahm Ratschläge an, leider hinsichtlich ihrer Krankheit später aber auch falsche. In persönlichen Dingen war sie sehr verschlossen und besaß zweifellos ein in ihrer Lebensentwicklung und Position geschuldetes Misstrauen.

Professor Hans Mayer, einer der ganz wenigen Männer, denen sie das freundschaftliche Du angeboten hatte, stand Hannelore Kohl viele Jahre beratend und helfend zur Seite. Er war Weggefährte, enger und vertrauter Mitarbeiter, »medizinischer Sachverstand« und schließlich Freund und ärztlicher Berater. Auch er erlebte ihre zunehmend emotionalen und psychosozialen Belastungen und Konflikte, die chronisch wurden und sich ausweiteten. Die emotionalen Belastungen und Konflikte wurden von der ZNS-Präsidentin nicht als gegeben akzeptiert, sondern verdrängt und sollten durch Selbstdisziplin, Beherrschung und Verzicht sublimiert werden. Das konnte auf Dauer nicht gelingen. Alle immer wieder von Hausärzten empfohlenen Therapien – beispielsweise die Desensibilisierung am Tegernsee – waren wirkungslos und mussten es sein. In vielen Gesprächen empfohlene psychotherapeutische Maßnahmen wollte Hannelore Kohl nicht wahrnehmen, einerseits aus Furcht vor den möglichen Reaktionen der Medien in ihrer Rolle als Kanzlergattin, andererseits weil sie die Psychogenese der Störung nicht wahrhaben wollte. Und schließlich, weil sie offenbar von den behandelnden Hausärzten anders beraten wurde. Sie hatten in Wahrheit eine Diagnose ausgestellt, die bis heute als allgemeine Sprachregelung dient und bis heute von Helmut Kohl und den beiden Söhnen geglaubt wird, an der aber Zweifel möglich sind.

Die ZNS-Experten mussten ohnmächtig mit ansehen, wie sich Hannelore Kohl zunehmend zurückzog und in Isolation geriet. Die von manchen Ärzten bescheinigte »Nichtheilbarkeit« der Störung und andere zunehmende emotionale Belastungen, wie die Spendenaffäre und das subjektive Gefühl des Verlassenseins, führten schließlich aus Verzweiflung zum Suizidentschluss. Ohne geeignete Psychotherapie mit zunächst eigener Akzeptanz der vorherrschenden Psychogenese, war ihr ein Durchbrechen des unheilvollen Circulus vitiosus nicht möglich. So wie sie nichts in ihrem Leben dem Zufall überlassen hatte, so hatte sie den Suizidentschluss in der ihr eigenen Art wohlüberlegt gefasst und ausgeführt. Nirgendwo – die Familie ausgenommen – war der Schock über Hannelores Selbstmord so groß wie bei den Mitstreitern der Hannelore-Kohl-Stiftung. Noch heute sind einige von ihnen zu Tränen gerührt, wenn sie auf den Tod ihrer Präsidentin am 5. Juli 2001 angesprochen werden.

* * *

Die Bilanz der Hannelore-Kohl-Stiftung kann sich sehen lassen. Heute unterhält sie einen Beratungs- und Informationsdienst für Schädelhirnverletzte und deren Angehörige, unterstützt bei der Suche nach geeigneten Rehabilitationseinrichtungen und fördert die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Neurologischen Rehabilitation. Die Stiftung engagiert sich in der Präventionsarbeit für Unfallverhütung. Bisher konnten rund 28 Millionen Euro aus Spendenmitteln für 600 Projekte an Kliniken, Institutionen und Rehabilitationseinrichtungen in Deutschland weitergegeben werden. Jedes Jahr erleiden etwa 270 000 Menschen Schädelhirntraumen, knapp die Hälfte von ihnen ist jünger als 25 Jahre. Dank der Fortschritte in diesem Bereich kann vielen von ihnen geholfen werden. Das Stiftungskapital betrug bis Ende 2001 12,9 Millionen Euro – Ende 2010 waren es 16,3 Millionen Euro. Eine stolze Bilanz, die mit dem Namen der einstigen Gründerin untrennbar verbunden bleibt.

