Kunst und Kultur

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Das Porträt Karls II. von Hofmaler Anthonis van Dyck ist leider nicht in London zu bewundern – es hängt im Louvre in Paris.

Kunst- und Architekturgeschichte

Wo findet man noch ein Stückchen römisches London? Was versteht man unter »Perpendicular Style«? Welche Rolle spielte Christopher Wren nach dem Großen Feuer? Wie verewigten Margaret Thatcher und Tony Blair ihre Regierungszeit in London?

RÖMISCHE HINTERLASSENSCHAFTEN

Nachdem sich unter Kaiser Claudius seit 43 n. Chr. die römische Herrschaft etabliert hatte, entfaltete sich Londinium zu einem kommerziellen Mittelpunkt, begünstigt durch den Bau einer Holzbrücke nahe der heutigen London Bridge, was viele Münzfunde an dieser Stelle bestätigen. In den 80er-Jahren n. Chr. war Londinium bereits die größte Stadt der britischen Provinz und erhielt u. a. eine monumentale Basilika beim heutigen Leadenhall Market mit einem direkt anschließenden, gewaltigen Forum sowie eine Kanalisation und viele Badeanstalten. Hafen, Warenspeicher und der Palast des Statthalters lagen an der Themse. 1954 wurde ein Mithras-Tempel ergraben. Im 2. Jh. begann der Bau der Stadtmauer, die, 6 m hoch und bis zu 2,5 m breit, vom heutigen Tower einen Bogen zum Ludgate Hill schlug, wo der Fleet in die Themse mündete. Viele Stücke im imageMuseum of London– hinter dem auch ein Stück Stadtmauer erhalten ist – belegen die Wohn- und Lebenskultur Londiniums.

DAS NORMANNISCHE LONDON

Neue Bauherren

Im 11. Jh. entfalteten die Normannen eine enorme Bautätigkeit: Rundbögen, Portale mit Archivolten, rechteckige, später Bündel- oder Rundpfeiler, Arkaden, einfache Holzdecken, die sich zu Tonnengewölben oder Kreuzgratgewölben entwickeln, sind charakteristisch für diese Architektur, die einfache geometrische Muster und Figuren- oder Bestienkapitelle als Verzierung verwendet. Innerhalb der römischen Stadtmauer ließ sich Wilhelm der Eroberer von 1078 bis 1097 aus Kalkstein aus Caen den mächtigen White Tower erbauen, erstes Zeugnis normannischer Bautätigkeit. An der Südostecke ist von außen die Apsis der dreischiffigen St. John’s Chapel zu erkennen, eines der wichtigsten Werke frühnormannischer Kunst in London. Deren Seitenschiffe werden um den Chor weitergeführt, im Obergeschoss zieht sich rundum ein als Empore gebildeter Gang, ein in Südfrankreich üblicher Bautypus. Auch der Chor von St. Bartholomew-the-Great gibt ein eindrucksvolles Bild normannischer Architektur: Die Massivität des Mauerwerks, die engen Arkadenstellungen, die gedrungenen Säulen und die profilierten Blendbögen des Obergeschosses aus der romanischen Zeit stehen in Kontrast zu den spätgotischen Perpendicular-Style-Fenstern. Die zwanzigbogige, von Peter de Colechurch ab 1176 erbaute London Bridge war die erste steinerne Themsebrücke. Unmittelbar nach ihrer Fertigstellung wurden beiderseits der Fahrspur Häuser, Läden und eine Kapelle erbaut (Modell in St. Magnus-the-Martyr, imagesiehe >>).

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Gotik in Vollendung – Westminster Abbey

HOCHMITTELALTER: GOTIK

Architektur

In der frühen Gotik Englands sind noch viele normannische Elemente zu finden, dennoch werden die Gemäuer immer mehr durchbrochen, die Säulen schlanker, die Fenster erhalten Lanzettform. Diese erste Phase, der Early English Style, ist in Westminster Abbey hervorragend ausgebildet. Die dreischiffige Anlage mit Chor, Sanktuarium und Radialkapellen entspricht in den Proportionen eher einer französischen Kathedrale; namentlich die einfachen und klaren Maßwerkformen sind von Amiens und Reims beeinflusst.