Hannelore Kohl war immer auch Teil eines anderen, stand immer im Schatten eines erfolgreichen Mannes, dessen Karriere sie ihr eigenes Leben unterordnete. Vom Glanz ihres Ehegatten konnte sie zwar profitieren, was auch eine vordergründige Entschädigung bedeutete. Dennoch war sie immer die Frau von Helmut Kohl, anerkannt, aber doch immer nur die Frau an seiner Seite. Diese Rolle verinnerlichte sie bis zur Selbstaufgabe. Diese disziplinierte, korrekte, engagierte und fleißige Frau tat alles zum Wohle ihres Mannes und des Landes. Sie begleitete seine ungewöhnliche Karriere mit all ihren Kräften und unternahm nichts, was ihm nicht zu Ehre und Ruhm gereicht hätte. Daraus eine Opferrolle oder eine Märtyrerrolle zu machen, war ihr völlig fremd, wenngleich sie längst nicht mit allem einverstanden und oftmals todunglücklich war.

Erst als Präsidentin des Kuratoriums ZNS und der Stiftung konnte sie ihre hohe Qualifikation unter Beweis stellen. Mit ihren Fähigkeiten, ein wohldurchdachtes Management durchzuziehen, fand sie großen Anklang. Die ZNS-Arbeit in völliger Unabhängigkeit von ihrem Mann und den Zwängen als Frau eines Politikers bescherte ihr Befriedigung und außergewöhnliche Erfolge. Diese Erfolge waren ihrem Mann zuweilen unheimlich. Er wachte darüber, dass ihre Popularität durch ihre Präsidentschaft nicht ins Unkontrollierbare stieg. Er war der Größte und duldete neben sich keine Ehefrau, die mit ihm in Konkurrenz geraten könnte, natürlich nur in Bezug auf Empathie und Popularität.

Welche Großtat Hannelores Einsatz für Verletzte des zentralen Nervensystems tatsächlich ausmachte, soll an einem Beispiel stellvertretend für Tausende vergleichbarer Schicksalsschläge dokumentiert werden:

Anne-Kathrin Gentz-Schönfelder, geboren am 11. Januar 1975 in Rostock und an der dortigen Universitätsklinik zur Krankenschwester ausgebildet, zog wegen ihres neuen Freundes in den Westen der Bundesrepublik. Sie arbeitete seit dem 1. Januar 1997 im Kreiskrankenhaus Waldbröl, einem anerkannten Lehrkrankenhaus der Universität Bonn. Seit Januar 1998 lebte sie mit ihrem Freund in Bonn und fuhr täglich mit dem Auto nach Waldbröl und zurück – jeden Tag 130 Kilometer.

Am 3. Mai 2001 wurde sie auf dem Weg zu ihrem Spätdienst in einen schweren Unfall verwickelt. Gegen 12:45 Uhr fuhr sie auf der Bundesstraße in der Nähe von Ruppichteroth mit etwa 50 Stundenkilometern in einer Kurve gegen einen Schwertransporter. Das überbreite und lange Fahrzeug hätte eigentlich von einer Polizeieskorte begleitet werden müssen. Da ein Warnfahrzeug vor dem Schwertransporter fuhr, hätte die Krankenschwester im Schritttempo fahren müssen und erhielt somit eine Teilschuld – auch wenn sie dieses in der Kurve nicht hatte sehen können. Anne-Kathrin musste von der Feuerwehr aus ihrem Wagen herausgeschnitten werden. Der Notarzt entschied sofort, sie mit dem Hubschrauber in die Uniklinik Bonn fliegen zu lassen. Das war ihr Glück, denn den Transport im Krankenwagen hätte sie vermutlich nicht überlebt. Die Rostockerin erlitt Brüche der Halswirbelsäule, der sechste und siebte Halswirbel waren komplett zertrümmert, hinzu kam eine Rückenmarksquetschung und eine Kontusion des Hirnstammes sowie eine leichte Einblutung im Gehirn. Außerdem hatte sich ein Hygrom links frontal gebildet. Da ihr Hirndruck zu stark anstieg, trepanierten die Ärzte ihre Schädeldecke, um diesen Druck zu mildern. Während der ersten vier Wochen lag die Krankenschwester im Koma, und auch an die folgenden vier Wochen hat sie keinerlei Erinnerungen. Anne-Kathrin befand sich im sogenannten Durchgangsstadium und war sehr stark verwirrt. In der Frührehabilitation erhielten ihre Eltern von der dortigen Stationsschwester die Hannelore-Kohl-Broschüre »Das schwere Schädelhirntrauma – ein Ratgeber für Angehörige«. Nach Anne-Kathrins Reha-Zeit auf der Bonner »Godeshöhe«, die mit medizinischem Gerät wie zum Beispiel einem speziellen Bett für Schwerstverletzte von der Hannelore-Kohl-Stiftung besonders unterstützt und gefördert worden war, gab es erste Kontakte zur Bonner Stiftung. Später suchte die Rostocker Krankenschwester eine Selbsthilfegruppe auf, die ihr tatkräftig zur Seite stand. Noch immer wird Anne-Kathrin finanziell und medizinisch durch die Stiftung unterstützt. Sie leidet bis heute unter Kopfschmerzen, geht in die Schmerztherapie und in die Schmerzambulanz. Sie kann sich nicht lange konzentrieren, maximal eineinhalb Stunden. Sie muss ständig Schmerzmittel nehmen, die auf Dauer ihrer Restgesundheit kaum zuträglich sein dürften. In Akutsituationen verabreicht ihr Arzt schmerzstillende Spritzen, die sie für maximal drei Stunden entlasten. Dann beginnen die Schmerzen erneut, sie zu malträtieren. Anne-Kathrin muss lernen, massive Einschränkungen hinzunehmen. Noch schwerwiegender für ihre Lebensplanung ist der Einschnitt, aufgrund ihrer immensen Medikation keine gesunden Kinder mehr zur Welt bringen zu können.

Anne-Katrin bewundert das Lebenswerk der Hannelore Kohl, die sie nie persönlich kennenlernte. Vor allem, dass diese sich trotz eigener Krankheit für andere einsetzte. Die junge Frau war geschockt, als sie Monate nach ihrem schweren Unfall von Hannelores Selbstmord erfuhr.

ZERSTÖRUNG

Nur einmal schien die Existenz des Kuratoriums ZNS und der Stiftung in Gefahr zu geraten. Durch Helmut Kohls Spendenaffäre drohte das Lebenswerk seiner Frau erheblich beschädigt zu werden. Parallel zu den immer neu bekannt gewordenen Machenschaften der CDU-Verantwortlichen in der Spendenaffäre, gingen auch die Spenden für die Stiftung spürbar zurück. In den Jahren 1999 bis zum Tod der Präsidentin 2001 wurden in der Bonner ZNS-Zentrale Spendenrückgänge verzeichnet, wie es sie noch nie gegeben hatte. Erst als nach langer Suche die UNESCO-Botschafterin Ute Ohoven als Nachfolgerin Hannelore Kohls Anfang Juli 2002 etabliert war, normalisierte sich der Spendenfluss wieder. Doch als ob der Altkanzler dem Lebenswerk seiner Frau nicht genug geschadet hätte, holte er 2009 zu einem Schlag gegen die Stiftung aus, den sie um ein Haar nicht überstanden hätte.