Der folgende Decorated Style durchbricht die Mauer noch mehr und wertet die Fenster und Öffnungen mit lebhaften Maßwerk- und Bogenformen auf; stark durchbrochene Wimperge zieren die Portaleingänge. Die Kapitelle werden aufgelockert und mit Ornament versehen, das Kreuzrippengewölbe weiterentwickelt. Ein hervorragendes Beispiel dieses Stils ist die Kapelle St. Etheldreda vom Ende des 13. Jh.s unweit des Smithfield Market.

Der Perpendicular Style bestimmte bis Anfang des 16. Jh.s die englische Architektur. In dieser insularen Sonderform der Spätgotik wird die Detailausbildung von Wand und Gewölbe reicher, die Formen starrer und planvoller, die Ornamentik stilisiert, die Gliederung dagegen wird fester und klarer. Die Bogenformen und die noch größeren Fenster sind stärker horizontal betont. Neben dem Netz- und Sterngewölbe bildet sich das Fächergewölbe, bei dem von einem Punkt aus die Rippen fächerförmig ausstrahlen, zum englischen Spezifikum aus. Die Chapel of Henry VII ist mit ihrem außergewöhnlichen Fächergewölbe und den trichterförmig herabhängenden Gebilden ein herausragendes Beispiel dieses Stils.

Von den wenigen erhaltenen gotischen Profanbauten ragt Westminster Hall, heute Teil der Houses of Parliament, mit ihrer Stichbalkenkonstruktion und ihren Fensterformen heraus. An der Guildhall erinnern Krypta, Versammlungshalle und Hauptportal an die Bauzeit von 1411 bis 1439.

Plastik

Die Entwicklung der Plastik kann man eingehend an Grabmälern studieren. Der Typus der auf der Steintumba ruhenden Figur war im 13. Jh. verbreitet, wie die Grabfiguren in der Temple Church belegen. Neue Maßstäbe werden wiederum in Westminster Abbey in Form des Grabs von Edmund Crouchback († 1296) gesetzt, dessen aufwendiger architektonischer Aufbau seinen Ursprung in den Heiligenschreinen hat. Am Grabmal von John of Eltham verweist die geschwungene Körperhaltung der Klagefigur auf das vor 1250 einsetzende Verständnis für Bewegtheit, das für die englische Bildhauerkunst bestimmend wird.

Malerei

Die englische Buchmalerei erreichte im 12. Jh. ihre höchste Blüte. Die Tradition der Umrisszeichnung verband sich mit Impulsen des Festlands, wobei der lebhafte Austausch vor allem von Motiven mit dem Herrscherhaus Anjou auffällt. Matthew Paris, der bedeutendste englische Miniaturenmaler, stattete die Handschrift »Historia Anglorum« mit Miniaturen aus, die einerseits etwas altertümlich und dem klassischen Stil verpflichtet wirken, andererseits durch den Naturalismus und die Hervorkehrung emotionaler Werte der Entwicklung der Zeit entsprechen. In das letzte Viertel des 13. Jh.s sind die Tafeln eines Altaraufsatzes in Westminster Abbey zu datieren: Elegante Figuren, deren Gewänder in leichten, weichen Schwüngen fallen, stehen räumlich dicht hintereinander gestaffelt. Als Beispiel der Profanmalerei stehen die Fresken, die Heinrich III. in seinem Palast in Westminster im sog. Painted Chamber seit Mitte der 30er-Jahre des 13. Jh.s anbringen ließ. Diese Werke des Hofmalers Walter of Durham sind heute nur als Kopien des 19. Jh.s erhalten.