Helmut Kohl, der nach dem Tod seiner Frau 2001 Ehrenvorsitzender des Kuratoriums geworden war und selbstherrlich Ute Ohoven als Präsidentin etabliert hatte, forderte Anfang April 2009 eine neue Stiftungssatzung. Im Kern seines dreiseitigen Schreibens an das Spitzengremium der Stiftung verlangte er eine »zukunftsorientierte Verschlankung der Strukturen und eine neue Verteilung der Verantwortlichkeit«. Führende ZNS-Verantwortliche witterten darin die drohende Abschaffung des Kuratoriums und seiner Präsidentin sowie eine Entmachtung des Vorstandes. Absicht des Pfälzers war es, eine Art Familienstiftung einzurichten, in der ein Familienmitglied allein den Vorstand der Stiftung berufen und abberufen sowie potenzielle Nachfolger bestimmen sollte. Für die altgedienten ZNS-Vorstandsmitglieder war dieses Ansinnen nicht nachvollziehbar und nicht akzeptabel. Mit der Abschaffung des Kuratoriums wäre der gesamte ärztliche und psychologische Sachverstand weggefallen, der so enorm wichtig ist, um Projekte als förderungswürdig beurteilen zu können.

Als Reaktion auf die breite Ablehnung aus Bonn protestierte der Altkanzler in einem Schreiben Anfang Juli 2009 gegen eine »unfreundliche Übernahme der Stiftung durch Personen, die mir zum Teil nicht einmal bekannt sind und in keiner Beziehung zu meiner verstorbenen Frau standen«. Außerdem unterstrich er sein »deutliches Unbehagen« hinsichtlich der Entwicklung der Stiftung seit dem Tod Hannelore Kohls sowie »zunehmend interne Konflikte«, die ihr Lebenswerk bedrohen würden. Der Altkanzler bekräftigte, er werde die Stiftung »künftig nicht mehr unterstützen und darauf hinweisen, dass sie in ihrer derzeitigen Verfassung nicht mehr die Interessen meiner verstorbenen Frau Hannelore repräsentiert«. Am Ende des Briefes schrieb Kohl, mit sofortiger Wirkung lege er alle Ämter bei der Hannelore-Kohl-Stiftung nieder und verband dies mit der ausdrücklichen Bitte, den Namen seiner verstorbenen Ehefrau als Stiftungsnamen nicht fortzuführen. Die ZNS-Vorstandsmitglieder wehrten sich mit aller Macht gegen Kohls Absichten und stellten über die Medien klar, dass die Stiftung keinesfalls auf den Namen von Hannelore Kohl verzichten werde.

Am Ende der Verhandlungen zwischen der Stiftungspräsidentin Ute Ohoven mit Kohls Anwälten wurde trotz anfänglicher massiver Ablehnung aus Ludwigshafen vereinbart, dass Kohls Söhne Walter und Peter der Stiftung beitreten könnten, wenn sie es wünschten. Während der Rückzug des Altkanzlers endgültig blieb, zogen Kohls Söhne in das Stiftungskuratorium ein und arbeiten seitdem engagiert mit.

Die betroffenen ZNS-Gremienmitglieder hatten von Anfang an den Verdacht, dass hinter dem Anschlag auf das Lebenswerk der Hannelore Kohl die neue Frau an seiner Seite, Maike Richter-Kohl, stehen musste. Niemals, so die Meinung der Betroffenen, wäre der Altkanzler von sich aus auf die Idee gekommen, am Status der Stiftung etwas zu ändern. Nicht erst seit seiner schweren Erkrankung tendierten sein Interesse und sein Engagement für die Hannelore-Kohl-Stiftung nämlich gegen Null. Nach dem erheblichen Spendenrückgang wegen der CDU-Spendenaffäre glaubte beispielsweise der Finanzchef der Stiftung, mit Kohls Hilfe vielleicht doch wieder die Spendenfreudigkeit von Großunternehmen erhöhen zu können. Nach monatelangem Schweigen raffte sich der Altkanzler damals schließlich auf, einen von der Stiftung vorformulierten Bittbrief zu unterschreiben. Ein messbarer Erfolg war dieser Initiative leider nicht beschieden.

Nach Jahren dann die Forderung Kohls auf Umwandlung an die Stiftung. Nach Meinung von Beobachtern hatte es den Anschein, als wollte die Siegerländerin Maike-Richter-Kohl als neue Altkanzlergattin in der Stiftung entscheidend mitmischen und das alleinige Sagen haben.

Deshalb, so wird vermutet, könnte sie ihren Mann veranlasst haben, das geharnischte Schreiben an die Stiftung zu schicken.

Lange bevor der achtundsiebzigjährige Helmut Kohl seine langjährige Lebensgefährtin Maike Richter, 44, am 8. Mai 2008 in der Kapelle des Heidelberger Reha-Zentrums mit den Trauzeugen Leo Kirch und Kai Diekmann auch kirchlich heiratete, und noch bevor das Paar 2005 erstmals offiziell in Erscheinung trat, spielte sie eine äußerst sonderbare Rolle. Denn seit dem Tod von Hannelore Kohl, so die Meinung nicht weniger Beobachter, scheint sie das Ziel zu verfolgen, die Erinnerungen an diese außergewöhnliche Frau auszulöschen. Das zeigt sich vor allem in dem Versuch, die Kontakte zwischen ehemaligen Freundinnen und langjährigen Bekannten zum Altkanzler zu kappen. So zumindest verstehen dies diejenigen, die Hannelore Kohl früher nahestanden und weder telefonisch noch persönlich bei Helmut Kohl mehr vorgelassen werden. Briefe und Geschenke bleiben unbeantwortet und ohne Reaktion, Telefonate werden freundlich abgewiesen oder mit fadenscheinigen Gründen vertagt. Dass Maike Richter wertvolle Kostüme der Hannelore Kohl trug und sich mit ihrem Schmuck schmückte und so in der Öffentlichkeit, sogar im Fernsehen, auftrat, registrierten jene Freundinnen mit Entsetzen, die diese Kleidungsstücke einst gemeinsam mit Hannelore gekauft hatten. Nicht wenige halten das für geschmacklos. Als die Wohnung in Berlin, die Hannelore persönlich ausgesucht, aufwändig umgebaut und geschmackvoll eingerichtet hatte, ohne Rücksprache mit den Söhnen verkauft wurde, verschlug es Insidern die Sprache.

Seit Maike Richter Helmut Kohl ehelichte, scheint sie total über ihn zu wachen, was zum Teil auch durch dessen Krankheit erklärbar ist. Sie scheint aber auch darüber zu bestimmen, wer von den noch verbliebenen politischen Weggefährten Zugang zu ihm hat und vor allem, wo und wann er in der Öffentlichkeit auftritt. Kaum vorstellbar und auch nicht belegbar ist jedoch, dass er gegen seinen Willen in die Öffentlichkeit gezerrt werde. Hannelores zahlreiche Freunde, Bekannte und Bewunderer und Verehrer aus den Mainzer und Bonner Jahren, darunter viele aus dem parteipolitischen Milieu, kommen nicht mehr an Helmut heran. Dazu zählen auch enge gemeinsame Freundschaften, die nicht mehr fortgeführt werden. Geht es um die Erinnerung an Hannelore Kohl, die Maike Richter-Kohl nicht fördern will? Die junge Altkanzlergattin gilt einerseits als äußerst fürsorglich. Andererseits wird sie auch als autoritäre und alleinige Entscheidungsträgerin gesehen, die alles, was den schwerkranken Altkanzler betrifft, letztendlich bestimmt. Ein gewichtiges Wörtchen mitzureden dürfte sie an allen Verlautbarungen aus dem Hause Kohl in Ludwigshafen-Oggersheim.

Maike Richter-Kohl entzweite die Familie Kohl, indem sie den Kohl-Söhnen unmissverständlich bedeutete, dass sie ihren Vater alleine besitzen wolle, wie Walter Kohl in seiner Biografie mitteilte. Unterdessen kommuniziert der Vater mit seinen Kindern fast nur noch über Anwälte.