LONDON IN DER RENAISSANCE

Architektur

Während der gesamten Renaissance bleibt der Perpendicular Style wichtig. Der Tudor Style (ca. 1485 – 1558) markiert Umbruch und Übergang, so in Torhaus, Audienzsaal und Kapelle des St. James’s Palace sowie im ehemaligen Gasthof Staple Inn an der Chancery Lane. An Hampton Court Palace (1514 – 1540) schmückt italienisches Dekor in Form von Terrakottamedaillons mit Köpfen römischer Imperatoren ein gotisches Bauwerk, dessen Backsteinbauweise und vor allem die schlanken Schornsteine mit ihren geometrischen Verzierungen wiederum typisch für die Tudorzeit sind. Während des Elizabethan Style (ca. 1558 – 1603) bildete sich eine glanzvolle höfische Kultur aus, jedoch wurde wenig gebaut. Bedeutendes Zeugnis für die kulturelle Blüte sind aber die Theaterneubauten, vor allem die Shakespeare-Bühne Globe Theatre. Gotische Formen werden in der Jacobean-Zeit (ca. 1603 – 1625) mehr und mehr zurückgedrängt, klassische Säule und klassisches Gebälk sowie die Symmetrie treten in den Vordergrund, die Dekoration wird wesentlich üppiger. Die Zeit der Stuarts (ab 1625) prägte der Palladianismus, hauptsächlich durch Inigo Jones (1573 – 1652) repräsentiert, der mit seinen exklusiven und aristokratischen Bauten richtungweisend für die folgenden Jahrhunderte war. Sein Stil zeichnet sich durch vornehmes, schlichtes Dekor sowie durch Solidität aus, was der erste streng palladianisch-klassizistische Bau des Queen’s House in Greenwich (1616 – 1635) hervorragend belegt. Jones’ Hauptwerk war jedoch Whitehall Palace, von dem heute nur noch Banqueting House (1619 – 1622) steht.

Malerei und Plastik

Den Anstoß für die Miniaturmalerei gab die um 1530 von Heinrich VIII. aus den Niederlanden eingeladene Familie Hornebolte. Nicholas Hilliard (1537 / 1538? – 1618) bevorzugte das auf Kopf und Schultern begrenzte Porträt. Wegweisend für die Entwicklung der Malerei war Hans Holbein (1497 – 1543), der zunächst vornehmlich für die Kaufleute vom Stallhof, der Hanse-Niederlassung, arbeitete und dann Hofmaler Heinrichs VIII. wurde. Seine Bildnisse zeichnen sich durch rationale Beobachtung und präzise getroffene Physiognomien aus.

Die ersten Renaissanceskulpturen in London schuf der Florentiner Pietro Torrigiano (1472 – 1528) mit dem Grabmal für Heinrich VII. und Elisabeth von York (1512 – 1518) in Westminster Abbey. Es zeigt das Paar traditionell als isolierte Liegefiguren, reich gewandet und mit gefalteten Händen. Die individuell gestalteten Physiognomien sowie die Gestaltung der Körper, die selbst unter der Kleidung nachzuvollziehen sind, fanden in London viele Nachfolger.

DAS JAHRHUNDERT VON CHRISTOPHER WREN

17. Jahrhundert: das Zeitalter der Architektur

Das 17. Jh. ist das große Zeitalter der englischen Architektur. Vorerst war Inigo Jones’ Bauweise weiterhin tonangebend, doch in der zweiten Jahrhunderthälfte wird Christopher Wren (1632 – 1723) – vor allem durch den Wiederaufbau nach dem Großen Feuer von 1666 – äußerst produktiv. Seine Kathedrale St. Paul’s und die weiteren 52 Stadtkirchen zeigen eine große Bandbreite unterschiedlichster Stiladaptationen. Vielfach knüpft er aber auch an die lokale Tradition an. Zunächst erweitert er zusammen mit Jones in Greenwich das Royal Naval Hospital mit Queen’s House und dem Observatorium. Wrens Meisterwerk ist St. Paul’s Cathedral (1675 – 1711): Doppelturmfassade und Kuppel stellen ein Novum dar. Die beiden Kolonnadenreihen sind der Pariser Architektur Perraults verpflichtet, die Obergeschosse der Türme weisen auf den römischen Barock Borrominis hin und sind an vielen anderen Türmen Wrens zu finden. Der Innenraum verkörpert den Kompromiss zwischen der anglikanischen Forderung eines basilikalen Längsbaus mit geräumigem Chor und der Idee des Architekten vom kuppelbekrönten Zentralbau. Quasi als Testlauf für St. Paul’s wurde St. Stephen Walbrook gestaltet, wo im Chorbereich ein großer quadratischer, mit einer Kuppel überwölbter Bereich ausgespart ist, der den Zentralbaugedanken erprobt. Profanbauten Wrens wie der gewaltige, eher monoton wirkende Baukubus des Ostflügels von Hampton Court Palace (1689 – 1692) sind seltener. Zusammen mit Sir John Vanbrugh und Nicholas Hawksmoor entwickelte er gegen 1700 einen eigenartig heterogenen englischen Spätbarock.