Maike Richter-Kohl sorgte schon sehr früh für die Beendigung der Zusammenarbeit zwischen der langjährigen Bürochefin Juliane Weber mit Helmut Kohl. Aus dem Berliner Büro wurden Mitarbeiter hinausgedrängt, einige zogen es vor, freiwillig zu gehen.

Die Art und Weise wie die brutale Entlassung von Ecki Seeber vorgenommen wurde, der 46 Jahre lang Chauffeur, Butler und Engvertrauter von Helmut Kohl war, ist an Stillosigkeit und Härte kaum zu übertreffen. Dieser Mann, der wie kein anderer sein Leben ganz auf seinen Chef ausgerichtet hatte, wurde von heute auf morgen von seinen Aufgaben und Pflichten ohne Angabe von Gründen entbunden. Hilde und Ecki Seeber gehörten zu den wenigen Menschen, denen Hannelore Kohl voll vertraute, die wie sonst niemand auf der Welt das Drama um ihr Leiden und Sterben ganz nah miterlebten. Für nicht wenige aus Hannelore und Helmut Kohls großem Freundeskreis ein unverantwortliches und skandalöses Vorgehen. Öffentlich ist nicht bekannt, wie krank der Altkanzler wirklich ist. Hatte er das alles wirklich gewollt, zumal die Seebers und vor allem Ecki, zu den größten und stets loyalen Geheimnisträgern des Altkanzlers und seiner ersten Frau zählen?

Zu Helmut Kohls Ehrenrettung fragen sich viele, ob er nicht mehr Herr der Lage sei und deshalb für diese Entwicklung nicht verantwortlich gemacht werden könne. Es gibt allerdings auch die Auffassung, dass er zwar unter starken Sprachstörungen leide, aber sein Kopf, sein Verstand absolut funktionstüchtig seien. Dass er das unwürdige Handeln seiner neuen Frau zulasse, erscheint unerklärlich und auch nicht mehr als angemessene »Gegenleistung« für optimale Fürsorge und Pflege zu erklären. Wie weit die Zerstörung von Erinnerung gehen kann, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2007. Die ersten beiden Bände seiner Memoiren hatte Helmut Kohl seiner Frau Hannelore gewidmet. »Für Hannelore« stand ganzseitig vor dem Inhaltsverzeichnis. Im dritten Band verzichtete der Memoirenschreiber auf diese Widmung. Darüber wurde vor Drucklegung heftig diskutiert. Die Kohl-Helfer bei der Abfassung der Erinnerungen vermuteten sehr schnell, dass dahinter die neue Frau an seiner Seite stehen könnte, und das ein gutes Jahr vor der Hochzeit in Heidelberg.

Dr. Maike Richter-Kohl hatte schon zu Lebzeiten Hannelore Kohls bei ihr für Irritationen und wohl auch für Eifersucht gesorgt und ihr dadurch Verletzungen und Schmerzen zugefügt. Auch ihretwegen, daran dürfte kaum ein Zweifel bestehen, war sie zuletzt verzweifelt. Und auch zehn Jahre nach Hannelores Tod lässt die neue Frau ihr keine Ruhe.

* * *

Hannelores Freundinnen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hannelore-Kohl-Stiftung, langjähriges Personal in Bonn und Ludwigshafen und einige enge Weggefährten Helmut Kohls werden es nicht zulassen, dass die Erinnerungen an die Frau an seiner Seite, die Lebensleistung der Präsidentin des Kuratoriums ZNS, zerstört werden. Diese Frau hat ein Leben geführt mit Glanz, mit Schmerzen, mit geschichtlichen Brüchen und war ein Kind ihrer Zeit. Hannelore Kohl war als Kriegskind tiefer geprägt und in Spuren geschoben worden, als sie es selbst wissen konnte. Gerne hätte man ihr entlastende Jahre gewünscht, in denen sie etwas von dem, was sie in den vielen Jahren aufgebaut hatte, noch hätte genießen können.