18. JAHRHUNDERT

Architektur

Richard Boyle, Earl of Burlington, Hauptrepräsentant der klassisch-palladianischen Ideologie, betrachtete den Barock als aufklärungsfeindlichen Stil der katholischen Kirche und sammelte einige Architekten um sich, die vor allem Italien als Vorbild propagierten. So verarbeitete William Chambers (1723 – 1796) französische wie römische Einflüsse in seinem klassizistischen Somerset House. Robert Adam (1728 – 1792) betonte an Kenwood House die Fassade durch Ädikula und klassischen Portikus, legte aber größeren Wert auf die neurömische, elegant-raffinierte Innendekoration. Inigo Jones verwirklichte bereits an Covent Garden Plaza im Jahr 1630 erstmals die Idee vereinheitlichender Häuserzeilen nach dem Pariser Vorbild der Place des Vosges. Der Wiederaufbau nach dem Großen Feuer erfolgte jedoch zunächst uneinheitlich. Erst mit der Errichtung der Ostseite von Grosvenor Square ist die Idee der genormten Fassade zum ästhetischen Prinzip erhoben worden, das sich in der Gestaltung von mehrstöckigen Wohnbauten um einheitliche Platzanlagen als Square, Crescent oder Circus ausdrückt. Grauer und gelber Backstein, helle Stuckverzierungen, Rhythmisierung durch Säulen, Giebel und Eingänge charakterisieren diesen schlichten Stil. Einer seiner Hauptvertreter war John Nash (1752 – 1835), dessen bedeutendste Hinterlassenschaft Regent Street und Regent’s Park sind, die ab 1811 verwirklicht wurden und damals das größte städtebauliche Projekt in Europa waren.

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Londoner Sittengemälde:
»Beer Street« (l.) und »Gin Lane« (r.) von William Hogarth

Malerei

Bis ins frühe 18. Jh. waren in England Maler aus Festlandeuropa tonangebend: Der Deutsche Godfrey Kneller (1646 – 1723) fertigte elegante Porträts, Italiener etablierten das Historienbild. Nur James Thornhill (1675 – 1734) sticht durch seine dekorativen Arbeiten wie die Kuppel von St. Paul’s oder die Deckenmalerei von Hampton Court Palace heraus. Die folgende Generation brachte der englischen Malerei wieder internationalen Ruhm ein: William Hogarth (1697 bis 1764) setzte moralische Themen in volkstümlich erzählende Bilder um. Seine Bedeutung gründet auch in einem umfangreichen Kupferstichwerk, in dem sorgfältiges Beobachten seine satirischen Schilderungen auszeichnen. Joshua Reynolds (1723 – 1792) griff die Tradition van Dycks sowie die Hell-Dunkel-Kolorierung Rembrandts auf und beeinflusste maßgeblich die Entwicklung der Porträtmalerei: Seine vornehmen Modelle gab er in Posen bekannter antiker Statuen wieder oder stellte bedeutende Kompositionen der Renaissance nach. Seine überragende Stellung im Kunstleben Londons wurde durch die Wahl zum ersten Präsidenten der Royal Academy 1768 noch bestärkt. Thomas Gainsborough (1727 – 1788) gab mit sorgfältigen, in ihrer leichten Farbigkeit ausgewogen gestalteten Landschaften der Landschaftsmalerei neue Impulse und begründete eine englisch-arkadische Tradition.

DAS 19. JAHRHUNDERT

Architektur

Prominente Bauaufgabe des 19. Jh.s war der Neubau der Houses of Parliament, der gotisch oder elisabethanisch realisiert werden musste. 1836 wurde der Entwurf von Sir Charles Barry (1795 – 1860) angenommen. Doch erst von 1860 an setzte sich der neugotische Stil auch für Profanbauten gänzlich durch, wie an den Royal Courts of Justice zu sehen ist. Sir John Soane (1753 – 1837) wurde bereits 1788 zum Architekten der Bank of England. Die Industrialisierung erforderte große Wohnhäuser, Docks, Märkte und Bahnhöfe. So konzipierten Robert Stephenson und Philip Hardwick von 1835 bis 1839 Euston Station mit einem monumentalen Eingang in Gestalt eines gusseisernen dorischen Portikus (1963 abgerissen); die King’s Cross Station (1851 – 1852) von Lewis Cubitt hatte tonnenüberwölbte Bahnsteige mit einer Spannweite von 24 m und eine verglaste Eingangsfassade. Höhepunkt der Eisen-Glaskonstruktionen war der Kristallpalast der Great Exhibition von 1851. 1860 begann der Bau der ersten Untergrundbahn und schon kurz nach der Eröffnung waren Werbeflächen in den Underground Stations verpachtet, sodass die bunten Reklamen schon bald zum Charme der Haltestellen beitrugen. Markthallen und Galerien wie Burlington Arcade, Covent Garden, Smithfield Market oder Leadenhall Market zeugen von der prosperierenden Wirtschaftsmetropole, die dann mit der von 1886 bis 1894 errichteten Tower Bridge ein neues Wahrzeichen und eine Landmarke des gotisch geprägten Viktorianismus erhielt.

BAEDEKER TIPP !

Überreste

Vom großartigen Kristallpalast der Great Exhibition von 1851 steht leider nichts mehr. Ein Modell kann man aber im Museum of London bestaunen. Und von einer der größten Attraktionen der Ausstellung ist noch etwas übrig: lebensgroße Gipsmodelle prähistorischer Tiere im Crystal Palace Park.

Malerei

In der Landschaftsmalerei kam John Constable (1776 – 1837) zu einer eigenen Farb- und Lichtbehandlung: Er fing nuancierte Licht- und Luftstimmungen ein und wollte atmosphärische Stimmungen festhalten, indem er mit lockeren, summarischen Pinselstrichen arbeitete und dadurch seinen Bildern mehr den Charakter von Ölskizzen als von Gemälden verlieh. William Turner (1775 – 1851), Autodidakt, dann Schüler in der Malklasse von Reynolds, verarbeitete Anregungen aus dem Studium von Poussin und Lorrain. Berühmt wurde er durch lichtdurchflutete Landschaftsimpressionen, dunstige Atmosphären und schillernde Reflexe, die er ohne greifbare Kontur festhielt und so visionäre Schöpfungen mit teilweise symbolischem Charakter hervorbrachte. William Blake (1757 – 1827) gilt wegen seiner fantastisch-mystischen Kunst als Vorläufer der Präraffaeliten. In ihrer romantisch rückwärts gewandten Haltung konzentrierten sie sich auf die Zeit vor Raffael, die ihnen durch den Ausdruck von Gefühlszuständen und Stimmungen besonders reizvoll schien.

VOM 20. INS 21. JAHRHUNDERT

Architektur

Bis unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg war die Architektur beherrscht von einem aus dem 18. Jh. übernommenen Monumentalismus, wofür das Piccadilly Hotel oder der Regent Street Quadrant von Reginald Blomfield als Beispiele gelten können. Der Bau der Vorstädte wurde zur immer vordringlicheren Aufgabe; so plante die Gruppe »Tecton« die Wohnblocks Highpoint One und Highpoint Two, in ihrer Eleganz und Kunstfertigkeit ohne Vergleich.

Einen neuen Akzent nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die Festival Hall: Beton, die Horizontale und der Eindruck gebauter Landschaft durch Plattformen und Brücken kennzeichnen diesen Komplex von Denys Lasdun. Schließlich kam in den 1980er-Jahren die Postmoderne: James Stirling schuf den Erweiterungsbau der Tate Gallery, Richard Rogers vollendete 1986 den spektakulären Neubau von Lloyd’s. Die Docklands gerieten zur Spielwiese moderner Architektur, auf der interessante architektonische Lösungen gefunden wurden wie der Büroturm One Canada Square von Cesar Pelli oder der Wohnblock The Cascades von Piers Gough.

Zum Millennium veränderte London sein Antlitz noch einmal beträchtlich. Weniger architektonisch als technisch interessant ist die Errichtung des damals größten Riesenrads der Welt am Themseufer gegenüber vom Parlament: 135 m hoch erhebt sich das London Eye. Einen weiteren Superlativ schuf Sir Richard Rogers mit dem Millennium Dome in Greenwich, dessen 320 m durchmessendes, in 50 m Höhe aufgehängtes Kuppelzelt den größten Festplatz der Welt überspannt. Auch Britanniens zweiter Stararchitekt, Sir Norman Foster, blieb nicht untätig. Er baute zwischen St. Paul’s und der neuen Tate Gallery in der alten Bankside Power Station die filigrane Fußgängerbrücke Millennium Bridge und gestaltete den Great Court des British Museum um, den er, wer hätte es gedacht, ebenfalls mit einer Glaskuppel überdachte – am Reichstag in Berlin hatte er ja schon geübt. Foster bescherte London dazu auch zwei neue Landmarken: die City Hall nahe der Tower Bridge und den 180 m hohen Turm 30 St. Mary Axe, den die Londoner »erotische Essiggurke« (»erotic gherkin«) getauft haben. Für die Olympiade 2012 entstand der Olympic Park im Stadtteil Stratford. Wichtigste Neubauten dort sind das Olympiastadion der Architektengemeinschaft Populous und das unverkennbar von Zaha Hadid entworfene Aquatics Centre.

2012 wartete mit einem weiteren architektonischen Superlativ auf: Im Mai wurde im London Bridge Quarter das von Renzo Piano geplante höchste Bürogebäude in der Europäischen Union eröffnet: The Shard (imagesiehe >>).

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Schieflage beabsichtigt: die neue City Hall

Malerei und Plastik

Drei Haupttendenzen herrschen in der modernen Kunst vor dem Zweiten Weltkrieg vor: Der Aufenthalt einiger Künstler vom Kontinent wie Hans Arp, Lázló Moholy-Nagy oder Piet Mondrian begünstigte die Tendenz zum Konstruktivismus, zu Harmonien rein geometrischer Formen und zur Ablehnung gegenständlicher Motive. Zur populärsten Avantgarderichtung entwickelte sich der Surrealismus, der in England z.B. durch das Manifest von Roland Penrose Widerhall fand. In der »Unit One« fanden sich beide Richtungen zusammen. Die dritte Strömung besann sich auf den impressionistischen Ursprung der Moderne und setzte sich thematisch mit dem Ersten Weltkrieg, aber auch mit der Sexualität auseinander, wie die Plastiken Jacob Epsteins zeigen.

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Zum Hin- und nicht Weggucken: die Werke von Gilbert & George

Nach dem Krieg lebten die figurativen Arbeiten wieder auf und wurden durch andere Medien erweitert: Richard Hamilton und Eduard Paolozzi verwerteten die Bilderwelt der Konsum- und Mediengesellschaft zu Computercollagen. Die Pop Art avancierte zur Kunstform der Sixties. Henry Moore vertrat in den frühen 1950er-Jahren eine gemäßigte Figuration für die Plastik, die Anthony Caro bis zur Abstraktion weiterentwickelte. In den 1960er-Jahren wurden die Grundsätze des Konstruktivismus ins Expressive und Emotionale ausgeweitet. Eigenständige Wege gingen Francis Bacon, der Grausamkeit, Gewalt und Leiden auf Großformaten thematisiert, Frank Auerbach, der wild und spontan wirkende Gemälde fertigt, oder Lucian Freud, der unverblümt die Fleischmassen seiner Modelle auf die Leinwand bannte. Gilbert & George oder Bruce McLean wählten zunächst die Performance als Ausdrucksform, bevor sie ihre Ideen dann in »dauerhafte Lösungen« umsetzten. Mittlerweile etablierte Künstler wie Rachel Whiteread und Damien Hirst versetzten zu Beginn der 1990er-Jahre die Kunstwelt in Aufregung. Die provokativen Werke der YBA’s (Young British Artists) sind untrennbar mit dem Mäzen Charles Saatchi verbunden.

Geadelt werden die »Schock-Künstler« mit der Vergabe des renommierten Turner Prize. Der 1998 ausgezeichnete Chris Ofili erregte mit der Verarbeitung von Elefantendung und Pornocollagen in Bildern der hl. Jungfrau Maria Anstoß. Grayson Perry (Gewinner 2003), der »Töpfer-Transvestit«, verknüpft seine traditionellen Keramiken mit subversiven Motiven. 2006 erhielt die deutsche Malerin Tomma Abts den Preis, was die Kulturwelt nicht recht goutierte, denn ihre Kompositionen sind eher »not so shocking«. Das aber tat Mark Wallinger mit seiner Anti-Irakkrieg-Installation und heimste den Preis 2007 ein. Glücklicher Gewinner 2011 war der schottische Installationskünstler Martin Boyce.